Die Klaviersonate in der individuellen Musikrezeption

  • Ich muss eine weitere Aussage etwas korrigieren. Lourié schrieb zwar keine Sonate aber immerhin vier Sonatinen (also nicht ganz vollwertig ;)). Leider findet sich in den sognannten Gesamtausgaben der Klaviereinspielungen immer nur die dritte. Sie ist auch die einzige im Web zu findende


    Hier die Einspielung Moritz Ernst



    Das Klavierwerk ist gar nicht so klein. in der späteren Zeit hat Lourié deutlich weniger für dieses Instrument solo komponiert.


    Die Werkeauflistung auf der "Lourié"-Homepage wird nicht nur technisch schlecht gepfegt


    https://www.lourie.ch/de/arthur-lourie/werke/

  • Tja, so geht es ... ich weiß nicht so recht, was ich zu meiner Klaviersonatenrezeption sagen soll. Als Teenager musste es das Orchester sein, als ich irrtümlich die falsche CD geschenkt bekam, nämlich Pollini mit Strawinsky, Prokofieff, Webern und Boulez war ich wegen des Soloklaviers enttäuscht, nicht wegen der Komponisten (ich wollte eh Strawinsky, wenn ich mich recht erinnere). Diese CD hat mir dann quasi das Klavier erschlossen, worauf ich bald auch Schönbergs Klavierwerk (mit Pollini) anschaffte. Nun sind das wieder keine Sonaten ... Die erste Sonate, die dann in Folge so richtig einschlug war die von Liszt, denke ich. Bis heute hat die Klaviersonate aber keine besondere Relevanz in meiner Sammelei, z.B. habe ich bei Haydn die Klaviertrios komplett, von den Sonaten nur eine CD mit einer Auswahl.

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  • Aber bei deinen Haydntrios hast du doch schon jede Menge kleine Sonaten, wo das Klavier nicht alles alleine machen muss. :)

  • Diese CD hat mir dann quasi das Klavier erschlossen, worauf ich bald auch Schönbergs Klavierwerk (mit Pollini) anschaffte. Nun sind das wieder keine Sonaten ... Die erste Sonate, die dann in Folge so richtig einschlug war die von Liszt, denke ich. Bis heute hat die Klaviersonate aber keine besondere Relevanz in meiner Sammelei,

    Sehr schade.


    Meine Genese ist eine völlig andere. Schon bald nach Schuberts Forelle kamen die Beethovenschen Sonaten, die mich in eine Art Trance versetzt haben. Ich habe immer, wenn ich Zeit hatte (das ist als Kind gar nicht so wenig, wie ich heute feststellen darf), mich diesen Werken hingegeben.... Ich konnte nicht genug davon haben (andere schon ... irgendwann kam dann die eigene Anlage und die Familie war befreit ;)) Dem Wunsch nach einem Klavier wurde leider nicht nachgegeben, das geerbte war verschenkt worden und eine neues wurde nicht angeschafft..... So kam die Klaviersonate in mein Leben und ist dort prominent geblieben ... und was die Sammelei angeht ... bin ich besser mal ruhig =O

  • Ja, vielleicht hat die Klaviersonate bei mir eine größere Relevanz beim Erlernen der Formen, beim Spielen und Analysieren. So habe ich alle Mozartsonaten entsprechend durchgesehen, aber keine Aufnahme mehr davon (war noch im Elternhaus). Auch heute, wenn ich nach langer Zeit wieder versuche, Klavier zu spielen, kommen frühe Haydn-Sonaten dran. Aber auch sonst sind öfters Klaviersonaten die Lieblingsklavierwerke, bspw. bei Hindemith und Mossolow. Aber es ist nun mal so, dass ich eher entweder Klaviertrios oder Klaviersonaten habe, also von Mendelssohn, Schumann und Brahms stets die Kammermusik und keine Klaviersonaten.

  • Der in Die Klaviersonate in der individuellen Musikrezeption erwähnte Christophe Sirodeau spielte auch Feinbergs sechste Klaviersonate aus dem Jahre 1923 ein. Wir hören sie hier mit Noten (Neben Skrjabin und Impressionismus sind hier klare Klänge des Futurismus und auch Strawinskis zu hören. Arnold Schoenberg und Igor Stravinski zeigten dieser Sonate Aufmerksamkeit, die dann auch Feinbergs bekannteste Klaviersonste werden sollte.



