Dr. Kalethas Musikbibliothek: Musik und Aufnahmen, auf die ich nicht verzichten kann

  • Könnte man nicht sagen: Will ich Dich erkennen, so gilt: Was Du hörst, der Du bist? :) Es gibt prägende Musik und auch Aufnahmen, die sozusagen mit zu unserer Persönlichkeit gehören, mit der wir uns selber verraten. Meist gehen solche Prägungen auf unsere Jugendzeit zurück. Das Merkwürdige ist: Was uns einmal in den Bann geschlagen hat, darauf kommen wir immer wieder zurück. Das "Unverzichtbare" - woran erkennt man es? Humoristisch gesagt ist es so ähnlich wie bei einer Sucht: Wer dem Tabakgenuss verfallen ist (was für mich nicht gilt, denn ich bin Nichtraucher und es immer schon gewesen ^^ ) , dem reicht nicht die Zigarette ab und zu, er braucht sie in jedem Moment als ein beständiges Bedürfnis. Wofür man ein wirkliches Bedürfnis hat, das will man regelmäßig genießen - d.h. der Genuss ist stets ein wiederholter Genuss. Ein unverzichtbares Bedürfnis ist, wovon man nicht lassen kann, immer wieder, also wiederholt in schöner Regelmäßigkeit, darauf zurückkommt. Von solcher Musik und solchen Aufnahmen soll hier also die Rede sein, die mich geprägt haben und die mir bis heute ein Bedürfnis sind, sie immer wieder zu hören und mich mit ihnen zu beschäftigen - mehr oder weniger intensiv.


    Ich denke also erst einmal an meine Jugendzeit zurück. Man lernt Musik kennen. Manche hat man oft gehört - später aber vergessen. Mein erstes eigenes Abspielgerät war so ein Cassettenrecorder mit Radio und mit eingebautem Lautsprecher. Was war drauf? Ich erinnere mich an eine etwas düster klingende "Eroica", die ich in dieser Zeit immer wieder abspielte. Trotz Beethoven - die Symphonien haben bei mir doch nie den hohen Stellenwert der Klaviersonaten gewonnen. Auf einer Cassette zu hören war Michelangelis Chopin-Platte bei der DGG mit den Mazurken, dem Prelude cis-moll, dem Scherzo b-moll und der Ballade g-moll. Auch ein Schulfreund von mir besaß diese Aufnahme - auf LP mit silbrig getöntem Cover - was auf diesem Bild nicht so gut herauskommt:


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    Ich erinnere mich, dass wir sie auf dem Plattenspieler seines Vaters abspielten. Mir gefiel dabei, dass ABM die Mazurken nicht oberflächlich tänzerisch spielte, also ohne jede Salonhaftigkeit, sondern mit großer Wahrhaftigkeit und Tiefe. Diese Aufnahme - dazu natürlich ABMs Debussy - hat mich in der Tat geprägt von den Hörpräferenzen her als auch der Art, wie ich selber Klavier spiele. Sie gehört zu den "Unverzichtbaren" bis heute. Ich komme darauf noch zurück. In dieser Zeit habe ich noch viel Radio gehört. Ich erinnere mich an ein Portrait des Pianisten, von dem hier nicht zufällig zuerst die Rede ist, der mich von Anfang an in seinen Bann zog: Arturo Benedetti Michelangeli. Da gab es einige Musikbeispiele, darunter Ausschnitte aus seiner berühmten Jahrhundertaufnahme des Ravel-Konzertes G-Dur und Rachmaninows Klavierkonzert Nr. 4. Und von Gaspard de la nuit. Zu hören gab es den Beginn von Ondine. Das hat gereicht, dass Gaspard de la nuit zu einem meiner absoluten Lieblingsstücke geworden und das auch bis heute geblieben ist. Ich bekenne, regelrecht "süchtig" nach diesem Stück zu sein! ^^


    Was hat mich bei ABM fasziniert? Maßgeblich war es sein unvergleichlicher, magischer "Ton" wie im langsamen Satz des Ravel-Konzertes, in der Arietta von Beethovens op. 111, im ersten Satz der schönen Galuppi-Sonate oder auch zu Beginn von Ondine zu hören: Er hat etwas Überirdisches, Metaphysisch-Mystisches. Er ist nicht nur "rein" und schön, sondern klingt quasi so, als wolle er nicht mehr aufhören zu klingen in der Art des "stehenden Jetzt" (nunc stans) der Mystiker. Wenn man jung ist, ist man für solche Magie empfänglich - die auch in seinen frühen Aufnahmen bei EMI-Italiana aus der Kriegszeit zu erleben ist. Diesen Eindruck hat eine zeitgenössische Zeitungskritik sehr gut wiedergegeben - die ich später noch zitieren werde. Aber es war natürlich nicht nur ABMs Ton, der mich in den Bann zog, sondern die Art seines Klavierspiels insgesamt, die für mich prägend wurde. Eigentlich sind alle Aufnahmen von ABM für mich unverzichtbar - weswegen ich auch jeden Mitschnitt, dessen man habhaft werden kann, besitze. Deshalb werde ich immer wieder auf seine Aufnahmen zurückkommen.


    Bezeichnend war es die berühmte EMI-Platte mit den Konzerten von Ravel und Rachmaninow, die meine erste selbst gekaufte Schallplatte war - die ich aus Nostalgie immer noch besitze, obwohl ich bereits seit 1986 gar keinen Plattenspieler mehr besitze, sondern komplett auf CD umgestiegen bin. So sieht die Platte aus:


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    Von Gaspard de la nuit hatte ich zuerst eine LP mit dem Lugano-Mitschnitt von 1973, eine technisch perfekte Mono-Aufnahme, die ABMs puristischste, ausgefeilteste und klassisch-ausgewogendste Aufnahme ist - und fehlerfrei. Faszinierend immer wieder, wie bohrend-rhythmisch und zugleich ausgekocht er den Scarbo spielt. Die teuflisch schweren Triller sind geradezu unfassbar gespielt! Das ist einzigartig! In dieser Aufnahme ganz besonders wird er seinem Ruf als Perfektionisten absolut gerecht:



    Fortsetzung folgt!


    Schöne Grüße

    Holger

  • Lieber Holger,

    das scheint so etwas auf lange Sicht zu werden (was ich in meinem Schreibtisch auch versuche; jetzt abgespeckt). Ich weiß aus vielen deiner Beiträge, dass wir uns in manchem unterscheiden, etwa in der Klaviermusik, was aber dazu führen wird, dass ich mir einzelne von dir beschriebene Stücke anhören werde.

    Dieser Beitrag soll übrigens sofort wieder weg!

    Aller Anfang ist schwer - außer beim Steinesammeln (Volksmund)

  • Lieber Holger,

    das scheint so etwas auf lange Sicht zu werden (was ich in meinem Schreibtisch auch versuche; jetzt abgespeckt). Ich weiß aus vielen deiner Beiträge, dass wir uns in manchem unterscheiden, etwa in der Klaviermusik, was aber dazu führen wird, dass ich mir einzelne von dir beschriebene Stücke anhören werde.

    Dieser Beitrag soll übrigens sofort wieder weg!

    Lieber Dr. Pingel,


    warum denn wieder weg? Deine Rückmeldung freut mich! :) :hello:


    Schöne Grüße

    Holger

  • Wie kommt man im jugendlichen Alter mit klassischer Musik in Berührung? Wie könnte es anders sein - durch das Elternhaus! Meine Eltern hatten zuerst eine komplette Stereoanlage, einen Receiver von Telefunken mit Plattenspieler von Dual. Später - als bei mir die Begeisterung für Hifi erwachte - habe ich dann dafür gesorgt, dass sie durch eine noch bessere Anlage von Braun ersetzt wurde - die nicht nur klanglich gut war, sondern dazu ein sehr schönes Design hatte. In unserem Elternhaus wurde nicht nur viel Musik gehört - sondern vor allem auch Musik gemacht. Das war bei der Kriegsgeneration noch so. Es wurde zusammen gesungen und mit allen Familienmitgliedern Blockflöte gespielt. Beim Karneval kamen die Nachbarn und es wurden Karnevalsschlager gesungen. Mein Vater spielte dann auf seiner Zither oder der Gitarre. Meine Mutter hatte einen Mandolinenkurs besucht und spielte auch etwas Gitarre. Dann gab es das Klavier, ein Schimmel-Klavier aus den 50igern mit dem typischen Design ("Dackelbeine" ^^ ). Meine Eltern wohnten Ende der 50iger Jahre eine Zeit lang bei dem Düsseldorfer Pianisten Rittmeier, der ein Spezialist für Neue Musik war. Bei ihm hatte mein Vater Unterricht und natürlich auch "Atonales" von Hauer z.B. gespielt - die Noten zeigte er mir. Die Plattensammlung war reichhaltig: von populärem Jazz, Volksliedern, Gesangsalben mit Operetten zum größten Teil Klassisches. In besonderer Erinnerung ist mir die Barockmusik geblieben, eine Sammlung der Archiv-Produktion der "Deutschen Grammophon". Vor allem zur Weihnachtszeit wurde viel Corelli, Locatelli usw. gespielt. Das fand ich sehr schön. Nicht zufällig hielt ich mein erstes Referat im Deutschunterricht über das Thema Georg Friedrich Händel. Das Merkwürdige ist aber, dass Barockmusik bei mir später nie einen besonderen Stellenwert erreicht hat, was meine Hörgewohnheiten betrifft. Eine Musikrichtung war allerdings gar nicht vertreten in meinem Elternhaus: Popmusik. Bis heute wird sie von mir komplett ignoriert.


