Wie soll man Musik konsumieren?

  • Da meine Nachbarn gestern lautstark bis in die Nacht im Garten gefeiert haben, habe ich mir lautstark bei offenem Fenster Wagners Tannhäuser angeschaut. Das wirkt fast immer :) . Wobei Ich mir immer wünsche, meine Nachbarn würden auch zu Fuß nach Rom pilgern. Ansonsten gehe ich hier in NRW lieber live in die Oper oder schaue mir DVDs an. Zur Zeit habe ich von Anfang an die Streams aus der MET aufgenommen. Auch höre ich ich immer Samstags über BBC 3 die Übertragungen aus der MET odem dem ROH.

  • Musik hat mir in meinem Leben immer sehr viel bedeutet. Sie hat mir in Zeiten großer Beanspruchung meine Gesundheit und Lebenskraft bewahrt. Ohne sie geht es nicht.

    Überhaupt nichts halte ich von Versuchen, anderen Leuten irgendwelche Qualitäts- oder Geschmacksvorgaben zu machen. Im Konsum, in der Rezeption von Musik bin ich im Grunde sprunghaft und richte mich ausschließlich nach meiner jeweiligen Präferenz. Das gilt für die Auswahl der Musik wie für die Art des Hörens/ Rezipierens. Mit Vorliebe höre und sehe ich vom Rundfunk oder der DVD/ CD. Manchmal intensiv, manchmal durch "Berieselung".

    Ich bin überzeugt: es gibt soviele Arten der Rezeption von Musik -oder Kunst generell- wie es Rezipienten gibt. Und keine Form der Rezeption ist einer anderen vorzuziehen.

  • Musik ist für mich zunächst ein sinnlich- körperlicher Vorgang.

    Ich bade zuhause in Beethoven, tanze Techno und schwofe Walzer.

    Vor dreißig Jahren in der Disco abgefetzt, bis die Klamotten durchgeschwitzt waren.

    Rockmusik, das die Bässe das Haus erbeben haben lassen.

    Heute versenke ich mich in der Klassik, brauche keinen Radau mehr in der Wohnung, im Biergarten höre ich über Walkman oder iPod Popmusik, Urlaub vom Alltag.

    Aber am intensivsten ist Beethoven Zuhause, meine Seele schwingt.

    Die Klaviersonaten sauge ich regelrecht auf, du spürst die Kraft, die in dieser Musik steckt.

    Hammer.

  • ......Aber am intensivsten ist Beethoven Zuhause, meine Seele schwingt.

    Die Klaviersonaten sauge ich regelrecht auf, du spürst die Kraft, die in dieser Musik steckt.

    Hammer.

    Hallo Thomas,


    wir hatten ja schon eine Konversation in dem Forum über Beethoven. Wen wundert es jetzt?:)


    Deinen Weg finde ich überraschend. Er hat wirklich gar nichts mit meinem gemeinsam. Deine Begeisterung für Beethoven kann ich teilen, wenn auch nicht in dieser Auschließlichkeit. Ich finde es immer spannend Neues kennenzulernen und dann zu schauen, wo es mich hinführt.


    Und da kommen wir auch schon zu meiner Frage. Was war denn der Auslöser zu Beethoven? Aus Deiner Beschreibung wird das für mich nicht klar. Da hätte jetzt mit derselben Überzeugung auch Monteverdi, Brahms, Bartok, Messiaen oder sogar Boulez stehen können und ich hätte genauso viel verstanden oder auch nicht verstanden...


    Es würde mich freuen, wenn Du dazu noch etwas sagen könntest.


    Es grüßt
    Axel

  • Ich muss sagen, dass ich schlicht nicht in der Lage bin, Musik zu "konsumieren". Einfach darum, weil ich Musik zu sehr liebe und zu sehr Ernst nehme. Gezwungener Maßen höre ich immer zu. Musik bewirkt bei mir, dass ich mich auf sie konzentrieren muss. Wenn ich deshalb sehr müde bin und einfach nur "abschalten" will, schaue ich mir deshalb irgendeine blöde Fernsehunterhaltung an. Das geht. Die kann ich konsumieren, weil mir Fernsehen eben im Vergleich mit Musik einfach nicht so viel bedeutet. Ich höre natürlich auch Musik beim Kochen etc. Da nehme ich zwar nicht alle Details wahr - aber Musik "konsumiere" ich auch hier nicht. Ich höre immer noch aufmerksam zu. :D


    Schöne Grüße

    Holger

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  • Ich muss sagen, dass ich schlicht nicht in der Lage bin, Musik zu "konsumieren". Einfach darum, weil ich Musik zu sehr liebe und zu sehr Ernst nehme. Gezwungener Maßen höre ich immer zu.

    Lieber Holger,


    das ist tatsächlich ein zweischneidiges Schwert. Wenn es „geht“, höre ich fast immer Musik, wobei ich im Auto schon aufpassen muss. :)



    .... Wenn ich deshalb sehr müde bin und einfach nur "abschalten" will, schaue ich mir deshalb irgendeine blöde Fernsehunterhaltung an. Das geht. Die kann ich konsumieren, weil mir Fernsehen eben im Vergleich mit Musik einfach nicht so viel bedeutet. Ich höre natürlich auch Musik beim Kochen etc. Da nehme ich zwar nicht alle Details wahr - aber Musik "konsumiere" ich auch hier nicht. Ich höre immer noch aufmerksam zu. :D

    Das kann ich fast alles 1:1 nachvollziehen. Leider auch das mit der blöden Fernsehunterhaltung ^^.


    Ich glaube allerdings, dass es Musik gibt, die eine leichter konsumierbare Oberfläche anbietet, ohne deswegen weniger tiefsinnig zu sein. Mein Eindruck ist, dass die Musik mit steigender Modernität diese Eigenschaft ablegt.


    Einen Telemann, einen Händel und auch einen Bach (vielleicht nicht alles) kann man problemlos beim Kochen hören (Manchmal wird man dann doch hingezogen, wenn die Interpretation plötzlich überrascht). Bei Lachenmanns Echo Andante oder Barraqués Sonate bin ich ziemlich sicher, entweder beim Kochen angestrengt zu werden oder die Sachen anbrennen zu lassen :pfeif:.


    Beste Grüße,

    Axel

  • Musik hat mir in meinem Leben immer sehr viel bedeutet. Sie hat mir in Zeiten großer Beanspruchung meine Gesundheit und Lebenskraft bewahrt. Ohne sie geht es nicht.

    Überhaupt nichts halte ich von Versuchen, anderen Leuten irgendwelche Qualitäts- oder Geschmacksvorgaben zu machen.

    Ich denke, da sind wir uns einig. Der Sinn eines Austausches ist ja nicht, anderen Vorgaben zu machen. Man erweitert halt seine Vorstellungen, wie Musik wahrgenommen werden kann.


    ...Ich bin überzeugt: es gibt soviele Arten der Rezeption von Musik -oder Kunst generell- wie es Rezipienten gibt.

    Das kann ich mir gut vorstellen. Da wäre dieser Thread das Mittel zum Beweis :)


    ....Und keine Form der Rezeption ist einer anderen vorzuziehen.

    Auf jeden Fall nicht im Sinne einer Vorschrift :no:


    Interessant ist es aber schon die Art der Rezeption mit dem Geschmack oder der jeweiligen Erkenntnis über die Musik zu vergleichen. Im Nachhinein wäre dann für einen Zweck, den man intendiert, die eine oder andere Art der Rezeption vorzuziehen.

    Mitbedenken muss man allerdings auch, dass man nicht immer die freie Wahl hat.

  • Ich muss sagen, dass ich schlicht nicht in der Lage bin, Musik zu "konsumieren".

    Lieber Holger,


    selten sind wir so einer Meinung wie zu Deinem Beitrag #35. Auch für mich ist und bleibt die "klassische" Musik "eine heilige Kunst". Ich kann sie auch nicht konsumieren, ich muß sie konzentriert hören, wenn auch mit anderen Prämissen als Du. Ich seziere sie dabei nicht, ich laß durch die Musik meinen Gefühlen freien Lauf, in Oper und Konzert. Und das geht nicht nebenbei. Wenn ich keine Lust auf Klassik habe, z.B. beim Essen oder einfach nicht in Stimmung für Klassik bin, dann läuft auch mitunter Hintergrundmusik, aber fast immer unterhaltsame, leichte Muse bis zum Schlager. Der Abend gehört bei mir dem gemeinsamen TV-Erlebnis, da kann auch Klassik dabei sein, aber ebenso Sport (Fußball oder Handball haben immer Vorrang!! Allerdings sehe ich das allein) Dokus oder Filme (bei mir Western, Historienfilme und Krimis, auch Lustspiele a la "Pension Schöller"), bei meiner Frau typische Frauenfilme, von Sissy bis zum "Vom Winde verweht" oder "Fackeln im Sturm". Letztere sehe ich aber auch mit, sogar mehrfach.

    Ich muß Lust haben, mich auf Musik zu konzentrieren. Wenn diese Lust nicht da ist, dann bleibt Klassik außen vor.


    Herzlichst La Roche

    Ich streite für die Schönheit und den edlen Anstand des Theaters. Mit dieser Parole im Herzen leb' ich mein Leben für das Theater, und ich werde weiterleben in den Annalen seiner Geschichte!

    Zitat des Theaterdirektors La Roche aus Capriccio von Richard Strauss.

  • Hallo Axel,

    im Jahre 2007 war ein Live Konzert mit Violine und Klavier der Auslöser zum Klassikliebhaber.

    Ich hatte immer weniger Musik gehört, nur Pop und Rock wurde mir zu langweilig, dies Konzert war wie eine Offenbarung.

    Beethovens Musik fasziniert mich in den verschiedensten Interpretationen. Wenn man die Klaviersonaten oft hört, lernt man ihren "Ablauf" kennen, das ist dann aber kein einfaches konsumieren, sondern quasi ein gedankliches Mitspielen.

