Bayreuther Festspiele 2021 - Eröffnungspremiere "Der fliegende Holländer" (und anderes)

  • Der Threadtitel lautet ja "und anderes", daher erlaube ich mir mal, auch ein paar Worte zur gestrigen "Walküre" an dieser Stelle zu schreiben.


    Das Dirigat von Pietari Inkinen kam bei den Zuschauern vor Ort wohl nicht so gut an. Ich hatte beim Abhören des BR-Mitschnitts auch stellenweise das Gefühl, dass ein wenig die Kraft fehlt.


    Ob der Buhorkan am Ende Inkinen (so teils behauptet) oder nicht doch eher dem "Aktionskünstler" Hermann Nitsch galt, darüber war man sich in der Presse nicht ganz einig. Der BR blendete relativ schnell aus.

    Der Einspringer Tomasz Konieczny als Wotan hat die Vorstellung gerettet und war m. E. mehr als nur ein Notnagel, sondern brachte eine sehr adäquate Darbietung. Klaus Florian Vogt ist einfach kein Heldentenor und auch als Siegmund für meine Begriffe grenzwertig.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • as, oder allgemeiner "Regisseur X inszeniert immer Regisseur X" ist vielelicht nicht einmal von der Hand zu Weisen. Aber wenn ich darüber nachdenke, gilt bzw. galt das auch für z.B. Zeffirelli. Bei dem ist es nur weniger "aufgestoßen", weil immer alles so "schön anzuschauen" gewesen ist. - Wo ein solches "Regisseur X inszeniert immer Regisseur X" m.E. beispielsweise nicht zutrifft, ist etwa bei Peter Konwitschny, dessen Arbeiten sich, wie ich finde, ziemlich voneinander unterscheiden.

    Da magst du recht haben, vor allem in seinen späteren Jahren mag er auch oft zu viel des Guten getan haben, aber im Gegensatz zu den genannten Herren hat er sich wenigstens immer an die Vorgaben des Librettos gehalten.

    Da würde ich insofern Einspruch erheben, als das gerade Konwitschny in seinen Inszenierungen, soweit ich sie kenne, m.M.n. so nahe am Libretto, oder sagen wir vielleicht besser, der Idee des Librettos bzw. Stückes ist, wie kaum ein anderer Regisseur. - Aber nochmal zurück zum aktuellen "Holländer" aus Bayreuth, der ja morgen acuh im Fernsehen auf 3sat läuft, womit keiner mehr eine echte Ausrede hat, die Inszenierung nicht gesehen zu haben:


    Die bisherige Diskussion in diesem Thread inkl. verlinkter Presseberichte, soweit wir die ernstzunehmenden Beiträge betrachten, geht ganz offenbar in die Richtung, das wir es mit einer Produktion zu tun haben, die musikalisch im Wesentlichen tippitoppi oder besser ist, während die Inszenierung als zumindest zweifelhaft, wenn nicht womöglich als gescheitert - und das nicht einmal grandios, sondern höchstens handwerklich solide - betrachtet werden muss!?

    mfG Michael


    Eine Meinungsäußerung ist noch kein Diskurs, eine Behauptung noch kein Argument und ein Argument noch kein Beweis.

  • ... während die Inszenierung als zumindest zweifelhaft, wenn nicht womöglich als gescheitert - und das nicht einmal grandios, sondern höchstens handwerklich solide - betrachtet werden muss!?

    Wer die Inszenierung mit dem Textbuch vor Augen besieht und das, was darin steht, mit dem, was sich auf der Bühne zuträgt vergleicht, könnte zu so einem Schluss gelangen.


    Je mehr ich mich mit dieser Aufführung beschäftigt habe, umso deutlich wurde mir, dass der Regisseur Wagners Vorlage benutzt hat, um eine ganz andere Story zu den Noten und Worten der Oper zu erzählen, die nichts mit mit dem Original zu tun hat. Er wollte offenkundig ausloten, wie das gehen und funktionierten kann. Handwerklich war das aus meiner Sicht - ich sagte das schon weiter vorn - sehr konsequent und sehr gut gemacht. Fast wie im Film. Im Laufe unsere Diskussion gab es interessante Ansätze, die Aufführung von Wagner her zu verstehen. Das schien mir nicht zu gelingen. Wie denn auch? Denn wir sehen ja nicht Wagner sondern Tcherniakov. Hat der sich daran erinnert, dass es in der Musikgeschichte immer mal wieder Versuche gab, Opern eine ganz anderen Texte mit anderer Handlung zu geben? Ich hätte es allenfalls interessant gefunden, zwei Inszenierungen in identischer Kulisse zu erarbeiten: eine am Original orientiert und die andere ganz anderen Inhalts. Um eben noch deutlicher zu erkunden, ob das möglich ist. Das wäre aus meiner Sicht durchaus festivaltauglich gewesen. So aber tönte es aus dem so genannten mystischen Abgrund - einer Idee des 19. Jahrhundert - auf der Boden darüber aber wird irgendeine wüste Geschichte erzählt, die mich an die Russenmafia erinnert.


