Die russische Pianistenschule - europäisch und international

  • Ich möchte noch einmal auf Rudolf Kehrer zurückkommen, der mich wie schon gesagt, in meiner Jugend stark beeindruckte. Auf youtube gibt es einige Ausschnitte aus Konzerten, als Video oder Audio und (leider nur) einen kleinen Ausschnitt aus der genannten Fernsehsendung. Hier spielt Kehrer das 2. Klavierkonzert von Rachmaninow:



    Der Mitschnitt ist aus 1978, wer Dirigent und Orchester sind, erschließt sich mir nicht.


    :hello:

    Wenn schon nicht HIP, dann wenigstens TOP

  • Lieber Holger, eine gute Idee, diesen Thread über die russische Pianistenschule aufzulegen, wo viele derzeit nicht gut auf Russen zu sprechen sind. Die Russen können sich glücklich schätzen,. über viele sehr gute Pianisten/innen verfügen zu können.

    :hello:

    Ja, das sehe ich auch so! Ein wichtiger Thread, wobei ich den Eindruck habe, dass aus der sogenannten russischen Klavierschule in den letzten Jahren nur noch wenige außergewöhnliche Künstler wie bspw. Denis Kozhukin oder der bekannte Daniil Trifonov hervorgegangen sind. Oder täusche ich mich?

    Viele Grüße, Christian

  • Es lohnt, etwas unter den beim Werbepartner erhältlichen CDs zu stöbern. Dazu das eingestellte Cover anklicken und auf die blauen Buchstaben RCD klicken.

    Lieber Moderato,


    herzlichen Dank für den wertvollen Hinweis! Unter diesem Namen wurden auch früher CDs aus Russland vermarktet. Ich habe einige aus dieser älteren Serie:


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    Maria Grinberg (1908-1978) stammte aus einer jüdischen Familie. Bis 1917 hatte ihre Familie ein ruhiges Leben. Mit der Machtergreifung der Kommunisten änderte sich dies.

    Ein wunderbarer Bericht über ihre Biographie! Obwohl ich ja so viel aus der russischen Pianistenschule in meiner Sammlung habe - Grinberg ist mir leider bislang "durch die Lappen gegangen". Fortsetzung wird nehme ich an folgen!? :) :hello:


    Schöne Grüße

    Holger

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    Alexei Botvinov mit Daniel Hope


    1994 besuchte ich mit meinem Freund L. als Zuschauer den Düsseldorfer Robert Schumann-Wettbewerb. Damals lernten wir den späteren 3. Preisträger - den Wettbewerb, in der Jury saßen u.a. Martha Argerich und Vladimir Ashkenazy, gewann Anna Gourari - kennen, den sehr sympathsich-bescheidenen ukrainischen Pianisten Alexei Botvinov. Mit ihm besuchten wir zusammen ein Konzert im Schloss Benrath. Danach habe ich ihn aus dem Blick verloren. Als dann aber seine CD mit den Sonaten von Schnittke erschien, die er zusammen mit Daniel Hope eingespielt hat, habe ich sie mir natürlich hoch erfreut sofort gekauft:



    Botwinow ist politisch sehr engagiert - schon 1914 hat er sich klar im Ukraine-Konflikt positioniert:


    https://www.deutschlandfunkkul…a-russland-lehnt-100.html


    https://taz.de/fileadmin/static/pdf/odessa.pdf


    Aktuell sein Appell zusammen mit Daniel Hope:


    https://www.arte.tv/de/videos/…hope-und-alexej-botwinow/


    Einen Wikipedia-Artikel mit seiner Biographie gibt es leider nicht.


    Schöne Grüße

    Holger

  • Ich möchte an eine russische Pianistin erinnern, die in meinem Leben eine wichtige Bedeutung hatte. Es ist Maria Judina (*1899 - †1970), eine sowjetische Pianistin, die ihr Land so gut wie nie verlassen hat und in meinen Augen (Ohren) zu den wichtigsten Pianisten gehört. Sie gehört sicher auch zu den eigenwilligsten. Ich meine damals durch sie Klaviermusik von Ernst Krenek kennengelernt zu haben.


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    Es gab damals (Anfang 80) ein paar LP-Boxen mit ihren Einspielungen, die ich mir sofort holte



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    Ihr Spiel unterschied sich von vielem (fast allem) was ich damals kannte. Genauigkeit im Notentext war wohl ihre Sache nicht. Hört man ihren Beethoven (speziell op. 111) wird man einem Wechselbad der Gefühle ausgesetzt. Ihre Einspielung von Schostakowitschs zweiter Klaviersonate (auch durch sie kennengelernt) konnte mir damals die Person in ihrer Zerissenheit so präsent machen, wie ich es selten danach wieder gehört habe. Sie war sicher ein schwieriger Mensch, der im hohen Alter dann als sonderlich angesehen wurde. Da ihr Programm häufig so gestaltet war, dass es in der damaligen Sowjetunion verboten war, war die Rolle des Sonderlings (oder Gottesnarren) sicher nicht schlecht für das Überleben.



    Richter, Notebooks: “Maria Veniaminovna Yudina was a monstre sacré. I knew her, but only from afar – it has to be said that she was so odd that everyone avoided her. For her own part, she showed herself somewhat suspicious and critical of me. She said of me: ‘Richter? Hmm… As a pianist, he’s good for Rachmaninoff.’

    From her lips, that wasn’t a compliment, even though she herself occasionally played Rachmaninoff.

    Das ganze Zitat befindet sich hinter dem Link.


    Richter schreibt irgendwo in diesem Text dass ihre Konzerte eine außergewöhnliche Intensität hatten und er dann Kopfschmerzen hatte, was ich nachvollziehen kann. Ich höre ihre Einspielungen nur noch selten, aber wenn haut es mich immer wieder um.


    Noch einmal Richter


    Zitat

    Liszt’s Weinen und Klagen was phenomenal, but Schubert’s B-flat major Sonata, while arresting as an interpretation, was the exact opposite of what it should have been, and I remember a performance of the Second Chopin Nocturne that was so heroic that it no longer sounded like a piano but a trumpet. It was no longer Schubert or Chopin, but Yudina.


