Die Nationalopern diverser Länder

  • Die Nationalopern diverser Länder

    Der Gedanke kam mir dieser Tage: Welche sind wohl die Nationalopern diverser Länder?


    In manchen Fällen ist das relativ einfach zu beantworten, in anderen hingegen kompliziert.


    Für Deutschland, Italien und die ostmitteleuropäischen Länder fiel mir sofort etwas ein. Bei Frankreich hingegen musste ich schon lange überlegen. Und bei Großbritannien musste ich schon ganz weit zurückgehen.


    Trotzdem ein Versuch:


    Deutschland:

    - Wagner, Die Meistersinger von Nürnberg

    - Weber, Der Freischütz


    Frankreich:

    - Meyerbeer, Les Huguenots


    Großbritannien:

    - Arne, Alfred


    Italien:

    - Verdi, Nabucco

    - Verdi, La battaglia di Legnano


    Russland:

    - Borodin, Fürst Igor

    - Mussorgski, Boris Godunow


    Tschechien:

    - Smetana, Libuše

    - Smetana, Die verkaufte Braut


    Polen:

    - Moniuszko, Halka


    Ungarn:

    - Erkel, Bánk bán


    Wie seht ihr das?

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Wie seht ihr das?

    Interessante Fragestellung! Aber was eine echte Nationaloper eigentlich aus? Muss der Komponist aus dem entsprechenden Land kommen? In welcher Weise sollte das Sujet mit dem Land verbunden sein? - Mal versuchen:


    Deutschland:

    - Weber, Der Freischütz - Yep! Wald und Romantik, passt wie die Faust aufs Auge.


    Frankreich:

    - Meyerbeer, Les Huguenots - Jakob Liebmann Meyer Beer? Und die Story gereicht jetzt auch nicht unbedingt zu aller Ehre des Landes. Vielleicht Gounod, Faust? Wenn nur nicht der Stoff wg. Goethe so "Ur-Deutsch" wäre. Oder sogar etwas von Jakob Offenbach?


    Großbritannien:

    - Arne, Alfred - Hier sehe ich eher Purcell, King Arthur. Und was ist mit Britten, der mit Gloriana immerhin eine Krönungsoper für Elizabeth II. geschrieben hat, die allerdings mangels Erhabenheit nicht sooooo gut angekommen sein soll. Aber wie wäre es mit Peter Grimes?


    Italien:

    - Verdi, Nabucco - Wohl unvermeidlich!

    - Verdi, La battaglia di Legnano - Wahrscheinlich selbst in Italien zu unbekannt.


    Russland:

    - Borodin, Fürst Igor

    - Mussorgski, Boris Godunow - Eher, als Knjaz Igor; wobei ich meine, mal gelesen zu haben, dass Glinka, Ein Leben für den Zaren ziemlich wit vorne liegen soll. Interessanterweise kommt Tschaikowski wohl nicht in Frage.


    Tschechien:

    - Smetana, Libuše

    - Smetana, Die verkaufte Braut

    - Janáček, Káťa Kabanová oder Příhody lišky bystroušky wären meine Favouriten.


    Polen:

    - Moniuszko, Hálka - Möglich, aber auch Szymanowski, Król Roger ist m.E. denkbar.


    Ungarn:

    - Erkel, Bánk bán


    Spanien:

    Tja, ... ?


    Österreich:

    - Mozart, Zauberflöte, Beethoven, Fidelio oder hätte Georg Kreisler eventuell Heldenplatz vertonen sollen :untertauch:


    Argentinien:

    - Piazolla, María de Buenos Aires - Ein ganz tolles Werk!


    USA:

    Sehr schwierig! What about Adams, Nixon in China?


    Und wem fällt etwas zu den skandinavischen Ländern ein? Nielsen, Maskarade als dänische Nationaloper? Finnland wäre einfach, wenn Sibelius eine Oper geschrieben hätte.

    mfG Michael


    Eine Meinungsäußerung ist noch kein Diskurs, eine Behauptung noch kein Argument und ein Argument noch kein Beweis.

  • Frankreich:

    - Meyerbeer, Les Huguenots - Jakob Liebmann Meyer Beer? Und die Story gereicht jetzt auch nicht unbedingt zu aller Ehre des Landes. Vielleicht Gounod, Faust? Wenn nur nicht der Stoff wg. Goethe so "Ur-Deutsch" wäre.

