Johannes Brahms Werke - Welches sind Eure Lieblingsinterpretationen?

  • Hallo,


    Sinfonie Nr.1 c-moll Op.68


    Manche bezeichneten diese Sinfonie gleichsam als Beethovens 10.. Eine gewisse Kritik seiner Zeitgenossen konzentrierte sich auf die sehr traditionelle Gesamtkonzeption und den sehr ernsten Gesamtcharakter. Brahms arbeitete insgesamt über 14 Jahre an diesem Werk. dabei wurde der 1. Satz in seiner Grundkonstruktion schon 1862 geschrieben und Clara Schumann zugebracht. Erst in den jahren 1874-76 wurde die Sinfonie komplettiert. Die Uraufführung erfolgte 1877 unter der Leitung von F.O. Dessoff in Karlsruhe, wenige Tage danach die nächste Aufführung unter der Leitung des Komponisten in Mannheim. Die Geteilte Einleitung des Finalsatzes ist bist dahin unerhört und die Entwicklung zum strahlenden Glück im Finale ist IMO noch intensiver, ja inniger als in Beethovens Neunter.


    Den 1. Satz nahmen wir in der 10. Jahrgangsstufe durch. Ich erinnere mich, dass unser Lehrer eine eigene Schallplatte mitbrachte, welche er in den USA erwarb. Ulkig war die Tatsache, dass sie deformiert bzw. gewellt war ! Daraufhin besorgte ich mir auf MC die Aufnahme mit Böhm und den Wiener Philharmonikern. Diese Aufnahme empfand ich ziemlich unbeweglich.


    Nun standen mir 3 Aufnahmen auf CD zur Verfügung: Wand/Münchner Philharmoniker (live), Maazel/Wiener Philharmoniker (live), Sawallisch/London Philharmonic Orchestra. Daher werde ich zwei hieraus nominieren. Die beiden Aufnahmen sind aufnahmetechnisch superb eingefangen, während man bei den Wiener Philharmoniker mit Maazel mitten im Orchester sitzt, sitzt man bei den Münchner Philharmoniker mit Wand in der 1.-3. Reihe. Beide Interpretationen sind rhythmisch straff und sehr transparent. Sawallisch und das LPO sind auch phantastisch, aber der Live-Eindruck ist halt doch spannender.


    Günter Wand, cond

    Münchner Philharmoniker


    (Hänssler Profil, DDD, live, 1997)


    Brahms: Symphony No. 1 / Beethoven: Symphony No. 1


    Lorin Maazel, cond

    Wiener Philharmoniker


    (Vienna Philharmonic Records/Edition Kurier, DDD, live, 1985)


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    LG Siamak

  • Klaviersonate Nr.1 C-Dur Op.1


    Brahms’ 1. Klaviersonate entstand erst nach der 2. (fis-moll) und bekam die Opuszahl 1. Brahms persönlich spielte die Uraufführung im Leipziger Gewandhaus 1853. Der Klaviersatz ist sehr vollgriffig und die Sonate hat insgesamt symphonisches Ausmaß. Interessant: Der A-Teil des 2. Satzes verarbeitet ein altdeutsches Minnelied. In den Ecksätzen arbeitet Brahms sehr beweglich mit den Motiven und man hört in der Durchführung ein ausgeprägtes durchbrochenes Spiel. Brahms Kompositionstechnik hat sich schon in diesen Frühwerken etabliert.


    Erstmalig hörte ich während der Studienzeit diese Sonate aus der Gesamtaufnahme des Brahmsschen Klavierwerkes mit Julius Katchen auf LP. Von den drei Klaviersonaten Brahms’ brauchte ich zum Verständnis am meisten Zeit bei der Ersten.


    Auf CD standen mir 5 Aufnahmen zur Verfügung. Nach 2 Hörrunden kann ich nun 3 Lieblingsaufnahmen nominieren.


    Julius Katchen, p


    (DECCA, ADD, 1965)



    Dies ist für mich die beeindruckendste Interpretation dieser extrem kompakten Sonate. Julius Katchen stehen derart stupende manualtechnische Fähigkeiten zur Verfügung, dass selbst im vollgriffigsten Bereich der melodische Bogen, die atmende Phrasierung ausgekostet wird, man hört ein Top-Symphonieorchester !


    Sviatoslav Richter, p


    (DECCA, DDD, live, 1987)


    Brahms: Piano Sonatas Nos.1 & 2


    Es ist erstaunlich, wie der 70-Jährige höchstmusikalisch und sonor mit dieser Sonate umgeht, und dies noch live.


    Alexander Melnikov, p


    (HM, DDD, 2011)


    Brahms: Piano Sonatas Nos.1 & 2


    Auch hier trifft man auf eine sehr organische und sonore Darstellung. Klanglich kommt noch hinzu, dass Melnikov auf einem historischen Bösendorfer Flügel der Brahms-Zeit spielt.


    LG Siamak

  • Gerade mal wieder ene Schallplatte aufgelegt. 1. Klavierkonzert von Brahms, Berliner Philharmoniker, Emil Gilels und Eugen Jochum. Immer wieder lese ich gute Kritiken und Gejammere darüber, dass es keine guten Einspielungen bzw. großartige Pianisten mehr gibt. Ich bin erstaunt, weil außer dem Alter der Aufnahme gar nichts für sie spricht (ungefähr gleich dem Alter der lobenden Kommentatoren). Jochum walzt das Tempo platt, Gilels spielt gut, kann aber auch nichts herausreißen und die Berliner Philharmoniker spielen auf höchstem Niveau - wie auch sonst. Trotzdem: Verschenkte Lebenszeit für gehobene Langeweile. Um mich zu wiederholen: London Symphony Orchestra, Ltg.: Vaclav Neumann, Sol.: Seta Tanyel: Eine Offenbarung, eine Jahrhundertaufnahme, der Meilenstein schlechthin!



    Ist zwar auch nicht taufrisch, dafür aber unerreicht. (Ich habe mich gerade durch einige bemerkenswerte Interpretationen des Konzertes durchgehört: Weissenberg, Grimaud, Gvodic, Grinberg, Wang und trotzdem: s.o.

    "His philosophy was to transmit the music to the public and not boring the public. A concert is not a lecture, a concert you go for enjoyment." WTH

  • Es gibt sie noch am großen Urwaldfluss als MP3 für 3,87 €. Ich habe sie gerade bei Youtube auf dem Kopfhörer. Vor allem klanglich gefällt sie mir über die Maßen. Wenn ich das richtig gelesen habe, ist sie wohl bei Collins Classics herausgekommen.