    Um etwas mehr über ihr Leben zu erfahren, als es der Wikipedia Eintrag erlaubt. Untertitel sind erfreulicherweise in Englisch



    Hier nun Judina mit Liszts Varitionen über Weinen, Klagen Sorgen, Zagen



    Hier spielt sie "Schuberts" Impromptus D 899



    Und hier spielt sie Ernst Kreneks zweite Klaviersonate


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  • Ich möchte noch einmal auf Rudolf Kehrer zurückkommen, der mich wie schon gesagt, in meiner Jugend stark beeindruckte. Auf youtube gibt es einige Ausschnitte aus Konzerten, als Video oder Audio und (leider nur) einen kleinen Ausschnitt aus der genannten Fernsehsendung. Hier spielt Kehrer das 2. Klavierkonzert von Rachmaninow:

    Lieber Timmiju,


    fabelhaft! Kehrer spielt das mit russischem Expressivo aber zugleich glasklar! :)


    Das Gesicht des Dirigenten habe ich schon mal gesehen...


    Das macht diese Box um so attraktiver:



    Schöne Grüße

    Holger

  • Lieber Timmiju,


    fabelhaft! Kehrer spielt das mit russischem Expressivo aber zugleich glasklar! :)

    Das Gesicht des Dirigenten habe ich schon mal gesehen...

    Das macht diese Box um so attraktiver:

    Ja mir kommt der Dirigent auch nicht unbekannt vor, danke für den CD-Tipp! Bin jetzt eine Woche verreist und werde dann darauf zurückkommen.

    :hello:

    Wenn schon nicht HIP, dann wenigstens TOP

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    Christophe Sirodeau (geb. 1970 in Paris)


    Ein französischer Pianist - sollte man im Falle des in Paris geborenen Komponisten und Pianisten Christophe Sirodeau meinen. Er studierte am Conservatoire de Paris bei Alain Poiriers, doch seine kompositorischen Kenntnisse verdankt er maßgeblich dem russischen Musikwissenschaftler Vladimir Chinayev sowie der russisch-schwedischen Komponistin Victoria Borisova-Ollas. Vor allem aber studierte er am Moskauer Tschaikoswky Konservatorium bei Yevgeny Malinin, einem Schüler von Heinrich Neuhaus.


    Sirodeaus Prägung durch die russische Pianistenschule führte zu seiner intensiven Beschäftigung mit dem Werk des Pianisten und Komponisten Samuel Feinberg - unüberhörbar einer der "Scriabinisten" in Russland. Sirodeau führte seit den 1930iger Jahren zum ersten Mal dessen 1. Klavierkonzert auf und auch dessen Lieder:





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    https://de.wikipedia.org/wiki/Samuil_Jewgenjewitsch_Feinberg


    Der in Odessa geborene Samuel Feinberg (1890-1962), Schüler von Alexander Goldenweiser, ist einer der profiliertesten Vertreter der russischen Pianistenschule. Seine intensive Beschäftigung mit Johann Sebastian Bach führte nicht nur zu seiner vielbeachteten Aufnahme des Wohltemperierten Klaviers. Bis heute gerne gespielt werden auch seine Bach-Transkriptionen für Klavier. In meiner Sammlung befindet sich seine nach wie vor exemplarische Aufnahme der Mazurken von Alexander Scriabin:


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    Schöne Grüße

    Holger

  • Samuel Feinberg hat 12 Klaviersonaten im Scriabin-Stil komponiert. Damit habe ich mich bislang nicht beschäftigt, sie sind aber sehr originell, meinen Hörproben zufolge.


    Auch Marc-Andre Hamelin hat sich mit Feinberg beschäftigt und die Sonaten Nr. 1-6 eingespielt, 2019 erschienen. Mir gefällt aber - wiederum den Hörschnipseln zufolge - die ältere Aufnahme mit Nikolaos Samaltanos und Christophe Sirodeau besser, sie ist extrovertierer, pointierter, expressiver. Hamelin fand ich ein bisschen stromlinienförmig glatt:





    Schöne Grüße

    Holger

  • Als Pianist hat Feinberg Bachs wohltemperiertes Klavier wohl zum ersten Mal in der Sowjetunion vollständig aufgeführt. Eine Vorstellung von Feinbergs Bach liefert die ausgezeichnete 3 CD Box


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    die der Sponsor gerade nicht anbietet, die aber hinter den sieben Bergen bei den sieben ... noch erhältlich ist. Wer kein Risiko eingehen will (es lohnt sich trotzdem), der kann auch bei YT mal reinschauen.



    Feinberg als Komponist verschwindet historisch hinter dem Pianisten. Ein nicht seltenes Phänomen bei solchen Doppelbegabungen. Neben den schon erwähnten Einspielungen von Sirodeau und Samaltanos und Hamelin, spielt auch die Amerikanerin Jenny Lin seine Werke. Der Brite Martin Roscoe bietet bei hyperion seine Transkriptionen der Musik von Bach an. Für Nicht-Puristen eine kleine Schatztruhe bei einem Bach-Kenner dieses Niveaus.



    Feinbergs Weg als Komponist beginnt bei Skrjabin. Mit der sechsten und siebten Klaviersonate geht er dann ziemlich neue Wege, die aber mit der Arrestierung seines Lehrers Nikolai Schiljajew unter Stalin wieder in konservativere Bahnen fanden. Für die sechste Klaviersonate verweise ich auf


    Die Klaviersonate in der individuellen Musikrezeption

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  • Feinbergs Weg als Komponist beginnt bei Skrjabin. Mit der sechsten und siebten Klaviersonate geht er dann ziemlich neue Wege, die aber mit der Arrestierung seines Lehrers Nikolai Schiljajew unter Stalin wieder in konservativere Bahnen fanden. Für die sechste Klaviersonate verweise ich auf

    Dazu gibt es ja Parallelen bei Prokofieff etwa - die neoklassizistischen Tendenzen. Dazu ist der schöne Begriff der "subversiven Anpassung" geprägt wurden. Interessant ist im Falle von Feinberg, dass sein Lehrer Alexander Goldenweiser sehr konservativ und am klassisch-romantischen Repertoire orientiert war. Lazar Berman, Goldenweisers Lieblingsschüler, wollte unbedingt Prokofieffs 8. Klaviersonate lernen - Goldenweiser konnte ihn da aber nicht unterrichten. Also hat sich Berman auf den Weg gemacht und bei Svjatoslav Richter an der Haustür geklingelt, der ihm dann den gewünschten Unterricht in Sachen Prokofieff gab. Ein schönes Beispiel für die Individualität der russischen Lehrer!


    Hier gibt es noch eine neuere Aufnahme (2019) mit u.a. der 12. Sonate von Feinberg, dazu Sonaten von Prokofieff, Sviridov und Weinberg:



    Anastasia Yasko ist eine 1991 geborene russische Pianistin, die wiederum sehr gut den internationalen Charakter der Pianistenausbildung heute und die weltweite Vernetzung von Absolventen der russischen Pianistenschule demonstriert. Sie hat nicht nur in Moskau bei Vera Gornostaewa studiert, sondern auch am Mozarteum Salzburg bei Rolf Plagge und Jacques Rouvier.