    Genau das, lieber Michael, war mein Gedanke. Daher fiel es mir ausgerechnet bei Frankreich schwer. Gounods Faust hatte ich auch im Kopf - aber das geht wegen Goethe wirklich kaum. Wenn es unbedingt ein "echter" französischer Komponist sein soll, muss man vielleicht ganz andere Namen in Erwägung ziehen. Grétry? Auber? Boieldieu? Thomas? Lalo? Eine Idee wäre vielleicht etwas von Massenet. Der hatte zumindest öfter ein (teils recht phantastisches) französisches Sujet. Aber wer kennt Le Jongleur de Notre-Dame, Grisélidis oder Esclarmonde wirklich?


    Russland:

    - Borodin, Fürst Igor

    - Mussorgski, Boris Godunow - Eher, als Knjaz Igor; wobei ich meine, mal gelesen zu haben, dass Glinka, Ein Leben für den Zaren ziemlich wit vorne liegen soll. Interessanterweise kommt Tschaikowski wohl nicht in Frage.

    Den Glinka habe ich völlig unterschlagen. Der wäre tatsächlich ein heißer Kandidat.


    Und wem fällt etwas zu den skandinavischen Ländern ein?

    Zu Norwegen fiele mir Borgströms Thora paa Rimol ein: Wikingerdrama mit dem epischen Kampf Heidentum gegen Christentum in wagnerischem Anklang. Und hörenswert ist es zudem (es gibt eine tolle Einspielung bei Simax).

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Für Spanien würde ich "La Vida breve" von Manuel de Falla vorschlagen, sowie Enrique Granados "Goyescas", auch wenn letztere eher als Klavierfassung bekannt ist. Man hat auch immer wieder versucht, so etwas wie eine umfangreiche Zarzuela als Oper zu promoten -so sehe ich es zumindest-, z. B. Tomás Bretón und seine "Dolores", oder auch Werke von Ruperto Chapí, das ist zwar auch alles tolle Musik, hingegen bin ich mir nicht sicher, ob man das wirklich als Oper, gar als Nationaloper führen sollte.


    Erste Versuche so etwas wie eine spanische Nationaloper zu etablieren, gab es auch schon früher, beispielsweise von Felipe Pedrell, und 1902 wurde tatsächlich auch seine Oper "Els Pirineus" -so der katalanische Titel, auf Spanisch würde der Titel "Los Pirineos" lauten, die Uraufführung in Barcelona war jedoch in italienischer Sprache- zum ersten Mal auf die Bühne gebracht.


    Diese schöne Partitur, die an Wagner und die italienische Operntradition denken lässt, setzte sich jedoch nicht durch; erst 2003 wurde die originale, katalanische Urfassung gespielt, nachzuhören in dieser youtube-Aufnahme:



    Die ambitionierte Oper dauert immerhin drei Stunden...Manuel de Fallas La Vida Breve ist zwar nur eine kurze Oper, hat sich jedoch, auch international, weitaus mehr Gehör verschaffen können als die Werke von Pedrell und seinen Mitstreitern. Daher würde ich selbige an erster Stelle nennen.

  • Eine Idee wäre vielleicht etwas von Massenet.

    Apropo, da fielen für Spanien Le Cid oder Don Quichotte ab ;) Aber um noch kurz bei Frankreich zu bleiben: Berlioz(!) - der sich ja mit La damnation de Faust auch am Faust-Stoff versucht hat - aber taugt Les Troyens als französische Nationaloper? Dann vielleicht eher für Griechenland ...


    p.s. Überhaupt, Frankreich und Spanien: Bizet, Carmen.

    mfG Michael


    Eine Meinungsäußerung ist noch kein Diskurs, eine Behauptung noch kein Argument und ein Argument noch kein Beweis.

  • Also, wenn es auch nicht-spanische Komponisten sein dürfen, lieber Joseph, dann wäre für mich die spanischste aller spanischen Opern zweifellos Bizets Carmen!


    liebe Grüße

  • Aber was eine echte Nationaloper eigentlich aus? Muss der Komponist aus dem entsprechenden Land kommen? In welcher Weise sollte das Sujet mit dem Land verbunden sein?

    Idealerweise beides. Wie man sieht, trifft das bei denkbaren Kandidaten aber teilweise nicht zu.


    Großbritannien:

    - Arne, Alfred - Hier sehe ich eher Purcell, King Arthur. Und was ist mit Britten, der mit Gloriana immerhin eine Krönungsoper für Elizabeth II. geschrieben hat, die allerdings mangels Erhabenheit nicht sooooo gut angekommen sein soll. Aber wie wäre es mit Peter Grimes?

