Max Rudolf Frisch (1911-1991):
BIEDERMANN
UND DIE BRANDSTIFTER
Ein Lehrstück ohne Lehre in sechs Szenen und einem Nachspiel
Uraufführung am 29. März 1958 im Schauspielhaus Zürich,
deutsche Erstaufführung mit dem „Nachspiel“ am 28. September 1958 in Frankfurt/Main
DIE PERSONEN DER HANDLUNG
Gottlieb Biedermann, Haarwasser-Fabrikant
Babette Biedermann, seine Frau
Josef Schmitz, Ringer und Brandstifter
Wilhelm Maria Eisenring, Kellner und Brandstifter
Dr. phil., Akademiker und Brandstifter
Dienstmädchen Anna
Knechtling
Polizist
Witwe Knechtling
Der Chor, Feuerwehrmänner
Ort und Zeit des Geschehens: Irgendwo, Gegenwart.
INHALTSANGABE
ERSTE SZENE
In Biedermanns guter Stube sieht man den Hausherrn Zigarre rauchend und Zeitung lesend. Als er eine Meldung über einen Brand liest, bricht es aus ihm heraus, dass die Brandstifter alle „aufgehängt“ gehören. Außerdem ist er überzeugt, dass es die „Hausierer“ sind, die sich ins Haus auf die Dachböden schleichen und ihr zerstörerisches Werk beginnen. Anna, sein Dienstmädchen, stört ihn mit der Ansage, dass ein Hausierer vor der Tür steht und sich nicht abwimmeln lässt. Gerade als Biedermann erwidert, dass er ja kein Unmensch ist, drängt sich der Mann schon ungebeten ins Zimmer und stellt sich als Josef Schmitz vor. Biedermann erlaubt sich nach einem Blick auf den Mann keinen Widerspruch gegen dessen Eindringen, denn der ist von seiner Statur her angsteinflößend, ein Schwerathlet-Typ.
Und Schmitz fühlt sich sofort wie zu Hause: er schmeichelt dem Hausherrn, was Biedermann peinlich ist und abwehrend kommentiert. Er gibt aber auch unverschämter Weise sofort Anna genaueste Anweisungen für seine Mahlzeiten. Biedermann gerät durch dieses Benehmen aus Unverschämtheit einerseits und Unterwürfigkeit andererseits völlig aus dem Takt. Schmitz jedoch versteht es, Biedermann in ein Gespräch über die Brandstiftungen in der Gegend zu verstricken, erwähnt wie nebenbei den Brand bei einem Zirkusdirektor, seinem letzten Arbeitgeber; dann kommt er auf seine armselige Jugend als Sohn eines Köhlers zu sprechen, schwärmt sodann von Biedermanns Positivismus und lässt, wie unbeabsichtigt, Bemerkungen über seine Kraft als Ringer fallen. Gottlieb Biedermann fühlt sich sichtbar unwohl.
In diesem Moment kommt ein ehemaliger Angestellter von Biedermann namens Knechtling, und fordert seinen Anteil an einer Erfindung, die er für die Firma gemacht hat. Doch der Fabrikant denkt nicht daran, er weist seinen ehemaligen Untergebenen auf seinen „Anwalt“ hin und empfiehlt ihm sogar den „Gashahn“. Schmitz sieht seine Chance, zumal Biedermann die Szene peinlich ist, und nutzt das aus, indem er für sich „Asyl“ reklamiert. Was soll Biedermann tun? Ist es die Unruhe, die seine Frau Babette erfasst hat oder ist es sein schlechtes Gewissen, das Schmitz ihm bestätigen muss, kein Brandstifter zu sein. Später beruhigt er Babette, die vom „Boden“ gehört hat, mit dem Versprechen, jeden Abend persönlich dort noch einmal nach Brandstiftern Ausschau zu halten. Der Chor bestätigt zwar, dass Frau Biedermann ruhelos ist, aber ein Anruf bei der Feuerwehr wurde nicht registriert.
ZWEITE SZENE
Biedermann ist wegen des Asyls für Schmitz in der Bredouille, denn er macht seiner Babette lautstark klar, dass man ein bisschen Vertrauen schon aufbringen muss. Was quasi nach einer Entschuldigung klingt, ist aber wohl eher Ausdruck seiner Angst. Er muss zudem gegenüber seiner Frau zu Knechtlings Entlassung Stellung nehmen, und da fallen dann Worte wie „zu gutmütig“, aber auch, dass er „diesem Knechtling“ die „Kehle schon umdrehn“ werde. Am nächsten Morgen, beim Frühstück, gibt es zwischen den Eheleuten Zoff, der so weit eskaliert, dass Babette ihren Gottlieb vor die Tür setzen will. Das wiederum kommt Schmitz gelegen, der sich mit Biedermann gegen Babette verbündet, um seine Stellung im Hause zu festigen. Schmitz verliert aber keinesfalls Frau Biedermann aus den Augen: er appelliert an ihr Mitleid mit der bereits bei ihrem Mann erfolgreich verlaufenden Arme-Jugend-Geschichte. Die Masche verfängt auch bei ihr und sie nennt ihn gerührt Sepp, drängt ihn sogar zum Bleiben, weil sie das Gefühl hat, ihn beleidigt zu haben. Den zu Tage tretenden Sinneswandel von Frau Biedermann nutzt Schmitz sofort für die Ankündigung, dass sein Kumpel Willi Eisenring, der im ausgebrannten „Metropol“ als Kellner gearbeitet hat, hier einziehen wird. Der Chor meldet die aufregende Neuigkeit, dass am Hause zwei alte Fahrräder abgestellt wurden, ansonsten aber alles ruhig ist.