    Pop- Rock konsumiere ich, diesen simplen Aufbau, Rhythmus, kann ich jetzt wieder ertragen, weil ich weiß, das ich mir jederzeit Op.106 anhören kann.

    Das gibt eine innere Ruhe, die man mit keinem Geld in der Welt bezahlen kann, Zufriedenheit, Gelassenheit, Genuss.

    Wie an anderer Stelle schon geschrieben, ich forsche nicht dem "Sinn" dieser Musik nach, "was kann der Komponist gemeint haben" oder welcher Gefühlslage eine bestimmte Spielweise auszudrücken hat, sondern ich nehme die Sonate als Grundelement, die der Interpret auslegt.

    Wieviel Freiheit und Vielfalt beim entdecken einer Klaviersonate generiert wird, Nuancen, die erst nach intensivem Hören sich auftun, ist unglaublich und auch ein Geheimnis in Beethovens Musik.

    Grüße

    Thomas

  • Damit du den Rest auch schaffst, könnte ich dir doch regelmäßig Bügelwäsche schicken!:pfeif:

    Lieber Dr. Pingel, Du bist bestimmt überkritisch. An Deine Hemden trau ich mich nicht ran... Es grüßt Hans


    ..., eine spe*ifisch deutsche Kultur ist, jenseits der Sprache, schlicht nicht identifi*ierbar.
    -- Aydan Ö*oğu*

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  • Hallo Axel,

    im Jahre 2007 war ein Live Konzert mit Violine und Klavier der Auslöser zum Klassikliebhaber.

    Ich hatte immer weniger Musik gehört, nur Pop und Rock wurde mir zu langweilig, dies Konzert war wie eine Offenbarung.

    Hallo Thomas,


    zunächst einmal vielen Dank für Deine Antwort.


    Du siehst aber schon, dass Du schon vor dem Beethovenkonzert reflektiertest. Langeweile entsteht nur daher. Dass ein solches Konzert diese Auswirkungen haben kann, finde ich fantastisch. Das zeigt unweigerlich die Kraft dieser Musik.


    Bei mir kam Beethoven vor Rockmusik (oder ziemlich gleichzeitig, so ganz genau weiß ich das nicht mehr. Es waren Friedrich Gulda und Janis Joplin....:)). Popmusik habe ich nie wirklich gehört, einmal Hitparade haben mir gereicht und noch heute bin ich nach einem Abbasong erschöpft und muss auf die Straße fliehen. Lieber den Straßenlärm ;)


    ... Wenn man die Klaviersonaten oft hört, lernt man ihren "Ablauf" kennen, das ist dann aber kein einfaches konsumieren, sondern quasi ein gedankliches Mitspielen.



    .Das ist das Tolle an dieser Musik, je besser man sie kennt, desto größer wird der Genuss. Da hast Du Dir mit Beethoven natürlich auch gleich einen ganz Großen ausgesucht.



    Pop- Rock konsumiere ich, diesen simplen Aufbau, Rhythmus, kann ich jetzt wieder ertragen, weil ich weiß, das ich mir jederzeit Op.106 anhören kann.


    Zu Pop hatte ich schon etwas gesagt. Rockmusik mit op 106 vergleichen zu wollen ist aber schon etwas ambitioniert. Rockmusik hat etwas intern aggressiv Anklagendes, was sich über dem simplen harmonischem Gerüst aufbaut. Das liegt schon ein wenig in ihrer Geschichte. Da gibt es natürlich auch wundervolle Stücke. Aber die Rezeption ist nicht mir klassischer Musik vergleichbar. Es eröffnen sich nicht durch häufiges Hören neue Dimensionen. Die Aussage ist meist unmittelbar.


    aber nur als Tipp. Auch Beethoven ist nicht die musikalische Antwort auf alle Fragen. Das wusste wahrscheinlich keiner besser als er selbst als ewig Suchender. Gerade op. 106 ist ein Paradebeispiel dafür...

    ...ich forsche nicht dem "Sinn" dieser Musik nach, "was kann der Komponist gemeint haben" oder welcher Gefühlslage eine bestimmte Spielweise auszudrücken hat, sondern ich nehme die Sonate als Grundelement, die der Interpret auslegt.

    hier kommen wir wohl zu dem vermeintlichen Konfliktpunkt, der meines Erachtens nur auf einem Missverständnis basiert. Keiner, der Musik liebt, sucht den „Sinn“ außerhalb. Die berühmte Frage, was uns der Künstler „eigentlich“ sagen will, basiert auf der stillen Hoffnung, das Kunstwerk nicht rezipieren zu müssen und in einem Reklamheft auf drei Seiten alles Wichtige lesen zu können. :P


    Trotzdem ist natürlich die Frage auf welchen Prinzipien die Musik beruht, welche künstlerischen Mittel zum Einsatz kommen und wie das Werk historisch einzuordnen ist, absolut berechtigt und hilfreich. Es ist Teil der intellektuellen Neugier des Menschen, Dinge nicht einfach hinzunehmen, sondern sie zu hinterfragen. Und auf die Gefahr der Wiederholung, ich freue mich hier im Forum auf soviel substantielles Wissen zu stoßen, das mir bei der Einordnung meines eigenen Geschmacks und der Wahl der künftigen Rezeption helfen kann. Das muss dem Musikgenuss überhaupt nicht im Wege stehen, ganz im Gegenteil ...



    ....

    Wieviel Freiheit und Vielfalt beim entdecken einer Klaviersonate generiert wird, Nuancen, die erst nach intensivem Hören sich auftun, ist unglaublich und auch ein Geheimnis in Beethovens Musik.


    dem ist eigentlich nichts hinzuzufügen, bis auf die Tatsache, dass es diese Art Geheimnis auch in anderer Musik noch gibt.


    Beste Grüße,

    Axel

  • Hallo Axel,

    ich vergleiche nicht Rockmusik und Op.106, die Sonate ist die Feinheiten hören und Rockmusik... das kann jeder für sich beurteilen.

    Popmusik der Achtziger hat schon Kultstatus, fantasievoll mit einfachen Mitteln.

    Alles zu seiner Zeit, nur das man sich mit Pop Rock "tot hören" kann, bei Op.106 gelingt mir das auch nach einer gefühlten Ewigkeit nicht.

    Oh, ja auch ich wurde um 1970 mit der deutschen Hitparade terrorisiert, dieser deutsche Schlagerkram hat mich schon immer angewidert.

    Grüße

    Thomas

  • Ich höre sehr gern Oper beim Bügeln.

    Ich kann die Badewanne noch wärmstens empfehlen.


    Telefon aus, Schaumbad mit genehmer Duftnote rein, Licht gedämpft, ein paar Teelichte drumherum...


    Wer Alkohol gut verträgt, kann sich dazu auch einen kleinen Schoppen Wein gönnen. Ist sehr entspannend.


    Wenn Mario Del Monaco dann sein Operarien schmettert, gröh....äääh summe ich auch manchmal dezent ein wenig mit, wenn ich in Stimmung bin.


    Sollte jeder ruhig mal ausprobieren, ob ihm diese Art der Rezeption seiner Lieblingsmusik gefällt, Versuch macht kluuch.:thumbup:


    LG...MDM :hello:

    >>So it is written, and so it shall be done.<<

  • Hier ein Link zu einer Studie des ARD zum Konsumverhalten von "E-Musik" über Alters- und Kompetenzgruppen verteilt. Sie ist nicht mehr ganz jung und eventuell wird sie auch an anderer Stelle im Forum besprochen. Ich hätte sie dann allerdings nicht gefunden.


    Ich finde sie nicht uninteressant. Einiges ist wahrscheinlich sowieso klar. Aber es gibt schon ein paar kleinere Überraschungen, wie den Einfluss der Schule, des Musizierens und anderer Dinge, die ich anders eingeschätzt hätte.


    Wer hört heute klassische Musik (ARD E-Musikstudie 2005)

    Optimal ist er nicht in diesem Thread positioniert, aber auch nicht ganz falsch ?(

  • Mich wundert an den Ergebnissen eigentlich nichts. Allenfalls vielleicht, dass die Wenig/Gelegenheitshörer und die "Experten" relativ am meisten Radio hören. Aber das ist auch ganz gut nachvollziehbar. Der Gelegenheitshörer hört die Häppchen von Klassikradio oder stört sich halt nicht an Klassikanteil bei Sendungen mit Wortbeiträgen (wie Kulturfrühstück oder so), der "Experte" hört gezielt bestimmte Übertragungen. Während die Kategorien dazwischen eher ihre Lieblingsmusik auf Tonträgern hören. Gerade hier dürfte sich aber durch Streaming, Mobilgeräte etc. in den lettzen 15 Jahren nochmal einiges geändert haben. Ansonsten werden praktisch alle meine Vorurteile oder anekdotischen Belege bestätigt. Die Jugendzeit ist für die meisten Hörer prägend und da spätestens seit den 1980er Jahren der Klassikanteil an der "geteilten", breiten Kultur der Massenmedien abnimmt, v.a. diie Rezipienten/Konsumenten sich immer stärker auf ihre Sparten beschränken können, nimmt der Anteil der Klassikhörer in den jüngeren Kohorten ab. (Diese Milieugruppen stammen anscheinend aus der ersten genannten Quelle, es wäre besser gewesen, die mal genauer zu charakterisieren.) Klassikoffenheit ist dort auch sehr niedrigschwellig definiiert. Wenn ein Ausschnitt aus Till Eulenspiegel schon "Kennernniveau" ist, entsprechen vermutlich nur die wenigen Prozent aus der obersten Gruppe dem, was ich normalerweise unter einem "ernsthaften" Klassikhörer verstehen würde.

