Hugo Wolf: „Italienisches Liederbuch“

  • Zur Faktur der Komposition und ihrer liedmusikalischen Aussage
    Betr.: Lied 21: „Man sagt mir, deine Mutter wollt´ es nicht“, Text Ende vorangehender Seite)


    Dieser Steigerungseffekt ist zwar im lyrischen Text angelegt, denn aus dem „besuch mich doch“ wird erst ein „komm öfter als bisher“ und dann das „komm alle Tage“. Aber wie in all diesen Liedern des Zyklus lotet Wolf mit seiner Musik die seelische Dimension des jeweils lyrisch sich Artikulierenden aus, und das geschieht hier vor allem über die Struktur der melodischen Linie und insbesondre über die Variation derselben bei der Wiederkehr der appellativen sprachlichen Wendungen „“tu´s“ und „komm“. Aber auch die sprachlichen Elemente des Bittens erfahren, eben um ihre psychische Dimension auszuleuchten, eine hochgradig differenzierte melodische Behandlung.

    Dem Klavier kommt dabei die Aufgabe zu, die melodische Linie nicht nur in ihren Bewegungen zu begleiten, sondern ihre jeweilige Aussage auch mit klanglichen und rhythmischen Mitteln zu akzentuieren. Eine klangliche Grundfigur spielt dabei eine dominante Rolle, weil sie den Klaviersatz von Anfang bis Ende beherrscht. Es ist eine Dreier-Kombination aus einem punktierten Achtelakkord, einem Sechzehntelakkord und einem unmittelbar darauf folgenden und mehr oder weniger lang gehaltenen Akkord aus Viertel- oder haben Noten, der mit einer Rückung in die harmonische Verminderung verbunden ist.

    Rhythmisch wirkt das wie ein kurzes Voranstürmen, dem ein Innehalten folgt. Und darin drücken sich ja eigentlich Seelenlage und Verhalten des lyrischen Ichs aus. Als zweite Figur begegnen einem noch aufwärts gerichtete, zumeist akkordische Achteltriolen, deren Funktion ganz offensichtlich ist, den Bitten und Aufforderungen Nachdruck zu verleihen. Sie erklingen nicht nur am Anfang oder vor den Melodiezeilen, sondern zuweilen auch mittendrin. Das verstärkt die Dynamik, die dem ersten Teil dieser klanglichen Hauptfigur des Klaviersatzes innewohnt und lässt das nachfolgende Innehalten nur noch umso intensiver wirken.

    Die Eindringlichkeit, mit der das lyrische Ich sich melodisch artikuliert, erfährt im Verlauf des Liedes eine deutliche Steigerung. In der Struktur der melodischen Linie zeigt sich das darin, dass neben die Deklamation auf einer tonalen Ebene Fall- und Sprungbewegungen über immer größere Intervalle treten. Bei dem anfänglichen „Tu ihr den Willen“ steht am Ende eine triolische Kombination aus Sekundsprung und Quartfall. Die Bitte „besuch mich doch“ wird auf zwei Sekundfallbewegungen deklamiert, die durch Pausen eingegrenzt sind und dadurch melodisch exponiert wirken. Bei den Worten „folg´ ihr nimmermehr“ beschreibt die melodische Linie zwei Fallbewegungen über ein Quinte und eine Terz, wobei sie beim zweiten Mal höher ansetzt, was die Eindringlichkeit der Ansprache steigert.

    Bemerkenswert sind die Veränderungen der melodischen Linie bei dem Wort „Trotz“. Beim ersten Auftauchen des Wortes macht sie noch einen Sekundsprung, beim zweiten beschreibt sie – überraschenderweise – auf den Worten „zum Trotz“ eine triolische Kombination aus Sext- und Sekundfall, und die Worte „Tu´s ihr zum Trotz“ werden zunächst nur auf einem „A“ in mittlerer Lage deklamiert, aber zu dem Wort „Trotz“ hin beschreibt die melodische Linie einen Sprung zu einem hohen „F“. Auch die Harmonisierung wird immer wieder zur Akzentuierung der Bitte und der Aufforderung eingesetzt, - in der Form, dass für nur einen deklamatorischen Schritt das Tongeschlecht von Moll nach Dur hin wechselt.
    Man blickt als Hörer dieses Liedes tatsächlich tief in die Seele einer liebenden Frau.

  • Lied 22: „Ein Ständchen Euch zu bringen“


    Ein Ständchen Euch zu bringen kam ich her,
    Wenn es dem Herrn vom Haus nicht ungelegen.
    Ihr habt ein schönes Töchterlein. Es wär
    Wohl gut, sie nicht zu streng im Haus zu hegen.
    Und liegt sie schon im Bett, so bitt´ ich sehr,
    Tut es zu wissen ihr von meinetwegen,
    Daß ihr Getreuer hier vorbeigekommen,
    Der Tag und Nacht sie in den Sinn genommen,
    Und daß am Tag, der vierundzwanzig zählt,
    Sie fünfundzwanzig Stunden lang mir fehlt.

    Diese Verse haben Wolf beflügelt, erstmals italienische Folklore in die Komposition dieses Zyklus einfließen zu lassen. Es ist freilich nur ein Anflug, aber er ist doch deutlich zu vernehmen: Im Gitarrenbegleitung imitierenden Klaviersatz vor allem, aber auch in der kantabel geführten melodischen Linie der Singstimme.

    Immerhin legt der Text dies ja nahe. Der Liebhaber bringt ein Ständchen vor dem Haus der Geliebten. Er richtet seine Worte allerdings nicht an diese, sondern an den Vater und Herrn des Hauses, was ihm Gelegenheit bietet, nicht nur das Töchterlein zu preisen, sondern auch um mehr Freiheiten für es zu bitten. Der von leichtem Witz durchsetzte lockere Ton und die Heiterkeit der Verse mussten für Wolf ein willkommener Ansatzpunkt zur Komposition eines Liedes gewesen sein, das ein wenig italienische Leggerezza atmet. Es steht in C-Dur als Grundtonart und weist einen Dreiachteltakt auf. „Leicht und zart“ soll es vorgetragen werden.


  • Zur Faktur der Komposition und ihrer liedmusikalischen Aussage

    Der Klaviersatz suggeriert Gitarrenbegleitung und verleiht dem Lied einen tänzerisch-hüpfenden Rhythmus. Die Grundfigur besteht aus zwei Achteln im Bass, zwischen denen im Diskant ein zwei- bis dreistimmiger Akkord angeschlagen wird. Vom zweitletzten Vers an, in dem die Bitten des Liebhabers an Eindringlichkeit zunehmen und die Expressivität der melodischen Linie sich infolgedessen steigert, wird dieser Akkord gehalten und greift klanglich in den nächsten Takt über.

    Man empfindet das wie die Vorstufe zu der hohen Expressivität, die das Klavier im ungewöhnlich langen (19 Takte) Nachspiel entfaltet. Wie man das von Schumann her kennt, bringt das Klavier zum Ausdruck, was die Singstimme – aus welchen Gründen auch immer – nicht vollumfänglich zu sagen in der Lage ist. Hier ist es die Leidenschaftlichkeit, mit der dieser Liebhaber die Tochter begehrt. Das dem Vater zu zeigen, scheut er sich offensichtlich. Die Lebhaftigkeit, in die er bei der Deklamation des siebten und des achten Verses verfällt, und die sehr lange Dehnung, die er am Ende auf das Wort „fehlt“ legt, sind das Äußerste, was er von seinen Gefühlen preiszugeben wagt, - wohl in der Angst, es könnte ihm der Zugang zur Geliebten verwehrt werden.

    Das Klavier muss solche Bedenken nicht haben. Also setzt es, nachdem die Singstimme die über fast fünf Takte sich erstreckende Dehnung auf einem „B“ bei dem Wort „fehlt“ hat ausklingen lassen – dies übrigens mit einem C-Septakkord harmonisiert und somit dem Klavier den Ball harmonisch zuspielend – mit einem fortissimo artikulierten und lebhaften Auf und Ab von dreistimmigen Achtel-Akkorden ein, das mehrere harmonische Modulationen durchläuft, um erst ganz am Ende bei der Grundtonart C zu landen. Der Bass begleitet dies mit oktavischen Sprungbewegungen von Achteln. Bemerkenswert ist freilich, dass dies alles in den letzten drei Takten pianissimo in den tiefen Bass absinkt.
    Hat da die Macht des Begehrens nachgelassen? Hat sich gar Hoffnungslosigkeit des Liebenden bemächtigt? Oder, was wohl am nächsten liegt, klingt das Ständchen einfach aus?

    Höchst ansprechend, ja amüsant ist der gleichsam „realistische“ Ton, den Wolf diesem Lied verliehen hat. Die melodische Linie ist anfänglich in ihrer Struktur recht einfach gehalten und weist die Anmutung von volkstümlichem Singen auf. Es wird lange silbengetreu auf nur einer tonalen Ebene deklamiert, dann folgt eine kleine melodische Figur, die in eine lange Dehnung mündet. In der nachfolgenden Pause wiederholt das Klavier diese Figur, und dann setzt sich dies beim nächsten Vers in ähnlicher Weise auf einer anderen tonalen Ebene fort. Harmonische Modulationen innerhalb der Melodiezeile werden gemieden, von Zeile zu Zeile finden nur Rückungen statt, die meist im Tongeschlecht Dur verbleiben.

    Ganz so schlicht ist die Harmonik freilich nicht gehalten. Nicht nur dass die Grundtonart C-Dur außer beim ersten Vers erst wieder beim letzten auftaucht, dazwischen aber die Harmonisierung von E-Dur über H- bis Fis- und Cis-Dur pendelt, auch das Tongeschlecht Moll bricht manchmal in die melodische Linie ein. Das ist immer dort der Fall, wo das lyrische Ich ins Piano verfällt und sein Singen einen leicht kläglich bittenden Ton annimmt. So etwa bei den Worten „Ihr habt ein schönes Töchterlein“, wo a-Moll vorherrscht, das aber auf der letzten Silbe in A-Dur umschlägt. Ähnliches ereignet sich bei den Worten „Und liegt sie schon im Bett, so bitt´ ich sehr“. Hier rückt das g-Moll mit dem letzten Wort nach Fis-Dur.

    Die „etwas belebter“ zu deklamierende melodische Linie der Verse sieben bis neun ist ganz und gar in Moll harmonisiert (a-, h- und c-Moll), macht aber bei dem Wort „zählt“ wieder eine wie ein energisches Sich-Aufraffen wirkende Rückung nach Dur (E-Dur). Hier aber, in dieser Passage des Liedes, ist die Musik ganz von der Klage des Draußen-Stehenden geprägt, der sein Ständchen vor verschlossener Tür bringt.

  • Lied 23: „Was für ein Lied soll dir gesungen werden“

    Was für ein Lied soll dir gesungen werden,
    Das deiner würdig sei? Wo find ich´s nur?
    Am liebsten grüb´ ich es tief aus der Erden,
    Gesungen noch von keiner Kreatur.
    Ein Lied, das weder Mann noch Weib bis heute
    Hört´ oder sang, selbst nicht die ält´sten Leute.

