Bericht zur Aufführung in der Oper Bonn am 1. 1. 2020, 18.00 Uhr unter dem Namen:
Ludwig van Beethoven: Fidelio, Oper in zwei Aufzügen, Premiere
Libretto von Joseph Sonnleithner und Georg Friedrich Treitschke
Textfassung von
Volker Lösch und Stefan Schnabel (Redaktion)
Besetzung:
Rocco, Kerkermeister - Karl-Heinz Lehner
Don Fernando, Minister - Martin Tzonev
Don Pizarro, Gouverneur eines Staatsgefängnisses - Mark Morouse
Florestan, ein Gefangener - Thomas Mohr
Leonore, seine Gemahlin unter dem Namen "Fidelio"- Martina Welschenbach
Marzelline, Roccos Tochter - Marie Heeschen
Jaquino, Pförtner - Kieran Carrel
1. Gefangener - Jonghoon You
2. Gefangener - Enrico Döring
Moderator- Matthias Kelle
Kamera -
Krzysztof Honowski
- Chantal Bergemann
Zeitzeugen:
Hakan Akay
Doğan Akhanlı
Süleyman Demirtaş
Agît Keser
Dîlan Yazıcıoğlu
Chor Chor des Theater Bonn
Extrachor Extrachor des Theater Bonn
Statisterie Statisterie des Theater Bonn
Orchester Beethoven Orchester Bonn
Musikalische Leitung- Dirk Kaftan
Inszenierung - Volker Lösch
Ich habe diese seltsame Überschrift gewählt, weil es keine Oper war, die uns da am 1. Tag des Beethovenjahres 2020 serviert wurde. Es ist schwer zu beschreiben was es war, deswegen mache ich Anleihen im Programmheft und lasse zunächst durch den Redakteur Stefan Schnabel den Musikwissenschaftler Dietmar Holland zu Wort kommen:
"Tatsächlich war Beethoven ein musikalischer Moralist, der erste wirklich politische Komponist der Musikgeschichte. Der neue Weg, den er programmatisch beschritt, war der Versuch die überlieferte Musiksprache einer grundlegenden Revision zu unterziehen, um sie durchlässig machen zu können für politisch-moralische Botschaften, von denen man früher sich nicht hätte träumen lassen. Beethovens einzige Oper FIDELIO ist dafür das durchdringlichste Beispiel", schreibt der Musikwissenschaftler Dietmar Holland.
Deshalb machen wir, ganz im Sinne Beethovens zu seinem 250. Geburtstag einen aktuellen, politischen FIDELIO. (Der letzte Satz ist von Stefan Schnabel)
Ich bin nicht der der Meinung, dass hier überhaupt ein Fidelio gemacht wurde, sondern ich halte das Ganze, einmal positiv betrachtet, für eine Art politischen Workshop, in dem auf die politischen Zustände in der Türkei aufmerksam gemacht, im Beisein und unter Mitwirkung von Zeitzeugen mit digitalen filmischen Mitteln, z. B. mit Videoclips kriegerischer Szenen und live aufgenommener Aktion der in der Oper handelnden Personen, vermengt mit jeder Menge Theatertechnik, laufender Veränderung der Kulisse, und angereichert durch immer wieder unterbrochene Musik und Handlung aus Beethovens Oper Fidelio. Während der ganzen Aufführung stand vorne rechts auf der Bühne ein großer, massiver Tisch, an dem die Zeitzeugen mit einem Moderator Platz genommen hatten und immer wieder von ihrem eigen Schicksal und dem noch gefangener Angehöriger berichteten, in deutscher oder auch in türkischer bzw, wie ich annehme, kurdischer Sprache, die dann in Übertiteln simultan übersetzt wurde.
Den Opernbesuchern wurde kaum Möglichkeit gelassen, sich auf die Musik und die Handlung zu konzentrieren, weil immer wieder diese Unterbrechungen stattfanden.Ich kann nur einzelne Dinge wiedergeben, die mir noch erinnerlich sind:
Als ich meinen Platz in der 1. Reihe Mitte aufsuchte, war das Orchester in Bühnenhöhe komplett versammelt und spielte sich pausenlos ein und dahinter auf der Bühne....