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    https://chopin2020.pl/en/competitors/159/anastasia-yasko

    Schöne Grüße

    Holger

  • Das ist mir als Statement wichtig für meine Motivation, diesen Thread zu eröffnen, so dass ich es hier extra einstelle:


    :!: Wer ist nun "russischer" bzw. mehr ein "russischer Pianist"? Der Franzose Christophe Sirodeau, der in Moskau studiert hat oder die Russin Amastasia Yasko, die in Österreich, in der Mozart-Stadt Salzburg, studierte? Die Pianisten sind heute nahezu alle was ihre Prägung durch nationale Schulen angeht Hybride. Den "rein russischen" Pianisten gibt es genauso wenig wie den "rein französischen" Pianisten. Genau das zeigt, wie unsinnig es ist, die "Russen" vom Rest der Pianistenwelt isolieren zu wollen. Wenn man das Ernst meint, dann müsste man Katerorien aufmachen wie halbrussische, viertelrussische und achtelrussische Pianisten. Die Lächerlichkeit eines solchen Unterfangens spricht für sich! :!:

  • Interessant wäre sicher ein Blick auf Pianisten der DDR, deren internationale Ausbildung ja hauptsächlich auf die russische Schule beschränkt war.

    Als Beispiele nur zwei von ihnen: Peter Rösel und Annerose Schmidt

    Lieber Orfeo,


    leider haben beide nicht die Bekanntheit im Westen, die sie verdienen. Ich sehe gerade, dass Annerose Schmidt am 10. März verstorben ist:


    https://de.wikipedia.org/wiki/Annerose_Schmidt


    Peter Rösel hatte Dimitri Baschkirow als Lehrer und Lev Oborin, bei dem auch Vladimir Ashkenazy studierte:


    https://de.wikipedia.org/wiki/Peter_R%C3%B6sel


    Das war natürlich die Zeit des "eisernen Vorhangs" und für die Pianisten aus den Warschauer Pakt-Staaten kaum möglich, im Westen zu studieren. Schon für Konzerte im Westen ein Visum zu bekommen, war ja ein Drama.


    Schöne Grüße

    Holger

  • Pianisten. Genau das zeigt, wie unsinnig es ist, die "Russen" vom Rest der Pianistenwelt isolieren zu wollen


    Dies Aussage entspricht DEINEM linksliberalen Weltbild das indes von der Mehrheit der Bevölkerung des westlichen Kulturkreises nicht geteilt wirerd.

    Da gibt es Privatspitäler, die keine Russen aufnehmen wollen, Firmen die ihre Geschäftsbezeihungen zu russlanf abbrechen wollen (ich meine hier die DAUERHAFTEN), Plattenfirmen die ihre russiscen Stars fallenlassen. Banken, die keine Geschäfte mehr mit Russen machen wollen. Ets - Es gibt Intendanten die keine Russen mehr beschäftigen wollen - Alle Welt meidet die Russen

    UND GENAU zu diesem Zeitpunkt startet man hier einen Thread über russische Pianisten, Pianistenschulen etc (geschenkt !!) - damit wir als linksliberales Forum verschrien sind und uns mit den Parias "solidarisieren" und dadurch im Extremfall selbst dazu gezählt und auch so behandelt werden.!!!

    die "Russen" vom Rest der Pianistenwelt isolieren


    Und ich prophezeihe: Genau DAS wir geschehen - bzw ist schon im Laufen


    Selbst wenn Intendanten hier vorerst nicht mitmachen - halbleere Konzertsäle werden sie auif Kurs bringen.

    Wir müssen davon asgehen, daß ein Teil der hier lebenden Russen als "Botschafter Russlands" gesehen weren kann -

    ein Land das uns einerseits mit Atomwaffen droht und - schon Realität - unserern Lebensstandard auf Grund des durch des von ihm mutwillig verursachten Kriegs durch Preiserhöhungen senkt . Schon Grund genug jemanden zu hassen, der negativen Einfluss auf unser Leben nimmt. Abgesehen von den Kosten für die Flüchtlinge die unsere Regierungen so bereitwillig aufnehmen - ohne uns zu fragen - und auf unsere Kosten.

    Ausgrenzen ist leider die einzige Waffe die uns zur Verfügung steht. Und ich bin überzeugt, daß die exzessiv genutzt wird...


    ich selbst bin aber kein "Aktivist" - lediglich stiller Beobachter...


    mfg aus Wien

    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



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  • Dies Aussage entspricht DEINEM linksliberalen Weltbild das indes von der Mehrheit der Bevölkerung des westlichen Kulturkreises nicht geteilt wirerd.

    Du lenkst jetzt politisierend ab und gehst nicht auf das ein, was ich gesagt habe. Ich habe schlicht eine ganz unpolitische "Bestandsaufnahme" an zwei Beispielen vorgeführt, dass es nicht möglich ist, überhaupt klar zu definieren, was ein "russischer Pianist" ist. Wenn gemeint ist, einer, der durch die russische Pianistenschule geprägt ist, dann muss man heute sagen, dass die Pianistenausbildung so internationalisiert ist, dass Prägungen nur durch eine nationale Pianistenschule eher die Ausnahme von der Regel als die Regel darstellen. Zur Zeit des kalten Krieges war das freilich mal anders.