    Was noch interessant ist, ist, dass ihre "Crossoiver"auswahl "Klassik plus" auch nur bei denen, die auch mit der "Expertenstufe" Klassik (Große Fuge etc.) zurechtgekommen sind, punkten konnte. Da wäre m.E. ergänzend interessant gewesen, welche Rolle ggf. leichtes Crossover (Vanessa Mae, David Garret, Rieu etc.) eine Rolle für Klassikoffenheit spielen könnte. Denn von diesen Sachen wird ja immer mal behauptet, sie würden Hörer für Klassik gewinnen. Dass das Kronos Quartet plus John Zorn lässt Nadel zufällig auf der Platte entlangkratzen, weniger ankommt, wenn Till Eulenspiegel "für Kenner" ist, wundert mich nicht so sehr...

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

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  • Was noch interessant ist, ist, dass ihre "Crossoiver"auswahl "Klassik plus" auch nur bei denen, die auch mit der "Expertenstufe" Klassik (Große Fuge etc.) zurechtgekommen sind, punkten konnte.

    Das hat mich in der Tat auch überrascht. Nachvollziehen kann ich das nicht.


    Dass die Kindheit eine Rolle spielt, hatte ich natürlich auch vermutet. Dass aber die Begegnung mit Klassik in der Schule oder selbst das Spielen eines Instrumentes eine so geringe Rolle spielt, hätte ich nicht gedacht. Die einen empfanden das eben als toll und die anderen gerade eben nicht ;).



    Dass das Kronos Quartet plus John Zorn lässt Nadel zufällig auf der Platte entlangkratzen, weniger ankommt, wenn Till Eulenspiegel "für Kenner" ist, wundert mich nicht so sehr...

    Da sind sicher noch einige Fragen offen. Interessant wäre auch ein Zusammenhang zwischen Bedeutung von Musik überhaupt und Bedeutung von klassischer Musik, der hier ja vollständig ausgeblendet wurde.

  • Es gibt hier zumindest Zwei Themenkreise,ich habe also die Gelegenheit mich gleich zweimal zu äussern und zu verfeinden.


    Beginnen wir bem Stellenwert der klassischen Musik in der Gesellschaft:


    Es war immsch schon eine kleine elitäre Minderheit, die sich zu klssischer Musik hingezogen fühlte - und sie sich überhaupt leisten konnte.

    Klassische Musik (auch wenn es diesen Begriff in dieser Form noch gar nicht gegeben hat) war immer ein Privileg der Möchtigen, zuer des Adels, der Kirche und später des gehobenen Bürgertums.

    Allmählich wurde Klassik für alle Bereich geöffnet, was natürlich Folgen haben musste.

    Klassische Musik war ja nebstbei auch ein Statussymbol, wie Reitsport, Fechten,Anlegen von Gemälde- und Münzsammlungen, ja sogar Lesen.

    Erst ab etwa 1900 (eher später) war Klassisch Musik eher ein Luxus der "besseren Gesellschaft" (wie man bei uns in Wien sagt.)

    Das war ein Status, der nie wirklich in Frage gestellt wurde. Erst durch die politische Aufwertung der "unteren Schichten" trat eine gewisse Veränderung ein, die sehr radikal forciert wurde:

    Klassische Musik für alle - ein politisches Credo der intellektuellen Linken, die dabei übersahen, daß ihre Clientel für sowas überhaupt nicht die Voraussetzungen mitbrachte - und sie auch gar nicht mitbringen wollte. Und es wurden auch die Spielregeln - zuerst vorsichtig - geändert. Dazu - vielleicht - später mehr.


    'Aber es gab einen weiteren wichtigen Aspekt, das war die Erfindung von Phonograph - und mehr noch - der Sc hallplatte.

    Plötzlich konnten die Klassikliebhaber klassische Musik daheim geniessen - in unterschiedlicher Qualität durch die Zeiten.

    War die Schallplatte (auf grund ihrer beschränkten Spieldauer = ca 3 Minute pro Seite) vorerst grösstenteils nur auf populäre Musik beschränkt, folgten bal Klassikaufnahmen in gekürzten Version.

    Klassische Musik war allmählich ein Massenprodukt geworden. Allmählich deshalb, weil auch die Schallplatte zu Beginn ein Luxusartikel war - für heutige Begriffe unvorstellbar teuer.

    Betuchte Liebhaber kauften sie dennoch. 1925 kam ein weiterer Verkaufsschub, als nämlich die elektrische Aufnahme eingeführt wurde, die bei gleichem Grundrauschen wie bisher, weniger Verfärbung der Klangfarben brachte, die Stimmen wurden beispielsweise besser eingefangen, was das Timbre betraf. Mit 1950 gab es allmählich Vinyl (in Mono) un der Begriff High Fdelity war geprägt. Wieder ein

    Kaufanreiz. Der Hammer aber war gegen Mitte bis Ende der 50er Jahre wo Stereo eingeführt war. Langsam im Anfang, entwickelte sich der Klassikmarjt exponentiell. Wie befinden uns nun im Zeitalter der Hochkonjunktur.In dieser Zeit entstanden bedeutende Aufnahmen, die teilweise noch heute als "Referenz" gehandelt werden. Irgendwann war aber dieser Markt gesättigt, diverse Versuche die Quadrophonie (ein sprchlich misslungenes Junstwort) einzuführen waren gescheitert, ebenso wie die teure 30 cm "Bildplatte"

    Mit Einführung der Compact Disc (CD) erhoffte man sich neue Einnahmensqullen und sete deren Preis zu Beginn gleich doppelt so hoch fest wie die bislan angebotenen Langspileplatten (wird erst quasi poshum "Vinyl" genannt - und natürlich nach deren Renaissance)

    Aber der Qualitätsunterschie war nicht mehr so gravierend wie bei vergangenen Neuerungen - und es fehlten weitgehend "Heilsgestalten" uner den Interpreten - und auch das Publikum, das bereit war welche zu verehren. Jenes Publikum, welches zum Zeitpunkt der Markteinführung (1983) bereits über 70 war, war nur in den seltensten Fällen bereit auf die neue Technik umzusteigen. Die "grossen" Interpreten hatte man schon in der Sammlung, die neuen waren für diese Stammklientel nur von geringem Intgeresse.

    Die goldenen Zeit für die "Majors" waren vorbei. Man begann nun mit dem Verramschen alter Aufnahmen. Sie wurden umverpachkt und verbilligt.

    Eine Dreifachmühle:

    1) Das Umverpacken kostet Geld

    2) Die Preisreduktion kostet Geld

    3) der Markt wird mit Sonderangeboten zugemüllt - Jeder Interessent besitzt die wichtigsten Aufnahmen - Neue Interpreten sind nur von geringem Interesse.


    Man hatte also die ältere Sammlergeneration abgeschrieben, die Verträge langjäriger Interpreten gelöst oder gebrochen und damit auch das ältere Publikum vergrämt und vergrault.

    Werbung in Fachzeitschriften wurde stark reduziert oder eingestellt. und man verliess sich auf Gratiswerbung im Internet. Etwas das sich rächen wird, denn jene Internetseiten, die über Klassik berichten, tun das ohne Rücksicht auf Werbekosteneinnahmen, weil da meist sowieso nichts kommt (von Ausahmen abgesehen)


    Es wird also immer noch Klassik gehört. Etwas weniger als vor 40 Jahren - aber mehr als all die Jahrhunderte zuvor.


    Nun komme ich auf den 2 Aspekt zu sprechen:


    Schon in meiner Jugend hat man mich im KINDERGARTEN mit "Peter und der Wolf" traktDan folgten Konzhertbesuche zu Balletvorstellungen mit Jugendlichen (Ballettschülern ?) unbekannter zeitgenössische Musik - ein Graus, ein Stück das mir von Anfang an zuwider war.Ich erinnere mich eigenartigerweise noch an den Titel und an die simple Handlung.

    Aber es war bestimmt kein Anreit mich dieser Musiksparte zuzuwenden.


    Ich bin der Auffassung (und werde gerade hier auf Widerstand stoßen) daß es die Orwürmer, einzelne Sätze aus Sinfonien und Operquerschnitte waren, die die meisten Hörer zur Klassik gebracht haben. Die vielen einst am Markt befindlichen Opernquerschnitte und "beliebten Opernchöre" sowie "Die Schönsten Ouvertüren" "Meisterwerke der Klassik" etd etc. belegen, daß meine These stimmt, denn genau diese zeit war die Hochblüte der klassischen Musik.

    Wenn man hier beispielsweise schreibt, man müsse sich die klassische Musik "erarbeiten", so glaube ich, das dies abschrechend auf die meisen wirkt. Mozart wurde - wenn man so will - durch ein "Mißverständnis" berühmt und beliebt. Vorzugsweise durch seine ans galante grenzrende Musik (Vorbild war hier Johann christian Bach mit dem er oberflächlich befreundet war) aber auch durch seine "biographischen" Filme über ihn, jeder auf seine Art verfälschen, behübschend und sonstwie verfälschend..


    Dazu ist zu sagen, daß die Konzert- und Opernbesuchebesuche an sich ähnlich sind wie vor 50 Jahren, wobei ungeliebtes zeitgenössisches Repertoire und Regietheaterinszenierungen von Opern selbstvertändlich als natürliche Bremse wirken. Das kann man bestreiten, man kann die öffentliche Meinung (scheinbar) manipulieren - aber man kann die Leute nicht zwingen ins Konzert oder in die Oper zu gehen. Zahlreiche potentielle Opernbesucher bleibe angesichts der jetzigen Situation (nein NICHT wegen Corona, sondern wegen des Angebots) daheim, hören ihre paar hundert oder paar tausend Platten uns verweigern sich gegenwärtigen Tendenzen. Hier im Forum erscheinen sie nicht - weil viele gar kein Internet haben.

    Der Zwang alles über Internet bestellen zu müssen hat zahlreiche potentielle Kunden in die Konsumverweigerung getrieben, was die sogenannten" "Macher" und "Opinionleader" in ihrer Arroganz oder Unbedarftheit gar nicht begreifen können - weder intellektuell noch emotionell.