    Gute Ergänzungen! Qualitativ wäre Peter Grimes sogar meine erste Wahl. Fragt sich, ob diese schwierige Thematik für eine Nationaloper, mit der man etwa ein neues Opernhaus einweiht, taugt.


    Finnland wäre einfach, wenn Sibelius eine Oper geschrieben hätte.

    Hat er sogar: Jungfrun i tornet. Mit etwa einer halben Stunde aber etwas arg kurz geraten. Noch dazu wird auf Schwedisch gesungen.


    Für Schweden käme wohl Berwald in die engere Wahl. Estrella de Soria (man kennt am ehesten die feurige Ouvertüre) spielt freilich wiederum in Kastilien. Gustaf Adolf och Ebba Brahe von Abbé Vogler hätte zwar ein ideales Thema, aber eben von einem Deutschen komponiert.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Dann vielleicht eher für Griechenland ...

    Da gäbe es sogar echte Anwärter: Markos Botsaris (1857-60) oder Marathon-Salamis (1886-88) von Pavlos Carrer.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Schon spannend, was hier so zu Tage gefördert wird. Don_Gaiferos Vorschläge für Spanien klingen schlüssig. An folgender Stelle würde ich ergänzen bzw. tauschen wollen:

    Deutschland:

    - Wagner, Die Meistersinger von Nürnberg

    - Weber, Der Freischütz

    Wenn es Wagner sein soll, hielte ich den Lohengrin für die bessere Wahl: ähnlich dem Freischütz kommt hier der romantische Aspekt nicht zu kurz und passt deshalb m.E. besser zum deutschen Gemüt.

    mfG Michael


    Eine Meinungsäußerung ist noch kein Diskurs, eine Behauptung noch kein Argument und ein Argument noch kein Beweis.

  • Banner Trailer 2 Gelbe Rose
  • Für Frankreich fiele mir Poulencs

    Dialogues des Carmélites

    ein.


    Französischer Komponist, der sein eigener Librettist ist und ein sehr französisches Thema.

    ..., eine spe*ifisch deutsche Kultur ist, jenseits der Sprache, schlicht nicht identifi*ierbar.
    -- Aydan Ö*oğu*

  • USA

    Nach der Welttournee der Everyman Opera Company mit Leontyne Price und William Warfield in den Titelrollen zwischen 1952–1955 bezeichnete die New York Times

    George Gershwin's Porgy and Bess

    als „American Folk Opera“, was wohl bedeutet, dass sie als US-amerikanisches Kulturgut gilt.

    Alles Gute und einen Gruß von Orfeo

  • Sehr einverstanden und eine späte Rehabilitation der Katja, die es damals nicht in unseren Opernführer geschafft hat.

    Aller Anfang ist schwer - außer beim Steinesammeln (Volksmund)

  • Auch, wenn Donald Trump dies so wohl nicht unterschreiben würde, passt Gershwin, Porgy and Bess für die USA m.E. sehr gut! Für Frankreich käme auch Debussy, Pelléas et Mélisande in Frage, Poulenc; Dialogues des Carmélites ist aber sicher zu erwägen. Für die Schweiz gäbe es ja durchaus Guglielmo Tell, wäre diese Oper nicht von Rossini und gleichzeitig der Beginn der französischen Grand opéra :untertauch: - Das Thema Nationaloper ist schon vertrackt!

    mfG Michael


    Eine Meinungsäußerung ist noch kein Diskurs, eine Behauptung noch kein Argument und ein Argument noch kein Beweis.

  • Hallo Joseph II.,


    ich habe diesen Thread von Anfang an verfolgt. Ist wirklich interessant.

    Es wurde schon viel - auch über die Schwierigkeit des Begriffs "Nationaloper" - gesagt.


    Wenn ich an bestimmte Regionen denke und dazu passende Geschichten und Musik, dann muss ich unbedingt noch zwei Opern anführen: "Freund Fritz" für das Elsass und "La Wally" für Südtirol.

    Wer jemals die liebliche Landschaft und die schmucken Dörfer zwischen den Vogesen und dem Schwarzwald gesehen hat, wird die wundervolle, passende Musik von Mascagni lieben - allerdings war er Italiener.