    Weiter: Man kann natürlich unterscheiden zwischen der künstlerischen Identität und der Person. Wenn man schon keine Ausgrenzung nach den Pianistenschulen vornehmen kann, bleibt nur noch die Möglichkeit, sie vorzunehmen nach der Person, also der nationalen Identität. Aber auch das ist ein Konstrukt. Beispiel: Olga Scheps. Sie (so bei Wikipedia) gilt als "russische Pianistin". Geboren ist sie 1986 in Moskau. 1992 reiste aber ihr Vater mit der Familie nach Deutschland aus und lebt seitdem in Deutschland, das sind jetzt 30 Jahre! Bei der Ausreise ihrer Familie aus Russland war Olga Scheps gerade mal 6 Jahre alt - also ein Kleinkind. Zur Schule gegangen und studiert hat sie in Deutschland, ist also komplett hier sozialisiert worden, hat deutsche Freunde usw. Ihre Heimatstadt ist Köln - das sagt sie auch. Russland kennt sie höchstwahrscheinlich eher nur von Besuchen der Großmutter zu Weihnachten. Wer weiß - vielleicht hat sie inzwischen sogar einen deutschen Pass, ist also auch rechtlich gar keine Russin mehr. Ihr Kind wird sicher einen deutschen Pass haben. Also: Ist Olga Scheps überhaupt eine "russische Pianistin"? Oder nicht vielmehr eine deutsche Pianistin mit russischem Migrationshintergrund? Wenn man eine Olga Scheps, die längst in die deutsche Gesellschaft voll integriert ist, nun als vermeintliche "Russin" auf einmal wie eine Aussätzige behandeln will oder das auch nur für legitim hält - mit welcher Begründung geschieht das? Haben irgendwelche irrationalen Ängste vor den "Russen" allüberall, allgemein und überhaupt das Recht, ganz konkret das Leben und Lebenswerk solch eines Menschen zu zerstören? Und ein Kulturforum mit Niveau soll sich von solch einer Ungeheuerlichkeit nicht distanzieren können und dürfen, weil das angeblich ein "linksliberales Weltbild" ist, das es nicht vertreten will? Ganz ohne jede Politisierung betrachtet wäre so etwas ganz einfach diskriminierendes Mobbing, was man freilich von Gruppen vom rechten Rand kennt, nicht aber von der bürgerlichen Mitte der Gesellschaft erwartet, geschweige denn von einem Kulturforum mit Niveau.


    Und es gibt noch eine andere, ganz pikante Dimension. Viele russische Künstler sind ausgewandert wegen des Antisemitismus in Russland. Beispiel: Anatol Ugorski:


    https://de.wikipedia.org/wiki/Anatol_Ugorski


    Im Frühjahr 1990 wurde seine damals sechzehnjährige Tochter Dina Ugorskaja massiv von der radikalen nationalistischen und antisemitischen Pamjat-Bewegung[3] bedroht. Daraufhin flüchteten die Ugorskis überstürzt und ohne ordnungsgemäße Papiere nach Ost-Berlin.[2] Fast zwei Jahre lebte die Familie in einer Flüchtlingsunterkunft.


    Dina Ugorkaja ist eine bekannte und geschätzte Pianistin geworden. Wenn sie nicht tragisch an den Folgen einer Krebserkrankung verstorben wäre, dann dürfte sie jetzt also damit rechnen, dass sie als unerwünschte "Russin" Aufführungsverbote erteilt bekommt? Also erst werden russisch-jüdische Künstler aus ihrer Heimat vertrieben wegen Antisemitismus und dann werden sie hier, ausgerechnet in Deutschland, verfolgt wegen einer antirussischen Stimmung bestimmter Bevölkerungskreise? Das ist einfach eine unerträgliche Vorstellung!

    Da gibt es Privatspitäler, die keine Russen aufnehmen wollen, Firmen die ihre Geschäftsbezeihungen zu russlanf abbrechen wollen (ich meine hier die DAUERHAFTEN), Plattenfirmen die ihre russiscen Stars fallenlassen. Banken, die keine Geschäfte mehr mit Russen machen wollen. Ets - Es gibt Intendanten die keine Russen mehr beschäftigen wollen - Alle Welt meidet die Russen

    Bei den Privatspitälern geht es sicher um russische Oligarchen, die sich im Westen behandeln lassen. Bei den Geschäftsbeziehungen handelt es sich um Niederlassungen in Russland. Es arbeiten aber sehr viele Russen in Deutschland, z.B. IT-Spezialisten mit einer europäischen Greencard, und das schon viele Jahre. Da gilt das Arbeitsrecht wie für jeden anderen Bürger - sie sind deshalb auch nicht kündbar. Welche russischen Stars haben ihre Plattenfirma verloren? Was ist mit Sokolov, Volodos, Kissin, Maisky...? Die aktuelle Hitliste der meistverkauften Klassik-CDs beim Werbepartner JPC führt ein Russe an, der auf Nr. 1 steht: Grigory Sokolov. Du behauptest Dinge, ohne sie belegen zu können und die definitiv nicht stimmen. Ich bekomme regelmäßig Einladungen für das Klavierfestival Rhein-Ruhr. Ich kann nicht feststellen, dass da plötzlich keine Russen mehr eingeladen werden.

    UND GENAU zu diesem Zeitpunkt startet man hier einen Thread über russische Pianisten, Pianistenschulen etc (geschenkt !!) - damit wir als linksliberales Forum verschrien sind und uns mit den Parias "solidarisieren" und dadurch im Extremfall selbst dazu gezählt und auch so behandelt werden.!!!

    Als linksliberales Forum verschrien zu werden, darüber brauchst Du Dir einmal mehr nach diesen und vorherigen Ausführungen in die gleiche Richtung nun wirklich keine Sorgen zu machen. Sorgen machen sollte Dir, dass vielleicht eine Olga Scheps, ein Igor Lewit, die im Internet sehr präsent sind mit viel öffentlicher Resonanz, oder auch eine einflussreiche Persönlichkeit wie Daniel Barenboim, der mit der russischen Pianistin Elena Bashkirova verheiratet ist, von dieser bizarren Diskussion Wind bekommen. Dann bekommt Tamino ganz schnell den Ruf, politisch in einer ganz anderen Ecke zu stehen....

    Und ich prophezeihe: Genau DAS wir geschehen - bzw ist schon im Laufen

    Wo sind dafür die Belege?

    Selbst wenn Intendanten hier vorerst nicht mitmachen - halbleere Konzertsäle werden sie auif Kurs bringen.

    Dann warten wir auf das nächste Konzert von Kissin oder Sokolov, das als ausverkauft gemeldet wird. Dann ist diese Frage auch geklärt!

    Wir müssen davon asgehen, daß ein Teil der hier lebenden Russen als "Botschafter Russlands" gesehen weren kann -

    ein Land das uns einerseits mit Atomwaffen droht und - schon Realität - unserern Lebensstandard auf Grund des durch des von ihm mutwillig verursachten Kriegs durch Preiserhöhungen senkt . Schon Grund genug jemanden zu hassen, der negativen Einfluss auf unser Leben nimmt. Abgesehen von den Kosten für die Flüchtlinge die unsere Regierungen so bereitwillig aufnehmen - ohne uns zu fragen - und auf unsere Kosten.

    Wer ist "wir"? Du gehst davon aus! Der Flüchtling Anatol Ugorski als Botschafter von Putins Russland? Das ist einfach nur bizarr!

    Ausgrenzen ist leider die einzige Waffe die uns zur Verfügung steht. Und ich bin überzeugt, daß die exzessiv genutzt wird...

