SCHUMANN, Robert Alexander: SZENEN AUS GOETHES FAUST

  • Robert Alexander Schumann (1810-1856):


    SZENEN AUS GOETHES FAUST

    Oratorium (auch als Chor-Sinfonie benannt) in drei Teilen

    Textzusammenstellung aus Goethes Tragödien I und II vom Komponisten


    Uraufführung des dritten, zuerst vertonten Teils (Fausts Verklärung) am 25. Juni 1848 im Coselpalais Dresden vor geladenen Gästen unter Schumanns Leitung

    Anlässlich von Goethes 100. Geburtstag am 29. August 1849 wurde „Fausts Verklärung“ mit umgearbeitetem Schlusschor in drei parallel veranstalteten Konzerten aufgeführt, und zwar in Dresden unter Schumanns Leitung, in Leipzig unter Julius Rietz, und in Weimar unter Liszt

    Am 30. Januar 1859 fand eine Privataufführung im Haus der Sängerin Livia mit Johannes Brahms am Klavier statt

    Die erste vollständige Aufführung erfolgte am 14. Januar 1862 im Kölner Gürzenich unter der Leitung von Ferdinand Hiller



    DIE PERSONEN DER HANDLUNG


    Faust (Bariton)

    Pater Seraphicus (Bariton)

    Doctor Marianus (Bariton)

    Margarethe, Gretchen (Sopran)

    Una poenitentium (Sopran)

    Böser Geist (Bass)

    Mephistopheles (Bass)

    Pater Profundus (Bass)

    Ariel (Tenor)

    Pater Ecstaticus (Tenor)

    Sorge (Sopran)

    Martha (Sopran)

    Not (Sopran)

    Magna Peccatrix (Sopran)

    Mangel (Alt)

    Mulier Samaritana (Alt)

    Mater Gloriosa (Alt)

    Schuld (Alt)

    Maria Aegyptiaca (Alt)



    INHALTSANGABE


    ERSTER TEIL

    Eine umfangreiche Ouvertüre, feierlich-langsam beginnend und in einen Allegro-Teil mündend, spiegelt das Seelenleben von Faust wieder, sein Grübeln, Suchen und Ringen um die Wahrheit, aber auch die Widersprüche seines Wesens musikalisch aufzeigend.


    Die erste Begegnung zwischen Faust und Gretchen ist ein Duett, das musikalisch eine Idylle vorzeichnet: Sie zupft die Blätter einer Blume und singt

    Er liebt mich - liebt mich nicht - liebt mich - Nicht - liebt mich - Nicht --- liebt mich!

    Faust, überwältigt von ihrem Liebreiz, bestätigt überschwänglich seine Liebe zu ihr. Als Mephisto, zur Eile drängend, und Marthe hinzukommen, erhält die Musik einen buffonesken Zug.


    Gretchen ist alleine und wendet sich - zu wehmütiger Musik - dem Bild der Muttergottes zum Gebet zu:

    Ach neige / Du Schmerzensreiche, / Dein Antlitz gnädig meiner Not! (…)

    der am Schluss einem dramatischen Fortissimo-Ausdruck weicht:

    Hilf! Rette mich vor Schmach und Tod!

    Ach neige / Du Schmerzensreiche, / Dein Antlitz gnädig meiner Not!


    Die Dramatik wird in der anschließenden Dom-Szene nochmals gesteigert. Zu den Klängen des chorischen „Dies irae“, das Gretchens Ängste weiter schürt, flüstert ihr der „Böse Geist“ ein, dass sich die Menschen von ihr abwenden werden, weil sie unrein geworden sei. In dieser Szene gaukelt Schumann dem Zuhörer Orgelklänge vor, die in Wirklichkeit durch die Bläser des Orchesters erzeugt werden. Das Dombild wird mit einer beeindruckenden Wucht jenes imitatorischen vollen Orgelwerks abgeschlossen.



    ZWEITER TEIL

    Im Mittelpunkt steht Faust, der sich zunächst noch als Strebender erweist, sich im weiteren Verlauf der Szene aber vollenden wird. Leben und Tod stehen dicht beieinander.


    Zunächst eröffnet Ariel, begleitet von lieblichen Harfenklängen, diesen zweiten Teil, dem jede Düsternis des vorangegangenen Beginns fehlt, mit Elfenzauber. Danach verkündet er den „Sturm der Horen“, den Aufzug eines neuen Tages, und die Elfen ziehen sich zurück.


    Der in einer „anmutigen Gegend, auf blumigen Rasen gebettet“ aus dem Schlaf erwachende Faust begrüßt den beginnenden Tag mit frohen Worten

    Des Lebens Pulse schlagen frisch lebendig…

    die eine tiefempfundene Naturverbundenheit ausdrücken, und Schumann schreibt dazu eine schlichte, liedhafte Musik, in der tonmalerische Effekte kaum vorkommen. Fausts langer Monolog ist zweigeteilt: Im ersten, einer Sonnenbetrachtung, fallen irisierende Passagen der Violine zu Fausts Ausruf „Sie tritt hervor“ auf. Der zweite Teil gilt der Betrachtung eines pulsierenden Wasserfalls, der in ihm höchstes Entzücken hervorruft und zu einer tiefen Erkenntnis führt:

    Am farbigen Abglanz haben wir das Leben. / So bleibe denn die Sonne mir im Rücken!


    Es sind „vier graue Weiber“, die nun für einen tiefgreifenden Stimmungswechsel sorgen: Not, Mangel, Schuld und Sorge stehen um die Mitternacht vor dem Schloss des alt gewordenen Faust. Aber ihre Versuche, zu ihm vorzudringen, gelingen nicht, nur die Sorge schafft es durch das Schlüsselloch zu Faust. Sie macht ihm, dass seine Zeit abgelaufen ist. Zwar wehrt sich Faust, will der Sorge Macht nicht anerkennen. Sie aber haucht ihn an und er erblindet:

    Erfahre sie, wie ich geschwind / Mich mit Verwünschung von dir wende!

    Die Menschen sind im ganzen Leben blind, / Nun, Fauste, werde du's am Ende!


    Dieser Teil endet mit dem Tode Fausts. Ein Chor der Lemuren*, aus Alt- (Schumann verlangt „nach Möglichkeit“ Knabenstimmen) und Tenorstimmen zusammengesetzt, der von düsteren Trompeten- und Posaunenklängen begleitet wird, singt eine banale Melodie während sie auf Befehl von Mephisto ein Grab ausheben. Faust empfindet das Klingen der grabenden Spaten als Musik des Lebens: Da werden, meint er, Dämme gegen das ungestüme Meer gebaut oder neues Land für Menschen gewonnen. Mephisto wundert sich:

    Man spricht, wie man mir Nachricht gab, / Von keinem Graben, doch vom Grab.

    Faust bildet sich ein, den größten Augenblick seines eigenen Daseins zu erleben und bekennt:

    […] Das ist der Weisheit letzter Schluss: / Nur der verdient sich Freiheit wie das Leben, / Der täglich sie erobern muss. […]

    Zum Augenblicke dürft ich sagen: / Verweile doch, du bist so schön! / Es kann die Spur von meinen Erdentagen / Nicht in Äonen untergeh‘n!

    (*in der Antike die ruhelosen Geister aller Verstorbenen)


    Faust befindet sich offensichtlich in einem Hochgefühl des Glücks, aber Mephisto sorgt für Klarheit, indem er festhält, dass der, der ihm so lange widerstand, nun im Sande liegt und dessen Lebensuhr stillsteht. Er sagt (und der Chor wiederholt es): „Es ist vollbracht.“



    DRITTER TEIL

    Dieser letzte Abschnitt ist zweifellos der gewichtigste des Oratoriums, in dem der Chor bedeutende Aufgaben zu erfüllen hat. Der Hinweis im Libretto auf eine waldige und felsige Gegend, in der Eremiten ein frommes, verklärtes Dasein leben, muss der Dichter als eine Art Vorhof der allerhöchsten Wonnen in himmlischen Sphären verstanden haben. Es ist aber zugleich jener Bereich, in dem Goethes Sprache sich mehr und mehr dem Verständnis vieler Leser - und Hörer - entzieht. Schumann, diesen Eindruck vermittelt seine Komposition, muss ihn verstanden haben, denn er komponiert eine dem Text gleichrangige Musik. So beginnt der Chor im ersten von drei unterschiedlichen Komplexen mit der pastoralen Schilderung der Himmelslandschaft durch die Anachoreten*, denen die Patres ecstaticus, profundus und seraphicus mit ihren zum Teil fließenden, dann wieder auf- und abwogenden Begleitfiguren der Streicher oder auch bei Pater seraphicus und dem Chor der seligen Knaben mit gleichförmig mensurierten Melodien antworten.

    (*Fromme, zu Heiligen gewordene Eremiten.)


    Danach kommt eine Gruppe von Engeln („in der höheren Atmosphäre, das Unsterbliche von Faust tragend“) und verkündet

    Gerettet ist das edle Glied / Der Geisterwelt vom Bösen:

    Wer immer strebend sich bemüht, / Den können wir erlösen.

    Diesem leidenschaftlichen Chorsatz, die Rettung von Fausts Seele beschreibend, setzen die jüngeren Engel ein poetisches Bild von himmlischen Rosen entgegen, die sie aus den Händen „liebend-heiliger Büßerinnen“ entgegengenommen haben. Dieses Geschehen versetzte alle „Geister des Abgrunds“ mit dem „alten Satansmeister“ an der Spitze in schwere Pein. Das Resümee jener jüngeren Engel ist schlicht und einfach „Jauchzet auf! Es ist gelungen!“


    Es folgt ein vielgliedriger, fließend gestalteter Chorsatz, von den „vollendeten Engeln“ und den „seligen Knaben“ abwechselnd gesungen, dem sich eine kontrastierende Moll-Episode anschließt, die wiederum zum vollen Engel-Chor mit dem bereits zitierten Spruch „Gerettet ist das edle Glied“ überleitet. Hierzu greift Schumann auf das künstlerische Mittel der Fuge zurück, die von einem beeindruckenden Orchestersatz begleitet wird.


    Mit dem Gesang des Doktor Marianus beginnt die letzte, sehr auf Mystik aufgebaute Szene dieses Dramas: Die Verklärung Fausts und seines geliebten Gretchens. Begleitet von den geteilten Celli wendet sich Faust an die Muttergottes mit einer wahrhaft einfachen Melodie, die der Chor unverändert aufnimmt. Die sich anschließenden Worte der drei Büßerinnen sind nur ein kurzer Moment des Innehaltens, ehe Gretchens Solo

    Neige, du Ohnegleiche,, du Strahlenreiche, dein Antlitz gnädig zu meinem Glücke

    in einen Chorsatz übergeht, der von den jungen Stimmen der „Seligen Knaben“ und dem Alt der „Mater gloriosa“ bestimmt ist, und einen berührenden Kontrast bildet. Danach resümiert der „Chorus mysticus“

    Alles Vergängliche / Ist nur ein Gleichnis; / Das Unzulängliche, / Hier wird's Ereignis;
    Das Unbeschreibliche, / Hier ist's getan; / Das Ewig-Weibliche / Zieht uns hinan.

    Es ist ein achtstimmiger Doppelchor, in dem die Klangwelt Palestrinas aufscheint, die Robert Schumann in jener Zeit kennengelernt hatte. Die Erstfassung dieses Schlusschores hat er als zu „weltlich“ später verworfen und einen neuen Satz entworfen, der mehr mystisch-lyrisch endet.



    INFORMATIONEN ZUM WERK


    Das hier vorgestellte Werk hat Schumann lange, von 1837 bis 1853, dem Jahr der Vollendung der Ouvertüre, beschäftigt. Einzelheiten über die Aufführungsgeschichte sind unter dem Titel oben vermerkt. Ohne einen Gesamtplan zu haben, setzte Schumann die Komposition weiterer Szenen fort. Dem Vorschlag von Franz Liszt, dem Werke eine Ouvertüre voranzustellen, folgte er zunächst nicht, sondern arbeitete nach seinem Umzug nach Düsseldorf die Vokalteile weiter aus, erstellte einen Klavierauszug und schrieb dann die Ouvertüre. Diese überreichte er am 13. September 1853 seiner Frau Clara zum Geburtstag.


    Dass die Erstaufführung des vollständigen Werkes erst am 14. Januar 1862 im Kölner Gürzenich unter Ferdinand Hiller stattfand, dürfte mit dem Rücktritt Schumanns vom Amt des Düsseldorfer Musikdirektors und der kurz darauf erfolgten Unterbringung in der Nervenheilanstalt Endenich zusammenhängen.


    Da der Komponist aus den geschilderten Gründen dem Werk keine Opuszahl mehr geben konnte, erhielt es die W(erk) o(hne) O(pus)Zahl 3.



    © Manfred Rückert für den Tamino-Oratorienführer 2020

    unter Hinzuziehung des Librettos

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  • Diskographische Hinweise


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