Chopin Klaviersonate Nr.3

  • Mit Chopin habe ich meine Schwiergkeiten.


    Bisher konnte ich mich mit dieser Musik nicht anfreunden, Klaviermusik für die Salons jener Zeit.


    Man unterhält sich, man amüsiert sich, gepflegte Atmosphäre für den Schöngeist.


    Durch Zufall - ich sammle Wettbewerbsaufnahmen von jungen Künstlern - kam mir diese CD unter:



    Eigentlich interessiert mich mehr der Gaspard, aber warum nicht mal beim Chopin reinhören?


    Schon nach kurzer Zeit weckt diese Interpretation meine Neugier.


    Warum?


    Die junge Dame spielt Chopin weder weichgespült noch übertrieben romantisch.


    Ihr schlankes und gleichzeitig so reizvolles Spiel läßt mich Chopin erstmalig in seiner poetischen und doch oft so melancholischen Art erblicken.


    Das ist Musik in ihrer eigentlichen Faszination und Wirkung.



    Karl

  • Lieber Karl,


    in den Salons "jener Zeit" wurde aber gerade nicht "Salonmusik" gespielt, wie wir sie heute verstehen. Da saß ein sehr gebildetes und sachverständiges Publikum. Und Chopin war immer ein scharfer Beobachter und Kritiker der Verhältnisse seiner Zeit und keiner, der irgend Jemandem gefallen wollte.


    In die Aufnahme habe ich reingehört. Das ist wirklich sehr schön gespielt - klar und auch poetisch. Die Dame ist ja in Deutschland aufgewachsen und nicht in China, lebt inzwischen hier mit deutschem Pass.


    Schöne Grüße

    Holger

  • Mit Chopin habe ich meine Schwiergkeiten.

    Bisher konnte ich mich mit dieser Musik nicht anfreunden, Klaviermusik für die Salons jener Zeit.

    Man unterhält sich, man amüsiert sich, gepflegte Atmosphäre für den Schöngeist.

    Hallo Karl,


    welch ein schreckliches Miß-, nein, Unverständnis!

    Chopins Werke sind unter Blumen eingesenkte Kanonen. (Robert Schumann)


    So urteilte der große deutsche Komponist über die Werke seines polnischen Kollegen.


    Und Mauricio Pollini, der wohl bedeutendste Chopin-Interpret unserer Zeit, begründete seine (Vor-)Liebe für Chopin mit den Worten: "Das Klischee lautet: Er ist so lyrisch, süßlich, er gefällt den jungen Mädchen. Das ist eine wahre Beleidigung, bedenkt man die Größe und Vielfältigkeit seiner Musik, die voller männlich-kraftvoller Akzente ist und unendliche Nuancen in sich birgt."


    Die Interpretation seiner Klaviersonate Nr. 3 mit Miao Huang kenne ich leider nicht, aber ich stelle gerne meine drei Lieblingsaufnahmen dieses Werkes hier bildlich vor:


    Artur Rubinstein, Chopin – Sonatas No. 2, Op. 35 ∙ No. 3, Op. 58 (Vinyl) -  DiscogsChopin: Piano Sonata No. 3 in B minor, Op. 58, etc. Product Image Dinu Lipatti- Chopin: Piano Sonata No. 3, Op. 58 / Enescu: Piano Sonata No.  3, Op. 25 / Brahms: Waltzes, Op. 39: 1, 2, 5, 6, 10, 14, 15 / Ravel:  Alborado


    Man mag ja mit Chopin "seine Schwierigkeiten" haben, doch bei diesen Aufnahmen wird kein Mensch an "Salonmusik" denken. Rubinstein, Arrau und der leider früh (im Alter von 33 Jahren) verstorbene Dinu Lipatti zählen zu den größten Chopin-Interpreten des 20. Jahrhunderts.


    Natürlich hat auch Mauricio Pollini diese Sonate eingespielt:

    MAURIZIO POLLINI-CHOPIN: PIANO SONATA. 2. 3. : POLLINI-JAPAN SHM-CD D50 |  eBay

    Da mir die Aufnahme nicht vorliegt, kann ich dazu nichts sagen. Doch wie ich Pollini (von anderen Aufnahmen her) kenne, wird es ganz sicher eine Interpretation fern von jedem Zuckerguß sein.