    Und die berühmte, auch mehrfach verfilmte Tiroler Geschichte von der Geierwally findet auch eine schöne Entsprechung in der kraftvollen Musik von Catalani, der aber aus der Toskana stammte.


    Außerdem ist mir eigefallen.


    Kroatien:

    Gotovac: Ero, der Schelm


    Und nun zu meinem Heimatland Österreich.

    Österreich:

    - Mozart, Zauberflöte, Beethoven, Fidelio oder hätte Georg Kreisler eventuell Heldenplatz vertonen sollen :untertauch:

    Tja, also damit kann ich als Nationalopern wenig anfangen. Es ist wohl gar nicht so einfach, trotzdem habe ich einen Vorschlag:


    Österreich:

    Kienzl: Der Evangelimann


    Der Komponist stammte aus dem tiefsten Oberösterreich und hat im ersten Teil seines eigenen Librettos wohl teilweise seine Erfahrungen mit dem Landleben verarbeitet. Der zweite Teil der Handlung spielt in Wien, unserer Hauptstadt. Das recht katholische Thema ist auch typisch für Österreich. Außerdem kommt eine Art Nationalsport vor, das Kegelscheiben!


    Die Oper wurde - entgegen der Behauptung in Wikipedia - an der Staats- und vor allem an der Volksoper oftmals inszeniert und große österreichische Tenöre sangen die Hauptrolle des Mathias Freudhofer (wenn das nicht Mal ein österreichisch klingender Name ist): Julius Patzak und Rudolf Christ.


    Die Arie "Selig sind, die Verfolgung leiden" ist bis heute populär. Vor nicht einmal zwei Wochen habe ich sie in einer Kirche in Salzburg während eines Gottesdienstes gehört.

  • Ich glaube , Österreich hat keine Nationaloper. Beispielsweise Kienszls Evangelimann. Ja das war ein Österreicher. Aber wer kennt den heute noch ?

    Mozart war auch Österreicher. Aber keine seiner Opern taugt als "Nationalope!

    Ich glaub "Nationalopern" sind lediglich dort entstanden wo ein Volk nach seiner identität suchte

    Ich glaube in Österreich war das nie wirklich der Fall...


    mfg aus Wien

    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Deutschland, Österreich und Italien haben m.E. keine Nationalopern. Sie haben zu viele bedeutende Opern und die meisten von denen sind zu universell. Selbst wenn es Kandidaten gibt, wie Meistersinger, haben sie zu viel Konkurrenz und oft immer noch keinen ausreichend "nationalen" Charakter. Bei Frankreich bin ich mir nicht so sicher, aber die genannten Kandidaten überzeugen mich auch nicht, daher dürfte die Situation ähnlich wie in den drei schon genannten Kulturen sein.

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Ich glaube , Österreich hat keine Nationaloper.


    Deutschland, Österreich und Italien haben m.E. keine Nationalopern.

    Für diese Gedanken könnte auch ich mich erwärmen. Das Thema des Thread ist sehr spannend. Nur ist bislang nicht erkundet, was unter eine Nationaloper eigentlich zu versehen ist. Ich kann jetzt auch nicht viel beisteuern, weil ich meinem schnöden Tagwerk, das leider nichts mit Opern zu tun hat, nachgehen muss. :(

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Ein Werk, das eine besondere und dauerhafte historische Bedeutung zur Etablierung oder Festigung der nationalen Kultur einer Region besitzt. Typischerweise war das verbunden entweder mit einer politischen Emanzipation/Befreiung (z.B. Polen im 19. Jhd.), einer politischen Einigung (das wären Deutschland und Italien) oder mindestens der Etablierung einer eigenständigen kulturellen Identität oder Nationalmusik (Glinka in Russland), obwohl schon ein politisches Gebilde bestand.

    Für Italien und Deutschland passt zwar die politische Entwicklung im 19. Jhd., aber es lässt sich m.E. nur schwer ein einziges Opernwerk festmachen, das hier besonders im Fokus gestanden hätte. Mehrere Verdi-Opern waren im Risorgimento relevant (oder auch VERDI als Abk. für Vittorio Emanuele, Re di Italia), aber es gab schon vorher und danach einfach zu viele weit bedeutendere ital. Opern, als dass Nabucco oder Attila (wo es auch um die Herrschaft über Italien geht, die Ezio anstrebt) o.ä. hier dauerhaft als Nationaloper etabliert wären. In Deutschland sind Freischütz, Lohengrin oder Meistersinger noch weiter zeitlich oder ideologisch vom Vormärz, von 1848 oder 1871 entfernt. Das passt m.E. einfach nicht besonders gut. Auch in Frankreich gibt es meines Wissens keine Oper, die eindeutig mit einer der Revolutionen und Republik- oder anderen Staatsgründungen verknüpft wäre.

