Alexander Zemlinsky. Liedkomposition im Spannungsfeld von Tradition und Avantgarde

  • „Entbietung“, op.7, Nr.2

    Schmück dir das Haar mit wildem Mohn,
    die Nacht ist da,
    all ihre Sterne glühen schon.
    All ihre Sterne glühn heut dir!
    Du weißt es ja:
    all ihre Sterne glühn in mir!

    Dein Haar ist schwarz, dein Haar ist wild
    und knistert unter meiner Glut;
    und wenn sie schwillt,
    jagt sie mit Macht
    die roten Blüten und dein Blut
    hoch in die höchste Mitternacht.

    In deinen Augen glimmt ein Licht,
    so grau in grün,
    wie dort die Nacht den Stern umflicht,
    Wann kommst du? - Meine Fackeln loh´n,
    Laß glüh´n, laß glühn!
    Schmück mir dein Haar mit wildem Mohn!

    (Richard Dehmel)

    Typische Dehmel-Lyrik, in ihrem Changieren zwischen mit Vitalität spielendem Impressionismus und kognitiv ausgerichtetem Expressionismus, sich niederschlagend in einer hochgradig evokativen Metaphorik. Da „glühen“ die Sterne schon mal, und das im lyrischen Ich und für das Du, das Haar desselben ist nicht nur einfach schwarz, sondern „wild“, und es „knistert“ unter der „Glut“ des Ichs, die „mit Macht“ „rote Blüten“ ins Blut des Du zu „jagen“ vermag, und dies „hoch in die höchste Mitternacht“. Das „Grau und Grün“ des Lichts, das in den Augen des Du „glimmt“, ist wie die Nacht“, „die den Stern umflicht“, und die „Fackeln“ des Ichs wollen Lohn vom Du, das aufgefordert wird, diese „lohen“ zu lassen und „sein Haar“ mit „wildem Mohn“ zu schmücken, - nun in der Wiederholung des Anfangsverses ausdrücklich mit dem Zusatz „mir“ versehen.

    Diese lyrische Sprache wirkt in ihrer bis zur höchsten Expressivität getriebenen Metaphorik konstruktiv-gekünstelt und mutet deshalb poetisch unwahr an. Gleichwohl können von ihr starke Impulse auf einen Komponisten ausgehen, solche ein extrem großes, von untergründiger Sinnlichkeit befeuertes affektives Potential aufweisende Metaphorik in Liedmusik umzusetzen, die ja, so sie es zu erfassen vermag, ihrerseits nicht ebenfalls unwahr sein muss. Ich denke, dass das hier bei Zemlinsky der Fall ist. Und im übrigen war er darin, dass er sich von Dehmels Lyrik unmittelbar angesprochen fühlte und in diesem seinem Opus 7 gleich zwei Mal ein auf ihr basierendes Liedkomponierte, alles andere als allein. Dehmel war zu seiner Zeit ein gefeierter, hoch geschätzter und von einer großen Leserschar bewunderter Lyriker.


  • „Entbietung“. Zur Faktur der Komposition und ihrer liedmusikalischen Aussage

    Unter chronologischem Aspekt ist dieses Lied das zuerst entstandene in dieser Gruppe. Es ist durchkomponiert, weist einen Viervierteltakt auf und soll „mässig bewegt“ vorgetragen werden. Zwar ist fis-Moll als Grundtonart vorgegeben, aber das hat in diesem Stadium, das Zemlinsky nun in seiner Entwicklung als Liedkomponist n erreicht hat, nichts mehr zu sagen. Die Harmonik ist für ihn zu einem kompositorisch hoch bedeutsamen Ausdrucksmittel geworden, und dieses Lied ist in der Komplexität seiner in Gestalt beider Tongeschlechter im Quintenzirkel weit, ja geradezu wild ausgreifenden harmonischen Rückungen ein beindruckender Beleg dafür. Wenn der Biograph Beaumont die Auffassung vertritt, dass Zemlinsky hier liedmusikalisch „eine Atmosphäre erotischer Raserei“ hervorgerufen habe, so kommt der Harmonik hierbei eine geradezu konstitutive Funktion zu, - neben der Melodik und dem sie nicht nur begleitenden, sondern in der Rhythmisierung seiner Akkord-Repetitionen auch antreibenden Klaviersatz.

    Beaumont spricht diesbezüglich von einem „Tscherkessenrhythmus“, aber er hat, wie ich finde, nicht ganz recht, wenn er von „erotischer Raserei“ spricht. Dazu entfaltet sich die Liedmusik in einer viel zu kontrollierten, niemals über die Stränge schlagenden Art und Weise. Zemlinsky lässt sich eben nicht dazu verleiten, das evokative Potential von Dehmels Lyrik in vordergründiger Weise zur Entfaltung extremer liedmusikalischer Expressivität auszuschlachten. Das soll nachfolgend in der analytischen Betrachtung dieser Liedkomposition aufgezeigt werden.

    Mit dem ominösen Begriff „Tscherkessenrhythmus“ meint Beaumont offensichtlich die Gestalt des durchgängig in gleicher Weise angelegten Klaviersatzes. Gleich im eintaktigen Vorspiel klingt er in seiner typischen Grundstruktur auf: Achtel- und Viertakkorde folgen aufeinander, das aber nicht gleichförmig ,vielmehr wird mitten im Takt dieses Prinzip verlassen und es erklingen einmal zwei Achtel-Akkorde hintereinander. Das bringt ein eine leicht drängende Unruhe in die Rhythmik der Liedmusik und reflektiert darin wohl die innere Erregtheit des lyrischen Ichs, wie sie sich in dem Wort „glühen“ lyrisch-sprachlich verdichtet. Und auch wenn Zemlinsky den Einsatz der melodischen Linie prompt mit der Anweisung „glühend“ versieht, so vermag dieser Klaviersatz in der durchgehend gleichförmigen Regelmäßigkeit seiner Entfaltung nicht die Grundlage für einen Ausbruch der Melodik in irgendeine Form von „Raserei“ zu liefern. Allenfalls wirkt sich die ihm immanente rhythmische Komponente des Drängens auf sie aus, dergestalt, dass sie immer wieder, verbunden mit Steigerungen in der Dynamik, auf bogenförmige Weise in hohe Lagen ausbricht.

    Man kann das gleich bei der ersten Melodiezeile erleben und erfassen, die nicht nur den ersten, sondern auch - gleichsam getrieben von der ihr innewohnenden Erregung - auch den zweiten Vers aufgreift. Sie entfaltet sich in im Sinne des Klaviersatzes rhythmisierten Repetitionen, die, in fis-Moll mit Rückung nach D-Dur harmonisiert, piano auf der tonalen Ebene eines „Fis“ in tiefer Lage ansetzen, sich in Terzintervallen bis zur Ebene eines „Cis“ in oberer Mittellage erheben, dort in einem Forte kurz repetitiv verweilen und sich dann in der gleichen Weise wieder ins Piano der Ausgangsebene absenken. Den Gestus der deklamatorisch-repetitiven Entfaltung behält die Melodik durchgehend bis zum Ende bei, und sie generiert aus ihm ihre ganz spezifische Expressivität. Dies in Gestalt ihrer Sprünge zur Entfaltung auf anderen tonalen Ebenen. Und dabei ist bemerkenswert, dass diese gar nicht einmal über große Intervalle erfolgen, die Terz in der Regel nicht überschreiten. Aber gerade dadurch, dass die melodische Linie sich nicht mit weit ausgreifenden Sprungbewegungen in großem Ambitus entfaltet, vielmehr in ihrem wesenhaft repetitiven Gestus in relativ kleinem verbleibt, vermag sie das große affektive Potential des lyrischen Textes zu erfassen und ihm die angemessene musikalische Eindringlichkeit zu verleihen.

    Ich denke, dass sich darin die Größe von Zemlinskys Liedkomposition zeigt. Dem affektiv hoch aufgeladenen metaphorischen Spiel, das Dehmel mit dem Wort „glühen“ treibt, folgt er nicht, er greift das evokative Potential zwar auf, hält dabei aber gleichsam musikalisches Maß und setzt nur einen markanten Aussage-Akzent, die Beziehung des lyrischen Ichs zum Du betreffend: Bei den Worten „du weißt es ja“ nämlich. Bei dem Wort „glühen“ bleibt die melodische Linie in ihren Repetitionen dagegen unterhalb der Ebene, die sie bei diesen Worten erreicht, und beim letzten Vers der ersten Strophe, den Worten „all ihre Sterne glühn in mir“ also, verharrt sie gar mit diesen einen ganzen Takt lang auf der Ebene eines „Cis“ in mittlerer Lage, um sich bei „glühn in mir“ um einen Halbton abzusenken und mit einem verminderten Quintfall in einer langen Dehnung auf dem Grundton „Fis“ in unterer Lage zu enden.

    Nachdem die melodische Linie auf den Worten des dritten Verses („all ihre Sterne glühen schon“) eine bis auf den letzten Schritt mit der ersten Melodiezeile identische, nur auf einer um eine Terz angehobenen Ebene sich entfaltende und nun nicht in fis-Moll, sondern a-Moll harmonisierte Bewegung beschrieben hat, in der auf dem Wort „glühen“ eine gedehnt-rhythmisierte und durch eine Rückung nach F-Dur akzentuierte Repetition auf der Ebene eines hohen „E“ liegt, geht sie bei den Worten „All ihre Sterne glühn heut dir! / Du weißt es ja“ zu einem deutlich expressiveren Gestus über. Zemlinsky hat diese beiden Verse, wie das ja schon bei dem ersten Verspaar der Strophe geschah, zu einer Melodiezeile zusammengefasst, um die lyrische Aussage auf den für ihn zentralen Kern auszurichten: Die innere Haltung des lyrischen Ichs in seiner Beziehung zum geliebten Du. Und dabei geht es ihm, so vernehme ich seine Liedmusik, anders als Dehmel, ganz offensichtlich stärker um den kognitiven Aspekt als den emotionalen.

    Eben deshalb lässt er die melodische Linie bei den Worten „all ihre Sterne“ mit ihren Repetitionen zunächst in a-Moll-Harmonisierung einen einfachen Anstieg über eine Terz auf mittlerer tonaler Ebene beschreiben. Nun würde man erwarten, dass sich das bei „glüh´n in mir“ wie bisher in dieser repetitiven Manier fortsetzt. Das aber geschieht nicht, vielmehr geht die melodische Linie bei „heut“ in einen Terzfall über, und das wohl deshalb, um dem Wort „dir“ mit der Sprungbewegung, die sich hier ereignet, die gebotene Akzentuierung zu verleihen. Denn dieser melodische Sprung erfolgt nun über eine Quarte hin zur bislang höchsten tonalen Ebene. Und das ist nicht etwa die des Grundtons „Fis“, sondern die eines „F“. Und dort verharrt sie in rhyhtmisiert-gedehnter zweimaliger Repetition und ist dabei in harmonisch vermindertes Chroma auf der Grundlage der Tonalitäten „G“, „Des“ und „B“ gebettet. Erst bei dem Wort „ja“ darf die melodische Linie über eine Quinte in einen Fall hin zu einer Dehnung auf der Ebene eines „H“ in mittlerer Lage übergehen, wobei die Harmonik eine Rückung zum Tongeschlecht Dur vollzieht.

    Es ist eine zur Dominantsept-Variante der Tonart „G“, und die melodische Linie öffnet sich auf diese Weise zu der Aussage, die sie auf den Worten des letzten Verses macht. Es ist, wie schon beschrieben, ein deklamatorisches Verharren in Gestalt von rhythmisierten Tonrepetitionen auf einer einzigen tonalen Ebene, einem „Cis“ in oberer Mittellage, dem Zemlinsky die Vortragsanweisung „warm“ beigegeben hat, und dem zugehörigen Klaviersatz die Worte „ausdrucksvoll“. Die Harmonik beschreibt hier zwei Mal eine Rückung von Dur nach Moll (a-Moll), und diese letzte, wiederum, wie im Fall des dritten Verses, kleine Melodiezeile will wohl wie eine Bekräftigung der Aussage verstanden werden, die die vorangehende große mit ihrer repetitiven Aufgipfelung in hoher Lage tätigte: Du weißt, dass alle Sterne für dich glühen.

  • „Entbietung“ (II)

    Die Liedmusik auf den Worten „Dein Haar ist schwarz, dein Haar ist wild / und knistert unter meiner Glut“, dem Eingangsverspaar der zweiten Strophe also, stellt eine Wiederkehr jener dar, die am Liedanfang erklingt. Die Melodik beschreibt, mit nur leichten, wortbedingten Variationen genau die gleiche repetitive Bewegung wie dort, ist ebenso harmonisiert und wird von einem identischen Klaviersatz begleitet. Das ist aber die einzige Stelle, an der Zemlinsky noch einmal auf das in den vorangehenden Lied-Opera so oft eingesetzten Wiederholungs-Prinzip des Strophenlieds zurückgreift. Schon bei den drei nachfolgenden Versen, die er, sich über die prosodischen Gegebenheiten hinwegsetzend, zu einer Melodiezeile zusammenfasst, nötigt ihn die lyrische Aussage zu einer neuen Struktur der Melodik aus Gründen der Steigerung der liedmusikalischen Expressivität. Bei den Worten „und wenn sie schwillt“ geht die melodische Linie aus einem Auf und Ab über eine kleine Sekunde in tiefer Lage und versehen mit der Vortragsanweisung „mächtig steigern“ mit einem verminderten Quartsprung zu einem kurzen Innehalten in Gestalt einer Dehnung auf der Ebene eine „As“ in mittlerer Lage über. Das as-Moll, in dem sie einsetzt, erfährt dabei eine harmonische Verminderung.

    Dieses Innehalten hat einen gleichsam dramatisierenden Effekt. Es soll auf die Bedeutsamkeit der melodischen Aussage auf den nachfolgenden Worten verweisen. Hier wiederholt sich die melodische Anfangsfigur bei „jagt sie mit Macht“ erst einmal, nun in verminderte G-Harmonik gebettet, auf einer um eine ganze Quinte angehobenen tonalen Ebene, um anschließend bei den Worten „ die roten Blüten und dein Blut“ mit einem Sekundschritt zu einem verminderten und ausdrucksstarken Legato-Quintsprung in hohe Lage anzusetzen, von der aus sie, wieder in ihren repetitiven Gestus verfallend, ein Ab und Auf wieder über das große Intervall einer Quinte beschreibt und schließlich bei dem Wort „Blut“ von der Ebene eines hohen „E“ über einen verminderten Sekundfall zu einer extrem langen, einen ganzen Takt einnehmenden Dehnung auf der Ebene eines hohen „Es“ überzugehen. Dieses Wort erfährt, genauso wie zuvor das Wort „roten“ durch den Legato-Quintsprung“, auf diese Weise eine starke Akzentuierung.

    Das lyrische Bild ist damit in seinen affektiven Dimensionen musikalisch erfasst, und für Zemlinsky auf offensichtlich hinreichende Weise. Ein Vorantreiben der Expressivität hält er, zu Recht, wie ich finde, nicht für erforderlich, wie die Struktur dieser Melodik erkennen lässt, die er, und das ist bemerkenswert, im Tongeschlecht Dur harmonisiert, das allerdings in der ausdrucksstarken Rückung von A- über B- nach H-Dur. Bei dem Schlussvers der zweiten Strophe ereignet sich aber dann doch ein Ausbruch in hochgradige Expressivität. Bei den Worten „hoch in die höchste Mitternacht“ bewegt sich die melodische Linie, und dies forte, in einem rhythmisierten Auf und Ab im Intervall einer verminderten Sekunde und in harmonisches Chroma (ein f-Moll, das in die Dissonanz übergeht) gebettet, auf der tonalen Ebene eines „F“, bzw. „Fis“, um schließlich bei „Mitternacht“ einen starken, weil über eine ganze Oktave sich erstreckenden Fall hinab zu einem tiefen „Fis“ zu beschreiben und dort über eine Repetition zu einer langen Dehnung überzugehen.
    Das ist der musikalische Zoll, der einer Dehmel-Lyrik geschuldet sein muss, will man ihr in ihrer spezifischen Eigenart kompositorisch gerecht werden.