    Mit der Anlage meiner Eltern habe ich vor allem "in die Breite" gehört, neben den Schallplatten sehr viel Radiosendungen mit klassischer Musik - WDR 3 und SWF 2. Als ich schließlich begann, mir meine ersten eigenen Langspielplatten zu kaufen, änderte sich diese Gewohnheit. Meine Sammlertätigkeit war doch sehr "selektiv". In der ersten Zeit habe ich fast ausschließlich Platten mit Klaviermusik gekauft! Die Phase, wo ich mir sehr bewusst und systematisch das Orchesterrepertoire erschloss, kam dann eine Weile später. Diese - von heute aus betrachtet etwas verrückte ^^ - "Klavierlastigkeit" resultierte natürlich auch daraus, dass ich damals intensiv Klavier spielte - drei bis vier Stunden pro Tag!


    Wenn ich es im Rückblick betrachte, hatte ich damals viel strengere Kriterien, was die Musik und die Interpreten anging, die bei mir als wert erachtet wurden, dass ich von ihnen eine LP kaufte. Die Besten waren gerade gut genug - also Michelangeli, Horowitz, Rubinstein, Gilels, Richter, Ashkenazy, Pollini... Für die Geschmacksbildung war das allerdings sehr wichtig. Man entwickelt so intuitiv die Qualitätsmaßstäbe, wenn man nur das Beste des Guten gelten lässt. :) Von heute aus betrachtet tat ich da so manchem guten und sehr guten Interpreten Unrecht mit dem Entzug der Aufmerksamkeit, weil er für meinen Geschmack nicht die höchsten Qualitätsmaßstäbe erfüllte. Heute habe ich selbstverständlich einen viel, viel weiteren Blick. Aber das ist letztlich das Resultat einer Jahrzehnte dauernden Entwicklung des ästhetischen Geschmackssinns, dass man viel differenzierter urteilen kann und so auch viel mehr entdeckt, was es an Interpretationsmöglichkeiten und an interessanten Persönlichkeiten unter den Interpreten gibt. Damals suchte man nach der einen Referenzinterpretation, die einen dann auch geprägt hat. Das Merkwürdige ist: Viele meiner damaligen Referenzen sind mir "unverzichtbar" bis heute. Obwohl ich inzwischen viele andere Interpretationen kennen und schätzen gelernt habe, komme ich immer wieder auf sie zurück. Es ist freilich so: Von den "großen" Werken wie etwa Beethovens Klaviersonaten kann man unmöglich nur eine Interpretation haben. Niemand kann diesen musikalischen Kosmos vollständig ausschöpfen - die großen Beethoven-Interpreten haben nicht zufällig während ihres Lebens auch eine Entwicklung durchgemacht und die Werke immer wieder anders gespielt. Und noch ein Gedanke: Viele bedeutende Werke lernt man kennen über die Interpreten und ihre ganz besondere Interpretation, die einem ein Werk exemplarisch erschließt, so dass es einen besonderen Stellenwert für einen selbst gewinnt und den zumeist auch das Leben lang behält. Ohne Michelangeli hätten z.B. die Brahms-Balladen nie den hohen Platz in meiner persönlichen Rangordnung, die sie haben, und ohne Horowitz z.B. die Fantasie op. 17 von Schumann auch nicht.


    Das soll nun aber genug der einleitenden Worte sein! Da ich immer noch bei meiner von der "Klavierverrücktheit" beherrschten jugendlichen Prägephase bin, sollen hier noch einmal einige Klavieraufnahmen vorgestellt werden - und wie sollte es auch anders sein: von Arturo Benedetti Michelangeli.


    Durch Michelangelis singuläre Interpretation zog mich Beethovens letzte Klaviersonate gleich in ihren Bann. Sie hat bei allem musikalischen und emotionalen Tiefgang eigentlich eine sehr einfache Struktur mit dem Charaktergegensatz der beiden Sätze: Auf den dramatischen ersten folgt ein lyrisch verinnerlichter zweiter Satz. Edwin Fischer erblickte in diesem Kontrast den metaphysischen Dualismus von Diesseits und Jenseits. Und da ist etwas dran: Die "Arietta" vollzieht nämlich so etwas wie die Auflösung von Musik in der Musik: Die Variationsfolge löst sich auf in reinen Klang, die Klangfläche eines Trillers. Es ist sicher kein Zufall, dass zum exquisiten Repertoire Michelangelis sowohl Beethovens op. 111 als auch das Ravel Klavierkonzert G-Dur gehörten. Auch bei Ravel gibt es im langsamen Satz dieses Konzertes eine das "reine Schöne" verkörpernde Melodie, welche sich in einer immer bewegteren Variationsfolge schließlich in einen Triller auflöst. ABM ist zweifellos der "Trillerkönig" unter den Pianisten. Keiner spielt Beethovens teuflisch schwer zu spielende Trillerketten in op. 111 so atemberaubend dicht und gleichmäßig. Besonders die zweite Trillerpassage hat es in sich. Der Triller liegt nämlich anatomisch geradezu unmöglich in den letzten beiden Fingern (dem schwachen 4. und dem 5.) und man muss mit dem Daumen eine Quinte und Oktave dazu greifen. Jeder andere Pianist löst da den Triller auf - nur ABM schafft es, ihn durchzuziehen! Ein Tontechniker hat diese DECCA-Aufnahme aus Rom mal in halber Geschwindigkeit abgespielt und auf dem Oszillographen verfolgt: absolutes Gleichmaß ohne jede Abweichung! Joachim Kaiser schrieb über ein Michelangeli-Konzert, wo er das Schumann-Konzert spielte: Die zahlreichen im Saal anwesenden Pianisten hätten sich alle fragen müssen, ob sie bei diesen atemberaubend gespielten Trillern in der Kadenz nicht den falschen Beruf ergriffen haben! Aber keineswegs "nur" die wahrlich ätherisch gespielten Triller faszinieren an ABMs Aufnahme. Da ist einmal die Klassizität und gewisse italienische Leichtigkeit, die etwa dem dramatischen ersten Satz alles Klebrig-Pathetische nimmt und ihn als reine, in eine glasklare klassische Form gegossene Leidenschaft erscheinen lässt. Und dann die Arietta: Da ist exemplarisch Michelangelis metaphysischer, "stehender" Ton zu bewundern, der klingt, als wolle er nie aufhören. Dazu hält sich ABM strikt an Beethovens Vorschrift L´istesso tempo, während Friedrich Gulda etwa bei jeder Variation leicht das Tempo anzieht, um so einen "Sog" zum Ende hin entstehen zu lassen. Michelangeli dagegen lässt gelassen und mit geradezu stoischer Geduld die Musik aus sich selber heraus entwickeln, ohne auf´s Beschleunigungs-Gaspedal zu drücken. Die DECCA-Aufnahme aus Rom enthält zudem die wunderschöne Galuppi-Sonate, wieder mit so einem Thema mit mystisch stehendem Ton, die ohne ABMs Einsatz für dieses Stück wohl Niemand kennen würde. Und natürlich sind auch die Scarlatti-Sonaten überirdisch gespielt. Wie ABM es etwa schafft, einen Orgel-Ton auf dem Klavier hervorzubringen, ist einzigartig. Diese Aufnahme hat sich in mein musikalisches Gedächtnis gleichsam eingebrannt - zu empfehlen ist die hier zum Glück erschwingliche UHQCD aus Japan, die erheblich besser klingt als die CD-Erstausgabe:



    So sah die originale LP aus:


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    In seinem Nachruf auf Michelangeli schreibt Joachim Kaiser, dass der große Meister und Perfektionist kein Esel gewesen sei, der nicht gewusst hätte, dass man ein Musikstück nicht nur auf eine und dieselbe Weise interpretieren kann - gerade weil er immer nach der "idealen" Interpretation gesucht hätte. Als ob ABM das hätte beweisen wollen, hat er 1990 in London, als er diese letzte Sonate Beethovens zum letzten Mal öffentlich spielte, eine Interpretation gegeben, die wahrlich Welten von der alten Studioaufnahme und allen folgenden Konzertmitschnitten trennen, so, als spiele hier ein ganz anderer Pianist. Beethovens letzte Sonate wird nun zur Quelle permanenter Unruhe, die "Arietta" vollständig rhythmisch durchpulst. Das geschieht wie immer bei ABM so kompromisslos radikal in der Durchführung, dass es wiederum völlig einzigartig und für mich unverzichtbar ist. Beethovens letzte Sonate bekommt so wahrlich ein zweites Gesicht!