    Liebe Ostergrüße


    Willi:)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Gerade mal wieder ene Schallplatte aufgelegt. 1. Klavierkonzert von Brahms, Berliner Philharmoniker, Emil Gilels und Eugen Jochum. Immer wieder lese ich gute Kritiken und Gejammere darüber, dass es keine guten Einspielungen bzw. großartige Pianisten mehr gibt. Ich bin erstaunt, weil außer dem Alter der Aufnahme gar nichts für sie spricht (ungefähr gleich dem Alter der lobenden Kommentatoren). Jochum walzt das Tempo platt, Gilels spielt gut, kann aber auch nichts herausreißen und die Berliner Philharmoniker spielen auf höchstem Niveau - wie auch sonst. Trotzdem: Verschenkte Lebenszeit für gehobene Langeweile. Um mich zu wiederholen: London Symphony Orchestra, Ltg.: Vaclav Neumann, Sol.: Seta Tanyel: Eine Offenbarung, eine Jahrhundertaufnahme, der Meilenstein schlechthin!



    Ist zwar auch nicht taufrisch, dafür aber unerreicht. (Ich habe mich gerade durch einige bemerkenswerte Interpretationen des Konzertes durchgehört: Weissenberg, Grimaud, Gvodic, Grinberg, Wang und trotzdem: s.o.

    Lieber Harry,


    ich habe nun nach Deinen insistierenden Nennungen der Aufnahme mit Seta Tanyel diese gehört. IMO ist es eine sehr gute Aufnahme. Aber für 1989 finde ich sie aufnahmetechnisch nicht so differenziert. Und Tanyel spielt brillant. Dabei kommen die Zwischentöne nicht so heraus. Auch die Stimmen in der linken Hand sind kaum hörbar. Für Dich ist es eine Jahrhundertaufnahme, für mich eine sehr gute unter vielen. Ich danke Dir für Deine Hinweise auf diese sehr gute Pianistin der Wiener Schule, Sie und Rudolf Buchbinder dürften sich aus der Studienzeit gut kennen.


    LG Siamak

  • Hallo,


    Sinfonie Nr.2 D-Dur Op.73


    Im Gegensatz zur 1. Sinfonie erstellte Brahms diese Komposition recht ‚rasch‘ im Laufe des Jahres 1877. Im selben Jahr wurde sie unter der Leitung von Hans Richter in Wien uraufgeführt und wurde enthusiastisch aufgenommen. Für mich klingt der 1. Satz sehr erhaben mit einer Portion Melancholie. Das Finale ist IMO eine Art Ekstase mit überbordender Dur-Energie.


    Ich bin ja kein ‚Sinfonie-Experte‘. Daher habe ich nur drei Aufnahmen auf CD: Karajan/BP (1963), Schuricht/WP (live in Luzern, 60er) und Sawallisch/LPO (1990). Ich finde doch, dass eine Aufnahme in jeder Hinsicht hervorsticht:


    Herbert von Karajan, cond

    Berliner Philharmoniker


    (DG, ADD, 1963)



    IMO ist sensationell der Gesamtsound. Hier wird mit schneidender Präzision und doch einer Wärme in der Phrasierung musiziert. Die Aufnahmetechnik ist IMO überragend.


    LG Siamak

  • Hallo


    Klaviersonate Nr.2 fis-moll Op.2


    Diese Sonate entstand vor der Op.1, Brahms stellte sie noch 1852 in Hamburg fertig. Im weiteren verlauf widmete er sie Clara Schumann, nachdem er das Ehepaar Schumann 1853 kennenlernte.


    Ich mochte diese Sonate vom ersten Anhören. Es ist IMO ein hochromantisches Sturm-und Drang Werk mit feiner klassischer Kompositionstechnik. Alle vier Sätze nehmen in Bann, der Kopfsatz mit seiner attackenartigen Energie, der traumhaft-melancholische 2. Satz, das tolle Scherzo und das Finale mit seiner Steigerung.


    Ich hörte diese Sonate während meiner Schulzeit auf LP mit Claudio Arrau, das Werk war mit den Paganini-Variationen gekoppelt (Philips).


    Nun standen mir 4 Aufnahmen auf CD zur Verfügung, und mich für 3 Lieblingsaufnahmen zu entscheiden, war sehr schwierig. da ich mich bei der ersten Sonate nicht für ihn entschied, tue ich es jetzt, Detlef Kraus !


    Detlef Kraus, p


    (Thorofon, ADD, 1973)


    Detlef Kraus: Johannes Brahms (1833-1897) • Sonate Nr. 2 etc. CD


    Detlef Kraus war Schüler von Wilhelm Kempff, stammte wie Brahms aus Hamburg. Brahms war der Fokus dieses hochgewachsenen Pianisten. Ich erlebte ihn live in Essen im Rahmen ‚Musik an der Uni‘. Der Zyklus wurde vom damaligen Direktor des Humangenetischen Instituts in Essen, Herrn Prof. Passarge, organisiert und moderiert. Kraus war Lehrer an der Folkwang Hochschule in Essen. Bei ihm ist Virtuosität vollständig in die musikalische Aussage integriert. sein Anschlag ist warm und sonor. Die Brahmsschen Zwischentöne blühen auf.


    Julius Katchen, p


    (DECCA, ADD, 1964)



    Ich kann hier nur wiederholen und auf meine Bemerkungen bei der 1. Sonate hinweisen. Hoch virtuos und organisch.


    Sviatoslav Richter, p


    (DECCA, DDD, live, 1987)


    Richter spielt Brahms


    Auch hier: siehe unter der 1. Sonate.


    LG Siamak

  • Für das Violinkonzert D-Dur, op. 77 nominiere ich:



    -Für mich die vielleicht gelungenste Aufnahme des Werkes. Isaac Stern, der 1936 das Konzert erstmals mit Pierre Monteux aufführte, weiß mit einem üppigen, fein differenzierten, niemals "süßlichen" Geigenton zu gefallen und wird von Eugene Ormandy und "seinem" Philadelphia Orchestra engagiert, im Adagio sehr gefühlvoll und im Finalsatz schwungvoll begleitet.



    -Siamak (AcomA02) hatte die Einspielung bereits für mich absolut zutreffend beschrieben und ebenfalls nominiert. Gidon Kremer und Leonard Bernstein widmen sich dem Konzert mit einer Intensität, die nur dann erreicht werden kann, wenn absolute Meister ihres Fachs miteinander musizieren.


    vs.


    Zu der Aufnahme mit Isabelle Faust und Daniel Harding hatte sich Siamak ebenfalls geäußert. Sie hätte es auch bei mir "verdient", zu den Top-3-Aufnahmen zu zählen, setzt im anspruchscollen Solopart sehr schöne, eigene Akzente, aber der Vortrag von der zum Zeitpunkt der Aufnahme 21-jährigen Hilary Hahn begeistert nicht nur mit technischer Makellosigkeit, sondern auch mit einer Leichtigkeit, die nur sehr selten in dieser Form zu hören ist. Sie lässt die Musik aus sich selbst heraus wirken und wirkt wie ideale Symbiose aus dem "Klassizismus" von Isaac Stern und der sensiblen (positiven) "Nervosität" Kremers. Sir Neville Marriner weiß, wem er den Vortritt zu lassen hat, animiert "sein" Orchester aber zu einem klangschönen Spiel ohne Fehl und Tadel.