    Auch in der dritten Strophe behält die Melodik ihren Gestus der Entfaltung in deklamatorischen Tonrepetitionen bei, nutzt ihn aber wieder, wie das ja durchweg in diesem Lied geschieht, um den Abweichungen davon umso größere Expressivität zu verleihen. Hier, in den Schlussversen der dritten Strophe, ereignet sich das sogar in einem Höchstmaß, eben deshalb, weil das lyrische Ich in einen leidenschaftlich-flehentlichen Ansprache- und Ausruf-Gestus ausbricht.
    Aber wie subtil Zemlinsky dieses deklamatorisch-melodische Mittel einzusetzen vermag, das zeigt sich schon bei den ersten drei Versen. Bei den Worten „In deinen Augen glimmt ein Licht“ senkt sich die melodische Linie, versehen mit der Vortragsanweisung „weich“, in ihrer fünfmaligen Repetition gegen Ende in der tonalen Ebene um eine kleine Sekunde ab, wobei die Harmonik eine Rückung von Dur (A-Dur) nach Moll (d-Moll) vollzieht, den affektiven Gehalt der lyrischen Aussage reflektierend. Und bei „glimmt ein Licht“ lässt sie, da hier ein für das lyrische Ich bedeutsamer Vorgang angesprochen wird, von der Repetition ganz und gar ab und beschreibt einen partiell verminderten Legato-Sekundfall, dem bei „Licht“ ein Quartsprung nachfolgt, der diesem Wort einen Akzent verleiht.

    Den Worten „so grau so grün“ widmet Zemlinsky dieses Mal, abweichend von seiner Verfahrensweise in den vorangehenden Strophen, eine eigene kleine, durch Viertelpausen eingehegte Melodiezeile. Er berücksichtigt darin das hohe evokative Potential, das Dehmel dem lyrischen Bild von den Augen des Du verliehen hat. Auch hier setzt er wieder die Methode des verminderten Sekundfalls in der repetitiven Bewegung der melodischen Linie ein und steigert den Effekt noch dadurch, dass er auf „grau“ eine kleine Dehnung (punktiertes Viertel) legt und auf „grün“ eine lange Dehnung. Überdies lässt er die Harmonik hier eine ausdrucksstarke Rückung vom vorangehenden gis-Moll zur Dominantversion der Tonart „F“ beschreiben. Das ist große Liedkompositionskunst.

  • „Entbietung“ (III)

    In gis-Moll-Harmonisierung setzt die melodische Linie auch bei den das lyrische Bild von den „Augen“ in Gestalt eines metaphorischen Vergleichs aufgreifenden Worten „wie dort die Nacht den Stern umflicht“ ein. Und erneut entfaltet sie sich noch einmal im Gestus der deklamatorischen Repetition und nutzt den Ausbruch daraus zur Erfassung des semantischen und affektiven Gehalts der lyrischen Aussage. Nach einer dreimaligen Repetition auf der tonalen Ebene eines „gis“ in mittlerer Lage, setzt diese sich auf der um eine Sekunde angehobenen tonalen Ebene fort, wobei die Harmonik wie zuvor von Moll zu Dur, dieses Mal das als Dominante fungierende D-Dur, übergeht. Und nun ereignet sich bei dem lyrisch so raffinierten Bild „den Stern umflicht“ ein abwärts gerichteter Ausbruch aus der Repetition in Gestalt einer kleinen, über das Intervall einer Terz sich erstreckenden Abwärtsbewegung, die allerdings auf der Silbe „-flicht“ in einen Legato-Aufschwung übergeht. Dies aber nicht, und das entspricht in seiner kompositorischen Raffinesse derjenigen Dehmels, zur tonalen Ebene der Repetition auf dem Wort „Nacht“, der eines „A“ in mittlerer Lage, sondern zu einem „Ais“, wobei die Harmonik eine Rückung nach A-Dur vollzieht.

    Wenn das lyrische Ich mit seinen an das Du sich richtenden Worten erst in den Gestus der dringlichen Frage und dann des in der Dringlichkeit sogar noch gesteigerten Appells übergeht, muss die Melodik dem folgen und ablassen von ihren subtilen, die seelische Tiefe der lyrischen Aussage auslotenden deklamatorischen Repetitionen. Sprunghafte Bewegungen über große Intervalle sind angesagt, und die vollzieht sie auch. Anfänglich sind es noch aufwärts gerichtete, dann aber, und das ist bemerkenswert, solche des Falls, und das gleich zwei Mal. Die Höchststufe ihrer Expressivität, die die Melodik nun erreicht, kommt dadurch zustande, dass sie sich, anders als zuvor, nun in kleinen Zeilen entfaltet, die durch die Viertelpausen, in denen sie voneinander abgehoben sind, eine strukturelle Hervorhebung erfahren und in denen sich überdies auch noch deklamatorisch extreme und harmonisch markante Bewegungen ereignen.

    Auf den Worten „meine Fackeln loh´n“ steigt die melodische Linie aus einer Tonrepetition über zwei Terzschritte und weiteren über eine Sekunde zu einer Dehnung in hoher Lage auf, wobei die Harmonik eine Rückung von a-Moll nach einem als Dominante fungierenden D-Dur vollzieht. Das Klavier begleitet hier - und das geschieht bis zum Ende - mit drei-, später vierstimmigen Akkordrepetitionen im Diskant und Oktaven im Bass. Auf das zweimalige appellative „Laß glüh´n“ lässt Zemlinsky die melodische Linie, die er mit der Anweisung „mit leidenschaftlichem Ausdruck“ versehen hat, zwar einen auf einem hohen „F“ ansetzenden ausdrucksstarken Legato-Quintfall beschreiben, aber beim zweiten Mal ist es ein verminderter, was zur Folge hat, dass die Harmonik nun, anders als zuvor, eine Rückung in die dissonante Verminderung beschreibt. Ohnehin ist die sich im Fortissimo entfaltende Melodik hier in starkes harmonisches Chroma gebettet, darin die Leidenschaftlichkeit des an das lyrische Du sich richtenden Appells reflektierend.

    Was nachfolgt, die Melodik auf der Wiederkehr der durch die Worte „mir dein“ bewirkten Variante des ersten Verses, mutet, auch wenn sie sich, weil das lyrische Ich ja weiterhin im Gestus der leidenschaftlichen Aufforderung verbleibt, dynamisch im Fortissimo entfaltet, wie ein Ausklang, ein Zur-Ruhe-Finden an. Das liegt daran, dass die Worte „Schmück mir dein Haar mit wildem Mohn“ ausschließlich auf der tonalen Ebene eines „Cis“ in oberer Mittellage deklamiert werden. Dies allerdings auf rhythmisierte Weise, mit Dehnungen auf „Haar“ und „wildem“ und einer sehr langen, eineinhalb Takte einnehmenden Schlussdehnung auf „Mohn“.

    Wenn sie gleichwohl den Eindruck erweckt, als würde sie sich dabei am Ende um einen Halbton absenken, um in der Grundtonart fis-Moll zur Ruhe zu finden, so liegt das daran, dass Zemlinsky, weil er sie „sehr ausdrucksvoll“ vorgetragen haben will, die deklamatorisch repetitiven Schritte verschiedene Harmonisierungen durchlaufen lässt, - von der Dominantseptvariante der Tonart „Cis“ über eine dissonante Verminderung zu einem a-Moll und von dort zu einer Rückung von einem als Dominante fungierenden A-Dur hin zur Tonika fis-Moll während der extrem langen Dehnung auf dem Wort „Mohn“.

    Ein Nachspiel gibt es nicht. Angesichts ihres Ausbruchs in hochgradige Expressivität kann die Liedmusik nur noch in einem Übergang der akkordischen Repetitionen in einem fermatierten fis-Moll-Schlussakkord ausklingen.

  • „Irmelin Rose“, op.7, Nr.4

    Seht, es war einmal ein König,
    Dem die Schätze reich gedieh'n,
    Und der beste, der ihm eigen,
    Hieß mit Namen Irmelin.
    Irmelin Rose,
    Iremlin Sonne,
    Irmelin alles, was schön war.

    Schier von jedem Ritterhelme
    Wehte ihrer Farben Schein,
    Und mit jedem Reim der Sprache
    Klang ihr Name überein:
    Irmelin Rose,
    Irmelin Sonne,
    Irmelin alles, was schön war.

    Freier kamen scharenweise
    Hergezogen zum Palast,
    Und mit zärtlichen Gebärden
    Klang ihr Schmeicheln ohne Rast:
    Irmelin Rose,
    Irmelin Sonne,
    Irmelin alles, was schön ist.

    Doch Prinzessin Stahlherz jagte
    All die Freier schnippisch fort,
    Fand an jedem was zu tadeln,
    Hier die Haltung, da das Wort.
    Irmelin Rose,
    Irmelin Sonne,
    Irmelin alles, was schön ist.

    (Jens Peter Jacobsen)

    Verfasser dieser Ballade ist der 1847 in Thisted geborene und 1885 daselbst verstorbene dänische Schriftsteller Jens Peter Jacobsen. Sie entfaltet sich in einem bemerkenswert sachlich-narrativen sprachlichen Gestus, in dem die wenigen, den Charakter und die Seelenlage charakterisierenden affektiven Elemente wie „Prinzessin Stahlherz“ und „schnippisch“ eben deshalb eine umso stärkere Wirkung zu entfalten vermögen. Eine zu ihren Lebzeiten ungewöhnlich emanzipierte uns selbstbewusste Frau steht da im Mittelpunkt. Ist es das, was Zemlinsky an dieser Ballade angesprochen und zur Liedkomposition angeregt hat?

    Die Antwort auf diese Frage wird nur in seiner Liedmusik zu finden sein. Und so wird man denn hinhören müssen darauf, ob diese vorwiegend oder gar ausschließlich die narrative Ebene der Ballade reflektiert, oder ob sie mit ihren Mitteln die Protagonistin in ihrer menschlichen Grundhaltung und insbesondere der emotionalen Komponente darin zu erfassen versucht.
    Und um es gleich, bevor sich das übliche Eintauchen in die kompositorische Faktur des Liedes ereignet, anzudeuten: Letzteres ist der Fall. Zemlinsky interessierte diese Figur mehr als das, was sich um sie herum ereignete. Und ein wesentliches kompositorisches Mittel für ihn ist dabei - wie wäre es anders zu erwarten in diesem Opus - die Harmonik. Auch hier macht sie in ihren Rückungen wieder das, was ich vorangehend in der Nummer 1 desselben als „Purzelbäume“ bezeichnet habe. Nur sind sie hier nicht ganz so gewaltig. Und vielsagend ist diesbezüglich auch die Art und Weise, wie er in den einzelnen Strophen den Refrain gestaltet.


  • „Irmelin Rose“. Zur Faktur der Komposition und ihrer liedmusikalischen Aussage

    Der Liedmusik liegt ein Viervierteltakt zugrunde, und sie soll „etwas bewegt“ vorgetragen werden. Das als Grundtonart vorgegebene F-Dur will, wie schon angedeutet, nicht viel besagen, durchläuft die Harmonik doch vielerlei Rückungen in den Tonarten und im Tongeschlecht. Erst in Takt 7 taucht die Tonika F-Dur auf, klanglich leicht verdeckt durch eine Sixte ajouté allerdings, und im ersten Refrain ereignet sich eine Rückung nach Ces-Dur. Formal betrachtet handelt es sich um ein variiertes Strophenlied. Die erste, die dritte und die vierte Strophe sind, mit nur wenigen Variationen in Melodik und Klaviersatz identisch, die dritte Strophe ist in Melodik und Klaviersatz eigenständig, und die Refrains weisen zwar ebenfalls Wiederholungselemente auf, diese sind jedoch sowohl identischer, wie auch nur struktureller Art und mit vielerlei Varianten kombiniert. Das Strophenlied-Konzept erweist sich also in seinen strukturellen Variationen in der Melodik, ihrer Harmonisierung und im Klaviersatz als ein höchst kunstvolles, und dies ganz offensichtlich deshalb, weil die Liedmusik nicht nur die narrative Aussage des lyrischen Textes, sondern auch die in der Protagonistin sich verdichtenden affektiven Komponenten erfassen will.

    Im zweitaktigen Vorspiel erklingt eine rhythmisierte, weil aus dem Hintereinander von punktierten Vierteln und Achteln bestehende Folge von sich im Umfang erweiternden Akkorden, in der sich Rückungen im Bereich von Moll, Dur und Harmonik ereignen, mündend in einen achtstimmigen, als Dominante fungierenden und damit zur in a-Moll harmonisierten Melodik auf den Worten des ersten Verses. Dieses Vorspiel mutet in seiner rhythmisierten Beschwingtheit und seiner schillernden Harmonik wie die Ankündigung eines von jeglicher Dramatik zwar freien, gleichwohl aber in seinen existenziellen Dimensionen bedeutsamen Geschehens an. Und dem ist ja auch so, - was das Ausleben und die Selbstbehauptung von weiblicher Existenz in den Zwängen gesellschaftlicher Rollenmuster betrifft.

    Die Melodik auf den Worten „Seht, es war einmal ein König“ verkörpert in ihrer Struktur und ihrer Harmonisierung die Funktion einer Einleitung und Eröffnung auf perfekte Weise: Nach dem Wort „seht“ eine Achtelpause, dann ein Neuansatz auf der gleichen tonalen Ebene, ein Anstieg aus tiefer Lage über Terz- und Sekundschritte über das Intervall einer Sexte, und schließlich, nach einem Terzfall ein ausdrucksstarker Quintsprung in hohe Lage bei dem für das nachfolgende narrative Geschehen so wichtigen Wort „König“. Und prompt ereignet sich bei diesem auch eine harmonische Rückung vom vorangehenden a-Moll zur Dominantseptvariante der Tonart „A“, die ein Sich-Öffnen der Liedmusik für die Fortsetzung der Melodik mit sich bringt. Diese erfolgt nach einer Viertelpause auf den Worten „Dem die Schätze reich gedieh'n“, wobei die melodische Linie nach einem auftaktigen Terzsprung in hoher Lage in einen Fall in vier deklamatorischen Schritten über eine ganze Oktave übergeht, um am Ende, bei „gedieh´n“ einen ausdrucksstarken Aufschwung in Gestalt eines in eine Dehnung mündenden Quartsprungs zu vollziehen.

    Begleitet wird diese kleine Melodiezeile, wie auch die erste, mit genau den akkordischen Figuren, aus denen das Vorspiel besteht, und harmonisiert ist sie zunächst in Moll (d- und a-Moll), dann aber erfolgt, dem melodischen Aufschwung-Gestus und der zugrundeliegenden textlichen Aussage entsprechend, eine Rückung nach Dur, ein E-Dur das erneut zur als Dominante fungierenden Tonart „A“ übergeht. Der Liedmusik scheint von ihrer Harmonisierung her ein Drang hin zu einem Aussage-Ziel innezuwohnen, und das ist ja auch vom lyrischen Text her dadurch so angelegt, dass der dritte Vers mit der Konjunktion „und“ einsetzt, Bezug nimmt auf das Schlüsselwort „Schatz“ und sich im vierten schließlich herausstellt, dass es dabei um den Schatz „Irmelin“ geht. Dem Refrain kommt dann die Funktion zu, diesen besten Schatz des Königs lobpreisend zu besingen.

    Zemlinsky folgt mit seiner Melodik ganz der narrativen Logik des Textes. Er untergliedert die melodische Linie auf den Worten des dritten und vierten Verses in Gestalt von kleinen, durch Viertelpausen voneinander abgehobenen Zeilen, die genau der Syntax folgen, so dass der eingeschobene Relativsatz „der ihm eigen“, eine eigene Melodiezeile erhält. Auf diese Weise wird den einzelnen Aussage-Elementen des narrativen Textes ein gesteigertes Gewicht verliehen. Melodisch geschieht das dadurch, dass auf den Worten „und der beste“ und „der ihm eigen“ die gleiche melodische Figur liegt, Sekundsprung mit nachfolgend ausdrucksstarkem Quintfall nämlich, diese aber im zweiten Fall auf einer um eine Terz abgesenkten tonalen Ebene deklamiert wird, wobei die Harmonik eine Rückung von F-Dur nach D-Dur vollzieht. Und die kompositorische Raffinesse besteht dabei darin, dass der auftaktige Sekundschritt am Anfang nun ein verminderter ist.

    Das Klavier ist nun zur Begleitung mit tonal abgespeckten, nur noch bitonalen und sich in der tonalen Ebene langsam absenkenden Akkordfolgen in Diskant und Bass übergegangen, und in diesem Gestus verbleibt es auch beinahe bis zum Strophen-Ende. Im zweitletzten Takt weicht es davon ab. Und der Grund ist bemerkenswert: Es ist der Name „Irmelin“. Hier ereignet sich im Diskant des Klaviersatzes ein Anstieg einer Quarte und zweier Terzen gegenläufig zum Fall der melodischen Linie und sie auf diese Weise akzentuierend. Denn auf den Worten „mit Namen Irmelin“ beschreibt sie, ganz der Bedeutung dieser Figur als Protagonistin des Balladengeschehens entsprechend, eine in tiefer Lage ansetzende und im Ambitus eine ganze Oktave in Anspruch nehmende Bogenbewegung, die über einen Quintfall in einer Dehnung auf der letzten Silbe von „Irmelin“ in einer langen Dehnung auf der tonalen Ebene eines „F“ in tiefer Lage endet. Und das ist bemerkenswerterweise der Grundton, denn dieser so weit ausgreifende melodische Bogen ist in F-Dur mit Zwischenrückung zur Dominante harmonisiert.

    Und nun erklingt, dies nach einer halbtaktigen Pause, erstmals der Refrain. „Langsam (sehr innig“ lautet hier die Anweisung für den Vortrag der melodischen Linie. Alles ist anders, so der - noch unreflektierte - Eindruck, den die Liedmusik hier auf ihre Hörer macht. Der Blick in die Noten lässt erkennen, wodurch dieser zustande kommt. Die melodische Linie, die sich bislang mit relativ ruhigen deklamatorischen Schritten in mittlerer tonaler Lage entfaltete, beschreibt nun gleich zweimal, bei den Worten „Irmelin Rose“ und Irmelin Sonne“ nämlich, eine aus einem leicht gedehnten Sekundfall in hoher Lage hervorgehende Anstiegsbewegung, die sie erst zu einem hohen „F“, dann, im zweiten Fall, sogar zu einem „Ges“ in hoher Lage führt, und von dort geht sie in einen ausdrucksstarken Fall über, der beim zweiten Mal ebenfalls eine Steigerung erfährt: Von einer Quarte bei „Rose“ zu einer Sexte bei „Sonne“. Der lobpreisende Anruf erhält auf diese Weise starke Expressivität, und dazu tragen auch Harmonik und Klaviersatz das Ihrige bei. Harmonisiert ist diese in leichter Variation sich wiederholende melodische Figur in Ces-Dur, und das Klavier begleitet sie im Diskant mit einem lang gehaltenen Akkord im Wert einer halben Note, an den sich eine triolische Folge von einem dreistimmigen Viertel-Akkord und zwei Oktaven anschließt.

  • „Irmelin Rose“ (II)

    Während die Melodik im ersten Teil des Refrains im Anruf-Gestus angelegt ist, mutet sie im zweiten wie ein Nachruf an. Dies deshalb, weil die melodische Linie zwei Mal, auf „Irmelin“ und auf den Worten „alles was schon war“ eine in hoher Lage ansetzende Fallbewegung beschreibt. Und auch hier ereignet sich eine Steigerung in der Expressivität. Der erste melodische Fall erfolgt, in Rückung von Des- nach B-Dur harmonisiert, von einem hohen „Ges“ aus in Sekundschritten über das Intervall einer Terz. Der zweite aber setzt auf einem hohen „As“ an, also eine Terz höher, und er geht nach einem anfänglichen Sekundschritt in eine geradezu rasante Abwärtsbewegung über: Erst in Gestalt eines verminderten Quartfalls, dann, nach einer Tonrepetition, über das große Intervall einer verminderten Septe bis hinab zu einem tiefen „E“. Hier begleitet das Klavier mit fallend angelegten Folgen von drei- und zweistimmigen Achtel-Akkorden im Diskant, und die Harmonik vollzieht erst noch einmal die Rückung von Des-Dur nach B-Dur, das tiefe „E“ auf dem Wort „war“ ist aber in eine C7-Harmonik gebettet, die im nun folgenden dreitaktigen Nach- und Zwischenspiel, versehen mit der Anweisung „innig“, in ein F-Dur übergeht.

    Hier, in dieser Umsetzung der Worte „alles was schön war“ in Liedmusik, zeigt sich wieder einmal der hohe Grad an Subtilität, den Zemlinskys Liedkomposition im Bereich der Gestaltung der Melodik und ihrer Harmonisierung inzwischen erreicht hat. Die im Quintenzirkel weit ausgreifende harmonische Rückung von Des- nach C-Dur verleiht dem ausdruckstarken Septfall auf den Worten „schön war“ eine markante Akzentuierung. Der affektive Gehalt des Wortes „schön“ bewirkt, dass die melodische Linie in ihrem Fall auf ihm in Gestalt einer Repetition kurz innehält, aber weil all diese sich um die Gestalt der „Irmelin“ sich rankende „Schönheit“ eine ist, die, wie das Präteritum „war“ es zum Ausdruck bringt, vergangenen Zeiten angehört, geht die melodische Linie am Ende zu diesem Sturz in die Tiefe über. Die Vergegenwärtigung dieser Schönheit im Refrain erfordert allerdings, dass die Harmonik eine in die klangliche Helle führende Rückung vom tiefen Des-Dur zum nun leuchtend wirkenden F-Dur vollzieht.

    In der zweiten Strophe sind Melodik und Klaviersatz weitgehend mit denen in der ersten identisch. Nur auf den Worten des dritten Verses („Und mit jedem Reim der Sprache“) beschreibt die melodische Linie eine neue, stark durch eine Falltendenz geprägte Bewegung: Die Worte „jedem“ und „Sprache“ erfahren jeweils durch einen melodischen Quintfall eine deutliche Hervorhebung. In seiner kompositorischen Faktur ganz und gar neu angelegt ist aber jetzt der Refrain. Nun atmet er den Geist eines innigen, geradezu zärtlich anmutenden Lobpreises. „Sehr zart“ lautet dementsprechend die Vortragsanweisung. Die melodische Linie steigt dieses Mal nicht in hohe Lage auf, sondern entfaltet sich in einem Auf und Ab im Ambitus einer Terz in oberer Mittellage, wobei sie - und das macht sie so eindringlich - auf dem Wort „Irmelin“ die immer gleiche Bewegung beschreibt: Ein rhythmisiertes Ab und Auf in Sekundschritten, wobei der erste den Wert eines punktierten Achtels, der zweite den eines Sechzehntels und der dritte den eines Viertels hat. Nur einmal ereignet sich ein größerer Fall, und dies aus Gründen der Akzentuierung der Anrede: Bei dem Wort „Rose“ geht die melodische Linie mit einem Sextfall zu einer Repetition auf der tonalen Ebene eines tiefen „F“ über. Bei „Sonne“ beschreibt sie dann aber eine sich markant davon abhebende Kombination aus Sekundsprung und -fall in oberer Mittellage.

    Wesentlich zur zarten Eindringlichkeit der Liedmusik tragen hier auch der Klaviersatz und die Harmonisierung der melodischen Linie bei. Diese besteht aus zweimaligen Rückungen von der Dominante zur Tonika F-Dur auf dem Namen „Irmelin“, beim dritten Mal setzt diese Rückung allerdings auf einem d-Moll an, das eine starke affektive Komponente in die Harmonik einbringt. Dem entspricht, dass im Klaviersatz, der im Diskant durchweg aus klanglich zart anmutenden Legato-Sprüngen von Vierteln aus einem bitonalen Akkord besteht, bei dem auf „Irmelin“ folgenden Terzfall bei dem Wort „alles“ das Klavier im Bass eine ansteigend angelegte Achtel-Quartole erklingen lässt, die noch einmal mit der Vortragsanweisung „zart“ versehen ist. Bemerkenswert auch, dass sich nun auf den Worten „was schön war“ kein in hoher Lage ansetzender verminderter Septfall der melodischen Linie ereignet. Es ist nun nur einer über eine Terz in mittlerer Lage, der mit einem verminderten Sekundschritt eingeleitet wird.

    Die dritte Strophe reklamiert - und das zu Recht - mit ihrem höheren Grad an narrativen Geschehnissen für Zemlinsky eine eigene, auf Wiederholungen verzichten müssende Liedmusik. Nicht ganz, allerdings. Das gilt nur für den narrativen Teil, nicht für den Refrain, denn dieser stellt eine identische Repetition der Version in der ersten Strophe dar. Die nach einem zweitaktigen, den nachfolgend als Begleitung fungierenden Klaviersatz aufklingenden lassenden Zwischenspiel einsetzende Melodik weist in ihrer rhythmisiert-fließenden Entfaltung in kleinem Ambitus auf mittlerer tonaler Ebene die Anmutung von hurtig berichtender Erzählung auf. Auf dem Wort „Freier“ liegt ein noch ruhiger Quartfall in ruhigen deklamatorischen Viertelschritten, dann aber, bei den Worten „kamen scharenweise“ wird’s eilig, mit einem vierschrittigen Sekundfall aus Achtel- und Sechzehntelschritten, einer langen Dehnung in Gestalt einer Tonrepetition auf dem Wortteil „scharen-“ und einem Viertel-Achtelfall auf „-weise“. Bei dem Wort „hergezogen“ verharrt die melodische Linie, in A-Dur harmonisiert, in Repetitionen auf der Ebene eines „Cis“ in oberer Mittelage und geht auf der letzten Silbe des Wortes, verbunden mit einer harmonischen Rückung nach D-Dur, in einen Sekundfall über. Es folgt auf den Worten „zum Palast“ eine Art kurzes Zur-Ruhe Kommen der Melodik in Gestalt eines in eine lange Dehnung auf der tonalen Ebene eines „A“ in mittlerer Lage übergehenden Terzfalls.

  • „Irmelin Rose“ (III)

    Bei den Worten „Und mit zärtlichen Gebärden / Klang ihr Schmeicheln ohne Rast“ behält die nach einer halbtaktigen Pause diesen deklamatorischen Gestus der gleichsam eiligen, durchweg in Dur-Harmonik gebetteten Entfaltung in rhythmisierten Schritten im Wert von vorwiegend Achteln und Sechzehnteln bei, mutet nun aber, bedingt durch die Aussage des lyrischen Textes stärker affektiv aufgeladen an. Bei dem Wort „zärtlichen“ beschreibt sie einen aus einem Quartsprung hervorgehenden gedehnten Sekundfall mit nachfolgend rhythmisierter Tonrepetition in mittlerer Lage, und bei „Schmeicheln ohne Rast“ steigt sie in Gestalt von zweischrittigen Repetitionen in hohe Lage auf, um dort aus einer kleinen Dehnung über einen Quartfall mit nachfolgendem Sekundschritt in einer langen Dehnung auf einem „D“ in oberer Mittellage zu enden, das als Grundton fungiert, weil die Harmonik hier eine die Strophe beschließende Kadenz-Rückung von der Dominante A-Dur zur Tonika D-Dur vollzogen hat. Auch im Klaviersatz findet der affektive Gehalt des zweiten Verspaares dieser Strophe seinen Niederschlag. Das Klavier begleitet nun nicht mehr, wie beim ersten Verspaar, mit einfachen rhythmisierten Akkordfolgen, sondern mit sprunghaft angelegten Figuren von sich aus einer Oktave lösenden Vierteln und Achteln.

    Dass die Liedmusik sich in der vierten und letzten Strophe von diesem heiter-erzählerischen Grundton entfernen und zu einem energischeren, dramatisch geprägten übergehen wird, das deutet das nun relativ lange, drei Takte in Anspruch nehmende Zwischenspiel an. Eingeleitet mit einer rasanten, steigend angelegten Zweiunddreißigstel-Sextole erklingt, und dies im Forte, im hohen Diskant eine wiederum rhythmisierte, weil aus punktierten Viertel und Achteln bestehende Folge von Terzen, unter der im Bass Triolen aus einem Achtel und zwei Sechzehnteln in die Tiefe rasen. Am Ende, während im Bass Stille herrscht, schlägt das Klavier im Diskant, und das immer noch forte, eine Reihe von sich langsam in der tonalen Ebene absenkenden vier- und fünftstimmigen Akkorden an, je im Wert eines punktierten Viertels und eines Achtels hintereinander, wobei die Harmonik, die zuvor noch arglos im Bereich von F-Dur und C-Dur verblieben war, nun mit einem Mal eine Rückung von einer verminderten E-Tonalität über einen Dominantseptakkord in „A“, nach D-Dur beschreibt.

    Diese vielstimmige rhythmisierte Akkordfolge kommt einem bekannt vor, man kennt sie aus dem Vorspiel und von der Begleitung der Melodik der ersten Strophe her. Und tatsächlich: Die Melodik auf den Worten „Doch Prinzessin Stahlherz jagte“ stellt eine identische Wiederkehr derjenigen dar, die auf den Worten des ersten Verses der Eingangsstrophe liegt, nur dass sie nun staccato vorgetragen werden soll. Auch der Klaviersatz ist der gleiche, und das setzt sich über alle weiteren Verse so fort. Melodik und Klaviersatz sind mit jenen dort identisch.

    Und auch die Melodik des Refrains stellt eine Wiederholung dar. Nur ist es nicht die der ersten Strophe, vielmehr erklingt die in ihrer Struktur sanfter und milder angelegte des Refrains der zweiten Strophe. Zemlinsky will mit diesem Rückgriff auf die zweite Variante des Refrains das Bild von der „Prinzessin Stahlherz“ am Ende gleichsam zurechtrücken und deren im Grunde doch zartes weibliches Wesen hervorheben. Und deshalb legt er den die melodische Linie begleitenden Klaviersatz nun, anders als in der ersten Fassung des Refrains, nicht sprunghaft leicht, sondern gewichtiger, die deklamatorischen Schritte akzentuierender an: In Gestalt von partiell synchronen Folgen von Oktaven und dreistimmigen Akkorden in Diskant und Bass. Auf den Worten „Rose“ und „Sonne gehen diese allerdings in eine melismatisch anmutende Figur aus einem rhythmisierten Fall und Sprung von dreistimmigem Akkord und Oktaven über.

  • „Und hat der Tag all seine Qual“, op.8, Nr.2

    Und hat der Tag all seine Qual
    Tautränend ausgeweint,
    Dann öffnet Nacht den Himmelssaal
    In ewigen Trübsinns stiller Qual.
    Und eins und eins
    Und zwei und zwei
    Zieht fremder Welten Genienchor
    Aus dunklem Himmelsgrund hervor,
    Und über irdischen Lüsten und Schmerzen,
    In Händen hoch die Sternenkerzen,
    Schreiten sie langsam über den Himmel hin.
    Tieftraurig gehen sie,
    Treu dem Gebot . . .
    Verwunderlich wehen,
    Von des Weltraums kalten Winden bedroht,
    Der Sternenkerzen flackernde Flammen.

    (Jens Peter Jacobsen)

    Die vier Lieder des Opus 8 entstanden im Frühjahr 1899. Eine thematische Verwandtschaft lässt sich unter ihnen nicht ausmachen, wohl aber setzt Zemlinsky hier sein liedkompositorisches Konzept des Operierens mit kühnen harmonischen Rückungen in der Harmonisierung der melodischen Linie weiter fort. Bei diesem Lied, der Nummer 2 in diesem Opus, bietet ihm der lyrische Text von Jens Peter Jacobsen, reichlich Anlass dazu, denn die Erfahrung von „Nacht“ wird hier mit einer Metaphorik lyrisch zum Ausdruck gebracht, die, weil sie in kosmischen Räumen angesiedelt ist, zugleich aber in einen Bezug zur irdisch-menschlichen Lebenswelt gebracht wird, ein hohes evokatives Potential aufweist. Dieses so tief und umfassend musikalisch auszuloten, dazu dient ihm neben der spezifischen Struktur der Melodik vor allem die Harmonik.

