Nachdem vor 99 Jahren mit Don Giovanni erstmals eine Oper bei den Salzburger Festspielen aufgeführt wurde, war es irgendwie vorhersehbar, dass Mozart's Meisterwerk zum 100-jährigen Jubiläum des Festivals auf den Spielplan gesetzt wird. Somit wurde diesem Don Giovanni schon im Vorfeld große Aufmerksamkeit und eine gewisse Erwartungshaltung zuteil - nicht nur weil Teodor Currentzis als Dirigent angekündigt wurde.
Und wer hätte gedacht, dass die Inszenierung von Romeo Castellucci, die modernstes Regietheater ist, so ein Publikumsjubel zuteil werden würde? Ich habe jedenfalls kein Buh gehört. Wenn es eines gegeben hat, ist das im tosenden Jubel des Publikums völlig untergegangen.
Dabei hat man schon Tage vor der Premiere gefürchtet es könnte ein Skandal und eine Kontroverse werden. Mitnichten. Modernes Regietheater ist wohl kein Grund zum Aufregen mehr. Ganz im Gegenteil.
Was passiert bei Castellucci eigentlich auf der Bühne? Viel. Sehr viel. Manche sagen zu viel. Ein Besucher erklärte, dass es geradezu amüsant war, was sich auf der Bühne abspielte, aber dass es doch teilweise zu sehr von der Musik ablenkte.
Man kam aus dem Staunen gar nicht heraus.
Die Oper beginnt schon mit einem "Knalleffekt". Auf der Bühne stürzt tatsächlich ein Auto (!) auf den Bühnenboden herab. Das ist nicht das einzige was auf der Bühne zerstört wird. Castellucci sieht in Giovanni einen Zerstörer. Und zerstört wird hier viel. So der Rollstuhl des Komtur, auch Basketballbälle werden zerstochen, und dann knallt auch noch ein Klavier (!) aus großer Höhe auf den Boden herab. Wie hält dieser das eigentlich aus? Er muss doch wohl nach jeder Vorstellung repariert werden. Dem Komtur wird übrigens mit seiner Krücke der Gar ausgemacht.
Auf der Bühne befinden sich alle möglichen Requisiten. So beispielsweise eine Waschmaschine, riesige Müllcontainer, oder auch eine Kopiermaschine zu der Leporello die Registerarie singt. Klar, mit der Maschine kann man ganz leicht Giovanni's Verführungskatalog vervielfältigen und gleich an Interessenten weiterfaxen. Während Leporello seine Arie singt, tauchen dazu 150 Frauen auf. Sie stellen sozusagen all diese Frauen dar, die Giovanni verführt hat. Die Damen sind übrigens alle Salzburgerinnen.
Ja, Nackte und Halbnackte tummeln sich auch auf der Bühne.
Und auch Tiere gibt es auf der Bühne. So hat eine Ziege ein akustisches Solo, Don Ottavio besitzt weiße Pudel, und auch eine Ratte hat einen prägnanten Auftritt.
Castellucci nutzt die große Bühne voll aus, das ist sicher.
Zum Ende reißt sich Giovanni im Todeskampf sämtliche Kleider vom Leib. Splitterfasernackt schmiert er seinen Körper mit weißer Gipsfarbe ein und verschwindet sozusagen im Nichts. Die restlichen Charaktere werden am Ende zu eingegipsten Figuren.
Das Bühnenbild ist stets das Gleiche. Der Innenraum einer Kirche, die übrigens zu Beginn - noch ohne die Musik Mozart's - vor den Augen der Zuschauer geleert wird.
Und es passiert noch einiges mehr auf der Bühne des Großen Festspielhauses. Aber das würde hier den Rahmen sprengen. Was uns Castellucci damit sagen will und was all diese Bilderreihen eigentlich zu bedeuten haben ... nun, wir müssen die Antworten wohl selbst finden.
In Kürze kann man sich das alles dann auch noch in nächster Nähe ansehen wenn eine Vorstellung im TV ausgestrahlt wird.
Man muss das wohl ein paar Mal ansehen, um alles erfassen und nachvollziehen zu können.
Was das Musikalische betrifft: Currentzis präsentiert mit dem hervorragenden Orchester musicAeterna - natürlich ist auch der wunderbare musicAeterna-Chor mit von der Partie - einen ruppigen, harten Mozartklang. Schließlich wird auf historischen Instrumenten gespielt. Das ist kein Weichzeichner-Mozart. Wem die Mozart-Dirigate von René Jacobs gefallen, der kann sicher auch mit Currentzis' kantigen Mozart etwas anfangen, auch wenn er die Partitur sehr eigenwillig dirigiert, so ganz wie ihm gerade danach ist.
Don Giovanni gilt als die ideale Oper für Salzburg und stellt sozusagen das Pendant zu Hofmannsthal's Jedermann dar. Don Giovanni, die Oper über das Sterben des GEILEN Mannes.
Dieser geile Mann ist in diesem Fall Davide Luciano der seinem Diener Leporello, gesungen von Vito Priante, nicht nur vom Stimmtyp ähnelt, sondern auch optisch. Das ist wohl ganz beabsichtigt. Das macht die Maskerade im zweiten Akt natürlich viel glaubhafter. Luciano singt vielleicht allzu brav und gediegen, jedenfalls trumpft er nie wirklich auf. Zu sehr scheint er auch mit der Darstellung beschäftigt zu sein, die Castellucci ihm abverlangt.
Während Federica Lombardi als Donna Elvira manchmal gar zu arg scheppert, ist die höhensichere Donna Anna von Nadezhda Pavlova eine Wucht, vor allem im zweiten Teil des Abends. Sicher, Intonationstrübungen bleiben nicht unbemerkt, aber sie ist intensiv in ihrer Darstellung und ihre fulminant dargebotene Arie Non mi dir im zweiten Akt - mit ungewöhnlichen Verzierungen - beschert ihr den größten Szenenapplaus des Abends.
Bei Don Ottavio tobt sich Castellucci besonders aus und steckt ihn in die verschiedensten Kostüme. So trägt er eine Uniform, sieht dann aber wieder nach Schifahrer oder doch Bergsteiger der 1920er(?)-Jahre aus, dann ist er wieder ein bemantelter Dandy mit zwei weißen Pudeln. Umso erstaunlicher ist es da, welch phantastischen Don Ottavio Michael Spyres hier vokal abliefert.
Als ob die Arie Il mio tesoro im zweiten Akt mit ihren langen Bögen nicht schon schwer genug ist, setzt Spyres noch eines drauf und reichert diese Bögen mit zusätzlichen Verzierungen an. Feinstes Legato und eine beeindruckende Atemtechnik.
Nicht überraschend heimst Spyres für seinen viril gesungenen Don Ottavio dann den größten Schlussapplaus des Abends ein.
Anna Lucia Richter ist stimmlich eine gar nicht so mädchenhafte Zerlina, David Steffens lässt als Masetto aufhorchen, und Mika Kares singt den Komtur klangschön aber vielleicht nicht unbedingt angsteinflößend.
"Der ungewöhnlichste Giovanni den die Welt je gesehen hat", hat Salzburg's Intendant Markus Hinterhäuser angekündigt. Er hat nicht zu viel versprochen.
Es gäbe sicher noch viel von und über diese Inszenierung zu sagen. Aber für alles auf einmal ist es tatsächlich zu viel. Das muss man wirken lassen.
Es wäre schön wenn sich Tamino-Mitglieder finden würden, die sich die TV-Übertragung ansehen. Obwohl sich einige im Forum sicher schon jetzt angewidert zurückziehen werden ...
Gregor