Dr. Pingel´s Chorbuch

  • Vorwort

    In diesem Chorbuch werden Stücke versammelt, die ich als Chorsänger schon gesungen habe. Dabei wird es keinen Unterschied geben zwischen Kirchenchor, Schola, Männerensemble und Vokalensemble. Es wird auch keinen Unterschied nach Jahrhunderten geben. Ars nova, Polyphonie, Barock, Klassik, Moderne Klassik, Moderne (hier z.B. ein "Agnus Dei" von Penderecki, der heute - 29.3.2020 - gestorben ist).

    Ich werde die Stücke YouTube entnehmen, wobei nicht gesagt ist, dass wir beim Singen die gleiche Qualität hatten. Zu jedem der Stücke habe ich die Noten oder die Noten laufen bei YouTube praktischerweise mit. Der Sinn ist, mit Noten die Stücke wieder aufzufrischen; das geht nur, wenn man mitsingt (Home Office in besonderer Art). Die großen Chorwerke (Bach, Händel, Schütz) werden irgendwann auch drankommen, dann aber nicht in ganzer Länge, sondern in markanten Ausschnitten (nur Chöre). In der Johannespassion wären das die Chöre "Kreuzige, kreuzige", "Weg mit ihm, kreuzige", "Lasset uns den nicht zerteilen" und der Schlusschor "Ruhet wohl, ihr heiligen Gebeine"; im "Messias" "Durch seine Wunden sind wir geheilet". Dieser Chor bereitet vielen Laienchören Mühe, weil er im älteren Stil der Polyphonie geschrieben ist, den diese Chöre so gut wie nie gesungen haben. Sowieso ist das Singen polyphoner Musik sehr hilfreich für die Bewältigung von Schütz, Händel und Bach.


    William Byrd, Ne irascaris domine/civitas sancti.


    Schönheit lässt sich gerne lieben...

    (Andreas Hammerschmidt,1611-1675)

  • Byrd "Ne irascaris" und "Civitas sancti" (Fortsetzung)


    Dieses Werk ist hier schon öfter vorgestellt worden, etwa auch von Michael Müller. Die drei besten Aufnahmen sind die von "Voces8" (Sopran 2, Altus 2, Tenor 2, Bass 1, Bass2); eine schlackenlose, intensive, aber zurückgenommene Aufnahme, deren Grundton Resignation ist. Dann "Stile antico" in größerer Besetzung; hier ist der Grundton Verzweiflung, daher ist die gesungene Emotion stärker als bei Voces8.

    Das dritte sehr gute Ensemble wird oben vorgestellt.

    Ein Ensemble wäre noch zu nennen, ein Chor aus der Kathedrale in Durham; dort kann man das Stück anhand der laufenden Noten verfolgen. Auch in großer Besetzung klingt hier das Stück sehr gut, ein weiterer Beweis für die Qualität englischer Chöre.

    Dazu dann noch die vielen Versuche, die eigentlich in die "Abteilung YouFail gehören; so furchtbare Aufnahmen, dass ich sie hier nicht zu Ehren bringen will.

    Der Text bezieht sich auf den Fall Jerusalems 586 (ante) und die Babylonische Gefangenschaft. Dazu habe ich ein eigenes Thema hier im Forum verfasst (Titel: "Jerusalem 586 ante").

    Wir haben das Stück Karfreitag 2019 mit unserem kleinen Männerensemble aufgeführt, ergänzt durch 2 Soprane (keine Angst, es findet sich nicht bei YouTube). Leider war es die letzte Aufführung unseres Männerensembles, das sich aufgrund persönlicher Schicksalsschläge auflösen musste. Übrigens sollte man ein Männerensemble nicht mit einem Männerchor verwechseln.

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    (Andreas Hammerschmidt,1611-1675)


  • Tamino monteverdi fragte nach der schönsten Vertonung des Agnus Dei. Meine Wahl fiel auf die beiden "Agnus Dei" aus der "Missa Papae Marcelli" von Palestrina. Die Messe markiert einen Wendepunkt in meiner Chorkarriere vom Kirchenchor zum Vokalensemble. In diesem Ensemble (Vokalensemble Fulerum, Essen) brachten unsere beiden Leiter eines Tages die missa papae Marcelli mit. Der Sage nach war das die Mustermesse, die Palestrina auf dem Tridentiner Konzil vorgelegt haben soll. Das Ziel: wieder größere Schlichtheit und Textverständlichkeit der Messe. Pfitzner hat dieses Sujet zu einer großartigen Oper gemacht, eine meiner Lieblingsopern (also auf Janacek-Höhe).

    Die ersten Sätze der Messe lösten bei uns ein ehrfürchtiges Staunen aus, wie man so wunderbare Musik komponieren konnte; und wir kannten viel Chormusik (Schütz, Bach). Die beiden agnus dei aber machten uns sprachlos. Wir haben dann lange daran geübt, manchmal bis zu drei Stunden, ohne dass jemand gemeutert hätte. Dann haben wir die Messe oft aufgeführt, einmal sogar als Messteile in einer regulären katholischen Messe.

    Für mich war es der "Beginn einer wunderbaren Freundschaft". Faszinierend war jetzt, eine richtige Stimme zu singen, gleichberechtigt mit allen anderen. Dabei ist etwa zwischen Tenor 1 und Tenor 2 kein Unterschied in der Wertigkeit Am Anfang ist das nicht leicht, weil man nicht rauskommen darf.

    Unser Ensemble hatte als Grundlage, dass wir immer an einem langen, schweren Stück geprobt haben, möglichst aus der Alten Musik. Es ist fazinierend, dabei zu sehen, wie aus dem anfänglichen Lernen der Töne richtige Musik und dann eine überzeugende Interpretation wird.

    Leider konnte ich nicht herausfinden, welches Ensemble hier singt, es trotzdem großartig (ich tippe auf England, z.B. auf die Tallis Scholars).