    Einmal mehr stellt sich für mich die Frage nach der Sinnhaftigkeit dieser Festspiele. Immer dieselbe Stücke. Seit fast 150 Jahren. Auch auf anderen Bühnen Wagner rauf und runter. Das kann auf Dauer nicht gut gehen. Wagner ist szenisch völlig ausgelutscht. Ich höre ihn fast nur noch. Und das ist sehr erbaulich. :)

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • So viel Schelte für Tscherniakovs Holländer? Ich glaube, ich werde die Inszenierung mögen. Sehe sie mir heute Abend garantiert im Fernsehen an. Bin schon sehr neugierig.


    Wird mir jemand glauben, wenn ich sage, dieser Regisseur kann auch ganz anders, kann auch ausgesprochen konventionell sein? Zum Beweis führe ich Tscherniakovs Pariser Inszenierung von THE SNOW MAIDEN an, bei der fast alles, was auf der Bühne vor sich geht, mit der ursprünglichen Handlung Hand in Hand geht. Wer schöne, naturalistische Produktionen mag, wird diese Inszenierung lieben. Sie ist übrigens auch auf DVD erhältlich. Wie gesagt: Tscherniakov hier mal ganz anders als sonst, wohl auch ganz anders als beim Bayreuther Holländer! Taminos, kauft euch die Snow-Maiden-DVD! Sie wird euch gefallen!


    Herzliche Grüße


    Lustein

  • Taminos, kauft euch die Snow-Maiden-DVD! Sie wird euch gefallen!

    Dem Aufruf von lustein schließe ich mich an, eine großartige Produktion.


    Was nichts daran ändert, dass mich der Bayreuther 'Holländer' maßlos langweilte. So sehr, dass ich noch nicht mal Lust verspüre dahinter zu kommen, warum.

  • Wird mir jemand glauben, wenn ich sage, dieser Regisseur kann auch ganz anders, kann auch ausgesprochen konventionell sein? Zum Beweis führe ich Tscherniakovs Pariser Inszenierung von THE SNOW MAIDEN an, bei der fast alles, was auf der Bühne vor sich geht, mit der ursprünglichen Handlung Hand in Hand geht. Wer schöne, naturalistische Produktionen mag, wird diese Inszenierung lieben. Sie ist übrigens auch auf DVD erhältlich. Wie gesagt: Tscherniakov hier mal ganz anders als sonst, wohl auch ganz anders als beim Bayreuther Holländer! Taminos, kauft euch die Snow-Maiden-DVD! Sie wird euch gefallen!


    Herzliche Grüße


    Lustein


    :hello:

    >>So it is written, and so it shall be done.<<

  • Der Threadtitel lautet ja "und anderes", daher erlaube ich mir mal, auch ein paar Worte zur gestrigen "Walküre" an dieser Stelle zu schreiben.

    Man kann die Bayreuther Walküre bei YT hören:


    ..., eine spe*ifisch deutsche Kultur ist, jenseits der Sprache, schlicht nicht identifi*ierbar.
    -- Aydan Ö*oğu*

  • Zitat

    ...was auf der Bühne vor sich geht, mit der ursprünglichen Handlung Hand in Hand geht.

    Sonst wäre es ja nicht das, was Richard Wagner erschaffen hat.

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  • Grade läuft der Schlußapplaus beim Holländer. Der Schlußsatz von Senta heißt ja ich werd dich lieben bis in den Tod. Dadurch das Mary den Holländer erschossen hat, hat sie damit Senta erlöst. Das war mein erster Gedanke nachdem ich den Holländer jetzt 2 mal gesehen hab.