    Waffen benutzt man im Krieg gegen Feinde, um sie zu besiegen oder zu vernichten. Diese Rhetorik überträgt das auf die Kultur, sprich: Gegen russische Künstler soll eine Art Kulturkampf geführt werden mit kriegerischen Mitteln. Sie werden - sehr gnädig - zwar nicht physisch vernichtet wie in einer militärischen Auseinandersetzung, dafür aber ihre Existenz als Künstler oder Menschen ruiniert. Richard Wagner hat in seiner berüchtigten antisemitischen Schrift schon mal so etwas vorgeschlagen. Damals waren es nicht die Russen, sondern die Juden, die angeblich nicht in die deutsche Kultur hineingehören und den deutschen Kulturmenschen Angst machen und Abscheu erregen, wo Wagner dann die Idee präsentiert, ihnen generell Berufsverbote zu erteilen, womit ihre Ausgrenzung auch faktisch spürbar vollzogen wird. Genau auf diesem Diskussionsniveau sind wir also in Deutschland wieder angelangt! Es ist einfach nicht zu fassen! :no:


    ich selbst bin aber kein "Aktivist" - lediglich stiller Beobachter...

    Für einen "stillen Beobachter" ist Deine Rhetorik aber sehr militant!


    Schöne Grüße

    Holger

  • Die russische Klavierschule entdeckt die Weite der Landschaft

    Negativ formuliert türmt die russische Klavierschule gern Akkorde, neigt sie zu kraft- und sattklangvollem Spiel und zuweilen zu willkürlichen Rubati. Positiv umgedeutet heisst das: Sie verdichtet die Harmonik, öffnet Räume und entdeckt die Weite der Landschaft. Das ist vielleicht sogar das Zentrale am Spiel russischer Pianisten: die Entdeckung der Weite, einer Seelenlandschaft, die sich ins Unendliche aussingt.

    Lieber Orfeo,


    ich wollte ja noch auf diesen schönen Charakterisierungsversuch der russischen Klavierschule eingehen und werde das auch noch tun. Beim Thema "Weite der Landschaft" gibt es einen sehr interessanten Bezug zu Rainer Maria Rilkes Russlandreise. Rilke hat die Erfahrung unendliche Weite dort sehr eindringlich beschrieben.


    Sehr lesenswert finde ich diese interessante literaturwissenschaftliche Arbeit von Laura Klauer „Denn dann war nur Klang in mir“. Die Verwandlung Russlands in ‚hörbare Landschaft‘. Rainer Maria Rilke und die russische Soundscape" die man sich als PDF-Dokument herunterladen kann. Das dürfte Dich vielleicht interessieren:


    https://forap.uni-regensburg.d…lk/article/download/30/35


    Mit schönen Grüßen am Muttertag

    Holger

  • Bisher noch nicht genannt:


    Der russische Pianist Mikhail Kazakevich wurde in Nischni Nowgorod geboren und studierte an der staatlichen Hochschule für Musik in seiner Heimatstadt, wo er unter anderem vom berühmten sowjetischen Pianisten und Professor Isaak Katz unterrichtet wurde.


    Nach seinem Studium, das er mit Auszeichnung abschloss, unterrichtete Kazakevich selbst am Konservatorium, bis ihn dann 1992 sein zunehmender beruflicher Erfolg als Musiker nach Westeuropa führte.

    Anfangs unterrichtete Kazakevich am Welsh College of Music and Drama in Cardiff und wechselte später zum Trinity Laban Conservatoire of Music and Dance in London. Außerdem unterrichtet er Meisterkurse in Großbritannien und ist als Preisrichter auf Klavierfestivals und in Wettbewerben tätig.


    Nach einer herausragenden Performance auf dem Internationalen Schubert-Wettbewerb in Dortmund wurde Kazakevich für mehrere Konzerte mit der Dortmunder Philharmonie engagiert. Außerdem gab er zahlreiche Konzerte in Deutschland und Frankreich, für die er mit dem Sonderpreis der Schubert-Gesellschaft und (für seine Darbietung von Stücken aus dem 20. Jahrhundert) mit einem Sonderpreis der französischen Organisation SACEM ausgezeichnet wurde. 1993 spielte er erstmals in der Wigmore Hall in London und wurde anschließend vom Plattenlabel BMG/Conifer unter Vertrag genommen. Seine eingespielten Alben wurden hoch gelobt und umfassen Werke von J. S. Bach, Ludwig v. Beethoven (die erstmals aufgenommenen endgültigen Versionen des 2. und 4. Klavierkonzerts mit dem English Chamber Orchestra unter Sir Charles Mackerras), Alban Berg, Frédéric Chopin, Gustav Mahler (Kazakevichs eigene Arrangements), Sergei Rachmaninov, Franz Schubert und Robert Schumann.


    „Wahrscheinlich wird man ihn als ‚eines der bestgehüteten Geheimnisse Russlands‘ bezeichnen – und das ganz zu Recht. Von all den Musikern aus den GUS-Staaten, die derzeit die Konzerthallen und Tonstudios im Westen überfluten, sollten Sie Mikhail Kazakevich auf jeden Fall Ihr Gehör schenken.” – The Times (Vereinigtes Königreich)


    „Kazakevich spielt mit der erwarteten russischen Brillanz und ist dabei sehr auf eloquente Eleganz bedacht.


    Wenn Sie ein Fan von Gilels sind, werden Sie Kazakevich lieben.


    (…) Seine technische Sicherheit und rhythmische Beständigkeit sind beeindruckend. (…) Was die stilistische Darbietung angeht, gibt es an Kazakevich rein gar nichts zu kritisieren. (…) Das facettenreiche Timbre in seinem Spiel ist äußerst überraschend. (…) Kazakevich begeistert nicht nur als sensationeller Pianist, sondern auch als Künstler von hoher Integrität.“ – In Tune (USA, Japan)in

  • Hallo Karl ,


    Vielen Dank für diesen Hinweis. Geheimtipp scheint mir die richtige Bezeichnung. Der Sponsor listet zwei CDs zu horrenden Preisen .... :). Das scheint alles zu sein. Damit man vielleicht eine Vorstellung vom Pianisten bekommt hier ein paar YTs.


    Berg und der unvermeidliche Rachmaninoff



  • Bisher noch nicht genannt:


    Der russische Pianist Mikhail Kazakevich wurde in Nischni Nowgorod geboren und studierte an der staatlichen Hochschule für Musik in seiner Heimatstadt, wo er unter anderem vom berühmten sowjetischen Pianisten und Professor Isaak Katz unterrichtet wurde.