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    (Andreas Hammerschmidt,1611-1675)

  • Das 2. Agnus Dei, mit dem Text dona nobis pacem ist genauso ergreifend. Die Stimmen sind anders verteilt: S 1, S 2, A 1, A 2, T, B 1, B 2 (7stimmig)


    agnus dei II

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    (Andreas Hammerschmidt,1611-1675)

  • Penderecki Agnus Dei


    agnus dei



    Ein sehr bekanntes, aufregendes Agnus Dei schrieb K. Penderecki (gest. 29.3.2020) zum Tode seines Freundes, Kardinal Wyszynski, im Jahr 1981. Es wurde später ein Teil seines "Polnischen Requiems". Uraufgeführt unter Leitung des Komponisten wurde es 1982 in Nürnberg anlässlich der Orgelwoche, gesungen vom Chor des Süddeutschen Rundfunks. Wir (das Vokalensemble Fulerum, Essen) waren der 2. Chor in Deutschland. Es war schon ziemlich schwer. Es fängt klassisch-ruhig an, steigert sich dann bis zu einem Cluster (in der Regel bei 4'00''). Da hat jeder Sänger seinen eigenen Ton, den er mehr oder weniger trifft. Bei mir es eher weniger und bei jeder Aufführung ein anderer! Ideal war, dass eine solche Abweichung auch von unserer Dirigentin mit ihrem absoluten Gehör nicht zu kontrollieren war. Bei YouTube gibt es jede Menge Fassungen. Bei einem Chor gibt es die etwas groteske Szene, dass alle bis auf 4 auswendig singen. Tabu!

    Dieser von mir ausgewählte Chor ist der klangschönste, auch wenn ich nicht weiß, wer oder was Hover ist.

    Zum Tode seines Freundes Rostropovitch (Cellist!) arbeitete Penderecki das Werk für 8 Celli um. Es ist fast noch besser als das Chorstück, ist aber keins und passt deshalb hier nicht. Bei YouTube kann man es hören.

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    (Andreas Hammerschmidt,1611-1675)

  • Samuel Barber Adagio for Strings - Agnus Dei


    Vlaams Radiokoor


    Dieses Agnus Dei von Samuel Barber geht zurück auf ein Adagio for Strings von 1936, eine Zweitverwertung also, allerdings eine gelungene. Es ist für gemischten Chor, der ab und zu in mehrere Stimmen aufgeteilt wird. Diese Fassung stammt aus dem Jahr 1967. Dieses Stück ist ganz Klang, der Text wird vorausgesetzt. Für einen Chor erfordert das große Disziplin. Die beste Aufnahme bei YouTube stammt diesmal nicht von Voces8, sondern vom Vlaams Radiokoor unter Marcus Creed. Marcus Creed war lange Jahre Leiter des Rias-Kammerchores, bevor er nach Stuttgart wechselte.

    Besonders an dieser Aufnahme ist, dass der Chor tatsächlich so genau und klangschön singt als wäre er ein Streichorchester. In dieser Perfektion (die Aufnahme entstand 2015) gehört er in die oberste Liga mit Voces8, Hesperion XXI oder Tenebrae.

    Dieses Stück ist oft als Filmmusik gebraucht worden, auch bei den Simpsons. Besonders gefragt ist es als Trauermusik, etwa bei den Beerdigungen von Roosevelt, John F. Kennedy, Grace Kelly, Albert Einstein, sowie zu den Feiern zu Nineeleven.

    Interessant fand ich bei diesem Chor die Aufstellung. Die Frauen vorne (13), die Männer hinten (11): die ideale Stärke sogar für große Werke, nicht die Matthäuspassion, aber die Johannespassion. Es handelt sich um Profis, da singt jeder für zwei. Dazu wird hier im Sitzen gesungen. Ich habe es bei mir selber gemerkt, wie sehr das lange Stehen und das Halten der Noten die physische Kraft schwächt, die man bei längeren Chorwerken unbedingt braucht. Sonst tritt eine Kurzatmigkeit ein, die den Klang nicht gerade verschönert. Dazu für jeden ein beleuchtetes Pult, sodass man die Noten nicht halten muss, was oft auch Verkrampfungen auslöst. Das sind alles Dinge, die der Zuhörer nicht wahrnimmt, aber für jeden Chorsänger essentiell sind, vor allem im vorgerückten Alter.

    Wir haben dieses Stück 2018 gesungen. Von den Tönen ist es nicht schwer, aber die lang auszuhaltenden Werte und die Dynamik sind sehr anspruchsvoll.

    Die hier vorliegende Aufnahme: Vlaams Radiokoor unter Marcus Creed (2015).


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    (Andreas Hammerschmidt,1611-1675)

  • Palestrina: Stabat Mater


    Ein Klassiker der katholischen Liturgie und der Vokalpolyphonie, wobei hier eher die akkordische Verarbeitung eingesetzt wird. Wir haben das Stück (1990) etwa in der gleichen Besetzung wie hier (Tallis Scholars) gesungen, also 2 vierstimmige Chöre in getrennter Aufstellung, jede Stimme in Doppelbesetzung. Hier ist schon deutlich sichtbar, wie der Komponist mit dem Einsatz jedes Chores spielt und besondere Wirkung erzielt, wenn beide zusammen singen. Heinrich Schütz hat diese Technik dann zur Meisterschaft gebracht.



    Ich habe noch eine Video-Aufnahme des Chores des Clare Colleges Cambridge, in dem unser abtrünniges (:pfeif:) Mitglied gombert gesungen hat. Auf dieser DVD wirkt er allerdings nicht mit.