    Dieses Lied ist eigentlich als letztes des ganzen Zyklus entstanden (am 30. April 1896). Wolf hat es an den Anfang des zweiten Teils gestellt und ihm damit gleichsam programmatische Funktion verliehen: Der Geliebten sollen Lieder von unberührter Schönheit gesungen werden, wie sie noch aus keinem Mund erklangen.

    Vermag das Lied selbst diesen Anspruch einzulösen? Man möchte als Hörer diese Frage durchaus bejahen, obgleich man aus dem ersten Teil Lieder im Ohr hat, die dieses an Schönheit der Melodik übertreffen. Es ist vor allem der leise, zarte und vom lieblichen Klang des Klaviersatzes getragene Ton der Melodik, der hier zu beeindrucken und anzurühren vermag. Dur-Harmonik dominiert, und die Dynamik verbleibt weitgehend im Piano-Bereich. Vier Mal ereignen sich zwar Ausbrüche ins Forte, diese geschehen aber punktuell und dienen der Akzentuierung der zentralen lyrischen Aussage, - der Außergewöhnlichkeit des Liedes, das dem lyrischen Ich mit Blick auf das alles überragende Wesen der Geliebten vorschwebt. Das einzige längere, vom Piano ins Forte führende Crescendo findet sich bezeichnenderweise bei den Worten „Ein Lied, das weder Mann noch Weib bis heute
    hört´ oder sang“.


  • Zur Faktur der Komposition und ihrer liedmusikalischen Aussage

    Die Komposition weist einen Viervierteltakt auf, steht in B-Dur als Grundtonart und soll „sehr ruhig“ vorgetragen werden. Obwohl die Harmonisierung der melodischen Linie zwischen einem und fünf „B´s“ hin und her pendelt und nur ein einziges Mal, nämlich bei den Worten „oder sang“ (letzter Vers) Moll als Tongeschlecht auftaucht (g-Moll), ist das Vorspiel vier Takte lang in verminderter Harmonik („C“ und „Es“) gehalten. Erst am Ende (im fünften Takt) moduliert es über die Dominante nach B-Dur, und die Singstimme setzt ein.

    Trotz ihrer Chromatik muten die Achtelfiguren in Diskant und Bass lieblich an, - mit einem leichten Beiklang von Wehmut. Da sie zweimal in eine länger gehaltene Quarte, bzw. Quinte münden, empfindet man das ganze Vorspiel als Ausdruck von Unentschlossenheit und Zögerlichkeit, - als nähme es die Haltung des lyrischen Ichs vorweg, die ja im Grunde aus einer einzigen großen Frage besteht. Wolf hat sich mit seiner Musik wieder einmal tief in die Psyche seiner literarischen Figur eingefühlt.

    Das Vorspiel lässt noch etwas vernehmen, was an diesem Lied bemerkenswert ist: Es ist eine Rhythmisierung des Viervierteltaktes, der man in diesem zweiten Teil des Zyklus noch mehrfach begegnet. Dem Klaviersatz liegt eine Kombination von einem Viertel und einer Zweier- und Dreiergruppe von Achteln zugrunde. Das akkordische Viertel am Taktanfang setzt einen markanten rhythmischen Akzent, dem eine melodisch fließende klangliche Figur nachfolgt.
    Möglicherweise hat Wolf dieses strukturelle Element des Klaviersatzes als klangliche Imagination der Innigkeit und der Tiefe des Liebesgeständnisses verstanden. Bei diesem Lied liegt diese Vermutung jedenfalls recht nahe. Wenn der Klaviersatz nicht, wie das beim dritten und vierten Vers der Fall ist, aus der Bewegung von Terzen im Diskant besteht, setzt er sich aus der von Oktaven im Diskant und Figuren im Bass zusammen, die stark sextenbetont sind. Das, was die Singstimme zu sagen – bzw. zu fragen – hat, erhält durch den Beitrag des Klaviers dazu jenen Anflug von seelenvoller Innigkeit, der den klanglichen Charakter des Liedes so stark prägt.

    Wie einem das bei Wolf so oft begegnet, reflektiert die melodische Linie hier auf höchst beeindruckende Weise die Sprachmelodie und die Semantik des lyrischen Textes. Die Worte „Was für ein Lied soll dir gesungen werden“ werden im raschen Auf und Ab von Achteln in mittlerer tonaler Lage deklamiert. Bei den Worten „das deiner würdig sei“ beschreibt die melodische Linie dann aber zwei Sprungbewegungen, - erst eine über eine Quarte mit nachfolgender Dehnung bei dem Wort „deiner“, die diesem einen starken Akzent verleiht, und dann eine über eine Septe bei „würdig“, die, weil sie mit einer Rückung von der Dominante zur Tonika verbunden ist, dieses Wort ebenfalls stark hervorhebt.

    Solche melodischen Akzentuierungen, mit denen das lyrische Ich den an die Geliebte gerichteten Worten Bedeutungsschwere verleiht, ereignen sich noch mehrfach. Bemerkenswert ist aber, dass ihnen allesamt ein dezenter Gestus innewohnt.
    Dieses Lied, nach dem der Liebende sucht, soll ein zärtliches und stilles sein.

  • Lied 24: „Ich esse nun mein Brot nicht trocken mehr“

    Ich esse nun mein Brot nicht trocken mehr,
    Ein Dorn ist mir im Fuße stecken blieben.
    Umsonst nach rechts und links blick´ ich umher,
    Und keinen find´ ich, der mich möchte lieben.
    Wenn´s doch auch nur ein altes Männlein wäre,
    Das mir erzeigt´ ein wenig Lieb und Ehre.
    Ich meine nämlich, so ein wohlgestalter,
    Ehrbarer Greis, etwa von meinem Alter.
    Ich meine, um mich ganz zu offenbaren,
    Ein altes Männlein, so von vierzehn Jahren.

    Ein fein gezeichnetes, mit Witz und Ironie durchsetztes musikalisches Psychogramm einer Frau begegnet einem in diesem Lied, - einer Frau, die, weil sie angeblich keinen Liebhaber finden kann, ihr Brot nur noch „mit Tränen befeuchtet“- wie Wolf in einer Fußnote anmerkt – essen kann. Und man könnte noch eine andere Ebene des Witzes darin vernehmen: Wolf scheint ein wenig mit der Tristan-Harmonik zu spielen. Der erste Teil des Liedes ergeht sich in einer wahren Flut von fallender Chromatik (Moll- und verminderte Harmonik), dem gegenüber sich dann der zweite mit der Frische seiner Es-Dur-Harmonik und seinem den Viervierteltakt akzentuierenden Staccato-Rhythmus auf höchst effektive Weise abhebt.


  • Zur Faktur der Komposition und ihrer liedmusikalischen Aussage

    Der erste Teil des Liedes, der die Verse eins bis vier umfasst, ist von einem geradezu jammervoll wirkenden Klageton geprägt. Dieser geht nicht nur von der melodischen Linie der Singstimme aus, sondern auch vom Klaviersatz. Noch bevor die Singstimme im ersten Takt einsetzt, schlägt das Klavier im Diskant einen Sekundfall an, und dann geht es mit Sechzehnteln und Achteln im kleinen Sekundschritt immer weiter abwärts. Zwar finden sich dort, wo die melodische Linie ihrerseits einmal eine Aufwärtsbewegung vollzieht, bei den Worten „im Fuße stecken blieben“ nämlich, im Klaviersatz ebenfalls nach oben Strebende Achtel-Sechzehntelfiguren (sogar mit einem Triller verziert), aber das ist die Ausnahme. Die chromatische Fallbewegung beherrscht im ganzen ersten Teil des Liedes den Klaviersatz, wobei er zwischen es-Moll, b-Moll und verminderter C- und D-Harmonik moduliert.

    Auch in der melodischen Linie der Singstimme begegnet man dieser chromatischen Fallbewegung, - besonders markant beim ersten Vers. Aber sie wirkt nicht dominant, denn die Singstimme vollzieht immer mal wieder aufwärts gerichtete melodische Schritte oder einen Sprung. Das lyrische Ich will nicht nur seine Lage beklagen, es will auch darauf aufmerksam machen und deutlich werden lassen, dass es sich damit nicht abfinden will. Deshalb dieses melodische Auf und Ab bei den Worten „Umsonst nach rechts und links blick´ ich umher“ mit dem Sextsprung am Ende. Auch bei den Worten „der mich möchte lieben“ ereignet sich am Ende ein aus einer Fallbewegung hervorgehender Quartsprung.

    Der zweite Teil des Liedes, der nach einer zweitaktigen Pause für die Singstimme einsetzt, lässt dann vollends deutlich werden, welch Geistes Kind dieses lyrische Ich ist. Er soll „gemächlich“ vorgetragen werden, und der Grundton des Liedes ändert sich dabei völlig. Das Klavier begleitet mit im Diskant auf und ab steigenden Achtel- und Sechzehntelfiguren, die in einer Art Schreitrhythmus staccato angeschlagen werden, wobei der Bass mit ebenfalls staccato artikulierten Einzeltönen und Oktaven diesen Schreitrhythmus noch akzentuiert,

    Auch die Singstimme bewegt sich nun in Sekundschritten „gemächlich“, aber äußerst zielstrebig aus mittlerer Lage in tiefe und danach in umgekehrter Richtung wieder nach oben, wobei von Chromatik keine Spur mehr zu vernehmen ist. Bis zu den beiden letzten Versen pendelt ihre Harmonisierung zwischen Es-, As- und einmal auch B-Dur hin und her.

    Mit den Worten „Ich meine nämlich“ kommt aber dann doch wieder das Moll in die Harmonik zurück. Hier beschreibt die melodische Linie der Singstimme Bewegungen, die das lyrische Ich als geistvoll-witziges, mit dem Einsatz von Ironie spielendes Wesen entlarven. Das Klavier begleitet hier mit dem Auf und Ab von Oktaven, und die Harmonik springt unablässig zwischen Dur und Moll hin und her. Auch die Dynamik ist instabil: Innerhalb eines Taktes geht sie zweimal vom Forte ins Piano über. Und die Singstimme? Bei den letzten vier Versen werden die durch Pausen eingegrenzten Melodiezeilen immer kleiner. Und sie entfalten dabei überraschend viel Expressivität.

    Bei den Worten „Ich meine nämlich“ bewegt sich die melodische Linie z.B. in Terzschritten nach unten und hält inne, Das erzeugt so etwas wie eine Erwartungshaltung beim Hörer. Und das ist auch völlig berechtigt, denn die Worte „, so ein wohlgestalter, ehrbarer Greis“ werden auf äußerst witzig wirkende Weise auf zwei in Terzen fallenden melodischen Linien deklamiert, bei denen auf der ersten Silbe der beiden Adjektive eine Dehnung liegt und die Harmonisierung zweimal von Dur nach Moll rückt. Nach einer Sechzehntelpause werden dann die Worte „etwa von meinem Alter“ auf nur einer tonalen Ebene deklamiert (einem „As“), und am Ende (bei „Alter) ereignet sich ein veritabler Oktavfall, der wiederum mit einer Rückung von Moll nach Dur verbunden ist (B-Dur).