DRITTE SZENE
Schmitz und Eisenring rollen Benzinfässer über den Dachboden, wobei letzterer Schmitz‘ Befürchtung, Biedermann könnte die Polizei rufen, ins Reich der Fabel weist. Dann kommt jedoch der Hausherr tatsächlich zum Dachboden und sieht die beiden Männer bei einer sehr merkwürdigen Tätigkeit. Was geschieht hier? Ein Wutausbruch von Biedermann ist die Folge, und die ist für Schmitz eine neue Erfahrung, kennt er ihn ja so überhaupt nicht. Als Gottlieb Biedermann eine Erklärung zu den Fässern verlangt, haben Eisenring und Schmitz erhebliche Mühe, eine zu finden. Eine Täuschung über den wahren Inhalt der Fässer beruhigt den Hausherrn schließlich.
Plötzlich taucht auf dem Dachboden ein Polizist auf - Schmitz und Eisenring rutscht für einen Moment das Herz in die Hose. Tatsächlich ist der Ordnungshüter aber zu einer Befragung zum Suizid von Knechtling gekommen. Im Verlaufe dieses Gesprächs stellt der Polizist aber auch Fragen zu den Fässern und Biedermann verbündet sich mit den beiden Männern, indem er sie kurzerhand zu seinen Angestellten erklärt und den Inhalt der Fässer mit Haarwasser. Als er den Polizisten wieder hinunterbegleitet, zieht Josef Schmitz eine Zündschnur aus seiner Hosentasche.
Es ist der Moment des Chores, der bisher alles ruhig sieht, gleichzeitig aber dem Menschen, der die Zeichen des Unheils nicht erkennt, Vorwürfe macht. Biedermann lässt sich von dieser Warnung nicht beeindrucken. Er nimmt für sich in Anspruch, ein freier Bürger eines freien Landes zu sein, der nur Ruhe und Frieden haben will. Deshalb besucht er beispielsweise auch seinen Stammtisch nicht mehr, denn da geht es auch nur über das Thema Brandstiftungen. Er gibt aber auch zu, neuerdings immer auf Geräusche im Hause zu achten, was offensichtlich ein Zeichen seiner Angst ist.
VIERTE SZENE
Wieder auf dem Dachboden sieht man Eisenring, wie er mit seinen befeuchteten Fingern die Windrichtung prüft und dann eine Zündschnur von der Spule abwickelt. Dagegen informiert im Wohnzimmer unten Biedermann seine Frau über seinen Plan, Schmitz und Eisenring zum Gänsebraten einzuladen. Als Argument führt er an, dass es besser ist, die beiden Männer nicht als Feinde im Hause zu haben. Als er auf den Dachboden geht um den Männern die Einladung zu überbringen, sieht er nur Eisenring und erfährt, dass Schmitz gerade gegangen ist, um Holzwolle zu kaufen. Das hält Biedermann für einen Scherz, doch Eisenring sagt mit geheimnisvoller Stimme, dass die Wahrheit die beste Tarnung ist. Biedermann überlegt, was diese Aussage zu bedeuten hat, aber Eisenring unterbricht seine Gedanken mit der Annahme der Einladung zu Essen, auch im Namen von Schmitz. Er setzt hinzu, dass es ihnen gerade heute genehm ist, denn am nächsten Tag sind sie nicht mehr da. Als Biedermann wieder nach unten geht, trifft er auf den Doktor phil. und ist wenig begeistert, zumal der kein Wort sagt. Unterdessen wurde die Witwe Knechtling von Dienstmädchen Anna ins Haus eingelassen, obwohl sie ihr keine Hoffnung machen kann, dass Biedermann mit ihr sprechen will.
Der Chor äußert sich ahnungsvoll zum bevorstehenden Unglück, Frau Babette Biedermann ist dagegen völlig ahnungslos über das Schicksal, das über ihr und dem Anwesen schwebt. Sie glaubt jedoch eine Ahnung zu haben, was ihr Mann über die Geschehnisse denkt, denn die hat er schon einmal geäußert, nämlich als er der „Partei“ beitrat. Der Chor nimmt abwertend von der Existenz des Doktor phil. in diesem Geschehen Kenntnis.