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    (Andreas Hammerschmidt,1611-1675)

  • Johannes Brahms: Warum ist das Licht gegeben dem Mühseligen (Motette)


    Neben Bach und Schütz ist Brahms der große Heilige der evangelischen Chormusik. Ich weiß nicht, wie oft und was ich von Brahms alles gesungen habe. Brahms ist für mich der bedeutendste Chorkomponist des 19.Jahrhunderts. In verschiedenen Positionen als Musikdirektor hatte er viel Chormusik zu dirigieren - und hat sie dann gleich selbst komponiert. Die obige Motette ist für mich auch die beste Chorkomposition des 19. Jahrhunderts, was nicht stimmen muss. Der erste Satz beginnt mit einer Fuge, hinter der der Schatten Bachs steht. Dieser Satz ist sehr dicht und nicht leicht zu singen. Die anderen Sätze "baden" in Wohlklang. Das Stück schließt mit einem Choral in bester bachischen Tradition. Meine Lieblings-Komposition von Brahms ist die erste Reihe der "Liebesliederwalzer", dann aber kommt schon "Warum". Bei YouTube gibt es Aufnahmen, die mit Noten versehen sind, dazu Aufnahmen berühmter Chöre. Sehr erfreut war ich von einer Aufnahme des WDR-Rundfunkchores unter Peter Dijkstra. Dieser Chor hat sich verjüngt und ist wieder konkurrenzfähig geworden. Für YouFail gibt es hier nichts zu melden, höchstens der Versuch eines kleinen Ensembles. Aber mit drei Sopranen und einem einzigen Mann (!) im Alt kann man das Stück nicht aufführen.

    Ich habe einen sehr guten Chor aus New York ausgewählt, der nicht nur ausgezeichnet singt, sondern auch keine Mühe mit der deutschen Sprache hat. Der Text wird weiter unten in deutsch und englisch zitiert.



    Kleine Pointe: Wie erzielt ein Chorkomponist ein wirkliches Piano? So wie Brahms in den letzten Takten des ersten Satzes dieser Motette: Soprano tacet!8-)

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    (Andreas Hammerschmidt,1611-1675)

  • Thomas Tallis: Lamentationes Jeremiae (1-2)


    Eins meiner absoluten Lieblingsstücke. Ich hatte das Glück, es in meiner "Karriere" 3x singen zu können. In der Stimmverteilung gibt es 2 Tenöre oder 2 Alte, je nach Vorhandensein der Sänger. D.h., dass der 2. Alt auch vom 2. Tenor gesungen werden kann. Bei meiner 2. Aufführung im Dom zu Wesel habe ich dann zusammen mit Altstimmen den 2. Alt gesungen, was ich heute nicht mehr könnte.

    Alle Informationen zu diesem Stück findet ihr auf meiner Seite "Jerusalem 586 ante". Leider hat der Link nicht geklappt, aber mit der Suchfunktion unter dem Stichwort (fett) findet ihr es.














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    (Andreas Hammerschmidt,1611-1675)

  • Der Messias - wiederbelebt

    Ich habe den Messias einige Male gesungen, in verschiedenen Chören. Es waren immer unterschiedliche Stücke, weil der Messias in protestantischen Laienchören sehr beliebt ist, auch wenn deren Vermögen oft nicht ausreicht. Dazu kommen oft einige Solisten, das Orchester der nächsten Stadt verdient sich sein Zubrot und der örtliche Kantor hat seinen Auftritt, von dem er noch den Enkelkindern erzählt. Es gibt aber auch sehr kompetente Aufführungen.

    Ich habe nachgedacht, wie ich den Messias heute aufführen würde!

    1. Englischer Text

    2. Kleine, ausgewogene Chorbesetzung (unter 30)

    3. Kleines Orchester mit Barockinstrumenten

    4. Die Solisten singen alle Chöre mit

    5. Insgesamt rasche Tempi, jedoch nicht gehetzt


    Im Grunde sind das die Kriterien, die die großen Dirigenten der Alten Musik wie selbstverständlich verwenden.

    Beim Suchen in YouTube wurde ich fündig. Ich las "Akademie für Alte Musik" und "Voces8" (verstärkt). Der kritische Chor (nach Dr. Pingel´s Rasiermesser) ist "Durch seine Wunden sind wir geheilet". Dieser Chor ist noch stark polyphonisch und daher für viele Amateurchöre schwer zu singen.

    Alle die obigen Punkte waren in der zitierten Aufnahme erfüllt; dazu wurde es in einer englischen Kirche vor Publikum aufgezeichnet.


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    (Andreas Hammerschmidt,1611-1675)

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  • Stabat mater

    Dieses lateinische Gedicht stammt aus dem Mittelalter (13.Jh.); die Verfasserschaft ist ungeklärt. Es schildert die Szene der Mutter Jesu unter dem Kreuz. In lateinisch war das Gedicht Teil der Liturgie in der katholischen Messe, wurde dann vom 2. Vaticanum verbannt, gehört heute wieder dazu. Die unterschiedlichen Textfassungen müssen uns hier nicht interessieren. Von der Musik ist es einer der Klassiker der geistlichen Kompositionen, beginnend schon bei Josquin.

    Mein liebstes "Stabat Mater"ist sehr berühmt, es ist das von Palestrina (für Doppelchor). In meiner Zeit im Vokalensemble Fulerum haben wir besonders gerne die "Missa Papae Marcelli" und die "Missa de beata vergine" von Palestrina gesungen. Da bildete dann das "Stabat Mater" den krönenden Abschluss.

    Ein paar Jahre später folgte das ebenso berühmte "Stabat Mater" von Alessandro Scarlatti.

    Hier vorstellen möchte ich allerdings die berühmteste Komposition dieses Textes, nämlich die von Pergolesi. Pergolesis Leben war kurz, von 1710 bis 1736. Er hat so viele Kompositionen geschaffen, wie er gar nicht schreiben konnte. D.h. ihm wurden viele Werke zu geschrieben. Eine meiner liebsten Kompositionen von Strawinsky ist die "Pulcinella-Suite" nach Motiven von Pergolesi (am schönsten sind die Aufnahmen, bei denen Sänger mitwirken), auch wenn die originalen Melodien nicht von Pergolesi stammen.

    Es gibt natürlich vom "Stabat Mater" sehr viele Aufnahmen. Meine Lieblingsaufnahme ist ohne Fehl und Tadel, sowohl von den Instrumentalisten wie von den Sängern. Es ist eine Live-Aufnahme aus der Chapelle de la Trinité im Chateau de Fontainebleau.

