Hallo,
Klaviersonate Nr.32 c-moll Op.111
Mit dieser Sonate beendete Beethoven seine Beschäftigung mit den Klaviersonaten zwischen 1795 (etwa) und 1822. Der Kopfsatz greift nochmalig c-moll als eine Schlüsseltonart bestimmter 'Sturm-und-Drang'-Kompositionen auf. Der Maestoso-Beginn kann in drei Untereinheiten geteilt werden und wird von den Interpreten schon sehr unterschiedlich vorgetragen. Der Allegro con brio-Hauptsatz wird ebenfalls verschieden dargeboten, von extrem schnell bis eher mächtig, von trocken bis weich. Toll ist das Fugato zu Beginn der Durchführung. Die Coda endet in einem ruhigen C-Dur und bereitet den Arietta-Satz stimmlich vor. Die Arietta wiederum findet ebenfalls sehr verschiedene Ansätze. Es beginnt schon mit dem Tempo des Themas am Beginn ! Vitaly Margulis hat hier eine sehr eigene Interpretation theoretisch und praktisch vorgenommen. Er spielt die Variationen im Verhältnis zum Thema nicht entsprechend den Notenwerten, sondern bleibt gehört in dem anfänglichen Tempo, was IMO dem Werk nicht bekommt. In der Coda des Finalsatzes schließlich über den sehr langen Triller in der rechten Hand verabschiedet sich Beethoven mit dem fragmentarischen Thema. Er verabschiedet sich nicht vom Klavier, denn es wird noch Op.120 geschehen, aber vom Klaviersonaten-Kosmos. Das Arietta-Thema hatte Thomas Mann in seinem Roman 'Dr. Faustus' übrigens aufgegriffen, wie auch immer.
Mir standen insgesamt 28 Aufnahmen auf CD zur Verfügung. Nach einer ersten Hörrunde kam es zu einer Vorauswahl von 8 Interpretationen: Brendel (späte GA), Benedetti Michelangeli (Studio-Aufnahme 1960), Barenboim (Live-GA 2005), Pogorelich, Giltburg, Gulda (Live, 1964), Richter (Live, 1975), Pollini (Studio-Aufnahme 1977).
Ohne lange zu überlegen, hatte ich im Vorfeld zu Beginn dieses Threads Ivo Pogorelich mit seiner zweiten Platte für die DG votiert. Und ich bleibe dabei. Pogorelich spielt klanglich und anschlagstechnisch dermaßen 'schön' und verwirklicht die Wiedergabe dieser Komposition IMO so rein und 'unschuldig', wie ich es sonst nicht gehört habe. Zudem ist da immer ein jugendlicher 'groove' dabei !
Außerordentlich und IMO interessanter als bei Levit finde ich die Darstellung durch den ebenfalls sehr jungen Boris Giltburg. Friedrich Guldas Live-Mitschnitt aus Salzburg 1964 ist sehr sehr beeindruckend, leider lässt er die Wiederholung der Exposition im ersten Satz weg. Pollinis aktueller Live-Mitschnitt ist natürlich als persönliches und pianistisches Erlebnis packend, aber es bleibt einiges an Strukturen auf der Strecke. Seine Studio-Aufnahme ist sehr sorgfältig und apollinisch. Keiner tönt die Arietta so polyphon ab, wie Brendel (neben Barenboim). Glenn Gould 'spinnt' IMO im ersten Satz mit karikaturenartiger Raserei. Buchbinder ist gut und spontan, aber leider sehr direkt und lärmend aufgenommen (typisch RCA, IMO !). Ich finde Arturo Benedetti Michelangelis Studio-Aufnahme von 1960 (DECCA) toll, pianistisch außergewönlich, viel ansprechender als sein späterer Live-Mitschnitt (siehe bei Axel/Astewes). Leider habe ich mit Arrau 'nur' seine Mono-Aufnahme der EMI und nicht seine Stereo-Aufnahme bei Philips.
Nach zwei weiteren Hörsitzungen konnte ich mich für zwei weitere Aufnahmen entscheiden. Diese beiden Aufnahmen markieren IMO zwei absolute Gegenpole, ja Extreme, in der Auffassung beider Sätze:
Sviatoslav Richter, p
(Brilliant, Rundfunk der UdSSR, ADD, live, 1975)
Die Maestoso-Einleitung kommt recht zügig voran, Richter lässt hier gewissermaßen eine Andeutung heraus, was kommen wird. Das Allgro con brio kommt mit einem rasanten Tempo, eigentlich ein Presto, aber es ist nicht nur sehr schnell, es ist ein intensives Erlebnis mit absolut klaren pedalarmen Formulierungen, die musikalisch absolut sinnhaftig sind. Der kurze beruhigende Seitensatz, in der Exposition und in der Reprise verhindert ein 'Verglühen'. Wundervoll dann das Abrauschen am Ende des Satzes nach C-Dur. Die Arietta wird im vergleich anderer schneller genommen, aber sehr innig in der rechten Hand, sonor. nach der sehr klar gegriffenen 'Boogie-Woogie-Variation begreift man den formalen Zusammenhang im Folgenden hervorragend.
Daniel Barenboim, p
(DECCA, DDD, live, 2005)
Daniel Barenboim präsentiert hier einen sinfonischen Ansatz, bei welchem die polyphonen Linien und klanglichen Wunder gleichermaßen umgesetzt werden. Die Arietta wird sehr ruhig und sonor entwickelt und die Trillerketten in der zweiten Hälfte des Satzes kommen mit ätherischer Klarheit und atmen in großen zeitlichen Bögen. Ich kenne keine andere Aufnahme, welche soviele formale und strukturelle Details herausarbeitet, vielleicht noch Alfred Brendel in seiner späten Aufnahme, allerdings ohne die 'Intensität'.
LG Siamak