    Der geringere Stellenwert der klassischen Musik geht auf weitere Ursachen zurück:

    Zum einen fehlen die "charismatischen Persönlichkeiten", zum andern sind jene, die man heute euphemistisch als "Gesellschaft" bezeichnet nicht bereit charismatische Gestalten zu akzptieren oder gar zu bewundern. "Einer von uns" - also unteres Mittelmaß ist gefragt - vermag aber keine Begeisterung hervorzurufen, wie einst Caruso, die Patti, die Callas, Karajan,Böhm oder Furtwängler. Bei Pianisten ist interessanterweise solch ein Potential noch da.



    Ist das (relative) Desinteresse an klassischer Musik ein einsames Phänomen oder finden wir ähnliches in anderen Bereichen ?

    Wir finden.

    Das beginnt schon beim JAZZ - zahlreiche Läden haben hier dichtgemacht.

    Wer spielt heute noch mit der elektrischen Eisenbahn (Ich spiele auf die historisch korrekten Modelle an)

    Das gilt auch für Modellbauer

    Amateurfunker wurden durch Handy und Internet verdrängt.

    Amateurphotographie auf hohem Nivau ist eine Nische geworden.

    Hifi Enthusiasten sind rar

    Es gibt in TV keine Theaterübertragungen mehr

    Feine Restaurants sind selten geworden

    Amateurtheater sind rar

    Amateurdarsteller für Film (betrifftmich ) sind kaum zu bekommen

    Wer kennt in Fragen Literatur noch "Klassiker"
    Plattensammler


    Die heutige "Gesellschaft" ist mit Sicherheit keine "Spaßgesellschaft"

    Sie ist im Grunde dumm, einfallslos, prüde, und "sozial engagiert" (ohne dafür Geld zu haben)

    Wie kann man von solchen Leuten Interesse für klassische Musik - und ihre Spielregeln - erwarten ?


    klassische Musik ist IMO lediglich als Geschäftsmodell für Großkonzerne problematisch, bzw auf dem absteigenden Ast

    im durch Jahrhunderte üblichen Rahmen wird sie weiter bestehen bleiben...


    mfg aus Wien

    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Alle Leute, selbst Bettler, konnten in die Kirche gehen und dort "klassische" Kirchenmusik hören. Außerdem war spätestens seit der frühen Neuzeit (etwa seit Luther, der selber ein Beispiel für den musizierenden bürgerlichen Hausvater war) "klassisches" Musizieren/Singen auch in der aufkommenden Mittelschicht bis ins Kleinbürgertum sehr verbreitet (was im 19. Jhd. nochmal stark zugenommen hat). Schließlich stammten viele berühmte Musiker und Komponisten selbst eher aus kleinen Verhältnissen, selten aus großbürgerlichen oder adligen Kreisen. (Spontan ohne lange Nachzudenken stammten Haydn, Beethoven, Schubert, Brahms, Bruckner eher aus der "Unterschicht" als der unteren Mittelschicht. Eine berühmte Musikerfamilie des 20. Jhds. aus kleinstbürgerlichen Verhältnissen waren die Busch-Brüder, die als Buben mit ihrem Vater Kirmes- und Kneipenmusik gemacht haben). D.h. selbst wenn das Publikum (und natürlich die prominenten Förderer) aus oberer Mittelschicht und Oberschicht kam, waren die Musiker, die ja nicht ganz unwichtig für die Musik sind (auch wenn das im digitalen Zeitalter manchmal vergessen zu werden scheint) normalerweise aus "dem einfachen Volk" bzw. aus der unteren Mittelschicht. Gerade im späten 19./frühen 20. Jhd., vermutlich der Zeit, in der klassische Musik den höchsten kulturellen Stellenwert in ihrer Geschichte hatte, war eher das mittlere Bürgertum "Träger". (Als ein Beispiel nehme man Roman/Film Howard's End (Forster), in dem die deutschstämmigen, etwas "alternativen" Schlegels in der bürgerlichen Kultur/Musik aufgehen, während besonders die Männer der (erfolg)reichen britischen Familie außer an der Arbeit eher an Jagd, Sport etc. interessiert und ziemliche Kulturbanausen sind. Oder wie in Buddenbrooks die "Dekadenz" der kaufmännischen Familie sich in dem musikbegeisterten, aber lebensuntüchtige Hanno zeigt.)


    Es geht hier aber um das späte 20. und frühe 21. Jhd. Seit Radio und Schallplatten, also in Westeuropa spätestens seit den 1950ern, dazu in den meisten europäischen Ländern stark subventionierter Hochkultur, also erschwinglicher Opernkarten usw. kann man keineswegs davon sprechen, dass für klassische Musik besondere Privilegien notwendig wären. Natürlich gibt es dennoch schichtspezifische Unterschiede (bzw. heutzutage wie in dem verlinkten Artikel sprechen die Soziologen von "Milieus", die sich nicht so leicht anordnen lassen wie klassische "Klassen" oder Schichten). Ein wesentlicher Punkt des Artikels, der sich mit meiner Erfahrung deckt, ist aber der folgende. Spätestens in der Nachkriegszeit (aber vermutlich schon im frühen 20. Jhd.) wurde die Verbreitung zumindest populärer Werke (und natürlich auch der Literatur etc.) in die weniger privilegierten Schichten stark vorangetrieben. Und obwohl die Konkurrenz der Populärkultur verglichen mit früheren Zeitaltern explodierte, auch nicht ohne Erfolg. Zumindest für einen Teil der "Aufsteiger" (im ökonomischen Sinne) in der Nachkriegszeit gehörte ein entsprechender "Aufstieg" zur Hochkultur bzw. wenigstens zu der Wunschkonzert, Operette, dann noch Zauberflöte und Freischütz, dazu. Und ein Teil davon blieb eben nicht beim Wunschkonzert.


    Entscheidend dürfte dabei auch gewesen sein, dass, wie im Artikel ebenfalls angedeutet, praktisch bis zum Privat und Spartenfernsehen, also bis in die 1980er Jahre, wenige Programme Fernsehen und Radio bestimmten und (leichte) Klassik ein Bestandteil populärer Sendungen war. Ich bin ein bißchen zu jung, um mich an diese Fernsehratesendung, die "Donna Diana" als Titelmelodie hatte, oder an von Rothenberger moderierte Sendungen zu erinnern. Wohl aber daran, dass Sänger wie Rothenberger und Prey in "ganz normalen" Samstagsabendshows auftragen, Seite an Seite mit Schlagersängern.

    Mein Beispiel hierfür ist eine Anthologie mit Künstlern aus "Einer wird gewinnen", die zum Abschied Kulenkampffs etwa 1987 herausgebracht wurde; mein Vater bekam die damals zu Weihnachten von meiner Tante. Die erste LP/MC hatte Schlager/Chanson (auch schon eine Mischung, die in der heutigen Zeit säuberlich getrennter Sparten, ungewöhnlich wäre), die zweite (leichte) Klassik, hauptsächlich Operette, aber jedenfalls "große Stimmen" wie Kollo, Prey, Domingo, Jones, Rothenberger etc.


    Man suche bei amazon nach "Goodbye Kuli (1987)-Grosse Stars aus 'Einer wird gewinnen" für ein Bild.


    Diese Präsenz der (leichten) Klassik in den Massenmedien hat sich m.E. in den letzten 40 Jahren deutlich reduziert, insbesondere ist sie aber eben nur in Spartenkanälen wie Arte, 3sat bzw. den entsprechenden Radioprogrammen präsent. "Zufällige" Begegnungen mit Klassik sind daher unwahrscheinlich und selten geworden. Dazu kommt die stark erweiterte Präsenz der Populärmusik, schon für kleine Kinder. (Ich kannte praktisch in meiner gesamten Grundschulzeit um 1980 keine Popmusik, zwar kann ich mich an den Ententanz zu Karneval und an "Ein bißchen Frieden" erinnern, aber in meinem Alltag kam keine Popmusik vor, erst einige Jahre später und dann hat sie mich nie wirklich interessiert, die erste Musik, die mich überhaupt wirklich begeisterte, war Klassik mit 14-15.) D.h. der Befund der Studie ist für mich nicht überraschend, hängt aber eben auch mit konkreten und spezifischen Entwicklungen in den Medien der letzten 40-50 Jahre zusammen, nicht damit, dass Klassik eben "immer" nur für eine Minderheit wäre.

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Es geht hier aber um das späte 20. und frühe 21. Jhd. Seit Radio und Schallplatten, also in Westeuropa spätestens seit den 1950ern, dazu in den meisten europäischen Ländern stark subventionierter Hochkultur, also erschwinglicher Opernkarten usw. kann man keineswegs davon sprechen, dass für klassische Musik besondere Privilegien notwendig wären. Natürlich gibt es dennoch schichtspezifische Unterschiede (bzw. heutzutage wie in dem verlinkten Artikel sprechen die Soziologen von "Milieus", die sich nicht so leicht anordnen lassen wie klassische "Klassen" oder Schichten). Ein wesentlicher Punkt des Artikels, der sich mit meiner Erfahrung deckt, ist aber der folgende. Spätestens in der Nachkriegszeit (aber vermutlich schon im frühen 20. Jhd.) wurde die Verbreitung zumindest populärer Werke (und natürlich auch der Literatur etc.) in die weniger privilegierten Schichten stark vorangetrieben. Und obwohl die Konkurrenz der Populärkultur verglichen mit früheren Zeitaltern explodierte, auch nicht ohne Erfolg. Zumindest für einen Teil der "Aufsteiger" (im ökonomischen Sinne) in der Nachkriegszeit gehörte ein entsprechender "Aufstieg" zur Hochkultur bzw. wenigstens zu der Wunschkonzert, Operette, dann noch Zauberflöte und Freischütz, dazu. Und ein Teil davon blieb eben nicht beim Wunschkonzert.

    Die zeitliche Einordnung ist IMO schon sehr willkürlich, aber d' accor: Betrachten wir diesen Zeitraum näher:

    Ich haber in letzter Zeit zwei Bücher über die Geschichte der Schallplatte gelesen (von Curt Riess, bzw orman Lebrecht) und in einem der beiden (ich erinnere mich nicht genau in welchem der wurde beiden) festgestellt, daß stets nach einem Weltkrieg der Klassikanteil an Schallplatten merkbar anstieg, man wollte "Musik für die Ewigkeit" sammeln. Dazu kommt, daß etwa 6-7 Jahre nach dem Jeweiligen Krieg ein schlagartiger Anstieg an Qualität der Tochtechnik einsetzte.

    Und wir sind uns einig, daß damals die "populäre" Klassikvorangerieben wurde. Ich arbeitete von 1964 -1968 bei der Buchgemeinschaft Donauland und da wurde diese Art Musik aufgelegt: 3 Barockkomponisten, Wiener Klassik, sowie die "Renner" Schumann, Mendelssohn, Tschaikowsky, Dvorak, Brahms - Opernquerschnitte - und von Mozarteventuell die einne oder andere Gesamtaufnahme (das könnte ich aber nicht beschwören) Mit Sicherheit gab es kein Komponisten des 20, Jahrhunderts. Aber jede Menge an Opernchören und Operettenquerschnitten.

    Zu den Verkaufszahlen und Einkommen

    ein Kollektivvertragsgehalt eines Verkäufers lag damals BRUTTO bei etwa 1870 öS (135 Euro) - Donauland zahlte erheblich mehr, ca 2600ös für Anfänger (188 Euro) und es gab im September ein weiteres halbes Monastsgehalt, welches bei der Übernahme durch Bertelsmann verloren ging (es wurde auf das Jahresgehalt aufgerechnet - aber das war IMO ein Nachteil) Aber nun zum Vergleich Ein Einzel-Fahrschein dür die Wiener Straßenbahn (für Berufstätige und Lehrlinge gab es Wochen- bzw Monatkarten-oft nur für eine bestimmte Strecke) kostete

    1964: 3 öS = (ca 22 Cent) und ab 1965: 5 öS (ca 36 Cent)

    Eine 30 cm Langspielplatte kostete damals bis weit in die späten 70er Jahre hinein unverändert

    150 öS (ca 11 Euro) also ca 6-8% eines Brutto-Monatsgehalts


    Da stimmten zwar die Umsätze und Gewinne der Tonträgerindustrie - aber ein richtige Archiv konnten sich nur die wohlhabenden leisten.

    Heute ist das Angebot - dank zahlreiche INDIES gigantisch und die Preise (verglichen zum Einkommen moderat bis niedrig) Das mag den Eindruck geringer Verkäufe entstehen lassen.

    Wir dürfen nicht ausser Acht lassen, daß "Klassische Musik einst ein"Statussymbol" war.

    Aber das war vornehme Kleidung, teure Krawatten und Parfüms, Luxusrestaurants, HIFI Anlagen, Photoapparate, Autos und Motorräder auch.

    Aus meiner Sicht gibt es das heute alles nicht mehr. Womit kann mann - so man es überhaupt anlegt - heute noch "Eindruck " erzeugen?

    Adelstitel sind in Österreich abgeschafft, es gibt keine wirklichen Statussymbole mehr, keine Dinge wofür man "glüht" Alles ist selbstverständlich


    Es werden also deshalb wenig Klassikplatten gekauft, weil man um (relativ) wenige Euro all das kaufen kann was einen interessiert. Nischenrepertoire gabe es in der Vergangenheit so gut wie nicht - und auch heute ist das Interesse gering. Gegenwartsmusi - man wollte sie uns immer schon aufzwingen (weil hier noch Tantiemen anfallen)

    aber schon in meiner Jugend wurde sie durchwegs abgelehnt, bekämpft und heute, wo man sieht, daß sie sowieso chancenlos ist - einfach negiert.


    Also kann auch von hier kein "neuer Markt" (in relevantem Ausmaß) erschlossen werden.

    Klassische Musik ist und bleibt eine elitäre Sache - und das ist IMO gut so....


    mfg aus Wien

    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Diese Präsenz der (leichten) Klassik in den Massenmedien hat sich m.E. in den letzten 40 Jahren deutlich reduziert, insbesondere ist sie aber eben nur in Spartenkanälen wie Arte, 3sat bzw. den entsprechenden Radioprogrammen präsent. "Zufällige" Begegnungen mit Klassik sind daher unwahrscheinlich und selten geworden.

    Ja, das ist tatsächlich so. Der mittlere Bereich, von woher sich Interesse für Klassik entwickeln könnte, fehlt. Anneliese Rothenberger und Herrmann Prey sind mir durchaus noch präsent (ich bin leider alt genug), aber, wenn ich ehrlich bin, fand ich diese Darbietungen nie wirklich schön, sie hatten auch damals für mich etwas Künstliches in der Empfindung, das später seine Höhepunkte in dem leicht verlogenen Singsang der Heimatmelodiesendungen fand. Als Kind sprach ich mit meinem Vater, wenn ich überhaupt über Musik sprach, eher über den Bläsersatz von Glenn Miller und seltsame Bigbands von vor dem Kriege. :) (BTW Die Sendung, die Du suchst, hieß: Erkennen Sie die Melodie mit Ernst Stankovski. Die Sendung hatte mir zu Beginn noch den meisten Spaß gemacht.....)


    Natürlich ist das schwer, den Einfluss dieser Sendungen wirklich zu beurteilen. Denn selbst, wenn man Anneliese Rothenberger ablehnte, hat man die Sendung dann doch gesehen. Das ist bei der Luxusverpflegung heute mit allem und jedem nicht mehr nötig. Man baut sich sehr schnell eine Echokammer, wo man nur noch das hört, was man sowieso schon gut findet.

    Klassische Musik ist und bleibt eine elitäre Sache - und das ist IMO gut so....

    Wie Johannes in seinem Beitrag, wie ich glaube, richtig schreibt, haben sich die Eliten aber über die Zeit schon geändert. Es ist keine reine Geldelite mehr. Und natürlich bewahrt eine Abkapselung vor Schaden (wenn man sich zum Beispiel den Geiger David Garrett ansieht, der Motive aus der Klassik offensichtlich benutzt, um im populären Bereich zu punkten. Hier wird das Kulturgut instrumentalisiert.) Andererseits habe ich persönlich aber den Glauben, dass ein größeres Interesse für, sagen wir, ernsthafte Musik, die mitteilen und nicht nur verkauft werden will, für die Gesellschaft gut wäre.


    Beste Grüße,

    Axel

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  • Ich habe mal eine animierte Graphik gesehen über die Verteilung der Sparten in der Plattenindustrie. Klassik und Oper (getrennt) waren anfangs recht präsent (also so Anfang des 20. Jahrhunderts), dann schrumpften sie dahin und sind seit langer Zeit eine winzige Nische.


    Ansonsten kann ich ja nur Johannes verdoppeln.


    Dass das Instrument-Lernen in der Regel nicht viel bringt, wundert mich auch nicht mehr, da die meisten auf niedrigstem Niveau bleiben und höchstens von Kinderliedern zu Pop-Songs aufsteigen, von Klassik ist da nichts in Reichweite.

  • In der ersten Hälfte des 20. Jhd. waren Platten größtenteils noch zu teuer. Aber im LP- und CD-Zeitalter, ungefähr Mitte der 1950er bis 2000 ließ sich mit Klassik und Oper auf Platten gutes Geld verdienen. 5-10% eines Millliardenmarkts sind immer noch ganz gut Geld. Komischerweise hat man beim Jazz, der bis in die 1950er Jahre die Populärmusik der Zeit war und dann zu einer 5% Nische herabsank, selten so ein kulturpessimistisches Geflenne gehört wie aus der Klassiksparte. (Was auch daran liegen mag, dass Jazz leichter mit kleinen Ensembles realisierbar ist, während das für wichtige Teile der Klassik nicht geht, die daher auf erhebliche Geld- und Personalmittel angewiesen sind.) Der Kulturpessimismus ist zwar i.A. richtig. Aber dieser "Niedergang" der allgemeinkulturellen Bedeutung der klassischen Musik hat eingesetzt, bevor die meisten hier im Forum geboren waren und vor der Verbreitung der Langspielplatte. 200 Jahre alte Musik auf Tonträger anzuhören ist nur ein anderer Aspekt dieser Dekadenz (im rein beschreibenden, nicht direkt abwertenden Sinne), selbst wenn es die technischen Möglichkeiten gegeben hätte, hätte kaum jemand in einer Blütezeit wie um 1800 Interesse gehabt, Musik von 1600 auf Tonträgern zu hören.

    Über die 1930er kann man noch streiten, aber seit der Nachkriegszeit war zeitgenössische Musik nur noch eine kleine Nische und wenn eine Kunstsparte nichts mehr Relevantes für die gegenwärtige Gesellschaft hervorbringt, ist sie zwar nicht gestorben, aber eben im Abstieg. Das bedeutet natürlich nicht, dass in den letzten 70 Jahren keine bedeutende Musik mehr komponiert wurde. Wie ich neulich schon schrieb, ist das auch kein isolierter Abstieg. Auch Theater und Literatur haben nicht mehr den Status, den sie mal hatten, wobei es nicht so ein deutlicher Abstieg ist wie bei der ernsten Musik.

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  • Auch wenn der Threadtitel nicht ideal zum Beitrag passt, schreibe ich hier. Einen besseren Titel habe ich nicht gefunden. Die Erinnerungen, die das Hören von Schuberts Unvollendeter mit sich brachte, haben mich veranlasst, darüber nachzudenken, wie stark Musik als Trigger für Erinnerungen dienen kann. Lustigerweise kam heute morgen im SWR eine Sendung von Christoph Drösser in der Reihe "Wissen" dazu.


    So ein bisschen das Thema Gehirn und Musik Wie wir uns an Musik erinnern. Es dürfte nicht überraschen, dass es viel mit Gefühlen zu tun hat.....


    Christoph Drösser hatte in dieser Reihe schon eine Sendung zum Thema Musik gemacht, die ich auch nicht vorenthalten will.