    LG Nemorino

    Die Welt ist ein ungeheurer Friedhof gestorbener Träume (Robert Schumann).

  • Hallo,

    Zitat

    Man mag ja mit Chopin "seine Schwierigkeiten" haben, doch bei diesen Aufnahmen wird kein Mensch an "Salonmusik" denken.

    für mich liegt das Problem in der Ausführung der Werke.


    Das fängt gerade bei Chopin schon mit der Intonation des Instrumentes an, es reicht ein bißchen zu viel an Wärme und Rundheit im Klang, um die verkehrte Richtung einzuschlagen. Wenn der Pianist das mit seinem Spiel noch verstärkt, kommt es zu dieser ach so kraft- und bedeutungslosen aber gleichzeitig schönen Unterhaltungsmusik.

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  • Trotzdem, werter Karl, kann ich mir unabhängig von der jeweiligen pianistischen Sichtweise nicht vorstellen, wie man etwa bei der b-Moll-Sonate in ihrer Komplexität und Dunkelheit - beachte das gespenstische Finale - oder bei den Abgründen der Balladen an "kraft- und bedeutungslose[]" Unterhaltungsmusik denken kann. Bei vielen der Nocturnes wiederum verblüffen harmonische Raffinessen, ganz abgesehen davon, wie unterschiedlich diese Werkgruppe erscheint.


    Das waren jetzt nur Beispiele. Die Walzer mögen das Klischee vielleicht noch am ehesten erfüllen ... was sie sicher nicht erfüllen, ist das bloß Tänzerische. Und auch Humorlosigkeit kann man ihnen nicht vorwerfen.


    Ich glaube, dass Rezeptionsvorurteile da sehr prägend sind.


    :) Wolfgang

    Lieber Fahrrad verpfänden denn als Landrat enden!

  • Hallo Wolfgang,


    unser Empfinden ist - was nicht verwundern sollte - doch sehr individuell.


    Chopins Schöpferkraft hat mMn ihren stärksten musikalischen Ausdruck in den Klangfarben, die bei ungeeigneter Intonation und Spielweise die Komposition in eine Richtung, die der gehobenen Unterhaltungsmusik, führen können.


    Es grüßt


    Karl

  • Naja - ich sehe da keinen Widerspruch zu dem, was ich vorher gesagt habe, sondern eben ein wieder anderes Bewertungsspektrum, dem ich auch keineswegs widersprechen möchte.


    Aber wir müssen uns da nicht streiten. :)


    :hello: Wolfgang

    Lieber Fahrrad verpfänden denn als Landrat enden!

  • Es ist ja erfreulich, daß nach einer Pause von elf Jahren Chopins Sonate Nr. 3 wieder ins Gespräch kommt, doch ich erlaube mir den Hinweis, daß es einen eigenen Thread für dieses Werk bereits gibt, seit dem Jahr 2006, mit insgesamt 71, überwiegend wertvollen Beiträgen! Er endet mit einem Beitrag von Dr. Holger Kaletha im Jahr 2010.


    Ich war heute früh schon erstaunt, daß diese großartige Komposition keinen Thread besitzen sollte, habe aber, um gleich antworten zu können, nicht nachgeschaut.


    Darum eine Bitte an die Moderation: Man möge diesen Thread mit dem bereits existierenden zusammenführen, um eine Verzettelung zu vermeiden. Danke!


    LG Nemorino

    Die Welt ist ein ungeheurer Friedhof gestorbener Träume (Robert Schumann).

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  • So urteilte der große deutsche Komponist über die Werke seines polnischen Kollegen.

    Lieber Nemorino,


    das Schumann-Zitat kannte ich nicht - aber treffender kann man Chopin kaum kritisieren! :) Diese so helle Sonate h-moll komponierte er in einer depressiven Phase. Die Musik ist eigentlich viel zu heiter, um wahr zu sein! ;)

    Und Mauricio Pollini, der wohl bedeutendste Chopin-Interpret unserer Zeit, begründete seine (Vor-)Liebe für Chopin mit den Worten: "Das Klischee lautet: Er ist so lyrisch, süßlich, er gefällt den jungen Mädchen. Das ist eine wahre Beleidigung, bedenkt man die Größe und Vielfältigkeit seiner Musik, die voller männlich-kraftvoller Akzente ist und unendliche Nuancen in sich birgt."


    Die Interpretation seiner Klaviersonate Nr. 3 mit Miao Huang kenne ich leider nicht, aber ich stelle gerne meine drei Lieblingsaufnahmen dieses Werkes hier bildlich vor:

    Das hätte auch Pollinis väterlicher Freund Artur Rubinstein sagen können. Rubinstein, der bedeutendste und angesehenste Chopin-Interpret seiner Epoche, hat mit diesem Chopin-Klischee ja nun wirklich aufgeräumt. Bei seinem Moskauer Konzert spielte er ein reines Chopin-Programm (zu Beginn eine hoch dramatische Polonaise), um genau das zu zeigen: die "männlich-kraftvollen Akzente" bei Chopin. Er bekam nämlich mal einen seltsamen Brief von Prokofieff, Chopin sei in der Sowjetunion unerwünscht, weil man seine Musik für westliche Dekadenz hielte (das war natürlich hoch ironisch um nicht zu sagen sarkastisch, diese Bemerkung Prokofieffs, der selber als Pianist natürlich auch Chopin spielte!). ^^


    Das sind auch meine Favoriten, dazu kommen noch Pollini ...

    Da mir die Aufnahme nicht vorliegt, kann ich dazu nichts sagen. Doch wie ich Pollini (von anderen Aufnahmen her) kenne, wird es ganz sicher eine Interpretation fern von jedem Zuckerguß sein.

    ganz genau! Dann Emil Gilels - der in seinem ganzen Leben nie Zuckerguss produziert hat, auch Martha Argerich, Vladimir Ashkenazy und Vlado Perlemuter. Ich habe natürlich sehr viele Aufnahmen, davon die meisten sehr anhörenswert. Nicht ganz so viele wie bei der B-moll-Sonate mit dem Trauermarsch, da sind es so ca. 120! 8o

    Es ist ja erfreulich, daß nach einer Pause von elf Jahren Chopins Sonate Nr. 3 wieder ins Gespräch kommt, doch ich erlaube mir den Hinweis, daß es einen eigenen Thread für dieses Werk bereits gibt, seit dem Jahr 2006, mit insgesamt 71, überwiegend wertvollen Beiträgen! Er endet mit einem Beitrag von Dr. Holger Kaletha im Jahr 2010.

    Da habe ich auch mal reingeschaut - der Thread ist schön mit Beiträgen u.a. des verstorbenen Dr. Bechyna, aber etwas heterogen, weil da viel über die Trauermarschsonate diskutiert wird! :hello:


    für mich liegt das Problem in der Ausführung der Werke.


    Das fängt gerade bei Chopin schon mit der Intonation des Instrumentes an, es reicht ein bißchen zu viel an Wärme und Rundheit im Klang, um die verkehrte Richtung einzuschlagen. Wenn der Pianist das mit seinem Spiel noch verstärkt, kommt es zu dieser ach so kraft- und bedeutungslosen aber gleichzeitig schönen Unterhaltungsmusik.

    Lieber Karl,


    da höre ich heraus wie hier...

    Chopins Schöpferkraft hat mMn ihren stärksten musikalischen Ausdruck in den Klangfarben, die bei ungeeigneter Intonation und Spielweise die Komposition in eine Richtung, die der gehobenen Unterhaltungsmusik, führen können.

    ... dass Du von Chopin vor allem die Sinnlichkeit wahrnimmst. Das ist erst einmal eine sehr selektive Betrachtung. Diesen Zug bei Chopin gibt es, nur reduziert das natürlich gewaltig die Komplexität von Chopin. Chopin hat z.B. das Scherzo zu einer eigenen Gattung gemacht, das gab es vorher nur als Teil einer Klaviersonate. Das Scherzo b-moll z.B. ist ein hoch originelles Meisterwerk, da zeigt Chopin, der mit J. S. Bach groß geworden ist, was für "Architekturen" er auf dem Klavier entwerfen kann, die sich auch vor Beethoven oder Brahms nicht verstecken müssen. Das gilt genauso für die Sonaten übrigens. Es gibt in den Sonaten Nr. 2 und Nr. 3 keine Reprise des Seitenthemas. Chopin hat hier eine ganz neue dynamische Form entwickelt. Ohne Chopin gäbe es die hochdramatische 6. Symphonie von Tschaikowsky nicht. Dazu scheitert man bei Chopin total, wenn man ihn nur auf die Sinnlichkeit reduziert. Man braucht Sinn für die klare "Linie". Exemplarisch dafür: Rubinstein beim Ersten der Nocturne op. 9 Nr. 1.


    Um nochmals auf die Sinnlichkeit zurückzukommen: In Thomas Manns hoch ironischer Tristan-Novelle verkörpert ein Chopin-Nocturne die Dekadenz. Chopins Sinnlichkeit weist vor auf die Spätromantik mit ihrer Überfeinerung, auf Scriabin, auf den frühen Debussy, auch Rachmaninow usw. Du meinst, Scriabin, Debussy usw. seien Salonmusik? ^^


    Schön, dass Du Chopin für Dich neu entdecken kannst. :) Rubinstein ist da genau der Richtige! Wegen seines "männlichen" und gesunden Chopin-Spiels bekam er anfänglich die Kritik, er könne keinen Chopin spielen und solle doch lieber bei Albeniz oder de Falla bleiben! Da hat er mit dafür gesorgt, dass sich das Chopin-Bild verzärtelter Dekadenz doch wirklich grundlegend gewandelt hat. Wobei man, wenn man die historischen Aufnahmen von Paderewsky, Rosenthal und Co. oder auch Alfred Cortot hört, schwerlich behauten kann, sie spielten Chopin nur salonhaft. :hello:


    Schöne Grüße

    Holger

  • Hallo Holger,


    Sinnlichkeit ist es eigentlich nicht, es ist diese Zartheit und Zerbrechlichkeit im Klangbild, die ich mit dem Begriff "Poesie" umschreiben möchte. Und das ist bei der für mich richtigen Ausführung des Werkes weder rührselig noch einlullend, was bei Chopin wegen der apruten Wechsel in der Gefühlslage auch unpassend wäre.


    Ich denke, daß man bei Salons "jener Zeit" und der dort stattfindenen musikalischen Umrahmung eine große Vielfalt vorgefunden hat.


    Natürlich gab es neben den rein gesellschaftlichen Treffen zum Zwecke des Vorstellens und Miteinander- Bekanntwerdens aus geschäftlichen oder privaten Absichten die rein kulturellen Zwecke, aber das war doch bunt durchgemischt.


    Und so durfte mancher Musikschaffende gegen lohnende Bezahlung den Rahmen für eine gut betuchte Gesellschaft abgeben, die ihre geschäftlichenTreffen mit bekannten Namen aus Kunst und Kultur schmückte.


    In letzter Konsequenz wurden Höhepunkte in der Klavierkunst mit Werken von Chopin oder Liszt sicherlich durch zweitklassige Interpreten genau in die Richtung gebracht, die man heute mit Salonmusik verbindet.


    Es grüßt


    Karl

  • für mich liegt das Problem in der Ausführung der Werke.

    Lieber Karl,


    ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, daß Du, was Chopin betrifft, zumindest bisher an die falschen Interpreten geraten bist!

    Das hätte auch Pollinis väterlicher Freund Artur Rubinstein sagen können. Rubinstein, der bedeutendste und angesehenste Chopin-Interpret seiner Epoche, hat mit diesem Chopin-Klischee ja nun wirklich aufgeräumt. Bei seinem Moskauer Konzert spielte er ein reines Chopin-Programm (zu Beginn eine hoch dramatische Polonaise), um genau das zu zeigen: die "männlich-kraftvollen Akzente" bei Chopin.

    Ich schließe mich Holger an und würde ich Dir als erste Adresse dringend Artur Rubinstein empfehlen, er hat fast das gesamte Werk Chopins auf Tonträger gebannt und ist bei allen Werken höchst empfehlenswert. Seine Aufnahmen umfassen einen Zeitrahmen von fast einem halben Jahrhundert. In den 1930er Jahren nahm er für HMV/Electrola (EMI, heute Warner) auf, diese sind natürlich klangtechnisch veraltet. Deshalb sollte man vornehmlich zu seinem RCA-Vermächtnis greifen, das - bis auf wenige Ausnahmen - in guter bis sehr guter Stereo-Qualität vorliegt und großenteils relativ preiswert angeboten wird.

    Aber auch die Aufnahmen von Emil Gilels, Claudio Arrau, Martha Argerich und Mauricio Pollini sind durchweg erstklassig und sowohl von der Kritik als auch vom Publikum mit höchsten Ehren bedacht worden. Da kann von Salonmusik wirklich keine Rede sein.


    Bei der Gelegenheit möchte ich noch an einen glänzenden Chopin-Interpreten erinnern, der leider nach seinem Tod unverdient und unverständlicherweise fast ganz in Vergessenheit geraten ist: STEFAN ASKENASE (1896-1985). Dieser polnische Pianist wurde in Lemberg (heute Ukraine) geboren und verbrachte seine letzten Lebensjahre im rheinischen Bonn, wo er am 18.10.1985 auch verstarb, nachdem er noch am Vorabend in Köln ein öffentliches Konzert gegeben hatte. Gerne trat er auch im Bahnhof Rolandseck auf, der seit vielen Jahren als Museum und Kunstzentrum Verwendung findet. Dort durfte ich ihn sogar persönlich einmal erleben, mit einem reinen Chopin-Programm. Ein unvergessener Abend!

    In den 1950er Jahren nahm Askenase einen Großteil seines Repertoires, das hauptsächlich die Werke Chopins umfaßte, für die Deutsche Grammophon Gesellschaft auf, überwiegend noch in Mono. Das mag mit dazu beigetragen haben, daß seine Aufnahmen nach seinem Tod relativ rasch vom Markt verschwanden. Immerhin hat die DGG seinem Künstler nach jahrelanger Abstinenz ein schönes 7 CD-Album gewidmet, das immer noch, wenn auch nur gebraucht, erhältlich ist:


    Complete 1950s Chopin Recordings on Dg 61O-YWbZFNL._SX450_.jpg


    Es umfaßt ganz überwiegend Kompositionen von Chopin, darunter auch die Sonaten Nr. 2 und Nr. 3, in sehr gutem Monoklang. Auch Askenase (nicht zu verwechseln mit Vladimir Ashkenazy, der ebenfalls ein großartiger Chopin-Interpret war) war meilenweit entfernt von einem "Salon-Chopin". Mit seinen Aufnahmen habe ich in meiner Jugend viele Werke Chopins erstmals kennen- und liebengelernt. Ich kann die Kassette jedem Chopin-Freund nur wärmstens empfehlen. Einige Werke (u.a. das Konzert Nr. 1) sind sogar in Stereo produziert worden.


    Stefan Askenase war auch als Musikpädagoge tätig. Zu seinen Schülern zählten so bedeutende Künstler wie Martha Argerich, André Tchaikowsky und Mitsuko Uchida.


    LG Nemorino

    Die Welt ist ein ungeheurer Friedhof gestorbener Träume (Robert Schumann).

  • Lieber Karl,


    die Frage ist doch, wer dieses Klischee-Bild von Chopin als dem Weichling für zartfühlende Damen, die die Salons bevölkern, geschaffen hat.


    Dazu einige historische Fakten:


    Chopin spielte nicht gerne Konzerte. Belegbar hat er in Paris gerade mal 8 Konzertabende gegeben. Liszt hat in diesem Zeitraum hunderte Konzerte gegeben. Chopin lebte vom Klavierunterricht und nicht aus Einnahmen vom Konzertieren.


    Chopin starb 1849. Ein Jahr zuvor beendete Liszt seine Virtuosenkarriere und ließ sich in Weimar nieder. Bis dahin war es üblich, dass die Komponisten ihre Werke selbst vortrugen. Die Spezialisierung Komponist-Interpret kam erst später.