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    Von zwei weiteren, für mich ganz besonderen, Beethoven-Referenzen von ABM wird in der Folge zu reden sein! :)


    Schöne Grüße

    Holger

  • Das fascinosum des jungen ABM - und noch einmal Beethoven


    Ludwig Michael Curtius....


    Ludwig Curtius – Wikipedia


    .... war ein berühmter deutscher Archäologe, wissenschaftlicher Direktor der Abteilung Rom des Archäologischen Instituts des deutschen Reiches, weswegen er Rom als zweiten Wohnsitz hatte. 1942 hörte er im Teatro Adriano in Rom ein Konzert des damals 22 Jahre jungen Arturo Benedetti Michelangeli. Damals war ABM schon eine Berühmtheit, nachdem er 1939 in Genf den Klavierwettbewerb gewonnen hatte, wo u.a. Alfred Cortot in der Jury saß, der ihn als "neuen Liszt" bezeichnete. (Mit Cortot war das Ehepaar Michelangeli ein Leben lang befreundet. Sie organisierten sogar Konzerte für ihn!)


    Curtius schreibt (zitiert nach Cord Garben) - ABM spielte damals u.a. Beethovens Mondscheinsonate - es gibt später keinen Mitschnitt von ihm leider, leider!:


    "Des Benedetti wunderbares Vermögen ist die Kantilene. Nicht etwa nur der singende Ton des Legato, nein, vielmehr eine Modellierung des einzelnen Tonworts, als stiege es wie in dem Wachs des Bildhauers durch die leisesten Schwellungen allmählich zu einer eindringlichen Sprache heran und sänke von der Höhe seines Reliefs in leise gleitenden Übergängen wieder zurück. Jede Tonsilbe hat ihre besondere Nuance, gleichsam ihren eigenen Duft, keine Note versagt sich dieser Verklärung, und wie der Satz in immer neuen An- und Abschwellen vom Pianissimo zum Piano und Forte und zurück in wunderbar liedmäßiger Geschlossenheit dahinzieht, kommt ein Gesang von einer Poesie zustande, der alle jünglingshafte Reinheit dieses Künstlers widerspiegelt. Oh, möchte man ihm zurufen, möge dich ein Gott bannen in deine 22 Jahre, auf das Du nie älter würdest und diese Frühlingsmusik des Jugendtraumes deiner Seele nie in Sommer und Herbst ausreife."


    Zu Beethoven heißt es später:


    "Beethoven - während Benedetti spielt, ist es, als hielten Tausende den Atem an und jeder erlebte sein besseres, sein eigentliches Ich."


    Das Spiel des ganz jungen Michelangeli hatte in der Tat eine "magische" Wirkung. Nachvollziehen kann man das in seinen ganz frühen Aufnahmen aus den 40igern und Anfang der 50iger Jahre, die er bei EMI Italiana machte. Die zwei LPs hüte ich noch heute wie einen Schatz, obwohl ich gar keinen Plattenspieler mehr besitze:


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    Gekauft hatte ich die Platten damals bei Saturn in Köln, wenn ich mich recht erinnere. Das war das größte Schallplattengeschäft Europas. Man fand die Platten nicht nur in den Kästen nach Komponisten und Interpreten geordnet, sondern auch, wenn man die Nummer des Bielefelder Kataloges hatte, konnte man sie sich aus den Regalen holen. Leider ist dieses Paradies heute Geschichte! Michelangelis Spiel hat hier die Aura eines Traumhaft-Schönen, ist hoch poetisch und klassisch-luzide zugleich und von einer überirdischen, funkensprühenden Virtuosität. ABM versprüht nur so die Tonfarben mit seinem "Ton", dessen flexible Abtönungskunst bei aller Tonreinheit und Tonschönheit Curtius so treffend beschreibt. Die ersten CD-Überspielungen der EMI waren eine Enttäuschung - entweder dumpf oder künstlich aufgehellt. Zudem waren sie nicht vollständig. Es fehlte z.B. "Fantasque" des Schweizer Komponisten Andre-Francois Marescotti.


    André-François Marescotti — Wikipédia (wikipedia.org)



    Das war das Pflichtstück beim Wettbewerb in Genf 1939, das ABM offenbar so gefiel, dass er es aufnahm. Es ist ein impressionistisch-virtuoses Stückchen mit viel Humor und Poesie, das ABM nur so hinzaubert in die Tasten und seinen "metaphysischen" Ton im lyrischen Mittelteil entfalten kann. Dieses und auch die phantastisch gespielten spanischen Stücke nahm ich mir auf Cassette auf und überspielte sie auf CD-R. Die Klangqualität der LPs war nämlich vorzüglich, gibt die Tonmagie ABMs trefflich wieder. Zum Glück sind alle diese Aufnahmen in der Warner-Komplettbox enthalten:



    Curtius mit seiner klassisch-philologischen Ausbildung beschwört die antiken Götter, Michelangelis Spiel möge die Magie seiner Jugendlichkeit ewig beschert bleiben. So ging es mir - als noch junger und unerfahrener Hörer - auch. Heute muss ich da über mich selbst schmunzeln: Ich glaubte nämlich, ABM müsste immer so betörend und bezaubernd-verzaubernd klingen wie in diesen seinen ersten Aufnahmen. Kurios: In der schon erwähnten Rundfunksendung spielten sie einen Ausschnitt aus der EMI-Studioaufnahme der Paganini-Variationen von Johannes Brahms, dem Stück, mit dem ABM in Konzerten ungeheures Aufsehen erregte und die Kritiker regelmäßig vom Stuhl fallen ließ. Das ist wahrlich unvergleichlich gespielt (worauf ich in einem späteren Beitrag noch kommen werde). Natürlich wollte ich mir gleich die Platte kaufen und fuhr nach Köln zu Saturn. Dort bekam ich allerdings zunächst nur einen anderen - späteren - Mitschnitt, den aus Lugano von Anfang der 70iger. Wie ich heute weiß war das ABMs "puristische" Phase, wo er, dessen Spiel wahrlich ein fascinosum war, um keinen Preis mehr faszinieren wollte. Der Mitschnitt ist glasklar, besitzt pianistisch vollendete Perfektion, ist aber nahezu asketisch antivirtuos fast bis zur Selbstverleugnung. Unerfahren wie ich damals war, war ich doch ein bisschen schockiert! ^^ Von der Warte des reifen Hörers von heute aus betrachtet gefällt mir aber gerade das bei ABM: Er wollte nie Jemandem gefallen, schon gar nicht seinem Publikum, und machte es sich selbst und seinen Hörern immer wieder schwer. Genau damit bringt er den Hörer aber zu einem wirklich ernsten Nachdenken über Musik, das in die Tiefe geht. Meine Erfahrung über Jahre ist: Bei allen ABM-Aufnahmen, an denen man sich reibt, entsteht das Merkwürdige, dass sie einen trotzdem anziehen, man immer wieder auf sie zurückkommen muss und denkt: So muss es zwar nicht sein, aber trotzdem ist es so zwingend, dass es für einen dann doch gleichsam zwangsläufig zur exemplarischen, unverzichtbaren Aufnahme wird. Dazu gehört in gewisser Weise seine grandiose Aufnahme von Beethovens Klaviersonate op. 7, die EMI-Studioaufnahme des Carnaval von Schumann wie auch die der Haydn-Konzerte.


    Ich möchte hier zum Abschluss auf seinen Beethoven kommen - seine Aufnahmen bzw. Mitschnitte der Sonaten op. 2 Nr. 3 und op. 7.


