W.A.Mozart: Die Entführung aus dem Serail an der Wiener Staatsoper Premiere 12.10.2020

  • Liebe Opernfreunde,


    am 12. Oktober konnte ich den Premieren-Livestream aus der Wiener Staatsoper mitverfolgen, der mir mittels dortiger Registrierung zur Verfügung gestellt wurde. Für die kostenlose Übertragung sei dem Musentempel herzlich gedankt.


    Diese von der WSO übernommene Neuenfels-Produktion mit der doppelten Besetzung der 5 Solisten als Sänger und Schauspieler lief vor 22 Jahren bereits an der Stuttgarter Staatsoper, also die gleichen Kostüme, das gleiche Bühnenbild, die gleichen eingeschobenen Witze. Bemerkenswert: Die Darstellerin der Schauspiel-Konstanze hat sich ins neue Jahrtausend herübergerettet: Emanuela von Frankenberg, eine überaus aparte Erscheinung.


    Ob diese Doppelung Sänger/Schauspieler Sinn macht oder nicht, darüber streiten sich die Geister. Denn die Sänger beschränken sich ja nicht wie zunächst vermutet aufs Singen und die Schauspieler aufs Rezitieren der Zwischentexte. Nein, die "Zwillinge" üben sich ständig in vom Regisseur hinzugefügten Dialogen, bedanken sich gegenseitig beieinander, fordern sich zur Fortsetzung der Handlung auf wie "Singe, Konstanze, singe!" Und die Belmontes geben dem Dirigenten Signal, wann die Musik weiter zu spielen habe "Herr Kapellmeister, ich bitte!"


    Ich kannte die Faxen ja schon von Stuttgart her und finde es etwas schade, dass kein frischer Wind diese in die Jahre gekommene Inszenierung aufgehübscht hat.


    Zu den Sängern:

    Unbestrittener Star des Abends war die Amerikanerin Lisette Oropesa als Konstanze. Sie gestaltete ihren schwierigen Part mit Bravour und bekam zu Recht auch den meisten Applaus. Ihre Koloraturen und ihre Atemtechnik kann ich nur als sensationell bezeichnen.

    Ganz im Gegensatz dazu agierte Daniel Behle als Belmonte. Mit kurzatmiger, dünner Stimme absolvierte er seine Nummern. Für mich die Enttäuschung des Abends.

    Blonde wurde von Regula Mühlemann gesungen. Diese Rolle passt zu ihrer hellen, silbrigen Stimme und auch darstellerisch setzte sie ihre kecken Akzente. Warum sie bei ihrer Arie "Welche Wonne, welche Lust" allerdings als Vogelweib verkleidet wurde, die zuvor ein Ei legte und dann hüpfte ein halbes Dutzend Küken im Takt ihres Gesanges über die Bühne - wobei der Pedrillo als stolzer Gockel verkleidet den Ententanz vollführte - das hat sich mir nicht erschlossen. Für einen Moment glaubte ich mich in die Szene Papageno-Papagena-Papageno-Papagena verirrt zu haben.

    Zum Sänger-Pedrillo Michael Laurenz kann ich sagen, dass er ordentlich gesungen hat, ansonsten aber hat ihm sein Schauspieler-Double Ludwig Blochberger die Schau gestohlen. Er war der quirligere, lebhaftere von Beiden. Als im 3. Akt vor der Flucht die Frage nach der Leiter aufkam, die gefehlt hat, kam von ihm die glorreiche Idee, dann eben ohne Leiter weiter zu spielen.


    Zu schlechter Letzt der Osmin: Eigentlich eine dankbare Rolle für einen Sänger, der singen kann. Genauer: für einen Bassisten, der tief singen kann. Goran Juric hatte nichts von alldem anzubieten. Er konnte in keinem seiner Auftritte der Rolle auch nur annähernd gerecht werden. Die zweite Enttäuschung des Abends.


