Corona killt die Chöre

  • Seit die Corona Bestimmungen in Kraft getreten sind, habe ich nicht mehr die wöchentliche Chorprobe besucht. Das belastet mich sehr aus vielerlei Gründen.


    Der Laienchor, dem ich seit bald 40 Jahren angehöre, kämpft ums Überleben. Wir haben viele Austritte zu verzeichnen. Es tritt niemand in einen Chor ein, der nicht singt und nicht auftritt. Die Einnahmen, die wir mit den Mitgliederbeiträgen teilweise deckten, werden durch die sinkende Mitgliederzahl weniger. Die Veranstaltung, mit der wir vor der Corona-Zeit weitere Einnahmen erzielten, konnten nicht stattfinden. Dadurch können wir das Gehalt des Dirigenten nicht mehr bezahlen.


    Einige Chormitglieder waren am Virus erkrankt und sind daran gestorben. Ein würdiges Begräbnis mit Beteiligung des Chores war untersagt.


    Das gemeinsame Singen fehlt mir.


    Die steigende Fallzahlen sind wenig ermunternd.


    Wie erleben andere Tamino-Mitglieder, die in Chören mitwirken, diese bedrückende Situation?

    .

    Vor Schuberts Musik stürzt die Träne aus dem Auge, ohne erst die Seele zu befragen:
    so unbildlich und real fällt sie in uns ein. Wir weinen, ohne zu wissen warum; Theodor W. Adorno - 1928




  • Wir, die CamerataMadrigale Oberhausen, werden am Montag wieder beginnen, natürlich nach der 3G-Regel und mit Mundschutz, der zum Singen abgenommen wird.

    Wir waren und sind ein Chor immer mit Anbindung an eine kirchliche Gemeinde, die uns den Probenraum kostenlos zur Verfügung stellt. Wir revanchieren uns dafür mit einem Konzert. Wir zahlen keinen Mitgliedsbeitrag, ab und zu gibt es ein Konzert, das Eintritt kostet. Davon werden dann neue Noten gekauft oder es gibt ein kleines Fest. Unser Dirigent, der pensionierte Kirchenmusiker des Xantener Doms, Wolfgang Schwering, betrachtet diesen Chor als sein Hobby und wird nicht bezahlt (in der Eisenbahnersprache könnte man sagen: wir sind sein ICE).

    Aller Anfang ist schwer - außer beim Steinesammeln (Volksmund)

  • Meine Stimmung ist nicht beste. Gestern haben ich und die zehn Sängerinnen und Sänger beschlossen unseren Chor aufzulösen. Es wird eine ausserordentliche Hauptversammlung des Vereines einberufen werden, an der wir über diesen Antrag des Vorstandes abstimmen werden.

    Wir haben Werke in der vierten Landessprache der Schweiz, in den Idiomen der rätoromanischen Sprache aufgeführt. Vierzig Jahre habe ich im Chor mitgewirkt. Das ist nun entgültig vorbei.

    Vor Schuberts Musik stürzt die Träne aus dem Auge, ohne erst die Seele zu befragen:
    so unbildlich und real fällt sie in uns ein. Wir weinen, ohne zu wissen warum; Theodor W. Adorno - 1928




  • Meine Stimmung ist nicht beste. Gestern haben ich und die zehn Sängerinnen und Sänger beschlossen unseren Chor aufzulösen

    Das ist wirklich bitter, hier geht so viel Tradition und so viel Engagement der Mitglieder einfach verloren.


    Ich singe zwar selbst gerade nicht in einem Chor und kann nicht aus eigener Erfahrung berichten, aber auch der mehrstufige Kinderchor in dem meine Tochter singt kämpft gerade sehr mit dem Mitgliederschwund.

    Heute war die erste Probe nach den Ferien, von den 30 Kindern, die vor Corona in der Altersstufe waren, sind noch 8 Kinder übrig geblieben, viele Eltern haben die Zeit genutzt, sich anderweitig zu orientieren.

