• Eine der ganz erstaunlichen Leistungen der Voces8 ist die Aufführung des Messiah: die Solisten sind weitestgehend aus der Reihe der gerade eben mal 8 Sänger, dazu haben sie sich um ein Dutzend weiterer Sänger verstärkt und ein schlankes Orchester. Und einer der 8 (Barnaby Smith) ist der Dirigent. Die als Verstärkung dienenden Sänger sind u.a. die von Voces8 unterstützten acht Sänger der Voces8 Scholars.


    Das Orchester ist die Academy of Ancient Music, auch da vermißt man nichts im Vergleich zu wesentlich stärker besetzten Ensembles.


    Die Aufführung ist um etwa 1/3 kürzer als opulentere Versionen, da etliche Stücke ausgelassen wurden, also vermutlich eine ältere Fassung oder eine für solche eher kurzen Events gedachten.


    Ich kenne jedenfalls kein ähnliches Experiment eines so kleinen Chores, und ich halte es für sehr gelungen, wenn ich auch die grandiose Show, die der Mormon Tabernacle Choir aus dem Messiah macht, vielleicht doch noch vorziehe.




    Part I

    0:04 - Sinfony (instrumental)
    3:17 - Comfort ye my people (tenor)
    6:39 - Ev'ry valley shall be exalted (tenor)
    9:59 - And the glory of the Lord (chorus)

    12:50 - Thus saith the Lord of hosts (bass)
    14:14 - But who may abide the day of His coming (alto)
    18:25 - And he shall purify the sons of Levi (chorus)

    20:48 - Behold, a virgin shall conceive (alto)
    21:18 - O thou that tellest good tidings to Zion (alto and chorus)
    26:40 - For unto us a child is born (chorus)

    30:49 - Pifa ("pastoral symphony": instrumental)
    31:36 - There were shepherds abiding in the fields (soprano)
    31:56 - And lo, the angel of the Lord (soprano)
    32:16 - And the angel said unto them (soprano)
    32:41 - And suddenly there was with the angel (soprano)
    32:56 - Glory to God in the highest (chorus)

    34:42 - Rejoice greatly, O daughter of Zion (soprano)
    39:13 - Then shall the eyes of the blind be opened (soprano)
    39:42 - He shall feed his flock like a shepherd (alto and soprano)
    45:19 - His yoke is easy (chorus)

    Part II

    47:39 - Surely he has borne our griefs and carried our sorrows (chorus)
    49:18 - And with his stripes we are healed (chorus)
    51:14 - All we like sheep have gone astray (chorus)
    55:09 - All they that see him laugh him to scorn (tenor)
    55:48 - He trusted in God that he would deliver him (chorus)

    57:55 - Why do the nations so furiously rage together (bass)
    1:00:25 - Let us break their bonds asunder (chorus)
    1:02:18 - He that dwelleth in heaven (tenor)

    1:02:27 - Thou shalt break them with a rod of iron (tenor)
    1:04:45 - Hallelujah (chorus)

    Part III

    1:08:42 - I know that my Redeemer liveth (soprano)
    1:14:56 - Since by man came death (chorus)

    1:17:21 - Behold, I tell you a mystery (bass)
    1:18:00 - The trumpet shall sound (bass)

    1:22:06 - Worthy is the Lamb (chorus)
    1:25:49 - Amen (chorus)

  • Das hatte ich auch noch nicht, ein Stück bei youtube, für das gerade der Countdown läuft "as we speak". Um 15:00 Uhr soll es losgehen mit

    As Vesta was from Latmos hill descending von Thomas Weelkes & Dessus le marché d'Arras von Orlando di Lasso.


    Und zwar live!!


    Jetzt ist es 14:55 Uhr


  • Eine moderne Fassung von The Oxen, komponiert von Jonathan Rathborne (* 1957), der lange Zeit der Kopf der Swingle Singers war.


