Herbert Henck: Werbung für die Moderne

  • Ich möchte gerne einen Thread zu einem großen Pianisten beginnen, der leider seit 2005 wegen einer Krankeit nicht mehr konzertieren kann. Herbert Henck wurde 1948 im damaligen Treysa geboren. Ein wenig zur Biographie kann man in der Wikipedia nachlesen Herbert Henck


    Ich habe Herbert Henck in einigen Konzerten erlebt und immer war es für mich eine Erweiterung meines Horizontes. Einmal natürlich wegen des Repertoires, was fast auschließlich dem 20 Jahrhundert angehörte, aber auch wegen der Art seines Spieles, was ein sehr persönliches Amalgam von intellektueller Durchdringung und Empfindsamkeit darstellte, was auf jeden Fall meinem eigenen Rezeptionsgeschmack sehr nahe kam.


    Meine erste Scheibe von ihm war das als Doppelalbum herausgegebene Klavierwerk von Karlheinz Stockhausen


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    1986 bei Wergo erschienen. Von diesen Platten ging für mich eine fast magische Faszination aus. Ich hatte noch in der Schule mal ein paar Klavierstücke von einem der Kontarskys gehört. Die hatten damls nicht diesen Eindruck hinterlassen... Henck konnte es für mich!


    Henck trat schon damals und heute erst recht außermusikalisch so gut wie nicht in Erscheinung. Ich konnte im Web das Klavierstück Nr X finden



    Nachdem ich nun dieses Album förmlich verschlungen hatte, war ich für alles offen, was dieser Pianist zu bieten hatte. Er spielte bei meiner eigenen Geschmacksbildung eine nicht unerhebliche Rolle. Charles Ives mit seiner ersten Klaviersonate folgte schnurstracks (es ist der Grund warum ich die erste immer noch viel beeindruckender finde, als die bekanntere zweite ;)) und der bis heute fast unbekannte Komponist Klarenz Barlow


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    Ich habe mir sogar die Mühe gemacht, den Namen des Stückes zu lernen :P, keine einfache Sache ... Ich habe mich auf die reine Klavierfassung kapriziert, auch wenn sie nicht so vollständig war wie die elektronische. Diese Platte ist leider nie auf CD erschienen, so dass mir die elektronsiche Fassung wahrscheinlich auch in Zukunft verwehrt sein wird.


    Hier kam Musik, deren Komplexität und spieltechnischen Schwierigkeiten mir einen neuen Zugang zu Musik bescherten. Ich war glücklich und bin fortan in alle Konzerte von Henck gegangen, die sich mir anboten ...


    Hencks Einspielung von Çoğluotobüsişletmesi ist aber im Web zu finden



    Barlow war Student von Zimmermann und Stockhausen in Köln.


    Bei Interesse an Barlow hier eine kleine Vorlesung über algorithmische Musik, die auch für das obige Klavierstück maßgeblich war. Barlow ist kein charismatischer Typ. Er macht es einem leider nicht leicht



    Herbert Henck trat auch als Komponist auf. Besonders seine Improvisationen möchte ich erwähnen. Damals kam seine Improvisation IV heraus, die ich noch zeigen möchte


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    Herbert Henck ist leider mit seinen Improvisationen im Web gar nicht vertreten, so dass ich leider nicht darauf verweisen kann. Das Doppelalbum ist aber später noch auf CD erschienen und zumindest bei unserem Sponsor verlinkbar



    Dasselbe gilt für meinen prägenden Stockhausen




    Es würde mich freuen, wenn es noch andere Freunde des Interpreten Herbert Henck geben sollte, die sich in diesem Thread zu seiner Musik und seinen Einspielungen äußern möchten.

  • Klavierwerke



    Diese hier relevante CD kenne ich zumindest. Leider ist sie beim Partner wohl nicht oder nicht mehr erhältlich.


    [NB: Ich wollte zunächst auch schreiben, dass Herbert Henck verstorben sei. Das wäre eine dumme Verwechslung gewesen und ich frage mich gerade, mit welchem ebenfalls der Moderne verpflichteten Pianisten ich Henck verwechselt habe.]


    PS: Das von Dir verlinkte Stück Çoğluotobüsişletmes scheint mir so interessant wie komplex vor allem im Rhythmischen - vorsichtig ausgedrückt ;)8-). Hör- und spürbar ist die Beeinflussung durch orientalische oder indische Folklore - genauer möchte ich das nicht bestimmen, weil mir die Kompetenz fehlt. Bei aller Komplexität des Notenbilds scheint mir diese Musik in sich zwingender als was das Notenbild so manches Brian Ferneyhough betrifft, bei welchem ich die Erwartung an den oder die Ausführenden als Hochstapelei empfinde. Mag aber ausschließlich mein Problem sein.


    [Und noch ein Schwatz-NB: Ein Emblem auf den türkischen Straßenverkehr? Immerhin kommt ja der otobüs vor ...]


    :) Wolfgang

    Lieber Fahrrad verpfänden denn als Landrat enden!

  • Zitat von WolfgangZ

    Leider ist sie beim Partner wohl nicht oder nicht mehr erhältlich.