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Soweit von der Reichsgründung sind Wagners Meistersinger nun allerdings nicht weg. Die Uraufführung fand am 21. Juni 1868 in München statt. Keine drei Jahre später gab es bekanntlich das Deutsche Reich. Wenn ich mich recht entsinne, drängte gerade Cosima auf die Hinzufügung des umstrittenen Schlussmonologs des Hans Sachs, was sich wenig später insofern als weitsichtig erwies, da deutschnationale Töne, verbunden mit einer Abwertung des "welschen Tands", gut ankamen. Von daher dachte ich eigentlich schon, dass gerade diese Oper in der Gründerzeit die Rolle einer deutschen Nationaloper übernommen hätte. Es ist allerdings fraglos richtig, dass dieser nationale Tonfall eine Art Fremdkörper in der Oper darstellt, der erst ganz am Ende in dieser Vehemenz aufscheint. Was könnte ein idealeres Ende für eine Nationaloper sein als der Schlusschor Ehrt eure deutschen Meister?


    Bei Frankreich ist das infolge der "langen Revolution" zwischen 1789 und 1870 besonders spannend. Womöglich hat gerade der häufige Wechsel des politischen Systems die Etablierung einer eindeutigen Nationaloper behindert. Wenn man sich das mal auf der Zunge zergehen lässt: Von der absoluten Monarchie zur konstitutionellen (1791), über die Erste Republik (1792) mit all ihren Ausuferungen (Terrorherrschaft 1793/94, Direktorium 1795, Konsulat 1799) zum Ersten Kaiserreich (1804), zurück zur Bourbonen-Monarchie (1814), wenig später nochmal Napoleon (1815), dann wiederum die Bourbonen (1815), die Juli-Revolution und mit ihr der Juli-Monarchie (1830), dann die Februar-Revolution und in ihrem Gefolge die Zweite Republik (1848), daraufhin das Zweite Kaiserreich (1852) und schließlich die endgültige Etablierung der dann Dritten Republik (1870).


    Es gibt da schon Opern, die wohl einen gewissen Anspruch hatten, in die Richtung Nationaloper zu gehen. Grétry komponierte z. B. 1794 die heute praktisch vergessene Opéra historique Denys le tyran, maître d'école à Corinthe, wo die Marseillaise am Ende erklingt. Der direkte Bezug zum Tyrannen Robespierre ist offenkundig. L'Oriflamme (1814) von Méhul, Berton, Kreutzer und Paer war als Propaganda-Oper angelegt, die Napoleon mit Karl Martell vergleichen sollte, der 732 die muslimische Invasion ins Frankenreich abwehrte. Napoleons erster Sturz erfolgte wenig später. Boieldieus Le Béarnais ou Henri IV en voyage (1814) und Boieldieus und Hérolds Zusammenarbeit Charles de de France ou Amour et gloire (1816) nehmen deutlich Bezug auf die bourbonischen Restaurationen (in letzterer ist Karl von Valois, Stammvater der gleichnamigen Dynastie, gemeint). Für die Zeit von Louis-Philippe könnte man am ehesten Gustave III (1833) von Auber, Les Huguenots (1836) von Meyerbeer oder Charles VI (1843) von Halevy anführen. Für Napoleon III. finde ich seltsamerweise auf die Schnelle nichts; der soll aber auch sehr geringes Interesse für Musik gehabt haben, wie Berlioz mal beklagte.


    Was mir noch einfiel: Vergessen wir mal nicht, dass Aubers La Muette de Portici bei einer Aufführung in Brüssel 1830 die belgische Revolution ausgelöst haben soll und daher eigentlich als belgische Nationaloper gelten könnte.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Banner Trailer 2 Gelbe Rose
  • Weitere interessante Gedanken von Alfred, Johannes und Joseph!


    Man könnte das Fehlen typischer Nationalopern (wenn es so etwas denn überhaupt gibt) damit kompensieren, dass man überlegt, welche Oper am ehesten der "Seele einer Nation" nachspürt. Der Komponist müsste also von der Gegend geprägt sein und versuchen, die Mentalität der Menschen, die Reize der Landschaft, typische regionale Auffälligkeiten etc. in die Oper und in die Musik einfließen zu lassen. Da wären wir eben z. B. in Österreich beim "Evangelimann".