    Von den berühmtesten Interpreten von Chopin und Liszt, die noch Schüler von Liszt waren oder von Schülern von Schülern von Chopin, gibt es zahlreiche Tondokumente. Keiner entspricht diesem Klischeebild. Davon kann man sich auch leicht überzeugen.


    Dann stellt sich die Frage: Woher stammt es dann? Die für mich plausibelste Antwort: Ich glaube Czerny sprach von der Klavierspieler-Seuche seiner Epoche. Jeder wenn auch mäßig Begabte lernte Klavier. Das gehörte zum guten bürgerlichen Haushalt. Da wurden dann die leichteren Stücke von Chopin und Liszt gespielt und auch in Hauskonzerten aufgeführt. Es spricht viel dafür, dass das Klischeebild von Chopin in diesen Laienmusiker-Kreisen geschaffen wurde und dies durchaus nicht dem entsprach, wie die großen Virtuosen, die Profi-Musiker, Chopin spielten. Denn ansonsten müsste es dafür ja Belege geben.


    Leider ist dieser Bereich der Hausmusik und des semiprofessionellen Musizierens ein blinder Fleck in der Musikwissenschaft, wie ich in einer Doktorarbeit mal las. Gleichwohl hat dieser wohl sehr prägend gewirkt, was das Komponistenbild angeht.


    Schöne Grüße

    Holger

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  • Lieber Nemorino,


    herzlichen Dank für Deinen absolut notwendigen Hinweis auf Stefan Askenase. Zusammen mit Rubinstein hat er das moderne Chopin-Bild geprägt. Diese unbedingt empfehlenswerte Box habe ich auch! Ich schreibe später noch etwas mehr dazu!


    Schöne Grüße

    Holger

  • Hallo Holger,


    Zitat

    Es spricht viel dafür, dass das Klischeebild von Chopin in diesen Laienmusiker-Kreisen geschaffen wurde...


    in die aufgezeigte Richtung geht es wohl, da logisch nachvollziehbar.


    Es grüßt


    Karl

  • Bei mir entsprang die Begegnung mit Chopin dem Klavierunterricht - ich spielte einige der Preludes und Etüden. Und dann spielte eine besondere Rolle diese singuläre CD (Joachim Kaiser: "Jahrhundertaufnahme des B-moll-Scherzo") - wo Chopin auch nicht im Entferntesten irgend etwas mit einem Salon-Komponisten zu tun hat:


    61RXRY1HQGL.gif



    Dazu kamen die exemplarischen Aufnahmen der Preludes von Geza Anda und der Etüden op. 10 und op. 25 von Tamas Vasary, die mein Vater in seiner LP-Sammlung hatte. Auch bei Anda und Vasary kommt nicht der allergeringste Verdacht irgendeiner Salonhaftigkeit auf.


    Zuletzt habe ich Nelsons Freires Aufnahme der 3. Klaviersonate erstanden - aber noch nicht gehört:


    B00005YX6E.jpg


    Schöne Grüße

    Holger

  • Dazu kamen die exemplarischen Aufnahmen der Preludes von Geza Anda und der Etüden op. 10 und op. 25 von Tamas Vasary, die mein Vater in seiner LP-Sammlung hatte. Auch bei Anda und Vasary kommt nicht der allergeringste Verdacht irgendeiner Salonhaftigkeit auf.

    Lieber Holger,


    .... das waren damals schier sensationelle Veröffentlichungen, die mit zahlreichen Preisen und lobenden Rezensionen überhäuft wurden:

    24 Preludes Op.28 Chopin: 24 Etüden [Vinyl LP] [Schallplatte]


    Sehr schön fand ich auch Vásárys Aufnahme der beiden Chopin-Konzerte:

    Chopin:Piano Concertos Nos.1 &


    die ich auf CD in dieser Billig-Ausgabe besitze:

    Frédéric Chopin Klavierkonzerte 1&2

    Begleitet wird er von den Berliner Philharmonikern, unter den Dirigenten Jerzy Semkow (Nr. 1) und Janos Kulka (Nr. 2).


    LG Nemorino

    Die Welt ist ein ungeheurer Friedhof gestorbener Träume (Robert Schumann).