    Auch bei den beiden letzten Versen folgt eine ausdrucksstarke kleine Melodiezeile auf die andere, wobei wiederum so etwas wie Spannung aufgebaut wird, die sich am Ende in einem Witz auflöst. Nach „ich meine“ wieder eine Aufwärtsbewegung mit nachfolgender Pause, dann die Deklamation auf nur einer tonalen Ebene (einer hohen bei den Worten „ganz zu offenbaren“), danach (bei „ein altes Männlein“) eine bogenförmig fallende und wieder steigende melodische Bewegung mit nachfolgender Pause. Und schließlich, nun forte und in hoher Lage auf bogenförmiger Linie, die am Ende in einen äußerst expressiven Oktavfall mündet, die Deklamation der Worte „so von vierzehn Jahren“.
    Das Klavier lässt im zweitaktigen Nachspiel dieselbe Bogenbewegung noch einmal in Gestalt einer immer „lebhafteren“ Akkordfolge erklingen.

  • Lied 25: „Mein Liebster hat zu Tische mich geladen“

    Mein Liebster hat zu Tische mich geladen
    Und hatte doch kein Haus mich zu empfangen,
    Nicht Holz noch Herd zum Kochen und zum Braten,
    Der Hafen auch war längst entzwei gegangen.
    An einem Fäßchen Wein gebrach es auch,
    Und Gläser hat er gar nicht im Gebrauch;
    Der Tisch war schmal, das Tafeltuch nicht besser,
    Das Brot steinhart und völlig stumpf das Messer.

    Das lyrische Ich – es ist wieder die Frau in diesem Zyklus – bringt voller Empörung die Enttäuschung zum Ausdruck, die eine Einladung durch den „Liebsten“ mit sich brachte. Alle ihre Erwartungen wurden nicht erfüllt. Die beiden letzten Verse bringen das auf drastische, weil konkret-bildhafte Weise zum Ausdruck. Wolf setzt dies alles auf höchst beeindruckende Weise in Musik um, beeindruckend deshalb, weil er mit eben dieser Musik jenem lyrisch-sprachlichen Prozess folgt, der in der Empörung mehr und mehr eskaliert und am Ende in eine Art Verfluchung des Gastgebers mündet. Die Musik lässt den Hörer auf unmittelbar emotionale Weise Anteil nehmen an dem, was sich im lyrischen Ich in der Erinnerung an dieses Ereignis abspielt, indem sie die Seelenregungen konkretisiert. Dabei kommt dem Klavier eine maßgebliche Rolle zu.


  • Zur Faktur der Komposition und ihrer liedmusikalischen Aussage

    Das viertaktige Vorspiel empfindet man wie die musikalische Evokation der Erwartung, mit der die Frau der „Einladung zu Tische“ folgt. Und tatsächlich beherrscht die musikalische Figur, die hier erklingt, den ganzen Klaviersatz, und dies in der Weise, dass sie sich – bis auf den Liedschluss – Takt für Takt mit einer Folge von Akkorden abwechselt. Dabei durchläuft sie von Auftritt zu Auftritt verschiedene Modifikationen, die, da sie jeweils am Ende des Verses erklingen, die jeweilige lyrische Aussage reflektieren. Und nicht nur das. Beim zweitletzten Vers wirkt die Figur regelrecht abgemagert. Nur noch Einzelteile ihrer vollen klanglichen Gestalt sind zu vernehmen.

    Anfänglich, eben im Vorspiel, besteht die Figur – hier in der Dominant-Septlage harmonisiert – aus einer aufsteigenden Abfolge von akkordischen Achteln, denen ein Sechzehntel vorangeht und bei denen sich das Intervall zwischen zwei Tönen immer mehr vergrößert, - von der Sekunde bis zur Quinte. Am Ende mündet das in einen fünfstimmigen Akkord, und während des Aufstieges der Achtel steigt die Dynamik vom Piano zum Forte an. Davon bleibt nach dem sechsten Vers (nach dem Wort „Gebrauch“) nur noch eine Folge von Achtelfiguren übrig, die alle auf einer tonalen Ebene verharren. Die aufsteigende Linie ist zusammengebrochen, wie das auch bei dem Rest der Fall ist, der nach dem zweitletzten Vers erklingt.
    Das will sagen: Die Erwartungen des lyrischen Ichs haben sich in Luft aufgelöst. Es folgt der zornige Schluss.

    Auch in der Struktur der melodischen Linie der Singstimme und ihrer Harmonisierung spiegelt sich die wachsende Empörung des lyrischen Ichs. Der erste Vers wird, ganz und gar in F-Dur harmonisiert, lange auf nur einer tonalen Ebene deklamiert, und am Ende ereignet sich ein dreischrittiger Fall zu einem tiefen „C“. Das wirkt noch klanglich nüchtern, gleichsam konstatierend. Beim zweiten Vers ist die Bewegung der melodischen Linie noch ähnlich, allerdings beschreibt sie am Ende, bei dem Wort „empfangen“, eine Aufwärtsbewegung mit einer Kombination aus Sekunde und Terz, bei der sich eine Rückung nach A-Dur ereignet. Das soll wohl so etwas wie freudige Erregung ausdrücken.

    Dann aber, mit dem dritten Vers, kommt ein bewegtes Auf und Ab in die Melodik. Bei den Worten „zum Braten“ beschreibt sie erst einen Quintsprung und macht dann einen höchst expressiven Sturz über eine Septe. Auch bei den nachfolgenden Versen ereignet sich in der melodischen Linie am Ende immer wieder ein Sprung oder ein Fall, den man, weil ja immer eine Pause nachfolgt, in der das Klavier seine leitmotivische Figur erklingen lässt, als Akzentuierung der gerade getroffenen Aussage im Sinne einer Empörung empfindet. Zudem kommt nun das Tongeschlecht Moll in die Harmonik, - Ausdruck der schlechten Laune des lyrischen Ichs. Der vierte Vers ist in a-Moll harmonisiert, und erst am Ende erfolgt eine Rückung nach E-Dur.

    Mit dem zweitletzten Vers beginnt auch die melodische Linie zu zerbröckeln. Sie besteht aus zwei kleinen Zeilen, die durch eine Achtelpause voneinander getrennt sind. Verminderte Harmonik („A“ und „Gis“) herrscht nun ausschließlich vor. Und so ist das auch beim letzten Vers. Nur bei dem Wort „Brot“ klingt noch einmal ein punktuelles Dur auf. Hier ist auch ein „Ritenuto“ vorgeschrieben, und im Klavier erklingt fortissimo eine Folge von drei sechsstimmigen Akkorden. Die Singstimme deklamiert dann „a tempo“ die letzten Worte in einem z.T. mit Portati versehenen zornigen Auf und Ab in hoher Lage, - durchweg in verminderte Harmonik gebettet. Die Worte „das Messer“ tragen eine Kombination aus vermindertem Quartsprung und Quintfall.

    Die Melodik endet nicht auf dem Grundton, sondern eine Sekunde darüber. Erst der allerletzte Akkord des kurzen Nachspiels ist einer in F-Dur. Aber ein e-Moll-Akkord geht im unmittelbar voraus.
    Dieses lyrische Ich ist wirklich höchst verärgert.

  • Lied 26: „Ich ließ mir sagen und mir ward erzählt“

    Ich ließ mir sagen und mir ward erzählt,
    Der schöne Toni hung´re sich zu Tode;
    Seit ihn so überaus die Liebe quält,
    Nimmt er auf einen Backzahn sieben Brote.
    Nach Tisch, damit er die Verdauung stählt,
    Verspeist er eine Wurst und sieben Brote,
    Und lindert nicht Tonina seine Pein,
    Bricht nächstens Hungersnot und Teurung ein.

    Aus Liebeskummer schlingt der „schöne Toni“ unablässig eine Wurst und sieben Brote in sich hinein, so dass, wenn ihn „Tonina“ nicht davon erlöst, eine Hungersnot droht. Davon berichtet das lyrische Ich dieser Verse, - und leitet das mit der ironischen Bemerkung ein, ihm sei „erzählt“ worden, dieser Toni hungre sich zu Tode.
    Dieses kleine Gedicht hat also zwei lyrische Ebenen, und Hugo Wolf, den diese geballte Ladung von Humor und Ironie regelrecht kompositorisch herausgefordert haben musste, lässt diesen Sachverhalt – natürlich! – in sein Lied einfließen. In einem Brief („Familienbriefe“, Leipzig 1912) meinte er dazu, „der Humor in der Musik“ sei „erst mit diesem Lied in die Welt getreten“. Das ist sicher nicht zutreffend, hat er doch schon mit vorangehenden Liedern von ihm die Welt erblickt. Aber humorvoll ist dieses Lied ganz ohne Frage, - und das in höchstem Maße.


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  • Zur Faktur der Komposition und ihrer liedmusikalischen Aussage

    Wie äußert sich das nun in seiner klanglichen Gestalt, und woran kann man es in seiner kompositorischen Faktur festmachen? Was den zweiten Teil der Frage anbelangt, so zeigt schon ein flüchtiger Blick in die Noten: Bei der Vokallinie ereignen sich in jeder der Melodiezeilen, die jeweils einen Vers umfassen und mit einer Pause abgeschlossen werden, ungewöhnlich viele Sprung- und Fallbewegungen über z.T. große Intervalle. Im Klaviersatz begegnen einem unablässig akkordische Triller und Figuren von rasant nach oben schießenden Sechzehnteln und sogar Vierundsechzigsteln. Und schließlich schlägt die Dynamik in geradezu schroffer Weise immer wieder vom Piano ins Forte um. Dabei soll das Ganze „langsam“ vorgetragen werden, - eine Anweisung, die diesen äußerst effektvollen Elementen der Komposition ganz besonderen Nachdruck verleiht.

    Bei näherem Blick in die Noten fällt gleich das gleichsam kontrapunktische Gegenüber von Melodik und Klaviersatz ins Auge. Das kann man durchaus als Umsetzung der beiden lyrischen Ebenen in die Grundstruktur des Liedes verstehen: Die melodische Linie der Singstimme reflektiert die Haltung des lyrischen Ichs, die ja eine deutlich ironische mit einem höhnischen Unterton ist; im Klaviersatz schlägt sich das klanglich nieder, was der „schöne Toni“ seelisch durchleidet und physisch durchmacht. So ließe sich dessen wunderlich barocker Charakter erklären: Die Fülle an lebhaft sich bewegenden Sechzehntel-Figuren, emporschießenden Ketten und akkordischen Trillern, verbunden mit einer ausgeprägten harmonischen Modulation und einem häufigen Wechsel des Tongeschlechts. Chromatik dominiert aber in diesem Lied. Sie reflektiert klanglich den höhnischen Ton, in dem das lyrische Ich von dem „schönen Toni“ berichtet. In diesem muss sich freilich, bedenkt man das, was das Klavier mitzuteilen hat, sehr viel abspielen, - in der Seele, wie in den Gedärmen.