    Jens Peter Jacobsen, den Zemlinsky wohl sehr geschätzt hat, denn er vertonte insgesamt vier Gedichte von ihm, scheint, wie „Irmelin Rose“ ja schon gezeigt hat, seine Poesie gerne episch ausgerichtet zu haben. Hier äußert sich diese dichterische Neigung darin, dass die Erfahrung von Nacht nicht aus der Perspektive eines lyrischen Ichs erfolgt, vielmehr im sprachlichen Gestus des narrativ-deskriptiven Berichts. Der Bezug der nächtlich-kosmischen Bilder zur irdischen Lebenswelt wird über die beiden narrativ allgemein gehaltenen Eingangsverse hergestellt, dann aber doch auf poetisch subtile, weil indirekte Weise in den Erfahrungsraum eines lyrischen Ichs hereingeholt, und dies dadurch, dass über den neunten Vers ein eine Verbindung zwischen den irdisch-menschliche Emotionen und jenen hergestellt wird, die von dort in die kosmischen Bilder projiziert werden.


  • „Und hat der Tag all seine Qual“. Zur Faktur der Komposition und ihrer liedmusikalischen Aussage

    Der Liedmusik liegt ein Vierviertelakt zugrunde, und sie soll „sehr langsam und leise“ vorgetragen werden. Das als Grundtonart vorgegeben As-Dur erklingt zwar im Vorspiel zwei Mal, danach aber tritt es auf markante Weise in der Harmonisierung der melodischen Linie nur noch einmal auf, denn diese ereignet sich in permanenter und im Quintenzirkel bis in den Kreuztonbereich ausgreifender Rückung. Ein relativ langes, nämlich vier Takte einnehmendes Vorspiel geht dem Einsatz der melodischen Linie voraus. Im Pianissimo erklingt synchron in Bass und Diskant eine Folge von sieben- bis achtstimmigen Akkorden, wobei die Harmonik eine Rückung von As-Dur über D-Dur, verminderte D-Tonalität, Des-Dur bis hin zur Dominantseptvariante der Tonart „C“ beschreibt. In hoher Diskant- und Basslage sind diese Akkorde angesiedelt, ein helles Klangbild stellt sich deshalb ein, und es ist ein auf bemerkenswerte Weise rhythmisiertes: Von den sechs Akkorden pro Takt ist der erste, der dritte, der vierte und der sechste einer im Wert eines Achtels, der zweite und der vierte haben den eines Viertels. Diese markante, der Liedmusik durchgängig bis zum Ende innewohnende Synkopen-Rhythmisierung prägte schon einmal ein hier vorgestelltes Lied: Die Nimmer zwei des Opus 7, versehen mit dem Titel „Entbietung“. Bei der Besprechung desselben wurde erwähnt, dass der Zemlinsky-Biograph Antony Beaumont hier von „Tscherkessen-Rhythmik" spricht.

    Hier allerdings mutet diese, auch weil sie leise und langsam auftritt, vergleichsweise sanft an und mild an. Die kosmische Nacht-Metaphorik und deren um „stille Qual“ kreisende affektive Konnotation bedingen das. Und so, nämlichen in ruhigen deklamatorischen Schritten sich entfaltend, ist auch die melodische Linie angelegt. Zwar nimmt sie darin einen relativ großen, eine ganze Oktave umfassenden Ambitus ein, das geschieht aber nicht in Gestaltung von kurzschrittig sprunghaften Anstiegs- und Fallbewegungen, sondern gleichsam weiträumig, im Verlauf ihrer weit ausgreifend angelegten Phrasierung. Im Piano-Pianissimo tritt sie bei den ersten Worten an, und im weiteren Verlauf der Liedmusik kommt da und dort, das aber sehr selten, mal ein Crescendo in sie, über das Pianissimo führt es sie dabei aber nicht hinaus. Große Ruhe, Stille und tiefe Innigkeit prägen dieses Lied auf beeindruckende Weise.

    Typisch für den ihr zugrundeliegenden Gestus ist die Entfaltung der melodischen Linie in der ersten, die Worte des ersten Verspaares beinhaltenden und in eine lange, sich über zwei Takte erstreckende Pause mündenden Melodiezeile. Auch diese immer wieder in sie eintretenden Pausen gehören, wie auch das Verharren in Dehnungen, zu ihrem wesenhaft stille Innerlichkeit verkörpernden Gestus. Bei den Worten „Und hat der Tag“ setzt sie auftaktig auf der Ebene eines „C“ in tiefer Lage ein, geht über einen Sekundanstieg in einen Quartsprung zu einem „As“ in mittlerer Lage über, um gleich darauf aber wieder um eine Sekunde zu einer Dehnung auf der Ebene eines „G“ zurückzusinken. Auch auf der Anstiegsbewegung in Sekundschritten und einer Terz bei den Worten „all seine Qual“ wiederholt sich das: Auch hier am Ende, also auf dem Wort „Qual“, das Innehalten in einer Dehnung. Sie ist übrigens in As-Dur harmonisiert, als Resultante eines vorangehenden und den Anstieg klanglich prägenden b-Molls allerdings. Auf dem Wort „tautränend“ beschreibt die melodische Linie eine Kombination aus Sekundsprung und -fall in hoher Lage, wobei sie unmittelbar hintereinander in ein Crescendo und ein Decrescendo übergeht. Zusammen mit nachfolgenden gedehnten Fall und Wiederanstieg über eine Quarte entfaltet sie hier hohe Ausdruckskraft.

    Im zweitaktigen Zwischenspiel lässt das Klavier diese melodische Figur noch einmal erklingen, danach aber gleichsam in sich zusammenfallen und in Moll-Harmonik eintauchen. Das lyrische Bild von der Öffnung des „Himmelssaals“ bewirkt, dass die Melodik aus der Verhaltenheit, in der sie sich bei den ersten beiden Versen entfaltet, ausbricht und eindrückliche Expressivität entfaltet. Hier arbeitet Zemlinsky mit einem regelrechten Überraschungseffekt, denn er lässt die melodische Linie bei den Worten „dann öffnet“ erst einmal eine Fallbewegung über eine verminderte Sekund und eine Terz in tiefer Lage beschreiben, wobei die Harmonik eine ausdrucksstarke Rückung von c-Moll nach Ces-Dur vollzieht. Dann erklingt im Bass ein fast zwei Oktaven überspannender Sechzehntel-Aufstieg, und die melodische Linie setzt bei den Worten „Nacht den Himmelssaal“ zu einem Auf und Ab auf einer um eine ganze Oktave angehobenen tonalen Ebene, in hoher Lage also ein, wobei sie allerdings auf der Silbe „-saal“ in einen verminderten Sekundfall übergeht, der mit einem Diminuendo verbunden ist. Eine Achtelpause folgt nach.

    Der Grund für dieses Stocken liegt in der überraschenden Wendung, die das lyrische Bild hier nimmt. Mit dem Wort „Himmelssaal“ assoziiert man geradezu zwangsläufig himmlische Weite und Helligkeit, Jacobsen aber verbindet es mit den Worten „In ewigen Trübsinns stiller Qual“. Für ihn ist der sich öffnende nächtliche Himmel kein Ort transzendenter Erlösung und Befreiung von irdischer Qual und Enge, er wird von einem gleichsam imaginären lyrischen Ich als Projektion und Widerspiegelung von dessen „Trübsinn“ und „stiller Qual“ erfahren. So wird man wohl diese seltsamen Verse interpretieren dürfen. Die melodische Linie reagiert jedenfalls auf sie in genau diesem Sinn.

    Von der tonalen Ebene eines hohen „Des“, auf der sie mit der Achtelpause innehielt, geht sie, begleitet – wunderlicher Weise - noch einmal mit der aufschießenden Sechzehntel-Quintole im Bass, in einen Sekundfall über, vollzieht dort eine dreischrittige Repetition, senkt Sich in der Zögerlichkeit, die ihr hier innewohnt, erst noch einmal über eine kleine Sekunde weiter ab, um dann aber endlich auf dem Wort „Trübsinn“ in einen entschiedenen, mit der harmonischen Rückung von Ces- nach F-Dur verbundenen, Fall über eine verminderte Quarte und zwei Sekunden hinab zu einem tiefen „Es“ überzugehen, von dem aus sie sich schließlich mit einem Quintsprung zu einer langen, in Es-Dur gebetteten Dehnung auf dem Wort „Qual“ auf der Ebene eines „B“ in mittlerer Lage aufschwingt. Durchweg wird all das vom Klavier mit seinen in der üblichen Weise rhythmisierten Akkord-Folgen in hoher Diskantlage begleitet.

  • Banner Trailer 2 Gelbe Rose
  • „Und hat der Tag all seine Qual“ (II)

    Das ist hochgradig artifizielle Liedmusik, was man da auf den ersten vier Versen des Jacobsen-Gedichts vernimmt. Eben deshalb wurde sie in ihrer Struktur so detailliert aufgezeigt.
    Das kann - und muss auch nicht - in dieser Weise fortgesetzt werden. Auf einige Passagen des Liedes ist, um eben diese seine liedkompositorisch kunstvolle Faktur ersichtlich werden zu lassen, nur noch näher einzugehen. Der Aspekt „liedmusikalische Reflexion der lyrischen Aussage“ soll dabei die Leitlinie sein.
    Hoch artifiziell ist die Art und Weise, wie Zemlinsky die poetisch ebenfalls kunstvolle, weil episodisch auftretende Wortfolge „Und eins und eins / Und zwei und zwei“ aufgreift und musikalisch umsetzt. Die melodische Linie beschreibt hier, versehen mit der ausdrücklichen Vortragsanweisung „sehr leise“ in repetitivem Gestus einen Anstieg auf tiefer tonaler Ebene in rhythmisierten Halbtonschritten, wobei die Harmonik eine Rückung von Es-Dur über Fes-Dur und f-Moll nach fis-Moll vollzieht.

    Auf diese Weise leitet sie höchst eindrücklich zu dem bedeutungsvollen Geschehen über, das sich bei den nachfolgenden Worten „Zieht fremder Welten Genienchor / Aus dunklem Himmelsgrund hervor“ ereignet. Das wellenartige Auf und Ab, das die melodische Linie hier auf sich langsam absenkender tonaler Ebene in einer Dur-Harmonisierung (H-, E-, Cis- und A-Dur) vollzieht, um schließlich bei dem Schlusswort „hervor“ in einen ausdrucksstarken Quartsprung mit nachfolgender Dehnung überzugehen, will Zemlinsky „warm, doch immer sehr zart“ vorgetragen wissen. Diese „Genien“ aus „fremden Welten“, als die, wie der Vers „In Händen hoch die Sternenkerzen“ erkennen lässt, wohl die Sterne am nächtlichen Himmel erfahren werden, stellen so etwas wie den Gegenpol zu der irdischen Welt von „des Tages Qual“ dar, und deshalb legt Zemlinsky auf die Worte der Verse sieben und acht diese so warm und lieblich anmutende Melodik. Und überdies lässt er im zweitaktigen Nach- und Zwischenspiel „ausdrucksvoll“ eine sich in hohe Diskant-Oktavlage hinaufbewegende Folge von Achtel-Oktaven erklingen, - ebenfalls ausschließlich in Dur-Harmonik (E-, A- und H-Dur) gebettet.

    In dieser reinen Dur-Harmonisierung im Kreuzton-Bereich des Quintenzirkels verbleibt die Melodik auf den nachfolgenden Versen aber nicht. Immer wieder einmal geht sie kurz in die Verminderung über, und das zumeist textbedingt. So auf der Tonrepetition in tiefer Lage auf dem Wort „Schmerzen“ oder bei dem ausdrucksstarken Sextfall auf dem Wort „langsam“, der das Schreiten der „Genien“ „über den Himmel hin“ charakterisiert. Hier beschreibt die melodische Linie einen Anstieg aus tiefer Lage hoch über eine ganze None, um schließlich über einen verminderten Sekundfall in einer langen Dehnung auf dem Wort „hin“ zu enden. Das Klavier vollzieht diese Bewegung in Gestalt von Oktaven im Diskant mit, und die Harmonik rückt von E-Dur nach Fis-Dur.

    Nun aber ist es vorbei mit den nur unwesentlich durch vereinzelt auftretende harmonische Dissonanz getrübten Anflügen von Lieblichkeit in der Melodik. Mit dem Wort „tieftraurig“ setzt der lyrische Text im dritten Teil der Liedmusik ein. Im zweieinhalbtaktigen Vor- und Zwischenspiel erklingen deshalb die rhythmisierten Akkordfolgen des Vorspiels und des Klaviersatzes, der an sich durchweg in der Liedmusik präsent ist und sie prägt, im mit den Worten „Und eins und eins Und zwei und zwei“ eingeleiteten Mittelteil aber in Bass-Bereich verdrängt wurde. Nun aber dringt er wieder in den Diskant vor, nicht aber, und das ist bemerkenswert, in der massiven, Diskant und Bass übergreifenden Gestalt, in der er im Vorspiel auftritt, im Pianissimo, wie üblich. Schon bei der Melodik auf den Worten „Tieftraurig gehen sie“ verdünnt er sich im Diskant, indem aus den vierstimmigen Akkorden Oktaven werden, über weiterhin vierstimmigen Akkordfolgen im Bass allerdings. „Sehr weich“ beschreibt die melodische Linie auf diesen Worten ein Auf und Ab in Sekundschritten auf hoher Lage, das bei „gehen sie“ in einen gedehnten Quartfall mit nachfolgender Rückkehr zur Ausgangsebene übergeht.

    Der sich auf den Worten „Tieftraurig gehen sie“ andeutende und durch eben dieses lyrische Bild bedingte Fall der melodischen Linie setzt sich, in Rückung von Des-Dur nach C-Dur harmonisiert, auf den Worten „treu dem Gebot“ bis in mittlere tonale Lage fort und wird dabei vom Klavier mit in der üblichen Weise rhythmisierten bitonalen Akkorden (Quarten, Quinten und Terzen) begleitet. Da lyrische Schlussbild von den „flackernden Flammen“ der „Sternkerzen“ hat in seiner eigenartigen Wunderlichkeit Zemlinsky zu einer höchst eindrücklichen Liedmusik beflügelt. Zunächst setzt die melodische Linie, versehen mit der Vortragsanweisung „immer leise“; bei den Worten „Verwunderlich wehen, / Von des Weltraums kalten Winden bedroht“ im deklamatorischen Gestus der Tonrepetition auf aus oberer Lage sich schrittweise absenkender tonaler Ebene ein, begleitet nun erst von Oktaven im Diskant, dann wieder von bitonalen Quarten und harmonisiert in H-, B- und F-Dur, mit allerdings einer verminderten C-Tonalität bei der dreimaligen Tonrepetition bei dem Wort „verwunderlich“ auf der Ebene eines „C“ in oberer Mittellage. Dieses Wort erfährt auf diese Weise eine seinen bedeutsamen semantischen Gehalt berücksichtigende Hervorhebung. Und der affektive Gehalt von des „Weltraums kalten Winden“ wird mit einem Verharren der melodischen Linie in Gestalt von durch einen verminderten Quartsprung und einen Sekundfall unterbrochenen Tonrepetitionen auf der Ebene eines tiefen „Fis“ und „F“ eingefangen.

  • „Und hat der Tag all seine Qual“ (III)

    Wie zögerlich, weil lang gedehnt, in verminderte C-Harmonik gebettet und vom Klavier mit einer ansteigenden Folge von dreistimmigen Akkorden und Oktaven begleitet, mutet der melodische Terzfall auf dem ersten Teil des Kompositums „Sternenkerzen“ an, der beim zweiten Teil, also auf „-kerzen“ in einen in tiefer Lage endenden Quartfall übergeht, wobei die Harmonik eine in die klangliche Helligkeit führende Rückung nach A-Dur beschreibt. Das Wort „flackernde“ wird mit einem seinen semantischen Gehalt treffenden und in Gis-Dur harmonisierten triolischen Auf und Ab in partiell verminderten Sekundschritten versehen und bei dem Schlusswort „Flammen“ vollzieht die melodische Linie einen ruhigen, weil in deklamatorischen Schritten im Wert eines Viertels erfolgenden verminderten Sekundfall.

    Die Melodik des Liedes endet auf einem „E“ in tiefer Lage, das vom Klavier im Bass mit einem arpeggierten Dominantseptakkord der Tonart „E“ begleitet wird. Das ist ein offenes Ende, das die Antwort auf die sich einstellende Frage überlassen will, wie das imaginäre lyrische Ich diese so eigenartigen, weil zwielichtigen und ambivalenten Erfahrungen von „Nacht“ aufgenommen haben mag.

    Das achttaktige Nachspiel mutet in seiner klanglichen Aussage diesbezüglich eindeutig an. Die steigend angelegten Folgen von dreistimmigen Akkorden und Oktaven, mit denen das Klavier zuletzt die melodische Linie begleitete, lösen sich, nun in As-Dur harmonisiert, in einem Fall in Einzeltöne auf, diese beschreiben eine in einen dreistimmigen A-Dur-Akkord mündende Bogenbewegung. Und nun erklingt vier Takte lang im dreifachen Pianissimo eine Folge von rhythmisierten sechsstimmigen Akkorden, in As-Dur und verminderte Es-Harmonik gebettet und endend nach einem verminderten fermatierten Es-Akkord in einem ebenfalls eine Fermate tragenden sechststimmigen As-Dur-Akkord im Diskant, dem im Bass ein Fall einer As-Oktave nachfolgt.

    Kann man das so verstehen, dass sich das imaginäre lyrische Ich zu diesen Sphären der flackernden Flammen der „Sternenkerzen“ emporgehoben fühlt?
    Ich denke, man kann.

  • „Mit Trommeln und Pfeifen“, op.8, Nr.3

    Mit Trommeln und Pfeifen bin ich oft marschiert,
    Neben Trommeln und Pfeifen hab' ich oft präsentiert,
    Vor Trommeln und Pfeifen bin ich oft avanciert
    In den Feind, hurra!

    Die Trommeln und Pfeifen, die hör' ich nicht mehr,
    Und Trommeln und Pfeifen, rückten sie her,
    Hinter Trommeln und Pfeifen hinkte zu schwer
    Mein Stelzfuß, o weh!

    Wenn Trommeln und Pfeifen mir kämen in Sicht,
    Gegen Trommeln und Pfeifen mein Ohr hielt' ich dicht,
    Die Trommeln und Pfeifen ertrüg' ich nicht,
    Mir bräche das Herz.

    Und Trommeln und Pfeifen, das war mein Klang,
    Und Trommeln und Pfeifen, Soldatengesang,
    Ihr Trommeln und Pfeifen, mein Leben lang
    Hoch Kaiser und Heer!

    (Detlev v. Liliencron)

    Dieser in lyrischen Bildern dezent gehaltenen, aber in ihrer Aussage doch deutlichen Anti-Kriegslyrik dürften persönliche Erfahrungen zugrunde liegen. Detlev von Liliencron nahm als Offizier 1864 am Feldzug gegen Polen teil, ebenso im Krieg von 1866 und wurde 1870 bei Saint Rémy verwundet. Seine mittels vierfüßigen Daktylen streng reglementierten und je Strophe mit einem knappen Ausruf-Refrain abgeschlossenen Verse atmen auf amüsant-feine, weil innere Distanzierung davon zum Ausdruck bringende Weise militärischen Geist.

    Das mag Zemlinsky angesprochen haben, und es ist eine bemerkenswerte, ihre Rezipienten ansprechende Liedkomposition dabei herausgekommen. Ich würde allerdings nicht so weit gehen wie sein Biograph, der sie mit Mahlers „Tamboursg´sell“ vergleicht. Gemeinsam haben beide Lieder nur das Thema, ansonsten liegen kompositorische Welten zwischen ihnen.

    Im Vergleich zu derjenigen Mahlers wirkt die Liedmusik von Zemlinsky geradezu harmlos. Immerhin hat er der Versuchung widerstanden, sich durch die formelhaft-permanente Wiederkehr des Kompositums „mit Trommeln und Pfeifen“ zum Griff nach dem Strophenlied-Konzept verleiten zu lassen, hat stattdessen die Durchkomposition gewählt, was ihm die Möglichkeit bot, die im lyrischen Text gleichsam untergründig präsente Welt von Militär und Krieg in all ihren Dimensionen musikalisch zu erfassen. Und das ist ihm voll und ganz gelungen, wobei eines der dabei genutzten Mittel das rhythmische Ostinato ist.


  • Ich muss mich korrigieren.

    Zwar ist nicht falsch, was ich vorangehend feststellte: Dass dieses Zemlinsky-Lied und Mahlers „Tamboursg´sell“ das Thema "Krieg" gemeinsam hätten. Aber das ist eine rein formale Feststellung. Mahlers Komposition liegt eine völlig andere Aussage-Intention zugrunde. Von daher verbietet sich jeglicher Vergleich.

    Abschied ist das zentrale Thema des Mahler-Liedes. Die dritte Strophe setzt mit den Worten „Gute Nacht“ ein, und der Tambour wird sie noch fünf Mal wiederholen, - mal in aufsteigender melodischer Linie, dann nämlich, wenn sie mit einer an seine Außenwelt gerichteten Ansprache verbunden sind, mal in fallender, wenn er in die Einsamkeit seiner monologischen Situation zurückfällt. Und am Ende in einem aus einem langen Verharren auf nur einer tonalen Ebene hervorgehenden, und aus diesem Grund geradezu abgrundtief müde und resignativ wirkenden melodisch gedehnten kleinen Sekundfall in tiefer Lage.

    Es ist ein Abschied vom Leben, den die Liedmusik hier klanglich imaginiert. Und die melodische Linie der Singstimme bringt das zum Ausdruck, indem sie sich wie in einem letzten Aufbäumen von Leben und Leben-Wollen mehrfach aus ihrem im Grunde fallenden und in tiefer Lage verharrenden Gestus aufbäumt und in eine Aufstiegsbewegung übergeht, die freilich nicht anhalten kann und alsbald wieder in sich zusammenfällt.

    Eine detaillierte Besprechung dieses Mahler-Liedes findet sich hier: Gustav Mahler. Seine Lieder, vorgestellt und besprochen in der Reihenfolge ihrer Entstehung und Publikation

  • „Mit Trommeln und Pfeifen“. Zur Faktur der Komposition und ihrer liedmusikalischen Aussage

    Ein Viervierteltakt liegt zugrunde, als Grundtonart sind vier „B“, As-Dur, bzw. f-Moll also, vorgegeben, und die Vortragsanweisung lautet, wie könnte es anders sein: „Marschmässig“. Im zweitaktigen Vorspiel wird dieser Geist des Marsches evoziert, in Gestalt einer jeweils mit Vorschlag versehenen Repetition eines Viertels und zweier Achtel auf der tonalen Ebene eines „C“ in tiefer Lage im Diskant, synchron begleitet von einem in eine Oktave in „F“, „As“, „G“ und „B“ eingebetteten Folge von „Cs“ im Bass. Diese Oktaven deuten an, dass sich in der Abfolge der im Daktylus rhythmisierten „C“-Figuren eine harmonische Rückungen von f-Moll nach C-Dur ereignet. Die Rhythmisierung ein Viertel, zwei Achtel prägt als Ostinato durchweg die ganze Liedmusik, - nicht ganz bis zum Ende der Melodik allerdings. Bei den Worten des zweitletzten Verses gerät sie auf höchst eindrückliche Weise ins Stocken, Stocken in Gestalt eines kurzen Innehaltens erst in einem Akkord im Wert eines punktierten Viertels und danach in Viertel-Akkordfolgen statt der üblichen Achtel, und schließlich sogar in einem lang gehaltenen Tremolo im Bass mit zugehörigem vierstimmigem Halbnoten-Akkord im Diskant.

    Die Trommel-Figur des Vorspiels dient dem Klavier auch als Begleitung der melodischen Linie auf den Worten der ersten beiden Verse. Erst beim dritten Vers geht es zur Begleitung in Gestalt von vielstimmigen Akkorden im Wechsel mit bitonalen über. Natürlich rhythmisiert Zemlinsky, um den Ostinato-Effekt aufs Äußerste steigern, die Melodik in der gleichen Weise wie den Klaviersatz, dies allerdings, und das macht den spezifischen Reiz dieses Liedes aus, nicht kontinuierlich. Vielmehr nutzt er die Abweichungen davon, dies in Gestalt einer Dehnung oder des Auslassens eines Achtelschritts und Ersetzung desselben durch einen im Wert eines Viertels, dazu der lyrischen Aussage einen Nachdruck zu verleihen.

    Gleich bei der Melodiezeile auf den Worten des ersten Verses kann man die Methode vernehmen und erkennen, in der er die Melodik anlegt. Auf „mit Trommeln“ setzt die melodische Linie auftaktig mit einem Sekundsprung von einem tiefen „C“ ein, und dies in Viertelschritten und einer Repetition in Gestalt eines Achtelschritts. Danach beschreibt sie auf den Worten „und Pfeifen bin ich“ einen Anstieg in mittlere Lage mit einem Auf und Ab daselbst, und dies ausschließlich in der Rhythmik entsprechenden Achtelschritten. Bei „oft marschiert“ geht sie dann aber zu einem Quartsprung mit nachfolgender Repetition auf der Ebene eines „C“ in oberer Mittellage in Gestalt von deklamatorischen Schritten im Wert eines Viertels über, setzt sich dabei also über die rhythmische Grundfigur hinweg, ohne dabei freilich den Grundrhythmus zu verlassen, und sie verleiht damit dieser lyrischen Aussage des „oft Marsschierens“ ein besonderes Gewicht.

    Beim zweiten Vers greift Zemlinsky zum kompositorischen Mittel der Wiederholung von Melodik und Klaviersatz, um dem lyrischen Ich in seinem Sich-Präsentieren in seiner vergangenen militaristischen Lebenswelt die erforderliche Eindrücklichkeit zu verleihen. Bei dem Schlusswort „präsentiert“ weicht er aber von der ersten Melodiezeile ab. Dieses Wort ist nicht ganz so bedeutsam wie das „Marschieren“, und überdies ist eine Kontinuität zur Fortsetzung der melodischen Linie auf den Worten des dritten Verses erforderlich. Diese bringt den mit den nun zum dritten Mal artikulierten Worten „mit Trommeln und Pfeifen“ evozierten Geist des Militarismus nun auf in der Expressivität gesteigerte Art und Weise zum Ausdruck.

    Auf den Worten „vor Trommeln und“ liegt jetzt eine den Klaviersatz aufgreifende Tonrepetition auf der Ebene eines „C“ in oberer Mittellage, während das Klavier nun mit entsprechend rhythmisierten fünfstimmigen Akkorden im Bass begleitet. Danach, also bei den Worten „Pfeifen bin ich“ beschreibt die melodische Linie einen in hoher Lage ansetzenden Sekundfall in Achtelschritten und geht, nach einem das Wort akzentuierenden Zwischen-Sekundsprung auf „oft“ bei den Worten „avanciert in den Feind“ zu einem von einer kurzen Tonrepetition unterbrochenen, vom Klavier akkordisch mitvollzogenen Aufstieg in hohe Lage über, um schließlich dort dem appellativen „Hurra!“ die gebotene Expressivität in Gestalt eines Forte-Sekundsprungs mit nachfolgend langer Dehnung auf der Ebene eines hohen „Es“ zu verleihen.

    Bei den Worten des ersten Verses der zweiten Strophe knüpft die Liedmusik an die des dritten der ersten Strophe an, um die dort getroffene Aussage fortzuführen und um einen wichtigen Aspekt zu bereichern. Auf den Worten „Mit Trommeln und Pfeifen“ liegt die gleiche deklamatorische Tonrepetition auf der tonalen Ebene eines „C“ wie dort, nur dass sie nun auftaktig mit einem Oktavsprung einsetzt, nicht in As-Dur, sondern in f-Moll harmonisiert ist, vom Klavier im Diskant mit trommelartigen, mit einem Vorschlag versehenen Oktaven begleitet wird und auf der zweiten Silbe von „Pfeifen“ in einen Sekundfall übergeht. Und die nachfolgenden Worte „die hör´ ich nicht mehr“ lassen auch erkennen, warum diese Variation in der Melodik erfolgt. Deren Aussage reflektierend setzt die melodische Linie den mit dem Sekundschritt eingeleiteten Fall-Gestus mit einem kurzen Innehalten in Gestalt einer Tonrepetition weiter fort, und dies auf ausdrucksstarke Weise, nämlich über die ganze Oktave, mit der sie auftaktig einsetzte. Hier vollzieht die Harmonik allerdings eine Rückung nach C-Dur, den konstatierenden Gestus des lyrischen Textes aufgreifend.

  • „Mit Trommeln und Pfeifen“ (II)

    Die Methode, mit der Liliencron die hochgradige, weil den ganzen Menschen erfassende existenzielle Bedeutsamkeit der militärischen Lebenswelt sprachlich sinnfällig werden lässt, die permanente Repetition des Kompositums „mit Trommeln und Pfeifen“ nämlich, greift Zemlinsky auf und verstärkt sie, indem er das Mittel der deklamatorischen Repetition nutzt und auf sich steigernde Weise zum Einsatz bringt. So legt er nun beim zweiten Vers der zweiten Strophe auf diese Worte eine fünfschrittige Repetition auf einer um eine Sekunde angehobenen und in Des-Dur harmonisierten tonalen Ebene. Die melodische Linie beschreibt zwar bei „rückten sie her“ einen Quintfall, der geht aber sofort wieder in eine Anstiegsbewegung über, und bei den Worten „Hinter Trommeln und Pfeifen hinkte zu schwer
    Mein Stelzfuß, o weh!“ beschreibt die melodische Linie dann eine höchst eindrückliche, weil kontinuierlich und ganz langsam sich Sekunden in der tonalen Ebene absenkenden Tonrepetitionen. Zum Schluss ist es gar nur eine halbe Sekunde, und der mit einem Portato-Zeichen versehene verminderte Sekundfall von einem tiefen „Ges“ zu einem „F“ wirkt deshalb umso schmerzlicher.

    Das Klavier begleitet hier, versehen mit der Anweisung „wenig zurückhalten“, gleichwohl aber „piano“ mit einer wiederum militärischen Geist evozierenden Figur aus punktiertem Einzelton im Bass und einer Folge von dreistimmigem Achtel- und Viertel-Akkord im Diskant. Die Harmonik beschreibt, diesen Fall der Melodik begleitend und akzentuierend, Rückungen von Ges-Dur über Des- nach Fes-Dur, und erst im zweitaktigen Nachspiel geht das Klavier mit seinen Bass-Diskant-Sprungfiguren zu Akkorden im oberen Bereich des B-Quintenzirkels über: Von As-Dur nach B-Dur.

    Mit der dritten Strophe zieht sich die Liedmusik anfänglich ganz und gar ins Piano-Pianissimo zurück und tritt daraus erst bei den Worten „mein Ohr hielt ich dicht“ am Ende des zweiten Verses hervor. Aber nicht etwa in ein Piano, sondern gerade mal in ein Pianissimo, worin sie dann bis zum Ende verbleibt. Zemlinsky liest diese Verse, und dies zu Recht, als einen mit tiefem Schmerz einhergehenden inneren Monolog. Und eben dies kommt hier auf tief beeindruckende Weise darin zum Ausdruck, dass die melodische Linie, „ganz leise“ vorgetragen, nun bei den Worten „Wenn Trommeln und Pfeifen mir kämen in Sicht, / Gegen Trommeln und Pfeifen“ deklamatorisch in Gestalt der Grundrhythmisierung ausschließlich auf der tonalen Ebene eine „G“ in unterer Mittellage verharrt, bevor sie bei den Worten „mein Ohr“ von dort aus einen Quartsprung beschreibt, um aber gleich anschließend bei den Worten „hielt sich dicht“ nach einem zweischrittigen Terzfall zur Repetition auf dieser Ebene zurückzukehren, auf dass sich dort auf den Worten „Trommeln und Pfeifen“ die deklamatorische Repetition ereignen kann, mit der die Strophe über drei Takte lang einsetzte.