    Es singen Philippe Jaroussky, zu dem ich nichts sagen muss, und die Ungarin Emöke Barath, eine der besten lyrischen Soprane in Europa, wovon ich mich 2019 in der Essener Philharmonie überzeugen konnte.

    Die Instrumentalisten sind "Orfeo 55", eine von der berühmten Sängerin Dirigentin Nathalie Stutzmann gegründete und geleitete Formation. Aus finanziellen Gründen wurde dieses Ensemble 2019 aufgelöst.

    Aber die traumhaft schöne Aufnahme des Pergolesischen "Stabat Mater" bleibt uns erhalten.


    https://www.youtube.com/result…si+stabat+mater+stutzmann

    (für die Musik bitte anklicken)

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    (Andreas Hammerschmidt,1611-1675)

  • Neues vom Weihnachtsoratorium, Teil 1, Kantaten 1-3


    Vor einiger Zeit schalte ich das Radio ein; dort wurde ein mir unbekanntes Bach-Werk gespielt, "Hercules am Scheidewege". Beim Hören merkte ich sofort, dass ich das Stück, bis auf ein paar Ausnahmen, durchaus kannte. Es waren große Teile des Weihnachtsoratoriums, allerdings mit schrägeren Texten.

    Ich habe das Weihnachtsoratorium ein paar Mal gesungen, meist die Kantaten 1-3. Das ist nun die große Crux. Die Hörer wollen nur 1-3 hören und darum wird auch nur 1-3 gespielt, weil sonst der finanzielle Ruin droht. Nur einmal habe ich 5 und 6 singen können, das war ein großes Erlebnis.

    Das Virus hat leider auch meine Weihnachtspläne für das Weihnachtsoratorium zunichte gemacht. Seit ein paar Jahren gibt es am 2. Weihnachtstag in der Essener Philharmonie das "Weihnachtsoratorium zum Mitsingen". Die Sänger, nach Stimmen sortiert, im Parkett, die Hörer im Rang, wobei man sich fragt, ob die bei solchen Sängermassen das Stück wiedererkennen. Dazu ein kleines Orchester mit alten Instrumenten und tüchtige Solisten. Vorher eine Stunde Probe, am Eingang gibt es Stimmen, die aber kaum einer braucht, denn vorher sieht man Karawanen mit dem berühmten blauen Klavierauszug der Philharmonie entgegen strömen. Früher haben wir ja alles aus Stimmen gesungen, wo nur die eigene Stimme drauf war, allerdings mit Anschlüssen und Pausen. Heute aber trägt der gewiefte Chorsänger den Klavierauszug unter dem Arm, damit er auch monieren kann, wenn der Solo-Bass einen Triller versemmelt.

    Bei der Probe vorher stellte sich schnell heraus, dass es so ist wie immer. Ob Chöre oder Vokalsolisten, selbst, wenn man die nicht kennt, immer gilt Folgendes: der Sopran ist immer exzellent (bei mehreren Sopranen die auch), wenn er auch von der Optik nicht so sehr zur hier angesagten Züchtigkeit neigt. Der Alt ist entweder sehr gut oder mindestens Durchschnitt, was auch für den Bass gilt, wobei die Chorbässe oft sehr gut sind. Tenor, meine Stimme, ist in der Regel zum Darniederknien - vor Scham oder weil man aus Frust in den Teppich beißen möchte. Beim Einsingen kam dies heraus: das Weihnachtsoratorium ist nicht schwer zu singen, weil es für den Chor vor allem aus Chorälen besteht. Der Eingangschor ("Jauchzet, frohlocket") ist nur am Anfang schwer. Richtig vertrackt ist aber der Chor "Ehre sei Gott". Den haben wir Tenöre in Essen regelmäßig in den Sand gesetzt, und das in Probe wie Aufführung.

    Neu ist übrigens, dass am Ende der dritten Kantate nicht "Herr, unser Herrscher, erhöre das Lallen" (da waren wir im Tenor gemeint) wiederholt wird, sondern "Jauchzet, frohlocket". Noch ein kleiner Gag: den Chor "Lasset uns nun gehen gen Bethlehem" darf der Tenor initiieren, und wenn er es richtig singt, ist es genau wie "Alle meine Entchen"! Kein Witz!

    In diesem Jahr hatte ich geplant, die 11jährige Tochter von Freunden mitzunehmen, die so gut singt, dass sie schon den Elias im Sopran mitaufgeführt hat.

    Statt des Ausflugs bekommt sie jetzt die Gesamtaufnahme, die meine Lieblings-und Referenzaufnahme ist, die bei unseren unzitierbaren Vertrieben auch preiswert zu bekommen ist.

    Es ist die Aufnahme mit Concerto Köln, dem Frankfurter Vokalensemble (frische, junge, bewegliche Stimmen), dazu die Solisten Ruth Ziesak (s), Monica Groop (a), Christoph Prégardien (t und Evangelist) und Klaus Mertens (b). Leiter ist Ralf Otto, der an der Musikhochschule Essen-Werden Professor für Chormusik war und jetzt in Mainz lebt.

    Auf Ottos Referenzaufnahme der "Marienvesper" komme ich noch zurück.


    Nachtrag (24.12.,1.00 Uhr) Gerade geht die alljährliche Aufführung des WO (1-3) in der Thomaskirche zu Ende, es muss die aus dem letzten Jahr sein, sonst gäbe es nicht die vollbesetzte Bühne und die vollbesetzte Kirche. Nachdem Gotthold Schwarz, selbst ein guter Bass, die Leitung übernommen hat, ist die Aufführung erheblich besser geworden. Schwarz fuchtelt auch nicht rum wie Biller, sondern dirigiert knapp und präzise und die Solisten manchmal überhaupt nicht, was immer ein gutes Zeichen ist. Das Gewandhausorchester spielt offensichtlich auf historischen Instrumenten, sehr klar, sehr differenziert. Von den Solisten kannte ich nur Dorothee Mields, aber anders als oben angegeben, war die Altistin, ganz jung, absolute Klasse. 1-3 sind ja das Paradepferd jeder Altistin, auch wenn Chorsänger sich diese Arien im Stehen anhören müssen, weil A - B - A einfach zu lange dauern. Da habe ich den alten Bach manchmal verflucht, obwohl der ja nicht wissen konnte, dass einst diese Weicheier seine Werke singen würden. Auch der Tenor (plus Evangelist) sang ganz vorzüglich; ich denke, in diesem Fach wird er noch Karriere machen.

