Die kleinen Geschichten hier sind sozusagen die Pralinen des Schreibtisches. Es sind gelesene, gehörte oder selbst erlebte Geschichten, die auch nicht immer mit Musik zu tun haben. Manche habe ich schon früher erzählt, aber zusammen sind sie noch schöner.
1. Die Tarnbrücke (Frankreich)
In einem spektakulären Feature werden im TV die tollsten Brücken der Welt vorgestellt, unter anderem "Le viaduc de Millau", die Brücke über den Tarn im Süden Frankreichs. Ich habe sie zwei Mal schon befahren und mich vergewissert, dass sie wirklich einzigartig ist. Sie hat den höchsten Einzelpylon der Welt (350 m hoch!). Im Film wurde auch der Bau beschrieben. Die Fahrbahn wurde von beiden Seiten gefertigt und aufeinander zugeschoben. Dann war es soweit: kurz vor dem Anschluss wurde eine Flasche Champagner zuwischen die Brückenteile geschoben und dann der Zusammenschluss vollzogen - und gefeiert.
2. Hiroshi et les sortilèges
In meiner Opernzeit in Düsseldorf (die Siebziger) stehe ich wie immer abends an der Kasse, mitten in einer nicht allzu großen Schlange, um einen von beiden Lieblingsplätzen zu ergattern: dritter Rang Seite, der jeweils äußere Platz. Unvorteilhaft gekleidet wie immer und wie alle durch den damaligen Pflicht-Parka. Ein kleiner Japaner steuert auf mich zu, in der Annahme, ich sei der ärmste der dort wartenden Gestalten. Er schenkt mir eine Karte, Orchestersessel! Ich kaufe zwei Programme, das zweite ist für den Spender. Bevor die Oper beginnt, kommen wir ins Gespräch, natürlich über Janacek und dann über "Das schlaue Füchslein". Er sagt: "Eine wunderbare Oper. Ich habe sie letztes Jahr in Tokio gemacht." Da wusste ich plötzlich, wen ich da vor mir hatte! "Sie sind Hiroshi Wakasugi, der Chef des Kölner Rundfunk-Sinfonieorchesters!" Er war es, und er hat sich totgefreut, dass ich ihn erkannt habe. Ein Autogramm war die Folge. Es gab noch eine Folge: Die Oper, die wir besuchten, war Ravels zauberhaftes Werk "L´enfant et les sortilèges"; sein Besuch in Düsseldorf war eine Vorstudie zu einer WDR-Produktion des Werkes auf deutsch. Die Aufnahme dieses Werkes hüte ich wie einen Schatz. Von der Besetzung weiß ich nur die des "Kindes". Helen Donath!
3. Der Löwe
Ich stehe an der Bedientheke meines Supermarkt. Nebenan kauft ein junger drahtiger Mann zwei tellergroße und faustdicke Koteletts. Ich frage ihn: "Haben Sie einen Löwen zu Hause?" Er grinst: "Der Löwe bin ich!"
4. Der Bach
Meine Freunde haben acht Enkelkinder, sieben Mädchen, einen Jungen. Sie haben einen großen Garten, sogar mit einem künstlichen Bach, der per Schalter ins Murmeln gebracht werden kann. Es ist ein heißer Sommer, Margarete ist zwei, sie geht mit ihrer Tante durch das angrenzende kleine Wäldchen, das auch einen Bach vorweisen kann, der aber im Augenblick so gut wie kein Wasser führt. Margarete weist auf den Bach und sagt: "Anschalten!"
5. Hilary Hahn
Düsseldorf, in den Achtzigern, Tonhalle. Sinfoniekonzert mit dem Violinkonzert von Strawinski und der Mozartiana-Suite von Tschaikowski (op.4), von der ich wusste, dass sie für Streichorchester ist und 45 Minuten (dachte ich, sind aber nur 27) dauert.
Grandios das Violinkonzert von Strawinski; es gibt ein paar Passagen, bei denen Solovioline und erste Violine (Konzertmeister) sich die Bälle zuspielen. Dazu ging Hilary Hahn, die die Solovioline spielte, zur Konzertmeisterin hin und beide spielten dann wunderbar zusammen und strahlten sich die ganze Zeit an.
Ich hatte für diesen Abend genug gehört und machte mich auf denn Weg. An der Tür blieb ich stehen, weil gerade ein junge Dame mit Violinköfferchen die Treppe herunterstieg. Da dachte ich: "Aha, die braucht den Tschaikowski nicht zu hören, dann brauch ich das auch nicht".
Wir haben dann ein paar Takte auf deutsch (sie hat deutsche Vorfahren) und englisch gequatscht, ich zog mit einem Autogramm ab.