    Das Argument, dass viele Menschen diese Opern nicht (mehr) kennen, wäre dann hinfällig. Für die Region Sizilien wäre das sicher "Cavalleria Rusticana". Mascagni hat da der Insel wohl ein musikalisches Denkmal gesetzt.

  • Ich finde den Evangelimann eigentlich noch den überzeugendsten Vorschlag für Österreich. Dafür sei greghauser2002 ganz herzlich bedankt!


    In Sachen Nationaloper ist Österreich aber generell ein schwieriger Fall, da ich einen eindeutigen Österreich-Patriotismus, der sich bewusst vom Deutschen abzugrenzen sucht (mit deutsch ist nicht nur das heutige Deutschland gemeint), erst nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs ausmachen würde. Und welche österreichische Nationaloper hätte nach 1945 noch entstehen sollen?


    Davor sah sich Altösterreich (bzw. dann Cisleithanien) doch wohl als in erster Linie deutschen Staat an. Noch Kaiser Franz Joseph bezeichnete sich bewusst als deutschen Fürsten. Da mögen die Jahre 1806 (Ende des Heiligen Römischen Reiches) und 1866 (Deutscher Krieg) noch so wichtig sein; den entscheidenden Bruch bewirkten sie m. E. aber noch nicht.


    Es ist sicher kein Zufall, dass an der Fassade der Wiener Konzerthauses (erbaut 1913) Folgendes prangt:


    800px-Wiener_Konzert_Haus.jpg?uselang=de

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Naja, die Vorbedingung für eine nicht bloß in einer vergangenen Epoche vorübergehend plausible Nationaloper ist m.E., dass es sich um eine nach wie vor (oder jedenfalls über einen längeren Zeitraum) bedeutende bekannte, häufig gespielte Oper handelt. Damit werden für mich fast alle der genannten franz. Kandidaten mit Ausnahme vielleicht der Hugenotten ausgeschlossen. Und natürlich auch der "Evangelimann". Da würde ich Fledermaus oder Zigeunerbaron noch eher als authentisches Zeugnis des späten kuk-Reiches nehmen, denn die interessieren noch heute.


    Meistersinger ist sicher ein nicht völlig unplausibler Kandidat. Freilich ist der enge Fokus auf die Kunst, zu deren Gunsten ja die Politik zurückgestellt oder gar verachtet wird "zerging in Dunst / das heil'ge röm'sche Reich, / uns bliebe gleich / die heil 'ge deutsche Kunst!" und der insgesamt "angehängte" Charakter dieser ganzen Ansprache für mich eher ein Gegenargument. Wenn das nun eine Luther-Oper wäre oder über den Bauernkrieg oder was weiß ich, irgendwas, das man deutlicher national-politisch sehen könnte, wäre es was anderes.

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Lieber Joseph und lieber Johannes,


    wenn man Österreich eher als k.u.k.-Reich denkt, geht natürlich kein Weg an der Operette vorbei. Das war vor einigen Tagen auch mein erster Gedanke.

    Ansonsten stimme ich Joseph II. zu (als großer österreichischer Monarch muss er es ja wissen ;)), dass ein nationaler Patriotismus vermutlich erst in der Zweiten Republik entstand. Nicht umsonst wird die Erste Republik heute aus historischer Sicht als "Republik, die keiner wollte" bezeichnet.

    Für das Österreich der Zweiten Republik passt der Evangelimann gut, auch wenn er natürlich wesentlich früher komponiert worden ist.

  • Eine Nationaloper sollte nach meiner Vorstellung immer identitätsstiften sein vor dem Hintergrund konkreter gesellschaftlich-politischer Entwicklungen wie sie von Joseph und von Johannes sehr plausibel dargestellt wurden. Voraussetzung ist die Landessprache, die jeder versteht. Ein solches Werk sollte nicht bestimmten Kreisen vorbehalten bleiben, sondern die traditionelle höfische Oper überwinden. Sie will zum Volke hin. Auch durch die inhaltlichen Stoffe, Geschichten und Mythen. Insofern scheiden für mich viele der hier bisher genannten Werke von vornherein aus. So verlockend das Beispiel der "Meistersinger" mit dem so aussagekräftigen wie problematischen Schluss auch ist. Doch die darin sehr wortreich abgehandelten Kunstfragen - denken wir nur an den nicht enden wollenden ersten Aufzug - dürften immer nur einem bestimmten Publikum interessant und verständlich erscheinen. Dieses auch von mir sehr geliebte Werk isoliert sich durch seinen intellektuellen Anspruch selbst. Und das sollte eine Nationaloper nicht.