    U.a. Oistrach/Klemperer, Repin/Chailly, Mintz/Abbado, die beiden Aufnahmen mit Thomas Zehetmair und Frank Peter Zimmermann/Sawallisch hätte ich ebenfalls ohne Bedenken nominieren können, aber es kann halt nur drei Nominierungen geben...

    Grüße aus der Nähe von Hamburg


    Norbert


    Das Beste in der Musik steht nicht in den Noten.

    Gustav Mahler


  • Hallo,


    Klaviersonate Nr.3 f-moll Op.5


    Brahms komponierte diese Sonate überwiegend im Oktober 1853. Der 2. ud 3. Satz wurden durch Clara Schumann 1854 in Leipzig und die gesamte Sonate durch Hermann Richter ebenfalls 1854 in Magdeburg uraufgeführt. Für mich gibt es zwei Höhepunkte in diesem starken Werk: der Mittelteil des langsamen 2. Satzes und die ekstatische Coda im Finalsatz.


    Mir standen auf CD 10 Aufnahmen zur Verfügung. Nach der ersten Hörrunde konnte ich 5 Aufnahmen in die engere Auswahl nehmen: Kraus, Katchen, Sokolov, Ashkenazy und Kuijken (fp). Nach der zweiten Hörrunde konnte ich meine 3 Lieblingsaufnahmen benennen:


    Detlef Kraus, p


    (Thorofon, ADD, 1973)


    Johannes Brahms: Sonate F-Moll op. 5, Sechs Klavierstücke op. 118


    Wieder Mal merkt man die langjährige Auseinandersetzung dieses bescheidenen Künstlers mit Brahms. Kaum einer hält den musikalischen Atem so organisch. Die dynamische Bandbreite ist enorm und sein Ton sehr sonor und warm.


    Julius Katchen, p


    (DECCA, ADD, 1964)



    Julius Katchen hat die mit Abstand stärkste manuelle Kpazität. Sein Spiel ist eruptiv und klanglich opulent.


    Vladimir Ashkenazy, p


    (DECCA, DDD, 1991)


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    Ashkenazy überzeugt mit symphonischem Ansatz und sehr organischer Phrasierung. Im Dienste der musikalischen Aussage kommt hier enorme Virtuosität zum Vorschein. Sehr schöne Akustik.


    LG Siamak

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  • Hallo,


    Sinfonie Nr.3 F-Dur Op.90


    Über den Entstehungsprozess dieser Sinfonie ist kaum etwas bekannt. Das Werk wurde 1883 fertiggestellt (Wiesbaden) und in Wien unter Hans Richter uraufgeführt. Es ist IMO ein sehr melodisches und melancholisches Werk.


    Ich konnte auf CD auf 4 Aufnahmen zurückgreifen: Karajan/BP, Scherchen/RTSI, Dohnanyi/Cleveland Orchestra und Sawallisch/LPO.


    Auch hier überragt IMO aufgrund der dynamischen Akzente und des Gesamtsoundes mit Leidenschaft und bewegter Phrasierung die Aufnahme mit Karajan und den Berliner Philharmonikern.


    Herbert von Karajan, cond

    Berliner Philharmoniker


    (DG, ADD, 1964)


    7415100


    LG Siamak

  • Lieber Harry,


    ich habe nun nach Deinen insistierenden Nennungen der Aufnahme mit Seta Tanyel diese gehört. IMO ist es eine sehr gute Aufnahme. Aber für 1989 finde ich sie aufnahmetechnisch nicht so differenziert. Und Tanyel spielt brillant. Dabei kommen die Zwischentöne nicht so heraus. Auch die Stimmen in der linken Hand sind kaum hörbar. Für Dich ist es eine Jahrhundertaufnahme, für mich eine sehr gute unter vielen. Ich danke Dir für Deine Hinweise auf diese sehr gute Pianistin der Wiener Schule, Sie und Rudolf Buchbinder dürften sich aus der Studienzeit gut kennen.


    LG Siamak

    Zunächst mal: Dein Kommentar freut mich. Ein paar Anmerkungen seien erlaubt, weil du einiges durcheinandergebracht hast. Die Aufnahme ist ziemlich gut. Mein Maßstab ist allerdings ein anderer. 1. Ich höre gerne Toscanini. Ein überaus bedeutender Dirigent. Das ändert sich keineswegs dadurch, dass die Aufnahmequalität deutlich schlechter als bei meinem "Lieblingskonzert" ist. Als es noch HiFi Stereo gab (meine Arcus TM 1000 stammen noch aus der Zeit) wurde über gute Aufnahmen kontrovers diskutiert. Die Gegensätze: Eine Aufnahme aus Hörerperspektive - etwa 10 Reihe eines sehr guten Konzertsaals (etwa die Glocke in Bremen :-) oder eine, bei der der Hörer sich mitten im Orchester wähnt. Ich plädiere aus grundsätzlichen Erwägungen für die erste Aufnahmetechnik. Die 2. (sensationelles Beispiel: Yuja Wang mit ihrem 3. Rachmaninoff Klavierkonzert 2019 aus Macao) hat auch was für sich, ist aber eine diametral andere Herangehensweise. Die "linke Hand" ist nicht gut zu hören (stimmt, obwohl die "Mängel" auf meiner Anlage gering sind). Aber: Das liegt an der suboptimalen Aufnahmetechnik. Mit der Interpretation hat das alles noch nichts zu tun.Kommen wir also zur Interpretation: (vorsicht: ich bin nur Hörender) Die Melodiebögen sind hier perfekt erfasst. Nahezu keine Betonung stört das, die Werkauffassung der Pianistin ist perfekt. Die Aufnahme ist lang, aber nicht wegen verschleppter Ecksätze, sondern wegen einem großartigen, sehr langsam ausgekosteten Mittelsatzes. (Viele der "hochgelobten" Solisten "sparen" hier ganz unauffällig Gesamtzeit ein.) Seta Tanyel verzögert oft, aber immer genau passend und in völliger Harmonie mit dem Dirigenten. Das ist natürlich (m)eine Geschmacksfrage, was sonst? Aber ich habe mich durch Aufnahmen mit Andras Schiff, Vladimir Horowitz, Maurizio Pollini, Yefim Bronfman, Steven Kovacevich, Alfred Brendel, Daniel Barenboim, Daniel Wayenberg, Helene Grimaud (!), Gerhard Oppitz, Rudolf Buchbinder, Rene Francois Duchable, Clifford Curzon, Leif Ove Andsnes, Claudio Arrau, John Lill, Wilhelm Backhaus, Vladimir Feltsmann, Julius Katchen, Radu Lupu, Leon Fleisher, Stefan Vladar, Emil Gilels, Glenn Gould, Krystian Zimerman, Andreas Häfliger, Lise de la Salle, Alexis Weissenberg, Lazar Berman, Elisabeth Leonskaja, Rudolf Serkin, Yuri Egorov, Rudolf Firkusny, Maria Grinberg, Pavica Gvozdic, Miki Harasawa, Erik Then Berg, Lars Vogt und Yuja Wang gehört. (Das sind nur die Aufnahmen, die ich habe, nicht erwähnt sind verschiedene Interpretationen mit den genannten Solisten.) Seit You Tube sind auch die nicht mehr erwähnt, (Myra Hess z.B.), die ich nach der großen Fülle des Erhörten nach ein paar Minuten nicht weiterhöre. Ich will auch nicht abtstreiten, dass sich die Qualität mancher Interpretationen (Helen Grimaud) zumindest mir erst nach dem 5. Hören offenbart. Manche der hochgelobten Interpreten fallen bei mir auch gnadenlos durch, Vladimir Horowitz, der mit einer Spielzeit unter 43 Minuten hoffnungslos überfordert ist, ebenso wie Leon Fleisher bei seinem Debut mit sechzehn und knapp 44 Minuten. Da scheinen technische Grenzen zu liegen (siehe die genannten Solisten) (Ob das auch für Yuja Wang gelten würde, sei mal dahingestellt ..., aber die ist zeitlich in ganz anderen Dimensionen unterwegs) Kurz zusammengefasst: für MICH ist Seta Tanyel mit einer makellosen, im Wesen perfekt getroffenen Interpretation unterwegs. (Was ebenfalls nicht heißt, dass es nicht vollkommen konträre Werkauffassungen geben kann, die gegensätzliche Pole repräsentieren (Saint Saens 2. KK mit Melda oder eben Gilels).

