Olivier Messiaen: Catalogue d'Oiseaux, für Klavier

  • Olivier Messiaen schrieb diesen dreizehnteiligen Klavierzyklus in den Jahren 1956-58. Er wurde am 15. April 1959 von Yvonne Loriod in der Salle Gaveau im Rahmen eines Konzertes des von Pierre Boulez initiierten Domaines Musical aufgeführt. Dieser Zyklus gehört für meine Ohren zum wichtigtsen Klavierbestand des zwanzigsten Jahrhunderts. Messiaens Liebe zu den Vögeln hat sicher schon viel früher begonnen, aber ein erstes großes Werk, wo sie eine prominente Rolle spielen war das 1940 in deutscher Kriegsgefangenschaft begonnene Quatuor pour la fin du temps. Nun der Katalog:


    In seiner Einführung zur Uraufführung hat der Komponist dazu folgendes geschrieben:


    „Vor inzwischen rund 30 Jahren begann ich damit, Vogelgesang zu notieren. Meine ersten Transkriptionen finden sich verstreut in meinen frühesten Werken. Leider hatte ich damals keine Erfahrung und wusste nicht immer, welchem Vogel ich dies oder jenes Lied zuordnen sollte. Später holte ich mir Rat bei Spezialisten auf diesem Gebiet und lerne sehr viel auf geführten Wanderungen … Nachdem ich das getan hatte, war ich in der Lage, mit meinen eigenen Flügeln zu fliegen (nicht in übertragener Bedeutung oder als Wortspiel gemeint). Und so ziehe ich jedes Jahr im Frühling mit Bleistiften, Radiergummis, Notenpapier, Zeichenblock und einem riesigen Feldstecher bewaffnet los und reise in verschiedene Regionen Frankreichs auf der Suche nach meinen Lehrern. So entstand mein Catalogue d’oiseaux für Soloklavier … Alles stimmt genau: Die Melodien und Rhythmen des Solisten und die seiner Nachbarn, der Kontrapunkt zwischen den beiden, die Antworten, Ensembles und Augenblicke der Stille sowie die Übereinstimmung des Lieds mit der jeweiligen Tageszeit.


    Die französische Wikipedia führt die im Katalog verewigten Vögel auch mit Bild auf


    https://en.wikipedia.org/wiki/Catalogue_d%27oiseaux


    Alle dort aufgeführten Aufnahmen, bis auf die Einspielung von Paul Kim, zieren meinen Besitz (ja ja, der Sammler) Besondere Freude machen mir die Aufnahmen von Anatol Ugorski und Pierre-Laurent Aimard . Ich kann aber einigen etwas abgewinnen. Tatsächlich auch einer in der Wikipedia nicht aufgeführten von Momo Kodama, die ich dann als erstes hier einmal zusätzlich empfehlen würde.



    eine Aufnahme aus dem Jahre 2009 und von der technischen Qualität up2date. Kodama zeichnet sich durch ein absolut farbiges, klares Spiel aus. Technische Schwierigkeiten, die dieses Werk sicher zuhauf bietet fallen nicht auf.


    Auch sehr durchstruktriert und ausgefeilt, vielleicht nicht ganz so farbig, dafür an anderen Stellen sogar dramatisch, ist das Spiel von Pierre-Laurent Aimard auf seiner aktuellen CD.



    Ich hatte schon an anderer Stelle auf diese Einspielung aufmerksam gemacht. Aber bei nur einem mal Hören und dann auf drei Stücke beschränkt wird man der Interpretation sicher nicht gerecht. Aimard bietet außer ausgefeiltem Spiel eine völlig eigene Sicht auf den Katalog, die meines Erachtens zum Bestand des Liebhabers gehören sollte.


    Eine eigene Sicht bietet auch Anatol Ugorski mit



    Die Einspielung selbst war Ugorskis Herzenswunsch (so hatte ich das damals irgendwo gelesen) nach seiner Flucht in den Westen. Die DGG hätte dem Werk einen besseren Klang verpassen sollen. Trotzdem kann man der Einspielung folgen. Es war jahrelang meine Haupthörquelle.


    Man findet sie jetzt in der Box mit allen Aufnahmen der DGG, die durchaus empfehlenswert ist.