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Mozart war auch Österreicher. Aber keine seiner Opern taugt als "Nationalope!

    Ich glaub "Nationalopern" sind lediglich dort entstanden wo ein Volk nach seiner identität suchte

    Ich glaube in Österreich war das nie wirklich der Fall.

    Lieber Alfred,


    da war Mozart aber ganz anderer Ansicht! Am 5. Februar 1783 schrieb er im Zusammenhang mit der kurz vorher erfolgten Uraufführung seiner Oper "Die Entführung aus dem Serail": "Jede Nation hat ihre Oper - warum sollten wir Teutsche sie nicht haben? Ist die teutsche Sprache nicht so gut singbar wie die französische und die englische? Und nicht singbarer, als die russische?"

    Demnach dürfte man mit Fug und Recht seine "Entführung" als eine deutsche Nationaloper bezeichnen, die aber gleichermaßen Österreichern und Deutschen als gemeinsames Erbe gehört.

    Das Thema "Nation" spielte zu Mozarts Zeit ohnehin eine noch recht untergeordnete Rolle, die Nationalstaaten hatten ihre Blüte im 19. und der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Eine "österreichische Nation" war jedenfalls zu Mozarts Zeit kein Begriff. Bis 1806 war der Habsburger Franz II. Kaiser des "Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation" und nannte sich erst danach "Kaiser Franz I. von Österreich". Das damalige Österreich unter der Herrschaft der Habsburger war ein Vielvölkerstaat, in dem Deutsche, Ungarn, Kroaten, Slowenen, Tschechen, Slowaken etc. lebten, Österreicher war sie alle. Und in diesem Sinn hat sich Mozart als Deutscher in Österreich gefühlt. Er selber bezeichnete sich wiederholt als "Deutschen", doch für ihn bedeutete das vor allem die deutsche Sprache, die Musiktradition im deutschen Kulturraum und die Nationalbühne, also die, auf der deutsch gesprochen und gesungen wurde.

    Erst nach dem verhängnisvollen 2. Weltkrieg bildete sich allmählich eine österreichische Nation heraus, die bewußt einen Schlußstrich unter die Vergangenheit zog, um einer weiteren Vereinnahmung durch preußische Bevormunder und Unterdrücker zu entgehen. Die hatte man zwischen 1938 und 1945 zur Genüge kennen und hassen gelernt.

    In Sachen Nationaloper ist Österreich aber generell ein schwieriger Fall, da ich einen eindeutigen Österreich-Patriotismus, der sich bewusst vom Deutschen abzugrenzen sucht (mit deutsch ist nicht nur das heutige Deutschland gemeint), erst nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs ausmachen würde. Und welche österreichische Nationaloper hätte nach 1945 noch entstehen sollen?

    Lieber Joseph II.,


    als "Habsburger" hast Du es damit auf den Punkt gebracht und einleuchtend erklärt, weshalb es keine österreichische Nationaloper gibt.


    LG Nemorino

    Die Welt ist ein ungeheurer Friedhof gestorbener Träume (Robert Schumann).

  • Ich finde den Evangelimann eigentlich noch den überzeugendsten Vorschlag für Österreich. Dafür sei greghauser2002 ganz herzlich bedankt!

    Ich finde, daß dieses Beispiel sogar etwas destruktives hat - ein gewisser hausbackener Gartenlaubestil....


    ABER das ist nur EIN Teil meinter Bedenken zu diesem Vorschlag. Meine Vorstelung von einer Nationaloper basiert auf ZWEI wesentlciien Kernpunkten


    1) Das Werk mu0 sozusagen allen Z.B Österreichern ein HERZENSANLIEGEN sein, eine nationale IDENTIFIKATION mit dem Stück (etwa wie der Donauwalzer von Jahann Strauß)


    2) Das Werk muß im Ausland als "Wahrzeichen für das betreffende Land gesehen werden, etwa wie ebendasselbe Stück

    zumindest im näheren Umkreis. Ich bezweeifle nämlich schon seh. ob man in den USA , China, oder Neuseeland eine Ahnung hat, welch Oper Polens etc aich als "Nationaloper" etablieren konnte.


    zu DEUTSCH und ÖSTERREICHISCH . Das wurde einerseits immer auseinanderdividiert, andrerseits oft als Eingheit gesehen.