    "His philosophy was to transmit the music to the public and not boring the public. A concert is not a lecture, a concert you go for enjoyment." WTH

    Einmal editiert, zuletzt von Harry Baumann ()

  • Für das


    Konzert für Violine, Violoncello und Orchester a-moll, op. 102 nominiere ich:



    Bei allen drei Aufnahmen hat mich die sehr gute Harmonie beider Solisten beeindruckt. Es gibt leider einige Einspielungen, bei denen ich das Gefühl hatte, dass die Solisten gegeneinander und nicht miteinander musizieren. Bei Gil Shaham/Jian Wang, Gordan Nikolitch/Tim Hugh und Mark Kaplan/David Geringas ist das nicht der Fall. Im Gegenteil, die Solisten hören sensibel aufeinander, nehmen das Spiel des Partners an und auf und verarbeiten es mit dem eigenen Solopart zu einer harmonischen Einheit.


    Die größte Überraschung stellte für mich die Aufnahme mit Bernard Haitink dar, denn hier wird deutlich, dass man keine "Stars" braucht, um das Konzert meisterhaft zu interpretieren. Gordan Niolitch war zum Zeitpunkt der Aufnahme Konzertmeister des LSO und Tim Hugh Solocellist. Bernard Haitink wartet mit einem kraftvollen Orchesterspiel auf. Claudio Abbado agiert etwas feiner, während das transparente Orchesterspiel, zu dem Michael Gielen "sein" Orchester animiert, unübertroffen ist. Besonders weiß der schwungvolle Finalsatz zu gefallen.


    Auf den Plätzen knapp hinter dem Spitzentrio sehe ich die Einspielungen Vadim Repin/Truls Mork/Riccardo Chailly, Wolfgang Scheiderhan/Janos Starker/Ferenc Fricsay und Isaac Stern/Leonard Rose/Eugene Ormandy.

    Grüße aus der Nähe von Hamburg


    Norbert


    Das Beste in der Musik steht nicht in den Noten.

    Gustav Mahler


  • Ich nominiere für das Violinkonzert D-Dur op. 77 diese Einspielungen:

    Christian Ferras ist m.E. zu Unrecht selten erwähnt bis fast vergessen. Er hat in den 60ern die vier "großen" Violinkonzerte mit Karajan und den Berlinern eingespielt.


    wenn nur die Kadenz nicht wäre =O

    Zum Nutzen und Gebrauch der Lehrbegierigen Musicalischen Jugend, als auch derer in diesem studio schon habil seyenden besonderem Zeitvertreib auffgesetzet und verfertiget (Johann Sebastian Bachs Eigentitel auf dem Titelblatt des Autographs des Wohltemperierten Claviers, Teil I, 1722)

    Einmal editiert, zuletzt von patebino ()

  • Hallo


    Sinfonie Nr.4 e-moll Op.98


    Die ersten beiden Sätze wurden 1884 fertiggestellt und dritter sowie vierter Satz 1885. Im selben Jahr wurde sie unter der Leitung Brahms’ in Meiningen uraufgeführt. Die 4. Sinfonie gehört seitdem zu den beliebtesten Werken Brahms’.


    Ich lernte das Werk während der Oberstufe auf MC mit der berühmten DG-Aufnahme kennen: C. Kleiber/Wiener Philharmoniker ! Ich bin bis heute von dem Werk in dieser Aufnahme geprägt. Ich finde diese Sinfonie kompositionstechnisch zusammen mit der Ersten stärker als die mittleren Sinfonien.


    Mir standen nun 4 Aufnahmen auf CD zur Verfügung: Dohnanyi/Cleveland Orchestra (Teldec), C. Kleiber/Wiener Philharmoniker (DG), Celibidache/SWR Sinfonieorchester (DG) und Sawallisch/London Philharmonic Orchestra (EMI).


    Als Nicht-Sinfoniker konnte ich mich nach einer Hörrunde sofort auf zwei Lieblingsaufnahmen festlegen ! Die musikalische Präsenz, die Phrasierung, die Aufmerksamkeit der Instrumentengruppen, die Transparenz, die Akustik und vor allem: die Leidenschaft im Ausdruck ohne Bombast !


    Carlos Kleiber, cond

    Wiener Philharmoniker


    (DG, DDD, 1981)



    Sergiu Celibidache, cond

    SWR Sinfonieorchester Stuttgart

    (DG, ADD, 1974)


    Celibidache-Edition (The Stuttgart Recordings 1: Brahms-Sinfonien)


    LG Siamak

  • Für das Doppelkonzert op. 102 gefallen mir diese beiden Aufnahmen am besten:


    unübertroffen

    Oistrach, Rostropowitsch, Cleveland Orchestra, George Szell


    Kremer, Maisky, Wiener Philharmoniker, Leonard Bernstein

    Zum Nutzen und Gebrauch der Lehrbegierigen Musicalischen Jugend, als auch derer in diesem studio schon habil seyenden besonderem Zeitvertreib auffgesetzet und verfertiget (Johann Sebastian Bachs Eigentitel auf dem Titelblatt des Autographs des Wohltemperierten Claviers, Teil I, 1722)

  • Hallo,


    Violinsonate Nr.1 G-Dur Op.78 ‚Regensonate‘


    Brahms schrieb seine erste veröffentlichte Violinsonate zwischen 1878 und 1879, teilweisewährend seines Aufenthaltes am Wörther See. Im letzten, ebenfalls sehr innig-lyrischen Satz zitiert er aus seinem ‚Regenlied‘.