    Alle Instrumentalisten und den ganzen Thomanerchor hatte man auf die Empore gepfercht. Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass das nicht gut gehen kann, weil es auf die Stimme und damit auf den Klang geht. Vor allem denkt man nicht: "Oh, wie schön ist doch der Bach", sondern: "wann komme ich heil hier wieder raus?" Auch wenn die Thomaner ganz gut singen können, aber sie waren die ganze Zeit unruhig. Manches wurde unsauber gesungen, weil die Tempi z.T. viel zu schnell waren. Vor allem hat mich gestört, dass nicht nur die Knaben, sondern auch die älteren jungen Männer im Tenor und Bass so gut wie ständig auf ihre Noten blickten. Für so einen bekannten Chor ist das ein großer Mangel. Wer immer hier Chöre singen sieht, achte darauf, wie die Sänger die Noten halten. Auswendig singen ist nicht erforderlich, aber man hält die Noten fast waagerecht vor sich, um einen Überblick zu behalten, was dran ist. Ansonsten muss man den Dirigenten konzentriert ansehen, was besonders bei allen Übergängen notwendig ist, also, wenn eine neue Sequenz an der Reihe ist. Wenn man das nicht macht, droht der Dirigent schon mal mit Folter, was in diesem Fall drei Stunden Probe statt 2 heißt. Vorbildlich ist in diesem Fall der holländische Chor in #6.

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    (Andreas Hammerschmidt,1611-1675)

    7 Mal editiert, zuletzt von Dr. Pingel ()

  • Teil 2, Kantaten 4-6


    Gerade jetzt, wo das Weihnachtsoratorium rauf und runter gespielt wird, hört und liest man immer, das Weihnachtsoratorium sei das beliebteste Werk von Bach überhaupt. Das ist z.T. richtig, zum Teil aber grundfalsch. Die Teile 4-6 sind selbst Musikkennern absolute terra incognita, wobei man sich fragt, ob sie dann noch Musikkenner sind; das aber ist ein zu hartes Urteil. Zum einen liegt die Unkenntnis daran, dass das WO niemals als ganzes aufgeführt wird (drei Stunden, also so lang wie die Mätthäuspassion), zum andern, dass man 1-3 so gut kennt, dass man einiges mitsingen kann.

    Ich habe vom Weihnachtsoratorium alle Kantaten gesungen außer 4.


    Kantate 4

    Der Anlass für diese Kantate ist der 1. Januar. Besonders ist hier die Besetzung mit Hörnern. Auch das ist ein Grund zum Streichen, denn gute Hörner kann man normalerweise nicht bezahlen.

    Nr. 36: Chor "Fallt mit Danken (Parodie von BWV 231 - 1, Lasst uns sorgen, lasst uns wachen).

    39: Sopran mit Echo-Sopran (eine sehr schöne Arie, leider gibt es im Chorsopran immer erbitterte Kämpfe, wer das Echo singen darf, denn eine zweite Solistin wird nicht verpflichtet).

    42: der Abschlusschoral (wieder mit Hörnern)


    Kantate 5

    Das Thema dieser Kantate (und der 6. auch): die Weisen aus dem Morgenland und König Herodes. Diese Kantate ist als einzige nicht für ein Fest, sondern für den normalen Gottesdienst bestimmt.

    Nr. 42: ein weiteres "Ehre sei Gott", genauso schön und genau so schwer wie das erste.

    Nr. 49: Rezitativ (Accomp.), ein Streichertremolo schildert das Zittern des Herodes.

    Nr.51: Terzett (S,A,T) und Violine solo. Sopran und Tenor beklagen die Abwesenheit des Glaubens: "Komm, Jesu, komm" (einschließlich 50x "Ach"). Der Alt hält dagegen: im Glauben ist Jesus schon da.

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    (Andreas Hammerschmidt,1611-1675)

  • Kantate 6

    Hier geht es um Feinde, Ungläubige, Widersacher. Die Symbolfigur dafür ist Herodes.

    Die Kantate ist für Epiphanias bestimmt (6.1., auch Fest der drei Könige).

    Zu den Soli und dem Chor kommen im Orchester 3 Trompeten, Oboen und Pauke.

    Nr. 54: Chor: Herr, wenn die stolzen Feinde schnauben (volle "Kriegs"besetzung in der Musik)

    Dies war mein unbeliebtester Chor, wegen der aufgesetzten Dramatik, aber auch wegen ausufernder Fugen (ein Tenor ist keine Orgel!).

    Nr.56 - 57 Rezitativ und Arie vom Alt, der Gegner ist Herodes.

    Dies ist eine der schönsten Arien, die Bach je geschrieben hat, und davon gibt es ja einige.

    Das Besondere an ihr, dass der Anteil am Part, den die Instrumente spielen, besonders hoch ist. Im Moment ist es mein Ohrwurm (wenigstens ein gelungener, wenn ich da an andere....).

    Das Besondere an der Komposition ist der vom Sopran herausgeschleuderte Stakkato-Teil. Bach wollte wohl die Verwerfung des Herodes darstellen. Diese Arieist allerdings auch der größte Stolperstein, denn der Sopran muss das kraftvoll vortragen, aber nicht schreien. Im nächsten Teil werde ich dann drei Beispiele vorstellen, das vierte Beispiel passte nur für YouFail.