    Wer kennt schon Beethovens Klaviersonate op. 7? Dabei ist sie wahrlich eine "große" Sonate, von den Ausmaßen her die längste nach der Hammerklaviersonate op. 106. Mir ist es mit op. 7 im Prinzip genauso gegangen wie Michael Korstick, der bekannte, er hätte speziell diese Sonate durch Michelangelis Aufnahme erst lieben gelernt. Es liegt nur an ihm, dass die Es-Dur-Sonate zu meinen "Top 5" Beethoven-Sonaten gehört. Michelangeli bringt es fertig, die unglaubliche Schönheit gerade dieser Sonate ans Licht zu bringen. Joachim Kaiser schrieb über diese Interpretation, mit der er ansonsten seine Schwierigkeiten hatte: "Meisterschaft ist gar kein Ausdruck". Michelangeli hat wohl nicht zufällig diese Sonate als Erstaufnahme gewählt, als er von der EMI zur Deutschen Grammophon Gesellschaft wechselte. So sah das Originalcover aus:


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    "Perfektion" ist ein doch sehr schnöde technisches Wort. "Vollkommenheit" wäre der angemessene Ausdruck. Was Michelangeli gelingt, kann man mit der Fähigkeit eines Portraitisten vergleichen, absolut genau zeichnen zu müssen. Die kleinste Ungenauigkeit und Abweichung von der idealen Linienführung führt dazu, dass man ein Gesicht nicht mehr erkennen kann, eine Verfremdung entsteht. Michelangeli trifft jeden Bogen, jede Phrase, jede Proportion, jede Färbung des Tons und Ausdrucks mit einer fast schon mikroskopischen Genauigkeit. Das erreicht kein anderer Pianist. Dabei ist seine Schönheit weit mehr als nur blendender Oberflächenglanz: Da ist alle Dramatik zu spüren und eine feine Melancholie, besonders im Finalsatz, die wie bei Debussy an die Flüchtigkeit und Vergänglichkeit des Schönen gemahnt.


    Alles was wirklich bedeutend ist - das gilt nicht nur für musikalische Interpretationen, sondern auch für Literatur und Philosophie - ist freilich auch strittig. Nur das Banale und Gewöhnliche ist von der Art reibungsloser Glätte, so dass es bei Niemandem aneckt, sondern immer eingängig und wohlgefällig bleibt. Was hat man ABM insbesondere für seine Auffassung des ersten Satzes alles angedichtet: Klassizistische Kühle vor allem, eine marmorhafte Erstarrung. Nichts von dem kann ich nachvollziehen! Anstößig ist letztlich sein Tempo. Das ist ein Allegro con brio-Satz. Artur Schnabel und auch Friedrich Gulda fegen da durch, als wären sie von einem Raketenmotor befeuert. Aber ist das auch richtig so? Sehr viele Sätze von Beethoven unterschiedlichsten musikalischen Charakters sind mit Allegro con brio überschrieben - so etwa auch der Hauptsatz der Sonate op. 22, der so gar nicht dramatisch heißblütig stürmt und drängt, sondern eher klassisch-entspannt daher fließt. Wie man das Allegro con brio versteht, ist also letztlich Auffassungssache. Michael Korstick meint bei aller Bewunderung für Michelangelis Aufnahme und der Feststellung, kein Pianist der Welt dürfe mehr hinter Michelangelis Niveau zurückfallen, man müsse ja den ersten Satz nur nicht so langsam spielen! Also habe ich mir, nachdem ich das von ihm las, Korsticks Aufnahme gleich gekauft. Und sein schnelleres Tempo hat mich so gar nicht überzeugt! Mein Lehrer und Freund F.-J., der die Es-Dur-Sonate im Konzertexamen spielte und ABM mit dieser Sonate im Konzert hören konnte, dozierte mir einmal, warum nur Michelangelis Tempo richtig sein kann.


    Aber über diesen Punkt sollte man nicht rechten. Sowohl für das schnellere als auch das langsamere Tempo lassen sich Argumente finden. Letztlich ist die Interpretation hier eine Frage der Ästhetik. Ästhetisch betrachtet ist entscheidend, ob man diesen Satz als eine "offene" oder "geschlossene" Form versteht. Die Unterscheidung stammt von dem Kunsthistoriker Heinrich Wölfflin. Die "offene Form" barocker Gestaltung weist überall über sich hinaus, d.h. es gibt keine in sich geschlossenen Einzelteile, die von einer durchgehenden Bewegung vielmehr durchbrochen und verflüssigt werden. Dagegen weist die "geschlossene Form" überall auf sich zurück, d.h. die Formteile durchdringen sich nicht, sondern bleiben sozusagen sauber voneinander getrennt. Schnabel und Gulda betonen den durchgehenden, die Zäsuren verwischenden Bewegungszug, interpretieren diesen Satz damit als offene Form. Michelangeli dagegen nimmt ihn als eine klassisch geschlossene Form. Für Michelangelis Auffassung sprechen nun einige wichtige Details, welche die Formanalyse herausbringen kann. Erst einmal ist der eigentlich dynamische Teil dieses Sonatensatzes, die Durchführung, sehr kurz im Vergleich zur ausladenden Exposition, die auch noch wiederholt wird. Das allein bedeutet ein Übergewicht der Architektur. Wenn man genau hinschaut, spielen Schnabel und Gulda die von Beethoven notierten Bögen nicht genau, sondern verwischen ihre Konturen. Schon auf der ersten Seite wird zudem deutlich, dass es zwar eine durchlaufende Achtelbewegung gibt. Die wäre auch bei einem barocken Musikstück von J.S. Bach denkbar. Nur bliebe sie immer in einer Stimme. Bei Beethoven dagegen wechselt ständig die Stimmbewegung von der linken in die rechte Hand; Beethoven arbeitet also mit Spiegelsymmetrien und den damit entstehenden Komplementaritäten, welche die formale Geschlossenheit und Korrespondenzen abgeschlossener Formteile betonen und gerade nicht einen bruchlos durchlaufenden barocken Bewegungszug.


    Das alles spricht dafür, dass es Beethoven in diesem Satz um die Verwirklichung eines Klassizitätsideals ging. In der "deutschen Schule" ist das freilich nicht populär, die in Beethoven vor allem den Stürmer und Dränger sehen will. Der Klappentext der Original-LP enthielt die Wiedergabe eines Gesprächs, das Michelangeli mit dem Musik- und Theaterkritiker Karl Heinz Ruppel führte. Da sprach Michelangeli von der "Angst konstanter Tempi" - man könnte dies modifizieren in die typisch deutsche "Angst vor der Klassizität" - auch ein Joachim Kaiser war davon nicht frei. Immerhin hat sich seine Meinung im Laufe der Jahre gewandelt. Kaiser spricht in seinem Nachruf von dem "Wunder", dass sich bei Michelangeli vollziehe, nämlich die "Verwandlung von deutschem Beethoven in eine romanische Welt".


    Ich würde Michelangelis Interpretation dieser Sonate "idealisierend" nennen - wie auch Clara Haskils Mozart oder viele Klassiker-Interpretationen von Svjatoslav Richter. Je mehr man sich in Michelangelis Interpretation des Allegro con brio-Satzes einhört und verstehen lernt, dass es hier nicht auf die Kontinuität, sondern die Sukzessivität ankommt, entdeckt man, dass niemand so wie er die geradezu explosiven dramatischen Innenspannungen der Motivbewegungen herausarbeitet, zudem mit - den ja auch notierten - scharfen und schärfsten dynamischen Kontrasten. Die werden durch das zügige Tempo von Schnabel oder Gulda einfach glatt gebügelt. Leider kommt das dramatisch kontrastreiche Spiel ABMs bei der klanglich nicht ganz idealen, etwas wenig präsenten DGG-Aufnahmetechnik nicht so heraus. Das ist viel eindringlicher zu vernehmen etwa bei dem vorzüglich aufgenommenen Konzertmitschnitt aus Japan aus derselben Zeit.


    Hier hatte ich ABMs Aufnahme schon einmal besprochen - vor 8 Jahren mit bemerkenswerten Parallelen, die mir beim Schreiben jetzt gar nicht mehr bewusst waren (Vergleich mit dem Portraitmaler :D ) :


    Beethoven: Klaviersonate Nr. 4 Es-dur op. 7 - CD-Rezensionen und Vergleiche (2014)


    Für die DGG-Studioaufnahme empfehle ich die (preisgünstig zu habende!) UHQCD:



    Der Tokyo-Mitschnitt (mit einem wunderbar lyrischen Carnaval zudem!):


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    ABM hat diese Sonate keineswegs immer gleich gespielt! Die verschiedenen Mitschnitte verraten nicht unbedeutende Unterschiede. Joachim Kaiser berichtet, dass er im Konzert noch schwelgerischer das Musikalisch-Schöne ausgekostet habe als in der Studioaufnahme. Auch hier hebt sich ABMs späte Aufnahme von allen früheren ab, die deutlich unruhiger und rhetorisch pointierter ist. Gäbe es diese alles überragende DGG-Aufnahme ABMs nicht - kaum hätte ich mich für diese Sonate so interessiert! Es gibt nur zwei andere Aufnahmen, die für mich inzwischen ebenfalls "unverzichtbar" geworden sind. Das ist einmal die wirklich groß zu nennende, später entstandene Digitalaufnahme von Emil Gilels - darüber hatte ich im Thread über Beethovens op. 7 geschrieben .... (hier zu lesen):


    Beethoven: Klaviersonate Nr. 4 Es-dur op. 7 - CD-Rezensionen und Vergleiche (2014)


    ... sowie Wilhelms Kempffs betörend poetische, lyrisch intime frühe Aufnahme von 1940 mit den vielen (altmodischen) Tempowechseln, auf die sich ABM wohl bezieht.


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    :) :hello:

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  • Hommage à Debussy

    Warum mir die Musik von Claude Debussy so viel bedeutet, der berühmte "Funke" bei mir gleich übersprang, habe ich 2016 in dieser kleinen Hommage zum Ausdruck gebracht:


    Doctor Gradus ad Parnassum. Philosophische Brocken zur Ästhetik (I) Hommage à Debussy


    Wiederum etwas Humoristisches als Einstieg: Kürzlich hatte ich wieder einmal eine Diskussion über Musik mit meinem Sohn. In seiner Jugend hörte er viel Heavy Metal, später dann deutlich weniger, dafür Jazz und auch ausgesuchte Klassik. Debussy und Ravel mag er - nur keinen klassischen Gesang wie Oper. Jonas Kaufmann - das ist so gar nichts für ihn! Ihm sowas wie Dolce Vita schmackhaft machen zu wollen - keine Chance! :D Er selbst hat sich damals eine E-Gitarre gekauft und Gitarre spielen zum großen Teil selber beigebracht. Seine Lieblingsplatten aus dem Bereich Jazz, die manchmal auch ein bisschen in Richtung Pop gehen, kann ich alle hören. Da sind wirklich schöne Sachen dabei. Nur wenn ich seine CD mit Joe Satriani laufen lasse, betätige ich schon nach wenigen Sekunden die Stop-Taste. Dieses nervige, verzerrte E-Gitarren Geplärre erzeugt bei mir nur physische Schmerzen. Da müssen wir beide darüber lachen und ich erkläre, dass für mich nicht zufällig die Musik von Claude Debussy eine große Liebe ist, weil meine Musik eben "Klang" bedeutet. Bartoks Expressionismus, etwa Der wunderbare Mandarin, ist auch aggressive Musik (auf der Bühne, ich habe eine Aufführung in Düsseldorf erlebt mit Neon-Licht, wurde der Mandarin mit einer Pistole erschossen!), die aber eben noch klingt, nicht nur physischer Druck ist, Power pur wie Heavy Metal und dgl. Debussys Musik ist Klang-Musik in reiner Form - wie die impressionistische Malerei von Claude Monet, die ich ebenfalls sehr liebe, nicht primär Gegenstände malt, sondern die Farbe und das Licht. Wenn ich nun noch einmal darüber nachdenke, warum mich Debussys Klänge und Monets Farben so in ihren Bann ziehen, ist es zwar natürlich auch der Zauber, der Duft, also die "Sinnlichkeit", die fasziniert, dann aber doch nicht das Entscheidende, nämlich, ein Gefühl quasi grenzenloser Freiheit zu vermitteln beim Sehen und Hören. Diese Kunst schließt mir eine ganze Welt auf, öffnet mir einen quasi unendlichen Raum, in dem sich meine Phantasie bewegen kann, wo sich die Empfindungen quasi grenzenlos vervielfältigen, weil es einen in allen Dimensionen offenen Raum mit einer Unendlichkeit von Hintergründen gibt. En dehors ist eine der häufigsten Vortragsbezeichnungen bei Debussy. Vielleicht bin ich auch nur so gestrickt, ein überaus freiheitsliebender Mensch zu sein. Ich gehe lieber über das offene, freie Feld, als den eingezäunten Spazierweg zu nehmen. Und ich liebe endlose Spaziergänge am offenen Meer. E-Gitarren Power-Musik nimmt mir diese Freiheit und Bewegungsfreiheit, engt mich ein, schnürt mir sozusagen die Luft ab. Für mich ist das "weltlose" Musik, die keinen Raum hat, weil sie mir keinen Raum lässt, mich zu entfalten, sondern statt dessen nur einen Schwall von klangtoter Schallenergie auf meine Ohren drückt, der mich erdrückt.


    Als ich nach meiner "klavierverrückten" Phase des Sammelns von Platten von ABM, Horowitz, Ashkenazy usw. meinte, mir nun auch das Orchesterrepertoire durch eine ausgesuchte Plattensammlung "systematisch" zu erschließen, war die "Brücke" nicht zufällig impressionistische Musik von Debussy und Ravel. Es war eine Platte, die es tatsächlich schaffte, so etwas wie "Liebe" nicht nur für den Klang des Klaviers, sondern auch den des großen Orchesters zu wecken, die bis heute für mich einen Ausnahmestatus genießt:


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    Claudio Abbado wollte eigentlich Pianist werden und hatte tatsächlich vor, zusammen mit Martha Argerich, mit der ihn seit Jugendtagen eine lebenslange Freundschaft verband, bei Friedrich Gulda in Wien zu studieren. Doch dann wurde er schließlich Dirigent. Maßgeblich dafür war - wie er bekannte - der Wunsch, einmal Debussys Nocturnes für Orchester dirigieren zu können. Es liegt also sicher nicht nur am fabelhaften Boston Symphony Orchestra, das als "Spezialist" für dieses Repertoire gilt, und Abbados Genie, dass dies eine so außergewöhnliche Platte ist, sondern auch an Abbados ganz persönlicher Beziehung zu diesem Orchesterstück von Debussy. Meine Hommage und die Ausführungen oben machen glaube ich verständlich, warum ich speziell dieses Debussy-Stück so besonders liebe. Abbado hat Debussys Nocturne später noch einmal im Konzert mit seinen Berliner Philharmonikern gespielt und aufnehmen lassen. Ohne den Berlinern zu nahe treten zu wollen, muss ich aber feststellen, dass sie nicht an die exquisite Orchesterleistung der Bostoner in dieser frühen Abbado-Aufnahme herankommen. Die Daphnis et Chloe-Suite ist nicht nur farbenprächtig, sondern mit orgiastischer Begeisterung gespielt und auch Scriabins Poeme de l´extase exemplarisch. Die Prophezeiung mache ich: Jeder, der diese Platte erwirbt, wird sie lieben! :) Fortan sammelte ich vor allem Platten von Claudio Abbado und auch Pierre Boulez. Bis heute ist - eigentlich, wenn ich darüber nachdenke - Abbado immer mein Lieblingsdirigent gewesen und bis heute geblieben. ;)


    Auch meine anderen Referenzen was die Orchesterstücke von Debussy angeht will ich verraten. Als andere Jugendliche die Beatles hörten, kaufte ich Platten von Pierre Boulez und las seine Bücher und Ausführungen über Debussy und seine Verbindungen zur seriellen Musik. :D Debussys Musik war es letztlich auch, die mir die Tür zur Neuen Musik, zu Nono, Boulez, Stockhausen usw., öffnete. Zwei Debussy-Platten von Boulez vor allem sind aus meiner Sammlung nicht wegzudenken - so sahen die originalen LPs aus:


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    Die Danses für Harfe und Streicher sind ein wirklich sehr schönes Stück, das ich gleich beim ersten Hören ins Herz geschlossen habe. Heute habe ich die komplette CD-Ausgabe der CBS-Aufnahmen von Boulez (eine ältere Auflage allerdings):



    Dazu gehört - für mich ebenfalls unverzichtbar - diese Neuaufnahme mit dem vorzüglichen Cleveland Orchestra bei der DGG:


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    Leider unter Musikfreunden viel zu wenig bekannt sind die Debussy-Aufnahmen, die Serge Baudo in Prag machte mit der gerade auch bei diesem Repertoire fantastischen Tschechischen Philharmonie. Ich würde sie den Boulez-Aufnahmen gleich stellen und möchte sie um keinen Preis missen! Sie sind (Label Supraphon) auch hervorragend aufgenommen:


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    Geradezu magisch anziehend wirken auf mich zwei frühe Orchesterkompositionen Debussys, Printemps und die reine Orchesterfassung von Le Martyre de Saint Sebastien. Schon früh kaufte ich als LP die Aufnahme von Daniel Barenboim mit dem Orchestre de Paris - Musik, die Barenboim gewissermaßen auf den Leib geschneidert ist: Debussy noch im Dunstkreis von Wagner. Eine Aufnahme und Interpretation, die einfach ideal ist in jeder Hinsicht!


