PROKOFJEW, Sergei: KRIEG UND FRIEDEN

  • Sergei Prokofjew (1891-1953):


    KRIEG UND FRIEDEN

    (WOINA I MIR)

    Oper in 13 Bildern


    Text vom Komponisten, Mira Mendelson-Prokofjewa nach Lew Tolstojs Roman und den Aufzeichnungen des Dichters und Partisanen Denis W. Dawydow über seine Kriegserlebnisse im Jahr 1812


    Konzertante Uraufführung der 1. Fassung am 7. Juni 1945 Moskau

    Szenische Uraufführung der revidierten Fassung am 8. November 1957 in Moskau



    DIE PERSONEN DER HANDLUNG


    Fürst Andrej Bolkonski (Bariton)

    Natascha Rostowa (Sopran)

    Sonja, ihre Kusine, Ziehtochter bei den Rostows (Mezzosopran)

    General Uwarow, Gastgeber des Balls (Tenor)

    Balldiener (Tenor)

    Marja Dimitrijewna Achrossimowa, Nataschas Tante (Mezzosopran)

    Madame Peronskaja, Hofdame (Sopran)

    Graf Ilja Andrejewitsch Rostow, Nataschas Vater (Bass)

    Graf Pierre Besuchow (Tenor)

    Gräfin Hélène, geborene Kuragina, seine Gattin (Alt)

    Anatol Kuragin, deren Bruder (Tenor)

    Leutnant Dolochow, Freund Anatols (Bass)

    Zar Alexander I. (stumme Rolle)

    Alter Lakai der Bolkonskis (Bariton)

    Stubenmädchen der Bolkonskis (Mezzosopran)

    Kammerdiener bei den Bolkonskis (Bass)

    Fürst Nikolaj Andrejewitsch Bolkonski, Andrejs Vater (Bass)

    Fürstin Marja, seine Tochter (Mezzosopran)

    Métivier, französischer Arzt (Bariton)

    Balaga, Kutscher (Bass)

    Feldmarschall Kutusow (Bass)

    Kaisanow, sein Adjutant (Tenor)

    Mtrjoscha, Zigeunerin (Alt)

    Josef, Kammerdiener Anatols (stumme Rolle)

    Dunjascha, Stubenmädchen bei den Rostows (Sopran)

    Napoleon (Bariton)

    und viele andere

    Chor/Statisten: Diener, Offiziere, Generäle, Ball-Gäste, Bewohner Moskaus, Bauernwehr, russische Soldaten, Partisanen, französische Soldaten


    Hinweis: In den Nebenrollen sind Mehrfachbesetzungen möglich.


    Das Geschehen ereignet sich in Russland, zwischen 1809 und 1812.



    INHALTSANGABE



    ERSTES BILD

    Frühling 1811 auf dem Landgut der Rostows in Otradnoje.


    Fürst Andrej Bolkonski ist in geschäftlichen Angelegenheiten bei den Rostows zu Gast, ist aber in tiefer Trauer über den kürzlichen Tod seiner Frau. In der warmen Mainacht steht er am Fenster und blickt in die vom Mondenschein hell erleuchtete Landschaft hinaus. Plötzlich ist ein Gesang von Frauenstimmen zu vernehmen: Natascha, die Tochter seines Gastgebers, steht mit ihrer Cousine Sonja singend am offenen Fenster im oberen Stockwerk und die beiden jungen Damen wähnen sich unbeobachtet. Andrej gefällt der Gesang; er gesteht sich ein, dass er eine gewisse Leere in ihm verscheucht - und dass er Natascha liebt.


    ZWEITES BILD

    Silvesterball 1811/12 bei General Uwarow, einem Würdenträger Katharinas der Großen.