    Auffällig an der Struktur der melodischen Linie sind ihre häufigen, meist über große Intervalle erfolgenden Ausschläge nach oben und unten. Auf jedem Vers liegt eine Melodiezeile, der eine Pause nachfolgt. Diese lässt das jeweilige expressive Ende, das mit zwei Ausnahmen entweder aus einer Fallbewegung oder gar einem Sturz über ein größeres Intervall besteht, umso wirksamer zur Geltung kommen. Bei den Ausnahmen handelt es sich um die Verse fünf und sieben. Hier motiviert die Syntax das lyrische Ich, mit der Stimm nach oben zu gehen: Jeder der beiden Verse bildet jeweils eine syntaktische Einheit mit dem nachfolgenden und enthält den Konditional für die nachfolgende lyrische Aussage. Besonders wenn es um „Tonina“ geht (möglicherweise die Rivalin des lyrischen Ichs?), zeigt sich, wie sehr in diesem Lied die Melodik auf Expressivität hin angelegt ist. Die Singstimme deklamiert hier fortissimo. Bei dem Namen „Tonina“ beschreibt sie erst einen aus einer langen Dehnung auf der Silbe „-ni“ liegenden Dehnung hervorgehenden Quintfall, und danach geht es in Sekundschritten regelrecht rasant (Sechzehntel!) über das Intervall eine Sexte hoch zu einem „Es“.

    Immer wieder bringen die Fallbewegungen am Ende der Melodiezeilen Hohn und Ironie zum Ausdruck: Der Sextfall bei „Tode“ etwa und die stufenweise erfolgende Sturzbewegung bei „sieben Brote“, die sich nachher noch einmal in Gestalt einer Kombination aus Sekund- und Quintfall wiederholt. Aber auch mitten in einer Melodiezeile kann sich ein solches Extrem in der Bewegung der melodischen Linie ereignen.
    Es ist eben von allerlei wunderlichen und weltbewegenden Ereignissen zu berichten.

  • Lied 27: „Schon streckt´ ich aus im Bett die müden Glieder“

    Schon streckt´ ich aus im Bett die müden Glieder,
    Da tritt dein Bildnis vor mich hin, du Traute.
    Gleich spring´ ich auf, fahr´ in die Schuhe wieder
    Und wandre durch die Stadt mit meiner Laute.
    Ich sing´ und spiele, daß die Straße schallt;
    So manche lauscht – vorüber bin ich bald.
    So manches Mädchen hat mein Lied gerührt,
    Indes der Wind schon Sang und Klang entführt.

    Das „Ereignis“, die Begegnung des lyrischen Ichs mit dem imaginativen Bildnis der Geliebten und ihre Folgen, wird in seinen seelischen Dimensionen von Hugo Wolf in diesem Lied auf klanglich faszinierende Weise ausgeleuchtet. Der Harmonik kommt dabei eine wichtige Funktion zu, wenn sie nicht gar die Hauptrolle spielt. Nicht dass die melodische Linie der Singstimme auch die seelischen Vorgänge reflektierte, - das tut sie sogar in sehr markanter Form. Aber das, was sie zu sagen hat, bezieht seinen Reichtum und seine dimensionale Tiefe allererst aus der Harmonisierung mit ihren höchst kunstvollen Modulationen und Rückungen, die im Quintenzirkel weit ausgreifen und dabei auch das Tongeschlecht einbeziehen.


  • Zur Faktur der Komposition und ihrer liedmusikalischen Aussage

    Wunderbar lässt uns Wolf an der Situation und dem Geschehen in den ersten beiden Versen teilhaben. Melodische Linie der Singstimme und Klaviersatz suggerieren Müdigkeit und das Strecken der Glieder. Schon das Vorspiel tut das, - mit der aus den Tönen „A/G-B-Fes“ gebildeten Figur, die in einen fes-Moll-Akkord absinkt. Die melodische Linie verbleibt auf zwei tonalen Ebenen, wobei die zweite um eine Sekunde angehoben wird. Auf „Glieder“ macht sie einen kleinen Sekundfall in einer Harmonisierung, die im Klavier in Gestalt eines vierstimmigen Akkordes erklingt. Am Ende steht ein As-Dur, das aus einer harmonischen Modulation über fes-Moll und Es Dur hervorgeht. Dieses As-Dur wirkt wie ein Vorklang auf das, was die Musik im nächsten Vers zu sagen hat, - und das alles pianissimo.

    Noch liegt auf dem Wort „Da“, mit dem er eingeleitet wird, ein Moll-Akkord. Es ist der Nachklang von dem, was in der Achtelpause der Singstimme davor vom Klavier artikuliert wird. Dann aber beschreibt die melodische Linie eine Bogenbewegung, die mit dem „Hes“ auf dem Wort „Bildnis“ eingeleitet wird, das das Klavier mit einem lang gehaltenen Hes-Dur-Akkord begleitet. Dem schließt sich eine Quartfallbewegung bei den Worten „du Traute“ an, wobei die akkordisch geprägte Klavierbegleitung von As-Dur nach Es Dur rückt. Deutlich hat sich auf diese Weise die Musik des zweiten Verses von der Müdigkeit im ersten abgehoben: Die Begegnung mit dem imaginierten Bild der Geliebten hat einen frischeren und lieblich angehauchten Ton in sie gebracht.

    Diese Frische erfährt eine deutliche Steigerung mit dem nächsten (dritten) Vers, bei dem die melodische Linie erst nach einer Dreiviertel-Pause einsetzt, in der das Klavier u.a. noch einmal einen arpeggierten Akkord erklingen lässt. „Mäßig bewegt“ soll nun musiziert werden. Mit einer zweimaligen Fallbewegung der melodischen Linie werden die Worte „Gleich spring´ ich auf“ deklamiert. Eine Pause folgt nach, in der das Klavier erst einen arpeggierten Akkord, dann fallende Oktaven erklingen lässt. C-Dur herrscht hier vor. Das lyrische Ich hat alle Müdigkeit abgeschüttelt, und es deklamiert die Worte dieses und des nächsten (vierten) Verses auf einer munter sich auf und ab bewegenden und nun in Fes-Dur harmonisierten melodischen Linie, die am Ende, bei dem Wort „Laute“, einen nun mit einem arpeggierten As-Dur-Akkord begleiteten Sextfall beschreibt.

    Das ist auch die Tonart, die der Melodik der nachfolgenden Verse zugrundeliegt, - mit einer kurzen Rückung nach Des-Dur im zweitletzten Vers. Der letzte freilich nimmt sowohl in der Struktur der melodischen Linie, wie auch in ihrer Harmonisierung eine Ausnahmestellung ein. Die Singstimme deklamiert die Worte „Indes der Wind schon Sang und Klang entführt“ ausschließlich auf einem Ton, einem „G“ in mittlerer Lage, - und das pianissimo. Das Klavier begleitet mit Terzen in C-Dur, die sich am Ende zu Quinten und einer Sexte erweitern und in die Tiefe sinken. Auf klanglich wahrlich faszinierende Weise ist hier das lyrische Bild zu Musik geworden.

    Terzen, Quinten und Sexten im Diskant prägen den Klaviersatz auch in jener Passage des Liedes, in der das lyrische Ich davon spricht, wie es singend und spielend durch die Straßen zieht. Ein lieblicher Ton herrscht hier vor. „Dolce“ soll das Klavier die Figuren artikulieren, die aus einer Kombination von z.T. gebundenen punktierten Achteln, Sechzehnteln und Zweiunddreißigsteln bestehen. Auch die Singstimme lässt in dem Auf und Ab von Achteln und Vierteln vernehmen, dass hier musiziert wird, und dies von einem fröhlichen Menschen. Kleine Melodiezeilen reihen sich aneinander, von Pausen gegeneinander abgehoben. Bei der drittletzen („vorüber bin ich bald“) verharrt die Vokallinie auf nur einer tonalen Ebene, bevor sie am Ende eine kleine Sprungbewegung vollzieht. Ähnlich ist das bei der nachfolgenden Melodiezeile. Es ist, als kündige sich an, was sich im letzten Vers auf so beeindruckende Weise ereignet: „Die „Entführung“ von „Sang und Klang“.

    Sie ereignet sich vollends im Nachspiel. Die Terzenfiguren, die von As-Dur über C-Dur und wieder zurück nach As-Dur modulieren, gehen vom Pianissimo ins dreifache Piano über und verklingen in einem nur angedeuteten As-Dur-Akkord am Ende.

  • Lied 28: „Du sagst mir, daß ich keine Fürstin sei“

    Du sagst mir, daß ich keine Fürstin sei;
    Auch du bist nicht auf Spaniens Thron entsprossen.
    Nein, Bester, stehst du auf bei Hahnenschrei,
    Fährst du aufs Feld und nicht in Staatskarossen.
    Du spottest mein um meine Niedrigkeit,
    Doch Armut tut dem Adel nichts zuleid.
    Du spottest, daß mir Krone fehlt und Wappen,
    Und fährst doch selber nur mit Schusters Rappen.


    In diesem Lied ist der zugrundeliegende Viervierteltakt wieder in der Weise rhythmisiert, wie das beim ersten Lied des zweiten Bandes („Was für ein Lied soll dir gesungen werden?“) der Fall ist. Man bezeichnet ihn gern als „Liebesrhythmus“ (Kurt Honolka): Einer z.T. punktierten Viertelnote folgen zwei Groppen von Achteln. Allerdings begegnet er einem hier nicht in reiner Form, vielmehr durchsetzt von allerlei klanglichem Schnörkelwerk, - Sechzehntel- und Zweiunddreißigstelfiguren bis hin zu Trillern.

    Der spöttische Ton, in dem die Frau den Mann anspricht, hat sich im Klaviersatz niedergeschlagen, so dass der „Liebesrhythmus“ wie gebrochen wirkt. Allerdings hat Wolf mit seiner Musik diesen Versen einen durchaus ernsten Grundton verliehen und den Spott, den man aus ihnen herauslesen kann, kompositorisch nicht voll ausgekostet. Er ist nur in Anklängen zu vernehmen. Das lyrische Ich weist in diesem Lied die Verachtung seines sozialen Status, die Herkunft aus ärmlichen Verhältnissen also, in sehr ernsthafter Weise zurück.


  • Zur Faktur der Komposition und ihrer liedmusikalischen Aussage

    Die klangliche Anmutung von Spott beschränkt sich tatsächlich auf den Klaviersatz und ist in voller Ausprägung eigentlich nur im Nachspiel zu vernehmen: In dieser mit Trillern eingeleiteten, nach oben eilenden Kette von Staccato-Achteln, die nach dem Bild von „Schusters Rappen“ in den beiden letzten Takten des Liedes aufklingt. In der melodischen Linie der Singstimme vernimmt man sie nur sporadisch, und darin eben nicht als Ausdruck der Grundhaltung des lyrischen Ichs, sondern als ein Mittel, mit dem es in ernsthafter Weise die Verachtung zurückweist, die es in den Äußerungen des Anderen (1.Vers) zu vernehmen meinte.