  • Ich habe den Holländer erst bei Sentas Ballade mit dem Chor der Frauen eingeschaltet. Das Bühnenbild gefiel mir, weil es die Düsternis und die gleichzeitige Alltagsbanalität zeigt. Die Darstellung und das Singen von Asmik Grigorian haben mich sehr beeindruckt; eine ähnliche Präsenz habe ich vor langer Zeit in Düsseldorf erlebt (Colette Lorand als Emilia Marty) und auf Video Anja Silja als Emilia Marty in Glyndebourne.

    Ich habe dann bis zum Ende gesehen und werde mir den Anfang in der Mediathek anschauen. Alles hat mich doch beeindruckt, mit einer Ausnahme, und ich hoffe, ihr steinigt mich nicht. Es ist Richard Wagners Text, den ja die Untertitel unbarmherzig frei gelegt haben. Mehr will ich hier dazu nicht sagen (und ich weiß auch, dass andere Texte nicht besser sind).

    Aller Anfang ist schwer - außer beim Steinesammeln (Volksmund)

  • Die Darstellung und das Singen von Asmik Grigorian haben mich sehr beeindruckt; eine ähnliche Präsenz habe ich vor langer Zeit in Düsseldorf erlebt (Colette Lorand als Emilia Marty) und auf Video Anja Silja als Emilia Marty in Glyndebourne.

    Ja, ich habe beim Anschauen der Live-Übertragung letzten Sonntag auch gedacht, dass man sich so vielelicht ein wenig auch Siljas Bayreuth-Debut als Senta(!) 1960 vorstellen muss

    Alles hat mich doch beeindruckt, mit einer Ausnahme, und ich hoffe, ihr steinigt mich nicht. Es ist Richard Wagners Text, den ja die Untertitel unbarmherzig frei gelegt haben.

    Ich hätte früher nie gedacht, dass ich Herrn W. bzgl. seiner Texte einmal in den Schutz nehmen würde; ich war da eher Deiner Meinung, Dr.Pingel. - Aber wenn man es näher betrachtet, kommt man m.E. nicht umhin, auch die Texte im Zusammenhang mit der jeweiligen Handlung und natürlich der Musik als großen Wurf anzuerkennen.

    mfG Michael


    Eine Meinungsäußerung ist noch kein Diskurs, eine Behauptung noch kein Argument und ein Argument noch kein Beweis.

  • - Aber wenn man es näher betrachtet, kommt man m.E. nicht umhin, auch die Texte im Zusammenhang mit der jeweiligen Handlung und natürlich der Musik als großen Wurf anzuerkennen.

    Ich glaube, da ist was dran. Wenn man die Texte isoliert betrachtet, wirken sie seltsam. Immerhin hat es Zeiten gegeben, da man den Ring als Drama ohne Musik aufführte. Bei mir ist es so, dass ich die Wagner-Opern nicht so gut kenne wie ihr, was den Vorteil hat, dass man immer wieder Neues und Überraschendes entdeckt. Ich kann mich erinnern an meine Verblüffung, als ich "Nothung, Nothung, neidliches Schwert" zum ersten Mal hörte! Welch eine Wucht! Irgendwo im Netz wurde das dann so zitiert: "Nothung, Nothung, niedliches Schwert!"

    Aller Anfang ist schwer - außer beim Steinesammeln (Volksmund)

  • Grade läuft der Schlußapplaus beim Holländer. Der Schlußsatz von Senta heißt ja ich werd dich lieben bis in den Tod. Dadurch das Mary den Holländer erschossen hat, hat sie damit Senta erlöst.

    Lieber rodolfo, fast hättest Du Recht gehabt. Allerdings kenne ich das Ende der Oper so:



    Senta hat sich mit wütender Kraft losgerissen und erreicht ein vorstehendes Felsenriff: von da aus ruft sie dem absegeinden Holländer nach.

    Senta

    Preis' deinen Engel und sein Gebot!

    Hier steh' ich, treu dir bis zum Tod!

    Sie stürzt sich in das Meer; in demselben Augenblicke versinkt das Schiff des Holländers und verschwindet schnell in Trümmern. In weiter Ferne entsteigen dem Wasser der Holländers Ferne entsteigen dem Wasser der Holländer und Senta, beide in verklärter Gestalt; er hält sie umschlungen.


    Die arme Mary wird zur Täterin. Wem ist mit dieser Entstellung gedient? Dem Neueinsteiger? Ich begreife das nie und nimmer und will das auch nicht begreifen. Ich möchte nicht vergleichen, wo der Regisseur das Libretto und den Inhalt der Oper willkürlich ändert. Das wäre mir zu doof.