    Nun aber geschieht darin etwas Bemerkenswertes: Bei „Pfeifen“ ereignet sich ein Ausbruch daraus in Gestalt eines Quintsprungs zu einem hohen „D“, der wie Ausdruck von Schmerzlichkeit anmutet. Und Schmerz und Leid sind es ja, die bei der Imagination des Geschehens, um das es hier geht, im lyrischen Ich aufkommen. Und eben deshalb bricht die melodische Linie bei den Worten „ertrüg´ ich nicht“ und „mir bräche das Herz“ noch zwei weitere Mal, und sich darin sogar noch steigernd, aus der Repetition auf der G-Ebene aus, um einen Fall zu beschreiben. Beim ersten Mal geschieht das in Gestalt eines verminderten Terzsprungs mit sich anschließender Rückkehr zur G-Ebene. Bei zweiten Mal aber ist es ein Sprung über eine Quinte hoch zur Ebene eines „Des“, und der nachfolgende partiell triolische Sekundfall endet nun nicht mehr auf der Grundlinie „G“, sondern eine kleine Terz höher auf der eines „B“. Und immerzu bettet das Klavier all das in die klangliche Helligkeit seiner rhythmisierten Akkordrepetitionen in hoher Diskant- und Basslage und macht diesen melodischen Ausdruck von Leid und Schmerz umso eindringlicher.

    „Mit viel Wärme“, so lautet die Vortragsanweisung für die Melodik der letzten Strophe. Sie entfaltet sich in F-Dur als Grundtonart mit Rückungen zu den beiden Dominanten, mit kurzen Einbrüchen von Tonarten aus dem Kreuztonbereich und dem Tongeschlecht Moll (d-Moll und f-Moll). Es drängen sich halt vielerlei Emotionen in den im sprachlichen Imperfekt gehaltenen Rückblick des lyrischen Ichs auf sein vergangenes Leben. Und deshalb entfaltet sich die melodische Linie, statt wie bisher bei den Worten „mit Trommeln und Pfeifen“ in Gestalt von Tonrepetitionen, nun im Gestus eines immer wieder mit einer Sprungbewegung einsetzenden Falls. Ganz ausgeschieden ist darin die deklamatorische Tonrepetition allerdings nicht, sie ereignet sich, gleichsam wie im Nachklang, nur noch zweischrittig als Bindeglied zwischen den zumeist auf der Ebene eines hohen „D“ ansetzenden Fallbewegungen. Die Melodiezeile auf den Worten des ersten Verses gibt die Grundstruktur der melodischen Linie gleichsam vor, auf dem zweiten Vers wiederholt sie sich, leicht variiert und auf den tonalen Ebene um eine Sekunde angehoben und nun in C-Dur harmonisiert. Der Fall auf den Worten „Soldatengesang“ ereignet sich nun in Gestalt von fallend angelegten zweischrittigen Repetitionen und ist in einer Rückung von D-Dur nach d-Moll harmonisiert, die Emotionen zum Ausdruck bringend, die sich hier beim lyrischen Ich einstellen.

    Sie sind auch die Quelle für das, was melodisch bei dem letztmaligen lyrisch-sprachlichen Auftritt des Kompositums „mit Trommeln und Pfeifen“ geschieht. Hier ereignet sich erstmals ein Zerbrechen der tonalen Ebene in der Repetition in Gestalt eines verminderten Sekundfalls auf „Trommeln“, und bei „Pfeifen“ geht die melodische Linie gar in einen zweischrittigen Sturz über das Intervall einer Sexte über, der vom Klavier mit einem Innehalten in seinem repetitiven Gestus in Gestalt eines lang gehaltenen punktierten sechsstimmigen Viertelakkordes (Anweisung: „breiter werden“) begleitet und akzentuiert wird.

  • „Mit Trommeln und Pfeifen“ (III)

    Auf den Worten „mein Leben lang“ steigert sich die melodische Linie in ihrem Fall-Gestus in den Höhepunkt. Sie vollzieht einen Terzsprung zur Ebene eines hohen „F“, geht dort bei „Leben“ in einen gedehnten Sekundfall über und setzt diesen Fall über das große Intervall einer Quarte weiter fort. Das Klavier begleitet und akzentuiert das mit einer gegenläufigen Folge von vierstimmigen Akkorden im Diskant, und die Harmonik beschreibt eine ausdrucksstarke Rückung von A-Dur nach f-Moll. Auf dem Schluss-Hochruf beschreibt die melodische Linie, „sehr breit“ vorgetragen, eine dreimalige Tonrepetition auf der tonalen Ebene eines „D“ in hoher Lage und geht nach einem kurzen Sekundsprung auf „und“ daselbst in eine lange Dehnung über, wobei das Klavier, das jeden Schritt zuvor im Diskant „sehr breit“ mit einem vierstimmigen G-Dur-, bzw. C-Dur-Akkord akzentuierte, hier nun ein kräftiges G-Dur-Tremolo erklingen lässt.

    Aber Zemlinsky lässt diesen Hoch-Ruf noch einmal deklamieren. Nun geschieht das in Gestalt eines auf eben dieser tonalen „D“-Ebene ansetzenden Terzsprungs hoch zu der eines „F“, der sich anschließend mit einem über einen Sekundschritt zwischengelagerten „E“ noch einmal ereignet und wieder in einer langen Dehnung auf „Heer“ auf einem als Grundton fungierenden „F“ in hoher Lage endet. Das Klavier begleitet auch hier mit dieses Mal sogar Bass und Diskant übergreifenden sechs- bis achtstimmigen Akkorden, wobei sich am Ende eine ausdrucksstarke Rückung von der Subdominante „B“ über die Dominante „C7“ hin zur Tonika F-Dur ereignet, sie „sehr langsam“ ausgeführt werden soll.

    Wie soll das verstanden werden?
    Das klingt ja, als würde das lyrische Ich sich ganz und gar mit diesem Jubel-Hochruf identifizieren. Oder ist das eher als Folge der in der letzten Strophe sich ereignenden Imagination vergangenen Lebens aufzufassen? Als Sich-Hineinsteigern in dieses also, so dass es für die gegenwärtige Lebenswelt dieses Ichs gar keine Gültigkeit mehr beanspruchen kann?

    Ich denke, dass das relativ lange, nämlich acht Takte umfassende Nachspiel die Antwort auf diese Frage gibt. Drei Takte lang erklingen die im Marsch-Gestus rhythmisierten Akkordfolgen in F-Dur mit Rückungen zur Dominante, dann aber ereignet sich Bemerkenswertes: Diese Bass und Diskant übergreifenden sechsstimmigen Akkorde lösen sich in einem kontinuierlichen Prozess auf, zerfleddern langsam zu Folgen von vier-, drei- und zweistimmigen Akkorden und Einzeltönen und sinken dabei „morendo“ in tiefe Basslage, um schließlich im dreifachen Piano mit einem fünfstimmigen Schlussakkord auszuklingen.
    Für mich ist das, was sich in diesem Nachspiel ereignet, ein Zurücksinken vergegenwärtigter Vergangenheit in eben dieselbe, - und ein Erlöschen darin.

    Dieses lyrische Ich, so wie Zemlinsky es, darin der lyrischen Aussage Liliencrons gerecht werdend, musikalisch darstellt, jubelt nicht mehr, ist weit davon entfernt, tatsächlich noch einmal in Hochrufe auf „Kaiser und Heer“ auszubrechen.

  • „Selige Stunde“, op.10, Nr.2

    In deiner Näh'
    Ist mir so gut,
    Mein Wille, mein Weh
    Nun bei dir ruht.
    Siehst du mich an,
    So weicht der Bann,
    Der mich dunkel umfangen;
    Ich schmieg in dein Gewand
    Den Flittertand
    Eitler Gedanken.
    Meine Wünsche, die weit
    Über Raum und Zeit
    Spielen und schwanken,
    Sie zieh´n die Segel ein
    In deinem Hafen,
    Sie liegen stumm und klein
    Und schlafen.

    (Paul Wertheimer)

    Das ist ein poetisch durchaus gelungenes, ja beeindruckendes Liebesgedicht, das der 1874 in Wien geborene und daselbst 1937 auch verstorbene Schriftsteller und Jurist Paul Wertheimer da vorgelegt hat, - beeindruckend durch die, wie gleich die ersten beiden Verse erkennen lassen, auf direkte Aussage abgestellte lyrische Sprache in Einheit mit einer entsprechenden, jegliche affektive Aufgeladenheit meidenden und in der Ausgestaltung ihres evokativen Potentials schlüssig wirkenden Metaphorik. Was eine Stunde zu einer „seligen“ werden lassen kann, macht das in sieben Versen ausgeführte Schlussbild von den „Wünschen“ auf eindrückliche Weise einsichtig.

    Zemlinskys Liedsprache mutet wie das vollkommene musikalische Äquivalent zu Wertheimers lyrischer Sprache an, und als solche vermag sie es, die Metaphorik nicht nur in ihrem semantischen Gehalt zu erfassen, sondern darüber hinaus in ihren affektiven Dimensionen zu erschließen.

    Ein Lied ist ihm gelungen, das tief zu beindrucken und zu berühren vermag. Es steht in Des-Dur als Grundtonart, ein Zweiviertaltakt liegt ihm zugrunde, und es soll „langsam und fast durchaus leise“ vorgetragen werden. Dass es kein Vorspiel aufweist, kann man als Ausdruck und kompositorische Folge des Vertrauens auffassen, das Zemlinsky in die Aussagekraft der symbiotischen Einheit von musikalischer und poetischer Sprache gesetzt hat.


  • „Selige Stunde“. Zur Faktur der Komposition und ihrer liedmusikalischen Aussage

    Nur ein pianissimo angeschlagenes und lang gehaltenes „B“ im Klavierbass geht dem Einsatz der melodischen Linie voraus, die nach einer Achtelpause mit den Worten „In deiner Näh´“ einsetzt und danach wieder eine Achtelpause macht. Das geschieht gleich darauf bei der melodischen Linie auf den Worten „Ist mir so gut, / Mein Wille“ erneut. Und so, in dieser Kleinzeiligkeit, entfaltet sich die Melodik nicht nur hier am Anfang, sie tut es durchweg in diesem Lied, und sie zeigt darin eben diese ihre Genese aus der lyrischen Sprache, die sich ja nicht ohne Grund in kleinen, maximal vier Wort umfassenden Versen entfaltet. Zemlinsky hält sich aber, wie schon der dritte Vers zeigt, in der Gestaltung seiner Melodiezeilen nicht sklavisch an die prosodischen Gegebenheiten des lyrischen Textes. Er setzt sich immer wieder einmal über sie hinweg, weil die eigene kompositorische Aussage-Absicht das erforderlich macht. Den wesenhaft kleinschrittigen, darin ihren poetischen Geist offenbarenden Gestus der lyrischen Sprache übergeht er damit aber nicht.

    Nun sollen aber diese bislang allgemein gehaltenen Aussagen zu dieser Liedmusik ein wenig konkretisiert und damit in ihrer Gültigkeit belegt werden. Auf den Worten „in deiner Näh´“ beschreibt die melodische Linie, mit der Anweisung „sehr innig“ versehen und in Des-Dur harmonisiert, einen aus einer Tonrepetition hervorgehenden Quintfall und geht mit einem Quartsprung zu einer den ganzen Takt einnehmenden Dehnung auf der Ebene eines „Ces“ über, wobei die Harmonik eine Rückung nach Ces-Dur vollzieht. Das Klavier begleitet das mit dreistimmigen Achtel- und Viertelakkorden im Wechsel, im Bass mit taktlang gehaltenen Einzeltönen, und das geschieht auch in dieser Weise im weiteren Verlauf der Liedmusik, wobei aus den Akkorden im Diskant aber zuweilen vierstimmige werden und im Bass aus den Einzeltönen bitonale Akkorde. Singstimme und Klavierbegleitung verbleiben dabei fast immer im Pianissimo. Nur einmal steigert sich die Dynamik ins Piano, nämlich bei den Worten „spielen und schwanken“ in Vers dreizehn.

    Der deklamatorische Gestus eines sprunghaften Auf und Abs unter Einbeziehung der Tonrepetition, den die melodische Linie am Anfang einschlägt, setzt sie nicht nur bei den Worten „Ist mir so gut, / Mein Wille, mein Weh“ fort, sie verbleibt dabei, er verkörpert den Geist ihrer Entfaltung und sie weicht, bedingt durch die Aussage des lyrischen Textes, nur an wenigen Stellen davon ab. Die melodische Figur auf den Worten „ist mir so gut“ stellt eine Wiederkehr derjenigen auf dem ersten Vers auf einer um eine Sekunde abgesenkten tonalen Ebene dar, und auf den Worten „nun bei dir ruht“ vernimmt man sie, leicht variiert“ auf tiefer tonaler Ebene und nun in As-Dur harmonisiert noch einmal. So ist das auch bei der Entfaltung der melodischen Linie in deklamatorisch zweischrittigen Repetitionen auf sich in Sekunden absenkender und wieder steigender tonaler Ebene, wie sie sich auf den Worten „mein Wille, mein Weg“ ereignet. Sie kehrt in variierter Gestalt auf den Worten „Siehst du mich an, / So weicht der Bann“ wieder, hier aber erfordert die Aussage des lyrischen Textes eine stärkere Modifikation dieser melodischen Figur.

    Bei „so weicht der Bann“ ereignet sich ein Terzsprung mit nachfolgendem Doppel-Sekundfall, und die Harmonik vollzieht eine ausdrucksstarke Rückung von Es-Dur über F- nach Des-Dur. Und die Worte „der mich dunkel umfangen“ stellen ein in seinem affektiven Potential so hochgradiges Bekenntnis des lyrischen Ichs dar, dass die melodische Linie von dem bislang praktizierten Gestus der Entfaltung ablassen muss. Er stellte ja, wie sich nun zeigt, ohnehin nur den Ausdruck eines noch anfänglich in der Haltung des berichtenden Konstatierens verbleibenden lyrischen Ichs dar.
    Nun aber öffnet es seine Seele, und so verbleibt die melodische Linie, den relativen Anschluss der Worte „der mich“ aufgreifend, noch bei der Repetition auf der Ebene des Wortes „Bann“, setzt aber dort bei „dunkel“ zu einem Terzfall an, der aber dann bei „umfangen“ über einen zweischrittigen Sekundanstieg in einen höchst ausdrucksstarken Sturz über eine ganze Oktave zur Ebene eines „B“ in tiefer Lage übergeht. Die Harmonik akzentuiert diesen melodischen Ausbruch in gesteigerte Expressivität damit, dass sie eine Rückung von Ges-Dur nach b-Moll beschreibt, und das Klavier begleitet hier mit vierstimmigen Akkorden im Diskant.

    Die Worte „Ich schmieg in dein Gewand / Den Flittertand / Eitler Gedanken“ werden von Zemlinsky auch als in der Haltung des Konstatierens erfolgende Aussagen des lyrischen Ichs gelesen. Aber nicht ganz und gar. Denn bis zu dem Wort „Gewand“ hin entfaltet sich die melodische Linie, nach „schmieg´“ wieder einmal von einer Achtelpause unterbrochen, im Gestus der zweischrittigen Tonrepetition auf steigernder und wieder fallender tonaler Ebene, aber schon bei „Gewand“ ereignet sich ein verminderter und mit einer ausdrucksstarken harmonischen Rückung von As- nach F-Dur einhergehender Sekundfall. Das Wort „Flittertand“ fordert ein seinen semantischen Gehalt reflektierendes Auf und Ab von vermindertem Terzsprung und Sekundfall, und bei den Worten „eitler Gedanken“ beschreibt die melodische Linie nach einer das Wort akzentuierenden langen Dehnung mit nachfolgendem Sekundfall auf „eitler“ wieder einen, nun aber in einer Tonrepetition kurz innehaltenden Sturz über eine Quarte auf die tonale Ebene eines „A“ in tiefer Lage, wobei die Harmonik aber die bemerkenswerte Rückung von f-Moll nach C-Dur vollzieht.

  • „Selige Stunde“ (II)

    Die Rückung ist wohl als Überleitung zu dem zu verstehen, was sich melodisch auf den nachfolgenden Worten der Verse elf bis dreizehn ereignet. Hier ist A-Dur als Grundtonart vorgegeben. Auf den Worten „meine Wünsche“ vollzieht die melodische Linie einen aus einer Tonrepetition auf einem hohen „C“ hervorgehenden verminderten Sekundanstieg und geht danach in einen Sextfall über. Die Harmonik rückt dabei von A-Dur nach „D7“. Und nun beschreibt die melodische Linie auf den Worten „die weit / Über Raum und Zeit“ nach einem Sekundschritt zu einem hohen F“ eine emphatische bogenförmige Fall- und Wiederanstiegsbewegung in Sekundschritten, die in nach einem Quartfall in einer langen Dehnung auf der tonalen Ebene eines A“ in mittlerer Lage endet.

    Das Wort „weit“ erfährt in dieser Melodiezeile eine Wiederholung, und die Harmonik beschreibt eine Rückung von G-Dur über B-Dur nach D-Dur. Und schließlich erklingen die Worte „spielen und schwanken“ in einer Melodik, die ganz ihrem semantischen Gehalt entspricht: Ein in D-Dur harmonisierter und auf einem hohen „E“ ansetzender Quintfall auf „spielen“, und nach einer Achtelpause ein in A-Dur gebetteter verminderter Sekundanstieg mit nachfolgendem vermindertem Sextfall auf „und schwanken“.
    Die Liedmusik entfaltet hier ihre höchste Expressivität, weil das lyrische Ich in das Innerste seiner Seele blicken lässt, das sich als ein von weit ausgreifenden „Wünschen“ erfülltes erweist. Gleichwohl verbleibt sie, weil Zemlinsky diese Verse als ein intimes Liebesbekenntnis liest, in ihrer Dynamik im Bereich des Pianos.

    Nach einem kurzen, nur eineinhalbtaktigen Zwischenspiel, in dem ein arpeggierter Dominantseptakkord in der Tonart „D“ erklingt, setzt die Liedmusik auf den letzten vier Versen ein. Bei den Worten „Sie zieh´n die Segel ein / In deinem Hafen“ erweist sie sich als eine Wiederkehr derjenigen, die auf den beiden Anfangsversen liegt. Die Abweichungen in der Struktur der melodischen Linie sind durch die Syllabik des lyrischen Textes bedingt, so dass statt der Dehnung auf „Näh´` nun auf „Segel ein“ nun eine dreischrittige rhythmisierte Tonrepetition auf der Ebene eines „Ces“ in oberer Mittellage liegt. Die einzige liedmusikalisch relevante Variation liegt im Klaviersatz vor. Dort erklingen im Bass statt der Einzeltöne nun lang gehaltene und legato artikulierte dreistimmige Akkorde, die der melodischen Linie, für die jetzt die Vortragsanweisung „leiser und immer ruhiger“ gilt, ein sie stärker tragendes klangliches Bett bereiten sollen.

    Diese Anweisung erfährt bei der Melodik auf den beiden letzten Versen eine Steigerung. „Immer leiser“ lautet sie nun, und die Art und Weise, wie sich die melodische Linie nun entfaltet, lässt deren Berechtigung erkennen. Wertheimer lässt dieses lyrische Ich auf poetisch durchaus gelungene und beeindruckende Weise in Gestalt einer schlichten, nur durch die Konjunktion „und“ sich konstituierenden Reihung von zwei Verben und adverbial fungierenden Adjektiven aus dem Gestus der Anrede in den inneren Monolog versinken, und Zemlinsky setzt das auf voll adäquate Weise dergestalt in Liedmusik um, dass er die melodische Linie in ihrem Grund-Gestus der repetitiven Entfaltung auf nur durch kleine Intervalle sich voneinander abhebenden tonalen Ebenen gleichsam verkümmern lässt.

    Auf den Worten „sie liegen“ ereignet sich ein aus einer Repetition in mittlerer Lage erfolgender und in „B7“-Harmonik gebetteter Sekundanstieg. Eine Achtelpause folgt nach. Bei den Worten „stumm und klein“ verharrt die melodische Linie, nun in einer ausdrucksstarken Rückung von Ges-Dur nach der Dominantseptversion der Tonart „As“ harmonisiert, auf der Ebene eines „Ges“ in mittlerer Lage, und dies auf gewichtige, weil in einer Repetition von deklamatorischen Viertelschritten und einer Dehnung erfolgender Weise. Erst nach einer markanten Viertel-Pause werden die Worte „und schlafen“ deklamiert. Dies im Piano-Pianissimo in Gestalt eines auf der Ebene eines tiefen „C“ ansetzenden melodischen Quartsprungs, dem durch ein zusätzliches Ritardando eine stark gedehnte, den Vokal „a“ betonende Tonrepetition auf der tonalen Ebene eines „F“ nachfolgt. Die Harmonik beschreibt hier eine Rückung von As- nach Des-Dur, dies aber mit einem eingelagerten f-Moll auf dem gedehnten „a“, das den affektiven Gehalt dieses Schlusswortes zum Ausdruck bringt.

    Im viertaktigen Nachspiel senken sich, in der üblichen Weise rhythmisiert, aus hoher Diskantlage fünfstimmige Akkorde in tiefe Basslage ab und magern dabei Schritt für Schritt bis zur Zweistimmigkeit ab, Die Harmonik vollzieht Rückungen von Des-Dur über Ces- nach F-Dur, und am Ende erklingt im dreifachen Piano ein fünfstimmiger fermatierter Ges-Dur-Akkord, dem ein einsames „Ges“ nachfolgt, das ebenfalls eine Fermate trägt.
    Fast möchte man das so auffassen, als wolle das Nachspiel mit seinen musikalisch-klanglichen Mitteln den Gehalt der Worte „und schlafen“ zu einer sinnlichen Erfahrung werden lassen.

  • Banner Trailer 2 Gelbe Rose
  • Es gibt ein schönes Indiz dafür, dass es sich bei dieser Zemlinsky-Komposition um ein aussagestarkes und melodisch-wohlgefälliges Lied handelt.

    Jonas Kaufmann hat es nicht nur in sein Lied-Recital aufgenommen, er hat dieses sogar danach benannt:



    Und das klingt dann so:



    Einer kritischen Beurteilung der gesanglichen Interpretation möchte ich mich enthalten.

  • Gerade lese ich meine Anmerkung zur Jonas Kaufmann-Aufnahme des Liedes "Selige Sehnsucht" und muss über mich selber lachen. Ich machte sie, weil ich dem Streit aus dem Wege gehen wollte, der sich hier im Forum üblicherweise einstellt, wenn es um die Beurteilung der Güte von gesanglicher Interpretation von Lied- und Arienmusik geht.

    Ich Tor hatte nicht bedacht, dass das, was ich hier schreibe, ja doch von keinem der hiesigen Stimmenliebhaber gelesen wird.

  • „Vöglein Schwermut“, op.10, Nr.3

    Ein schwarzes Vöglein fliegt über die Welt,
    das singt so todestraurig...
    Wer es hört, der hört nichts anderes mehr,
    wer es hört, der tut sich ein Leides an,
    der mag keine Sonne mehr schauen.
    Allmitternacht ruht es sich] aus
    Auf den Fingern (M.: dem Finger) des Tods.
    Der streichelt's leis (M.: strechelt es) und spricht ihm zu:
    "Flieg, mein Vögelchen (M.:Vögelein) flieg, mein Vögelchen! (M.: Vögelein!).
    Und wieder fliegt's flötend über die Welt.

    (Christian Morgenstern)

    Ein metaphorisch starkes Stück ist das, was Morgenstern sich hier poetisch geleistet hat: Ein seelisches Leiden, das mit einem Begriff versehen ist, der als Kompositum aus dem Adjektiv „schwer“ und dem aus dem mittelalterlichen „muot“, dem „Zu-Mute-Sein“ gebildet ist, mit einem Vogel zu assoziieren und dessen flatterhaft leichtes Wesen durch ein Diminutivum auch noch zu verstärken, - das ist ein auf hochgradigen, geradezu schroff-schmerzlichen Kontrast angelegtes lyrisch poetisches Konzept.

    Und dementsprechend entfaltet es sich auch in der Folge. Der als gemeinhin lieblich und erfreulich, weil als frühlingshaft erwachendes Leben empfundene Vogelsang ist hier ein „todestrauriger“, und er „beflügelt“ nicht, sondern beschwert seinen Empfänger so sehr, dass er nichts anderes mehr zu hören vermag, keine Sonne mehr schauen will und sich stattdessen „ein Leides“ antut. Den Gipfel der schroff-kontrastiven Metaphorik erreicht das Gedicht mit dem Bild vom mitternächtlichen Sich-Ausruhen“ des „Vögleins“ auf den „Fingern des Tods“. Und in den Sarkasmus kippt die Lyrik um in dem Appell „Flieg, mein Vögelchen“, und dem sprachlich konstatierend trockenen Schlussvers.

    Was mag Zemlinsky bewogen haben, einen solch grauslichen lyrischen Text in Liedmusik zu setzen? Eine Inspiration, was die Gestaltung des Klaviersatzes anbelangt, durch Schumanns „Der Vogel als Prophet“ konnte es gewiss nicht gewesen sein. Eher wohl, und das entspräche ja seiner grundlegenden Motivation als Liedkomponist, die in Morgensterns Gedicht sich so metaphorisch hoch kontrastiv manifestierende und eben deshalb tief ergreifende Aussage über die mit dem Wesen menschlicher Existenz einhergehende Betroffenheit von seelischem Leid und Schmerz.

    Die Liedkomposition entstand vermutlich im Herbst 1899. Ihr liegt ein Dreivierteltakt zugrunde, und sie soll „langsam“ vorgetragen werden. Als Grundtonart sind im Notentext sechs „B“ vorgegeben, aber das will angesichts der Bedeutung, die der Harmonik für Zemlinsky als maßgebliches liedkompositorisches Ausdrucksmittel zukommt, wenig besagen. Und in der Tat begegnen einem auch hier, und das ist angesichts dieses lyrischen Textes ja geradezu zu erwarten, permanent im Quintenzirkel weit ausgreifende harmonische Rückungen in beiden Tongeschlechtern.


  • „Vöglein Schwermut“. Zur Faktur der Komposition und ihrer liedmusikalischen Aussage

    Ein zweitaktiges Vorspiel geht der darin auftaktig einsetzenden Melodik voraus. In ihm entfaltet sich der Satz, in dem das Klavier diese nachfolgend begleitet, - dies überwiegend, aber nicht durchgängig. Geradezu unabweisbar stellt sich sofort die Anmutung ein: Hier ereignet sich die klangliche Evokation der grundlegenden Metapher, des lyrischen Bildes vom über die Welt fliegenden „schwarzen Vöglein“, und dies auf höchst eindrückliche Weise. Eine fallend angelegte Folge von Zweiunddreißigsteln stürzt pianissimo im Diskant über mehr als zwei Oktaven in die Tiefe, gefolgt, nach einer Viertelpause, von einer in Gestalt von Vierundsechzigsteln in extreme Höhe schießenden Folge. Im Bass wird das begleitet von einem Auf und Ab einzelner Viertel, und es ereignet sich harmonisch eine Rückung von es-Moll nach ges-Moll.

    Das ist die Grundstruktur der Figur im Klaviersatz, die nachfolgend allerdings vielerlei Varianten durchläuft, bis hin zu einem sextolischen Auf und Ab über das Intervall fast nur einer Oktave und sogar einer Reduktion auf den reinen Fall von Zweiunddreißigstel-Quintolen und Quartolen in Diskant und Bass. Aber in allen Fällen stellt sich diese so tief beeindruckende Anmutung von Vogelflug ein. Die zweite Klaviersatz-Figur sind Folgen von partiell länger gehaltenen vier- bis fünfstimmigen Akkorden im Diskant und bitonalen im Bass. Der lyrische Text weist neben bewegten Bildern auch ein solches der Ruhe auf, und ein Liedkomponist vom Format eines Zemlinsky vermag das natürlich in Melodik und Klaviersatz auf adäquate Weise zu erfassen.

    Ein schmerzlich schriller Ton wohnt dem Klaviersatz inne, bedingt durch die Moll-Harmonisierung und die damit einhergehenden verminderten Sekundschritte in den Zweiunddreißigstel-Ketten, und in diesem setzt auch die melodische Linie auf den Worten „Ein schwarzes Vöglein fliegt über die Welt“ ein. Das geschieht in einem Auf und Ab von ruhigen, weil im Wert von halben und punktierten Vierteln erfolgenden deklamatorischen Schritten in mittlerer tonaler Lage. Aber schon bei dem Wort „Vögelein“ tritt ein in hoher Lage ansetzender Achtel-Viertel-Quintfall in sie, und auf „über die“ ereignet sich ein dreischrittiger Achtel-Viertel Sekundfall, der bei „Welt“ in eine lange Dehnung auf der Ebene eines „Fes“ in tiefer Lage mündet. Die Harmonik ist inzwischen zu Rückungen von Moll nach Dur übergegangen, es-Moll und B-Dur im Wechsel, und die Dehnung auf dem tiefen „Fes“ ist in Ces-Dur gebettet.
    Die Liedmusik, so kann man das verstehen, bringt auf diese Weise die Faktizität des lyrischen Geschehens zum Ausdruck.

    Nach einem eineinhalbtaktigen Zwischenspiel, das das Klavier weiter mit schweifenden Sechzehntel- und Zweiunddreißigstelsextolen und -septolen füllt, erklingt die Melodik auf den Worten „das singt so todestraurig“. Sie soll „leise, mit Ausdruck“ vorgetragen werden. Den semantischen Gehalt des Wortes „todestraurig“ bringt sie auf ergreifende Weise zum Ausdruck. Nach der mit einem Terzsprung eingeleiteten langen Dehnung in hoher Lage auf „singt“ beschreibt die melodische Linie einen Zwischen-Sekundfall, kehrt anschließend zu dieser hohen tonalen Ebene zurück um danach auf eben diesem Wort erst einen Sext- und dann einen eine Terz tiefer ansetzenden Quintfall zu vollziehen, eine gestaffelte Fallbewegung, die sich über eine ganze Oktave erstreckt. Das Klavier, das bei der Dehnung auf „singt“ einen Triller in hoher Diskantlage hat erklingen lassen, setzt das bis zum Einsatz der melodischen Fallbewegung auch weiter fort, im Bass aber beschreibt es mehrfach hintereinander immer wieder einen in tiefe Lage führenden Zweiunddreißigstel-Fall. Die Harmonik, die anfänglich im Tongeschlecht Dur (D-Dur) einsetzt, vollzieht eine ausdrucksstarke Rückung hinab zu einem dunkel und trist klingenden ges-Moll.

    In dieser Harmonik erklingt auch das nächste Zwischenspiel nun aus als Ab und Auf angelegten Zweiunddreißigstel-Septolen, die, in Sextolen übergehend, bis zum fünften Vers die Begleitung der melodischen Linie im Diskant darstellen. Bei den Worten „Wer es hört, der hört nichts anderes mehr“ entfaltet sich die melodische Linie, anfangs noch in ges-Moll, dann aber in helles A-Dur eingebettet, dem zunächst sachlich-konstatierenden Gestus des lyrischen Textes entsprechend in ruhigem, leicht rhythmisiertem Auf und Ab über kleine Intervalle in mittlerer Lage, geht aber am Ende, bei „andres mehr“ dann doch, den affektiven Gehalt dieser Worte reflektierend in einen verminderten Quintfall mit nachfolgend in e-Moll harmonisierter dreimaliger Tonrepetition in tiefer Lage über.

  • „Vöglein Schwermut“ (II)

    Der sich anschließende vierte Vers zeigt die poetische Könnerschaft Morgensterns. Er setzt mit den gleichen Worten wie der vorangehende ein, dann aber schlägt die lyrische Aussage vom sachlich-konstatierenden Gestus ins Schreckenerregende um: Aus dem noch halbwegs harmlosen „der hört nichts andres mehr“ wird nun „der tut sich ein Leides an“, und der nächste Vers setzt das sprachlich mit dem Relativpronomen fort und steigert es in die Aussage: „mag keine Sonne mehr schauen“. Zemlinsky greift diesen Übergang der lyrischen Aussage in schmerzlich-triste Expressivität mit einer ihrerseits in Expressivität ausbrechenden Melodik auf. Mit einem Crescendo versehen geht die melodische Linie, in f-Moll harmonisiert, bei den Worten „wer es hört“ aus einer jeweils zweischrittigen und um eine Sekunde ansteigenden Tonrepetition in tiefer Lage bei „tut sich“ zu einem Auf und Ab von Sekundschritten in mittlerer Lage über.

