VAUGHAN WILLIAMS, Ralph: Sinfonia antartica (Symphonie Nr. 7)

  • VAUGHAN WILLIAMS, Ralph: Sinfonia antartica (Symphonie Nr. 7)

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    Ralph Vaughan Williams OM mit seiner zweiten Ehefrau Ursula (1950er Jahre)


    Die ersten fünf Symphonien von Ralph Vaughan Williams (1872-1958) haben seit langem eigene Threads. Dies gilt nicht für die anderen vier. Deswegen möchte ich dem nun gegensteuern.


    Die Sinfonie antartica (Anarktische Symphonie) ist die siebte unter den neun Symphonien von Vaughan Williams und sticht in mehrfacher Hinsicht heraus.


    Die Ursprünge des Werkes liegen tatsächlich in der Filmmusik für "Scott of the Antarctic" ("Scotts letzte Fahrt"; in der Hauptrolle Sir John Mills) und datiert zunächst auf die Jahre 1947/48. Es geht dort um den missglückten und letztlich todbringenden Versuch des britischen Marineoffiziers und Polarforschers Robert Falcon Scott, als erster den Südpol zu erreichen.



    Kurz nach Fertigstellung des Films entschied sich der Komponist endgültig dazu, aus dem Material der Filmmusik eine eigene Symphonie zu schaffen. Diese sollte zunächst "Sinfonia antarctica" heißen, doch entschied sich Vaughan Williams letztlich für die italienische Variante ohne "c". Die Umarbeitungsarbeit dauerte von 1949 bis 1951. Das am 14. Jänner 1953 durch Sir John Barbirolli mit dem Hallé Orchestra in Manchester uraufgeführte Werk ist Ernest Irving gewidmet.


    Zum einen heben die Ursprünge als Filmmusik die Siebente (Vaughan Williams selbst vermied die Nummerierung) im Œuvre des Komponisten hervor. Zum anderen ist sie als einzige unter seinen Symphonien fünfsätzig. Der Einsatz einer Windmaschine verweist zudem auf den filmisch-atmosphärischen Ursprung. Ferner inkludiert sind Orgel, Klavier und zahlreiche Perkussionsinstrumente. Zudem kommen ein wortlos agierender dreistimmiger Frauenchor sowie ein Solosopran im ersten und letzten Satz zum Einsatz.


    Die Sätze gliedern sich wie folgt:


    I. Prelude. Andante maestoso

    II. Scherzo. Moderato

    III. Landscape. Lento (attacca:)

    IV. Intermezzo. Andante sostenuto

    V. Epilogue. Alla marcia, moderato (non troppo allegro)


    Die Aufführungsdauer liegt zwischen etwa 40 und 45 Minuten.


    Der im Zentrum stehende dritte Satz ist das Herzstück der Sinfonia antartica. An seinem Höhepunkt mischt sich die Orgel mit Blockakkorden ein, was zu einem absoluten Gänsehautmoment gerät.


    Den Sätzen vorangestellt sind Zitate von Percy Bysshe Shelley, aus dem 104. Psalm, von Samuel Taylor Coleridge, von John Donne und zuletzt aus Scotts eigenem Tagebuch. Diese werden teilweise von einem Sprecher deklamiert, was allerdings nicht der ursprünglichen Intention des Komponisten entspricht und aufgrund der Nahtlosigkeit, in welcher der dritte in den vierten Satz übergehen soll, auch nicht unproblematisch erscheint.


    Die Zitate im Einzelnen [Übersetzung zitiert nach dem Booklet-Text von Stephen Connock, Vizepräsident der RVW Society, Übersetzung: Stephanie Wollny (Chandos CHAN 5186)]:


    I.


    To suffer woes which hope thinks infinite;

    To forgive wrongs darker than death or night;

    To defy power which seems omnipotent ...

    Neither to change, nor falter, nor repent;

    This ... is to be

    Good, great and joyous, beautiful and free;

    This is alone Life, Joy, Empire and Victory.

    (Leiden zu erdulden, die der Hoffnung grenzenlos erscheinen;

    Unrecht zu vergeben, dunkler als Tod und Nacht;

    Sich Kräften zu widersetzen, die allmächtig scheinen ...

    Nicht abzuweichen, zu wanken oder zu bereuen;

    Das ... heißt

    Gut, groß und freudig, schön und frei zu sein;

    Dies allein ist Leben, Freude, Imperium und Sieg.)


    (Shelley, Prometheus Unbound)


    II.


    There go the ships,

    and there is that Leviathan:

    whom thou hast made to take his pastime therein.