    Diese Sonate übt mit ihrem Grundcharakter auf mich einen beruhigenden und zuversichtlichen Eindruck aus. Erstmalig hörte ich sie während der Schulzeit mit der Einspielung durch Zukerman und Barenboim auf MC (DG).


    Nun standen mir 6 Aufnahmen auf CD zur Verfügung, ‚Klassiker‘ wie Szeryng/Rubinstein (RCA), Schneiderhan/Seemann (DG) und Perlman/Ashkenazy (EMI), sowie Kremer/Afanassiev (DG), Faust/Melnikov (HM) und Kavakos/Wang (DECCA). Nach der ersten Hörrunde standen für mich die 3 Lieblingsaufnahmen fest. Perlmans Ton ist mir zu säuselnd mit permanentem Vibrato.


    Gidon Kremer, v

    Valery Afanassiev, p


    (DG, DDD, 1987)


    Brahms: 3 Violinsonaten / Busoni: Violinsonate No. 2

    Kremer spielt hier für seine Verhältnisse mit mehr Vibrato. Afanassiev hat sich hier wohl durchgesetzt mit seinen langsamen Tempi. Wundervoll bringt Afanassiev den Flügel zum Klingen. Beide Musiker überzeugen mit überragendem Zusammenspiel.


    Isabelle Faust, v

    Alexander Melnikov, p


    (HM, DDD, 2007)


    Horn Trio Op.40 - Violin Sonata Op.78


    Isabelle Faust beeindruckt mit sehr vibratoarmen Spiel und gleichzeitig herbem und schattierungsreichem Spiel. Alexander melnikov harmonisiert blindlings. Der obertonreiche Klang des Bösendorfer von 1875 passt irrsinnig gut.


    Leonidas Kavakos, v

    Yuja Wang, p


    (DECCA, DDD, 2014)



    Hier hören wir IMO eine reizvolle Verstrickung des kristallinen fast impressionistisch klingenden Spiels von Yuja Wang und dem vibratoarmen und variablen Strich von Leonidas Kavakos.


    LG Siamak

  • da muss ich mal wieder meine CD mir Znaider/Bronfman anhören ......


    JPC meldet: … derzeit nicht erhältlich… :(


    Wenigstens jetzt das Cover:


    Einer der erhabensten Zwecke der Tonkunst ist die Ausbreitung der Religion und die Beförderung und Erbauung unsterblicher Seelen. (Carl Philipp Emanuel Bach)

  • Danke.


    Läuft gerade, uns danach Suk/Katchen aus der Decca Legends Serie, auch die finde ich bei JPC nicht.....


    Anhören kann man es aber....



    Kalli

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  • Zitat von kalli

    danach Suk/Katchen aus der Decca Legends Serie, auch die finde ich bei JPC nicht.....

    aber doch....


    LG Fiesco

    Il divino Claudio
    "Wer vermag die Tränen zurückzuhalten, wenn er den berechtigten Klagegesang der unglückseligen Arianna hört? Welche Freude empfindet er nicht beim Gesang seiner Madrigale und seiner Scherzi? Gelangt nicht zu einer wahren Andacht, wer seine geistlichen Kompositionen anhört? … Sagt nur, und glaubt es, Ihr Herren, dass sich Apollo und alle Musen vereinen, um Claudios vortreffliche Erfindungsgabe zu erhöhen." (Matteo Caberloti, 1643)

  • Hallo,


    Violinsonate Nr.2 A-Dur Op.100


    Brahms komponierte diese Sonate während eines Aufenthaltes am Thuner See 1886. Sie ist IMO deutlich bewegter und mit mehr Dramatik behaftet als die erste Violinsonate. Ich mag es, wenn die Interpreten diese Bewegung auch umsetzen.


    Mir standen 7 Aufnahmen auf CD zur Verfügung. Szeryng/Rubinstein (RCA) und Schneiderhan/Seemann (DG) haben hier wirklich sehr gute Aufnahmen eingespielt. Gidon Kremer wird leider von Valery Afanassiev bei dieser Sonate total ausgebremst und was bei der ersten Violinsonate IMO wunderbar passte lässt hier das Werk auseinanderfallen. Im dritten Satz führt es zu einer Lethargie ! Ich war mir nach der ersten Hörrunde sicher, welche 3 Aufnahmen ich nominieren werde.


    David Oistrach, v

    Sviatoslav Richter, p


    (Melodiya, ADD, live,1972)


    Brahms - Violin Sonatas Nos.2 & 3 / Franck - Violin Sonata in A Major - David Oistrakh (Melodiya, Volume 4) (CD)


    Wir kennen Richter als leidenschaftlich zupackenden Brahms-Interpreten mit motorischem Drive und den Zwischentönen ohne zuviel Pedalisierung. Eine überragende Live-Dokumentation mit sehr guter Tonqualität hören wir hier, man sitzt nahe an den Künstlern.


    Leonidas Kavakos, v

    Yuja Wang, p


    (DECCA, DDD, 2014)



    IMO handelt es sich hier um eine, um die Worte von Harry Baumann zu benutzen, ‚Jahrhundertaufnahme‘. Ich weiß nicht, wie lange die beiden Musiker schon zusammen gespielt hatten, es ist eine wundersame Verstrickung mit dem musikalischen Einsatz höchster Virtuosität auf beiden Instrumenten. Kavakos’ Strich ist sehr variabel und vibratoarm, Wang spielt den schwierigen Klavierpart mit mozartscher Leichtigkeit. Unfassbar, wie im B-Teil des grazilen Mittelsatzes das Tempo angezogen wird.


    Ruggiero Ricci, v

    Julius Katchen, p


    (DECCA, AAD, 1956)


    Various: Virtuoso


    Es handelt sich hier IMO um eine aussergewöhnliche Künstlerkombination. Der damals berühmte Ruggiero Ricci, fast auf gleicher Ebene genannt wie Jascha Heifetz, und der noch nicht sehr bekannte hochvirtuose Julius Katchen. Es handelt sich um eine sehr direkte Mono-Aufnahme (ich finde sie klanglich gut), wobei Ricci, ähnlich wie bei Heifetz, aufnahmetechnisch etwas im Vordergrund positioniert ist. Er spielt selbstverständlich altmodisch mit viel Vibrato, die Kombination mit dem sehr agilen Katchen, Brahms-Spezialist, reisst einen wirklich mit.


    LG Siamak

  • Hallo,


    Violinsonate Nr.3 d-moll Op.108


    Brahms begann die Komposition während seines Aufenthaltes am Thuner See und vollendete sie 1888. Das Werk widmete es Hans von Bülow, dem damaligen Klaviervirtuosen und Dirigenten. Das Werk wurde von Brahms am Klavier und Jenö Hubay in Budapest 1888 uraufgeführt.


    Der Klavierpart ist konzertant und rhapsodisch in den Ecksätzen. Der zweite Satz ist ein echter Ruhepol. Der dritte Satz luftig-leicht. In den Ecksätzen herrscht eine düster bis energetische Grundstimmung. Es werden Themen im magyaren Stil verwendet.


    Wie auch die anderen beiden Violinsonaten lernte ich das Werk als Schüler mit der DG-Aufnahme mit Zukerman/Barenboim kennen. Und nun standen mir 9 Aufnahmen auf CD zur Verfügung:

    Kremer/Afanassiev (DG), Oistrach/Richter (Melodiya), Szeryng/Rubinstein (RCA), Perlman/Ashkenazy (EMI), Heifetz/Kapell (RCA), Kavakos/Wang (DECCA), Vengerov/Barenboim (Teldec), Ricci/Katchen (DECCA) und Schneiderhan/Seemann (DG). Um es vorweg zu nehmen, alle diese Aufnahmen sind hervorragend auf ihre Art. Ich benötigte letztlich 3 Hörrunden, um 3 Lieblingsaufnahmen zu benennen. Schade, dass Jascha Heifetz sich aufnahmetechnisch so in den Vordergrund stellen lies, der energetische Kapell ist im Hintergrund kaum wahrnehmbar ! Perlman spielt sehr präzise in der Intonation, aber mir gefällt der ‚nasale‘ IMO hysterische Ton nicht so bei einem romantischen Werk.


    Maxim Vengerov, v

    Daniel Barenboim, p


    (Teldec, DDD, 1998)


    Brahms : Violin Concerto & Violin Sonata No.3


    Zunächst einmal trägt hier Barenboim die Innenkonstruktion des Werkes. Der Klavierpart wird bei ihm sinfonisch gedacht und ausgeführt. Wunderbar, wie er die thematische Arbeit in beiden Händen herausarbeitet. Klanglich ist sein Spiel im 3. Satz vom Feinsten. Maxim Vengerov - ich könnte mir vorstellen, dass eher Heifetz als Oistrach sein Vorbild ist - spielt mit eleganter und nicht übertrieben altmodischer Phrasierung. Das Zusammenspiel ist ideal verstrickt.


    Ruggiero Ricci, v

    Julius Katchen, p


    (DECCA, AAD, 1956)


    Various: Virtuoso


    Hier habe ich mich gegen Heifetz/Kapell entschieden. Ruggiero Ricci spielt ‚altmodisch‘ aber im gegensatz zu Heifetz variabler im Strich. Ricci ist aufnahmetechnisch vielleicht doch etwas im Vordergrund, aber doch nicht so wie Heifetz. dadurch kann man das virtuose und sonore Spiel Katchen’s genießen. Julius Katchen hat später die Brahms-Sonaten auch mit Josef Suk eingespielt. Diese Aufnahme mit Suk kenne ich leider nicht. Ich finde, Ricci und Katchen passen sehr gut bei dieser Sonate zusammen, packend und sonor. Obgleich es eine Mono-Aufnahme ist, finde ich sie klanglich sehr präsent und räumlich.


    Wolfgang Schneiderhan, v

    Carl Seemann, p


    (DG, ADD, 1957)



    Hier habe ich mich gegen Kavakos/Wang entschieden. Leonidas Kavakos und Yuja Wang gleichermaßen spielen hier IMO zu weich und kontrastarm. Irgendwie fehlt hier der Impetus im gegensatz zu der Aufnahme der ersten beiden Sonaten. Aber eine absolute Überraschung waren für mich Wolfgang Schneiderhan und Carl Seemann. Welch ein Klangempfinden und verstricktes Musizieren. Auch aufnahmetechnisch überragend als frühe Stereo-Aufnahme.


    LG Siamak

  • Für das


    Klavierkonzert Nr. 2 B-Dur, op. 83


    nominiere ich:



    Im Die Klavierkonzerte von Brahms - Zwei Symphonien mit piano obbligato -Thread schrieb ich 2006:



    Dem ist fast 15 Jahre später nicht viel hinzuzufügen, abgesehen davon, dass diese Aufnahme von allen zwölf zum Vergleich gehörten die "stimmungsvollste" war. Vom ersten, wunderbar gespielten Hornsolo bis zum letzten Takt des Finalsatzes herrscht das Gefühl der Freude am gemeinsamen Musizieren vor.



    Das Duo Hans Richter-Haaser und Herbert von Karajan harmoniert ebenfalls prächtig. Der Pianist beherrscht sowohl die "heldischen" Töne als auch die zarten, lyrischen und wird in gleicher Manier vom Dirigenten und dem bestens disponierten Orchester unterstützt. Gemessen am frühen Stereo-Zeitalter (aufgenommen im November 1958) gibt es keine klanglichen Einwände.



    Die Überraschung. Auch Gerhard Oppitz und Sir Colin Davis (zum Zeitpunkt der Aufnahme im Januar 1993 gerade nicht mehr Chefdirigent des SO des Bayer. Rdfs.) bilden eine musikalische Einheit, die das Werk in voller Größe zur Geltung kommen lässt. Die hervorragende Klangtechnik gab letztendlich den Ausschlag für diese Aufnahme und nicht für z.B. Fleisher/Szell, Richter/Leinsdorf, Arrau/Giulini oder Ashkenazy/Haitink, die ich ebenfalls ohne Schwierigkeiten hätte nominieren können.

    Grüße aus der Nähe von Hamburg


    Norbert


    Das Beste in der Musik steht nicht in den Noten.

    Gustav Mahler


  • Hallo,


    Variationen und Fuge über ein Thema von Händel B-Dur Op.24


    Brahms komponierte dieses gewichtige Werk noch vor seinem Umzug nach Wien 1861 in Hamburg. Dabei schrieb er seine Erstversion für Clara Schumann, im Druck der endgültigen Version 1862 wurde die Widmung nicht übernommen. Es handelt sich um 25 Variationen, teilweise mit barocken Kompositionstechniken wie auch die finale Fuge, welche ebenfalls eine Variation letztlich darstellt. Das Thema selbst ist nahezu ‚wörtlich‘ eine Aria aus eine der in England geschriebenen Cembalo-Suiten.


    Das Werk lernte ich während der Schulzeit in der CBS-Aufnahme Rudolf Serkins kennen. Ich muss zugeben, dass ich damals lieber die Paganini-Variationen hörte. Heute sehe ich beide Werke auf einer Ebene.


    Nun standen mir auf CD 10 Aufnahmen zur Verfügung: Alfred Brendel (live, DECCA), Andras Schiff (live, Teldec), Detlef Kraus (Thorofon), Claudio Arrau (live, Aura), Garrick Ohlsson (Hyperion), Gerhard Oppitz (RCA), Julius Katchen (DECCA), Rudolf Serkin (live, Ermitage), Vladimir Ashkenazy (DECCA), Bruno Leonardo Gelber (Piano Classics). Nach 3 Hörrunden konnte ich mich für 3 Aufnahmen entscheiden. Alle Aufnahmen sind top. Die Live-Mitschnitte Arraus und Serkins sind leider aufnahmetechnisch nicht so gut. Aber die interpretatorische Qualität ist hoch. Insbesondere Arrau überrascht mit sehr emotionalem spannenden Spiel. Gleich in der ersten Variation greift er mal daneben. Schiff beginnt sein Recital justamente mit der Händel-Suite, bevor er mit dem Brahms aufwartet. IMO zu tänzerisch-leicht. Ohlsson und Ashkenazys Aufnahmen sind exquisit, ich musste mich halt entscheiden.


    Alfred Brendel, p


    (DECCA, live, ADD, 1979)



    Alfred Brendel spielt live in Wien und präsentiert das schwer zu strukturierende Werk aus einem Guss und formuliert herrlich flexibel und doch mit formaler Übersicht. Die Fuge entwickelt sich atemberaubend, der Flügel klingt fast orgelartig. Aufnahmetechnisch hervorragend. Interessanterweise spielte Brendel das Werk sehr selten und fühlte sich nicht so wohl dabei. Daher nahm er es nie im Studio auf.


    Detlef Kraus, p


    (Thorofon, ADD, 1974)


    Johannes Brahms Barock - Variations by Detlef Kraus (1992-04-11)


    Ich habe hier Kraus Ohlsson und Ashkenazy vorgezogen, da er IMO doch den spezifischen Brahms-Ton verinnerlicht hat. Die strukturelle und klangliche Bewältigung steht Brendel nicht nach. Sein Ton ist rund und warm.


    Julius Katchen, p


    (DECCA, ADD, 1963)



    IMO gibt es hier nicht viel hinzuzufügen. Sämtliche Brahms-Aufnahmen Julius Katchens bei der DECCA sind IMO Jahrhundertaufnahmen. Atemberaubender pianistischer Zugriff, herrlich sonorer Klang, tolle Aufnahmetechnik.


    LG Siamak

  • Alfred Brendel spielt live in Wien und präsentiert das schwer zu strukturierende Werk aus einem Guss und formuliert herrlich flexibel und doch mit formaler Übersicht. Die Fuge entwickelt sich atemberaubend, der Flügel klingt fast orgelartig. Aufnahmetechnisch hervorragend. Interessanterweise spielte Brendel das Werk sehr selten und fühlte sich nicht so wohl dabei. Daher nahm er es nie im Studio auf.

    Lieber Siamak,


    die Brendel-Aufnahme habe ich auch. Ich finde sie sehr schön, aber auch, dass der Meister von Anfang an den richtigen Brahms-Tons nicht trifft. In Sachen Händel-Variationen ist für mich Arraus Philips-Studioaufnahme der Maßstab - die ist auch klanglich ausgezeichnet. Besser kann man das einfach nicht spielen! Dazu kommen für mich noch Solomon und Benno Moisewitsch - leider ist die Naxos-CD von Letzterem, die ich bestellen wollte mit der alten Aufnahme (es gibt noch eine spätere), vergriffen.


    Brahms+4_Ballades+Claudio_Arrau.jpg


    Schöne Grüße

    Holger

  • Lieber Holger,


    herzlichen Dank für Deine Empfehlung. Wie Du ja gelesen hast, habe ich einen Live-Mitschnitt aus der Schweiz von 1961. Die Philips-CD, und das freut mich sehr, enthält auch die Studio-Aufnahme der Paganini-Variationen und zweier Sonaten. ich werde versuchen, sie mir zu ergattern. Jetzt folgen die Paganini-Variationen und da gehe ich auch auf Arrau ein.


    LG Siamak

  • Hallo,


    Variationen über ein Thema von Paganini a-moll Op.35 Buch I und II


    Brahms war durch die Virtuosität des Pianisten Carl Tausig sehr angetan und schrieb über das Thema des Capriccio Nr.24 a-moll aus Paganinis Op.1 zwei Bände mit jeweils 14 Variationen. Obgleich es hier um Virtuosenkost höchster technischer Schwierigkeit handelt, handelt es sich um meisterhafte Kompositionen mit dichten Strukturen, Polyphonie und Kontrapunktik. Brahms schrieb sie im Winter 1862/63 in Wien. Uraufgeführt wurden die Variationen durch Brahms selbst 1865 in Zürich. Tausig spielte sie mehrfach öffentlich. Clara Schumann spielte sie nie öffentlich.


    Ich persönlich lernte das Werk als Schüler in der EMI-Aufnahme des 13-jährigen Dmitris Sgouros kennen. Auch heute noch finde ich diese Einspielung überragend. Welch einen runden sonoren Anschlag er hatte, seine natürliche Phrasierung. Schade, dass er irgendwie ‚fallengelassen wurde’, vielleicht wollte er auch nicht mehr so exponiert sein. Während des Studiums besorgte ich mir dann auf LP die Philips-Einspielung mit Claudio Arrau. Dies war eine Offenbarung für mich ! Hier erfuhr ich, wieviel wunderbare Musik darin steckt ! Auch heute noch bevorzuge ich Einspielungen, welche dieses Werk als tiefergreifendes Musikerlebnis offenbaren und nicht als rekordverdächtige Bewältigung im Sinne eines Musiksportereignisses.


    Mir standen nun 8 Aufnahmen zur Verfügung: Benedetti Michelangeli (Aura, live), Kraus (Thorofon), Ohlsson (Hyperion), Oppitz (RCA), Katchen (DECCA), Cziffra (Archipel), Cherkassky (Orfeo), Wang (DG). Jede dieser Einspielungen ist für mich von Bedeutung und hat Ihre Eigenheiten. Nach 3 Hörrunden konnte ich dann die drei Lieblingsaufnahmen identifizieren.

    Arturo Benedetti Michelangeli war einfach physisch nicht mehr ‚fit‘. Wie er spielt auch Yuja Wang nicht alle Variationen und verändert nicht nur teilweise die Reihenfolge. So spielt sie am Ende die 14. Variation des 1. Heftes ! Pianistisch und klanglich ist sie phänomenal luzide und kristallin. Aber ich möchte gerne beide Hefte komplett hören in der von Brahms veröffentlichten Reihenfolge. Dabei muss das Thema im 2. Heft nicht wiederholt werden.

    Cziffra ist auf seine Art mit extrem wenig Pedal und extremen Tempi gewöhnungsbedürftig und irgendwie nervig.