    Gefühle in der Musik – Wie sie entstehen und was sie auslösen


    Die Sendungen beantworten nicht die Frage, wie man Musik rezipeiren sollte, sondern wie man es tut ;)

  • Frägt man heutzutage junge Leute (ich kenne leider nicht viele), wie sie Musik konsumieren - pardon rezipieren, dann kann man ganz leicht sehr enttäuscht sein wegen deren unprätentiöser Betrachtungsweise.


    Ich kann in Gesprächen, wo Themen der Musik unter anderem erörtert werden, oft gar nicht feststellen, ob es Sollen oder Tun ist mit dem Hören und Ausüben von Musik ist. Fest steht, so scheint mir, dass Musikinstrumente gewünscht werden, um darauf zu üben, diese auch zu besitzen, gleichzeitig auch elektronische Hilfen zu benutzen, z.B. Soundeffekte, um eine gewisse Performance in der Familie oder Schulklasse hinzukriegen. Man ist offenbar mit einigen Effekten leichter zufrieden als mit der Suche nach einem ästhetischen Ideal, welche dann wesentlich schwieriger ist als vor sich hin zu klimpern. Auch unter Betrachtung der (momentanen) Möglichkeiten des Schülers braucht es offenbar dafür eine Art musische Umgebung (Eltern, Schule, Kirche, Verwandte, ...).


    Mal was ganz anderes, lieber astewes:

    wie rezipierst denn du Musik, oder wie sollte/ könnte man sie rezipieren ? :/

  • Frägt man heutzutage junge Leute (ich kenne leider nicht viele), wie sie Musik konsumieren - pardon rezipieren, dann kann man ganz leicht sehr enttäuscht sein wegen deren unprätentiöser Betrachtungsweise.

    Auch ich bin hier mehr auf Theorie, als auf Praxis angewiesen. Beruflich sind so die Jüngsten, mit denen ich ernsthafter kommuniziere, kurz unter 30. Allerdings gibt es da doch einige mit starkem Interesse an Musik, nicht notwendigerweise klassischer. Das war aber in meinem jugendlchen Umfeld 50 Jahre früher nicht viel anders. Es gab bei uns in der Nachbarschaft eine Familie, die praktizierte Hausmusik, das war damals schon eher etwas ausgefallen.



    Ich kann in Gesprächen, wo Themen der Musik unter anderem erörtert werden, oft gar nicht feststellen, ob es Sollen oder Tun ist mit dem Hören und Ausüben von Musik ist. Fest steht, so scheint mir, dass Musikinstrumente gewünscht werden, um darauf zu üben, diese auch zu besitzen, gleichzeitig auch elektronische Hilfen zu benutzen, z.B. Soundeffekte, um eine gewisse Performance in der Familie oder Schulklasse hinzukriegen. Man ist offenbar mit einigen Effekten leichter zufrieden als mit der Suche nach einem ästhetischen Ideal, welche dann wesentlich schwieriger ist als vor sich hin zu klimpern.


    Solange DSDS (Deutschland sucht ... :() stilbildend ist, wird man versucht sein, ein dort zelebriertes Ideal von Musik auf möglichst schnellem Wege zu erreichen. An keiner Stelle wird da kommuniziert, dass es darauf ankommen könnte, eigene Kriterien zu entwickeln, sondern ganz im Gegenteil, das vollendete Nachmachen anderer scheint hier das Ziel zu sein. Da bin ich keinem böse, wenn er mit allen technischen Hilfsmitteln hinkriegen will, was vielleicht "unplugged" nicht möglich ist....;)


    Die Suche nach einem ästhetischen Ideal ist etwas für den produzierenden Künstler, der das gerade nach dem ersten Nachmachen in der künstlerischen Auseinandersetzung mit dem gegebenen Material findet, so er denn den Wunsch dazu haben sollte. Hier wird sich auch die Spreu vom Weizen trennen.


    Auch unter Betrachtung der (momentanen) Möglichkeiten des Schülers braucht es offenbar dafür eine Art musische Umgebung (Eltern, Schule, Kirche, Verwandte, ...).

    Da bin ich mir gar nicht sicher. Ich hatte einen Klassenkameraden, der schrieb damals im Deutschunterricht anstelle eines Aufsatzes ein Gedicht. Vom Lehrer damals mit der schlechtesten Note quittiert, er hatte ja die Aufgabe nicht erfüllt.... Wo kam dieser Wunsch her, sicher nicht aus dem schulischen Umfeld :)


    Musik muss einen so ansprechen, dass man "mitmachen möchte " in diesem Mono- Dia oder Polylog ...:) des musikalischen Instrumentariums. DSDS bedient nur den Wunsch nach gesellschaftlicher Anerkennung. Die Musik ist hier nicht Gegenstand sondern wird nur instrumentalisiert.



    Mal was ganz anderes, lieber astewes:

    wie rezipierst denn du Musik, oder wie sollte/ könnte man sie rezipieren ?

    Gute Frage :/, Ich hatte sie selbst im Threadtitel gestellt und wohl nicht beantwortet ;)


    Wie man es sollte, weiß ich nicht. Ich sammle gerne, wie man es so macht. Ich bin von sehr klein auf mit Musik groß geworden, allerdings nicht mit klassicher. Die gab es vor meinen eigenen Aktivitäten bei uns nicht (Caruso war eine Ausnahme, mein Vater interessierte sich sehr für Sänger und Sängerinnen und stimmliches Können) Wir hatten eine große Sammlung von Schellackplatten und Platten aus anderen Materialien, die ich bis heute nicht kenne, die ich liebend gerne auf dem mit 78 Touren rotierendem Plattenteller laufen ließ. Eine gewisse Begeisterung darüber, zu erleben, wie aus einer Rille Musik kam, war auch nicht auszuschließen :(. Das alte Klavier war verschenkt und für Blockflöte konnte ich mich nicht begeistern. Also blieb es erstmal beim Rezipieren.


    Das ganze nahm dann eine von mir in die Hand genommene Wendung als ich beim Besuch bei Bekannten das Forellenquintett entdeckte und dort dann hörte und hörte und hörte. Zeit war ja da, Kinder hatten zur damaligen Zeit am Erwachsentisch nichts zu suchen und mussten sich selbst beschäftigen. Ich kannte weder den Komponisten (ich wußte wahrscheinlich nicht mal, dass es "klassische" Komponisten gab) noch bewusst die Instrumente, die da zu hören waren (Klavier ausgenommen) und trotzdem faszinierte mich die Musik.


    Es gibt ja in einem anderen Faden die Debatte, ob man ohne Sekundärkenntnisse bei Musik notwendigerweise an der Oberfläche bleibt. Das möchte ich hier noch einmal verneinen. Wenn einen die Musik gefangen (was das bedeutet ist selbstverständlich nicht ganz klar!) nimmt, ist doch alles erreicht. Etwas anderes ist es, wenn ich mit einer Musik nicht zurechtkomme. Dann kann natürlich Wissen über die Intentionen des Komponisten, über sein Leben oder über die Werkrezeption hilfreich sein, die musikalischen Strukturen erkennbar zu machen und das Hinhören ein wenig zu steuern.


    Bei mir ist es so, dass ich Musik auf verschiedenen Ebenen wahrnehme, einmal einfach so. Ich höre lieber ein artifizielles Streichtrio als Außenlärm, der für mich komplizierter zu verarbeiten ist. Wenn ich Ruhe und Zeit habe, setze ich mich auch gerne hin und höre sehr konzentriert zu. Ich versuche dann, dem "Geheimnis hinter der Musik" auf den Grund zu gehen. Es gehört zum Schönsten, was ich kenne, wenn mir das gelingt. :hail:


    Jetzt habe ich aber viel erzählt. Ich hoffe, man konnte damit ein wenig anfangen ...

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  • Es gibt ja in einem anderen Faden die Debatte, ob man ohne Sekundärkenntnisse bei Musik notwendigerweise an der Oberfläche bleibt. Das möchte ich hier noch einmal verneinen. Wenn einen die Musik gefangen (was das bedeutet ist selbstverständlich nicht ganz klar!) nimmt, ist doch alles erreicht.

    Wenn Du eine fremde Sprache lernst, musst Du unter Umständen lernen, dass es Bedeutungen gibt, die sich nicht so ohne weiteres übersetzen lassen. Du vergisst, dass - betrachten wir Musik als Sprache - Sprache selber geschichtlich ist und von daher einem einem Sinn- und Bedeutungswandel unterliegt. Im Barock gibt es z.B. eine musikalische Figurenlehre, die Teil jeder Kompositionslehre war. Der Komponist komponiert also Phrasen, deren Ausdruckssinn festgelegt ist wie ein Code und die jeder Hörer sogleich versteht. Heute ist es so, dass nicht nur die Hörer dieses Wissen nicht mehr haben, sondern auch die Interpreten nicht mehr. Cembalisten lernen z.B. noch die Phrasierungsregeln und Bedeutungen von damals, Pianisten in ihrer Ausbildung am Konservatorium längst nicht mehr. Dann spielen sie Musik, die für sie im Grunde so etwas wie eine Fremdsprache ist, wo sie nicht wissen, dass es eine Fremdsprache ist und Hörer, die auch nichts mehr verstehen. Natürlich erklingt dann noch Musik, die auch fesseln kann, sie hat aber mit dem, was der Komponist des Barockzeitalters seinen Hörern vermitteln wollte und konnte, nicht mehr viel zu tun.


    Schöne Grüße

    Holger

  • Wenn Du eine fremde Sprache lernst, musst Du unter Umständen lernen, dass es Bedeutungen gibt, die sich nicht so ohne weiteres übersetzen lassen.

    Werter Holger,


    wir kommen in kompliziertes Fahrwasser. Erstaunlich ist doch ganz zu Anfang einmal, dass man eine Sprache lernt, ohne ihre Bedeutung zu kennen, und ihre tiefere Bedeutung nur teilweise über Sprache lernt, nämlich als Kind.


    Du vergisst, dass - betrachten wir Musik als Sprache - Sprache selber geschichtlich ist und von daher einem einem Sinn- und Bedeutungswandel unterliegt.