    Lieber Karl,


    herzlichen Dank für die schöne Vorstellung! :) Kazakevish war mir bislang gar kein Begriff! Seine weingen CDs sind auf einem sehr exotischen Label (bei jpc noch nichtmals mit Abbildung und Tracks zum Reinhören! ;( ). Bei Youtube gibt es diesen Videomitschnitt eines Live-Konzertes - sehr überzeugend! Dazu spielt er eine seiner eigenen Klaviertranskriptionen von Mahler-Symphonien - hier den 2. Satz aus der 1. Symphonie. Schade, dass er da nicht mehr aufgenommen hat! Seine Aufnahmen werden hoch gelobt jedenfalls. Dank Dir habe ich ihn jetzt "auf dem Schirm", wie man so schön sagt! :hello:



    Schöne Grüße

    Holger

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  • Seine Schubert D960 CD habe ich im Secondhandladen für 1€ erstanden, die beiden Beethoven KK 2 und 4 im Netz für 3€ iinkl. Versand (sind noch im Zulauf).


    Es stimmt, daß er Gilels ähnelt, sein Spiel wirkt nie dicklich oder übertrieben ausdrucksvoll.

  • Seine Schubert D960 CD habe ich im Secondhandladen für 1€ erstanden, die beiden Beethoven KK 2 und 4 im Netz für 3€ iinkl. Versand (sind noch im Zulauf).


    Es stimmt, daß er Gilels ähnelt, sein Spiel wirkt nie dicklich oder übertrieben ausdrucksvoll.

    3 Euro ohne Versand - das ist ja zum Nulltarif! ^^ Auf solche Schnäppchen warte ich auch immer. Mal sehen, ob ich Glück habe... :hello:

  • Die russische Klavierschule entdeckt die Weite der Landschaft

    Negativ formuliert türmt die russische Klavierschule gern Akkorde, neigt sie zu kraft- und sattklangvollem Spiel und zuweilen zu willkürlichen Rubati. Positiv umgedeutet heisst das: Sie verdichtet die Harmonik, öffnet Räume und entdeckt die Weite der Landschaft. Das ist vielleicht sogar das Zentrale am Spiel russischer Pianisten: die Entdeckung der Weite, einer Seelenlandschaft, die sich ins Unendliche aussingt. (Thomas Meier)


    Was ist "russisch" an der russischen Klavierschule?


    Es gibt im Grunde zwei Ansätze, wie man sich der Charakterisierung der russischen Klavierschule nähern kann historisch und systematisch:


    1. die empirisch-historische Betrachtung

    2. die Stilanalyse


    Zu 1.: Empirisch-historisch ist, wenn man die verschiedenen Einflüsse betrachtet, die Zeugnisse von berühmten Lehrern wie Heinrich Neuhaus analysiert etc.


    Der andere Ansatz (2.) ist die Stilanalyse - wofür die oben betrachtete Charakterisierung von Thomas Meier steht. Sie hat ihre Quellen in der Lebens- und Kulturphilosophie, die davon ausgeht, dass sich eine "Kultur" in einem einheitlichen Lebensstil zeigt, der alle Bereiche durchzieht. Dieser Ansatz findet sich etwa - um zwei prominente Namen zu nennen - bei Jacob Burckhardt und Friedrich Nietzsche. In Russland waren es vor allem Literaten, die daran "gearbeitet" haben gleichsam, das Bild des originär "Russischen" zu zeichnen als einen identifizierbaren Nationalcharakters: Dostojewski, Tolstoi oder Gogol. Sie sind viel von westlichen Literaten wiederum gelesen worden. Thomas Meiers Charakterisierung scheint mir von Rilke beeinflusst zu sein. Oben hatte ich eine interessante Arbeit dazu verlinkt:


    Sehr lesenswert finde ich diese interessante literaturwissenschaftliche Arbeit von Laura Klauer „Denn dann war nur Klang in mir“. Die Verwandlung Russlands in ‚hörbare Landschaft‘. Rainer Maria Rilke und die russische Soundscape" die man sich als PDF-Dokument herunterladen kann. Das dürfte Dich vielleicht interessieren:


    https://forap.uni-regensburg.d…lk/article/download/30/35

    Man kann natürlich grundsätzlich aus heutiger Sicht skeptisch gegenüber solchen nationalistischen und kulturphilosophischen Sichtweisen sein, deren Stiftung mehr 100 Jahre und mehr zurückliegt. Im Falle Rilkes ist es das Russland-Bild eines "Westlers" stark beeinflusst von der deutschen Romantik und insbesondere der romantischen Naturphilosophie. Allerdings halte ich solche Stilbetrachtungen durchaus für legitim: Es ist ja so, dass insbesondere die Komponisten diese Literatur gelesen haben und die Interpreten wiederum diese Musik spielen, die von solchen geistigen Haltungen geprägt ist. Das wirkt wiederum prägend - auch wenn es vielleicht stark vermittelt und mehr oder weniger unbewusst geschieht. Dazu kommt, dass russische Pianisten durchaus ein Selbstbewusstsein haben und formulieren können, was sie für "russisch" halten. Wenn man Beispiele tatsächlich findet, die solche Stulanalysen belegen können, ist das finde ich hilf- und aufschlussreich - nicht als ausschließende Alternative, aber sinnvolle Ergänzung zu der eher "objektiven" empirischen Analyse.


    Bei Rachmaninow findet man solche Beispiele für diese (klang-)landschaftliche Weiträumigkeit. Eins davon: Ich dachte früher einmal, das Rachmaninow-Prelude op. 23 Nr. 4 zu spielen. Mit Rachmaninow hatte ich damals gar keine Erfahrungen. Das Stück ist doch nicht so schwer, meinte ich! Von wegen! ^^ Denn als ich mir das Stück dann vornahm, war ich etwas entsetzt über den sehr sperrigen Klaviersatz - diese weiträumige Begleitung in der linken Hand, die über mehr als 3 Okatven geht. Bei Youtube ist Ashkenazys Interpretation (der speziell dieses Präludium sehr "russisch", eher langsam-getragen spielt) verlinkt mit den Noten, wo man das gut sehen kann:



    Mir fällt jetzt spontan kein Beispiel ein eines "westlichen" Komponisten, wo es eine solche raumgreifend-weiträumige Begleitfigur gibt.