  • Kommentar zur Messiasaufnahme: die hier gezeigte Stärke des Chores (so um 20) und ein kleines Orchester sind eigentlich die Original- und Normalbesetzung, die heute oft den Massen-Messiassen vorgezogen wird. An zwei Chören wird das deutlich: "And he shall purify"; das ist ein Chor, der oft bei den berühmten Messiasaufführungen in Dortmund-Brambauer, München-Neuperling oder Duisburg-Marxloh weggelassen wird, weil er so virtuos ist. Ein anderer Chor ist anders virtuos, er ist im alten polyphonen Stil geschrieben, den diese Chöre meist nicht singen können: "Durch seine Wunden sind wir geheilet" (mein Lieblingschor im Messias). Unser letztes Konzert in meinem alten Vokalensemble (Essen) war 1992 in einer ähnlichen Besetzung wie hier; natürlich nicht so gut wie Voces8, aber sicher besser als der normale Messias.

    P.S. Ich glaube, ich muss bald mal den Tabernakel-Chor hören, damit ich rechtzeitig Mormone werden kann.

    Aller Anfang ist schwer - außer beim Steinesammeln (Volksmund)

  • Ich habe jetzt mal ein paar Sachen vom Tabernacle-Chor gehört, und zwar einige Chöre aus dem Messias. Unter der Leitung des Musikdirektors Mack Wilberg ist es für mich der erste riesengroße Chor, der wirklich differenziert singt und nicht losbrüllt. Es gibt dann eine andere Aufnahme mit dem Tabernacle-Chor und dem Philadelphia Sinfonieorchester unter Leitung von Eugene Ormandy, die alle negativen Erwartungen noch rasant übertrifft.

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  • Lieber Pingel, Du hast recht, aber die Aufnahmen mit Ormandy sind uralt - da singt wohl kein einziger mehr von damals im aktuellen Chor.


    Ich kenne nur die Wilberg-Aufnahmen, und die sind eben gut. Der Chor muß extrem intensive Register-Proben haben...


  • Gut zu wissen. Auch das Orchester ist gut trainiert. Übrigens sah ich gestern Abend Filmberichte vom chinesischen Volkskongress (3000 Mitglieder). Chinesischer Volkskongress und Tabernacle-Choir: erstaunlich, wie sich da die Bilder gleichen! Ich denke aber, dass die Mormonen besser singen.

    Erklär mir bitte noch, was Register-Proben sind, ich habe das noch nie gehört.

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  • so nennen wir unsere Stimmproben, also S A T B in Einzelproben.


    Und die Chinesen singen doch auch mit einer Stimme...

    Sie gehen ohne Meinung zum Volkskongreß und kommen mit der Meinung ihres Parteichefs wieder raus.

  • Lieber Michael, du weißt, das das hier jetzt keine Kritik ist. Ich empfinde Palestrina, auch das Stück hier, nicht als Renaissance, sondern als Vokalpolyphonie. Renaissance heißt doch Florenz 1600, Bardi, Caccini, Monteverdi, auch noch Cavalli, also das, was Monteverdi "seconda prattica" nennt. Dies hier ist "prima prattica" - und natürlich ein großartiges Stück, meisterhaft gesunden sowieso.

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  • Zeitleiste der Renaissance Komponisten!


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    LG Fiesco

    Il divino Claudio
    "Wer vermag die Tränen zurückzuhalten, wenn er den berechtigten Klagegesang der unglückseligen Arianna hört? Welche Freude empfindet er nicht beim Gesang seiner Madrigale und seiner Scherzi? Gelangt nicht zu einer wahren Andacht, wer seine geistlichen Kompositionen anhört? … Sagt nur, und glaubt es, Ihr Herren, dass sich Apollo und alle Musen vereinen, um Claudios vortreffliche Erfindungsgabe zu erhöhen." (Matteo Caberloti, 1643)

  • Lieber Pingel, dann mußt Du mir nochmal Deine Einteilung näher erklären.