    (Dort ziehen die Schiffe dahin,

    auch der Leviathan,

    den du geformt hast, darin zu spielen.)


    (Psalm 104, Vers 26)


    III.


    Ye Ice-falls! ye that from the mountain's brow

    Adown enormous ravines slope amain —

    Torrents, methinks, that heard a mighty voice,

    And stopped at once amid their maddest plunge!

    Motionless torrents! silent cataracts!


    (Ihr Eisfälle! Die ihr von der Stirn des Berges

    Enorme Schluchten ungebremst hinabstürzt –

    Reißenden Wassern gleich, so dünkt mich, die eine mächtige Stimme hörten

    Und im wildesten Sturze plötzlich innehielten!

    Bewegungslose Sturzbäche! Stumme Katarakte!)


    (Coleridge, Hymn before Sunrise, in the Vale of Chamouni)


    IV.


    Love, all alike, no season knows, nor clime,

    Nor hours, days, months, which are the rags of time.


    (Liebe, immer gleich, kennt keine Jahreszeit noch Klima,

    Noch Stunden, Tage, Monate, bloße Fetzen Zeit.)


    (Donne, The Sun Rising)


    V.


    I do not regret this journey ... We took risks, we knew we took them; things have come out against us, and therefore we have no cause for complaint.


    (Ich bedaure diese Reise nicht ... Wir gingen Risiken ein, das war uns bewusst; die Dinge haben sich gegen uns entschieden und wir haben daher keinen Grund zur Klage.)


    (Captain Scotts letzter Tagebucheintrag)


    Einspielungen:


    Die erste Einspielung der Sinfonia antartica erfolgte im Juni 1953 mit dem Hallé Choir & Orchestra unter Sir John Barbirolli mit der Sopranistin Margaret Ritchie (HMV); diese Besetzung entspricht auch der Uraufführung wenige Monate zuvor. Wenig später, im Dezember 1953, entstand die erste Einspielung von Sir Adrian Boult mit dem London Philharmonic Choir & Orchestra, wiederum mit Margaret Ritchie im Sopranpart. Als Erzähler fungierte Sir John Gielgud (Decca). Die erste Stereo-Einspielung erfolgte im September 1967 unter André Previn mit dem London Symphony Orchestra, den Ambrosian Singers und Heather Harper. Den Erzählerpart übernahm Sir Ralph Richardson (RCA). Seither wurde das Werk über ein Dutzend Mal eingespielt. Im Konzertsaal gehört die Sinfonia antartica nach wie vor zu den weniger gespielten Symphonien von Vaughan Williams.



    Auch die komplette Filmmusik, inklusive der im Film gar nicht verwendeten Musik, wurde mittlerweile vorgelegt:


    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Danke,


    ich habe einige Sinfonien mit Vernon Handley, aber da ich gerade dieses Angebot sehe werde ich mir wohl die GA mit Haitink bestellen.



    Kalli

  • Ich habe mir kürzlich ein Rezensionsvideo des Musikkritikers David Hurwitz von Classics Today angesehen, wo er die vollständigen Vaughan Williams-Zyklen (es sind acht an der Zahl) bespricht. Man mag von Hurwitz und seinem typisch amerikanischen, teils überzogenen Stil halten, was man will. Jedenfalls gab es einen eindeutigen Verlierer in der Runde, und das war der gezeigte Zyklus von Bernard Haitink. Auf der Website wurde die Box auch in die wenig schmeichelhafte Reihe "CD From Hell" aufgenommen.

    Aber konkret zur Sinfonia antartica:



    Besser als in Sir Adrian Boults Stereo-Aufnahme (EMI/Warner, 1969) geht es wohl kaum. Wenige Interpreten hatten diese direkte Verbindung zum Komponisten, was man, wie ich meine, auch hört. Das ist eine ungemein packende, teilweise regelrecht beängstigende Atmosphäre, die herüberkommt. Der aussichtslose Kampf Mensch gegen Natur. Wenn die Orgel im dritten Satz nach dem markerschütternden Gongschlag einsetzt, stockt einem der Atem. Ich habe speziell diese Stelle nun auch mannigfaltig verglichen. Einen ähnlichen Effekt erzielt nach meinem Dafürhalten eigentlich nur André Previn (RCA, 1967), womit kurioserweise die beiden frühesten und lange Zeit gar einzigen Stereo-Einspielungen die klanglich effektvollsten sind. Es mag sein, dass man die Orgel im Studio unnatürlich stark hervorgehoben hat, aber die erzielte Wirkung gibt dem Recht.