  • Natürlich hat Tamás Vásáry auch Chopins Klaviersonaten Nr. 2 und Nr. 3 für die DGG eingespielt, im Jahr 1964.


    In dieser CD-Ausgabe befinden sie sich, mit einer Auswahl der Impromptus, in meiner Sammlung:

    Klaviersonaten 2+3


    Vielleicht nicht ganz so spektakulär und berühmt wie die Aufnahmen von Rubinstein, Horowitz (Nr. 2) und Lipatti (Nr. 3), sind sie sowohl künstlerisch als auch klanglich in bester Verfassung.


    LG Nemorino

    Die Welt ist ein ungeheurer Friedhof gestorbener Träume (Robert Schumann).

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  • Zum Thema Klischee vom sentimentalien Chopin und Rubinstein, der damit aufräumt, ist übrigens hier etwas in humoristischer Form zu lesen (ich lasse Rubinstein selber sprechen ^^ )


    Wie man die Waldstein-Sonate „richtig“ spielt – oder: Ein Dialog über Grundprobleme der Beethoven-Interpretation mit den Interpreten


    Und: Von Martha Argerich gibt es diese Fernsehaufnahme der 3. Sonate, gespielt am 25.6.2020 in Hamburg:



    Schöne Grüße

    Holger

  • Hallo,


    auf Grund der ausgesprochenen Empfehlungen habe ich mir noch:


    1. Martha Argerich - The Legendary 1965 Recording

    2. Pollini

    3. Rubinstein RCA Red Seal


    besorgt.


    Argerich hat ja 1965 den Internationalen Chopin-Wettbewerb von Warschau gewonnen, der Produzent Suvi Raj Grubb schwärmte noch 1986 von der späteren CD-Aufnahme in den Abbey Road Studio No.1 im Jahre 1965.


    Mein Eindruck: eine Art Klangflut bestimmt hier das Spiel dieser technisch perfekten Pianistin, ein Akkordrausch, der die Virtuosin und ihr Können demonstriert. Chopin selbst geht dabei unter, so könnte manche Machtdemonstration in den Salons gewirkt haben.


    Pollini ist da ganz anders, er nimmt sich hinter dem Werk zurück, Melodie und Akkorde entfalten sich entspannter und unspektakulärer. Allerdings erreicht mich hier sein gezeigtes Spiel nicht wirklich, der poetische Ausdruck des Werkes bleibt seltsam im Nebel.


    Zuletzt die Aufnahme mit Rubinstein aus dem Jahre 1961, 1986 digital aufwändig remastered.


    Ich würde meinen, Chopin könnte es kaum besser spielen. Hier ist alles im richtigen Verhältnis, nichts erscheint aufdringlich oder vordergründig, dabei hat es diese leichte Eleganz im Klang, die aber nie übertrieben romantisch oder fast süßlich wirkt.

    Man merkt, wie unvergleichlich tief dieser Pianist den Charakter des Werkes in sich aufgesogen und verstanden hat, es ist die Referenzaufnahme der Sonate No.3.


    Ungeachtet dieser schöpferischen Meisterleistung bleibt die Aufnahme mit Miao Huang meine Alternativeinspielung, wenn es etwas weniger Eleganz und Klangschönheit sein darf. Das gibt der Sonate eine leicht andere Richtung, es wirkt zarter und gelegentlich spröder, was seinen eigenen Reiz hat.


    Es grüßt


    Karl

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  • Argerich hat ja 1965 den Internationalen Chopin-Wettbewerb von Warschau gewonnen, der Produzent Suvi Raj Grubb schwärmte noch 1986 von der späteren CD-Aufnahme in den Abbey Road Studio No.1 im Jahre 1965.


    Mein Eindruck: eine Art Klangflut bestimmt hier das Spiel dieser technisch perfekten Pianistin, ein Akkordrausch, der die Virtuosin und ihr Können demonstriert. Chopin selbst geht dabei unter, so könnte manche Machtdemonstration in den Salons gewirkt haben.