    Der Ball, an dem auch Zar Alexander I. teilnimmt, ist in vollem Gang; es wird gesungen und getanzt, während ein Lakai immer wieder neue Gäste, darunter auch die Rostows, ankündigt. Natascha und Sonja werden von der sittenstrengen Tante Marja Dimitrijewna Achrossimowa in Obhut genommen. Natascha bekommt eine wenig schmeichelhafte Bemerkung über Hélène Besuchowa mit, die mit ihrem als Sonderling geltenden Gatten, Graf Pierre Besuchow, auch anwesend ist. Auch Hélènes Bruder Anatol findet bei der Achrossimowa keine Gnade, denn sie bescheinigt ihm nicht nur hübsch, sondern auch draufgängerisch bei den Mädchen zu sein. Dass Graf Besuchow anwesend ist, erfreut Natascha, denn er hat ihr versprochen, sie den Kavalieren des Balls vorzustellen.


    Gerade wird Zar Alexander mit einer Ode des Dichters Lomonossow geehrt, doch Natascha hat kein Ohr dafür; sie befürchtet, den ersten Ball ihres Lebens als Mauerblümchen erleben zu müssen. Aber Graf Besuchow hält sein Wort und stellt ihr, als der Walzer angekündigt wird, seinen besten Freund, den Fürsten Bolkonski, vor, den Natascha allerdings schon kennt. Aber auch Anatol hat auf Natascha ein Auge geworfen. Er kann sich auf Hélène verlassen, die ihm bei der Eroberung des jungen und unerfahrenen Mädchens helfen will.


    Natascha hat aber nur Augen und Ohr für Bolkonski, der wiederum schwelgerisch an jene Mainacht im Landhaus der Rostows denkt. Die beiden sind während der Tänze so in ihren Gedanken versunken, dass sie nicht bemerken, wie sich die Tanzfläche nach und nach leert. Da tritt plötzlich Nataschas Vater, Graf Ilja Andrejewitsch Rostow, auf sie zu; er hat mit Wohlwollen gesehen, dass sich Natascha und Bolkonski gut unterhalten (vielleicht sogar mögen) und er lädt den Fürsten spontan für den kommenden Sonntag in sein Palais ein. Das versetzt Natascha in einen Glückszustand und sie geht aufgeräumt zu Sonja und Tante Achrossimowa, während Andrej schon die junge Rostowa als neue Frau an seiner Seite sieht.


    DRITTES BILD

    Im Palais des Fürsten Bolkonski, Monate später.


    Andrejs Vater, Fürst Nikolaj Andrejewitsch Bolkonski, hat seinen Sohn für ein Jahr ins Ausland geschickt; ihm ist die Verbindung mit der aus niederem Adel stammenden Natascha suspekt. Die Rostows stehen vor dem alten, düsteren Palais der Bolkonskis und erfahren von den Bediensteten, dass man sie nicht zu empfangen gedenkt. Plötzlich erscheint des Fürsten Tochter, Marja, und weist die Rostows auch kühl zurück. Rostow geht, weil er sich nicht willkommen sieht, Natascha aber beleibt und kommt mit Marja ins Gespräch. Die beiden führen die Unterredung zwar höflich, kommen sich aber nicht näher. Dann aber tritt der alte Fürst Bolkonski auf die Szene, und es wird peinlich: Als Zeichen der Geringschätzigkeit für Natascha trägt er Schlafmütze und Morgenmantel und verletzt Natascha mit herabsetzenden Bemerkungen, die seinen Standesdünkel unterstreichen. Das Verhalten des Alten bewirkt bei Marja ein Umdenken, sie verabschiedet Natascha mit einem warmen Händedruck und gelobt, die Heiratspläne ihres Bruders zu unterstützen.


    VIERTES BILD

    Gesellschaft im Hause Besuchow im Mai 1812.


