Betrifft – Wozzeck am 3.4.2022 / Staatsoper Wien
Sehr geehrter Herr Simon Stone !
Ich wende mich an Sie mit einigen Fragen zu der oben angeführten Produktion – ich hoffe, dass Sie die Zeit haben werden diese bei Gelegenheit zu beantworten.
Da wir uns persönlich nicht kennen möchte ich mich kurz vorstellen – ich bin ein regelmäßiger Besucher der Wiener Staatsoper, zahle meine Eintrittskarten selbst und stimme daher mit meinem eigenen Geld ab – ich nehme mir das Recht heraus nur Produktionen (wieder) zu besuchen, die mir auch gefallen (aus diesem Grund genügte mir die TV-Übertragung der Traviata – ich möchte nicht unbedingt Geld ausgeben um die Violetta in Gummistiefeln vor einem Traktor zu sehen). Da ich das Stück auch gut kenne (ich bin nach wie vor ein großer Freund der vorherigen Inszenierung) schaute ich mir auch nicht diverse Einführungsvideos an – warum auch? Wie schon angesprochen, ich kenne das Stück und mir sind auch einige Anekdoten von der Wiener Erstaufführung bekannt, wo ein Philharmoniker seinerzeit meinte „Bei der Oper müssen’s nach dem ersten Akt neue Freikarten ausgeben“. Sie wissen wahrscheinlich (ich bin mir nicht sicher, ob Sie als Regisseur die musikalische Struktur der Oper interessiert), dass sich der erste Akt aus fünf Charakterstücken zusammensetzt, zu denen Suite, Passacaglia und Rhapsodie zählen, der zweite Akt de facto eine fünfsätzige Symphonie ist und der dritte Akte aus sechs Inventionen besteht. Dass Alban Berg nur 15 von insgesamt 27 Szenen aus Georg Büchners Theatermanuskript verwendete und diese mit insgesamt 12 Verwandlungsmusiken miteinander verknüpfte. Aber ich schweife ab..
Nun zu meinen Fragen bzw. Anmerkungen.
Muss man das Stück von Büchner, das in den 1820er-Jahren spielt, unbedingt in die Jetztzeit transportieren? Klar, man kann das machen, allerdings – und vielleicht bin ich da ein bisserl beckmesserisch – sollte man da (wenn es nun wirklich sein soll) den Text nicht komplett außer Acht lassen. Ich muss Ihnen zugestehen, dass dies großteils gelungen ist, aber leider nicht immer. Und so wurde von Ihnen eine der erschüttersten Schlussszenen der Operngeschichte meiner Meinung nach vollkommen in den Sand gesetzt.
Ist es nicht so, dass die Kinder dem Sohn der Marie zurufen – „Du! Deine Mutter ist totl!“. Und dieser reitet auf einem Steckenpferd und antwortet darauf „Hopp, hopp. Hopp, hopp. Hopp, hopp.“ Also, in der Vorgängerinszenierung wurde man vom Grauen erfasst. Nun sind Steckenpferde im 21. Jahrhundert – zumindest in unseren Breiten – schon längst „out“, wie man auf Neudeutsch sagt. Der Spielzeug-Feuerwehrwagen als Ersatz? Perque??? Das geht doch nicht zusammen – konsequenterweise hätten Sie dann das Kind gleich „Tatü Tata“ sagen lassen können (was es sogar im korrekten Rhythmus sprechen hätte können). Ich meine – wenn schon, denn schon. Man kann nicht nur ein bisserl schwanger sein…
Anderes ist Ihnen sehr gut gelungen – das muss ich sehr wohl zugestehen. Die erste Szene im Rasiersalon passt (obwohl, wenn Sie konsequent gewesen wären, es in Wien hauptsächlich sogenannte „Barber-Shops“ gibt – die entsprechende Einrichtung wäre von Ihrem Bühnenbildner Bob Cousins eigentlich leicht herzustellen gewesen), ich mochte wirklich den Einsatz der Drehbühne (ja, mit Einschränkungen – weniger wäre da mehr gewesen) und fand die Szenen, in denen sich Wozzeck den Verrat, den Marie mit dem „Tambourmajor“ begeht, eindringlich dargestellt. Überhaupt konnte ich mit der Wohnung recht viel anfangen – das ist Ihnen gut gelungen!
Die Szene am Arbeitsamt – nun, im Prinzip gut gelungen (aber zu viel Rotation!!), aber (und Sie wissen, alles was vor einem „aber“ kommt, zählt im Prinzip nicht) – da stimmte einfach die Umgebung mit dem Test nicht überein. Klar, Stecken Schneiden gehört heutzutage nicht unbedingt zu den Tätigkeiten, die man so macht… Und überhaupt – wollten Sie andeuten, dass Wozzeck illegal arbeitet? Oder ist sein Job im Rasiersalon einer, wo er geringfügig beschäftigt ist? Das ergibt dann doch einen Sinn…
Die Szene beim Doktor – glauben Sie mir, ich hatte im Vorjahr eine Darmspiegelung (ja, zu viel Information) und ein Patient wird dabei sediert, weil das doch sehr unangenehm ist. Wollten Sie damit andeuten, dass der Arzt ein Sadist ist und Wozzeck eine masochistische Ader hat? Ich bitte Sie um Erleuchtung dazu! Und glauben Sie mir, unter Tags pinkelt man in Wien nicht mitten auf die Straße (kann nach Mitternacht bei entsprechendem Alkoholkonsum durchaus passieren – aber ich denke nicht, dass diese Untersuchung nach Mitternacht stattgefunden hat).
