Ferdinando Paër (1771-1839):
LA PASSIONE DIE GESÙ CRISTO
(Die Leidensgeschichte Jesu Christi)
Oratorium für Soli (SATB), Chor (SATB) und Orchester - Libretto von Pietro Bagnoli
Erstaufführung am 3. April 1803 im Rahmen der „Witwen- und Waisenkonzerte“ der Wiener Tonkünstler-Societät unter dem Titel “Das Heilige Grab“
DIE PERSONEN DES ORATORIUMS
Giovanni / Johannes (Sopran)
Maddalena / Maria Magdalena (Mezzosopran)
Giuseppe d’Arimatea / Joseph von Arimathia (Bariton)
Nicodemo / Nikodemus (Tenor)
Coro di Angeli e di Seguaci di Gesù / Chor der Engel und Jünger Jesu
INHALTSANGABE
Das hier vorgestellte Oratorium beginnt ohne eine instrumentale Einleitung mit dem Tode Jesu, dem sich die drei Protagonisten Maria Magdalena, Johannes und Joseph von Arimathia in tiefer Trauer rückblickend widmen (Sacri Marmi!). Die Tonart c-Moll und aufwühlende Sforzato-Ausbrüche stehen für Trauer und Tod.
Der anschließende Engelschor weist auf das durch Jesu Tod für die Menschheit erworbene Paradies und verwandelt Trauer in Hoffnung (Pallido! Esangue!). Das folgende Rezitativ der drei Trauernden (Oh duolo!) nimmt diese soeben verkündete Hoffnung überhaupt nicht wahr, sondern bleibt dem Schmerz verhaftet. Diesen Trauerton übernimmt zusätzlich der Jünger-Chor (Se il cor non si spezza), in dem die Kreuzigung des Herrn nochmals nachempfunden wird.
Nikodemus bringt (rezitativisch) Neuigkeiten: Der Vorhang im Tempels zerriss, die Erde bebte und die Sonne verdunkelte sich. Ein musikalischer Rückgriff auf den Anfang führt dann in ein neues Rezitativ, dass das Heilige Grab als Ort der zukünftigen Freude beschreibt (Oh esempio!). Hierin erinnert sich Maria Magdalena an die grausamen Stunden der Kreuzigung, und Paër illustriert dies mit Peitschenrhythmen, Tremolos und sich wiederholenden Figuren in den Streichern. In der Arie (Oh Dio!) wird ihre Verzweiflung über das Geschehen deutlich, während der ruhige Mittelteil als Bitte um Vergebung gestaltet ist.
In einem Secco-Rezitativ unterhalten sich Johannes und Joseph von Arimathia zuerst über den Heilsakt Jesu, bevor die Frage nach seinen Jüngern auftaucht. Die Antwort gibt rezitativisch zunächst Nikodemus (Desolati, vaganti), ehe ein Frauenchor in einem originellen Scherzosatz (Profugo incerto) die flüchtenden Anhänger Jesu nachzeichnet.
Nun wird Jesu Mutter Maria durch das Rezitativ „E la Madre“ in den Mittelpunkt gestellt, und Nikodemus besingt in einer Arie, unterstützt von konzertant geführten Klarinetten und Celli, deren Stärke (Tutte, la donna forte). Der Schmerz, den Maria als Mutter Jesu empfandt, wird im Rezitativ „Gran donna dei dolori“ erneut aufgegriffen, und in einem Duett zwischen Maria Magdalena und Johannes (Tra l'inumane Squadre) fortgeführt.
Es folgt ein großformatiges Quartett, das durchaus als ein zentrales Musikstück dieses Werkes anzusehen ist: Maria Magdalena, Johannes, Nikodemus und Joseph von Arimathia weisen auf Schrecken des Todes hin (Piomberà), verdeutlichen aber auch, dass der Tod nicht siegen wird, denn Jesus triumphiert in großer Herrlichkeit über ihn und das Grab! Joseph von Arimathia singt, vom Chor unterstützt, in der Arie „Più non sarà“ von Liebe und Versöhnung. Tremolos begleiten das letzte Rezitativ des Johannes (Né s’arresta al Trionfo), das vom Ende der Welt erzählt.
Der Schlusschor beginnt mit einem Hinweis auf das Jüngste Gericht (Quando al suon dell’ Angeliche trombe), in dem drei Posaunen - hier zum einzigen Mal eingesetzt - die Stimmen eindrucksvoll begleiten und auf den Obersten Richter hinweisen. Feierlicher Bläserklang wird von Paër als Unterstützung des Chores verwendet, der nicht nur die Freuden der erlösten Sünder besingt, sondern auch die Überzeugung ausspricht, dass der himmlische Vater die Bitten der Menschen nicht ungehört verhallen lassen wird.
INFORMATIONEN ZUM WERK
Ferdinando Paërs Oratorium liegt z.Z. in zwei Aufnahmen vor: Zum einen veröffentlichte Naxos das Werk unter dem Titel „La Santo Sepolcro“ und cpo - später - mit „La Passione di Gesù Cristo“. Das mag zunächst verwirrend sein, lässt sich jedoch schnell auflösen: Für beide Titel lassen sich Begründungen finden, denn in den musikalischen Quellen wird es als „La Passione die Gesù Cristo“ bezeichnet, während der Librettist Pietro Bagnoli es „La Santo Sepolcro“ nennt.
Das Verwirrspiel ist aber trotzdem noch nicht zu Ende, denn im Beiheft der Naxos-Aufnahme heißt es, dass man sich auf eine Aufführung im Jahre 1822 in Dresden bezieht, um dann aber Ende der Notiz festzustellen, dass „La Santo Sepolcro“ schon 1807 in Dresden aufgeführt wurde. Das Datum impliziert eine Uraufführung und ist es doch nicht, denn im Vorwort der cpo-Produktion wird auf die Uraufführung am 3. April 1803 (damals Palmsonntag) in Wien hingewiesen mit einer Reprise am nächsten Tag. Warum im Titel der cpo-Aufnahme das Werk mit „Parma 1810“ angegeben wird, bleibt ungeklärt, denn dieses Datum wird in keiner Publikation genannt.
Es sei noch darauf hingewiesen, dass am 5. April 1803 in Wien eine weitere Uraufführung stattfand - Ludwig van Beethovens Oratorium „Christus am Ölberge“. Dies ist eine von vielen Parallelen, die Paër mit Beethoven verbindet: So wurden sie im Abstand von nur einem halben Jahr geboren (Beethoven im Dezember 1770, Paër im Juni 1771). Beide zogen um 1790 nach Wien, wo sie zwar Konkurrenten waren, trotzdem jedoch einen guten persönlichen Umgang gepflegt haben sollen. Beide haben außerdem zu Beginn des 19. Jahrhundert eine Oper mit dem gleichen Thema vertont: „Leonore“, wobei Paërs Oper am 3. Oktober 1804 uraufgeführt wurde, Beethovens Erstfassung des „Fidelio“ am 20. November 1805.
© Manfred Rückert für den Tamino-Oratorienführer 2020
unter Hinzuziehung der Libretti der Naxos- und cpo-Aufnahme