    Ich weiß nicht, was die Kinder jetzt machen, alle anderen Aktivitäten sind ja auch eingeschränkt. Anscheinend hat Musik generell einen niedrigeren Stellenwert als zB Sport, da fällt die Entscheidung leichter, den Chor aufzugeben.


    Die Auswirkungen des Chöresterbens auf die Kulturlandschaft werden sich wahrscheinlic erst im Laufe der kommenden Jahre zeigen.

  • Ich versteh das nicht ganz.

    Als Amateurchour - davon gehe ich aus - kann man ja ene längere Pause durchasu verkraften. Natürlich geht übung verloren und allenfals ist es ein Problem, wenn Probenräume bezahlt werden müssen. Aber für einen Endgültigen Schluss sehe ich eigentlich keinen Grund.

    Ich bin kein Virologe - und meine pessimistische Grundhaltung ist bekannt

    ABER. Sehen wir die rieigen Eoidemien vergangener Jahrhunderte - ohne Impfung, wirksame Schutzmassnahmen etc etc - so ist zu bemerken, daß JEDE Epidemie oder Pandemie irgendwann zum erliegen kam. Wenn das diesmal länger dauert als nötig, dann ist es lediglich menschliches Versagen.

    Auch ich stand anfangs der Impfung und dem Risiko ser ängstlich und skeptisch gegenüber. Aber die Zahlen belegen die positive Wirkung.

    Was ich nicht ganz verstehe, ist die Herumrederei wegn Pflichtimpfung und Freiheit des Einzelnen.

    Wenn ich mich nicht irr gab es in meiner Jugend vorgeschriebene Impfungen, darunter auch Polio. Wir wurden nicht gefragt, sondern in den Schulen oder am magistratischen Bezirksamt wurden die Impfdosen verabreicht. Als ich mich vor ca 30 Jahren mit einem Grillspieß verletzte bekam ich, da eine beginnende Sepsis zu bemerken war 4 mal Hydracillin (A 4.000.0000 iE) nach der 3 Spritze wurde ich gefragt ob ich Penicillin überhaupt vertrage . Aber die Tetanus Impfung war obligat....


    Also versucht euch zusammenzureden und den Chor zu retten.......

    Macht nichts unwiederrufliches aus einer verzweifelten Situation heraus...


    mfg aus Wien

    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • In gewissem Maße kann ich mir diese Reaktion, basierend auf Erfahrungen mit anderen Gruppen, schon erklären.


    Es gibt immer Mitglieder, die aus anderen Gründen bereits auf dem Absprung waren, sei es aus Altergründen, wegen neuer Prioritäten, Umzug, Unzufriedenheit mit der Gruppe oder dem Repertoire etc.

    Kommt es dann zu einer Zwangspause, kommt die Austrittsdynamik an Gang.

    Wenn dann die Mitgliederzahl und die damit zu erwartenden Beiträge langfristig so stark sinken, dass man Probenraum und Chorleiter nicht mehr zahlen kann, sieht es düster aus für den Chor.


    Habt Ihr denn vielleicht die Möglichkeit, Euch mit einem anderen Chor zusammenzuschließen?

  • Wir haben bereits Sängerinnen und Sänger in unseren Reihen, die aus anderen Chören zu uns stiessen, welche sich vor der Pandemie auflösten. Es ist eine Tendenz festzustellen, dass man sich nicht mehr in einem Verein für wöchentliche Proben verpflichten will. Projektsänger liessen sich jeweils finden, die für einen Auftritt an den Proben teilnahmen.


    Ich hatte es bereits erwähnt, Sänger sind an den Folgen einer Covid-19 Erkrankung verstorben.


    Die finanzielle Lage hat sich verschärft, weil durch die tiefe Mitgliederzahl der Dirigent nicht mehr bezahlt werden kann. Für ihn ist in der Pandemie der Verdienst bedrohlich eingebrochen. Es fehlt ihm die finanzielle Basis. Kommt hinzu, dass er in seinem Beruf ebenfalls mit den Folgen der Pandemiemassnahmen zu kämpfen hat.


