Eingelegter Ton bei "Guardate! Pazzo son, guardate!"

  • Aufgrund vieler Themen mit baltischen Sänger in letzter Zeit, habe ich mir eine CD von Virgilijus Noreika gekauft. Darauf enthalten ist auch die Szene aus dem Betreff aus der Oper "Manon Lescaut". Zu meiner Überraschung legte auch dieser seriöse Tenor bei einer Studio-Einspielung den "Jubelschrei" des Des Grieux ein, nachdem ihm erlaubt wird, das Schiff, auf dem seine Geliebte deportiert wird, zu betreten.

    Ich vermute stark, dass der nicht von Puccini geschrieben ist.

    Inhaltlich passend ist er irgendwie aber doch, obwohl er den beeindruckenden Orchesterklang dieser Szene unterbricht.


    Ich habe den Schrei - es müsste sich um ein H handeln - schon öfter gehört, erstmals von Beniamino Gigli. Ich glaube mich zu erinnern, dass u.a. auch Sandor Konya jubelt und sicher noch viele andere. Was haltet ihr von dieser Szene oder von in der Emotion eingelegten hohen Tönen generell?

    Gefällt euch "Guardate!" mit oder ohne H am Schluss? Welche Tenöre fallen euch ein, die es einlegen?

  • Vasile Moldoveanu. So habe ich es auch 1985 an der MET von ihm gehört. Übrigens ein auch im wiederholt erfahrenen live- Erlebnis grandioser Sänger, leider nicht mehr so bekannt...Seine Arien-CD, die er mit dem Orchester der Oper Stuttgart seinerzeit aufgenommen hat, ist sehr empfehlenswert.



    Wenn der Tenor diese schwierige Partie mit ihren Lyrismen und gewaltigen Ausbrüchen bis zum C" live meistert und es in den dramatischen Rahmen des Le Havre-Szene passt, habe ich damit kein Problem. Bei Moldoveanu hat es nach meiner lebhaften Erinnerung "gepasst".


    VG
    Otello50

  • Ganz ehrlich: Ich habe mir das jetzt angehört und finde diesen letzten ungeschriebenen Ton total unmöglich!!! Ein toller Sänger singt eine tolle Arie, ist als Rolle aber am Ende der Arie auch mit seinem Latein am Ende - die Ansage des Kapitäns kommt für ihn überraschend, er ist perplex, sprachlos vor Glück und Überwältigung. Puccini komponiert das, lässt das Orchester sprechen, das auf dem Oktavton, also dem oberen Grundton einsetzt und genau das von mir beschriebene eindrucksvoll hörbar macht. Dass der Tenor da nun den Quintton (der nicht dieses vollkommene Ideal zu charakterisieren vermag) dazwischenplärrt, ist eigentlich eine Schande, denn es verhöhnt den genialen Musikdramatiker Puccini, der ein Stümper gewesen wäre, wenn er das so komponiert hätte. Die ganze Überwältigung ist futsch, ich bin aus der dramatischen Sitution gerissen, weil ein Tenor meint, sich da am Endee als der Wichtigste auf dem Platz bemerkbar, also hörbar machen zu müssen. Meine Meinung: Megapeinlich!

    (Und so schlecht waren Puccinis Textbücher nun wirklich nicht, als dass solche eine Szene textlich mit "Ah!" enden würde...)

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Du solltest erst mal genauer lesen, bevor du dich so aufregst! ich habe nicht von dieser Aufnahme sondern von meinem Live-Erlebnis an der MET gesprochen. Da war der Ton klar und strahlend. Leider habe ich davon kein Dokument, das ich vorstellen kann.

    VG

    Otello50

  • Und ich habe einzig und allein von meinem Eindruck von der eingestellten Aufnahme gesprochen. Das ist völlig klar, insofern ist der erste Satz deiner Antwort völlig überflüssig!


    Aber selbst wenn der Ton da "klar und strahlend" war, bleibt er falsch! Der Quintton gehört dem Kapitän, auf dem er seine Entscheidung verkündet. Er steht für die Spannung vor der Auflösung. Danach kann als Auflösung nur noch der Grundton kommen. Das wird durch den Tenor hier völlig konterkariert.

    Um "klar und strahlend" oder "nicht klar und strahlend" ging es also gar nicht. Vielleicht solltest DU erstmal genauer lesen...

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Ich wusste schon, als ich das Thema einstellte, dass man darüber eifrig diskutieren kann.

    Ich kann den beiden Beiträgen von "Othello50" und "Stimmenliebhaber" argumentativ sehr gut folgen und beide nachvollziehen. Danke dafür. Man kann sie getrost nebeneinander stehen lassen. Oper ist auch Emotion und erzeugt Emotionen - das merkt man am Tonbeispiel und den Diskutanten ;).

  • Ich habe jetzt mal den Fehler gemacht, mir - nachdem im Eröffnungsbeitrag der Name Gigli fiel - mir diese Aufnahme aus dem Jahre 1950 bei Spotify anzuhören:



    Technisch und künstlerisch eine Aufnahme des Grauens! Was hat diesen einst so wunderbaren Tenor geritten, mit 60 Lenzen und hörbar deutlich über seinen Zenit hinaus, diese Aufnahme zu produzieren? (Na klar, die Kohle...)

    Das ist ein veristisches Rumgeschreier und eine Wegsprecherei, Töne brechen auch schonmal in eigentlich bequemer Lage weg, dass die ganze Aufnahme eigentlich eine Schande ist (viel besser als er ist sie nämlich leider auch nicht).

    Da ist dieser dramaturgisch völlig falsche Tenor-Spitzenton am Ende des 3. Aktes beinahe noch das beste, fällt zumindest nicht negativ heraus, denn wo generell keine stimmliche Rollenbeglaubigung mehr stattfindet (ein jugendlich-schwärmerischer junger Mann ist da nicht mal ansatzweise in der Nähe!), kommt es darauf dann auch nicht mehr an...


    Generell beleibe ich aber dabei, vor jedem Tenor ganz tief den Hut zu ziehen, der diesen Ton NICHT singt, denn ohne diesen nicht komponierten und inhaltlich wie musikalisch falschen Ton gelibgt es ihm vielleicht, seine Rolle zu belgeibigen, mit diesem aber definitiv nicht, sondern er beglaubigt mit diesem ton nur seine eigene Selbstsucht, im Mittelpunkt zu stehen, er beglaubigt, dass ihm sein Ego und seine Stimmprotzerei weit wichtiger sind als jede Rolle.

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"