    Das vergesse ich selbstverständlich nicht, nur scheint mir die Frage berechtigt, ob das für einen Rezipienten, der mit der Musik einen ästhetischen Genuß ("Bedeutung") verbinden kann, wirklich gewusst werden muss.


    Ich schließe nicht aus, dass solches Wissen zusätzliche Aspekte in die Rezeption bringen kann, das macht aber jeder andere Kontext, in dem ich rezipiere auch.


    Auf der anderen Seite bin ich nicht ganz sicher, ob ein solches Wissen nicht manchmal auch den naiven Zugang zur Musik verbauen kann, der meines Erachtens nicht zu vernachlässigen ist. In der Rezeption gibt es doch Unterschiede ob ich Bartoks Sammlung für Kinder als Kind höre und genieße oder ob ich sie mir als Erwachsner aneignen muss. Die Mittel bei Rezeption sind völlig andere. das Erlebnis der Rezeption halte ich auch nicht für objektivierbar.


    Wenn ich jetzt das Kind mit historischem Wissen belaste, helfe ich ihm bei der Rezeption oder verhindere ich diese nicht sogar?


    Natürlich erklingt dann noch Musik, die auch fesseln kann, sie hat aber mit dem, was der Komponist des Barockzeitalters seinen Hörern vermitteln wollte und konnte, nicht mehr viel zu tun.

    Selbstverständlich nicht. Nicht mit dem größten Wissen aller Zeiten wird es Dir gelingen, was ein Komponist des Barockzeitalters mit seiner Musik vermitteln wollte, heute zu rezipieren. Ich halte den Versuch der historischen Adaption ehrlicherweise auch eher für ein schönes Zubrot und nicht für notwendig.

  • wir kommen in kompliziertes Fahrwasser. Erstaunlich ist doch ganz zu Anfang einmal, dass man eine Sprache lernt, ohne ihre Bedeutung zu kennen, und ihre tiefere Bedeutung nur teilweise über Sprache lernt, nämlich als Kind.

    =O Wie soll man eine Sprache lernen ohne eine Bedeutung zu kennen, lieber Axel? Das Lallen ohne Bedeutung ist doch nicht verstehbar. Das Kind erkennt Bedeutungen natürlich nicht nur über die Wortsprache, sondern auch über Gesten z.B. Aber gerade Gesten haben eine verstehbare Bedeutung. Mein Enkel wächst z.B. zweisprachig auf (mit Deutsch und Englisch). Wie meinst Du, soll das gehen ohne Bedeutungserfassung? ^^

    Auf der anderen Seite bin ich nicht ganz sicher, ob ein solches Wissen nicht manchmal auch den naiven Zugang zur Musik verbauen kann, der meines Erachtens nicht zu vernachlässigen ist. In der Rezeption gibt es doch Unterschiede ob ich Bartoks Sammlung für Kinder als Kind höre und genieße oder ob ich sie mir als Erwachsner aneignen muss. Die Mittel bei Rezeption sind völlig andere. das Erlebnis der Rezeption halte ich auch nicht für objektivierbar.

    Ich verstehe diesen Vorbehalt nicht. Natürlich, jeder von uns lernt Musik erst einmal unbedarft und naiv kennen. Manche Musik gefällt uns auf Anhieb, manche nicht. Aber dann kommt ein Prozess, wo wir eben tiefer eindringen und eindringen wollen - jedenfalls bei Kunstmusik. Das Argument ist auch nicht einleuchtend: Musiker z.B. müssen sich ganz anders mit einem Werk auseinandersetzen, wenn sie es spielen und interpretieren. Das verbaut ihnen aber doch nicht den Genuss! Wenn man sich bestimmte Dinge bewusst macht, kann man sie auch ganz bewusst genießen. Das steigert den Genuss! Bei einem Gemälde ist es doch nicht anders: Wenn ich die große Kunstfertigkeit eines Malers begreife, dann behindert das nicht meine Begeisterung, das Bild zu betrachten. Im Gegenteil! Ich denke: Das ist aber genial!


    Selbstverständlich nicht. Nicht mit dem größten Wissen aller Zeiten wird es Dir gelingen, was ein Komponist des Barockzeitalters mit seiner Musik vermitteln wollte, heute zu rezipieren. Ich halte den Versuch der historischen Adaption ehrlicherweise auch eher für ein schönes Zubrot und nicht für notwendig.

    Es ist aber doch nun ein Unterschied, ob Dir jemand eine Peking-Oper vorführt oder eine Barock-Oper. Musik aus einem anderen Kulturkreis ist nahezu unverständlich, bei einer Barock-Oper kann sich der Regisseur bemühen, die Aufführung so zu gestalten, dass der Sinnverlust ausgeglichen wird zu einem nicht unerheblichen Teil, dass das Stück von damals nicht einfach jede Aussagekraft verliert. Dann wird es nämlich unaufführbar. Wenn bestimmte Wendungen/Figuren von Barockmusik nicht mehr in ihrer Ausdrucksbedeutung erfasst werden können, dann droht die Musik zum belanglosen Gedudel zu werden. Das ist ja auch passiert. Da braucht man sich ja auch nur die Rezeptionsgeschichte anzuschauen. Der Sinnverlust ist spürbar. Dann muss sich der Interpret etwas einfallen lassen, um ihn zu kompensieren. Man kann schließlich nur ästhetischen Genuss erzeugen, wenn etwas da ist, was Genuss erzeugen kann. Er entsteht ja nicht aus dem Nichts.


    Schöne Grüße

    Holger

  • Wie soll man eine Sprache lernen ohne eine Bedeutung zu kennen, lieber Axel? Das Lallen ohne Bedeutung ist doch nicht verstehbar. Das Kind erkennt Bedeutungen natürlich nicht nur über die Wortsprache, sondern auch über Gesten

    Werter Holger, ich hatte angedeutet, dass es kompliziertzes Fahrwasser wird und unglücklicherweise habe ich mich schon gleich am Anfang unklar ausgedrückt.


    Sorry dafür. Ich habe ausdrücken wollen, dass man (Mutter-)Sprache als Kind über sehr viele Kontexte lernt, von denen die Sprache selbst nur ein Teil ist. Gerade sehr feine Unterscheidungen, lassen sich über Sprache nur sehr kunstvoll realisieren, während Gestik und Mimik viel direkter "sprechen" können. So ähnlich sehe ich das auch mit unserer musikalischen Begabung. Wir haben einen direkten Zugang zur Musik, der natürlich mit dem Alter immer schwieriger wird, Ähnlich, wie das Lernen einer Sprache, die das Kind schnell aus dem Kontext erlernen kann.


    Mein Enkel wächst z.B. zweisprachig auf (mit Deutsch und Englisch). Wie meinst Du, soll das gehen ohne Bedeutungserfassung?


    Ich kenne auch einige, die zweisprachig aufgewachsen sind. Da ist die zweite Sprache eine Art zweite Muttersprache, die intern nicht mehr übersetzt werden muss, was ich leider mit den beiden mir zur Verfügung stehenden Fremsprachen Französisch und Englisch dauernd tue.


    Das mit der Bedeutung von Sprache ist schwierig. Als Mathematiker (oder auch als analytischer Philosoph) neigt man dazu, Semantik selbst wieder zu formalisieren. Das lässt sich aber in meinen Augen nur wirklich gut auf einen für die Wissenschaft nutzbaren Objektbereich anwenden. Im natürlichen Leben, was ich hoffentlich an ein paar Stellen auch habe ;), neige ich der Idee des von Wittgenstein ins "Spiel" gebrachten Sprachspiels zu. Ich habe mal eine Vorlesung von ihm über Religion studiert und fand den Umgang mit dem Begriff im Sinne eines Sprachspieles recht interessant. Wenn wir solange sprachspielen, dass jeder Beteiligte im Endeffekt den anderen verstanden zu haben glaubt, ist doch schon viel erreicht.


    Gerade in der Musik finde ich den Ansatz reizvoll, weil ja durch die musikalische Sprache alleine nicht einmal Bedeutung (im Sinne einer Aussage über außerhalb der musikalischen Sprache Liegendes) suggeriert wird, was die natürlkiche ja verwirrenderweise dauernd macht ;)


    Ich verstehe diesen Vorbehalt nicht.

    interessant :). Das hier Gemeinte war einfach gedacht. Wenn einer schon ein offenes Ohr für Musik hat, würde ich ihn einfach hören lassen.


    Sehr häufig habe ich in der Schule erlebt, wie stromlinienförmiger Unterricht im Endeffekt dem Schüler (mich eingeschlossen) die Lust an Gegenstand genommen hat.


    Es ist aber doch nun ein Unterschied, ob Dir jemand eine Peking-Oper vorführt oder eine Barock-Oper. Musik aus einem anderen Kulturkreis ist nahezu unverständlich, bei einer Barock-Oper kann sich der Regisseur bemühen, die Aufführung so zu gestalten, dass der Sinnverlust ausgeglichen wird zu einem nicht unerheblichen Teil, dass das Stück von damals nicht einfach jede Aussagekraft verliert.

    Das ist einen Versuch wert, Aber es scheint doch klar zu sein, dass der barocke Mensch zum Beispiel einen Opernbesuch völlig anders in sein Leben integrierte als der heutige. Schon das individuelle Zeiterlebnis ist ein anderes.


    Wenn man wirklich verstehen will, wie man eine Oper aus der Barockzeit "genießen" kann (oder soll :)) bin ich im Endeffekt ratlos.


    Die Fakten sprechen aber eine klare Sprache. Es scheint ja irgendwie zu gehen ...:hello:

  • Werter Holger, ich hatte angedeutet, dass es kompliziertzes Fahrwasser wird und unglücklicherweise habe ich mich schon gleich am Anfang unklar ausgedrückt.