    Lieber Wolfgang, aber man kann das Cover trotzdem mit einem Link versehen! ;)


    LG Fiesco

    Il divino Claudio
    "Wer vermag die Tränen zurückzuhalten, wenn er den berechtigten Klagegesang der unglückseligen Arianna hört? Welche Freude empfindet er nicht beim Gesang seiner Madrigale und seiner Scherzi? Gelangt nicht zu einer wahren Andacht, wer seine geistlichen Kompositionen anhört? … Sagt nur, und glaubt es, Ihr Herren, dass sich Apollo und alle Musen vereinen, um Claudios vortreffliche Erfindungsgabe zu erhöhen." (Matteo Caberloti, 1643)

  • [Und noch ein Schwatz-NB: Ein Emblem auf den türkischen Straßenverkehr? Immerhin kommt ja der otobüs vor ...]



    The work was inspired by a bus journey along a highway in Eastern Anatolia on the evening of Sunday 11th May 1975.


    Hör- und spürbar ist die Beeinflussung durch orientalische oder indische Folklore - genauer möchte ich das nicht bestimmen, weil mir die Kompetenz fehlt. Bei aller Komplexität des Notenbilds scheint mir diese Musik in sich zwingender als was das Notenbild so manches Brian Ferneyhough betrifft, bei welchem ich die Erwartung an den oder die Ausführenden als Hochstapelei empfinde. Mag aber ausschließlich mein Problem sein.

    Lieber Wolfgang, das kann ich nicht wirklich beurteilen. Ich hatte mit den Anforderungen Ferneyhoughs am Anfang auch gewaltige Probleme. Ich wollte nicht verstehen, wieso man etwas notiert, was nicht spielbar sein soll.


    Aber ja, die Musik Barlows ist erstaunlich gut nachvollziehbar, trotz aller Komplexität. Mit dem von Dir zitierten Album von Nancarrow haben wir ja weitere Musik, die der Komponist zum Schluss wegen ihrer rhythmischen Komplexität nur noch einem Player Piano anvertrauen wollte.... Ich finde auch dieses Album sehr gelungen.

  • Lieber Wolfgang, aber man kann das Cover trotzdem mit einem Link versehen! ;)


    LG Fiesco

    Danke Dir, werter Fiesco! Ich weiß das sogar, war aber zu faul ...


    :) Wolfgang

    Lieber Fahrrad verpfänden denn als Landrat enden!

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  • Auch dem werten Axel noch einen Gruß! "Wirklich beurteilen" kann ich die Dinge auch nicht, habe das ja angedeutet. Und die "gewaltigen Probleme" mit der Notation bei Ferneyhough sind gewiss nicht die von uns Halblaien allein, sondern es dürften sich hier quasi musikphilosophische Perspektiven eröffnen.


    Jetzt will ich noch wissen, wie der verstorbene Pianist wirklich heißt (1). Steffen Schleiermacher erfreut sich jedenfalls hoffentlich guter Gesundheit. Mal eruieren ...


    Edit: Gerade erst gesehen - das Zitat von Mark Knoop. :jubel:Ich war ja auch mal im lokalen Bus (nicht als Selbstfahrer, das hätte ich nie gewagt) im Südwesten der Türkei unterwegs. Falls das in Ostanatolien schlimmer sein sollte ...


    :hello: Wolfgang


    (1) EDIT: Soeben bin ich die recht passable Liste der deutschen Wikipedia durchgegangen. Also entweder habe ich den Namen übersehen oder ich liege irgendwo falsch. Ich meine natürlich nicht Tokarev und ich meine doch auch nicht Stefan Mickisch !? Oder ist der Name nicht dabei? Oder habe ich an Henck gedacht dahingehend, dass er nicht mehr musizieren kann? Ach was ... EDIT: Ich glaube allmählich an Letzteres. Aber jetzt ist Schluss mit diesem Anteilnehmenlassen an meinen Gedächtnislücken ...

    Lieber Fahrrad verpfänden denn als Landrat enden!

  • Herbert Henck ist nicht nur einer der besten Anwälte für die Klaviermusik der Moderne, sondern auch ein hoch gescheiter Musikwissenschaftler. Auf seine sehr erhellende Analyse von Stockhausens Klavierstück IX bin ich in meinem Alber-Buch eingegangen. Er war ein bischen beleidigt, weil Stockhausen nicht ihn, sondern Ellen Corver für die beste Interpretin seiner Werke hielt und auch sie und nicht ihn einlud, Kurse in Kürten zu geben. :D


    In meiner Sammlung ist diese Aufnahme der Klaviersonaten Nr. 2 und 5 und zwei Nocturnes von Alexander Mosolov, dessen bekanntestes Stück die Maschinenmusik für Orchester ist:


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    Schöne Grüße

    Holger

  • Verglichen mit Steffen Schleiermacher, einem weiteren Anwalt der Moderne, ist Henck doch stark geschmacksgetrieben und weniger enzyklopädisch orientiert. So finden sich Werke von Gurdjeff/De Hartmann aber auch Werke von Hannenheim und Trepulka im Repertoire.


    Im Jahre 1996 nahm er die Klaviersonate von Jean Barraqué auf, einem seriellen Werk, was anders, als die Klavierwerke von Boulez und Stockhausen aus dieser Zeit, einen großen emotionalen Rahmen abdeckt. Eine Livevorführung dieser Sonate ist ein wirkliches Erlebnis. Hencks Einspielung präferiere ich vor der von Stefan Litwin, die ungefähr zur selben Zeit entstanden ist.



    Leider findet sich nichts dazu im Web. Die Sonate hat seit diesen zwei wegweisenden Einspielungen mittlerweile noch weitere erfahren.