    Dann aber ereignet sich bei den Worten „ein Leides“ der Ausbruch in die Expressivität, und dies in Gestalt eines ausdrucksstarken Fortissimo- Septsprungs der melodischen Linie zur tonalen Ebene eines „F“ in hoher Lage, dem ein lang gedehnter und in d-Moll gebetteter Sekundfall nachfolgt, der dem Wort „Leides“ einen starke Akzentuierung verleiht. Die dem Verb „tun“ zugehörige sprachliche Partikel wird dem melodisch über einen kleinen Sekundschritt abwärts beigegeben, was die der langen Dehnung innewohnende Anmutung von Schmerzlichkeit noch steigert.

    Die bislang schon so bemerkenswerte Großartigkeit dieser Liedkomposition zeigt sich besonders darin, wie Zemlinsky nun bei den Worten des nächsten verfährt. Auf den Worten „der mag keine Sonne mehr schauen“ beschreibt die melodische Linie zunächst einen überaus eindrücklichen, auf „mag“ und „kei - ne“ syllabisch exakten, auf der tonalen Ebene eines hohen „Ges“ ansetzenden und in G-Dur harmonisierten Fall in ruhigen Sekundschritten im Wert eines Viertels. Auf diese Weise wird die lyrische Aussage in ihrer Bedeutsamkeit hervorgehoben. Denn die melodische Linie vollzieht nun auf dem Wort „Sonne“ einen verminderten Terzsprung in hoher Lage und geht danach in einen in der tonalen Ebene sich um eine kleine Sekunde absenkenden zweimaligen Sekundfall über, wobei die Harmonik eine Rückung in das weitab liegende Ges-Dur beschreibt.

    Ein sechstaktiges Zwischenspiel folgt nach. Es ist vielsagend. Erst senken sich die abwärts gerichteten Zweiunddreißigstel-Figuren in tiefe Basslage ab, und dann erklingen unter lang gehaltenen vierstimmigen Des-Dur- und B-Dur-Akkorden im Wechsel jeweils zwei Oktaven in abgrundtiefer Oktav-Basslage. Die ungeheuerliche Mitternacht-Szene vom auf den Fingern des Todes sich ausruhenden Vögleins wird eingeleitet. Zemlinsky lässt das Wort „Allmitternacht“ zwei Mal, durch eine Achtelpause unterbrochen, auf der gleichen melodischen Linie „sehr leise“ deklamieren: eine dreischrittige rhythmisierte Tonrepetition, die mit einem Quintsprung eingeleitet und vom Klavier mit einer Folge von lang gehaltenen und kurzen sechststimmigen Akkorden begleitet wird und in ein B-Dur mündende Rückungen verminderter B-, As- und Des-Harmonik gebettet ist.

    Die finster-bedrohliche Atmosphäre wir so auf eindrückliche Weise eingefangen. Auf den Worten „ruht es sich aus“ verbleibt die melodische Linie zunächst in diesem Gestus der Tonrepetition, geht dann aber mit einem Terzfall in eine Dehnung über. Bei den Worten „auf den Fingern des Tods“ beschreibt sie einen mit einem Quartsprung eingeleiteten dreischrittigen Fall in unterer Mittellage, der klanglich finster anmutet, weil er in verminderten Sekundschritten erfolgt und in eine harmonische Rückung von As- nach Fes-Dur gebettet ist. Auf „Tods“ liegt dann eine lange Dehnung auf der tonalen Ebene eines „G“ in mittlerer Lage, die in Es-Dur harmonisiert ist und, auch weil der sechsstimmige Es-Dur-Akkord in der nachfolgenden eintaktigen Pause noch einmal erklingt, diesem Wort eine Hervorhebung verleiht.

  • „Vöglein Schwermut“ (III)


    „Leiser und zärtlich“ lautet die Vortragsanweisung für die melodische Linie auf den nun folgenden Worten „Der streichelt's leis und spricht ihm zu“. Sie ist durch eine Achtelpause nach dem Wort „leis´“ untergliedert, wodurch der narrative Gestus des lyrischen Textes betont wird. Und auch die Melodik reflektiert diesen in ihrer Struktur, denn sie entfaltet sich nach dem Quartfall auf „streichelt´s“, der in ein den affektiven Gehalt dieses Wortes hervorhebendes ges-Moll gebettet ist, in permanenter deklamatorischer Tonrepetition auf der Ebene eines „Es“ in tiefer Lage, die erst bei „zu“ mit einem Terzsprung zu einer Dehnung auf der Ebene eines „G“ in mittlerer Lage übergeht. Aber wie kunstvoll Zemlinsky die Harmonik einsetzt, das zeigt sich darin, dass die vorangehend in verminderte Es-Tonalität gebettete Tonrepetition nun eine Rückung nach Es-Dur und g-Moll vollzieht. Auf diese Weise wird der Übergang vom narrativen Gestus des lyrischen Textes zur wörtlichen Rede aufgegriffen und auf die Bedeutsamkeit ihres Inhalts verwiesen.

    Und die wohnt ihr ja inne, - in ihrem lakonischen Sarkasmus. Zemlinsky setzt diesen auf ihm völlig gerecht werdende und höchst eindrückliche Weise in Liedmusik um. Auf den Worten „Flieg´ mein Vögelchen“ ereignet sich anfänglich ein ausdrucksstarker melodischer Oktavfall, dem eine partiell triolische viermalige Tonrepetition in deklamatorisch leichtfüßig anmutenden Sechzehntelschritten nachfolgt. Das wird pianissimo vorgetragen und vom Klavier mit einem lang gehaltenen Dominantseptakkord in der Tonart „F“ begleitet, der am Taktende in ein f-Moll übergeht. Die Eindringlichkeit dieser Ansprache erfährt auf diese Weise eine starke Akzentuierung. Und der nachfolgend lange, im dreifachen Piano erklingende siebenstimmige Akkord in verminderter F-Tonalität schafft klanglichen Raum dafür, dass die Ungeheuerlichkeit dieses lyrischen Appells ihre Wirkung entfalten kann.

    Eine Des-Oktave löst sich aus ihm und leitet über zum letzten Zwischenspiel. Es ist eine Wiederkehr des Vorspiels mit seinem durch seine Gestalt und seine Harmonisierung leicht beängstigend anmutenden Geflügel-Motiv. Und das ist ja auch angebracht, denn der nun in Melodik umzusetzende letzte Vers stellt ja eine Wiederkehr des ersten dar, - bemerkenswerterweise ergänzt allerdings durch das Präsens-Partizip „flötend“. Es bringt eine Steigerung des Sarkasmus in die poetische Aussage mit sich, denn macht seine so großes Leid mit sich bringende Tätigkeit zu einer für es selbst vergnüglichen. Und eben deshalb setzt Zemlinsky diese Worte in eine Melodik, die leicht melismatische Elemente aufweist. Nach einem Einsatz in ruhigen, in es-Moll harmonisierten Sekundschritten auf mittlerer tonaler Ebene geht die melodische Linie bei dem Wort „flötend“ in einen Legato-Sextsprung zur Ebene eines hohen „Ges“ über und beschreibt von dort aus einen Sekundfall, wobei die Harmonik eine Rückung von es- nach ges-Moll vollzieht.

    Und eine ähnlich melismatisch-beschwingt anmutende Bewegung beschreibt die melodische Linie dann auch noch einmal auf den Worten „über die Welt“: Mit einer in einen Terzschritt mündenden Dehnung in hoher Lage auf „über“, einem ausdrucksstarken, weil deklamatorisch eigentlich unangebrachten Legato-Sextfall auf dem Personalpronomen „die“, und einem nachfolgenden Quintsprung hin zu dem Wort „Welt“, auf dem sie in einer langen Dehnung auf der Ebene eines „H“ in oberer Mittellage ausklingt. Und bemerkenswert ist hierbei die Art und Weise, wie das Klavier dieses Ausklingen begleitet: Mit einer Folge von drei arpeggierten Akkorden in einer Rückung von des-Moll über Ges-Dur zu einem neuerlichen des-Moll. Das mutet an wie eine Bekräftigung der der sarkastischen Melismatik, die dieser letzten Melodiezeile innewohnt.

    Das zweitaktige Nachspiel besteht aus dem die ganze Zeit schon erklingenden, in extrem hohe Diskantlage aufschießende Vierundsechzigstel-Anstieg, einem nachfolgenden Fall einer B- und einer Es-Oktave in tiefe Basslage und einem seltsam hell erklingenden achtstimmigen es-Moll-Schlussakkord.
    Soll das als ein resignatives Sich-Abfinden mit der Unabänderlichkeit des in diesem Gedicht lyrisch-narrativ gestalteten Geschehens verstanden werden?
    Man kann, so denke ich, das so vernehmen und verstehen.

  • Sechs Gesänge op.13

    Die von dem Zemlinsky-Biographen Antony Beaumont betreute und 2016 erschienene Neuausgabe dieses Opus 13 leitete dieser im Vorwort mit den Worten ein:
    „Von Zemlinskys Liedern für Singstimme und Klavier sind die >Sechs Gesänge op. 13<, komponiert in den Jahren 1910 und 1913, wohl seine besten. Sowohl in ihrer ursprünglichen Gestalt mit Klavierbegleitung, als auch in der später kunstvoll ausgearbeiteten Orchesterfassung genießen sie allgemeine Anerkennung als Meisterwerke der Spätromantik.“

    Die Erstveröffentlichung war, weil sie im Jahr 1914 erfolgte, mit einigen Komplikationen verbunden. Ursprünglich sollte der Name des Autors der zugrundliegenden lyrischen Texte, des belgischen Schriftstellers, Dramatikers und Nobelpreisträgers Maurice Maeterlinck (1862-1949), nicht nur auf der Titelseite, sondern auch bei jedem Lied abgedruckt werden. Kurz vor der Drucklegung fielen jedoch die deutschen Truppen in Flandern ein. Maeterlinck reagierte darauf mit einer Reihe von antideutschen Protestschriften, was zur Folge hatte, dass man den Namen strich.
    Überdies gab es auch Komplikationen hinsichtlich der Stimmlage. Die „Universal Edition“ befürchtete, diese könnte bei den beiden ersten Liedern für eine Altistin oder einen Bariton zu hoch sein und senkte sie, gegen den Willen Zemlinskys, um einen Ganzton ab. Alle vorliegenden Aufnahmen, soweit sie mir bekannt sind, weisen diese nicht dem kompositorischen Original entsprechende Stimmlage auf. Es war also eine Neu-Edition erforderlich.

    Dass die „Maeterlinck-Lieder“ wohl tatsächlich das liedkompositorisch Bedeutendste darstellen, was Zemlinsky geschaffen hat, darüber besteht in der Musikwissenschaft weitgehend Einvernehmen, und es wird auch daraus ersichtlich, dass sie dort die größte Beachtung in Gestalt von literarischen Einlassungen gefunden haben. Sogar Kontroversen entstanden, was das funktionale Verhältnis von Melodik und Harmonik anbelangt. In seinem hochbedeutenden Zemlinsky-Essay von 1963 stellte Theodor W. Adorno zu den „Sechs Gesängen op,13“ fest:
    „Die Stimme deklamiert nicht (…), sondern die eigentliche Musik ist (...) in die Gesangslinie gedrängt. Das Klavier schöpft die jener innewohnende Harmonik aus, fügt ihr aber kaum Entscheidendes hinzu.“
    Und in seinem Aufsatz über Zemlinskys „Lyrische Symphonie“ schließt sich R. St. Hoffmann dem an, indem er die Auffassung vertritt, dass in diesen Liedern, „die Melodie das erste und letzte, und immer das entscheidende Wort zu reden, - nein: zu singen“ habe.

    Dem hält Tibor Keif in seiner Betrachtung „Zemlinsky als Harmoniker“ (In: Alexander Zemlinsky, Tradition im Umkreis der Wieder Schule, Graz, 1976) entgegen:
    „Im Gegenteil läßt sich aufzeigen, daß diese lyrischen Miniaturen ganz von den Prozeduren spättonaler Harmonik geprägt sind, so sehr, daß die Singstimme ohne den akkordischen Zusammenhang lediglich Fragmente einer orientierungslosen, vegetierenden Melodie liefert.“
    T. Keif vertritt also die These, „daß die Gesangsmelodie in den Maeterlinck-Liedern op. 13 an der Harmonik ausgerichtet ist und eine Funktion von ihr darstellt. (…) Mit einem Wort, nicht der Vokalpart bestimmt die harmonische Begleitung, sondern umgekehrt: der allmählich veränderte harmonische Zusammenhang übt eine gleichsam magnetische Wirkung auf die Vokalstimme aus; er zwingt sie, von der eigenen Tonart abzuspringen.“ (S.137/38)

    Dieser These kann ich, nach all den Erfahrungen, die ich in der Beschäftigung mit Zemlinskys Liedmusik gemacht habe, nur zustimmen. Immer wieder liefen sie darauf hinaus, dass dieser kompositorisch stark von der Harmonik her denkt, dass Harmonik für ihn ein höchst bedeutsames liedkompositorisches Ausdrucksmittel ist.
    Und anmerken möchte ich in diesem Zusammenhang insbesondere das, was ich bei dem – sehr mühevollen – Bestimmen der Harmonik der Maeterlinck-Lieder erlebte. Da diese nicht einfach aus dem Lesen des Notentextes heraus bestimmen kann, sondern die Klaviatur zu Hilfe nehmen muss, machte ich häufig die – mich regelrecht verblüffende! – Erfahrung, dass fixe oder aufgelöste Akkorde in ihrer Abfolge mit einem Mal nicht mit der der Melodik inhärenten Harmonik übereinstimmen wollen, sozusagen leiterfremd anmuteten.

    Um das einmal mit einem Bespiel zu konkretisieren: Da beschreibt die harmonische Linie einen Terzanstieg von einem „Es“ über ein „G“ zu einem „B“ und geht dort in eine kleine Dehnung über. Im Klavierdiskant erklingen derweilen die Terzen „B-D“, „As-C“, „G-B“, - und mit einem Mal tritt noch während der melodischen Dehnung als vierte Terz die wildfremd anmutende Kombination „A-Cis“ hinzu. Und alsbald zeigt sich, dass hinter dieser Störung von B-Dur-Harmonik Absicht steckt. Der nachfolgende melodische Terzfall von der Ebene eines „B“ zu der eines „G“ wird mit einem leitergerechten B-Dur-Akkord begleitet, aus diesem aber löst sich legato eine reine C-Dur-Terz „C-E“.
    Und der Grund für diese klangliche Verstörung von B-Dur-Harmonik?
    Im lyrischen Text geht es an dieser Stelle um „Tod“. Es geht um die Takte sechs und sieben im ersten Lied mit dem Titel: „Die drei Schwestern“, und die Textpassage lautet: „gingen sich den Tod zu holen“.
    Und dieses Lied, das erste dieses Opus 13, soll nun nachfolgend vorgestellt und besprochen werden.

  • Ich sollte vielleicht, bevor ich zur Betrachtung der einzelnen Lieder dieses Opus 13 übergehe, noch darauf hinweisen, dass deren Entstehungsgeschichte nicht im Einzelnen genau bekannt ist. Man weiß nur, dass Zemlinsky die ersten vier im Sommer 1910 in Bad Ischl komponierte, und dies wohl, wie sein Biograph Beaumont annimmt, „als Ablenkung von Korrekturarbeiten am Orchestermaterial von >Kleider machen Leute<. Später kamen dann noch zwei weitere Kompositionen hinzu, und zwar „Als ihr Geliebter schied“ am 18.Juli 1913 und „Sie kam zum Schloß gegangen“ am 20. Juli 1913.

  • Lieber Helmut Hofmann Kann es sein, dass Du aus Versehen das falsche Lied zum Text ausgesucht hast. Du meintest wahrscheinlich dieses.


  • Lieber Helmut Hofmann Kann es sein, dass Du aus Versehen das falsche Lied zum Text ausgesucht hast. Du meintest wahrscheinlich dieses.

    Ach du liebe Zeit! Ja, natürlich!

    Ich habe, dusselig, wie ich auf meine alten Tage mehr und mehr werde, das falsche Cover bei YouTube angeklickt und verlinkt!

    Wie schön, dass es hier im Forum einen so aufmerksamen Leser meiner liedkompositorischen Betrachtungen wie Dich gibt.

    Vielen Dank, lieber astewes!

  • Banner Trailer 2 Gelbe Rose