    Die Einschränkung auf die rätoromanische Sprache hält mögliche Mitglieder ab, einzutreten. Wir pflegen ein breit gefächertes Repertoire aus allen Epochen der Musikgeschichte bis zur Gegenwart. Komponisten haben für unseren Chor Werke geschrieben. Ein zweistündiges Programm konnten wir mühelos bestreiten. Wir erhielten höchste Bewertungen. An der Qualität unseres Gesanges kann es nicht liegen, dass die Mitgliederzahl gesunken ist. Wir hatten ausgezeichnete Dirigenten, die mit uns arbeiteten.


    Bitter ist für manche Sängerin, dass der gesellschaftliche Anlass sich wöchentlich zu treffen nicht mehr bestehen wird. Am Abend an dem wir die Auflösung beschlossen, gab es Tränen.

    .

    Vor Schuberts Musik stürzt die Träne aus dem Auge, ohne erst die Seele zu befragen:
    so unbildlich und real fällt sie in uns ein. Wir weinen, ohne zu wissen warum; Theodor W. Adorno - 1928




  • Die Einschränkung auf die rätoromanische Sprache hält mögliche Mitglieder ab, einzutreten. Wir pflegen ein breit gefächertes Repertoire aus allen Epochen der Musikgeschichte bis zur Gegenwart. Komponisten haben für unseren Chor Werke geschrieben.

    Singt Ihr denn ausschließlich Werke in rätoromainisch? Wenn dies der Hauptgrund wäre, aus dem potentielle Neumitglieder sich eher zurückhalten, wäre dann eine Öffnung für Werke in anderen Sprachen keine Option?

    Bevor Ihr Euer Schatzkästchen an Werken in rätoromanischer Sprache auf lange Zeit in der Versenkung verschwinden lasst, wäre doch vielleicht ein Kompromiss die bessere Lösung?


    Viele Grüße,


    Almira

  • Die rätoromanische Sprache ist unsere Visitenkarte. Selbsterständlich singen wir auch Werke in anderen Sprachen. Von den gegenwärtigen Noch-Migliedern sprechen zwei die Minderheitensprache. Die Aktenschränke mit unserem Liedrepertoire-Schatz werden wir einem anderen Chor im Bündnerland, die Region in der Rätoromanisch noch gesprochen wird, anbieten. Darunter sind echte Raritäten. Das Vereinsvermögen werden wir für eine Schluss-Reise verwenden.


    Grundsätzlich denke ich, und das ist meine persönliche Meinung, dass das Chorsingen nicht mehr zeitgemäss ist und nicht in den gesellschaftlichen Meanstream passt. Ich kenne zig Chorgemeinschaften, die mit gleichen Problemen zu kämpfen haben. Das bestätigen mir auch Sängerfreunde, die unserem Chor angehörten und in einem zweiten Chor mitwirken.


    Ich kann nur jedem empfehlen aktiv in einem Chor zu singen. Es tut der Seele gut.

    .

    Vor Schuberts Musik stürzt die Träne aus dem Auge, ohne erst die Seele zu befragen:
    so unbildlich und real fällt sie in uns ein. Wir weinen, ohne zu wissen warum; Theodor W. Adorno - 1928




  • Grundsätzlich denke ich, und das ist meine persönliche Meinung, dass das Chorsingen nicht mehr zeitgemäss ist und nicht in den gesellschaftlichen Meanstream passt. Ich kenne zig Chorgemeinschaften, die mit gleichen Problemen zu kämpfen haben. Das bestätigen mir auch Sängerfreunde, die unserem Chor angehörten und in einem zweiten Chor mitwirken.



    .

    Welche Chöre sterben? Es sind die althergebrachten Frauenchöre und Männerchöre, die auch das sattsam bekannte populäre Chorgut singen und wo nach jedem Konzert ein paar der ältesten Mitglieder mit den Füßen voran hinausgetragen werden.:untertauch: Kinderchöre gab es in Deutschland nie viele und auch die besten (Thomaner, Windsbacher, Tölzer) konnten den englischen Knabenchöre nie das Wasser reichen (darüber haben wir hier in anderen threads ausführlich diskutiert).. Auch die Kirchenchöre siechen vor sich hin. Aber es gibt drei gegenläufige Entwicklungen: die eine ist die Musik der Popkultur, die man sich in der WDR-Reihe "Der beste Chor im Westen" ansehen kann. Hier gibt es Tanz- und Showelemente, dazu die Standard-Lichtorgien. Das sind Chöre, die junge Leute anziehen.