Kollegen von mir, die Ihre Produktion rezensierten, mokierten sich auch darüber, dass sie die Szene mit dem Hauptmann, dem Arzt und Wozzeck in einem Fitnessstudio spielen ließen. Also ich fand diese recht witzig. Klar, Wozzeck kann sich eine Mitgliedschaft dort nicht leisten, aber vielleicht ist er ja dort „schwarz“ als Putze angestellt. Wollten Sie das damit andeuten? Da bitte ich auch um Antwort!
Herr Stone, kennen Sie das Wiener U-Bahn-Netz? Ich nehme an „nein“, weil sonst hätten sie niemals die Station in Simmering (da komme ich manchmal vorbei) als Sandlertreff inszeniert. Und was ritt sie als sie ein Gschnasfest mit Plüschhäschen dem Publikum zumuteten? Ich bitte Sie da auch um Erklärungen.
Wo spielte eigentlich die Szene des Mordes? Viele tippen auf die Donauinsel, könnte es auch der Laaerberg gewesen sein? Egal, aber warum entsorgte Wozzeck die Marie nicht im Wasser? Warum ließen sie ihn in einen Kanal (?? – zumindest sah ich da einen Deckel) fallen und dort ertrinken? Warum wurde er dann mittels ?? (was weiß ich) emporgehoben und sah dann wie ein Gekreuzigter aus? Fragen über Fragen – und wieder einmal bitte ich sie um eine logische Erklärung.
Aber ich möchte mit etwas Positivem in Bezug auf die Inszenierung enden – dem Würstelstand, wo es Marie und der Tambourmajor (okay, ein Polizist – genauso wie der Hauptmann – soll sein..) öffentlich ziemlich trieben. Diese Szene ist sogar realistisch. Vor vielen Jahren beobachtete ich dies am Franz-Jonas-Platz in Floridsdorf – na, da hab‘ ich aber geschaut! Ich möchte Ihnen da eine kleine Geschichte erzählen. Auf ebendiesem Hotspot gab es zwei Würstelstände. Einer, der „Pohlenz“ bei der BAWAG, dann über die Straße am Pius-Parsch-Platz den anderen, „Otto“ genannt. Den gemeinen Floridsdorfer konnte man zu dieser Zeit in zwei unterschiedliche Spezies einteilen. Es geht da um das Kulturgut des „Kleinen Mannes“ – die Burenwurst. Man ging entweder zum Pohlenz auf „a Haaße“ oder eben zum Otto – es war absolut unmöglich einmal beim einen und dann wieder zum anderen zu gehen. Ich war ein „Pohlenz-Floridsdorfer“ – und wenn ich manchmal mit einem Freund, ein „Ottoianer“ spätabends Gusto auf eine Wurst hatte, dann trennten sich für 15 Minuten unsere Wege, weil man seinem Würstelstand einfach nicht untreu wurde!
Nach diesem Exkurs wieder zum Gesehenen und Gehörten. Ich unterstelle Ihnen, dass sie der letzten Aufführung dieser Premierenserie nicht mehr persönlich beiwohnten. Deshalb, und ich hoffe, dass sie das interessiert, noch einige Worte zur (gar nicht so unwichtigen 😉 ) musikalischen Seite des Abends.
Wie schon oben erwähnt stand das Orchester der Wiener Staatsoper dem Stück anfangs sehr kritisch gegenüber, aber anscheinend wächst ihm offenbar gerade das besonders ans Herz, was es zuerst am vehementesten ablehnt. Es gibt ja von ihnen zwei Gesamtaufnahmen, die gute unter Christoph von Dohnanyi und die außergewöhnlich unter Claudio Abbado, von der es ja auch eine DVD gibt. Auch an diesem Abend zeigten sich die Philharmoniker von ihrer besten Seite, angeführt vom Dirigenten Philippe Jordan, der sehr sängerfreundlich dirigierte. Dies war teilweise auch darauf zurückzuführen, dass der Wozzeck dieser Premierenserie, Christian Gerhaher, ein hervorragender und extrem wortdeutlicher Liedersänger ist, aber nicht unbedingt das „Organ“ für ein Haus wie die Staatsoper hat. Ich empfand auch die Personenführung etwas – nun, ich möchte sagen, „beiläufig“. Die gequälte Kreatur der „armen Leut“ habe ich schon besser dargestellt gesehen.
Anja Kampe blieb etwas blass – und ja, auch da fehlte es mir an der Eindringlichkeit, zur der Sie die Sängerin durch entsprechendes Verhalten auf der Bühne eigentlich hätten führen müssen.
Jörg Schneider war ein guter Hauptmann (der mir allerdings in der Salome besser gefallen hat), eine tolle Leistung erbrachte als Narr Thomas Ebenstein. Positiv empfand ich die Leistungen von Peter Kellner und Stefan Astakhov als 1. und 2. Handwerksbursch. Auch Josh Lovell als Andres wusste zu gefallen.
Dmitry Belosselskiy war ein solider Doktor (mehr nicht), ebenso hinterließ Margaret Plummer keinen bleibenden Eindruck. Schlussendlich wäre da noch der Tambourmajor Sean Pannikar zu erwähnen – der gut gewachsen ist und man nachvollziehen konnte, dass die Marie auf ihn „abfährt“, um es im Dialekt der Wiener Vorstand (bzw. der Arbeiterbezirke) zu sagen. Gesanglich blieb er „rollendeckend“.
So – das wäre es im Großen und Ganzen, was ich Ihnen schreiben wollte. Ob ich mir diese Oper in Ihrer Produktion noch einmal anschauen werde mögen Sie sich fragen? Trotz aller Einwände ja – aber nicht unbedingt wegen Ihrer Inszenierung.
Nichts für ungut, ich hoffe, dass Sie mir die eine oder andere Frage beantworten können und verbleibe
mit freundlichen Grüßen
Kurt Vlach