    Natürlich ist dieser Eindruck auch abhängig von der jeweiligen sängerischen Interpretation. Aber bemerkenswert ist: Elisabeth Schwarzkopf, die wie wohl kaum eine andere Sängerin das emotionale Potential dieser Lieder des „Italienischen Liederbuchs“ auszuschöpfen vermochte und diesbezüglich interpretatorische Maßstäbe gesetzt hat, lässt einen leicht spöttischen Ton nur bei den Worten „Hahnenschrei“, „Staatskarossen“ und „Schusters Rappen“ vernehmen. Den Worten „du spottest“ verleiht sie hingegen große Bedeutungsschwere.

    Die Singstimme setzt auf dem Ton ein, den das Klavier ihr in Gestalt eines Vorschlags gleichsam vorgegeben hat, und dort verbleibt sie auch in silbengetreuer Deklamation bis zu den Worten „keine Fürstin sei“. Dieser Vorschlag des Klaviers und die nachfolgende Struktur der melodischen Linie verleihen dem, was das lyrische Ich im ersten Vers sagt, großes Gewicht. Die Rückung nach c-Moll, die Parallele vom einleitenden Es-Dur, die sich am Ende dieser Melodiezeile ereignet, fügt der Aussage den Beiklang von Klage hinzu. Diese harmonischen Rückungen ereignen sich am Ende der Melodiezeilen immer wieder, und in allen Fällen wirken sie wie ein klanglicher Akzent, der der gerade getroffenen Aussage eine zusätzliche Dimension verleiht.

    Besonders deutlich ausgeprägt ist das vom fünften Vers an („Du spottest mein um meine Niedrigkeit“). Hier liegt auf dem Wort „Niedrigkeit“ ein Septfall, der mit einer Rückung vom Septakkord „Es“ nach c-Moll verbunden ist. Beim nächsten Vers ereignet sich bei den Worten „zu Leid“ ein Sekundsprung mit Auftakt, und die Harmonik rückt von As- nach G-Dur. Bei dem Wort „Wappen“ schließlich (Ende 7. Vers) macht die melodische Linie einen Oktavsprung, verbunden mit einer Rückung von Es nach As. Alle diese Kombinationen von markanter melodischer Bewegung und harmonischer Rückung lassen das, was die Frau dem Mann zu sagen hat, als gewichtig und ernst erscheinen. Von leichtfertigem Spott kann man also nicht sprechen.

    Auch die direkten Ansprachen wirken weniger spöttisch, als vielmehr vorwurfsvoll. Die Worte „Auch du“ werden auf einem Septspung mit nachfolgender Dehnung deklamiert, und das „Nein, Bester“ erklingt in einer winzigen, durch Pausen abgegrenzten Melodiezeile aus Quart- und kleinem Sekundfall. Dem Wort „Hahnenschrei“ kann die Sängerin sehr wohl einen leicht spöttischen Akzent verleihen, denn Wolf lässt es auf einer Kombination von vermindertem Quintsprung und Sekundfall deklamieren, die wie ein Krähen klingt. Ähnlich ist das bei dem Wort „Staatskarossen“: Hier stürzt die melodische Linie über eine veritable Undezime in die Tiefe, gleichzeitig rückt die Harmonik von vermindertem „As“ nach Es-Dur. Dem Bild wird dadurch eine Gewichtigkeit verliehen, die es lächerlich wirken lässt.

    Gleichwohl: Diese sporadischen Elemente von leichtem Spott, denen man in diesem Lied begegnet, vermögen den Grundton nicht zu stören, den Wolf – in seiner Rezeption des lyrischen Textes – mit seiner Melodik dem lyrischen Ich in den Mund gelegt hat. Es ist der einer selbstbewussten Frau, die sich gegen die Verächtlichmachung ihres sozialen Status wehrt.

  • Hallo und guten Tag lieber Helmut,

    wenn eine neue Liednummer kommt freue ich mich. Zum "warm werden" höre ich die 5 vorherigen LIEDER.

    Anschließend wird das Neue angehört, dann lese ich was der "Meister" dazu schreibt. Mit diesem Wissen, "höre" die Lieder mit neuem Verständnis und mit mehr Genuss.

    MfG Wilfried

  • wenn eine neue Liednummer kommt freue ich mich.

    Na, da freuen sich ja gleich zwei Leute. Du, lieber Wilfried, beim Hören der Wolf-Lieder und in der Beschäftigung mit ihnen, und ich, weil ich erfahre, dass das, was ich hier tue, einen Sinn hat.

    Was will man mehr!

    Es ist ja in der Tat höchst vergnüglich, dieses Lied "Du sagst mir, daß ich keine Fürstin sei" in der Interpretation von Elisabeth Schwarzkopf zu hören!

  • Lied 29: „Wohl kenn´ ich Euren Stand“

    Wohl kenn´ ich Euren Stand, der nicht gering.
    Ihr brauchtet nicht so tief herab zu steigen,
    Zu lieben solch ein arm und niedrig Ding,
    Da sich vor Euch die Allerschönsten neigen.
    Die schönsten Männer leicht besiegtet Ihr,
    Drum weiß ich wohl, Ihr treibt nur Spiel mit mir.
    Ihr spottet mein, man hat mich warnen wollen,
    Doch ach, Ihr seid so schön! Wer kann Euch grollen?

    Zwar erhebt hier die Frau Vorwürfe gegenüber dem Mann, spricht von „Spott“ und davon, dass er nur ein Spiel mit ihr treibe, aber dahinter steht wohl doch tiefe Zuneigung, wenn nicht Liebe, wie der letzte Vers zum Ausdruck bringt. Man könnte ihn auch anders lesen, nämlich als Verhöhnung des Mannes, der sich in der Haltung, man könne ihm in all seiner Schönheit nicht grollen, der Frau zugewendet hat. Aber Wolf hat die Verse so nicht gelesen. Die melodische Linie bringt in ihrer ruhigen Entfaltung und ihrer Harmonisierung gefühlvolle Innigkeit zum Ausdruck.


  • Zur Faktur der Komposition und ihrer liedmusikalischen Aussage

    In den ersten drei Versen bewegt sie sich harmonisch im wesentlichen nur zwischen der Tonika C-Dur und der Dominante G. Erst vom vierten Vers an geht die Harmonisierung über f-Moll, D-Dur und einem einzigen Ges-Dur in den Bereich von B-Dur über, kehrt aber dann über f-Moll wieder zur Tonika zurück, wobei die letzte Melodiezeile allerdings in c-Moll endet. Das sind unaufgeregte, nicht auf Expressivität hin angelegte harmonische Modulationen, die die „langsam und breit“ vorzutragende melodische Linie in ihrer Innigkeit gleichsam wohlwollend einbetten und tragen.

    Noch etwas anderes kommt hinzu, was den Grundton dieses Liedes prägt und es zu einem bemerkenswert melodisch ausgerichteten Werk macht. Hugo Wolf hat einmal (gegenüber Edwin Mayser) bemerkt, der zweite Teil des „Italienischen Liederbuchs“ enthalte mehr „absolute Musik“, als dies in seinem sonstigen Liedwerk der Fall sei. Und an diesem Lied kann man das vernehmen. Im Grund agieren hier Singstimme und Klavier in quasi kammermusikalischer Weise miteinander, - und dies im Geist der Melodie, denn auch das Klavier artikuliert eine solche.

    Sie erklingt in seinem Diskant, und sie weist auffällig viele triolische Figuren auf, von denen eine – in unterschiedlicher Harmonisierung – immer wiederkehrt. Zum ersten Mal vernimmt man sie in der kurzen Pause der Singstimme am Ende des vierten Verses. Sie besteht aus einer triolischen und lieblich wirkenden Kombination aus Quartsprung und –fall, die in einen Sekundfall mündet. Noch weitere fünf Mal begegnet man ihr, nicht nur in Pausen, sondern auch – wie bei den Worten „Ihr spottet mein“ und „Man hat mich warnen wollen“ – als unmittelbare Begleitung der melodischen Linie der Singstimme. Und allemal bringt sie einen lieblichen Akzent ein.

    Die melodische Linie der Singstimme reflektiert in ihrer Struktur den Ansprache-Charakter des lyrischen Textes in deutlich ausgeprägter Weise. Nicht nur dass auf jede der jeweils einen Vers umfassenden Melodiezeile eine mehr oder weniger lange Pause folgt, in drei Fällen sind die Verse selbst noch einmal in kleinere Zeileneinheiten untergliedert. Auf diese Weise gewinnt die Ansprache eine noch größere Nachdrücklichkeit, als sie sie ohnehin schon durch die Struktur der melodischen Linie hat: Bei „Ihr spottet mein“ durch eine Kombination aus Quartsprung und –fall und bei „doch ach“ durch einen kleinen Sekundfall in hoher Lage. Der Steigerung der Eindringlichkeit der an das Du gerichteten Worte dient auch die Wiederholung der melodischen Figur, die auf den Worten „der nicht gering“ liegt, bei den Worten „niedrig Ding“ (Ende dritter Vers): Aus einer Dehnung auf der ersten Silbe von „nicht“ und „niedrig“ heraus erfolgt ein Terzsprung, der in einen Quartfall übergeht.
    Das lyrische Ich meint es ganz ernst mit dem, was es dem Du zu sagen hat.

    Auf klanglich faszinierende, weil in einen gleichsam offenen Schluss mündende Weise hat Wolf den letzten Vers gestaltet. Dem schon erwähnten kleinen Sekundfall auf den Worten „doch ach“ folgt eine Achtelpause, in der im Klavierdiskant die hier in C-Dur harmonisierte, lieblich wirkende triolische Quintenfigur erklingt. Bei den Worten „Ihr seid so schön“ beschreibt die melodische Linie einen aus einer triolischen Sekundfall-Bewegung hervorgehenden Sextsprung zu einem hohen „F“ bei dem Wort „schön“. Er ist mit einer die Expressivität steigernden Rückung nach B-Dur verbunden. Dieses „F“ wird in Gestalt einer Dehnung lange gehalten.

    Die nachfolgende, wiederum triolische Fallbewegung bei den Worten „Wer kann Euch grollen?“ erfolgt erst in Sekundschritten, wobei durchweg Legato vorgeschrieben ist. Die Harmonik rückt dabei von B-Dur nach Es-Dur, und das Klavier begleitet mit einer triolischen Kombination von hohem Einzelton und tiefer Terz im Diskant. Überraschend dann der Sextfall, der auf dem Wort „grollen“ liegt. Es ist ein verminderter, und die Harmonik rückt dabei vom vorangegangenen Es-Dur in die Parallele c-Moll. Das Klavier setzt seine wie Glockenklang wirkenden triolischen Figuren im Diskant fort.

    Wie ist dieser Schluss des Liedes zu deuten? Auf jeden Fall so, dass das lyrische Ich seine Liebe zum Anderen eingesteht, - trotz der Vorhaltungen, die es ihm gerade gemacht hat. Aber schwingt da jetzt ein Bedauern wegen der eigenen Schwäche mit? Oder ist es Ausdruck eines introvertierten Eintauchens in die Schmerzlichkeit der Liebe, verbunden mit dem Gefühl der Ratlosigkeit?
    Wolf will das offen lassen. Mit einer der Sachverhalte, die dieses Lied so reizvoll machen.

