Giselbert Wolfgang Kassel wurde am 14. April 1924 geboren. Seine Bühnenlaufbahn begann 1954 am Stadttheater von Flensburg. Über Mainz (1957-58), Wuppertal (1958-60), Krefeld (1960-66) und Würzburg (1966-67) kam er 1967 an das Stadttheater von Bielefeld. Zunächst im lyrischen und italienischen Fach tätig wandte er sich hier zunehmend dem deutschen Heldenfach zu. In Bielefeld sang er bereits Max, Bacchus, Erik, Siegmund, Stolzing und Tristan (alternierend mit Helge Brilioth). In der Lohengrin-Inszenierung von Friedelind Wagner 1968 war er der Titelheld. Ab 1974 war G.W. Kassel am Opernhaus Nürnberg engagiert, dessen Ensemble er bis 1980 angehörte. Während dieser Zeit war er durch einen Gastvertrag (1973-1976) der Bayerischen Staatsoper München verbunden und trat hier u.a. als Ismael und Tannhäuser, eine seiner großen Rollen, auf. Noch 1979 soll er in München gesungen haben.
Seine Karriere als Heldentenor führte ihn auf zahlreiche Bühnen des In- und Auslandes. So sang er an den Opern von Lyon (1971 Tannhäuser), Toulouse (1973 Tristan, 1979), an der Covent Garden Opera London (1973 Tannhäuser), an den Opernhäusern von Rouen (1975 Siegmund), Zürich (1976 Max und Florestan, Vetrag über Agentur Robert Schulz), der Philharmonie Oslo (1977, konzertant 2. Akt Tristan mit Ingrid Bjoner) und der Staatsoper Budapest (1979 Lohengrin). Auch an kleinen und mittleren Bühnen Deutschlands war er ein gern gesehener Gast, u.a. in der Lübecker Tristan-Inszenierung von Wolf-Siegfried Wagner (1974). Wagners Siegfried sowie Salome-Herodes gehörten ebenfalls zu seinem Repertoire.
G.W. Kassel war aber auch ein geschätzter Konzert- und Oratoriensolist. So besetzten ihn Jean Martinon (1971 Paris, Theatre des Champs Elysees) und Zubin Mehta (1973 Rom) mit der anspruchsvollen Waldemar-Partie in Schönbergs Gurre-Liedern.
Bis vor kurzem war mir G.W. Kassel völlig unbekannt. Er hat trotz seiner beachtlichen Karriere nur wenige Aufnahmen hinterlassen. Im Tamino-Forum habe ich keinen Hinweis auf ihn entdecken können, auch ist es mühsam, die wenigen Informationen im Internet zu recherchieren. Aufmerksam auf ihn wurde ich durch den Live-Mitschnitt einer Tannhäuser-Aufführung am Covent Garden, herausgegeben vom verdienstvollen Label operadepot. Die Aufnahme der BBC Radio 3 ist vom 29. September 1973. Für mich ist dieser Sänger eine Entdeckung. Aufgewachsen in der DDR sind meine Hörerwartungen durch die Konwitschny-Einspielung mit Hans Hopf geprägt und sie sind es bis heute. Kassel präsentiert einen Tannhäuser wie ich ihn hören möchte. Er verfügte zu dieser Zeit über eine stämmige, gesunde Heldentenorstimme mit baritonalem Kern, die keine Klippe der Partie fürchten mußte, nirgends gefährdet war und meiner Meinung nach einem Vergleich mit den damaligen Bayreuther Rollenvertretern (Beresford, Esser, Wenkoff) standhält. Der Live-Mitschnitt zeigt eine beeindruckende Physis.
Eine weitere interessante Einspielung mit ihm steht seit vergangenem Dezember zur Verfügung: Schönbergs Gurre-Lieder unter der Leitung von Zubin Mehta (1973 RAI Roma) auf
Schönberg Gurre Lieder - Mehta / Rai Roma (1973)
Der italienische music store Premiere Opera listet einen Gesamtmitschnitt der Oper „Vineta“ von Rudolf Mors (1968 Bielefeld).
Die Einspielungen der Düsseldorfer Garnet-Schallplatten von 1980 sind nicht mehr erhältlich (Schubert: Messe G-Dur, Mozart: Krönungsmesse, Mozart: Vesperae de Dominica).
Im Internet sind mit ihm drei Szenenbilder der Budapester Lohengrin-Aufführung von 1979 auffindbar, weiterhin mit einigem Aufwand ein Portrait-Foto im Programmheft der Gurre-Lieder-Aufführung von 1973 (Jean Martinon, Paris, Theatre des Champs Elysees).
Giselbert Wolfgang Kassel ist mal wieder so ein Thema bei dem ich Feuer gefangen habe. Seine letzten Auftritte, die ich recherchieren konnte waren 1979. Als Ende seines Engagements in Nürnberg wird 1980 angegeben. Danach verliert sich seine Spur. Er war da gerade 56 Jahre alt.
Ich wäre den Experten dieses Forums für Informationen zu diesem Sänger sehr verbunden. Wer kennt ihn, wer hat ihn sogar live gehört, welche Eindrücke hattet ihr? Was ist aus ihm geworden? Vielleicht verfügt noch jemand über Informationen, die das Bild über Giselbert Kassel abrunden könnten. Mich würde interessieren wo er her stammte, wo/bei wem er studiert hat und wo er nach Nürnberg tätig war. Hat er unterrichtet?
Danke und viele Grüße
Laurenz