    Graf Pierre Besuchow ist abwesend, als die Rostows zu Gast bei Gräfin Hélène sind. Die hat die Einladung mit dem Hintergedanken ausgesprochen, ihren Bruder Anatol mit Natascha zu verkuppeln. Mit Anspielungen macht sie Natascha klar, dass ihr Bruder „unsterblich“ in sie verliebt ist. Den zum Aufbruch drängenden Grafen Rostow nötigt sie zum Bleiben und zieht ihn mit sich zu den übrigen Gästen. Damit kann sich Anatol ungestört Natascha nähern. Der gefällt die Werbung des jungen Mannes, zumal sie sich der Liebe Andrejs nicht mehr sicher ist, und die Herabsetzung durch den alten Bolkonski nicht vergessen kann. Sie lässt sich von Anatol küssen, der ihr dann ein Billett zusteckt, in dem er eine heimliche Hochzeit vorschlägt. Dass er aber bereits verheiratet ist, verschweigt er geflissentlich. Sonja, die kurz darauf allein auf Natascha trifft, macht sie ihr Vorwürfe und nennt Anatol, mit wenig Contenance, einen Betrüger und Verbrecher. In diesem Augenblick kommt Vater Rostow und besteht auf dem Aufbruch, denn ihm gefällt die Atmosphäre im Hause Besuchow nicht.


    FÜNFTES BILD

    Im Hause Dolochow; Juni 1812.


    Anatol konnte Natascha zur Flucht ins Ausland überreden. Gerade hält er sich bei seinem Freund Dolochow auf. Der hat nicht nur das üble Billett verfasst, sondern auch die Flucht arrangiert und einen Popen besorgt, der für einige Rubel die Scheinhochzeit durchführen wird. Aber Dolochow hält es für Freundespflicht, Anatol das Abenteuer auszureden, dringt jedoch nicht durch. Anatol hat sich mit Rubel auch der Hilfe des Kutschers Balaga versichert, der schon so manches Ding für die Besuchows gedreht hat. Aber da gibt es noch Matrjoscha, eine Zigeunerin, der Anatol als Gegenleistung für Liebesdienste einen Zobelmantel geschenkt hat. Als sich Anatol von ihr verabschiedet, verlangt er die Herausgabe des Geschenks - den will er beim Grenzübertritt tragen. Zobels. Matrjoscha ist entsetzt und weigert sich zunächst, gib aber schließlich verächtlich nach.


    SECHSTES BILD

    Am gleichen Abend im Hause der Achrossimowa.


    Natascha hält sich bei ihrer Tante auf, Anatol erwartend, mit dem sie von hier aus fliehen will. Das Stubenmädchen der Tante, Dunjascha, erzählt Natascha, dass ihre Flucht verraten wurde, allerdings weiß sie nicht, von wem. Tatsächlich kommt jetzt Anatol und läuft Achrossimowas Hausdiener Gawrila in den Arm. Dem kräftigen Mann möchte Anatol auf keinen Fall in die Finger geraten und er macht sich auf und davon. Tante Achrossimowa macht ihrem Patenkind Natascha Vorwürfe über ihren Lebenswandel, doch die hält zu Anatol. Da meldet ein Lakai Pierre Besuchow an. Im Salon muss er sich eine Standpauke der Achrossimowa anhören, die nicht nur Geringschätzigkeit über die Familie Besuchow ausdrückt, sondern darin gipfelt, dass sie die Ausweisung Anatols aus Moskau verlangt. Besuchow gesteht sich ein, dass er für die Braut seines Freundes mehr empfindet, als es angebracht ist und er erklärt Natascha, dass sein Schwager Anatol bereits verheiratet ist. Entsetzt erkennt sie, dass sie einem Heiratsschwindler aufgesessen ist. Außerdem dämmert ihr, Andrejs Liebe verspielt zu haben. Dass nun Pierre ihr ein Liebesgeständnis macht, empfindet sie der Lage nicht angemessen. Sie rennt hinaus, Sonja und die Achrossimowa, getrieben durch eine gewisse Ahnung, hinterher, und verhindern auf diese Weise einen Suizid.


    SIEBTES BILD

    In der gleichen Nacht im Hause Besuchow.


    Pierre tritt in sein Arbeitszimmer und findet neben seiner Frau noch Schwager Anatol, den französischstämmigen Arzt Doktor Métivier und einen ebenfalls aus Frankreich stammenden Abbé vor. Ohne Rücksicht auf den Besuch greift er Hélène und Anatol direkt wegen ihres ungebührlichen Verhaltens an. Die Besucher verlassen pikiert den Raum und Pierre verlangt von Anatol ultimativ die Herausgabe von Nataschas Briefen und zudem striktes Schweigen über das Geschehen. Dann steckt er im ein Bündel Geldscheine zu und fordert ihn auf, sofort Moskau zu verlassen. Nachdem Hélène und Anatol das Zimmer verlassen haben, sinniert er über sein Leben, denkt an seine unerfüllbare Liebe zu Natascha nach - da stürzt Denissow mit der Nachricht herein, dass der Krieg ausgebrochen sei: Napoleons Truppen haben die Grenze nach Russland überschritten.


    Epigraph: Sozusagen als das russische Volk tritt der Chor auf und bestätigt die Meldung von Denissow; er erzählt von Verwüstungen des Landes durch die Franzosen, von Untaten den Menschen gegenüber, bekräftigt aber auch den Willen des Volkes zum Widerstand.


    ACHTES BILD

    Vor der Schlacht bei Borodino.


    Der frühe Morgen vor der Schlacht bei Borodino zeigt die Landwehr unter Tichon und Fjodor beim Ausbau der Bastionen. Denissow wird von Andrej Bolkonski zum Kommandeur eines Partisanen-Trupps bestellt, der hinter der Front agieren soll. Es treffen Bauern aus Smolensk ein, die von grausamen Übergriffen der Franzosen berichten. Sie erzählen aber auch, dass sie den Eindringlingen „verbrannte Erde“ hinterlassen haben.


    Andrej hat von Nataschas Fehltritten erfahren, ist maßlos enttäuscht und will den Tod in der Schlacht finden. Sein Freund Pierre besucht ihn und wird als Zivilist von den Soldaten arg verspottet. Vor Andrej stehend vermeidet Pierre, das Gespräch auf Natascha zu bringen. Ihm geht es heute und jetzt darum, dem Vaterland als ein Soldat - bis zum Tode - zu dienen. Beide verabschieden sich mit einer Umarmung.


    Der Oberbefehlshaber der russischen Truppen, Feldmarschall Kutusow, tritt mit Adjutanten und Offizieren zu einer Inspektion auf und ist angetan von dem Mut und der Zuversicht der Truppe. Kutusow beschließt, Fürst Andrej Bolkonski in den Generalstab aufzunehmen, doch akzeptiert er Andrejs Entscheidung, kämpfend bei der Truppe zu bleiben. Während Kutusow die Bastion besteigt, äußern sich Offiziere hinter seinem Rücken abschätzig über den „Alten“, der nur durch den Willen des Volkes den Oberbefehl erhalten hat, der Zar ihn nicht wollte. Als plötzlich Kanonenschüsse zu hören sind, ist allen klar, dass die Schlacht begonnen hat.


    NEUNTES BILD

    Am gleichen Tag auf der Schanze von Schewardino.


    Umgaben von Adjutanten, Offizieren und dem Stab beobachtet Napoleon die Schlacht auf der Schanze von Schewardino. Er strahlt Zuversicht aus und sieht sich bereits als der Sieger in Moskau einziehen. Dort will er dem Volk „Gesetz und Zivilisation“ bringen. Seine Gedanken haben aber mit der Realität wenig zu tun: Die Russen haben eine außergewöhnliche Stärke bei der Abwehr und so bleiben Siegesmeldungen aus. Napoleon reagiert gereizt, als der für sein Wohl zuständige Minister de Beausset ihm das Frühstück servieren will. Der Kanonendonner ist nicht das einzige, was Napoleon stört, es ist auch der Gesang der russischen Soldaten, der sich nicht nach Ergeben anhört.


    ZEHNTES BILD

    Eine Hütte in Filij, außerhalb von Moskau.


    Die Franzosen haben letztlich die Schlacht bei Borodino gewonnen. In Filij, nahe Moskau, halten Kutusow und sein Generalstab Kriegsrat. Der alte Feldmarschall sieht sich vor die Entscheidung gestellt, den Kampf um Moskau zu wagen oder die Truppen zurückzuziehen und die Hauptstadt Russlands dem Feind zu überlassen. Er befragt seine Generäle Barclay, Rajewski, Jermolow, Bennigsen und Konownizin und entschließt sich dann schweren Herzens, Moskau nicht zu verteidigen. Plötzlich stimmen draußen Soldaten ein Kriegslied an, die dem Feldmarschall Verehrung bezeugen.


    ELFTES BILD

    In Moskau.


    Die Franzosen sind in Moskau einmarschiert und plakatieren sofort einen Erlass Napoleons, der die Eigentumsrechte der Einwohner garantiert. Doch seine Soldateska ist außer Rand und Band, plündert und brandschatzt. Die Moskauer wehren sich, indem sie Brände in der Art der „verbrannten Erde“ legen. Unterdessen plant Pierre Besuchow ein Attentat auf Napoleon; als er sinnend durch die Stadt geht, trifft er auf Nataschas Zofe Dunjascha und der ehemaligen Beschließerin der Rostows, Mawra Kusminitscha. Sie berichten von der Flucht der Herrschaft aus Moskau. Die Villa sei aber auf Bitten Nataschas für die vielen Verwundeten als Lazarett hergerichtet worden, darunter übrigens auch der Fürst Bolkonski. Man sieht französische Soldaten Diebesgut fortschleppen, man sieht Moskauer Bürger mit Fackeln einhergehen und die Häuser in Brand stecken.


    Plötzlich werden Pierre und andere Bürger von einem Trupp Soldaten unter Marschall Davout wegen des Vorwurfs von Brandstiftung festgenommen. Zwei Männer werden sofort abgeführt (man ahnt, dass sie erschossen werden sollen), Pierre wird wegen seiner adligen Herkunft als Kriegsgefangener behandelt und mit einem alten Soldaten, Platon Karatajew, eingesperrt. Der alte Mann beeindruckt Pierre mit seiner Altersweisheit und er schließt mit ihm Freundschaft.


    Unterdessen brennt Moskau und drei Gottesnarren erregen mit apokalyptischen Visionen das Mitleid der Bürger. Aus einem brennenden Theater stürzen Schauspieler auf die Straße. Dann gibt es plötzlich einen Auflauf von Bürgern, denn mit einem großen Tross kommt Napoleon die Straße entlang und äußert sich erstaunt über den Widerstandswillen der Moskauer. Kaum sind die Franzosen weiter, kommt eine Prozession vorbeigezogen, die alle Kriegsopfer betrauern und den Franzosen auch Vergeltung androhen.


    ZWÖLFTES BILD

    Eine Hütte außerhalb von Moskau in der Nacht.


    Fürst Andrej Bolkonski ist schwer verwundet und liegt in einer ärmlichen Kate im Sterben. Im Fieberdelirium läuft sein Leben an ihm vorüber, auch an Natascha, die er immer noch liebt, muss er denken. Er weiß nicht, dass sie ihn pflegt, aber als sie an sein Bett tritt, erkennt er sie. Sofort erwacht in ihm Lebensmut und beide versöhnen sich. Aber es war wohl nur ein kurzes Aufbäumen, der Körper ist zu schwach - Andrej stirbt in Nataschas Armen.


    DREIZEHNTES BILD

    Auf der Straße nach Smolensk.