    La Roche

    Ich streite für die Schönheit und den edlen Anstand des Theaters. Mit dieser Parole im Herzen leb' ich mein Leben für das Theater, und ich werde weiterleben in den Annalen seiner Geschichte!

    Zitat des Theaterdirektors La Roche aus Capriccio von Richard Strauss.

  • Die arme Mary wird zur Täterin. Wem ist mit dieser Entstellung gedient? Dem Neueinsteiger? I

    Nein. Den Feministinnen und Feministen, - zugespitzt formuliert, aber der Sache nicht gerecht werdend.

    Tcherniakov liefert eine, wenn man so will feministische, Umdeutung des Librettos und der von Wagner intendierten musikalischen Aussage der Oper. Ihr liegt die Idee der Schuld und der Erlösung durch Liebe und Treue bis in den Tod zugrunde. Diese erbringt eine Frau dem Mann, und dieses Frauenbild hielt der Regisseur wohl nicht für vertretbar, weil nicht mehr zeitgemäß. Also bastelte er eine Story von der sich aus Familienbanden emanzipierenden Frau zusammen, in der dem "Holländer" nur die Funktion eines Aufhängers zukommt.


    Mit Wagners kompositorischer Intention hat das nichts zu tun. Dieser fühlte sich in hohem Maß von dieser Legende vom "Holländer" angesprochen, wie man seiner Aussage entnehmen kann:

    "Die Gestalt des >fliegenden Holländers ist das mythische Gedicht des Volkes: ein uralter Zug des menschlichen Wesens spricht sich in ihm mit herzergreifender Gewalt aus. Dieser Zug ist, in seiner allgemeinen Bedeutung, die Sehnsucht nach Ruhe aus Stürmen des Lebens."

    In der Figur des "Holländers" griff er die literarische Figur des "ewigen Wanderers" auf, der vom "Verlangen nach einem Neuen, Unbekannten, noch nicht sichtbar vorhandenen, aber im voraus Empfundenen" angetrieben wird, und in der der "Senta" sah er "das Weib überhaupt":

    "Dies Weib", so seine Worte, "ist aber nicht mehr die heimatlich sorgende, vor Zeiten gefreite Penelope des Odysseus, sondern es ist das Weib überhaupt, aber das noch unvorhandene, ersehnte, geahnte, unendlich weibliche Weib, - sage ich es mit einem Wort heraus: das Weib der Zukunft."


    Dieses Frauenbild war dem Regisseur offensichtlich nicht geheuer. Also modelte er die Geschichte in seiner Weise um.

    Ich habe mich - die ganze Oper von Anfang bis Ende fest auf dem Stuhl vor dem Fernseher fixiert verfolgend - erst auch daran gestört. Aber das hielt nicht lang vor. Mehr und mehr fesselte mich, was ich sah und hörte. Und warum?

    Thomas Mann meinte in "Leiden und Größe Richard Wagners", dessen musikdramatische Kunst triumphiere in den Einzelfiguren, und in dieser Aufführung wurde das auf überzeugende Weise erlebbar: In der Art und Weise, wie die Gestalt der Senta schauspielerisch und sängerisch gestaltet wurde.


    Für mich hat sich in dieser Aufführung folgendes ganz und gar Außerordentliche ereignet : Asmik Grigorian hat dieses Regisseur-Konzept schlicht und einfach von der Bühne gefegt. Ich nahm es gar nicht mehr wahr. Ich erlebte in ihrer gesanglichen und darstellerischen Leistung hochdramatische Wagner-Musik, wie man sie - auch auch unter Mitwirkung der Dirigentin - fesselnder und in Bann schlagender aus meiner Sicht gar nicht besser realisieren kann.


    Ich denke, wenn ein der Oper aufgepflanztes Regie-Konzept deren Musik nicht nur nicht beschädigt, sondern durch die Umgestaltung der zentralen weiblichen Figur und die damit einhergehende Hervorhebung in der Bühnenhandlung dazu führt, dass eine Aufführung eine solche Wirkung entfaltet, dann kann man die Umgestaltung des Librettos als verzeihlich betrachten.

    Jan Brachmann leitete seine Kritik in der FAZ (27. Juli) mit den Worten ein:

    "Über Klatschen, Trampeln und Kreischen entlädt sich die Erfahrung, gerade eben, vor Bruchteilen von Sekunden noch, Teil von etwas Großem gewesen zu sein.

    So ging es mir auch, als der Vorhang auf dem Bildschirm fiel.