    Weitere Beispiele sind erwünscht, welche diese Stilbetrachtung stützen können! :)


    Schöne Grüße

    Holger

  • Ich gebe offen zu, dass sich in meiner Sammlung einige russische Pianisten finden, teilweise der originellen Interpretationsansätze wegen (Maria Yudina), teils der Verbindung von Emotion und auslotendem Tiefgang in Verbindung mit einer vorzüglichen Technik.Hier erwähne ich abseits der üblichen Verdächtigen vor allem Maria Grinberg, Tatjana Nikolayeva, Igor Shukov oder imitri Bashkirov. Inwiefern ein spezifischer Stil bei den Schülern russischer Pianisten weiterlebt kann ich schlecht beurteilen. Der Unterrich war jedenfalls durchaus nachgesucht, und ich verweise da auf die unzeitig früh verstorbene Brigitte Engerer, die mit aller Gewalt bei Stanislav Neuhaus studieren wollte und das auch tat. Zu Brigitte Engerer lassen sich hier ein paar Brosamen nachlesen:


    Brigitte Engerer


    Liebe Grüße vom Thomas :hello:

    Früher ist gottseidank lange vorbei. (TP)
    Wenn ihr werden wollt wie eure Väter waren werdet ihr so wie eure Väter niemals waren.

  • Ich gebe offen zu, dass sich in meiner Sammlung einige russische Pianisten finden, teilweise der originellen Interpretationsansätze wegen (Maria Yudina), teils der Verbindung von Emotion und auslotendem Tiefgang in Verbindung mit einer vorzüglichen Technik.Hier erwähne ich abseits der üblichen Verdächtigen vor allem Maria Grinberg, Tatjana Nikolayeva, Igor Shukov oder imitri Bashkirov. Inwiefern ein spezifischer Stil bei den Schülern russischer Pianisten weiterlebt kann ich schlecht beurteilen. Der Unterrich war jedenfalls durchaus nachgesucht, und ich verweise da auf die unzeitig früh verstorbene Brigitte Engerer, die mit aller Gewalt bei Stanislav Neuhaus studieren wollte und das auch tat. Zu Brigitte Engerer lassen sich hier ein paar Brosamen nachlesen:


    Brigitte Engerer


    Liebe Grüße vom Thomas :hello:

    Vielen Dank für den Hinweis auf den Thread von Brigitte Engerer! Ich wusste nicht, dass sie bei Stanislav Neuhaus studiert hat - woher auch. Aber ihr fulminanter, zuweilen auch etwas harter Zugriff in den frühen Decca-Aufnahmen passt dazu. Noch mehr gefallen mir aber ihre späten, wunderbar differenzierten Aufnahmen - ihr zweiter Carnaval ist ein diskographischer Höhepunkt! Und von Liszts 'Harmonies poétiques' dürfte es kaum eine sinnlichere Einspielung geben! Sie hat ja auch Duos mit dem Russen Boris Berezovksy aufgenommen - wo haben sie sich kennengelernt?


    Eleonore Büning schreibt in ihrem Nachruf in der FAZ:


    "Brigitte Engerer, geboren in Tunis am 27.Oktober 1952, erhielt mit fünf Jahren ihren ersten Klavierunterricht, sie wurde mit elf Jahren ans Pariser Konservatorium geholt. Mit siebzehn fiel sie bei ihrem ersten internationalen Wettbewerb auf, woraufhin sie von Stanislaw Neuhaus, dem Sohn von Heinrich Neuhaus, nach Moskau eingeladen wurde. In seiner Obhut studierte sie neun Jahre lang. So ist die Engerer also, trotz ihrer tunesisch-französischen Wurzeln, recht eigentlich eine der letzten Enkelschülerinnen von Neuhaus, und ihre Klavierkunst trägt den Stempel bester russischer Prägung: brillante Technik, vereint mit romantischem Esprit, dazu tiefempfundenes Sentiment."



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  • Besten Dank Euch für den Hinweis auf Brigitte Engerer! Es war mir auch nicht bewusst, dass sie bei Neuhaus jr. studiert hat! :)


    Wirklich sehr schön ist diese Platte mit kleinen Stücken russischer Komponisten: Tschaikowsky, Mussorgsky, Liadow, Glinka, Alabiew/Liszt, Rubinstein, Rachmaninow, Schostakowitsch, Scriabin:



    Zusammengespielt hat sie auch mit Oleg Maisenberg, bekannt als Partner von Gidon Kremer:


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    Auf Igor Shukow werde ich noch kommen! :)


    Schöne Grüße

    Holger

  • Zunächst aber noch ein Beitrag zum Thema "russische Klanglandschaft":


    Ein sehr instruktives Beispiel ist finde ich Sergei Tanejew, Präludium und Fuge op. 29


    https://interlude-hk.translate…&_x_tr_hl=de&_x_tr_pto=sc


    (Der Artikel enthält den Link auf eine zu hörende Aufnahme der heute vergessenen russischen Pianistin Xenia Prochorowa (1915-1991))


    "Die Revolution von 1905 veranlasste Tanejew, das Konservatorium zu verlassen und seine Konzertkarriere und seine Karriere als Komponist intensiver wieder aufzunehmen. Sein Präludium und Fuge in gis-Moll , Op. 29, war das einzige Klavierwerk, dem er eine Opuszahl gab. Das 1910 entstandene Werk vereint seine eigene langjährige Forschung zur Alten Musik und ist zugleich eine Verbindung von Chromatik und Polyphonie, die Bach unbekannt gewesen wäre. Das Werk wurde in Erinnerung an seine Krankenschwester Pelageya Vasil'yevna Chizhova geschrieben, die sein ganzes Leben lang mit dem Komponisten zusammen war. Er legte seine Emotionen in das melancholische Präludium und kontrastierte es dann mit einer feurigen Fuge. Dieses Werk war eine der Inspirationen für Dmitri Schostakowitschs Präludium- und Fugenkompositionen."


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    https://de.wikipedia.org/wiki/Sergei_Iwanowitsch_Tanejew


    Kennengelernt habe ich dieses tief beeindruckende Stück durch Vladimir Ashkenazy, für mich immer noch die ideale Interpretation. Sehr schön ist auch Lilya Zilberstein - hier kann man die Noten mitlesen. Noch besser gefällt mir ihr Konzertmitschnitt. Allerdings ist mir bei ihr die Fuge ein bisschen zu zügig gespielt; sie wirkt dadurch doch sehr stromlinienförmig und verliert so zwangsläufig etwas von ihrer festlichen Monumentalität (s.u.).


