Liebe Taminos,
Mario Lanza gehört wohl – neben Maria Callas – zu den am meisten diskutierten und auch am kontroversesten beurteilten Sängern in der neueren Geschichte des (klassischen) Gesangs, wobei sich bei beiden fanatische Bewunderung und krasse Ablehnung die Waage halten. Doch während bei der Sopranistin – die nur wenige der heute noch Lebenden auf der Bühne gesehen haben und die mangels fehlender 'bewegter Bilder' (abgesehen von zwei TV-Aufzeichnungen des zweiten „Tosca“-Aktes) heute nur anhand ihrer Tondokumente beurteilt werden kann - sich die Frage nach der (durchaus umstrittenen) stimmlichen Qualität und ihrer Gesangstechnik durch ihre singuläre gestalterische Ausdrucksvielfalt in großen Opernrollen fast erübrigt, ist es bei dem Tenor - nach Meining vieler 'Experten' - gerade umgekehrt: das zweifellos prachtvolle Stimm-Material wird wegen fehlender Opernpraxis durch einen (oberflächlich gesehen) phantasie- und stillosen Gesang konterkariert, unterstützt durch das Singen von belangloser Musik in noch belangloseren Unterhaltungsfilmen. Zudem wird diese Einschätzung durch die hierzulande noch immer praktizierte Unterscheidung von E- und U-Musik untermauert, während in den Vereinigten Staaten – und Mario Lanza war gerade wegen seines Immigranten-Hintergrunds eine typisch amerikanische Erscheinung – ein Sänger, der beide Musikrichtungen 'bedient', sich besonderer Aufmerksamkeit sicher sein kann.
Die meisten Melomanen rümpften damals – und rümpfen noch heute – die Nase, wenn der Name 'Mario Lanza' in Verbindung mit klassischem Gesang genannt wird. Ein Tenor, der seine weltweite Popularität der Mitwirkung in mediokren Filmen und dem millionenfachen Verkauf von Schallplatten mit 'seichtem' Repertoire verdankt, der nur einige wenige Male auf der Opernbühne stand und - angeblich - keine Noten lesen konnte (was aber durch zahlreiche Aussagen von Sänger-Kollegen und Dirigenten widerlegt wurde)! Und doch hat dieser Sänger eine positive Spur in der Biographie vieler Menschen – die meistens aus kleinbürgerlichen Verhältnissen kamen, denen die 'elitäre' Welt der klassischen Musik fremd war oder die, selbst wenn in ihrer Nähe ein Opernhaus erreichbar war, dies aus 'Schwellenangst' nicht betraten - hinterlassen, weil er in ihnen durch einen Kinobesuch oder die Fernsehsendung eines seiner Filme den Grundstein der Liebe und Begeisterung für die klassische Musik und die Oper gesetzt hat.
Natürlich sieht man diese – innerhalb von zehn Jahren von 1949 bis 1959 gedrehten – Filme heute mit ganz anderen Augen: eine meistens triviale Handlung an der Grenze zum Gefühlskitsch, die lediglich dazu dient, die Gesangsnummern des 'Helden' herauszustellen, ein etwas fragwürdiges Frauenbild und kaum ein Anflug von Sozialkritik. Aber die Menschen jener Zeit versuchten, nach den Problemen und Verwerfungen der davor liegenden Jahre sich mit Hilfe von schönen bunten Bildern und leicht eingängiger Musik aus ihrem oft öden und tristen Alltag wegzuträumen. Man sollte daher diese, oft abfällig als 'Schnulzen' bezeichneten, Filme unter diesem Blickwinkel sehen. Ausserdem wurden sie durch die verwendeten Musiknummern (Opernarien, italienische Canzonen und Tenorschlager) und nicht zuletzt durch Mario Lanzas Stimme 'veredelt'.
Beim Wiederanschauen von seinen sieben Spielfilmen - von „The Student Prince“ ('Alt-Heidelberg') habe ich nur einige Ausschnitte in meiner Video-Sammlung, aber da ist nur seine Stimme zu hören, während sein 'Double' Edmond Purdom im Vergleich zum Darsteller Mario Lanza geradezu farblos und einförmig wirkt, was aber von der Regie so beabsichtigt war und worüber noch zu reden ist – mit einem Abstand von zwanzig Jahren ist mir positiv aufgefallen, was für ein lockerer und vielseitiger Schauspieler er auch war und wie emphatisch er seine Gesangsstücke mit geradezu 'sprechender' Mimik und Gestik vorträgt. Dies kann man auch bei den auf YouTube zu sehenden Live-Auftritten beobachten; das mag aus heutiger Perspektive altmodisch wirken, aber diese Art des 'Zelebrierens' scheint mir wesentlich effektiver als das hierzulande bei Arien-Konzerten (im Fernsehen) oft zu beobachtende 'Steh und sing-Gehabe', wo schon das Heben einer Augenbraue als 'Ausdruck' gilt und jede Emotion in den Gesang verlagert wird.
Neben Elvis Presley und Frank Sinatra war Mario Lanza in den 50er Jahren der größte Gesangsstar Amerikas, seine Schallplatten erzielten Millionenumsätze und seine Filme gingen um die ganze Welt. Der „Schwann Record & Tape Guide“ verzeichnete noch 1975 neunundzwanzig Einzel-LPs, wobei seine Exclusiv-Schallplattenfirma 'RCA Victor' Lanza als 'klassischen' Sänger mit der Prefix 'LM' bzw. 'LSC' vor den Katalognummern (mit rotem Etikett) einstufte – die Katalognummern der 'Pop-Sänger' hatten die Prefix 'LPM' bzw. 'LSP' und ein schwarzes Etikett. Noch bis Mitte der achtziger Jahre hielt die 'RCA Victor' seine Platten hochpreisig im Katalog, ständig durch erstmalige Veröffentlichung von Live-Mitschnitten seiner Konzerte und Fernseh-Auftritte ergänzt.
Da ich festgestellt habe, dass die sogenannten 'Mario-Lanza-Filme' schon seit Jahren nicht mehr im deutschsprachigen Fernsehen zu sehen waren und es auch nicht von allen VHS- bzw. DVD-Veröffentlichungen gibt, werde ich sie in den nächsten Wochen hier vorstellen, indem ich die Handlung nacherzähle und die in den Filmen vorgetragenen Musikstücke nenne. Es muss vorab darauf hingewiesen werden, dass der Soundtrack zu den im Playback-Verfahren gedrehten MGM-Filmen nicht mit den von Lanzas Exclusiv-Schallplattenfirma 'RCA Victor' (in Verbindung mit diesen Filmen) veröffentlichten Aufnahmen identisch ist. In den Tonstudios der MGM in Hollywood wurden die einzelnen Gesangssstücke stets vollständig eingespielt, aber in den endgültigen Filmen sind meistens nur Bruchstücke davon zu sehen oder sie wurden erst gar nicht in den Film übernommen (wie z. B. ein Duett aus „Rigoletto“ mit Jarmila Novotna und Mario Lanza für „Der große Caruso“). Eine eingehende Beurteilung der gesanglichen Ausformung der gezeigten Musikstücke seitens des Tenors ist somit von daher kaum möglich.
In chronologischer Reihenfolge beginne ich in den nächsten Tagen mit Mario Lanzas erstem Spielfilm „That Midnight Kiss“ aus dem Jahre 1949.
Carlo