  • Ihr spottet mein, man hat mich warnen wollen,

    Diana Damrau gibt dieser Stelle fast schon veristische Züge, was mir schon bei dem Livevortrag des "Italienischen Liederbuches", den ich in Berlin erlebt habe, aufgefallen ist. Dort wurde es noch durch eine Geste unterstrichen. Damit hadere ich, obwohl mir die Interpretation insgesamt sehr gefiel. Das Lied, um das es hier geht, empfinde ich im Vergleich mit andere Nummern etwas schwerer zugänglich. Ich sehe und höre darin eine Art Monolog ohne jede Theatralik. Was an IHN gerichtet ist, macht SIE sich für sich klar. Ganz allein. Dieses hinreißende "Doch ach" sagt es mir. Richtet sie es nicht ehr an sich selbst? Wie einen tiefen Seufzer. Bei der Schwarzkopf, die ich bei dem Zyklus bevorzuge, ist dieses Lied mit einer - wie ich es empfinde - tiefen Melancholie versehen. Sie ist traurig, zweifelt. Und ist gar nicht kokett.


    Lieber Helmut, seitdem Du Dich hier diesem Zyklus widmest, ist er bei mir wieder stärker als sonst präsent. Ich nähere mich allerdings immer betont gefühlsmäßig an, weil mir die Kenntnisse fehlen, eine dem Notenbild verpflichtete Analyse herzustellen wie Du das tust. Dabei irre ich natürlich ständig und ziehe falsche Schlüsse. Aber es sind meine Schlüsse. Das Gefühl ist nun mal trügerisch. Wahrscheinlich irre ich auch diesmal mit meiner monologischen Vorstellung von diesem Lied. Das ändert aber nichts an meiner Liebe zu diesen Liedern, die ich für eine der größten - mir bekannten - Erfindungen halte.

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

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  • Ich sehe und höre darin eine Art Monolog ohne jede Theatralik. Was an IHN gerichtet ist, macht SIE sich für sich klar. Ganz allein. Dieses hinreißende "Doch ach" sagt es mir. Richtet sie es nicht ehr an sich selbst? Wie einen tiefen Seufzer. Bei der Schwarzkopf, die ich bei dem Zyklus bevorzuge, ist dieses Lied mit einer - wie ich es empfinde - tiefen Melancholie versehen. Sie ist traurig, zweifelt. Und ist gar nicht kokett.

    Und da hörst Du, wie ich denke, sehr wohl das Wesen dieses Liedes heraus, lieber Rheingold. Diese Lieder sind, auch wenn sie zumeist vom Text her dialogisch angelegt sind, von Hugo Wolf in vielen Fällen als innere Monologe verstanden worden, - was der Anrede-Gestus ja nicht ausschließt. Vielleicht erinnerst Du Dich an meine Vorbehalte, die ich - bei aller Hochschätzung der gesanglich-interpretatorischen Leistung insbesondere von Diana Damrau - hinsichtlich der stark szenisch ausgerichteten, mit allerlei Mimik und Gestik angereicherte Aufführung dieser Lieder durch sie und Jonas Kaufmann vorbrachte.

    Ich darf mich mal aus Beitrag 8 zitieren:

    Durch diese Art des Vortrags kommt in die einzelnen Lieder eine expressiv-dialogische, ja sogar theatralische Komponente, die sie als solche nicht aufweisen. Wolf hat diesen Zyklus nicht als Singspiel komponiert, und die Lieder selbst sind, auch wenn sie vom Text her im sprachlichen Gestus der Anrede gehalten sind, in ihrer Musik wesenhaft monologische Bekundung individueller Ansichten, Haltungen und Emotionen.

    Die kluge und mit einem immensen Sensorium für lyrische Sprache ausgestattete Elisabeth Schwarzkopf hat - und das macht ihre Interpretation des Italienischen Liederbuchs ja so singulär - diesen Sachverhalt natürlich erfasst, und man hört das ganz deutlich an ihrer Interpretation dieses Liedes:



    Obwohl die melodische Linie auf den Worten "Wohl kenn´ ich Eueren Stand" aus einem Sekundfall in Repetitionen am Ende in einen Terzsprung übergeht und deshalb dazu verführt, sie gleichsam vordergründig als eine die Kritik am Anderen einleitende Anrede zu interpretieren, bleibt Elisabeth Schwarzkopf hier sehr verhalten und nimmt die Stimme bei der nachfolgenden, in einem Quintfall endenden melodischen Figur auf den Worten "der nicht gering" so stark zurück, dass man in ihr den ehrlichen Ausdruck der Erfahrung von Standesunterschied zu vernehmen meint. Und das bestätigt sich bei der Wiederkehr dieser Figur auf den Worten "und niedrig Ding". Die introvertierte und affektiv ausgerichtete gesanglichen Wiedergabe ist auf keinen Fall als provokative Rhetorik zu verstehen, vielmehr spricht sich das lyrische Ich hier in seiner Betroffenheit aus. Und der triolisch rhythmisierte, in eine Repetition mündende Quintfall auf "Ihr spottet mein" wird bei Elisabeth Schwarzkopf zu einem Ausdruck schmerzlicher Betroffenheit.


    Was Deine große Hochschätzung dieser Lieder und Deine Liebe zu ihnen anbelangt, die Du mit den Worten "...die ich für eine der größten - mir bekannten - Erfindungen halte" zum Ausdruck bringst, so stimme ich Dir darin aus vollem Herzen zu.

    Hab Dank für Deinen Beitrag!

  • Lied 30: „Laß sie nur gehn, die so die Stolze spielt“

    Laß sie nur gehn, die so die Stolze spielt,
    Das Wunderkräutlein aus dem Blumenfeld.
    Man sieht, wohin ihr blankes Auge zielt,
    Da Tag um Tag ein And´rer ihr gefällt.
    Sie treibt es grade wie Toscanas Fluß,
    Dem jedes Berggewässer folgen muß.
    Sie treibt es wie der Arno, will mir scheinen:
    Bald hat sie viel Bewerber, bald nicht einen.

    Man kann, ausgehend vom imperativischen Gestus des ersten Verses, das Gedicht so lesen, als rate da ein guter Freund dem Anderen, wie er sich der geliebten Frau gegenüber verhalten soll, die es, nach seiner Meinung, mit Männern übel treibt, - so wie der Arno jedes „Berggewässer“ verschlingt. Wolf hat diese Verse aber offensichtlich anders gelesen: Als Monolog eines gekränkten, ja sogar verletzten lyrischen Ichs. Die Worte „Laß sie nur gehen“ richtet es an sich selbst.

    Anders sind die spezifische Faktur des Liedes und sein klanglicher Charakter, der daraus hervorgeht, nicht zu verstehen. Die permanenten, in Chromatik mündenden Modulationen in der Harmonik der melodischen Linie vernimmt man wie Seufzer, und die unablässig im Klavierbass nach oben – und manchmal auch nach unten - rauschenden Zweiunddreißigstel- und Vierundsechzigstelketten empfindet man als dumpfes Grollen, als klangliche Imagination dessen, was sich in der Seele des lyrischen Ichs abspielt.

    Und dann ist da noch das viertaktige, für dieses kurze Lied doch recht lange Nachspiel. Es soll „etwas breiter“ ausgeführt werden, und das im Fortissimo. Nimmt man es – und das ist ja sein Sinn – als Kommentar zu dem, was das lyrische Ich über die Melodik des Liedes gerade zum Ausdruck brachte, dann möchte man es als klangliche Konkretion einer verwundeten Seele vernehmen und verstehen, - in dieser ganz und gar in Moll getauchten und eine melodische Linie zeichnenden Fallbewegung von Achtelfiguren, unter denen es im Bass immer wieder mit Vierundsechzigstel-Ketten rumort, bis dann endlich, im letzten Takt und pianissimo, die Ruhe in der Tonika G-Dur einkehrt.


  • Zur Faktur der Komposition und ihrer liedmusikalischen Aussage

    Mit einem aufwärts gerichteten Lauf von Zweiunddreißigsteln im Diskant setzt das Lied im eintaktigen Vorspiel ein. Die melodische Linie der Singstimme beschreibt, in G-Dur harmonisiert, zunächst eine Aufwärtsbewegung, geht aber dann zu Sprüngen über ein größeres Intervall (Sexte und Septe) über, wodurch das Wort „die Stolze“ in markanter Weise akzentuiert wird. Bei dem Wort „spielt“ folgt eine Rückung nach e-Moll. Auch danach, bis zum vierten Vers einschließlich, bewegt sich die melodische Linie fast ausschließlich im Moll-, bzw. verminderten Bereich der Tonart „A“. Nur am Ende des zweiten und des dritten Verses erfolgt eine kurze Rückung nach A-Dur.

    Dieses lyrische Ich ist seelisch verstimmt, und so ereignen sich dann am Ende der ersten vier Melodiezeilen immerzu Sprung- und Fallbewegungen über eine Septe, eine Quinte und eine Quarte. Zweimal lässt das Klavier sein Grollen aus der Tiefe des Basses erklingen, Bei den Worten „Das Wunderkräutlein aus dem Blumenfeld“ meint man in dem permanenten Auf und Ab der melodischen Linie zwischen zwei weit auseinanderliegenden tonalen Ebenen leichten Spott zu vernehmen. Die Worte „ein And´rer ihr gefällt“ kommentiert das Klavier mit einer Sprungbewegung von Achteln in den hohen Diskant.

    Ein anderer Ton kommt in die melodische Linie mit dem fünften Vers („Sie treibt es grade wie Toscanas Fluß“). Die Singstimme deklamiert die Worte silbengetreu über eine längere Strecke auf nur einer tonalen Ebene, die allerdings im folgenden Vers um eine Sekunde ansteigt. Das geschieht auch mit der Harmonik: Sie moduliert von B-, über C-, D- und E-Dur bis nach H-Dur beim siebten Vers. Das bringt eine Steigerung der Expressivität mit sich, und das Klavier verstärkt sie, indem es im Diskant Achtelakkord-Repetitionen erklingen lässt und im Bass eine nicht abreißen wollende Folge von steigenden und fallenden Ketten von Zweiunddreißigsteln und Vierundsechzigsteln.
    Auch hier weist die melodische Linie wieder Anflüge von Spott – wenn nicht gar Hohn – auf: In dem aus langer Dehnung hervorgehenden verminderten Sextfall bei „Arno“ und dem Sturz über dasselbe Intervall bei den Worten „will mir scheinen“, die auf einer winzigen, durch Pausen eingehegten Melodiezeile deklamiert werden.

    Der letzte Vers ist in den Noten mit einer Erläuterung versehen, die ihn verständlich werden lässt: „Wie in den heißen Sommermonaten den Arno seine Nebenflüsse im Stich lassen“. Die melodische Linie bewegt sich hier in Sprüngen über eine Terz und eine Quart auf und ab, durchweg in Moll harmonisiert, und das Klavier artikuliert im Bass weiter seine steigenden und fallenden Ketten. Bei den Worten „nicht einen“ beschreibt die Vokallinie eine Kombination aus Quartsprung und Quintfall, der ein Sekundfall aus Sechzehnteln vorangeht. Diese Worte erhalten auf diese Weise einen Akzent, der in seiner Anmutung von Spott auf eine verletzte Seele verweist.
    Der Sforzato-Akkord, mit dem das Klavier sein kommentierendes Nachspiel einleitet, scheint das zu bestätigen.