    Es herrscht ein eisiges Winterwetter und die besiegte Grande Armee schleicht über die Straße von Moskau nach Smolensk. Russische Gefangene, die zu schwach sind, werden rigoros von den Franzosen erschossen, so auch Pierres Freund Platon Karatajew, der nicht mehr laufen konnte. Vom Ende des Trecks her greifen auf einmal die Partisanen Denissows unter Tichon und Dolochow an und befreien die russischen Soldaten. Unter den Franzosen herrscht durch den Angriff Chaos. Als Denissow Pierre entdeckt, geht er auf ihn zu und berichtet ihm vom Tode seiner Frau Hélène und dass Anatol im Krieg ein Bein verloren hat. Die schlimmste Nachricht für Pierre kommt stockend aus ihm heraus: Sein Freund Andrej Bolkonski ist tot, und es ist seine Schwester Marja, die sich um die kränkelnde Natascha kümmert. Es kommt Pierre merkwürdig vor, dass er gerade jetzt daran denken muss, ohne Probleme um Natascha werben zu können, doch letztlich verweigert er sich diesem Gedanken, weil es Unangemessen ist.


    Plötzlich wird Unruhe in der Bevölkerung spürbar; dann hört er den Ausruf, dass der Sieger des Kampfes, Feldmarschall Kutusow, in Kürze erscheinen werde. Dessen Tross schließen sich die Partisanen Denissows an und Kutusow verkündet in einer aufwühlenden Rede den Sieg der russischen Armee über die Franzosen. Das Volk feiert den siegreichen Feldmarschall und preist den Ruhm des Vaterlandes.



    INFORMATIONEN ZUM WERK


    Im April des Jahres 1942 fertigte Prokofjew einen ersten Entwurf zu seiner Oper an, die seine vorletzte werden sollte. Im Jahr darauf war der Klavierauszug der Erstfassung mit elf Bildern vollendet. Am 16. Oktober 1944 fand dann die erste konzertante Aufführung mit Klavierbegleitung statt und am 7. Juni 1945 mit Orchester. Prokofjew folgte dem Rat des Dirigenten Samuil Samossud und erweiterte die Oper um die Szenen „Ball bei Gräfin Hélène“ und „Hütte in Filij“.


    Nachdem man „Krieg und Frieden“ zunächst öfters in Fassungen an zwei Abenden gespielt hatte, überarbeite der Komponist in den Jahren 1946 bis 1953 das Werk. Diese neue Fassung ist am 1. April 1955 am Leningrader Malij-Theater in der Fassung in elf Bildern für einen Abend, und am 8. Juni 1957 am Moskauer Stanislawskij-Nemirowitsch-Dantschenko-Theater mit dreizehn Bildern aufgeführt worden. Seit 1959 am Moskauer Bolschoj-Theater die weitgehend ungekürzte Aufführung mit dem Chor-Epigraph gegeben worden war, folgte man bis heute diesem Schema. Zur deutschsprachigen Erstaufführungen kam es 1961 in Leipzig (in der Bearbeitung von Seipt, Leipold, und Herz, der die Aufführung auch inszenierte); 1969 folgte Gelsenkirchen mit einer Produktion in der Bearbeitung von Ljubomir Romansky.


    Prokofjew schrieb, bewusst den Krieg 1941-1945 in Beziehung zum Befreiungskrieg von 1809-1812 setzend:

    Während des Großen Vaterländischen Krieges [. . .] wurden uns die Seiten des Tolstojschen Romans Krieg und Frieden, die berichten, wie das russische Volk im Jahre 1812 das Vaterland gegen die Eindringlinge Napoleons verteidigte und den Feind schließlich aus Russland vertrieb, besonders vertraut und teuer. [. . .] Mein Bestreben ging dahin, die Hauptereignisse und -gestalten des Romans in den Mittelpunkt der Handlung zu stellen und vorüberziehen zu lassen. In den ersten 7 Bildern der Oper sollten das friedliche Leben, das Lachen und die Tränen, die Gedanken und die Träume der handelnden Hauptpersonen gezeigt werden. Mit Beginn des 8. Bildes rückt der Kampf des russischen Volkes, sein Leid, sein Zorn und seine Tapferkeit in den Mittelpunkt der Ereignisse.


    Die Musik wirkt streckenweise wie Filmmusik, sie ist plakativ, kommt patriotisch daher, hat oft grelle Schlagzeug- und Bläserklänge, doch gibt es auch lyrische Passagen. In „Krieg und Frieden“ übernahm Prokofjew Teile der Bühnenmusik zu „Eugen Onegin“ von 1936 und Passagen aus der Filmmusik zu „Lermontow“ von 1941; Kutusows Arie aus dem 10. Bild ist einer Chormelodie zu Eisensteins Film „Iwan der Schreckliche“ entnommen.


    Eine Bühnenaufführung erfordert einen immensen Aufwand, denn es gibt zweiundsiebzig Solopartien, von denen zwar etliche stumme Rollen sind und andere wiederum von einem Sänger übernommen werden können. 1986 stellte Rostropowitsch das Werk erstmals ohne Striche als Platteneinspielung vor; ihm folgte Valery Gergiev, der die Oper ungekürzt im St. Petersburger Marinskij-Theater präsentierte. 1990 gab es in Karlsruhe eine Inszenierung von Tony Palmer, und 1991 brachte St. Petersburg eine Koproduktion mit dem Londoner Covent Garden und der Pariser Opéra Bastille auf die Bühne.



    © Manfred Rückert für den Tamino-Opernführer 2020

    unter Hinzuziehung von Opernführern von Reclam, dtv (Kloiber - Konold - Maschka), Wikipedia, Harenberg, und MGG

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    MUSIKWANDERER

  • Hier einige diskographische Hinweise von Aufnahmen beim Tamino-Werbepartner jpc:



    Nebenstehend die DVD-Ausgabe mit (u.a.) Alexander Gergalov, Elena Prokina, Gegam Grigorian, Olga Borodina, Vassily Gerelo; Valery Gergiev dirigiert das Kirov Orchester. Die Interpretation wurde in Fono Forum lobend besprochen. Wie übrigens auch die folgende Audio-Aufnahme…















    …von Mstislav Rostropovich (mit Galina Vishnevskaya, Katherine Ciesinski, Lajos Miller, James Anderson und dem Orchestre National de France)















    1961 wurde diese Aufnahme im Bolshoi gemacht: als Interpreten werden die Namen Kibkalo, Vishnevskaya, Petrov, Arkhipova genannt; Melik-Pashayev dirgiert. Da die Ausgabe mit 2 CDs auskommt, dürfte sie erheblich gekürzt sein.

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    MUSIKWANDERER

  • Hallo lieber Musikwanderer, ich habe mich jetzt sehr gewundert über die Schreibweise des ganzen Namens.....


    .....ich kenne das hauptsächlich so Sergej Prokofjew, auch auf russischen Internetseiten!?

    Wo her hast du deine Quelle!


    LG Fiesco

    Il divino Claudio
    "Wer vermag die Tränen zurückzuhalten, wenn er den berechtigten Klagegesang der unglückseligen Arianna hört? Welche Freude empfindet er nicht beim Gesang seiner Madrigale und seiner Scherzi? Gelangt nicht zu einer wahren Andacht, wer seine geistlichen Kompositionen anhört? … Sagt nur, und glaubt es, Ihr Herren, dass sich Apollo und alle Musen vereinen, um Claudios vortreffliche Erfindungsgabe zu erhöhen." (Matteo Caberloti, 1643)

  • Noch zwei Aufnahmen....