    Die Chöre mit klassischem Repertoire (Polyphonie, Schütz, Bach, Monteverdi usw.) dagegen boomen, und zwar als Kammerchöre oder Vokalensembles. Die guten Sänger, vor allem junge, haben nämlich keine Lust, in Kirchenchören zu "versauern" in Unterforderung. Sie wollen keine endlosen Proben von Stücken, die sie schon beim 2. Mal singen können. Sie wollen auch alte Musik singen, etwa polyphone, das ist Kirchenchören meist nicht möglich.

    Eine dritte Entwicklung gibt es etwa hier in Mülheim im Ruhrgebiet. Der Kantor der Hauptkirche hat eine große Chorschule für Kinder eröffnet, die sehr floriert. Schon in der Vorschule geht es los; die Kinder lernen Noten, wie man vom Blatt singt und die Kinder lernen sogar, wie man Chöre dirigiert. Die älteste Tochter von Freunden kann mit 13 jetzt schon Chöre leiten (das ist das D-Chorexamen). Sie spielt Geige und lernt jetzt Klavier, damit sie später in einer Kirchengemeinde etwa eine C-Stelle ausfüllen kann.

    Aller Anfang ist schwer - außer beim Steinesammeln (Volksmund)

  • Banner Trailer 2 Gelbe Rose
  • die eine ist die Musik der Popkultur, die man sich in der WDR-Reihe

    IGITT !!!

    Das sind Chöre, die junge Leute anziehen.

    "Junge Leute" fühlen sich von ALLEM angezogen, das minderwertig und primitiv ist.

    Das ist natürlich eine dubiose Verallgemeinerung - Es gibt natürlich auch "junge Damen und Herren" auf die das nicht zutriefft - aber das ist eine andere Klasse....


    Ich gehe auch davon aus, daß 'NACH" Corona der Einfluss der "jugendlichen Masse" eher ein geringer sein wird.....ö.


    mfg aus Wien

    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Die Chöre mit klassischem Repertoire (Polyphonie, Schütz, Bach, Monteverdi usw.) dagegen boomen, und zwar als Kammerchöre oder Vokalensembles.

    Das ist tatsächlich ein Trend, der mir auch aufgefallen ist. Schon vor Corona habe ich gesehen, dass sich in kleineren Gruppen zum spontanen Singen und Musizieren getroffen wurde. Oft wurde dann nur auf ein bestimmtes Projekt hin geprobt.


    Die Vorteile liegen in unserer schnelllebigen Zeit auf der Hand: größere Flexibilität bei weniger Verpflichtung. Außerdem muß man sich, anders als in einem festen Chor, auch nicht jahrelang über die schrille Sopranistin oder den brummelnden Bass ärgern, entweder wird der ausgetauscht, oder der unzufriedene Sänger zieht einfach zum nächsten Projektchor weiter.


    Ich sehe das durchaus mit gemischten Gefühlen, denn eines ist klar, schwächere Hobby- Musiker/innen bleiben hier wahrscheinlich eher auf der Strecke, als in einem herkömmlichen Kichenchor.

  • Das Singen in einem Chor hat auch die nicht unwesentliche Anforderung sein Ego einem übergeordneten Ganzen unterzuordnen. Damit haben manche ein Problem. Es ist definitiv nichts für DSDS*-Charaktere. (*Deutschland sucht den Superstar)


    Die Pflege der Geselligkeit mit Menschen unterschiedlicher Herkunft habe ich immer bereichernd empfunden. Ich habe erfahren, dass Chormitglieder ihrer Vereinsamung entrinnen konnten.

    Vor Schuberts Musik stürzt die Träne aus dem Auge, ohne erst die Seele zu befragen:
    so unbildlich und real fällt sie in uns ein. Wir weinen, ohne zu wissen warum; Theodor W. Adorno - 1928