    Nr. 64: Abschluss (Choral): Nun seid ihr wohl gerochen (=gerächt)

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    (Andreas Hammerschmidt,1611-1675)

  • Teil 3 Musikbeispiel: Sopranarie im 6. Teil, Nr. 56-57

    Das erste Beispiel stammt aus Holland, wo es sehr gute Bach-Ensembles gibt. Der Leiter ist Jan-Willem de Vriend, die Solistin Lenneke Ruiten. Sie hat eine gute Stimme und macht auch keine Fehler, bis auf einen. Sie interpretiert die Arie wie in der Oper, etwa Tosca und Scarpia. Die Aggression, die durchaus in Text und Musik stecken, übertreibt sie.


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    (Andreas Hammerschmidt,1611-1675)

  • Beispiel 2: Gundula Janowitz, Karl Richter





    Hierfür fällt mir leider kein passender Text ein

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    (Andreas Hammerschmidt,1611-1675)

  • Beispiel 3, Ruth Ziesak, Ralf Ott0


    Hier ist die Einheit von Kraft, Präzision und dramatischer Gestaltung für mich am besten gelungen.


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    (Andreas Hammerschmidt,1611-1675)

  • Nachtrag 1

    Die hier oben (#18) vorgestellte CD läuft heute Abend (Samstag, 2. Weihnachtstag) in voller Länge auf WDR 3.


    Nachtrag 2

    Eine neue Gesamtaufnahme in historischer Spielpraxis ist erschienen, sie lief auf WDR 3 (der 2. Teil an Neujahr) und ist in voller Länge auf YouTube zu sehen. Es ist eine neue Aufnahme aus St. Gallen (J.S. Bach-Stiftung).



    Mich hat diese Aufnahme nur zum Teil überzeugt. Allerdings, das Orchester ist hervorragend, die Solisten und der Chor sind gut. Aber der Chor ist viel zu groß und damit viel zu laut. Auch die Tempi sind bei den Chören in Regel viel zu schnell, sehr störend vor allem im ersten Chor.

    Die Namen der Solisten konnte ich nicht eruieren.

    Unsere Arie hier wird von der Sängerin so angelegt wie hier die Sopranistin Lenneke Ruiten im ersten Beispiel singt, undifferenziert und viel zu laut.

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    (Andreas Hammerschmidt,1611-1675)

  • Israelis Brünnlein


    Die Motette "Was betrübst du dich meine Seele?" habe ich in meiner Chorlaufbahn in zwei verschiedenen Ensembles gesungen. Die Aufnahme hier stammt aus der Gesamtaufnahme von Philippe Herreweghe. Ein 5-köpfiges Ensemble unter Herreweghe hat vor einiger Zeit in der Essener Philharmonie das ganze Brünnlein aufgeführt - atemberaubend! Johann Hermann Schein war Thomaskantor; seine Sammlung hier kann man in der Qualität durchaus der "Geistlichen Chormusik" von Schütz an die Seite stellen. Schein wurde nicht alt (weniger als 50 Jahre), im Gegensatz zu Schütz, der über 80 wurde. Sie waren befreundet, und Schütz schrieb eine ergreifende Motette auf den Tod seines Freundes ("Es ist erschienen", auch diese Motette habe ich schon gesungen).

    Die Gesamtaufnahme mit Herreweghe hatte ich schon einige Zeit; nie hätte ich gedacht, dass ich das Israelisbrünnlein einmal ganz und in dieser Perfektion live hören würde.




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    (Andreas Hammerschmidt,1611-1675)

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  • Monteverdi: Ave Maris Stella (Marienvesper)


    Die ganze Marienvesper ist zu schwer für Laienensembles, aber eines der Stücke, die gut aufzuführen sind, ist dieses. Ich habe es 2x gesungen und es war ein großes Erlebnis, in die faszinierende Monteverdi-Welt einzudringen.

    Auch zitiere ich eine Aufnahme aus den USA, nämlich aus Phoenix. Der Raumklang wird schon durch die Aufstellung deutlich. Auch hier überrascht es, wie mit wenigen Sängern (unterstützt durch Mikrophone) diese Pracht erreicht wird, deren Monteverdi immer bedarf.


    Das ganze Konzert beschäftigt sich mit mit venezianischen Komponisten, "Ave maris stella" beginnt bei 14' 20''.


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    (Andreas Hammerschmidt,1611-1675)

  • Catullus, Odi et amo (Carl Orff, aus "Catulli Carmina")


    Es gibt im Forum ein Thema, in dem die "Trionfi" von Carl Orff besprochen werden: Carmina burana, Catulli Carmina, Trionfo di Afrodite. Ich besitze drei Gesamtaufnahmen, die von Franz Welser-Möst, von Smetacek (Prag) und von Herbert Kegel (Leiziger Ensembles). Wenn man nur die Carmina burana kennt, bringt man sich um noch bessere Genüsse. Hier im Forum waren wir uns einig, dass Trionfo di Afrodite das beste Stück ist, gefolgt von Catulli Carmina.

    Alle drei Stücke sind sehr anspruchsvoll, sowohl, was die Solisten als auch den Chor betrifft, dazu das Orchester mit viel Schlagwerk. Ich habe diese Stücke in der Kegelschen Aufnahme "gelernt", immer noch unübertroffen.

    Ein Chor aus den "Catulli Carmina" wird auch von Laien sehr gerne gesungen, das Catullsche Gedicht "Odi et amo".

    "Odi et amo. Quare id faciam, fortasse requiris (vielleicht fragst du mich, wie ich das mache). Nescio, sed fieri sentio et excrucior."

    Ähnlich wie ein anderer User bei YouTube habe ich nur einen einzigen Amateurchor gefunden (aus Schweden), der sich diesem Chor gewachsen zeigte. Die Noten sind einfach, aber Rhythmus, Klarheit, Einheitlichkeit und Dynamik sind absolut schwer, so schwer, dass alle bei YouTube zu hörenden Darbietungen so verheerend sind, dass es körperlich wehtut. Orff hat am Schluss ein siebenstimmiges "Ahhhhhhhhh...." zugefügt, bei dem die Titanic-Chöre endgültig untergehen. Und endlich kriegen diese Chöre bei YouTube auch mal vernichtende Kommentare. Dem Ratschlag des Kollegen Bertarido folgend zitiere ich sie hier aber nicht.

    Überflüssig zu sagen, dass "Odi et amo" bei den drei Gesamtaufnahmen, die ich habe, tadellos sind.



    Über die Zeit des Catullus hat Thornton Wilder einen Briefroman verfasst, den ich gerade lese: "The Ides of March". Der spielt in der Zeit, als Cäsar in Rom regierte, bis zu seiner Ermordung. Catullus ist hier der geniale, aber arme und seinen Leidenschaften verfallene Dichter. Er erinnert mich immer an Jakob Lenz, der von Büchner so eindringlich beschrieben wird.

    Schönheit lässt sich gerne lieben...

    (Andreas Hammerschmidt,1611-1675)

  • Israelis Brünnlein (Gli Angeli Genève)


    Weiter oben (7.1.2020) habe ich den Zyklus "Israelis Brünnlein" von Johann Hermann Schein" in einer Herreweghe-Aufnahme vorgestellt. Hier kommt er in einer anderen, nicht minder perfekten Aufnahme.

    Bei YouTube habe ich jetzt einen speziellen Algorhythmus. Da gibt es Bahnvideos, Führerstandsmitfahrten aus den Loks der entlegendsten Länder, Kabarett, dann die schönsten Tore und roten Karten aus den Amateurligen im Fußball und jede Menge Musik, und zwar sehr viel Alte Musik. Obwohl ich sehr viel kenne, gibt es immer wieder neue Überraschungen.

    Viele der großen Solisten der Alten Musik singen regelmäßig in verschiedenen Ensembles. Ich denke, dass jeder Dirigent von Alter Musik da eine umfangreiche Kartei besitzt. Ich freue mich z.B. immer, wenn ich den Namen Stephen McLeod oder Hana Blazikova lese. Aber die anderen, die ich dann nicht kenne, sind genau so gut, weil natürlich exzellente Musiker keine Lust haben, mit Stümpern zusammenzuarbeiten (und ich keine Lust, die zu hören).

    Die Aufnahme der Schein-Motetten ist eine Live-Aufführung der Gruppe Gli Angeli Genève (die ihren Namen zu Recht tragen) unter der Leitung von Stephen McLeod, der selbst als Bass mitsingt. Ich kann nur sagen: makellos. Da stimmt alles, Textverständlichkeit, Dynamik, Balance der einzelnen Stimmen, Übereinstimmung des Gesungenen mit dem Text. Besonders wirkungsvoll ist auch die dezente Begleitung einer kleinen Continuo-Gruppe.

    Besonders begeistert bin ich immer, wenn eine der vier oder 5 Motetten, die ich selbst schon gesungen habe, dabei sind. Allerdings muss ich dazu die Noten noch wiederfinden!


    Schönheit lässt sich gerne lieben...

    (Andreas Hammerschmidt,1611-1675)

  • Der Chor aller Chöre - Ruhet wohl


    Natürlich gibt es das nicht, den Chor aller Chöre. Aber fragt man Chorsänger, dann ist "Ruhet wohl" immer dabei. Und jeder sagt, dass er sich sehr zusammennehmen muss, um nicht in Tränen auszubrechen.

    Offensichtlich berühren Text und Musik ein tiefes Verständnis der Ruhe und des Trostes, aber ein Hauch des vergangenen Leidens, eine Melancholie ist auch dabei. Ich habe eine Vermutung, dass Bach selbst sehr gut wusste, was seine besten Chöre waren. Man ahnt es an der Länge, auch in der Matthäuspassion

    Den Chor habe ich nicht nach musikalischen Gesichtspunkten aus gewählt, obwohl hier nichts zu kritisieren ist. Aber die schwarz-gekleideten Jugendlichen, die da mit Ernst und Ergriffenheit musizieren, dazu in einer entsprechenden Haltung,

    das ergreift uns und "bringt auch uns zur Ruh"!


    Schönheit lässt sich gerne lieben...

    (Andreas Hammerschmidt,1611-1675)

  • Ruhet wohl - der Trailer


    Hier findet ihr den Trailer zur obigen Produktion. Es handelt sich um eine halbszenische Aufführung.


    Schönheit lässt sich gerne lieben...

    (Andreas Hammerschmidt,1611-1675)

  • Bela Bartok - Vier slowakische Volkslieder


    Diese Lieder - vor allem das erste - gehörte zu den Kostbarkeiten in unserem Vokalensemble.

    Lied 2 handelt von der Heuernte, die Lieder 3 und 4 beschreiben mit schwungvoller Musik dörfliche Tanzfeste.

    Es gibt, wie immer, viel mehr schlechte als gute Aufnahmen. Das geht oft schon beim Pianisten los, dabei spielt das Klavier eine wichtige Rolle.

    Der Text beschreibt eine Wunde, die auf den Sitten patriarchischer Familienstrukturen beruht. Es betrifft vor allem junge Frauen, die sich bei der Wahl des Mannes ihren Eltern beugen müssen. Diese Geschichte kommt sehr oft in der slawischen Literatur und Musik vor, man denke nur an Jenufa. Dazu kommt der unbedingte Gehorsam gegenüber Ehemann und Schwiegereltern, wie es in Katja Kabanowa erzählt wird.

    Von den guten Chören habe ich einen ausgewählt, der im Impressum nicht genannt wird, aber nach der Internetseite .ru wohl aus Russland stammt. Die jungen Mädchen, von denen das Lied handelt, stehen auch auf der Bühne und können wohl am überzeugendsten das Schicksal des Mädchens aus dem Lied besingen, auch wenn sie das Schicksal heute nicht mehr teilen.