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    Heute habe ich diese CD-Ausgabe:


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    Noch nicht so lange in meiner Sammlung - aber inzwischen schon mehrfach gehört - ist Abbados Aufnahme von Debussys Kantate La Demoiselle elue. Ich bleibe was die Musik angeht "Debussy verrückt"! :D


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    Schöne Grüße

    Holger

  • Bevor ich zu Debussys Klaviermusik zurückkomme, möchte ich eine Platte mit Musik des 20. Jhd. vorstellen, die bei mir einen Ausnahmestatus genießt. Die originale Langspielplatte enthielt als Programm Strawinskys "Petruschka" und Prokofieffs Klaviersonate Nr. 7 - die CD vereinigt zwei LPs, enthält dazu noch die mit den Webern Variationen op. 27 und die Boulez-Sonate Nr. 2, übernimmt aber das Cover der Strawinsky/Prokofieff-LP:



    Pollinis schlecht gekämmte und verschwitzt wirkende Haare machen den Eindruck eines "jungen Wilden" - wenn nicht der perfekt sitzende, feine Anzug mit Schlips und Kragen dazu käme. ^^ Das Spiegelbild vermittelt den Eindruck einer Moderne als kühle Klassizität. Man sieht glänzenden Klavierlack und ein blau und gelblich schimmerndes Licht wie bei der aufgehenden Sonne - Musik des 20. Jhd. als Aufbruch zu neuen Ufern und klassische Verbindlichkeit in einem. Genau dafür steht Pollinis Einsatz für die Musik nach 1900! Eins der bemerkenswertesten Plattencover, das sich einprägt. In den 70gern verfügte Pollini über gewaltige physische Kräfte und ein unglaubliches Stehvermögen, das er etwa bei Bartoks "Im Freien" zeigte. Der Bartok gehörte damals zu seinen Konzertprogrammen, wovon es auch zumindest eine Rundfunkmitschnitt gibt. Die Übertragung hörte ich - wohl Ende der 70iger, Anfang der 80iger Jahre. Leider ist dieser Mitschnitt nie veröffentlicht worden und Pollini hat die Stücke auch nicht aufgenommen. Strawinskys Klavierfassung von "Petruschka" ist Artur Rubinstein zu verdanken, der seinen Freund erst einmal an einen beschaulichen Ort in die Schweiz entführte und dort unterrichtete, wie man für Klavier überhaupt komponiert, denn Strawinsky hielt das Klavier vornehmlich für eine Art Schlagzeug. :) Pollini spielt dieses haarstäubend virtuose Stück nicht nur mit einer spieltechnischen Souveränität, die ihresgleichen sucht, dazu glasklar, ungeheuer dynamisch mit seinem "Stehvermögen" von damals sowie dem ihm eigenen außerordentlichen Klangsinn und italienischem Formgefühl. Das Besondere an Pollinis Aufnahme ist aber eigentlich, dass es ihm gelingt, "Petruschka" nicht nur wie die Klaviertranskription eines Orchesterstücks, sondern ein originäres Klavierstück klingen zu lassen. Nein, Strawinskys Klavier ist bei Pollini beileibe nicht nur ein Schlagzeug, sondern "Petruschka" wird bei aller Modernität und Härte des Anschlags zugleich zum Inbegriff von schöner Klaviermusik. Durch Pollini etabliert sich die Klavierfassung von "Petruschka" als klassisches Werk. Nicht minder einzigartig ist seine Interpretation von Prokofieffs 7. Klaviersonate. Hier zeigt er nicht nur Sinn für die perkussiven Elemente, sondern versteht es, eine grandiose Ausgewogenheit herzustellen zwischen der Form und Ausdrucksdimension dieser Kriegssonate, welche auch die Reminiszenzen an Scriabins dämonisch-makabre 9. Klaviersonate im langsamen Satz idiomatisch treffsicher vorführt. Vor allem versteht es Pollini, die dynamischen Entwicklungen und Abstufungen im Schlusssatz in vorbildlicher Weise auszuspielen, wo so mancher Pianisten-Jungspund von heute diese perkussive Toccata nur durchhämmert, mit der Planierraupe durch Prokofieffs Hügellandschaft fährt. (Ich nenne jetzt bewusst keine Namen! ;) )


    Das sind wahrlich zeitlose Aufnahmen für die einsame Insel! :) :) :)


    Schöne Grüße

    Holger

  • Hallo Holger,


    als Klassikkenner und -liebhaber schätze ich deine Beiträge sehr, leider muss ich lesen:


    Zitat

    Eine Musikrichtung war allerdings gar nicht vertreten in meinem Elternhaus: Popmusik. Bis heute wird sie von mir komplett ignoriert.

    Eric Clapton wäre eine Entdeckungsreise durchaus wert, seine Wurzeln kommen vom Blues, sein Gitarrenspiel ist und bleibt wegweisend.


    Es grüßt


    Karl

  • Eric Clapton wäre eine Entdeckungsreise durchaus wert, seine Wurzeln kommen vom Blues, sein Gitarrenspiel ist und bleibt wegweisend.

    Lieber Karl,


    Deine Bemühungen sind wirklich sehr nett! :) ^^ Mein Sohn spielt E-Gitarre, das hat es sich in der Jugend selber beigebracht und versucht mich seitdem auf diesem Gebiet zumindest dem Blues/Jazz-Bereich etwas näher zu bringen. Da finde ich inzwischen auch, sind einige sehr anhörenswerte Sachen darunter. Meine wirklich Grenze ist Heavy Metal. Sowas kann ich als Mensch, für den Musik "Klang" ist (meine Liebe zu Debussy von Anfang an...), einfach nicht ertragen. Da kriegt er mich nicht herum! Eric Clapton kann ich mir ohne Probleme auch anhören, klar! ^^ :hello:


    Liebe Grüße

    Holger

  • Da wir etwas vom Pfad der Klassik-Tugend abgekommen sind, bleibe ich einen Moment auf diesem "Abweg". :D


    Wenn man wie ich jährlich in Bulgarien weilt (sofern Corona es zulässt), lernt die wunderbare traditionelle bulgarische Musik kennen, in der sich europäische Einflüsse und die des osmanischen Reiches verbinden. Berühmt in Bulgarien ist dieser Chor unter der Leitung von Dora Hristova:


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    Die Aufnahmen des bulgarischen Labels GEGA sind durchaus auch bei uns zu bekommen.


    Eine "Institution" ist auch Theodosii Spassov


    https://de.wikipedia.org/wiki/…org/wiki/Teodosij_Spassow


    der wohl international bekannteste Jazz-Musiker aus Bulgarien. Er spielt die Kaval - eine traditionelle bulgarische Flöte, und lässt die Tradition bulgarischer Musik in seine Jazz-Improvisationen einfließen. Jedem Jazz-Liebhaber, der sie nich nicht kennt - und nicht nur dem - sei diese musikalische Entdeckungsreise empfohlen:


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    Schöne Grüße

    Holger

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  • Lieber Holger,

    hierzu eine kleine persönliche Geschichte: Ich bin vor einigen Jahren über den Star-Wars-Film "Solo - A Star Wars Story" zum ersten Mal bewusst auf bulgarische (Frauen-)Chormusik gestoßen. In dem Film wird - wie ich im Nachhinein erfahren habe - ein bulgarischer Frauenchor (laut Booklet zum Soundtrack des Films handelt es sich um den Vanya Moneva Women's Choir) als musikalisches Erkennungsmerkmal eines Charakters eingesetzt:

    Meine zweite Begegnung mit bulgarischer Musik geschah wieder durch Star Wars: Vor gut einem Jahr erschien auf Disney+ die großartige Animations-Anthologieserie "Star Wars: Visionen", in der die Welt von Star Wars mit Anime-Zeichenstilen und weiteren japanischen Einflüssen kombiniert wird. In der 1. Folge (übrigens eine tolle Hommage an die Filme von Akira Kurosawa) wird ein bulgarischer Frauenchor beim Auftritt einer Antagonistin verwendet und ich fühlte mich sofort an "Solo" erinnert. Danach habe ich begonnen, mich im Internet schlau zu machen und bin auf eine wahre Fülle an Stücken auf Youtube gestoßen, insbesondere auf das wohl bekannteste Stück dieser Art, "Kaval sviri" von Peter Lyondev:



    Ich war so fasziniert von dieser Klangwelt, dass ich mir die Nacht um die Ohren geschlagen und wie besessen bis spät in die Nacht verschiedenste Chorstücke dieser Art angehört habe. Ich komme immer wieder gerne darauf zurück, das ist ein Klang, den man nirgendwo sonst hören kann. Diese scharfen Dissonanzen und der harte, schneidende Klang können eine richtige Sogwirkung entwickeln!