    Zu den Sprechrollen:

    Christian Nickel als Bassa Selim gelang sowohl Feinfühligkeit als auch Brutalität in seine Rolle einzubringen. Manchmal etwas zu laut, aber i8nsgesamt ein Guter. Als Gag trug er nach dem Vaudeville am Schluss ein Mörike-Gedicht auf, als Entschädigung für seine Mitdarsteller, weil er keinen einzigen Ton singen durfte.

    Emanuela von Frankenberg als Konstanze war immer noch ganz Grande Dame, Stella Roberts als Blonde-Zwilling ebenso keck wie Mühlemann. Pedrillo-Schauspieler Michael Laurenz wurde zuvor schon lobend erwähnt, wogegen Belmonte-Double Christian Natter ebenso blass und blutleer wirkte wie sein musikalisches alter ego. Bleibt noch Andreas Grötzinger, der "nur sprechende" Osmin. Er brachte durch Mimik und Gestik ein wenig vom Humor auf die Bühne, der dieser Rolle zugrunde gelegt ist.

    Musikalische Leitung der Wiener Philharmoniker oblag Antonello Manacorda. Er hatte keine Schwierigkeit, seinen Musikern den Atem Mozarts einzuhauchen, was sich im hohen Niveau des Orchesterparts wiederspiegelte.


    Applaus für Sänger, Darsteller und Orchester, laute Buhrufe für Neuenfels, der sich als Letzter auf die Bühne getraut hatte.


    Die Vorstellung läuft noch 3 mal im Oktober und 3 mal im Juni nächsten Jahres.



    Besetzung 12.10.2020

    Musikalische Leitung Antonello Manacorda

    Inszenierung Hans Neuenfels

    Bühne Christian Schmidt

    Kostüme Bettina Merz

    Licht Stefan Bolliger

    Dramaturgie und Regiemitarbeit Henry Arnold

    Regieassistenz Sophie Louise Busch

    Assistenz Bühne Sascha Roeder


    Bassa Selim Christian Nickel

    Konstanze Lisette Oropesa

    Konstanze - Schauspielerin Emanuela von Frankenberg

    Blonde Regula Mühlemann

    Blonde - Schauspielerin Stella Roberts

    Osmin Goran Jurić

    Osmin - Schauspieler Andreas Grötzinger

    Belmonte Daniel Behle

    Belmonte - Schauspieler Christian Natter

    Pedrillo Michael Laurenz

    Pedrillo - Schauspieler Ludwig Blochberger

    Freundliche Grüße Siegfried

  • Lieber Siegfried, vielen Dank für deinen Bericht. Wenn ich da an die Entführung an der Rheinoper denke u.a. mit Hans Peter König als Osmin. Den Pedrillo hat an der Rheinoper sehr oft Norbert Ernst gesungen. Ich habe mir den Stream nach einigen Minuten nur angehört. Man will ja in Wien ein neues Mozart Ensemble aufbauen, aber bitte mit vernünftigen Inszenierungen und Sängern. Die Damen fand ich gesanglich besser als die Herren. Frau Oropesa soll auch die Pamina singen.

  • Lieber Rodolfo, ich habe auch schon großartige Entführungen gehört mit Rüdiger Wohlers als Belmonte, Elena Mosuç als Konstanze, Gerhard Unger als Pedrillo und Bässen wie Fritz Linke und Roland Bracht als Osmin. Daran zu denken geht mir das Herz auf.

    Im Online Merker las ich den Verriss von Regula Mühlemann, das ist absoluter Quatsch! Die junge Schweizer Sängerin bot eine gute Leistung und wurde von der WSO nicht umsonst auch für die Adele und Pamina für diese Saison verpflichtet.
    Oropesa ist auf dem Weg eine Weltkarriere zu machen. Ihre Manon an der MET war außergewöhnlich gut, und obwohl die Netrebko die Messlatte sehr hoch gehängt hatte, hält sie den Vergleich in der Rolle stand.

    Freundliche Grüße Siegfried

  • Lieber Siegfried!

    Oropesa ist auf dem Weg eine Weltkarriere zu machen.

    Die macht sie doch längst! Spätestens seit ihrer LUCIA DI LAMMERMOOR an der Covent Garden in London (2017) und der Marguerite in LES HUGUENOTS in Paris (2018) ist sie voll in der Spur!