    1. Hochzeitslied aus Ponicky


    Weit zog das Mädchen, zog mit dem Gatten,

    weit aus der Heimat aus.

    Streng sagt die Mutter: Folg deinem Gatten,

    komm mir nicht mehr nach Haus


    Werd mich verwandeln wohl in ein Rebhuhn,

    flieg dann zu Mutters Haus.

    Flieg in den Garten, sitz auf der Lilie,

    singe und ruh mich aus.


    Hört mich die Mutter: Singt da ein Vöglein,

    traurig und wunderbar.

    Weg, weg, du Vöglein, weg, weg, du Rebhuhn,

    brichst mir die Lilie gar.


    Habt mit dem Gatten mich, mit dem schlechten

    weit in die Welt gesandt.

    Ach, liebe Mutter, nun muss ich weinen,

    ferne vom Heimatland.

    Schönheit lässt sich gerne lieben...

    (Andreas Hammerschmidt,1611-1675)

  • Murray Schafer (*1933, + 14.8.2021) Epitaph for Moonlight

    (Neufassung eines Beitrages vom 3.5.2015)



    "Epitaph for Moonlight" gibt es bei Amazon, aber nur die Notenausgabe. Einige Aufnahmen lassen sich bei YouTube finden. Ein verrücktes Stück, mit graphischen Ausführungszeichen und ein paar Noten. Das Stück lässt viel Raum für freie Entfaltung. In einem meiner früheren Chöre haben wir das aufgeführt, und zwar im berühmten Gasometer in Oberhausen, ein 100 m hohes Gebäude mit 45 sec. Nachhall. Ich habe eine Kopie dieser Aufnahme, ansonsten gibt es das vorzüglichen Aufnahmen bei YT.. So gut war unsere Aufführung lange nicht, wir haben nicht immer die Töne getroffen, die der Komponist vorgesehen hat. Ich selber habe zu laut gebellt (das Bellen war Vorschrift, die Laustärke sollte eher moderat sein).

    Die Noten, die sich bei YT finden, sind geschützt, daher kann ich sie hier nicht zitieren. Man kann sie aber direkt anklicken, sogar in Schafers eigener Handschrift. Daher zitiere ich einen anderen Chor.


    Das zweite Stück ist "Tristan and Iseuld" in einer englischen Übersetzung, geschrieben auf ein Jubiläum der King´s Singers; erstmals aufgeführt in der Universität von Ann Arbor (Mich.). Es besticht durch seine Einfachheit. Besonders schön ist die Imitation der Wellen des Meeres. Die King´s Singers haben das in Köln aufgeführt bei einem Konzert, das der WDR mitgeschnitten hat. Das Verrückte: ich bin einer der wenigen, die davon noch eine Kopie haben. Der WDR hat keine Kopie mehr (ich habe nachgefragt, weil die Qualität meiner Aufnahme nicht so gut ist), im Handel ist es auch nicht.



    Believe it or not, your 185-million-greats-grandfather was - a fish (Richard Dawkins)


    Schönheit lässt sich gerne lieben...

    (Andreas Hammerschmidt,1611-1675)

  • Rikadla - Kinderreime (Janacek)


    Dieses zauberhafte kleine Stück von Janacek ist so gut wie unbekannt. Die Besetzung: Chor, Klavier, Klarinette (wahlweise Bratsche; in unserer Aufführung wurde Bratsche gespielt; Klarinette ist aber schöner).

    Es gibt hier bei YT zwei Aufnahmen, eine englische (hier zitiert) und eine flämische (um einige Instrumente erweitert). Beide sind sehr gut. Wir haben damals eine deutsche Übersetzung gesungen. Die Texte interessieren hier nicht so, es sind halt einfache Kinderreime, wie etwa das letzte Lied: "Sitzt der Bär auf einem Baume, macht sich neue Hosen...". Der Zyklus ist nicht leicht zu singen, weil oft das Tempo sehr hoch ist; dazu muss man sich als Sänger an die lakonische Kompositionsart Janaceks gewöhnen. Dazu werden einige Soli verlangt, die aber von Solisten eines Vokalensembles leicht zu bewältigen sind. Ich selber habe mit einem Tenorkollegen ein Solo gehabt und habe dabei den einzigen Patzer gemacht, der auch dokumentiert ist. Ich habe eine neue Zeile gesungen, aber die vorige musste erst wiederholt werden. Aber solche Dinge werden auch in einem guten Chor nicht dramatisiert, weil es selten ist und jedem passieren kann.


    Schönheit lässt sich gerne lieben...

    (Andreas Hammerschmidt,1611-1675)

  • Ihr habt nun Traurigkeit


    Dieses Stück ist die Nr. 5 im Requiem von Brahms. Er hat es nach dem Tode seiner Mutter nachkomponiert. Es ist ein besonders ergreifendes Stück im ohnehin schon ergreifenden Requiem. Es ist schon lange her, dass wir das mit unserer Kantorei in Düsseldorf aufgeführt haben. Aber dieses Stück ließ uns nicht kalt. Es gibt eine Reihe von Aufnahmen bei YT, die meisten sind leider zu dramatisch, was auch an der Höhe der Sopranstimme liegt. Ich habe daher eine Aufnahme ausgewählt, in der die Sopranistin (Genia Kühmeier) intensiv und schlicht singt, dazu kann man die Noten verfolgen. Es dirigiert Nikolaus Harnoncourt.



    Schönheit lässt sich gerne lieben...

    (Andreas Hammerschmidt,1611-1675)

  • Johannespassion


    Ich bin immer wieder erstaunt, wie mitreißend und modern die Johannespassion ist, vor allem in den Turbae-Chören. Das gilt aber nur, wenn sie so perfekt gesungen wird wie von Voces8. Dazu müsst ihr den thread Voces8 von Michael Müller anklicken, dort ist die Gesamtaufnahme. Ich habe da auch kommentiert; auf einzelne Chöre komme ich noch einmal zurück.

    Schönheit lässt sich gerne lieben...

    (Andreas Hammerschmidt,1611-1675)

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