    Nun zu Yvonne Loriod, sie war die Frau Messaiens und die Pianistin der Uraufführung. Wahrscheinlich hat sie mit unserem Komponisten auch mal das eine oder andere Wort zum Werk gesprochen .... ;)


    Mein Cover sieht so aus:


    R-4090872-1550478587-4935.jpeg.jpg


    Die Einspielung ist aus dem Jahr 1970 und bei tiefergehendem Interesse für das Werk ein Muss!


    Mittlerweile findet sich die Aufnahme wohl in der Erato/Warner Box zu Messiaen, die für einen gestandenen Boxologen keine Herausforderung darstellen dürfte .... :)


  • Vielleicht diesen Artikel noch als kleine Ergänzung


    Er mache Musik für Leute, die es nicht verstünden, den Vögeln zu lauschen, klagte Olivier Messiaen, auf dessen Visitenkarte „Ornithologe“ stand. Die meisten seiner Zuhörer seien ebenso wenig empfänglich für die naturkundliche wie für die religiöse Dimension seiner Musik: „Ich spreche vor Ungläubigen vom Glauben, über Vögel vor Leuten, die sie nicht mögen, von Rhythmen und Klangfarben vor Tauben und Blinden.“


    https://www.klassikinfo.de/mes…atalogue-doiseaux19071-2/

  • Das erste Buch gibt es gespielt von Yvonne Loriod auch mit Noten im Web. Man kann sich wahrscheinlich damit eine viel bessere Vorstellung von der Musik machen, wenn man sie noch nicht kennt




    Auch Aimard findet sich live mit einem Vogel im Web. Es ist die Heidelerche aus dem dritten Buch



    Um das Bild abzurunden nun auch noch die Heidelerche (ich kenne mich wirkllich nicht gut in der Vogelwelt aus und gehöre zu den Ignoranten von denen Messiaen spricht.)


    heidelerche.jpg

  • Ich erlaube mir eine Hinweis für diejenigen, die nicht so gerne Opern hören.


    In Messiaens Oper Saint Francois D'Assise gibt es im 2. Akt

    "Petit concert d'oiseaux",

    "Le Prêche aux oiseaux",

    "Grand concert d'oiseaux"

    und dazu noch ein unterhaltsames Kurzvideo, in dem Messiaen begleitet von einer Pianistin, die Vogelstimmem erklärt (mit englischen Unteriteln), gefolgt von einem Video "Abîme des oiseaux" für Klarinette.

    Alles Gute und einen Gruß von Orfeo

  • Lieber Orfeo, herzlichen Dank für Deine Hinweise. Ich gehöre zum Zielbild Deines Beitrages und werde schauen, dass ich mir die Stücke ansehen werde.

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  • Genau das oben beschriebene Publikum wäre ja nun wirklich dazu geeignet, diese Musik zu hören, empfangen, sie möglichst nutzbringend im Inneren zu bewegen.

    Messiaen scheint in der Mitteilung unter # 2 sich evtl. negativ zu äussern, doch ist dieses nicht mehr als meine vage Vermutung. Ich neige dazu, mir einen Zusammenhang zu verschaffen.


    Ich habe die Aimard- Version seit wenigen Wochen zuhause und mehrfach hineingehört. Ich bin froh, dass es diese "Klavierübersetzung(en)" gibt. Dem Vogelgesang lausche ich häufig, wenn auch nicht systematisch (versuche auch, meine physiologisch- physikalische Vorbildung nutzbringend anzuwenden)


    Die religiöse Seite ist im Zusammenhang mit Mess. auch ein wichtiges Thema, gleichwohl von anderer Gestalt und Relevanz für mich.

  • Als Betreuer des Gefiederten Freunde-Threads, muss ich die Intention Olivier Messiaens für den Catalogue d'oiseaux in Erinnerung bringen, das Wunder des Vogelgesanges darzustellen.


    astewes hat in Beitrag 1 aus dem Kammermusikführer zitiert, wie sich der Komponist dazu geäussert hat.


    La Rousserolle effarvatte (Teichrohrsänger), der Teil VII aus dem 4. Heft ist mit einer halben Stunde Dauer die umfangreichste Vertonung des Vogelgesanges. Wie der vierte Satz und wie Messiaens früheres Reveil des oiseaux beschreibt es mehr als einen Tag voller Vogelgezwitscher, an dem Dutzende Vögel zu hören sind.