    Neben den Einspielungen des Franzosen Sirodeau und des Kanadiers Hamelin gibt es auch eine Einspielung mit dem Russen Viktor Bunin. Die Klaviersonate Nr. 6 besitzt einen Eintrag in der englischen Wikipedia

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  • Eine ganz besondere Sonate ist mit Sicherheit der Nachtwind (oder die Nachtwind Sonate) Op. 25 Nr. 2 von Nikolai Medtner. Aus aktuellen Anlass möchte ich hier zum Medtner-Therad ergänzen.


    Die Sonate hat zwei bemerkenswerte Aspekte


    1. Strukturmäßig werden hier polyphone und sonatenartige und ritornellartige Strukturen gegenseitig überlagert.


    2. Das "Motto" der Sonate nach einem Gedicht von Fjodor Tjuttschew


    "What are you howling about, night wind?

    What are you madly complaining about? .."


    aus dem Jahrer 1836 geht in die Analyse des Werkes tief mit ein.


    Sie ist das längste und komplexeste Klavierwerk für Klavier solo, was Medtner geschaffen hat, auch wenn es nur Nr. 2 von Op. 25 ist :) Medtner hat dieses Werk seinem Freund Sergei Rachmaninoff zugeeignet.


    Hier eine Livevorführung aus dem Moskauer Konservatorium (sehr leidenschaftlich!) aus dem Jahre 2017



    Man benötigt aber sicher auch die Noten ....


    Hier sind zwei Einspielungen zum Vergleich, beide, wie ich finde interessant, obwohl ich (vielleicht aus Gewohnheit) die von Tozer bevorzuge ab 32'



    Medtners ambitioniertestes Werk steht für mich auch musikalisch ganz vorne in der Reihe der (mir bekannten) Klavier-Sonatenliteratur des 20. Jahrhunderts. Mittlerweile ist dazu auch ein Artikel eines Musikwissenschaftler der Robert-Schumann-Hochschule Düsseldorf erschienen

    Die Übersteigerung der Sonatenform. Zu Nikolaj Metners Klaviersonate e-Moll p. 25 Nr. 2 von Wendelin Bitzan

  • Ich will noch einen weiteren Versuch starten, Klaviersonaten zu diskutieren, wie wir sie nun hören und zu verstehen glauben. Ich habe vor einiger Zeit in einer Veranstaltungsreihe die Erfahrung gemacht, dass es interessant ist, Stücke zu vergleichen, die ungefähr zur selben Zeit entstanden sind. Dafür habe ich mir nun die Vierziger Jahre des letzten Jahrhunderts ausgesucht. Krieg in Europa oder das Überleben in den Trümmern! Selbst bei den Siegern, froh überlebt zu haben ... Eine Zeit, in der einige Sonaten entstanden sind. Die Komponisten waren in völlig verschiedenen Situationen.


    Folgende Sonaten möchte ich anbieten:



    Samuel Barber, Klaviersonate Op. 26 (1949)


    Boris Blacher, Klaviersonate Nr. 2 (1943)


    Pierre Boulez, Klaviersonate Nr. 1 (1946)


    Elliott Carter, Klaviersonate (1945-46)


    Aaron Copland, Klaviersonate (1939-41)


    Luigi Dallapiccola, Sonatina Canonica (1942-43)


    Henri Dutilleux, Klaviersonate (1947-48)


    Hanns Eisler, Klaviersonate Nr. 3 (1943)


    Norbert von Hannenheim, Klaviersonate Nr. 12 (ganz schwierig zu datieren ...)


    Karl Amadeus Hartmann, Klaviersonate "27. April 1945" (1945)


    Dmitri Kabalewski, Klaviersonate Nr. 2 (1945)


    Ernst Krenek, Klaviersonate Nr. 4 (1948)


    Sergei Prokofieff, Klaviersonate Nr. 8 (1939-1944)


    Giacinto Scelsi, Klaviersonate Nr. 4 (1941)


    Dmitri Schostakowitsch, Klaviersonate Nr. 2 (1942)


    Michael Tippett, Klaviersonate Nr. 1 (1936-1942)


    Viktor Ullmann, Klaviersonate Nr. 5 (1943)


    Ich stelle in den folgenden Beiträgen jeweils eine von diesen Sonaten vor und würde mir wünschen von etwaigen Hörern die Eindrücke zu sammeln. Auch schön wäre es natürlich, wenn es noch Ergänzungen zu der kleinen Sammlung gäbe. Ich habe zum Beispiel bei Mieczyslaw Weinberg nicht nachgeschaut. Sicher gibt es noch wertvolles Repertoire aus dieser Zeit, was ich nicht erfasst habe oder auch gar nicht kenne. Solche Ergänzungen wären eine echte Bereicherung .....