    Sorry dafür. Ich habe ausdrücken wollen, dass man (Mutter-)Sprache als Kind über sehr viele Kontexte lernt, von denen die Sprache selbst nur ein Teil ist. Gerade sehr feine Unterscheidungen, lassen sich über Sprache nur sehr kunstvoll realisieren, während Gestik und Mimik viel direkter "sprechen" können. So ähnlich sehe ich das auch mit unserer musikalischen Begabung. Wir haben einen direkten Zugang zur Musik, der natürlich mit dem Alter immer schwieriger wird, Ähnlich, wie das Lernen einer Sprache, die das Kind schnell aus dem Kontext erlernen kann.

    Lieber Axel,


    die Frage ist doch, was uns der Vergleich bringt. Wenn man Musik wirklich ohne jedes Sinnverstehen genießen könnte, dann müsste es doch egal sein, ob man Mozart oder eine Peking-Oper hört. Der Genuss müsste sich im Prinzip genauso - zufällig - einstellen. Tatsache ist: Die Peking-Oper bleibt uns fremd, so unverständlich wie Chinesisch. Dabei einen Genuss empfinden können wir eigentlich nicht, das können nur Chinesen. Nun kann man sagen: Ja, wir haben die Musiksprache Mozart quasi intuitiv gelernt seit unserer Kindheit. Genau, dann aber ist das schon einmal ein Verstehen, das uns kulturell bedingt erlaubt, Mozarts Musik zu genießen. Und dann geht es weiter: Wir sind ja nun einmal durch Schulbildung, Universität usw. über das Niveau des intuitiven Lernens eines Kindes weit hinaus gelangt. Wieso meinen wir, beim Hören von Musik müssten wir auf dem Niveau des kindlichen Lernens/Aufnehmens/Verstehens stehen bleiben? Um die besondere Kunstfertigkeit der Jupiter-Symphonie, ihre Originalität, ästhetisch zu genießen, muss ich sie erst einmal verstehen. Dazu reicht ein intuitives Verständnis auf dem Niveau des intuitiven Lernens des Kindes aber nicht aus. Denn dann - ohne Verstehen - ist einfach eine Mozart-Symphonie wie die andere. Die Originalität dieser besonderen Symphonie erschließt sich mir dann nicht. Eigentlich noch nicht einmal das, was eine Symphonie ausmacht. Ich kann mich schließlich auch für Eine kleine Nachtmusik begeistern. Auch das ist Mozart, ist Musik.

    Das mit der Bedeutung von Sprache ist schwierig. Als Mathematiker (oder auch als analytischer Philosoph) neigt man dazu, Semantik selbst wieder zu formalisieren. Das lässt sich aber in meinen Augen nur wirklich gut auf einen für die Wissenschaft nutzbaren Objektbereich anwenden. Im natürlichen Leben, was ich hoffentlich an ein paar Stellen auch habe ;) , neige ich der Idee des von Wittgenstein ins "Spiel" gebrachten Sprachspiels zu. Ich habe mal eine Vorlesung von ihm über Religion studiert und fand den Umgang mit dem Begriff im Sinne eines Sprachspieles recht interessant. Wenn wir solange sprachspielen, dass jeder Beteiligte im Endeffekt den anderen verstanden zu haben glaubt, ist doch schon viel erreicht.

    Wittgenstein wollte eigentlich wie sein Bruder, der Pianist Paul Wittgenstein, auch Musiker werden. Der Vater hat es aber nicht erlaubt! Er hat auch Interessantes zur Musik geschrieben. Mit dem Begriff des Sprachspiels ist es so eine Sache. Ein Spiel kann man nur mitspielen, wenn man die Spielregeln kennt. Also die Voraussetzung ist auch hier ein Sinnverstehen.


    Ein bekanntes sprachwissenschaftliches Modell zum Verstehen von Kommunikation ist das sogenannte "Organon"-Modell von Karl Bühler. Es besagt, dass sprachliche Kommunikation auf drei Grundvoraussetzungen beruht: Vorstellung, Ausdruck und Auslösung (Wirkung). Nun hast Du gesagt, wenn Musik gefangen nimmt, also berührt und begeistert, dann sei das völlig ausreichend. Ein Verstehen, das weiter geht, sei für den ästhetischen Genuss unnötig und im Grunde überflüssig - sogar störend und unerwünscht. Nach dem Organon-Modell ist nun leicht erkennbar, welcher Anteil der sprachlichen Kommunikation ein Verstehen voraussetzt und welcher nicht. "Gefangennehmen", Begeisterung, Berührung ist der Wirkungsaspekt (die "Auslösung"). Sprache kann suggestiv wirken, und wir müssen nicht wissen, warum. Sie wirkt suggestiv auch ohne jegliches Verstehen. Nur bei den anderen beiden Aspekten ist das anders. Kommunikation übermittelt eine Vorstellung - was Verstehen voraussetzt (eine bestimmte musikalische Grammatik, etwa die einer Fuge, muss man verstehen). Auch der Ausdruck (von Gefühlen, Befindlichkeiten, subjektiven Einstellungen usw.) setzt Verstehen voraus, sonst wird der Sprachlaut (der Ton der Musik) zum leeren Geräusch. Wenn Du nun sagst, Musik müsse nur fesseln und das reicht völlig aus, dann reduzierst Du die musiksprachliche Kommunikation auf den suggestiven Wirkungsaspekt und lässt die anderen beiden wesentlichen Bestandteile unberücksichtigt. Das ist aber schlicht Kommunikationsverweigerung in nicht unerheblichen Maße. Die Kommunikation zwischen Komponist/Werk/Hörer wird komplett der beiden ein Sinnverstehen voraussetzenden Elemente der Vorstellung und der Ausdrucks beraubt. Sie verarmt sozusagen, wird auf das Nur-Suggestive purer Wirkungsrhetorik reduziert. ^^


    Um das mal an einem Beispiel zu verdeutlichen: An Liszts Klaviersonate h-moll kann man sich berauschen. Da gibt es jede Menge höchst effektvolle Virtuosität, rauschende Oktavpassagen. Das Stück ist ein Dauerbrenner bei Klavierwettbewerben, wo dann die Jungpianisten ihre manuellen Fähigkeiten zur Schau stellen, ansonsten aber vom Sinn dieser Sonate so gut wie nichts verstehen. Das soll reichen? Ein Claudio Arrau, der noch bei dem Liszt-Schüler Martin Krause studiert hat, berichtet, dass Liszt-Schüler von Liszt persönlich wussten, dass er diese seine Sonate als eine Art Faust-Symphonie für Klavier verstand. Entsprechend erläutert er auch sein Spiel: Es treten Mephisto, Faust, Gretchen auf. Und so wird bei Arrau (wie bei Brendel) auch klar, warum die Fuge in der falschen Tonart steht. Das hat diabolische Züge, da tobt sich Mephisto aus.


    Das alles, sagt nun der reine Erlebnis-Hörer, der sich nur am Glanz des höchst effektvollen Klaviersatzes erfreut, den donnernden Oktavpassagen und rasend schnellen Läufen, ist überflüssig! Die Virtuosität an sich reicht aus, dass uns dieses Stück fesselt. Was wollen wir mehr! Was soll Arraus überflüssige Philosophie und Sinnsucherei?


    Die grundsätzliche Frage ist: Soll im Ernst das pure Erlebnis von Virtuosen-Donner ohne Sinnverstehen ausreichen, um den ästhetischen Genuss an dieser Liszt-Sonate zu begründen? Und allgemeiner: Soll es das Wesen der Musik sein, dass nur ihre höchst suggestive Wirkung zählt und nichts Anderes Bedeutung hat? Das ist die Frage! :D

    Gerade in der Musik finde ich den Ansatz reizvoll, weil ja durch die musikalische Sprache alleine nicht einmal Bedeutung (im Sinne einer Aussage über außerhalb der musikalischen Sprache Liegendes) suggeriert wird, was die natürlkiche ja verwirrenderweise dauernd macht ;)

    Es gibt ja die alte Tradition der musikalischen Rhetorik, dass auch die Musik eine Bedeutung hat, die der Wortsprache analog ist. Musik ist "Klangrede und Tonsprache". Die Komponisten haben sich auch darum bemüht, dass sie Melodien "beredt" sind. Sogar die Formen sind der Redestruktur nachgebildet. Das ist musikgeschichtlich so, auch wenn man es nicht weiß! ;)

    interessant :) . Das hier Gemeinte war einfach gedacht. Wenn einer schon ein offenes Ohr für Musik hat, würde ich ihn einfach hören lassen.

    Natürlich. Nur es ist ein Unterschied, ob man sich damit zufrieden gibt oder die Neugier und Wissbegier geweckt wird, das, was man so gerne hört, besser zu verstehen mit der Aussicht einer Steigerung des ästhetischen Genusses.

    Sehr häufig habe ich in der Schule erlebt, wie stromlinienförmiger Unterricht im Endeffekt dem Schüler (mich eingeschlossen) die Lust an Gegenstand genommen hat.

    Da habe ich auch in der Schule so gut wie nichts gelernt! Ein Instrument lernen und ein Stück spielen und interpretieren müssen bringt da einfach weiter!

    Das ist einen Versuch wert, Aber es scheint doch klar zu sein, dass der barocke Mensch zum Beispiel einen Opernbesuch völlig anders in sein Leben integrierte als der heutige. Schon das individuelle Zeiterlebnis ist ein anderes.


    Wenn man wirklich verstehen will, wie man eine Oper aus der Barockzeit "genießen" kann (oder soll :) ) bin ich im Endeffekt ratlos.


    Die Fakten sprechen aber eine klare Sprache. Es scheint ja irgendwie zu gehen ...

    Richard Wagner meinte mal, eine Oper sei im Grunde nur in der Zeit aufführbar, in der sie komponiert ist. Der Komponist müsste in einer anderen Zeit ein neues Werk schaffen. Das ist radikal - und natürlich nicht praktikabel in der Realität. Deswegen gibt es z.B. sogenanntes Regietheater, um die Aufführbarkeit eines Stückes auch nach Jahrzehnten/Jahrhunderten zu erhalten. ^^


    Schöne Grüße

    Holger

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