MANN Thomas: Tristan

  • md30620237394.jpgDie Novelle "Tristan" von Thomas Mann entstand zu Beginn des Jahres 1901. Bekanntlich war der Schriftsteller dem Komponisten Richard Wagner auf vielfache Weise sehr zugetan. Er verstand ihn wie kaum ein anderer deutscher Intellektueller. Diese innere Bindung ist eine Voraussetzung für diese Novelle, die ich ohne Umschweife in Inhalt und Ausführung zu seinen besten zähle. Schon mit den ersten Worten sind wir mitten im Ort des Geschehens wie die sonderbaren Gäste selbst: Hier ist "Einfried", das Sanatorium!


    Die weibliche Hauptgestalt, Frau Gabriele Klöterjahn, geborene Eckhof, die eben eingetroffen ist in Begleitung ihres rüstigen, lauten und gut gelaunten Gatten, den es nach "Bottersemmeln" verlangt und des gemeinsamen drallen Kindes, das sich ins Leben strampelt, wird es nicht wieder lebend verlassen. Sie trifft auf einen Gast des Hauses, Detlev Spinell. Ein Sonderling, der sich angeblich als Schriftsteller betätigt und ewig braucht, um einen Satz zu Papier zu bringen. Hier porträtiert sich der ähnlich langsam schreibende Thomas Mann selbst; auf sehr ironische Weise versteht sich. Die ganze Novelle ist bis zur völligen Respektlosigkeit ironisch zugespitzt. Die Gestalten sind meist überzeichnet. Vom Typ her tauchen einige von ihnen Jahre später im großen Romen "Der Zauberberg" wieder auf. Mit Spinell und Frau Klöterjahn begegnen sich zwei Außenseiter an einem stillen Nachmittag im Salon des Sanatoriums, während die anderen mit Schlitten ausgefahren sind. Bei ihnen sitzt nur die fast gänzlich taube Rätin Spatz, die nichts mitbekommt. Man könte in ihr eine Karikatur der wachsamen Brangäne vermuten. Auf dem Flügel liegen die Noten von Wagners "Tristan". Sie kommen sich sehr nahe und entdecken ihr eigentliches Ich wieder, das verschütt gegangen war.

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent


  • Gut vorgelesen, eröffnen sich auch bei "Tristan" noch einmal ganz neue Perspektiven. Obwohl in die Jahre gekommen, sind mir die Aufnahmen mit Gert Westphal immer noch die liebsten. In dieser Box sind etliche Titel versammelt. Westphal geht mit den Leitmotiven, die sich bei Thomas Mann finden, sehr spielerisch und pointiert um. Er bringt Literatur regelrecht zum Klingen. Was man mitunter auch einmal überlesen könnte, Westphal spürt es auf und prägt es seinen Hörern ein. Er liest auch perspektivisch. In einer bestimmten Betonung kann deutlich werden, dass im Moment etwas mitgeteilt wird, aus dem sich dann wichtiges entwickelt.

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Besonders haben es mir die Assoziationen angetan, die von den Eigennamen im "Tristan" hervorgerufen werden.


    Dr. Hinzpeter - wer denkt da nicht an Hinz und Kunz, Pastorin Höhlenrauch "irrt... ziellos und unheimlich durch das ganze Haus", Magistratsrätin Spatz, Klöterjahn - honi soit qui mal y pense!


    Spinell - Spinelle kommen als Edelsteine in einer Fülle von Farben wie Blau, Orange, Pink, Lila und eben Rot vor. "Wie schön! Gott, sehen Sie, wie schön“ sagt er gerne. Der "exzentrische Mensch" Spinell überredet die kranke Frau Klöterjahn zum Klavierspiel, obwohl ihr das von den Ärzten strikt verboten wurde. Davon überfordert stirbt sie zwei Tage später. Hoffmanns Antonia ist ihre Schicksalsgenossin.


    Einfried - bezeichnet einerseits einen, sicheren, ruhigen und friedlichen Ort, der andererseits eingefriedet und somit gegen die Außenwelt abgegrenzt ist. Schnell kommt auch der Gedanke an Wahnfried auf, das weniger friedlich war.


    Fräulein von Osterloh, in der das Feuer der Liebe zu Dr. Leander lodert.

    Alles Gute und einen Gruß von Orfeo

  • Der Vollständigkeit halber möchte ich auf eine filmische Version verweisen, die ich aber nicht kenne. Obwohl ich einige der Mitwirkenden sehr schätze, kann ich sie mir in dieser Produktion nicht gut vorstellen. Sie war wohl auch ohne jede Nachwirkung.


    Tristan

    ZDF 1975


    Regie: Herbert Ballmann

    Herlinde Latzko: Gabriele Klöterjahn

    Günter Strack: Anton Klöterjahn

    Gerd Baltus: Detlef Spinell

    Theo Lingen: Dr. Leander

    Rosemarie Fendel: Fräulein von Osterloh

    Robert Naegele: Dr. Müller

    Bruni Löbel: Rätin Spatz

    Claudia Butenuth: Fräulein von Hahn

    Eva-Ingeborg Scholz: Fräulein Andersen

    Eric Pohlmann: General

    Wolfgang Büttner: Herr mit den unbeherrschten Beinen

    Moje Forbach: Pastorin Höhlenrauch

    Margit Weinert: Ihre Begleiterin

    Nora Minor: Kammersängerin Besenbaum

    Ingo Thouret: Herr Niemeyer

    Barbara Valentin: Amme

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Fräulein von Osterloh, in der das Feuer der Liebe zu Dr. Leander lodert.

    Gut, dass Du sie erwähnst. Und Thomas Mann fand für sie einen seiner - wie ich finde - schönsten Sätze: "Auf ihren Wangen aber glüht in zwei runden, karmoisinroten Flecken die unauslöschliche Hoffnung, dereinst Frau Doktor Leander zu werden ..."

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Banner Trailer Gelbe Rose
  • Das alles ist natürlich hochironisch! ^^ Thomas Mann ironisiert damit sich selbst letztlich auch, seinen Hang zur Dekadenz (Dekadenz als literarische Bewegung ist natürlich gemeint). Allerdings ebenso ironisiert wird die Alternative: der Stumpf- und Blödsinn des "Realismus" eines Herr Klöterjahn! :P


    Schöne Grüße

    Holger