    Für die Eindrücke kann es interessant sein, zu welchen anderen Musikstücken man die Sonate in Verbindung setzen kann, der historische Kontext des Komponisten, wo war der Komponist zu der Zeit. Findet sich etwas davon gefühlsmäßig in den Werken wieder? Der Fragen sind viele. Ich möchte gar nicht den Versuch machen sie alle aufzuzählen.


    Die diskografische Lage bei den Sonaten ist völlig unterschiedlich. Bei Prokofieff herrscht Fülle, bei Scelsi, Hannenheim und auch Eisler wird es recht dünn. Man darf an das Hören dieser Werke nur nicht mir dem Vorurteil herangehen, als sei die Menge an Einspielungen ein eindimensionales Qualitätsmerkmal für die Musik. Das verbaut schnell den Weg zu einem tieferen Verständnis. Bei einigen Werken ist die Quellenlage sehr kritisch, bei anderen der Komponist sehr verschlossen und wieder bei anderen Werken sind es halt die, die man in der Schule gelernt hat. Das führt zu Wahrnehmungsverzerrungen, die man beim Hören einfach ignorieren sollte.

  • Ich fange mit der Klaviersonate von Hartmann an. Karl Amadeus Hartmann hat sich in der Zeit des Nationalsozialismus wohl in eine Art innere Immigration zurückgezogen. Er komponierte zwar weiter, doch wurden seine Werke bis auf wenige Ausnahmen nicht aufgeführt. Warum und wieso, darüber kann man leider auch Verschiedenes lesen. Im Endeffekt ist es aber für das Folgende gar nicht wichtig. Ziemlich klar ist es, dass Hartmann angewidert war von der menschenverachtenden Ideologie, die in der NS-Zeit propagiert wurde und den öffentlichen Raum beherrschte.


    Am 27. April 1945 sieht er aus seinem Fenster einen Zug entkräfteter Häftlinge, die von bewaffneten SS-Soldaten in eine unklare Zukunft gebracht werden. Ziel ist es offensichtlich, diese Menschen nicht von US-Soldaten befreien zu lassen. Hier scheint der Komponist nun nicht mehr anders zu können und nimmt dieses Ereignis zum Anlass einer Komposition, der Klaviersonate "27. April 1945"


    Wir hören sie hier in einer Einspielung von Siegfried Mauser. Ich werde in einem folgenden Beitrag versuchen noch etwas mehr zu dieser Sonate zu sagen, würde es aber begrüßen, wenn man bereit ist, die Musik erst einmal auf sich wirken zu lassen. Em Ende wird noch die Alternativversion des letzten Satzes angehängt.


  • Karl Amadeus Hartmanns Klaviersonate signalisiert durch das im Titel angezeigte Ereignis politischen Inhalt. Nun sehen wir hier aber keinen musikalisch ummantelten Zeigefinger, sondern das künstlerische Ergebnis eines sich existenziell bedroht fühlenden Komponisten. Mir kommt es so vor, als habe das lange Schweigen, das innere Uneinssein mit einem menschenverachtenden, die Öffentlichkeit beherrschenden politischen Systems durch diesen Anlass den musikalischen Ausdruck gefunden.


    Hartmann schreibt dazu: „Am 27. und 28. April 1945 schleppte sich ein Menschenstrom von Dachauer „Schutzhäftlingen“ an uns vorüber – unendlich war der Strom – unendlich war das Elend – unendlich war das Leid –



    Zu meiner ersten Ausgabe der Sonate von Benedikt Koehlen



    schreibt die Stereoplay




    Hartmann Sonate führt also durchaus auch einen ästhetischen Dialog, was sie in meinen Augen wertvoll macht und nicht nur als ein Zeitdokument.


    Diese Sonate eignet sich natürlich wegen ihres emotionalen Gehaltes auch für die Kombination mit einem Video. Der youtube-Kanal von Dieter Rodemund bietet eine von ihm gestaltete Untermalung einer Liveeinspielung des österreichischen Pianisten Andreas Eggertsberger mit fotografischen und filmischen Dokumenten von Verbrechen aus der Zeit des zweiten Weltkrieges.



    Dieses Werk an sich ist wieder ein eigenes Kunstwerk, wenn man so will, eine Transkription der Sonate ins Visuelle.

  • Etwas allgemeiner über die Sonatenform. Das Video hat mir doch an vielen Stellen geholfen ein etwas klareres Verständnis für die Art Musik zu gewinnen.



    Eine dicke Empfehlung aus diesem kleinen Video


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