Ich lasse an dieser Stelle noch einmal das Programmheft sprechen:
Zitat: Die Bühne im Bonner Opernhaus zeigt den Green Screen eines Filmsets, darüber eine große Leinwand, daneben ein Arbeitstisch. Zwei Live-Kameras filmen das Bühnengeschehen von Beethovens Oper sowie die Gespräche über FIDELIO und die Erfahrungsberichte der Zeitzeugen am Tisch. Das Videodesign eröffnet zeitgenössische Assoziationsebenen, stellt politische Zusammenhänge in ihrer eigenen Ästhetik her und lässt die Figuren in andere Welten eintauchen und Dinge tun, die sie in der Wirklichkeit nicht könnten- wie zum Beispiel fliegen oder endlos fallen. Die Zuschauer erleben so ein Making of FIDELIO, in dem die Oper mit aktueller, politischer Gegenwart aufgeladen wird. Getragen von Beethovens Musik soll diese filmische FIDELIO-Werkstatt die Handlung und die befreiende Botschaft der Oper anschaulich und reflektierbar machen- und die Gefangenen wieder ,sichtbar'- Zitat Ende.
Wenn man das liest, stellt sich einem unwillkürlich die Frage, ob man denn ohne diese filmischen Mittel die Handlung und die befreiende Botschaft der Oper nicht versteht und darüber nicht reflektieren kann.
Ich möchte an dieser Stelle einen letzten Text zitieren, der im Programmheft vor dem o. a. Zitat ausgedruckt ist:
Zitat: Wir gehen mit Beethoven über Beethoven hinaus, indem wir mit seiner Befreiungsoper FIDELIO Öffentlichkeit herstellen für politische Gefangene in der Türkei, die über ihre Bemühungen um die Freilassung ihres Gefangenen und über eigene Erfahrung in türkischen Gefängnissen sprechen. Mit unserer FIDELIO-Inszenierung werden wir uns u. a. konkret für die Freilassung von Ahmet Altan, Hozan Cané, Gönul Örs, Soydan Akay und Selabattin Demirtas einsetzen.--Zitat Ende
Ich weiß nicht, ob es klug war, das Anliegen der unter der gegenwärtigen politischen Herrschaft in der Türkei zu Unrecht leidenden politischen Gefangenen so mit der Oper zu verquicken, wie es gestern Abend in Bonn geschah.
So kam es, dass der Beginn der Oper, die Ouvertüre, und ihr Ende, der triumphale Chor: "Wer ein solches Weib errungen" quasi zusammenhanglos waren, weil die Handlung dazwischen nicht zusammenhing. Dabei ist die Musik so exorbitant schön und ergreifend, die Handlung so bezwingend folgerichtig und einsichtig, liegt die Botschaft so klar auf der Hand, und zwar nicht nur Befreiung von Unrecht und Unrechtsherrschaft, sondern das ganze Spektrum von bedingungsloser Liebe, Sehnsucht, Berechnung, Verzweiflung, abgrundtiefem Hass und Rachsucht, alles ist mit jeder Note spürbar, mit jedem Lied erfahrbar, auch ohne äußere "Anreize und Denkanstöße".
Kommen wir damit zum Musikalischen:
Am überzeugendsten waren Anfang und Ende. Das lag sicher auch daran, dass sie da nihht unterbrochen wurden. Dirk Kaftan dirigierte das Orchester so überzeugend, dass ich gut einen Meter hinter ihm keinerlei Distanz spürte und die feurige Fidelio-Ouvertüre ungehindert auch mich einströmte, zumal das Orchester da noch auf gleicher Höhe war. Dadurch war die Transparenz noch größer, konnte ich einzelne Instrumente viel besser unterscheiden, was von der Konserve praktisch nicht möglich ist und auch etwas nachließ, als das Orchester dann nach der Ouvertüre "herabgelassen" wurde.
Was müssen der Dirigent und seine Musiker, aber auch die Sängerdarsteller gelitten haben, wenn die Musik mitten in der schönsten Phrase plötzlich durch den "Mann am Laptop" unterbrochen wurde und die agierenden Sängerinnen und Sänger, z. B. in der ersten Szene Marzelline und Jaquino, die auf einem Podest das Duett "Jetzt Schätzchen, jetzt sind wir allein" sangen, quasi vom Podest gefegt wurden.