    Hier das "Dollfuß-Lied" (Es wurde in jenen Zeiten oft anschliessend an die Bundeshymne gesungen)

    Der christlich soziale Bundeskanzeler Engelbert Dollfuss wurde an 25. Juli 1934 im Bundeskanzleramt ermordet.


    Aus diesem Anlass wuede eine Hymmne verfasst, dern Techt ich hier abdrucken wollt - aber das geht nicht ohne Risiko, weil Textdichter und Komponist noch keine 70 Jahre tot sind, Daher eine Verlinkung

    Wir finden immer wieder die Vermischung zwischen Österreichern , deren Bundskanzler ein "deutscher Mann" war



    Die Texte entbehren - bei aller Tragik - aus heutiger Sicht nicht einer gewissen Komik - die INTERNATIONALEN Kommentare ebenfalls nicht----


    Aber man kann hier gut sehen, dass man durchaus ÖSTERREICHER sein konnte und dich "deutsch" fühlen - was ja schon durch die Sprache dokumentiert ist..


    Aber schon viele früher wurde versucht Deutschland mit Österreich zu verbinden, das scheiterte aber 1919 am Vertrag von St. Germain:

    WIKIPEDIA SCHREIBT hier:


    Zitat

    . Abweichend von dem am 12. November 1918 gefassten Beschluss musste Deutschösterreich am 10. September 1919 im Vertrag von Saint-Germain dem von den Siegermächten geforderten Staatsnamen Republik Österreich und voller Souveränität gegenüber der deutschen Republik zustimmen, anders wäre kein Vertrag zustande gekommen.

    Divide et impera........


    mfg aus Wien

    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Gut, dass Mozarts Entführung hier erwähnt wird. Die war für 1782 schon wirklich etwas Besonderes.


    Schade, dass die Habsburger keine apotheotische Oper zur Verherrlichung des Hauses Österreich in Auftrag gaben. Vielleicht hatten Joseph II. (reg. 1765/80-1790) und sein Bruder Leopold II. (reg. 1790-1792) dazu auch zu wenig Zeit. Danach folgte bedauerlicherweise auch kein solch kunstsinniger und intellektueller Monarch mehr nach. Die beiden waren die letzten wirklich großen Geister auf dem habsburgischen Thron. Von den nur vier Kaisern von Österreich zwischen 1804 und 1918 war der erste, Franz I. (alias Franz II. des HRR), noch der beste, zumindest ansatzweise musisch interessiert. Trotzdem schwerlich ein Vergleich zu seinem Onkel und Vater. Als 1807 das Reiterstandbild Josephs II. auf dem Josefsplatz in Wien enthüllt wurde, spotteten die Wiener:


    Kaiser Joseph, dös war'n noch Zeiten!
    Geh, steig owa und loass den Franzl reiten!


    (Kaiser Joseph, das waren noch Zeiten!

    Geh, steig herunter und lass den Franzl [Franz I.] reiten!)


    Erst postum erkannte man, was man an dem gehabt hatte. Zu Lebzeiten war er ja verkannt.


    Über die drei nach dem Franzl der gnädige Mantel des Schweigens.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Schade, dass die Habsburger keine apotheotische Oper zur Verherrlichung des Hauses Österreich in Auftrag gaben. Vielleicht hatten Joseph II. (reg. 1765/80-1790) und sein Bruder Leopold II. (reg. 1790-1792) dazu auch zu wenig Zeit

    IMO gab ws da abdere Gründe: Joseph II war ein sehr sparsamer und jeglichem #prink abholder Monarch. Mozart bezeichnete ihn als "Knicker"

    ER war auch - nach den Maßstäben seiner Zeit - einfach gekleidet.


    Ein - vielleicht gar nicht erfundene - Anekdote mag Das unterstreichen

    Eines Tages kam eine in prunkvolle orientalische Gewänder gekleidete Dam mit einem Gesuch zu Joseph II

    Unwillig sagte er:

    Was wollen Sie von mir ? Gehen sie mit Ihrem Gesuch besser zu jenem orientalische Herrscher, dessen Untertanin Sie offensichtlich zu sein scheinen!


    mfg aus Wien

    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Banner Trailer 2 Gelbe Rose