„Pause“. Zur Faktur der Komposition und ihrer liedmusikalischen Aussage (Forts.)
So endet die wie ein – allerdings höchst gewichtiges – Zwischenspiel anmutende Liedmusik auf den letzten beiden Versen der ersten Strophe, und mit einer auf fünf Takte verkürzten Fassung des Vorspiels setzt die der zweiten Gedichtstrophe ein. Zunächst tut sie das bis zum dritten Vers einschließlich in Gestalt einer Wiederholung der Melodik und des Klaviersatzes der ersten drei Verse der ersten Strophe. Im Bereich der Melodik ist es allerdings keine völlig identische. Auf den Worten „über die Saiten“ liegt nun eine auf einem hohen „F“ ansetzende Fallbewegung und der Vorschlag auf dem Sekundfall bei „Saiten“ fehlt. Bei „und streift“ setzt die melodische Linie mit einem Sekundsprung in hoher Lage ein, und bei „ihren Flügeln“ geht sie in einen triolischen Achtelfall aus hoher Lage über. In all diesen Variationen schlagen sich die tief reichenden seelischen Regungen nieder, die sich im lyrischen Ich bei diesem Bild von der die Saiten mit ihren Flügeln streifenden Biene einstellen.
Und sie haben zur Folge, dass die melodische Linie bei den sie explizit machenden – und von Schubert durch ein „so“ verstärkten - Worten „Da wird mir so bange und es durchschauert mich“ vom Wiederholungsgestus ablässt und eine neue Bewegung beschreibt. Es ist eine, die auf hohe Expressivität ausgerichtet ist: Ein aus Repetitionen bestehender und bei „bange“ mit einem Achtelvorschlag versehener Anstieg, der bei „es“ in einen – eigentlich unmotivierten – Quintfall übergeht, dem dann ein diesen wieder aufhebende Kombination aus Quint- und Terzsprung nachfolgt, die bei „-schauert mich“ über einen gedehnten Sekundfall in eine lange, weil mit einer Fermate versehene Dehnung in der hohen Lage eines „Es“ mündet. Die Harmonik beschreibt hier eine ausdrucksstarke Rückung von einer verminderten H-Tonalität über ein a-Moll nach der Septimvariante der Tonart „G“ um schließlich in einem fermatierten fünfstimmigen c-Moll-Akkord bei „-schauert mich“ zu enden. Dieser lyrischen Aussage wird auf diese Weise ein hoher Grad an musikalischer Expressivität verliehen.
Nach diesem „Durchschauert-Werden“ verfällt das lyrischen Ich in eine Ratlosigkeit, die sich lyrisch-sprachlich nur noch im Gestus der Frage zu artikulieren vermag. Für die Liedmusik hat das zur Folge, dass sie gleichsam in kleine Melodiezeilen zerfällt, die in ihrer Melodik stark von rhetorisch-rezitativischer Deklamation geprägt sind und, auch weil sie sich nach einer mehr als zweitaktigen Pause in dieser ihrer Grundstruktur wiederholen, so anmuten, als würde die Liedmusik ins Stocken geraten.
Auch das Klavier lässt von seinem bislang so eindrücklich praktizierten Gestus der Entfaltung eigenständiger Aussage ab und beschränkt sich jetzt nur noch darauf, die Singstimme mit lang gehaltenen, den Takt ausfüllenden und teilweise sogar überschreitenden vielstimmigen Akkorden zu begleiten. Höchst bezeichnend für dieses Sich-Beschränken des Klaviers, seine funktionale Selbst-Reduktion ist die Tatsache, dass es in der Pause vor der Wiederholung der Melodik auf den letzten beiden Versen das so wichtige Terzen-Lautenmotiv erklingen lässt.
Das geschieht gleichsam als Antwort auf die für das lyrische Ich so wichtige Frage „Soll es das Vorspiel neuer Lieder sein?“. Aber diese Antwort ist, wie der Geist der ganzen Liedmusik am Ende, eine stockend anmutende: Die Terzenfolge ist in ihrer Rhythmisierung und ihrer melismatischen Bereicherung durch einen Doppelvorschlag zunächst die gleiche, wie sie das Klavier zuvor viele Male hat erklingen lassen. Jedoch: Sie mündet nun in einen Akkord im Wert von einer halben Note und sie ist in Moll-Harmonik gebettet, die erst am Ende ins Tongeschlecht Dur zurückfindet (von g-Moll nach Es-Dur und von fes-Moll-nach Fes-Dur).
Womit der letzte Faktor angesprochen ist, der der Endphase der Liedmusik ihren so eigenartigen, doch wohl die Ratlosigkeit des lyrischen Ichs zum Ausdruck bringenden Charakter verleiht. Die auf der Frage „Ist es der Nachklang meiner Liebespein?“ aus einer viermaligen Tonrepetition mit einem verminderten Quartsprung in hohe Lage aufsteigende, von dort in einen Fall übergehende, sich danach zwar wieder kurz erhebende, aber dann doch über einen Sekundfall in einer langen, weil fermatierten Dehnung endende melodische Linie ist in einem klanglich fahl wirkenden Fes-Dur harmonisiert, das schließlich, eben bei dieser langen melodischen Dehnung auf der letzten Silbe von „Liebespein“, in eine Rückung nach Ges-Dur übergeht.
Die Tiefe, zu der sich die Harmonik im Quintenzirkel hier herabgelassen hat, kann man durchaus als musikalischen Ausdruck der Abgründigkeit auffassen und verstehen, in die sich das lyrische Ich mit seinen selbstreflexiven Fragen verloren hat.
Wie aber ist diesbezüglich die Dur-Harmonisierung der durchaus vom Aufstiegsgestus geprägten Melodik auf der letzten Frage „Soll es das Vorspiel neuer Lieder sein?“) aufzunehmen und zu interpretieren?
Der nach dem Fall der Melodik auf dem Wort „Vorspiel“ sich ereignende Anstieg von einem tiefen „F“ bis hoch zu einem „E“ und der nach dem nachfolgenden gedehnten Quintfall auf „Lieder“ sich über einer Sekundanstieg sich ereignende Übergang zu einer langen Dehnung auf dem Grundton „B“, all das scheint in seiner Harmonisierung in der Tonika B-Dur mit kurzer Zwischenrückung in die Dominante als Ausdruck einer optimistischen Grundhaltung des lyrischen Ichs zu sein, - seine Zukunft als seine Liebe artikulierender Sänger betreffend.
Aber man muss das wohl anders verstehen: Das im viertaktigen Nachspiel noch einmal erfolgende Absinken der Lautenfigur ins Tongeschlecht Moll legt das nahe.
In dieser sich auf identische Weise wiederholende Melodik auf dem letzten Vers fällt das lyrische Ich ganz und gar zurück in seine das ganze Verhalten in diesem Geschehen prägende Grundhaltung: Die der phantastischen Imagination einer Welt, die es realiter nicht gibt.
Und wie zur Bestätigung dieses Sachverhalts sinkt der Klaviersatz in einer klanglichen Ausdünnung der Lautenfigur, die nun nur noch in einstimmigen Triolen erklingt, in tiefe Lage ab und mündet in eine fallend angelegte Schlussakkord-Folge von Dominante und Tonika.