    Unter Vokalpolyphonie verstehe ich auch Kompositionen, die nicht a capella komponiert sind (Bach, Händel, Vivaldi) oder romantische a capella-Kompositionen (Howells), also weit nach Renaissance und Barock. Beschränkst Du denn den Begriff der "Vokalpolyphonie" auf die prima prattica?

  • Ich habe die Einteilung für mich aus praktischen Überlegungen gemacht, die sich auf klare Ordnungsprinzipien gründen und die auch vor allem durch meine Chorerfahrungen bedingt sind. Diese Ordnungsprinzipien erlauben mir, eine Musik, die ich gekauft oder aus dem Radio aufgenommen habe, sofort in eine richtige, wiederauffindbare Kategorie zu platzieren. Es sind ausdrücklich keine wissenschaftlichen Kriterien, denn in der Wissenschaft wird viel mehr differenziert. Eine Differenzierung aber hat für mich keinen Zusatzwert. Hier tritt ein altes Ordnungsprinzip ein, das auch für die Literatur gilt. Ich habe seit meiner Kindheit sehr viel gelesen, aber nie hätte ich Germanistik studiert. Das Prinzip: ich verschwende meine Zeit nicht mit Sekundärliteratur, die hält mich davon ab, mehr Primärliteratur zu lesen. Das heißt nicht, dass es nicht tolle Sekundärliteratur gibt. Ich habe z.B. in Tübingen regelmäßig Walter Jens und Ernst Bloch gehört und auch manche Folgen des "Literarischen Quartetts". Im Moment schaue ich regelmäßig Denis Schecks "Druckfrisch".

    Die hochinteressante Tabelle von Fiesco deckt sich mit meinen Kriterien. Der Schnittpunkt ist Monteverdi. Die Marienvesper ist vom Stil völlig anders als seine beiden anderen Messen. Die von 1653 ist sozusagen ein Rückblick auf die prima prattica. Wir haben in meinem Ensemble diese Messe gesungen und ein paar Teile aus der Marienvesper (z.B. "Ave maris stella"). Der Unterschied ist gewaltig! Und Monteverdi konnte beides!

    A-cappella-Singen ist nicht automatisch Polyphonie, dieser Irrtum ist schon länger ausgeräumt. So können bei einzelnen Stücken der Vokalpolyphonie Instrumente "colla parte" mitspielen, es gibt aber keine extra komponierten Noten für sie. Dies haben spätere Komponisten dann getan. Als Beispiel nehme ich von Heinrich Schütz "Auf dem Gebirge hat man ein Geschrei gehöret". Da sind 2 Singstimmen komponiert und dazu (ich glaube 4) Instrumentenstimmen. Diese sind allerdings nicht festgelegt, man kann sie mit Holzbläsern oder (besonders eindrucksvoll) mit Blechbläsern spielen. Das ist definitiv keine Vokalpolyphonie.

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  • Zitat von Dr.Pingel

    Der Schnittpunkt ist Monteverdi. Die Marienvesper ist vom Stil völlig anders als seine beiden anderen Messen. Die von 1653 ist sozusagen ein Rückblick auf die prima prattica. Wir haben in meinem Ensemble diese Messe gesungen und ein paar Teile aus der Marienvesper (z.B. "Ave maris stella"). Der Unterschied ist gewaltig! Und Monteverdi konnte beides!

    Nicht nur das er beides könnte, man kann bei den Madrigal Büchern schön nachvollziehen wohin sein Weg ging!

    Das hat mich bei meiner liebe zu Monteverdi stark beeindruckt!


    LG Fiesco

    Il divino Claudio
    "Wer vermag die Tränen zurückzuhalten, wenn er den berechtigten Klagegesang der unglückseligen Arianna hört? Welche Freude empfindet er nicht beim Gesang seiner Madrigale und seiner Scherzi? Gelangt nicht zu einer wahren Andacht, wer seine geistlichen Kompositionen anhört? … Sagt nur, und glaubt es, Ihr Herren, dass sich Apollo und alle Musen vereinen, um Claudios vortreffliche Erfindungsgabe zu erhöhen." (Matteo Caberloti, 1643)

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  • Schön wie immer. Bei "O Tannenbaum" hätte man aber doch alle Sänger in Norwegerpullis stecken sollen.