    Die Zutat mit dem Sprecher, die Boult in seiner ersten Mono-Einspielung (mit Sir John Gielgud) noch praktiziert, entfällt in der späteren Aufnahme. Previn greift ebenfalls zum Erzähler (Sir Ralph Richardson), doch erlaubt es die Trackaufteilung, dass man auch bloß die Musik genießen kann. Es stört für mein Dafürhalten den musikalischen Fluss, wenn die Textstellen rezitiert werden, was auch die Qualität der großartigen Sprecher nicht wirklich ausgleichen kann. Besonders penetrant ist das in der sonst gut gelungenen Einspielung von Raymond Leppard (Koss, 1992), wo der Sprecher Roger Allam ständige Einschübe bringt - mehr Text noch, als von Vaughan Williams überhaupt vorgesehen - und er teils sogar über die Musik hinweg rezitiert. Wie bereits angedeutet, hat der Komponist das so auch gar nicht gewollt. Vielmehr war die Idee wohl, dass der Hörer nebenbei die besagten Textpassagen an den vorgesehenen Stellen für sich im Stillen liest.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Tja,


    jetzt ist sie schon bestellt, ich hatte bei unserem früheren Werbepartner nur Gutes gelesen, aber dort nicht bestellt. Sie ist ja von 2004 sollte also klanglich gut sein, das sind meine Handley Aufnahmen aber auch. Und bei dieser Musik erscheint mir das recht wichtig.....wobei die die Boult Aufnahme ja immerhin auch gutes Stereo mit angeblich gutem Remastering sein soll, soll ich stornieren und Boult bestellen ?


    Kalli

  • Boult für Vaughan-Williams


    Lieber Kalli,,

    Deine Frage sehe ich heute verspätet (nach meinem :love: Borkum-Urlaub). Egal was Du bestellt hast.

    Handley ist schon Klasse, aber was Du bei Boult erlebst, ist der Hammer. :saint: Die Boult _GA (EMI, Stereo) ist ein MUSS für VW-Fans !


    Ich höre gerade die von Josef favorisierte Sinfonie NR.4 mit Boult ... ohne Worte = :hail: (EMI, 1968), die wirklich in sehr gutem Strereo aufgenommen ist und keine Klangwünsche offen lässt.


    Die Sinfonia Antartica ist meine favorisierte VW-Sinfonie. Die ist mit Handley schon sehr beeindruckend und hatte für Jahre keinen Wunsch und Veranlassung nach einer anderen Aufnahme. Als ich dann die unten abgebildete Sinfonien _ GA mit Boult kaufte, hätte ich es nicht für möglich gehalten, dass da "noch mehr drin" wäre. :angel: Ja, Boult auch hier hammermässig in jeder Beziehung. Da wird kein Effekt ausgelassen um die Gänsehäute in höchster Könnerschaft zu reizen.



    Mit Sir Adrian Boult gibt es ja auch eine Mono-GA der Sinfoinien (EMI), die die "Monojünger" als sehr stark bezeichnen.

    :?: Aber was soll man bei diesen farbigen, komplexen und tollen Orchesterwerken und Sinfonien mit der Mono-GA ? Da würde der Hörspass bei mir gegen Null 00 gehen, zumal die Stereo-GA (EMI, 1967-1986) astrein klingt und interpretatorisch der Hammer mit Gänsehaut pur ist.


    Diese GA ist es:


    EMI, 1967-1976, ADD

    Gruß aus Bonn, Wolfgang

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  • Mit Sir Adrian Boult gibt es ja auch eine Mono-GA der Sinfoinien (EMI), die die "Monojünger" als sehr stark bezeichnen.

    :?: Aber was soll man bei diesen farbigen, komplexen und tollen Orchesterwerken und Sinfonien mit der Mono-GA ? Da würde der Hörspass bei mir gegen Null 00 gehen, zumal die Stereo-GA (EMI, 1967-1986) astrein klingt und interpretatorisch der Hammer mit Gänsehaut pur ist.

    Ja, das würde ich gerade bei einem so farbigen Werk wie der Sinfonia antartica auch als Manko sehen. Einzig Nr. 8 wurde von Boult für Decca auch schon in Stereo eingespielt. Nr. 9 hat Boult gar nicht mehr für Decca, sondern für Everest vorgelegt (Weltersteinspielung sieben Stunden nach dem Ableben des Komponisten, der eigentlich beiwohnen sollte), wurde aber später auch in der Decca-Box beigefügt. Letztere klingt erstklassig stereophon. Insgesamt ist man mit der EMI-Gesamtaufnahme aber besser bedient.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões