Paul Celan zum Gedächtnis


  • Heute vor hundert Jahren wurde Paul Celan geboren. Für mich ist er der bedeutendste deutschsprachige Lyriker der Nachkriegszeit, und das nicht nur, weil er die berühmt gewordene „Todesfuge“ verfasst hat, die – mit seiner weiteren Lyrik zusammen – sogar einen Theodor W. Adorno dazu bewogen hat, sein ebenso berühmtes Diktum zurückzunehmen, nach Auschwitz könne keine Lyrik mehr geschrieben werden.
    Celan hat sein lyrisches Werk – es gibt nur einen kleinen Prosa-Text von ihm – als „Flaschenpost“ verstanden, als eine Botschaft also, die in Gestalt kleiner Texte aus der Anonymität in den Lauf der Welt geworfen wird in der Hoffnung, sie möge an einen Empfänger gelangen, um in ihm ihre Wirksamkeit entfalten zu können.

    Von sich selbst sagt er, dass er nie auch nur eine Zeile geschrieben habe, die nicht unmittelbar mit seinem Leben zu tun hat. Und das will heißen, dass seine Lyrik durchweg in personaler Erfahrung wurzelt und von daher ihre hohe existenzielle Relevanz bezieht.

    Ihre prosodische Gestalt und ihre Eigenart ergeben sich aus der unvermittelten Reihung von Metaphorik und lyrischen Bildern, die ein hohes evokatives Potential aufweisen, und die, folgt man ihnen, in eben dieser Abfolge eine Ahnung von der intendierten Aussage vermitteln. Es kann nur eine Ahnung bleiben, denn seine lyrische Metaphorik ist, wie bei kaum einem anderen modernen Lyriker sonst, hochgradig rätselhaft und verliert sich im Laufe ihrer Entwicklung immer mehr in der kryptischen Dunkelheit des Verstummens. Das Eigenartige dabei ist aber: Gerade darin gründet ihre Fähigkeit zur unmittelbaren Ansprache.

    Typisch dafür ist zum Beispiel das Gedicht „Fadensonnen“ aus dem Band „Atemkristall“:

    https://de.scribd.com/doc/45335185/Fadensonnen

    Drei lyrische Bilder, allesamt rätselhaft, gleichwohl aber in Bann schlagend und nach dem Doppelpunkt die Sinnhaftigkeit der poetischen Aussage generierend. Das erste entwirft eine Ödnis und Tod atmende trostlos-graue Welt. Überaus eindrücklich das Bild der „Fadensonnen“. Die die alltägliche Welt erhellende und lebenspendende Sonne ist zerbrochen, zerstückt, zu kleinen fadenhaften Lichtschimmern geworden, wie Spinnweb, das den kleinen Rest von Abendlicht über einer ansonsten dunkel gewordenen Welt aufschimmern lässt.

    Da ist kein Leben mehr. Und doch: Ein Gedanke reckt sich darin auf. Er ist mächtig, ragt baumhaft darin empor. Durch den Zeilenumschlag erfährt die Silbe „baum-“ eine starke Akzentuierung. Dieser Gedanke vermag einen Schimmer der Fadensonnen zu greifen, der ihm mit einem Mal wie ein Ton aus Licht erscheint. Und der hat etwas zu sagen. Auch dieses erfährt durch den Abriss der Zeile eine Aussage-Verstärkung: „Es sind / noch Lieder zu singen jenseits / der Menschen.“

    Das infinitivische „es sind …zu“ ist als ein „Muss“ zu verstehen und will sagen:
    Tönende lyrische Kunst muss es geben, trotz dieser grauschwarzen Ödnis der Welt und unabhängig davon, ob es Menschen darin gibt, die sie wahr- und aufnehmen.
    Denn sie stiftet Sinn darin.

  • Der auch von mir verehrte Paul Celan gehört unter anderem auch zu den meist vertonten Dichtern der deutschen Nachkriegszeit. Neben Aribert Reimann scheint auch Tilo Medek Kompositionen zu Celan geschrieben zu haben.


    Das Streichquartett Pulse Shadows von Birtwistle mit Gesang nach Gedichten von Paul Celan ist an anderer Stelle schon erwähnt worden. Wenn ich mehr Zeit habe, würde ich dazu gerne etwas schreiben, was selbstverständlich nicht die Tiefe haben kann, die hier einige Kollegen mit ihren Beiträgen erreichen.


    zum 100. jährigen Geburtstagsjubiläum hat der Deutschlandfunk einen Beitrag von Albrecht Dümling veröffentlicht.


    Die Todesfuge in Tönen

  • Das oben von Helmut angesprochene Gedicht Fadensonnen gehört zu den wirklich berühmten des Dichters.( Berühmter ist natürlich die Todesfuge, die ich aber als gar nicht so repräsentativ für sein lyrisches Werk empfinde) Der Band Atemwende aus dem Jahre 1967 enthält das Gedicht Fadensonnen dann nochmal. Dieser Band diente dem Komponisten Michael Denhoff (*1955) als Grundlage für seinen gleichnamigen Klavierzyklus Atemwende. Von den schwergewichtigen letzten beiden Zeilen des Gedichtes nimmt Denhoff die erste um das siebte Stück des Zyklus zu betiteln. Leider ist meine Einpielung mit Richard Braun nicht mehr zu finden. Das Besondere ist hier die Benutzung des Klavins-Klavieres des Bonner Klavierbauers Klavins, eines Klavieres mit einem ganz besonderen Klang der Basssaiten, die gerade die Verschlossenheit der Celanschen Lyrik in der musikalischen Fortsetzung stark unterstützt.


    220px-David_Klavins_Modell-370_Bochum.jpg


    Die CD findet sich noch auf den Seiten von Michael Denhoff zu seiner Diskographie.


    Michael Denhoff hat eine neuere Einspielung mit dem Pianisten Martin Tchiba auf youtube zur Verfügung gestellt (hier natürlich der obligate Steinway-Klang)



    Im Gegensatz zum Liedwerk, wo ich auf das Mitsummen, Mitsingen und Lautsingen völlig verzichte, habe ich mir bei der Lyrik das Sprechen angewöhnt. Und auch, wenn ich das Gedicht doch anders lesen würde, scheint mir die Interpretation von Celan selbst authentischer zu sein :).