  • Lied 31: „Wie soll ich fröhlich sein“

    Wie soll ich fröhlich sein und lachen gar,
    Da du mir immer zürnest unverhohlen?
    Du kommst nur einmal alle hundert Jahr,
    Und dann, als hätte man dir´s anbefohlen.
    Was kommst du, wenn´s die Deinen ungern sehn?
    Gib frei mein Herz, dann magst du weitergehn.
    Daheim mit deinen Leuten leb´ in Frieden,
    Denn was der Himmel will, geschieht hienieden.
    Halt Frieden mit den Deinigen zu Haus,
    Denn was der Himmel will, das bleibt nicht aus.

    Nun beklagt sich die Frau und hält dem Geliebten vor, er zeige nicht genug Zuwendung ihr gegenüber, zürne ihr gar. Offen bleibt, wie ihre Aufforderung zu lesen ist, er möge sie freigeben und sich in den Kreis seiner Familie zurückbewegen, um mit der in Frieden zu leben. Ist das alles ernst gemeint oder eher Provokation? Und wie hat Wolf es gelesen?

    Melodische Linie der Singstimme und Harmonik lassen keinen ausgeprägt provokativen Ton vernehmen, eher den einer von Schmerzlichkeit geprägten Klage, die einen Anflug von Bitterkeit aufweist. In der Art und Weise, wie die melodische Linie angelegt ist, wie sie sich entfaltet und wie sie harmonisiert ist, meint man starke innere Erregung des lyrischen Ichs zu vernehmen. Sie wirkt stark rezitativisch geprägt. Nach jeder Melodiezeile, die jeweils einen Vers umfasst, folgt eine Pause, mehrmals zerfällt die Zeile aber auch in noch kleinere Einheiten.


  • Zur Faktur der Komposition und ihrer liedmusikalischen Aussage

    Anfänglich neigt die Vokallinie dazu, immer wieder in Sekundschritten anzusteigen und dann eine Fallbewegung zu beschreiben. Später, wenn die „Empfehlungen“ an den Geliebten kommen, springt sie häufig zwischen zwei tonalen Ebenen hin und her. Was ihre Harmonisierung anbelangt, so taucht die vorgegebene Grundtonart B-Dur lange Zeit überhaupt nicht auf. Erst bei den beiden – in der Faktur deutlich vom Vorangehenden abgesetzten – letzten beiden Versen ist sie vernehmlich, hier allerdings in permanentem Wechsel mit einem verminderten D-Akkord. Und das Nachspiel setzt dies mit seinen fortissimo artikulierten Achtelakkord-Folgen fort, um am Ende mit einem D-Dur-Akkord zu schließen.

    Zwar bietet all dies von seiner Klanglichkeit her kein ganz klares Bild. Nur dessen meint man sich als Hörer sicher zu sein:
    Die Klagen sind echt, kommen aus dem Herzen einer enttäuschten Liebenden. Die „Empfehlungen“ sind es nicht. Sie sind Ausdruck von Bitterkeit und wollen das Gegenteil von dem erreichen, was sie an Aussage enthalten.

    Ganz und gar Ausdruck schmerzerfüllter Klage ist die melodische Linie des ersten Verses in ihrer Gestalt und ihrer Harmonisierung: Zweimal eine Fallbewegung, die zweite als verminderter Septfall noch größer als die erste (eine Quinte); und dabei jeweils die Rückung - in Gestalt von zwei gehaltenen Akkorden – von verminderter in Dur-Harmonik (Es und Des). Diese Fallbewegungen kehren im Folgenden mehrfach wieder, in expressiver Weise eingeleitet mit einem Sekundanstieg der melodische Linie. Sie erfolgen immer über ein größeres Intervall: Bei Vers drei ist es eine Oktave, bei vier eine Sexte. Und das Klavier trägt das Seine zur Akzentuierung dieser klageerfüllten Vorwürfe bei, indem es über repetierenden Achtelakkorden im Bass immer wieder fallende Staccato-Figuren aus Achteln im Diskant artikuliert. In der Pause der Singstimme zwischen den Melodiezeilen des vierten und fünften Verses steigen in Bass und Diskant staccato angeschlagene Akkorde unisono nach oben.

    Während, gleichsam im Nachklang zum ersten Vers, die ersten Worte des dritten noch in g-Moll harmonisiert sind, kehrt nun, da das lyrische Ich in der Art, wie es sich melodisch ausdrückt und dabei in den Gestus des Vorwurfs übergeht, mehr und mehr Dur-Harmonik in die Melodik ein. G-Dur und D-Dur dominieren zunächst. Dann aber, wenn die Forderungen und Empfehlungen noch energischer vorgebracht werden, ereignen sich harmonische Rückungen nach „Des“ und „As“. Die Worte „Gib frei mein Herz“ werden auf einer kleinen, aus einem Terz- und einem kleinen Sekundschritt bestehenden Melodiezeile deklamiert, die in Des-Dur harmonisiert ist. Das Wort „dann“ trät eine lange Dehnung in Gestalt eines hohen „Es“, und das Klavier begleitet das mit vier- und dreistimmigen As-Dur-Akkordfolgen in Bass und Diskant.

    Und wie ist der Schluss dieses Liedes zu verstehen? Klangliche Gewichtigkeit strahlt er aus, - mit den lang gehaltenen sechsstimmigen Akkorden, die in permanenter Rückung zwischen B-Dur und dem Septakkord der Tonart „D“ die Singstimme begleiten. Diese deklamiert die lyrischen Worte zunächst auf einer bogenförmig fallenden und wieder steigenden melodischen Linie, die auf dem Wort „Haus“ eine Dehnung trägt. Dann aber, bei den Worten des letzten Verses, geht sie zu Sprung- und Fallbewegungen zwischen weit auseinanderliegenden tonalen Ebenen über. Sie wird damit deutlich expressiver und nachdrücklicher in ihrer Aussage.

    Und am Ende, bei den Worten „das bleibt nicht aus“, ereignet sich dieser klanglich verstörende, von einem dissonanten Akkord fortissimo begleitete verminderte Sextsprung zu einem hohen „Fis“ bei dem Wort „aus“, das lange gehalten wird, derweilen das Klavier zu seinem Fortissimo-Nachspiel übergeht, das sich in verminderter D- und B-Harmonik ergeht, bevor es in D-Dur zur Ruhe kommt.

    Wie nimmt man diesen Liedschluss als Hörer auf? Wohl als Ausdruck eines Leidens des lyrischen Ichs, das nichts anderes mehr weiß, als auf den Himmel zu hoffen. Dies aber ohne die Gewissheit, dass diese Hoffnung wirklich trägt.

  • Lied 32: „Was soll der Zorn, mein Schatz“

    Was soll der Zorn, mein Schatz, der dich erhitzt?
    Ich bin mir keiner Sünde ja bewußt.
    Ach, lieber nimm ein Messer wohlgespitzt
    Und tritt zu mir, durchbohre mir die Brust.
    Und taugt ein Messer nicht, so nimm ein Schwert,
    Daß meines Blutes Quell gen Himmel fährt.
    Und taugt ein Schwert nicht, nimm des Dolches Stahl
    Und wasch´ in meinem Blut all meine Qual.

    Wie beim vorangehenden Lied, lässt das zugrundeliegende Gedicht nicht klar erkennen, ob es sich beim lyrischen Ich um den Mann oder die Frau handelt. Eigentlich sollte man denken, dass, wenn Wolf dieses Lied an diese Stelle seines Zyklus gesetzt hat, es sich hier um eine Reaktion des Mannes auf die vorangehenden Anschuldigungen und bitteren Klagen der Frau handelt. Tatsächlich aber ist in allen Aufnahmen, die zu diesen Besprechungen herangezogen wurden, dieses Lied der jeweiligen Sängerin zugewiesen. Allerdings interpretiert bei der DG-Aufnahme (Matthis, Schreier) und der von Stone-Records (Mc Greevy/ Stone) das vorangehende Lied der Tenor.

    Wolfs Liedmusik lässt bei diesem Lied „Was soll der Zorn“ vernehmen, dass er die ein wenig theatralisch daherkommende Szenerie ganz ernst genommen hat. Das lyrische Ich weist sich hier die Rolle des unschuldigen Opfers zu, und die Art und Weise, wie es sich dabei melodisch artikuliert und wie das Klavier es dabei begleitet, lässt einen mehr an eine Frau, als an einen Mann denken, - zumal man sich diese nicht als mit einem Schwert hantierend vorstellen mag.

    Die Singstimme setzt, unmittelbar nachdem das Klavier einen sechsstimmigen c-Moll-Akkord artikuliert hat, auf in Terzen fallender melodischer Linie ein. Es ist eine Frage, die das lyrische Ich im ersten Vers an das geliebte Du richtet, und sie wird melodisch nachdrücklich vorgebracht. Beide kleinen Melodiezeilen – die zweite liegt auf den Worten „der dich erhitzt“ – münden in einen Fall, bzw. einen Sprung über ein relativ großes Intervall (Sexte und Quarte), die Harmonisierung moduliert permanent, ebenso wechselt das Tongeschlecht. Das Klavier lässt, um die Nachdrücklichkeit noch zu steigern, zweimal sforzato noch oben schießende Vierundsechzigstel-Ketten erklingen. Das ereignet sich noch mehrmals in diesem Lied und macht deutlich, dass Wolf den dramatisch-theatralischen Gestus der lyrischen Sprache in ungebrochener Weise in Musik gesetzt hat.


  • Zur Faktur der Komposition und ihrer liedmusikalischen Aussage

    Die melodische Linie der Singstimme reflektiert auf beeindruckende Wiese die starke emotionale Bewegtheit des lyrischen Ichs. Bis auf den letzten Vers sind alle Melodiezeilen durch Pausen untergliedert und wirken dadurch wie eine Folge von unmittelbar expressiven Einzelbekentnissen einer leidenden Seele, die das Klavier immer wieder mit hochlaufenden Vierundsechzigsteln im Bass oder aufeinanderfolgenden Achtelakkorden akzentuiert. Dabei kommt es zu starken Schwankungen in der Dynamik, wie auch zu permanenten Modulationen in der Harmonik und Wechseln im Tongeschlecht.

    Der dritte und der vierte Vers sind in drei melodische Einheiten untergliedert, bei denen das Klavier fünf Mal seine Vierundsechzigstel-Ketten im Bass erklingen lässt, wobei dies zwar jeweils sforzato geschieht, bei den Kombinationen von Achtel- und Sechzehntelakkorden im Diskant die Dynamik jedoch von Piano über Forte bis ins Fortissimo ausgreift. Die Melodik entfaltet hier starke Expressivität. Bei „und tritt zu mir“ beschreibt sie erst einen Quintfall, geht dann in eine Aufstiegsbewegung über und hält bei „mir“ in Gestalt einer kurzen Dehnung mit nachfolgender Pause inne. Das nachfolgende „durchbohre mir die Brust“ wird rasch auf nur einer tonalen Ebene im mittlerer Lage deklamiert, und dann erfolgt zu dem Wort „Brust“ hin ein fast dramatisch wirkender verminderter Septsprung zu einem hohen „F“, das lange gehalten wird.