    Das hat auch im Forum seinen Niederschlag gefunden.
    Im NEUE STIMMEN-Thread hat sie Otello50 vorgestellt: Entdeckungen: Neue Stimmen Vorher und nachher sind etliche Beiträge in diesem Thread geschrieben worden, in denen Lisette Oropesa gerühmt wird - sogar nach eigenen Live-Begegnungen.

    Zudem haben Marnie, Jolanthe, Rodolfo sehr früh über ihre Auftritte - vor allem in Duisburg und Düsseldorf - berichtet.


    Beste Grüße

    Caruso41

    ;) - ;) - ;)


    Wer Rechtschreibfehler findet, darf sie behalten!

  • Schade, daß Goran Jurić enttäuscht hat. Ich habe ihn im letzten Winter als Mendoza in der Verlobung im Kloster gehört. Das hat mir sehr gefallen.

    ..., eine spe*ifisch deutsche Kultur ist, jenseits der Sprache, schlicht nicht identifi*ierbar.
    -- Aydan Ö*oğu*

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  • Mea culpa, lieber Caruso! Gerne widme ich mich deinem Neue Stimmen-Thread wieder intensiver, doch derzeit habe ich noch alle Hände voll zu tun, wie das im Unruhestand so Manchem hier ergeht. Ich habe mir deine Worte zu Herzen genommen und gelobe Besserung!! :hello:

    Freundliche Grüße Siegfried

  • Lieber Siegfried!

    Mea culpa, lieber Caruso!

    Ich hatte Dich gar nicht kritisieren wollen. Mein Beitrag war nur ein ganz argloser Hinweis, dass die Karriere schon auf dem obersten Level angekommen ist.

    Aber: wenn Du wieder mehr in den NEUE STIMMEN-Thread schauen willst, bist Du sehr willkommen.


    Liebe Grüße

    Caruso41

    ;) - ;) - ;)


    Wer Rechtschreibfehler findet, darf sie behalten!

  • Eigentlich hätte ich mich gefreut, nach Jahrzehnten wieder die Entführung an der Wiener Staatsoper zu hören und zu sehen. Als ich aber "Neuenfels" las, wollte ich mir dann doch keine Karte kaufen.

    Nun brachte Ö1 (und auch Deutschlandfunk Kultur und andere Sender) Samstagabend die Premiere vom 12. Oktober 2020. Teilweise hatte man Sequenzen vom 16.10. hineinkopiert.

    Der musikalische Teil lässt kaum Wünsche offen. Die Konstanze ist für heutige Verhältnisse sensationell. Rein akustisch machen sich die von Schauspielern gesprochenen Dialoge sehr gut. Freilich weiß ich nicht, wie das dann vor Ort auf der Bühne ausgesehen hat. Auch hatte ich bisher noch nie bei der Entführung ein Cembalo gehört, das fast ständig mitspielt. (Ist das überhaupt ein Cembalo?)

    Nach dem Finale sollte meiner Meinung nach aber Schluss sein. Danach ein Mörike-Gedicht anhören zu müssen, finde ich eine Zumutung. Nichts gegen Mörike. Aber doch nicht an dieser Stelle! Ich bin froh, nicht dabeigewesen zu sein, denn ich fürchte, ich hätte während des feierlichen Vortrags einen lauten Lachkrampf bekommen (und mich gleichzeitig geärgert).

    Die Übertragung im Radio habe ich mit meinen AKG-702-Kopfhörern aber sehr genossen. Ich war entzückt.


    Hier die ganze Vorstellung:

    https://bit.ly/3dVGBMc

    Ich habe mir erlaubt, die Aufnahme zu zerstückeln. So kann ich besser auf einzelne Stücke zugreifen.

    Falls es eine Beanstandung gibt, bitte den Link löschen. Man will ja nicht verklagt werden.

    Bitte bedenken Sie, dass lautes Husten - auch zwischen den Stücken - die Konzentration der Künstler wie auch den Genuss der Zuhörer beeinträchtigt und sich durch den Filter eines Taschentuchs o. ä. erheblich dämpfen lässt.