Es ist immer wieder traurig zu erleben, daß einstmals gefeierte, ja sogar berühmte Künstler früher oder später praktisch der Vergessenheit anheimfallen. Man könnte das zwar mit dem lapidaren Satz "Sic transit gloria mundi - So vergeht die Herrlichkeit der Welt", den man früher dem neuen Papst bei dessen Krönung dreimal sinnbildlich vor Augen führte, abtun, aber ich kann mich schwer damit abfinden, daß großartige künstlerische Leistungen ganz einfach sang- und klanglos im Orkus verschwinden.
Deshalb möchte ich heute der Sängerin Luise Helletsgruber (1901-1967) einen eigenen Thread widmen, obwohl mir sehr bewußt ist, daß er hier nur von einer verschwindend kleinen Minderheit überhaupt zur Kenntnis genommen wird. Selbst in einschlägigen Werken, wie "Klassische Musik im 20. Jahrhundert" (dtv) oder "Große Stimmen" (suhrkamp, Autor: Jens Malte Fischer) findet sich über sie kein Wort, und selbst der sorgfältige Jürgen Kesting erwähnt sie in seinem mehrbändigen Lexikon "Die großen Sänger" nur am Rande.
Luise Helletsgruber kam am 30. Mai 1901 in Wienerherberg in der Nähe von Wien zur Welt. Ihre stimmliche und musikalische Begabung stellte sich früh heraus, und so gelangte sie in Wien an die dortige Musikhochschule, wo sie ihre Studien absolvierte. Schon bald, im Jahr 1922, erhielt sie eine kleine Rolle an der Wiener Staatsoper. Sie sang den "jungen Hirten" in Wagners "Tannhäuser". Bereits wenig später konnte sie dem Ensemble dieses berühmten Hauses beitreten und blieb dort Mitglied bis 1942. Sie erarbeitete sich recht bald ein ziemlich umfangreiches Repertoire. Als lyrischer Sopran legte sie ihren Schwerpunkt (wie könnte es in Wien auch anders sein?) auf die großen Partien der Mozart-Opern. Auf der Bühne machte die schöne junge Frau gleich großen Eindruck, nicht nur durch ihre liebenswerte Erscheinung, sondern auch - und vor allem - mit ihrer schlanken, biegsamen und doch kräftigen Stimme. Nachdem sie das anspruchsvolle Wiener Publikum gebührend beeindruckt hatte, trat sie regelmäßig bei den Salzburger Festspielen auf und feierte dort u.a. als Donna Anna, Donna Elvira (in "Don Giovanni") und Dorabella ("Così") durchschlagende Erfolge. Zu ihren Paraderollen zählten aber auch die Micaela in Bizets "Carmen", die Marguerite in Gounods "Faust" und die Liù in Puccinis Märchenoper "Turandot", die sie an der Seite von Jan Kiepura sang. Zu ihren Lieblingspartien zählte auch die Eva in Wagners "Meistersingern", während sie die mehr dramatische Rolle der Elsa im "Lohengrin" nur fallweise übernahm. Sie fürchtete, obwohl sie gesanglich keine Wünsche offenließ, sich an der Partie zu überfordern.
Ab Mitte der 1920er Jahre unternahm sie zahlreiche Konzertreisen, doch sie hielt Wien und Salzburg weitgehend die Treue. 1936 sang sie bei den Salzburger Festspielen die Marzellina in Beethovens "Fidelio", unter keinem Geringeren als Arturo Toscanini, dem damals wohl weltweit berühmtesten Dirigenten. In dieser Aufführung sang die legendäre Lotte Lehmann die Titelpartie, als Florestan war Koloman von Pataky dabei.
Quasi Musikgeschichte schrieb Luise Helletsgruber, als sie ab 1934 bei dem neu gegründeten Glyndebourne Festival regelmäßig Hauptrollen übernahm. Sie wirkte in insgesamt fünf Spielzeiten an herausragender Stelle mit. Ihr Debüt feierte sie dort bereits im ersten Jahr der Festspiele, 1934, als Dorabella in "Così fan tutte", unter der musikalischen Leitung von Fritz Busch und der Bühnenregie von Carl Ebert. Zudem übernahm sie die Rolle des Cherubino in "Figaros Hochzeit". Im folgenden Jahr 1935 trat sie sowohl als Cherubino wie auch als Erste Dame in der "Zauberflöte" in Erscheinung. 1936 sang sie wiederum in Glyndebourne den Cherubino, die Dorabella und die Elvira. Das Jahr 1937 war durch ihren Auftritt als Konstanze in der "Entführung aus dem Serail" gekennzeichnet, außerdem sang sie wieder Elvira und Dorabella. Mit letzterer Partie verabschiedete sich die Künstlerin 1938 in Glyndebourne. Obwohl Österreich seit März 1938 zum Deutschen Reich gehörte, hatte man ihr, trotz nicht geringer Widerstände, die Mitwirkung bei den renommierten Festspielen noch einmal ermöglicht. Der Ausbruch des Zweiten Weltkriegs 1939 machte dem Glyndebourne Festival ein jähes, aber zum Glück nur vorläufiges Ende. Ab 1946 wurden die Festspiele wieder aufgenommen, doch Luise Helletsgruber war nicht mehr dabei. Fritz Busch leitete übrigens sämtliche Aufführungen, an denen Frau Helletsgruber beteiligt war.
Ein weiteres Tondokument möchte ich nicht unerwähnt lassen: Im Jahr 1935 sang Luise Helletsgruber unter dem Dirigenten Felix Weingartner die Sopranpartie in einer Aufführung von Beethovens Neunter Sinfonie, es spielten die Wiener Philharmoniker. Unter der Leitung von Hans Knappertsbusch sang sie in Wien auch die Woglinde in Wagners "Götterdämmerung". Der Mitschnitt dieser Aufführung ist erhalten geblieben. Nach dem Krieg trat die Sängerin nur noch sehr wenig in Erscheinung.
Am 5. Januar 1967 starb sie zusammen mit ihrem Ehemann, Karl Friedrich Lehr, bei einem Autounfall in der Nähe von Sattledt O.Ö.
Hier der übrigens recht gut restaurierte Mitschnitt von 1934 aus Glyndebourne:
und noch ein paar weitere Kostbarkeiten:
LG Nemorino