    51BKW1QJ2FL.jpgWarandpeace.jpg


    LG Fiesco

    Il divino Claudio
    "Wer vermag die Tränen zurückzuhalten, wenn er den berechtigten Klagegesang der unglückseligen Arianna hört? Welche Freude empfindet er nicht beim Gesang seiner Madrigale und seiner Scherzi? Gelangt nicht zu einer wahren Andacht, wer seine geistlichen Kompositionen anhört? … Sagt nur, und glaubt es, Ihr Herren, dass sich Apollo und alle Musen vereinen, um Claudios vortreffliche Erfindungsgabe zu erhöhen." (Matteo Caberloti, 1643)

  • Ganz einfach: Ich habe mich an der Schreibweise der anderen Inhaltsangaben orientiert...

    Ich sehe gerade, dass das ehemalige Mitglied Raphael und dass Gerhard Wischniewski unterschiedliche Formen des Namens gewählt haben...


    :hello:

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    MUSIKWANDERER

  • musikwanderer

    Hat den Titel des Themas von „PROKOWJEW, Sergei: KRIEG UND FRIEDEN“ zu „PROKOFJEW, Sergei: KRIEG UND FRIEDEN“ geändert.
  • Hier sollte man noch die Produktion des Nürnberger Opernhauses erwähnen. Das war letztes oder vorletztes Jahr eine in jeder Beziehung hoch gelungene Aufführung, wenn leider auch ziemlich gekürzt. Insgesamt ist das schon eine Oper, der man sehr gerne öfters auf den Spielplänen der Opernhäuser begegnen würde. Leider wird das Werk nicht allzu oft gespielt. Ich bin seit der Karlsruher Inszenierung von Tony Palmer von 1990 ein großer Fan dieser Oper und habe auch zwei CD-Einspielungen davon.


    Herzliche Grüße


    Lustein

  • Hier sollte man noch die Produktion des Nürnberger Opernhauses erwähnen. Das war letztes oder vorletztes Jahr eine in jeder Beziehung hoch gelungene Aufführung, wenn leider auch ziemlich gekürzt. Insgesamt ist das schon eine Oper, der man sehr gerne öfters auf den Spielplänen der Opernhäuser begegnen würde. Leider wird das Werk nicht allzu oft gespielt. Ich bin seit der Karlsruher Inszenierung von Tony Palmer von 1990 ein großer Fan dieser Oper und habe auch zwei CD-Einspielungen davon.

    Ich möchte Dir, lieber lustein, nicht zu nahe treten, aber hier sollten nach Möglichkeit Aufnahme gepostet werden. Gibt es die aus Nürnberg? Gibt es Aufnahmen aus Karlsruhe? Und: Welche Aufnahmen hast Du, kannst Du Empfehlungen posten?


    :hello:

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    MUSIKWANDERER

  • Zitat von Musikwanderer:


    Ich möchte Dir, lieber lustein, nicht zu nahe treten, aber hier sollten nach Möglichkeit Aufnahme gepostet werden. Gibt es die aus Nürnberg? Gibt es Aufnahmen aus Karlsruhe? Und: Welche Aufnahmen hast Du, kannst Du Empfehlungen posten?


    Lieber Musikwanderer,


    leider gibt es weder von der Karlsruher noch von der Nürnberger Produktion - beide waren stark gekürzt - von Krieg und Frieden Aufnahmen. CDs des Werkes habe ich von Rostropovitch und Gergiev. Beide Einspielungen sind jeder auf ihre Art toll dirigiert, indes haben die beiden Dirigenten unterschiedliche Auffassungen von der Oper. Gergiev - sont nicht mein Fall - gefällt mir hier gut, aber Rostropovitsch ist noch besser. Auch gesanglich kann man zum großen Teil nicht meckern, indes gefällt mir auf der Rostropovitch-Aufnahme die in der Höhe ziemlich schrill klingende Galina Vichnievskaia in der Rolle der Natascha überhaupt nicht. Eine Empfehlung beider Einspielungen kann ich insgesamt durchaus aussprechen.


    Herzliche Grüße


    Lustein