    Wenn es ein Stück gibt, wo ich sofort sagen würde, das klingt sehr russisch, dann dieses! Das Präludium beherrscht eine grüblerisch schwermütige Melodie, die aber einen gewissen "weihnachtlichen", feierlichen Glanz hat. Es werden für ein Stück, das tiefes Leiden ausdrückt, für westliche Ohren ungewohnt die dynamischen Extreme ausgenutzt. Die Musik steigert sich zu mächtigen Glockenklängen im Fortissimo, um dann im misteriösen Pianissimo zu verhallen. Auch hier haben wir eine raumgreifende, in die Höhen und Tiefen weit ausschweifende Melodie, die den ganzen Tonraum erfasst. Doch warum klingt das so "russisch"? Diese Schwermut hat nichts von einer Klage oder Trauer, d.h. alle subjektiven Antwortreaktionen auf das Leiden, die eine Verlusterfahrung oder einen aktiven Protest dagegen formulieren (die Klage hat immer auch etwas von einer Anklage) fehlen schlicht. In dieser Schwermut liegt etwas von Resignation und Passivität, der Hinnahme eines Unvermeidlichen, was zugleich als Last aber auch als eine Art Läuterung und Katharsis erfahren wird. Die Musik hat bei aller Schwere etwas fast Beglückendes, ein Numinos-Geheimnisvolles. Der Anlass für Tanejew war eine persönliche Erfahrung, die Erinnerung an seine verstorbene Krankenschwester (Link s.o.!) - doch von persönlicher Betroffenheit geht bezeichnend nichts in die Musik ein. (Die Ferne des Vergangenen eines Erinnerungsbildes kommt der Klaglosigkeit der Schwermut freilich entgegen, denn das längst Vergangene ist ein absolut Unveränderliches, was sich nicht mehr ungeschehen machen lässt.) Die Schwermut ist sozusagen Leiden an sich über das Dasein in der Welt mit der Ambivalenz des Lastcharakters lastender Schwere aber auch einer Erleichterung durch geheimnisvolle Verklärung. Was dahinter steckt, dem kommt man finde ich näher durch Max Scheler. Zwei Zitate:


    "Im Christentum der östlichen Kirche zumal und innerhalb ihres Wirkungskreises, besonders stark innerhalb der russischen Orthodoxie, hat (...) die Idee passiven Duldens und der Aufhebung des Leidens durch Nichtwiderstand (...) fast in jeder Hinscht den Sieg davongetragen über den Gedanken der aktiven Beseitigung der Übel und des Bösen." (Max Scheler: Vom Sinn des Leides)


    "Es (das Leiden, H.K.) gewinnt für die orthodoxe Denkweise einen heilschaffenden Charakter; es führt irgendwie von selbst in den Himmel." (Max Scheler: Über östliches und westliches Christentum)


    Das orthodoxe Leiden führt "irgendwie von selbst in den Himmel" - genau das finde ich macht das Fascinosum dieses Stücks von Tanejew aus, dieser eigenartige Zauber einer Schwermut, die ambivalent zugleich Schwere und himmlisch erhöhende Erleichterung ist, ermöglicht durch die unendliche Resignation dieses Leidens - ein numinoser Zug, wodurch diese russische Schwemut auch himmelweit entfernt ist von Weltschmerz al la Lord Byron! Die anschliießende Fuge zeigt eine ebensolche Ambivalenz. Sie beginnt feierlich-festlich und gelöst, steigert sich dann aber dynamisch zu einem Inferno entfesselter Kräfte - das Numinose als fascinosum et tremendum. Die Resignation ist keine Erlösung von den Widrigkeiten der Welt.





    Schöne Grüße

    Holger

  • Lieber Holger,


    ich war der feste Überzeugung, zu Shukov in der Vergangenheit etwas gestartet zu haben. Bei der Suche danach bin ich auf einen anderen Thread gestoßen, der in Deinem Zuammenhang auch nicht uninteressant ist, nämlich der zu Dimitri Bashkirov, der mittlerweile leider auch verstorben ist. Seine Tochter Elena Bashkirova, ebenfalls Pianistin, ist mit Daniel Barenboim verheiratet.


    Dimitri Bashkirov-Der große Unbekannte


    Liebe Grüße vom Thomas :hello:

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  • Bereits am 26.01.2018 ist der russische Pianist und Dirigent Igor Shukov (geb. 31. 08. 1936 in Gorki)
    verstorben.
    A-1320696-1302351014.jpeg.jpg Als Musiker verstummte er bereits 2010. nachdem er einen Schlaganfall erlitten hatte. Shukov war berühmt für seine Einspielungen der Werke Skriabins, hatte aber ein sehr weites Repertoire, das die Werke Rameaus ebenso umfasste wie die Chopins oder Prokoffievs. In den 1980er Jahren trat er zudem als Dirigent auf, nachdem er das neue Moskauer Kammerorchester gegründet hatte. Nach dessen Auflösung wandte er sich wieder seiner Pianistenkarriere zu. Ein bemerkenswerter Musiker war Shukov; auf Wikipedia-Superlative mag ich mich nicht einlassen, persölich habe ich für Shukovs Spiel eine sehr hohe Wertschätzung. Das er nun von uns gegangen ist betrübt mich ebenso wie der Umstand, dass ich die Nachricht von seinem Tode nur zufällig erfahren habe. Westliches Marketing hat diesen bemerkenswerten Piansiten nicht gepushed, so dass sein Heimgang hiesigen Medien offenbar kein Nachruf wert war. Das ist beschämend. Möge er in Frieden ruhen.


    Liebe Grüße vom Thomas :hello:


    Den eigenen Thread dazu hat dann Holger gestartet mit einer lesenswerten Beschreibung von Shukovs letzter CD.


    Igor Shukov (1936-2018)


    Liebe Grüße vom Thomas :hello:

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  • Soeben lese ich den Nachruf auf Minoru Nojima, einem japanischen Pianisten, der am 9.5.2022 im Alter von 76 Jahren verstorben ist. Seine dokumentierte Hinterlassenschaft ist schmal: Nojima zog eine Karriere des Unterrichtens und des Konzertierens vor. Drei Platten sind von ihm erschienen, für die Sammler stolze Preise zahlen, obald sie verfügbar sind. Warum poste ich das hier und nicht im Nekrolog-Thread? Nojima erhielt seine erste Ausbildung n Tokyo, studierte dann aber weiter in Moskau bei Lev Oborin, der hierzulande vor allem als Begleiter von David Oistrach bekannt ist.


    Von seinem Debut-Album hier nun die Paganini-Variationen von Brahms:



    Liebe Grüße vom Thomas :hello:

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