FÜNFTE SZENE
Unterdessen steht die Witwe Knechtling im Eingangsbereich des Hauses herum, wie bestellt und nicht abgeholt. Biedermann kommt vom Dachboden und beachtet sie nicht, sondern beginnt mit seiner Frau die Vorbereitungen zum Abendessen mit Schmitz und Eisenring zu treffen. Sie räumen zunächst alles in die Schränke, was sie je angeschafft haben, weil es ihnen gefiel, von den „Gästen“ aber als zu protzig empfunden werden könnte. Das Publikum registriert die Angst, die Herrn und Frau Biedermann zu diesem Schritt veranlasst hat. Frau Knechtling ist inzwischen gegangen und es kommt zu einer haarsträubenden Szene: Ein Floristikbetrieb liefert einen Kranz für die Beisetzung von Knechtling, auf der Schleife jedoch steht - welch grauenhaftes Omen Gottlieb Biedermann. Dass dem tatsächlich Unwohl ist, wird deutlich, als er aus dem Keller Nachschub für den Tischwein holt und dabei seine Angst klar zum Ausdruck bringt.
LETZTE SZENE
Das Essen ist in vollem Gange und Biedermann muss über die hingeworfene Bemerkung von Schmitz und Eisenring, dass man statt Holzwolle nur Putzfäden bekommen hätte, laut lachen. Ein gelungener Witz, findet er - ganz im Gegensatz zu seiner Frau, die den Ernst der Lage begriffen hat. Dass die „Gäste“ mit der bescheiden geschmückten Tafel unzufrieden sind und Herr und Frau Biedermann daraufhin die beiseite geräumten Gegenstände aus den Schränken holen, entspricht dem Bild, dass sich das Publikum von Schmitz und Eisenring gemacht hat. Verwunderlich dagegen ist, dass sie sich ganz offenherzig als Brandstifter bezeichnen, und Biedermann noch immer an Scherze glaubt. Babette und Dienstmädchen Anna jedoch zittern aus Angst um die Wette. Um die Lage aufzuheitern, spielt Schmitz, der nach eigenen Worten am Theater beschäftigt war, ehe ein Feuer es vernichtete, mit einer übergeworfenen weißen Tischdecke Knechtlings Geist, was an Hofmannsthals „Jedermann“ erinnert - zumal es die „Jedermann“-Rufe gibt, die sich aber zu „Biedermann“ verändern.
Schmitz und Eisenring erklären den Biedermanns nun offen ihre „Arbeitsweise“: Sie legen erst in den Außenbezirken der Stadt das Feuer, damit die Feuerwehr abgelenkt ist, und sie an Ort und Stelle mehr Zeit haben. Biedermann erschrickt und sein Gesichtsausdruck zeigt an, dass ihm wohl ein Licht aufgegangen ist. Weshalb aber gibt er den beiden Männern nun seine Streichhölzer? Babette Biedermann versteht das nicht, aber er erklärt ihr geradezu einfältig und entwaffnend, dass richtige Brandstifter doch wohl selbst Streichhölzer haben.
Als Schmitz und Eisenring gehen, kommt jener Dr. phil. und erklärt ungebeten, dass er nicht mehr mit seinen beiden Kumpanen zusammenarbeiten will; er musste einsehen, dass er einen schweren Irrtum begangen hat, weil Schmitz und Eisenring nicht aus ideologischen Gründen, sondern aus purer Lust am Feuer legen gehandelt haben. Seine Worte werden vom Geheul der Sirenen übertönt, während Dr. phil. Biedermann ein Schriftstück mit der entsprechenden Erklärung übergibt. Der Schlusschor zitiert Frischs Worte aus dem Untertitel dieses Dramas, dass hier ein „Lehrstück ohne Lehre“ gezeigt wurde, und dass Biedermann keine Änderung zuließ und es auch in Zukunft nicht zulassen wird.
NACHSPIEL
Vorbemerkung: Das Nachspiel wird schon seit den sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts weggelassen; es erscheint nur in der Gesamtausgabe der Werke von Max Frisch.
Die Biedermanns glauben im Himmel zu sein; weil sie die zehn Gebote immer befolgt haben, gehören sie nach ihrer Meinung auch dahin. Als dann aber nach und nach alle handelnden Personen des Dramas auftauchen, erkennen sie, dass sie in der Hölle sind. Man sieht Schmitz und Eisenring als Beelzebub und Teufel. Weil der Brand bei Biedermann auf die ganze Stadt übergegriffen und sie in Schutt und Asche gelegt hat, fühlt sich der Haarwasser-Fabrikant berufen, seine Unschuld zu beteuern. Er will sogar eine Entschädigung haben. Teufel Eisenring aber berichtet von einem Streit zwischen Himmel und Hölle: es geht um die Behandlung der Prominenten, die eine Amnestie erhalten sollen. In die Hölle kommen alle Biedermänner, Kleinkriminelle, Kriegsdienstverweigerer und Intellektuelle. Das aber will die Hölle nicht akzeptieren und man tritt nicht nur in einen Streik, sondern schickt sogar das Personal auf die Erde. Gottfried und Babette Biedermann jedoch knien nieder und erwarten ihre seelische Rettung.
© Manfred Rückert für den Tamino-Schauspielführer 2021
Folgende Aufnahmen sind im Handel erhältlich