    Übrigens habe ich was Neues entdeckt, und du bist natürlich verpflichtet, dir das anzuschauen. Es handelt sich um die amerikanische Gruppe "Apollo´s Fire". Entweder direkt googeln oder über meinen Schreibtisch ("HörBar").

    Aller Anfang ist schwer - außer beim Steinesammeln (Volksmund)

  • Voces8 noch in der alten Besetzung, an die ich mich inzwischen gewöhnt habe und die ich als sehr gut aufeinander abgestimmt empfunden habe:


  • Und heute kam die Meldung, daß die Sopranistin Eleonore durch Molly Noon ersetzt worden ist.


    Hier ihre Probe-Aufführung zusammen mit den anderen 7:



    aus der email: Regina Caeli Laetare' by Tomás Luis de Victoria during her final round audition with the group.

  • Nach wie vor ein gutes Ensemble, auch die Neue passt gut rein. Kritisieren würde ich die mangelnde Lautstärke in einer halligen Akustik: insgesamt ist es viel zu laut.

    Lustig fand ich den 2. Sänger (von links), weil er so seltsam rumgeturnt ist.

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  • auch wieder exzeptionell gut: Gloria und In Terra Pax aus der h-moll-Messe



    neben der Performance sticht auch die Klangqualität hervor

  • Voces8 hat einen hohen Standard. Über all die Jahre seit der Gründung des Ensembles im Jahr 2005 sind Mitglieder ausgetreten, neue sind hinzugekommen. Der Gründer Barnaby Smith ist von Anfang an dabei. Auf der Wikipedia-Seite sind alle Sängerinnen und Sänger mit den Jahren ihrer Mitwirkung vermerkt. https://de.wikipedia.org/wiki/Voces8#Entwicklung


    2018 wurde eine markante Änderung in der Altstimme eingeführt: Waren es bis dahin zwei Countertenöre sind es nun eine Frauenstimme und eine Männerstimme. Hat das am Gesamtklang etwas geändert?


    Meine Meinung ist, dass es auf die Mischung der Stimmtimbres ankommt und bei der Auswahl wird darauf geachtet, ob eine neue Stimme zu einer Klangvorstellung passt.


    Warum ich das erwähne? Ein Mädchen wollte 2019 im Staats- und Domchor Berlin aufgenommen werden. Sie wurde abgelehnt. Dessen Eltern gingen vor Gericht, weil sie das Recht ihrer Tochter auf Gleichberechtigung verletzt sahen. Es wurde 2021 letztinstanzlich entschieden: Das Mädchen darf nicht mitsingen.


    Der Tageszeitung entnehme ich die Begründung: Zitat:


    "Das Oberverwaltungsgericht erklärte nun, die Auswahlentscheidung des Chorleiters lasse Beurteilungsfehler nicht erkennen. Insbesondere die „Orientierung daran, ob die Bewerberinnen und Bewerber zusätzlich zum hohen Ausbildungsstand stimmlich zum Klang eines Knabenchores passen“, sei nicht zu beanstanden.


    Dem Land Berlin sei es es durch die Landesverfassung erlaubt, zum Schutz des kulturellen Lebens die aus der christlichen Sakralmusik entstandene Tradition der Knabenchöre zu pflegen.


    „Das berechtigt den Chorleiter dazu, Mädchen auszuschließen, wenn sie bei allem Talent mit ihrer Stimme nicht dem Klangbild eines solchen Chores entsprechen.“


    .

    Vor Schuberts Musik stürzt die Träne aus dem Auge, ohne erst die Seele zu befragen:
    so unbildlich und real fällt sie in uns ein. Wir weinen, ohne zu wissen warum; Theodor W. Adorno - 1928




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