    Lieber Karl,


    wenn Chopin dabei "untergegangen" wäre, hätte Martha Argerich mit diesem Vortrag sicher nicht den Chopin-Wettbewerb gewonnen! :D Ich finde sogar, dass diese frühe Aufnahme der Sonate noch eher "schulmäßig diszipliniert" ist im Vergleich mit der freizügigeren späteren Studioaufnahme bei der DGG. Die 3. Sonate hat auch den Charakter eines brillanten Virtuosenstücks - weit mehr noch als die Trauermarschsonate. Dieses Stück darf man deshalb auch virtuos spielen. Die Stärke von Martha Argerich ist, dass sie einfach viel mehr zu bieten hat als Virtuosen-Brillanz, sondern eine von Ravel herkommende Klangsinnlichkeit und Sensibilität mitbringt. Die Musik bekommt so etwas dionysisch rauschhaftes - was sehr Argerich spezifisch ist aber auf jeden Fall ein Gewinn für diese Musik. :hello:


    Schöne Grüße

    Holger

  • Hallo Holger,


    Zitat

    Die 3. Sonate hat auch den Charakter eines brillanten Virtuosenstücks - weit mehr noch als die Trauermarschsonate. Dieses Stück darf man deshalb auch virtuos spielen.


    stimme dir da gerne zu.


    Wo das endet, merkt man dann beim Vergleich mit Rubinstein.


    Ein Lehrbeispiel, wie unterschiedlich das gleiche Werk selbst bei Pianisten von Weltrang ausfallen kann.


    Es grüßt


    Karl


    PS: Chopin verabschiedet sich für mich hier in dem Moment, wo die Akkorde gezielt als Wirkungsmittel eingesetzt werden.

  • Angeregt durch diesen Thread habe ich meine (einzige) Aufnahme mit diesem Werk herausgesucht und gehört.

    Ein hörenswertes Werk - und eine hörenswerte Interpretatien , die lange Zeit unverdientermaßen im Archiv gelegen ist.

    Ich besitze keine Vergleichsaufnahme, kann aber sagen, daß diese IMO sehr eindrucksvoll und überzeugend ist, sowohl in den dramatischren, als auch den lyrischen Stellen. Idil BIRET bleibt der Sonate nichts schuldig. Und auch die Aufnahetechnik hat ihr Bestes gegeben.


    Die Pianistin wurde übrigens für diese Aufnahmen ausgezeichnet. WIKIPEDIA schreibt:

    Zitat

    1995 wurden İdil Birets Aufnahmen der gesamten Werke Chopins mit dem „Grand Prix du Disque Frédéric Chopin“, dem speziellen Jurypreis in Polen ausgezeichnet.Ausserdem ideal zum Kennenlernen, denn auf der Naxos CD sind alle 3 Klaviersonaten Chopins enthalten.....

    mfg aus Wien

    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • PS: Chopin verabschiedet sich für mich hier in dem Moment, wo die Akkorde gezielt als Wirkungsmittel eingesetzt werden.

    Bei Martha Argerich, lieber Karl, geschieht nichts "gezielt". Sie spielt mit Temperament und Intuition. Natürlich, wenn man so geschwind wie der Wirbelwind durch so einen Satz fegt, dann verlieren die Akkorde ihre tektonische Schwerkraft und werden dynamisiert. Wenn man mehr vom klassisch "architektonischen" Charakter dieser Sonate erfahren möchte, dann empfiehlt sich neben Rubinsteins idealer Ausgewogenheit oder Pollinis romantischer Klassizität ein Claudio Arrau, wo die Akkorde dann wirklich satzlogische Bedeutung haben oder ein Emil Gilels mit seinem überragenden Formsinn. Gilels, für den diese Sonate nicht nur ein virtuoses Feuerwerk ist, sondern "polnische Dramaturgie", beachtet zudem die dynamischen Vorschriften hyper präzise. Bei keinem anderen Pianisten außer bei Gilels hört man, dass zu Beginn des Nocturne-Satzes ein Fortissimo notiert ist und zu Beginn des Finales nur Forte. :) :hello:



    Die Pianistin wurde übrigens für diese Aufnahmen ausgezeichnet. WIKIPEDIA schreibt:

    Das hat sie auch verdient, lieber Alfred. Die Aufnahmen der Sonaten von Idel Biret sind wirklich sehr gut! :) :hello:


    Schöne Grüße

    Holger

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