Der November bringt in der Staatsoper nicht nur die
Wiederaufnahme von „Die Weiden“ und „Ariodante“, sondern auch die zweite Serie
von „Orest“, einer von Manfred Trojahn komponierten und auch getexteten
Oper, die im Gegensatz zum vorher genannten Stück schon auf mehrere
Inszenierungen zurückblicken kann. Wobei der Begriff „Oper“ nicht ganz richtig
ist – Trojahn nennt das Stück selbst ein „Musiktheater in sechs Szenen“ – die
allerdings durchgängig sind. Es ist ein kurz(weilig)er Abend, der nur 80
Minuten dauert und das Geschehen kompakt und geradlinig erzählt wird.
Die Handlung setzt dort ein, wo „Elektra“ endet – nach dem
Mord des Orest an seiner Mutter Klytämnestra und erzählt das Geschehen der
nächsten Tage. Um es kurz zu machen – Elektras Rachedurst ist noch nicht
gestillt und sie stiftet ihren Bruder dazu an auch Helene, die aus Troja
zurückgekehrt ist, zu töten. Menelaos hält sich aus machtpolitischen Gründen
aus allem raus, der Gott Apollo (der sich auch als Dionysos ausgibt) möchte
auch weiterhin den Orest als Werkzeug der Rache benutzen, ohne aber selbst
Verantwortung zu tragen. Schlussendlich gelingt es Hermione, der Tochter
Helenas, mittels eines Blicks in die Augen Orests, der sie eigentlich auch
töten sollte, von dieser Tat abzuhalten. Sie, die als einzige keine Schuld auf
sich geladen hat, vermag es den Orest zu erleuchten, indem er den Göttern
abschwört und für die Zukunft sein Schicksal selbst in die Hand nimmt und zu
seiner Schuld steht. Beide gehen ab – Ende des Stücks.
Das Stück ist sowohl für die Sänger als auch für das Orchester sehr schwierig, wie man allenthalben hört. Derjenige, der alles zusammenhält, ist Michael Boder, dessen Ruf als Spezialist für zeitgenössische Musik zu Recht besteht. Das Staatsopernorchester musizierte ungemein konzentriert (besonders hervorzuheben was an diesem Tag der Mann an den Pauken!) und erzeugte eine sehr düstere Stimmung, die dem Geschehen auf der Bühne entsprach. Ungefähr 100 Jahre nach der Straussschen Elektra fand Trojahn eine Tonsprache, die durchaus als eine Weiterentwicklung des Garmischer Meisters angesehen werden kann. Es wäre sehr spannend, an EINEM Abend beide Werke nacheinander zu hören – gemeinsam sind sie drei Stunden lang, eine Pause dazwischen – bei gutem Willen geht sich das aus!!!
Was allerdings bei zeitgenössischen Werken auffällt ist die
Tendenz der Komponisten oft sehr extreme Höhen zu benutzen, die Sängerinnen und
Sänger an die Grenzen ihrer Fähigkeiten bringen – mir ist noch nicht
klargeworden, was damit bezweckt wird. Wie schon beim „Tempest“ hat Audrey
Luna (Hermione) damit keine Probleme und ist, wie das gesamte Ensemble,
ungemein wortdeutlich dabei. Obwohl vier der sechs Hauptprotagonisten „deutsch“
nicht als Muttersprache haben, konnte man überhaupt keinen Akzent hören! Ich
hoffe, Audrey Luna einmal in einer Rolle zu hören, die aus dem
„Standardrepertoire“ kommt…
Laura Aikin als Helena spielte und sang überzeugend, Ruxandra
Donose (Elektra) war manchmal gegen die Orchesterklänge nur zweite
Siegerin. Michael Laurenz in der Rolle des Menelaos gab eine Talentprobe
ab – da entwickelt sich ein vielversprechender Charaktertenor. Ähnlich wie Luna
hatte Daniel Johansson (Apollo/Dionysos) einen sehr schwierigen Part zu
singen, den er allerdings ähnlich bravourös meisterte.
Ein Sonderlob muss man dem Sänger der Titelpartie, Georg
Nigl, aussprechen. Extrem Wortdeutlich (was bei einigen Stellen, wo man
eher von Sprechgesang schreiben muss, sehr wichtig war), mit vollem Einsatz als
Schauspieler und mit volltönendem Bariton konnte er den Orest überzeugend
darstellen – eine ganz tolle Leistung, die mit vielen Bravo-Rufen beim
Schlussvorhang belohnt wurde.
Der Haus- und Hofregisseur der Holender-Ära, Marco
Arturo Marelli, der auf für Bühne und Licht zuständig ist, schuf (wie
meistens) ein Einheitsbühnenbild. Die Kostüme sind modern (bis auf Apollo und
sein Gefolge), die Bühne ist leer – somit kann man sich auf die ausgezeichnete
Personenführung konzentrieren.
„Orest“ ist ein Stück, das durchaus das Potential hat, länger in einem Repertoirehaus wie der Staatsoper zu überleben (wie gesagt – eine Kombination mit Elektra bietet sich an). Die Vorstellung war zwar ausverkauft, allerdings (besonders am Balkon) haben es viele Abonnenten vorgezogen, nicht zu erscheinen. Sie haben einen interessanten Abend versäumt.