    Katchen ist hier wiedermal ein ‚Champion‘, aber mir bei den ‚schnellen‘ Nummern zu schnell, es geht viel von der herrlichen Architektonik mit den akustischen Effekten dadurch IMO verloren.


    Jetzt die Auswahl:


    Detlef Kraus, p


    (Thorofon, ADD, 1972)



    Ähnlich wie Arrau verfolgt Detlef Kraus den tieferen kompositorisch-musikalischen Gehalt dieses Werkes. Er bewältigt selbstverständlich ohne Makel die Technik, phrasiert dabei herrlich brahmsig. Das Hauptthema wird zu Beginn des 2. Heftes nicht wiederholt. Ich habe den 65-jährigen Kraus live während ‚Musik an der Uni‘ der damaligen Gesamthochschule Essen im Hörsaalzentrum der Haupt-Uni, ich denke 1986, erlebt. Moderiert wurde diese Veranstaltung vom Ordinarius für Humangenetik, Herrn Prof. Passarge, ebenfalls wie Kraus gebürtiger Hamburger. Das, was Kraus in der Studio-Aufnahme vollbrachte, präsentierte er auf gleichem Niveau live !


    Garrick Ohlsson, p


    (Hyperion, DDD, 2009)



    Auch Ohlsson verfolgt die Arrau’sche Linie. Er hatte damals wohl auch Unterricht bei ihm. Für mich ist es die perfekte Darstellung dieser Variationen. Hatte ich ihn bei den Händel-Variationen nicht unter die letzten Drei sortiert, jetzt ist es soweit. Ich höre ein ‚Klang- und Struktur‘-Fest mit der gehörigen Portion Nonchalance. Atemberaubend, wie er höchstpräzise die polyphonen Bewegungen laufen lässt und doch sonor und in großem Bogen phrasiert.


    Shura Cherkassky, p


    (Orfeo, AAD, 1953)


    C720071B.jpg


    Cherkassky wurde von Joachim Kaiser ‚schlecht‘ bis gar nicht erwähnt. Aber welch ein ‚Abtöner‘ und Phrasierer der alten Schule er doch ist/war. Er war als Wunderkind Schüler von Josef Hofman in Philadelphia. Er hatte wohl sehr kleine ‚Fingerchen‘, für Brahms nachteilig. Wie schaffte er es, die Paganini-Variationen für den WDR so musikalisch und facettenreich zu bewältigen. IMO sensationell. Auch klangtechnisch als mono sehr gut eingefangen.


    LG Siamak

  • herzlichen Dank für Deine Empfehlung. Wie Du ja gelesen hast, habe ich einen Live-Mitschnitt aus der Schweiz von 1961.

    Lieber Siamak,


    den habe ich glaube ich auch (aus Lugano) - und noch zwei andere! Es gibt ja noch eine spätere Ausgabe der Arrau-Edition von Philips France. Leider sind beide vergriffen! Ich hatte noch eine Einzel-CD gebraucht ergattert - die habe ich vor Monaten Nemorino geschenkt! Bedauerlich, wie stiefmütterlich Arrau behandelt wird in dieser Hinsicht!

    Arturo Benedetti Michelangeli war einfach physisch nicht mehr ‚fit‘.

    Welche Aufnahme ist das denn? Die letzte aus Bregenz glaube ich ist am selben Tag aufgenommen, wo er eine hyperperfekte und virtuos-funkensprühende Beethoven-Sonate op. 111 gespielt hat. Nein, fit war er absolut, nur wollte er einfach nicht. :D Michelangeli konnte - wie Arrau auch - Selbstzensur üben bis zur "Arbeitsverweigerung", der Selbstverleugnung des Virtuosen in ihm. Man hört, dass er sich weigert, die Oktaven da in die Tasten zu stampfen, mit angezogener Handbremse gleichsam spielt. Diese Aufnahme ist aber von einer unglaublichen Durchsichtigkeit. Was er da herausholt aus der Partitur, ist unerhört und atemberaubend. Der furioseste Mitschnitt ist der aus Warschau von 1953. Da versteht man, warum die Kritiker damals reihenweise vom Stuhl kippten bei seinem Vortrag. Niemand spielt die Trillervariation (genau so, wie sie in der Partitur steht!) so perfekt wie ABM. Und für mich erreicht auch keiner diese ideale Synthese von olympischer Virtuosität und Poesie. Auf jeden Fall solltest Du Dir noch Geza Anda anhören! Das ist wirklich auch faszinierend und auf klaviertechnisch allerhöchstem Niveau - ein bisschen kühler gespielt als ABM freilich. Aber das passt auch zu diesem Stück:


    OIP.NTzJ7oqY5OVbiHdqONi91AAAAA?pid=ImgDet&rs=1


    Schöne Grüße

    Holger

  • Cherkassky wurde von Joachim Kaiser ‚schlecht‘ bis gar nicht erwähnt. Aber welch ein ‚Abtöner‘ und Phrasierer der alten Schule er doch ist/war. Er war als Wunderkind Schüler von Josef Hofman in Philadelphia. Er hatte wohl sehr kleine ‚Fingerchen‘, für Brahms nachteilig. Wie schaffte er es, die Paganini-Variationen für den WDR so musikalisch und facettenreich zu bewältigen. IMO sensationell. Auch klangtechnisch als mono sehr gut eingefangen.

    Die CD hätte ich auch gerne, lieber Siamak. Cherkassky folgte ja der Maxime von Josef Hofmann: Spiele niemals eine identische Wiederholung, also Dasselbe immer unterschiedlich! Er besaß eine überragende Musikalität und den guten Geschmack der alten Schule (wie schön er doch Mozart spielen kann!) Ich schätze ihn sehr! Die CD ist leider vergriffen! Sehr schade!


    Hier die Aufnahmen von ABM:


    London 26.10.1948 (EMI) ... immer noch das Maß aller Dinge in Sachen Paganini-Variationen, an dem alle Anderen gemessen werden... :)

    Arezzo 12.2.1952 ein unglaublicher Konzertabend, einer der herausragendsten des 20. Jhd.!

    Warschau März 1955 Er lässt alle Wiederholungen aus und spielt sich in einen Rausch. Unfassbar!

    Lugano 1973 Perfekt und puristisch. Die Reduktion auf den Wesenskern der Musik. Der gleichsam asketische Gegenentwurf zu Warschau in der Vermeidung jeglichen Tastenzaubers und Virtuosenglanzes. Sehr gut aufgenommen (Mono)

    Bregenz 15.1.1988 (er spielt nur hier hier die komplette Schlussvariation). Die Quintessenz aus einer lebenslangen Beschäftigung mit diesem Stück. Unglaublich (auch emotional) vielschichtig und detailgenau. Ein Mahnmal interpretatorischer Gewissenhaftigkeit und Verantwortlichkeit, das sagen will: Dieses Stück ist keine bloße Virtuosennummer!


    Schöne Grüße

    Holger

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