    Im Nachhinein habe ich übrigens auch herausgefunden, dass ich schon als siebenjähriger Junge durch den Disney-Film "Bärenbrüder" Kontakt mit dieser Art von Musik hatte


    Liebe Grüße

    Amdir

  • Ich war so fasziniert von dieser Klangwelt, dass ich mir die Nacht um die Ohren geschlagen und wie besessen bis spät in die Nacht verschiedenste Chorstücke dieser Art angehört habe.

    Lieber Amdir,


    das ist wirklich eine faszinierende Klangwelt! Die bulgarischen Chöre haben diesen sehr eigenen Klang - das sind traditionelle Lieder, die dann arrangiert werden für den jeweiligen Chor. Ich habe einige CDs. Es fällt auf, dass der Charakter sehr verschieden ist, je nachdem, aus welcher Region Bulgariens die Lieder stammen. Die meisten Lieder sind sehr melancholisch - Jahrhunderte Fremdherrschaft haben sich da niedergeschlagen. Zuerst kennengelernt hatte ich sie in einem Film über Bulgarien, den ich sah. Vesselina Kasarowa hat auch eine sehr schöne CD gemacht mit den Liedern ihrer Heimat und dafür damals den Echo-Klassik bekommen - z. Zt. ist sie günstig zu haben für nur 8 Euro:


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    :hello:


    Schöne Grüße

    Holger

  • Danke für den Hinweis auf die CD von Frau Kasarova, ich habe auf Youtube mal reingehört, das klingt sehr vielversprechend!


    Deinen Anmerkungen stimme ich zu, sicher haben dieser Mix aus Melancholie, Dramatik und geradezu archaischer Klangkraft dazu geführt, dass sich diese Musik gut in Filmen/Serien einbauen lässt.


    Ich habe mir im Verlauf diesen Jahres bereits zwei CDs mit bulgarischer Chormusik zugelegt, von denen sich einige Stücke auch mit denen der CD von Frau Kasarova überschneiden und hoffe, nach und nach auch noch an die übrigen CDs der Reihe "Le Mystere des Voix Bulgares" zu kommen Das bisher Gehörte hat mir auf jeden Fall schon sehr zugesagt!








    Liebe Grüße

    Amdir

  • Ich habe mir im Verlauf diesen Jahres bereits zwei CDs mit bulgarischer Chormusik zugelegt, von denen sich einige Stücke auch mit denen der CD von Frau Kasarova überschneiden und hoffe, nach und nach auch noch an die übrigen CDs der Reihe "Le Mystere des Voix Bulgares" zu kommen Das bisher Gehörte hat mir auf jeden Fall schon sehr zugesagt!

    Das freut mich, lieber Amdir! :)


    Liebe Grüße

    Holger

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    Unverschämter Weise - Axel ist das nicht entgangen - habe ich bei meiner Lobpreisung von Pollinis Strawinsky und Prokofieff...



    ... hier:


    Dr. Kalethas Musikbibliothek: Musik und Aufnahmen, auf die ich nicht verzichten kann


    den auf der CD ebenfalls befindlichen Boulez und Webern einfach übergangen. Dieses "Versäumnis" war allerdings keineswegs unbeabsichtigt. 8o Denn - es geht schließlich um die Vorstellung solcher für mich "unverzichtbarer" Aufnahmen! Und dazu gehören - bei aller Wertschätzung für die Komponisten und ihre Werke wie auch den Interpreten - diese Aufnahmen für mich nun mal nicht. :S Das mag den Leser überraschen - deshalb also meine etwas umständliche Auskunft darüber, warum insbesondere die Boulez-Sonate für mich durchaus "verzichtbar" und nicht unverzichtbar ist. Strawinsky meinte einst etwas herablassend über das Klavier, dass dieses ja nur eine Art Schlagzeug sei. Sein Freund Rubinstein versuchte ihn da vom Gegenteil zu überzeugen - woraus dann die Klavierfassung von "Petruschka" entstand. Boulez scheint mir von Strawinskys Einschätzung des Klaviers nicht so weit entfernt zu sein. Nichts gegen die serielle Komposition - aber auch nach dem Wiederhören bestätigt sich meine Meinung: Dieser Klaviersatz ist eigentlich nicht wirklich "klaviermäßig". Boulez schreibt ein erhabenes serielles Stück und benutzt dabei das Klavier als "Instrument" im wörtlichen Sinne von instrumentum, eines "Werkzeugs", also bloßen Mittels zum Zweck, seine musikalischen Vorstellungen wiederzugeben. Irgendwie bleibt diese Komposition dabei dem Instrument fremd - anders etwa Stockhausens ebenfalls serielles Klavierstück IX, das auf dem Klavier neue, ungehörte und unerhörte Klangmöglichkeiten erschließt. "Unverzichtbar" für mich ist dagegen mein Lieblings-Orchesterstück von Boulez, Pli selon Pli in dieser auch klangtechnisch exzellenten Erato-Aufnahme des Komponisten selbst:


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    Beindruckend hier die ästhetische Einheit der seriellen Methode von "punktueller Musik", die aus singulären Klangereignissen besteht, mit der Orchestrierung: Da gibt es ein Ensemble mit Singstimme, die nach dem Vorbild von Debussys Nocturnes wortlos vokal singt, ein Klavier und exquisites Schlagzeug, was subtilste Klangsinnigkeit und -sinnlichkeit zum Ereignis werden lässt: Musik ist gleichsam "Klang pur", abstrakt und sinnlich unmittelbar zugleich, weil "ohne Bedeutung", wie John Cage es formulierte. Atemberaubend - Musik, die einen zum konzentrierten Hinhören und Nachspüren der klanglichen "Sensationen" geradezu zwingt und dabei einen außerordentlichen Hörgenuss bereitet! Von wegen serielle Kakophonie! ^^ :)


    Aber kommen wir zu Pollini und der Neuen Musik zurück. Schönbergs Klavierstücke sind allein schon deshalb faszinierend, dass man an ihnen den Abstraktionsprozess förmlich spären kann, vom Qusi-Gegenständlichen der melodischen Brahms-Tradition zum Ungegenständlichen zu kommen - so ähnlich wie in einer Bildserie von Wassily Kandinsky, in der er die Abstraktion immer weiter treibt. In ihrer aufs Äußerte verdichten Einfachheit und Klarheit sind Schönbergs kleine Stücke faszinierend. Pollini hat eine Auswahl von ihnen im Konzert in Köln 2009 zwischen Stockhausen und Schumann gespielt - es ist kein Zufall, dass sie als "Brücke" zwischen Tradition und Moderne so gut fungieren können. Pollinis Studioaufnahme ist etwas ganz Besonderes mit ihrer schier unglaublichen Präzision, ohne jemals leblos zu wirken. Eine zeitlos gültige Aufnahme mit Ausnahmequalitäten:


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    Ebenso unverzichtbar für mich ist Pollinis Aufnahme der wunderbaren Berg-Sonate mit seinen Sinn für die dramatischen Qualitäten der Musik bei allem Formgefühl - zusammen mit Debussys "abstraktestem" Spätwerk, den Etüden - für mich die Referenzeinspielung:


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    Eine Alternative schätze ich bei Schönberg und Berg aber genauso - das sind die Einspielungen von Glenn Gould. Der hat einen ganz anderen Ansatz - einen sehr epischen. Schönbergs Brahms-Nähe spürt man bei Gould noch mehr. Es ist schon faszinierend, Pollini und Gould im Vergleich zu hören.



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    Schöne Grüße

    Holger

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  • Transkriptionen und Paraphrasen (I)




    Es war ein denkwürdiger Klavierabend in der Tonhalle Düsseldorf. Cyprien Katsaris spielte u.a. eine Beethoven-Symphonie in der Transkription für Klavier von Franz Liszt. Ich weiß heute nicht mehr genau, welche - vielleicht war es die "Eroica". Weiter auf dem Programm stand wie ich mich erinnere Beethovens Klaviersonate op. 26 und einige Liszt-Klavierstücke wie Nuages gris. An diesem Tag im Sommer war es unglaublich heiß - auch der Pianist schwitzte und machte seine Späße darüber. Am nächsten Tag war eine bitterböse Kritik in der Düsseldorfer Rheinischen Post zu lesen. Der Kritiker empörte sich über das Programm. Diese Liszt-Transkription gehöre nicht in den Konzertsaal! Cyprien Katsaris - dem er auch noch seine Späße wegen der Hitze übel nahm - habe sich mit diesem Konzertabend als Ernst zu nehmender Pianist endgültig verabschiedet. Diese Kritik hatte dann ein Nachspiel. Per Leserbrief meldete sich der inzwischen pensionierte Chefkritiker der Rheinischen Post, Alfons Neukirchen, zu Wort. Er schrieb: Das über Liszt könne er nicht so stehen lassen. Auch wenn man dieses Repertoire nicht möge, müsse man doch zugeben, dass Liszt diese Transkription kompositorisch hervorragend gemacht hätte.