    Auch die Worte „Und taugt ein Messer nicht“ und „so nimm das Schwert“ werden auf zwei kleinen, durch Pausen voneinander abgehobenen Melodiezeilen deklamiert, bei denen die Vokallinie in einen Sprung mündet und dadurch nachdrücklich wirkt. Und wenn sich das lyrische Ich dann gar in das Bild von seines „Blutes Quell“ steigert, verharrt die melodische Linie auf der Ebene eines „Es“ in hoher Lage und beschreibt bei den Worten „Himmel fährt“ gar noch einen Sekundsprung mit Dehnung am Ende. Die Worte „Dolches Stahl“ werden auf einem – wiederum expressiven – doppelten Terzfall deklamiert, der aus einer Dehnung auf eben diesem hohen „F“ heraus erfolgt, auf dem das Wort Himmel“ erklang. Und ähnliches ereignet sich bei den Worten „Blut all meine Qual“: Wieder die lange Dehnung auf dem hohen „F“ bei „Blut“, dann eine Fallbewegung und eine wiederum große Dehnung bei dem Wort „Qual“. Das Klavier begleitet und akzentuiert hier mit fortissimo angeschlagenen As-Dur-Akkorden, die nach C-Dur hinüber modulieren.

    Das lyrische Ich, das im Verlauf dieses Liedes immer wieder einmal aus der Verhaltenheit des seelischen Bekenntnisses in die Expressivität ausgebrochen ist, hat hier, am Ende des Liedes, dem Du in gleichsam unverhüllter Weise seine Seele offenbart. Das Klavier kommentiert dies noch einmal mit seiner emporschießenden Vierundsechzigstel-Figur im Bass, die aber nun – bemerkenswerterweise – in einen dissonanten Akkord mündet.

  • Lied 33: „Sterb´ ich, so hüllt in Blumen meine Glieder“

    Sterb´ ich, so hüllt in Blumen meine Glieder;
    Ich wünsche nicht, daß ihr ein Grab mir grabt.
    Genüber jenen Mauern legt mich nieder,
    Wo ihr so manchmal mich gesehen habt.
    Dort legt mich hin in Regen oder Wind;
    Gern sterb´ ich, ist´s um dich, geliebtes Kind.
    Dort legt mich hin in Sonnenschein und Regen;
    Ich sterbe lieblich, sterb´ ich deinetwegen.

    Das ist das Lied, das wohl wie kein anderes sonst in diesem Zyklus, durch den schieren Zauber seiner Klanglichkeit in Bann zu schlagen vermag. Über einem neunzehn Takte lang beharrlich durchgehaltenen und nur ganz leicht rhythmisierten Orgelpunkt in Gestalt einer As-Dur-Oktave im Klavierbass entfaltet sich – sechzehn Takte lang – eine melodische Linie, die in dem ruhig-schwelgerischen Auskosten der Vision eines Sterbens in Liebe Tristan-Geist atmet und in der Fixierung auf das tiefe As des Orgelpunkts zugleich an Johannes Brahms gemahnt. Im kurzen Nachspiel aus zu einer Quinte und einer Terz sich verengenden Akkorden nach den Worten „geliebtes Kind“ meint man seine „Schöne Magelone“ zu hören. Und- noch erstaunlicher! – im zweitaktigen Nachspiel gar den liedmusikalischen Geist von Franz Schubert.

    Was mag hier in Hugo Wolf gefahren sein? Hat ihn die todesbezogene Metaphorik dieser Verse zu den Komponisten hingezogen, die sich ihr in musikalisch herausragender Weise kompositorisch zugewandt haben?


  • Zur Faktur der Komposition und ihrer liedmusikalischen Aussage

    „Sehr ruhig und durchweg gedämpft“ soll das Lied vorgetragen werden, das einen Zwölfachteltakt aufweist. As-Dur bildet das harmonische Zentrum, und dies nicht nur wegen der vom ersten bis zum letzten Takt konstant erklingenden As-Dur-Oktaven im Bass, sondern auch, weil sich die Modulationen in der Harmonisierung der melodischen Linie im wesentliche nur zwischen Tonika und Subdominante abspielen. Nach Ges-Dur greift die Harmonik ab dem fünften Vers aus, aber auch hier will die Melodik immer wieder zum heimatlichen As-Dur zurück, und sie lässt sich auch nicht durch die wenigen Ausweichungen in die Verminderung davon abbringen. Zu der harmonischen Ruhe, die das Lied ausstrahlt, trägt ganz wesentlich auch bei, dass die klanglichen Figuren, die das Klavier im Diskant artikuliert, überaus zart wirken, - als wären sie nur hingetupft. Und überdies sind sie in ausgeprägter Weise terzen- und sextenbetont, muten also klanglich überaus lieblich an.

    Großer klanglicher Zauber geht auch von der melodischen Linie der Singstimme aus. Sie entfaltet sich in ruhigen Bewegungen, die keine großen tonalen Räume durchlaufen, eher dazu neigen, auf der gerade eingenommenen Ebene zu verharren. Häufig eingelagerte kleine Dehnungen und das Meiden von Sprüngen über größere Intervalle verstärken den Eindruck von Ruhe, ebenso die Tatsache, dass auf alle Melodiezeilen eine längere Pause folgt, in der das Klavier seinen Terzen- und Sextenzauber frei entfalten kann und in der sich oft auch die Modulation zur Harmonik der nächsten Zeile ereignet.

    Wie ein ruhiges Ein- und Ausatmen muten diese melodischen Bewegungen an, und dies vor allem deshalb, weil sie sehr oft im Unterdominant-Bereich ansetzen und am Ende mit einer Fallbewegung, die nur ein Mal über eine Quinte erfolgt, ansonsten aber die Sekunde oder die Quarte nimmt, schließt. Diese von einer Pause gefolgten und mit einer harmonischen Rückung verbundenen Zeilenschlüsse verleihen den Wünschen des lyrischen Ichs einen höchst eindringlichen, weil ruhig und sanft vorgebrachten Gestus.

    Durchgehend, und das macht den ganz eigenen Zauber dieses Liedes aus, bringt das lyrische Ich all das, von dem es in der Imagination seines Todes seelisch bewegt wird, in einer melodisch überaus innigen, in der Emphase zurückgenommenen und gerade deshalb so anrührenden Weise zum Ausdruck. Die Worte „Ich wünsche nicht“ werden, eben weil sich hier keine Forderung, sondern eine innige Bitte artikuliert, auf einer ansteigenden, sondern einer in Terz und Sekunde fallenden melodischen Linie deklamiert. Und zu dem Wort „Grab“ hin beschreibt die Vokallinie nur einen kleinen Sekundfall, der sich bei den Worten „mir grabt“ noch einmal ereignet. Hier vernimmt man kein Pathos, sondern tiefes Gefühl. Und so ist das auch an den wenigen Stellen des Liedes, an denen die melodische Linie im Intervall die Quarte überschreitende Sprung- und Fallbewegungen macht. Große Gefühle stehen dahinter, aber sie äußern sich in allen Fällen gerade mal in einem Sprung oder einem Fall über eine Quinte: So bei „sterb ich“, bei „im Sonnenschein“ und am Ende des zweitletzten Verses (bei „Regen“).

    Ihre größte, gleichwohl immer noch gedämpft wirkende Expressivität erreicht die melodische Linie beim Schlussvers. Und hier ereignen sich auch die – für dieses Lied – kühnsten harmonischen Modulationen. Bei „Ich sterbe lieblich“ beschreibt die melodische Linie, in Des-Dur harmonisiert, eine Fallbewegung aus Sekunde und Terz. Eine Achtelpause folgt.
    Und dann geschieht dieser, nach all dem bislang Vernommenen tatsächlich singulär wirkende Sextsprung zu dem Wort „deinetwegen“, der mit einer Rückung nach B-Dur verbunden ist. Aber dabei bleibt es ja nicht. Innerhalb dieses Wortes ereignet sich noch ein Quintfall in Kombination mit einem in eine Dehnung mündenden Quartsprung auf der letzten Silbe des Wortes.

    Die – wenn man so will – kompositorische Raffinesse besteht nun darin, dass dieses Ende der Melodik des Liedes auf einem Septimakkord der Dominante liegt, bevor das Nachspiel dann zur Tonika findet.
    Dieses lyrische Ich hat sich gerade in schwärmerischer Weise den vielfältigen seelischen Regungen eines imaginativen Sterbens für die Geliebte hingegeben. Indem es dabei melodisch-harmonisch in der Dominante verbleibt, deutet es eine Fortsetzung dieses imaginativen Prozesses an. Aber das Klavier setzt dem mit seiner Einkehr in die Tonika ein sanftes Ende.

  • Lied 34: „Und steht Ihr früh am Morgen auf“

    Und steht Ihr früh am Morgen auf vom Bette,
    Scheucht Ihr vom Himmel alle Wolken fort,
    Die Sonne lockt Ihr auf die Berge dort,
    Und Engelein erscheinen um die Wette
    Und bringen Schuh und Kleider Euch sofort.

    Dann, wenn Ihr ausgeht in die heil´ge Mette,
    So zieht Ihr alle Menschen mit Euch fort,
    Und wenn Ihr naht der benedeiten Stätte,
    So zündet Euer Blick die Lampen an.

    Weihwasser nehmt Ihr, macht des Kreuzes Zeichen
    Und netzet Eure weiße Stirn sodann
    Und neiget Euch und beugt die Knie ingleichen –
    O wie holdselig steht Euch alles an!

    Wie hold und selig hat Euch Gott begabt,
    Die Ihr der Schönheit Kron´ empfangen habt!
    Wie hold und selig wandelt Ihr im Leben;
    Der Schönheit Palme ward an Euch gegeben.

    Mit ungefähr drei Minuten Vortragszeit ist dies das zweitlängste Lied im Zyklus. Nur das nachfolgende übertrifft es darin noch. Als „lang“ empfindet man es aber in gar keiner Weise. Man kann sich gar nicht satthören an diesem Lobpreis der Geliebten, der mit seinen lyrischen Bildern von einer wunderbaren poetischen Innigkeit ist, die von der Liedmusik Wolfs nicht nur aufgegriffen, sondern sogar noch intensiviert und gesteigert wird. Alle Bilder folgen dem Morgen der Geliebten, so wie das lyrische Ich ihn sich imaginiert und sich dabei in eine engelhafte Verklärung dieses weiblichen Wesens hineinsteigert.

    Morgendlich artikuliert sich dementsprechend auch das Klavier mit seinen glockenhaft wirkenden Achtelfiguren, in denen sich zwischen Bass und Diskant ein klanglich überaus reizvolles, weil terzen- und sextenbetontes Auf und Ab ereignet, das sich im Wechsel der Tonarten in immer neuen Klangfarben präsentiert, um dann schließlich in die statische Klanglichkeit lang gehaltener und z.T. auch arpeggierter Akkorde zu münden.


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