Marie
Heeschen sang eine überzeugende, quirlige Marzelline ohne die geringsten
stimmlichen Schwierigkeiten und agierte m. E. fast ein wenig zu verführerisch,
denn ihr Hauptbestreben war es nicht, wie in einer herkömmlichen Inszenierung,
sich vor dem ansonsten stürmischen Jaquino in Sicherheit zu bringen, sondern
sie kokettierte sogar mit dem Publikum und setzte sich stets gekonnt in Szene.
Der arme Jaquino dagegen, auch von seiner äußerlichen Erscheinung benachteiligt, gesungen von Kieran Carrel, hatte keine Chance, und sein Auftritt war, wohl auch dem erweiterten Aussageprofil dieser "Inszenierung" geschuldet, arg zusammengestrichen worden. So konnte ich ihn im Finale des 1. Aktes und des 2. Aktes nicht mehr erblicken, und von einer Kerkerszene konnte auch keine Rede sein, denn Florestan sang seine Arie "Gott! Welch Dunkel hier!" stehend in einem noch vorne hin offenen dickwandigen Kubus. Dabei offenbarte der mir als einer von zwei namentlich bekannten Sängern, der Tenor Thomas Mohr, doch einige Schwierigkeiten mit den Spitzentönen seiner Arie und ließ auch den einen oder anderen Ton weg. Und, was ich schon in einer anderen Inszenierung bemängeln musste war die Tatsache, dass er für einen son seit Monaten unter Mangelernährung leidenden Isolierhäftling einfach viel zu gut genährt war.
Die zweite mir bekannte Person war Martina Welschenbach, die eine durchaus überzeugende Leonore sang und auch die stimmlichen Mittel dazu zur Verfügung hatte mit einer insgesamt etwas helleren Stimmfärbung.
Von dem Trio mit den tieferen Stimmen überzeugt mich am meisten Karl-Heinz Lehner als Rocco, der aber mit einer mehr negativen Ausstrahlung agieren musste, was aber anscheinend auch der Regie geschuldet, die, und das ist nicht einmal so negativ zu sehen, durch die Bank die negativ besetzten Charaktereigenschaften der Agierenden zur Erreichung ihrer Ziele herauszustellen, , und dazu gehörte auch Leonore, vor allem aber Rocco und eben auch die weiter oben schon erwähnte Marzelline.
Wie viel leichter hat es da doch der Pizarro, hier dargestellt und gesungen von Mark Morouse, der gekonnt den prolligen Obermafioso gab. Je böser er ist und je überzeugender er singt, um so mehr lieben ihn die Operngänger. Und er war auch der Einzige, der das Ende dieser Inszenierung nicht mehr erlebte. Dabei wurde er nicht von Leonore erschossen, von wem, man weiß es nicht. Da bildete, als er sich "vom Acker machen" wollte, das Volk einfach einen dichten Kreis um ihn, es fiel ein Schuss, und dann lag er da.
Der Minister hat ja nicht viel Gelegenheit, sich auszuzeichnen. Der Bonner Minister, Martin Tzonev, stand dann hinter mir mitten im Publikum und ließ seine schöne Stimme erschallen- ein ganz neues Klangerlebnis. Später steht er dann beim Volk, als Rocco Leonore und Florestan heranführt.
Wie so häufig, ist auch in Bonn der vorzügliche Chor, der schon im Chor der Gefangenen überzeugte, es derjenige, der den Schluss- und Höhepunkt setzte. Einen grandioseren Schlusschor habe ich glaube ich selten gehört, vielleicht noch nie. Auch das mag daran liegen, dass ich am nächsten dabei saß.
Musikalisch hat der Abend, wenn man sich die einzelnen musikalischen Nummer noch einmal vorstellt, durchaus überzeugt, vor allem Orchester, Chor und Dirigent, aber auch die einzelnen Sängerinnen und Sänger (fast) durchgehend, aber von einem gelungenen Gesamtkunstwerk kann man m.. E. nicht sprechen, so entfiel der doch euphorische Schlussbeifall hauptsächlich auf die musikalischen Akteure, doch auch die türkischen Zeitzeugen, die sich auch als Gruppe vor dem Publikum verneigten, erhielten reichen Beifall. sie haben ihre Sache bestmöglich vertreten und konnten ja nichts dafür, dass sie es in so einem Rahmen tun mussten, denn Oper hat ja nicht nur den Sinn zu belehren und zum Nachdenken zu bringen, sondern auch zu unterhalten und zu erbauen.
Liebe Grüße
Willi