    Wie zählebig solche Vorurteile sind, zeigt sich in einer aktuellen Rezension der Tristan-CD von Igor Levit (die CD habe ich, aber noch nicht hören können):



    Da schreibt der Rezensent, Klaviertranskriptionen von Orchestertranskriptionen hätten sich durch die modernen Musikkonserven erledigt und seien im Prinzip "defizitär". Natürlich hatten Liszts Transkriptionen sicher auch die Funktion, die zu seiner Zeit eben längst nicht in der Häufigkeit aufführbaren symphonischen Werke einem breiteren Publikum bekannt zu machen. Aber deshalb kann man den Eigenwert solcher Transkriptionen nicht einfach bestreiten. Arnold Schönberg und Alban Berg stellten solche Transkriptionen her, um die Musik von ihrer wirkungsrhetorischen Reizqualität entledigt in ihrer Substanzialität erscheinen zu lassen. Alban Berg äußerte sich deshalb so, dass es darum ginge, ...moderne Orchesterwerke - aller Klangwirkung, die nur das Orchester auslöst, und aller sinnlichen Hilfsmittel entkleidet - (zu) hören und (zu) beurteilen...."


    Cyprien Katsaris hat die Liszt-Transkriptionen der Beethoven-Symphonien auf einem eigens für ihn konstruierten Marc Allen-Flügel aufgenommen und leicht bearbeitet, um sie noch "pianistischer" zu gestalten. Diese inzwischen über 30 Jahre alten exemplarischen Aufnahmen sind auch heute noch sehr gut anzuhören. :)


    Schöne Grüße

    Holger

  • Da schreibt der Rezensent, Klaviertranskriptionen von Orchestertranskriptionen hätten sich durch die modernen Musikkonserven erledigt uns seien im Prinzip "defizitär". Natürlich hatten Liszts Transkriptionen sicher auch die Funktion, die zu seiner Zeit eben längst nicht in der Häufigkeit aufführbaren symphonischen Werke einem bereiteren Publikum bekannt zu machen. Aber deshalb kann man den Eigenwert solcher Transkriptionen nicht einfach bestreiten.

    Der "Rezensent" (eigentlich nur ein zufälliger Hörer) hat sich ja wohl spätestens durch den Unsinn, den er über Henzes "Tristan" (auf der derselben CD) schreibt, selbst diskreditiert. Aber ein kleines Stückchen Wahrheit ist an dem "Defizitären" trotzdem dran: Klaviertranskriptionen von Orchesterwerken gehen so gut wie immer mit einem Verlust an Klangfarbenreichtum einher, hinzu kommt besonders bei langsamen Stücken bzw. Sätzen (wie hier dem Tristan-Vorspiel) das Problem der "verhungernden" langen Töne, besonders im Diskant. Allerdings steht diesem Verlust an Klang und Melodieführung oft ein Gewinn an Transparenz und an rhythmischer Prägnanz gegenüber. Die strukturelle Durchhörbarkeit ist deshalb oft besser als bei den originalen Orchesterfassungen. Dass Transkriptionen es in einer Zeit, die vielfach dem Kult des "Originalen" huldigt, schwerer haben als z.B. im 19. Jahrhundert, überrascht nicht, zumal wenn sie wie hier nicht einmal vom Komponisten selbst stammen. Liszts Beethoven-Transkriptionen folgen immerhin streng den Originalen (im Gegensatz z.B. zu seinen Bearbeitungen der Schubert-Lieder), außerdem hat Liszt als Komponist genügend Renommee, um auch auf diesem Gebiet ernst genommen zu werden (wozu Cyprien Katsaris mit seiner damaligen Pioniertat viel beigetragen hat). Schlimme Prügel kann man als Musiker hingegen bekommen, wenn man z.B. romantische Bearbeitungen klassischer Werke auf das Programm setzt: Das gilt dann vielen gleich als doppelter Frevel, weil man das heilige Original nicht unangetastet lässt und die Bearbeitung dann auch noch in einem angeblich "falschen" Stil erfolgt ist. Ich habe das einmal ziemlich drastisch erlebt, als Silke-Thora Matthies und ich bei einem Konzert im Münchner Herkules-Saal eine Mozart-Sonate mit hinzukomponiertem Klavier von Edvard Grieg gespielt haben. Helmut Mauró empörte sich in der Süddeutschen daraufhin heftig über unseren (und Griegs) schlechten Geschmack und spekulierte, dass wir uns wohl an eine "echte" Mozart-Sonate nicht rantrauen würden. (Ich habe mich dann eine Zeitlang revanchiert, indem ich bei Konzerten zur Gaudi des Publikums seine Kritik vorgelesen habe ;).) Ich finde es immer wieder erstaunlich, wie hartnäckig sich diese naserümpfende "Wie-wir-es-dann-so-herrlich-weit-gebracht"-Haltung auf jede neue Generation fortpflanzt und immer wieder Musiker oder Rezensenten davon überzeugt sind, dass sie jetzt aber wirklich die so lange gesuchte endgültige Wahrheit gefunden haben, wozu die Vorgänger ja leider noch nicht weit genug waren.

    "Herr Professor, vor zwei Wochen schien die Welt noch in Ordnung."
    "Mir nicht."
    (Theodor W. Adorno)

  • Danke für diesen thread.......


    Cyprien Katsaris mit seinen Beethoven/Liszt Transkriptionen finde ich überraschend gut.


    Gruss


    Kalli

  • Der "Rezensent" (eigentlich nur ein zufälliger Hörer) hat sich ja wohl spätestens durch den Unsinn, den er über Henzes "Tristan" (auf der derselben CD) schreibt, selbst diskreditiert. Aber ein kleines Stückchen Wahrheit ist an dem "Defizitären" trotzdem dran: Klaviertranskriptionen von Orchesterwerken gehen so gut wie immer mit einem Verlust an Klangfarbenreichtum einher, hinzu kommt besonders bei langsamen Stücken bzw. Sätzen (wie hier dem Tristan-Vorspiel) das Problem der "verhungernden" langen Töne, besonders im Diskant. Allerdings steht diesem Verlust an Klang und Melodieführung oft ein Gewinn an Transparenz und an rhythmischer Prägnanz gegenüber. Die strukturelle Durchhörbarkeit ist deshalb oft besser als bei den originalen Orchesterfassungen. Dass Transkriptionen es in einer Zeit, die vielfach dem Kult des "Originalen" huldigt, schwerer haben als z.B. im 19. Jahrhundert, überrascht nicht, zumal wenn sie wie hier nicht einmal vom Komponisten selbst stammen. Liszts Beethoven-Transkriptionen folgen immerhin streng den Originalen (im Gegensatz z.B. zu seinen Bearbeitungen der Schubert-Lieder), außerdem hat Liszt als Komponist genügend Renommee, um auch auf diesem Gebiet ernst genommen zu werden (wozu Cyprien Katsaris mit seiner damaligen Pioniertat viel beigetragen hat).

    Völlig einverstanden!

    Schlimme Prügel kann man als Musiker hingegen bekommen, wenn man z.B. romantische Bearbeitungen klassischer Werke auf das Programm setzt: Das gilt dann vielen gleich als doppelter Frevel, weil man das heilige Original nicht unangetastet lässt und die Bearbeitung dann auch noch in einem angeblich "falschen" Stil erfolgt ist. Ich habe das einmal ziemlich drastisch erlebt, als Silke-Thora Matthies und ich bei einem Konzert im Münchner Herkules-Saal eine Mozart-Sonate mit hinzukomponiertem Klavier von Edvard Grieg gespielt haben. Helmut Mauró empörte sich in der Süddeutschen daraufhin heftig über unseren (und Griegs) schlechten Geschmack und spekulierte, dass wir uns wohl an eine "echte" Mozart-Sonate nicht rantrauen würden. (Ich habe mich dann eine Zeitlang revanchiert, indem ich bei Konzerten zur Gaudi des Publikums seine Kritik vorgelesen habe ;) .)

    Die "Revanche" finde ich witzig und die Kritik einfach nur spießig. Es ist doch toll, Mozart einmal so zu hören, wie Grieg ihn wahrgenommen hat. Ich glaube Svjatoslav Richter hat das mit Leonskaja auch gespielt, die Aufnahme habe ich aber nicht. Den beiden kann man Geschmacklosigkeit nun wirklich nicht vorhalten. Bei Kadenzen ist es ja auch so gewesen, dass sie keineswegs immer "stilrein" waren, sondern ein Dialog zwischen verschiedenen musikalischen Welten - der des Interpreten mit der des Komponisten. Ich empfinde das als eine Bereicherung. Auch da bin ich mit Dir einer Meinung. ;)