    Aufschlussreich ist der in französischer Sprache verfasse Begleittext und die genauesten Spielanweisungen und Erklärungen Olivier Messiaens, den man in diesem You Tube Beitrag zu Beginn und während des Vortrages nachlesen kann. Wer der französischen Sprache nicht mächtig ist, dem kann ein Wörterbuch oder ein Übersetzungsprogramm hilfreich sein.


    Der kleine unscheinbare Vogel hat einen Gesang in seinem Revier des Schilfbestandes, den der Komponist mit pianistischen Mitteln darstellt. Es muss dem Hörer bewusst sein, dass auch das Habitat miteinbezogen ist. Deshalb die gewaltigen Klangmassen.



    Schaut man dem Teichrohrsänger zu, während er seinen Gesang erschallen lässt, wird schnell klar, warum er singt. In der Natur wird nichts dem Zufall überlassen, dazu ist die aufgewendeten Energie zu kostbar.



    .

    Vor Schuberts Musik stürzt die Träne aus dem Auge, ohne erst die Seele zu befragen:
    so unbildlich und real fällt sie in uns ein. Wir weinen, ohne zu wissen warum; Theodor W. Adorno - 1928




  • Ich bin froh, dass es diese "Klavierübersetzung(en)" gibt. Dem Vogelgesang lausche ich häufig, wenn auch nicht systematisch (versuche auch, meine physiologisch- physikalische Vorbildung nutzbringend anzuwenden)

    Ich bin im wesentlichen nur ein Bewunderer von Amseln (die höre ich jeden Morgen mit Vergnügen). Den Teichrohrsänger habe ich jetzt nur über die kleinen Videos von moderato wahrgenommen.


    Der kleine unscheinbare Vogel hat einen Gesang in seinem Revier des Schilfbestandes, den der Komponist mit pianistischen Mitteln darstellt. Es muss dem Hörer bewusst sein, dass auch das Habitat miteinbezogen ist. Deshalb die gewaltigen Klangmassen.

    lieber moderato vielen Dank für die hilfreichen Ergänzungen. Ich habe mir jetzt noch einmal das Werk in Zusammenhang mit dem Orginalgesang angehört. Für mich bleibt es allerdings ein Wunder, wie der Klaviersatz hier den akustischen Pfaden des kleinen Vogels folgt. (Wenn ich das richtig höre, kommen Messiaens rhythmischen "Erfindungen" zum Einsatz und auch Reihen) Dass das Habitat des Vogels von Messiaen einbezogen wird, gehört sicher zu seiner Vorstellung von Welt. Das alles kommuniziert musikalisch miteinander und dieses Klavierwerk erscheint als eine Art künstlerischer Glorifizierung ...

  • Gestern war ich einen ganzen Tag hörend in einem Naturschutzgebiet unterwegs und habe den Vogelgesang verfolgt. Dazu muss man sich selbstverständlich vorbilden, damit man die charakteristischen Tonfolgen und Rufe erkennt.


    Heute morgen war auf dem Dachfirst minutenlang eine Amsel zu hören, die ich wegen ihres variationsreichen Gesanges schätze. Wenn der Tag so beginnt, ist er schon mal unter einem guten Stern. Es war viertel vor Fünf, Sonnenaufgang war um 05:30 h. Der Vogel hat sich präzise an die sogenannte Vogeluhr gehalten.


    https://www.nabu.de/tiere-und-…egel-bestimmen/20663.html


    Es muss den Menschen klar sein, dass Vögel nicht zu ihrer Freude sich vernehmen lassen. Revierabgrenzung und Partnerfindung sind die Hauptgründe.


    Diese kostenlose Basis-App des NABU ist hilfreich. Für 3.99 Euro kann man noch für 308 Vögel den passenden Vogelruf herunterladen. Weitere Ergänzungen stehen zum kostenpflichtigen Download bereit. Wer weiss, was das Erstellen einer App kostet, zahlt den Preis gerne. Ich kann das Engagement des NABU nur empfehlen.


    https://www.nabu.de/natur-und-…ngeltoene/vogelwelt.html#

    Vor Schuberts Musik stürzt die Träne aus dem Auge, ohne erst die Seele zu befragen:
    so unbildlich und real fällt sie in uns ein. Wir weinen, ohne zu wissen warum; Theodor W. Adorno - 1928