Ich möchte hier keinen pauschalen Rundumschlag zum Thema Regietheater verfassen. Aus diesem Grunde beginne ich mit einer Rarität, einer positiven Erfahrung.
2019 - Mozarts Entführung aus dem Serail in Linz. Ich kenne die Oper in und auswendig und habe mich deshalb nicht vorab zu der Aufführung informiert - zum Glück. Die Tatsache, dass es sich um eine bildliche Neuinterpretaion des Werkes handelte, hätte mich ziemlich sicher daran gehindert, die Vorstellung zu besuchen.
Zusammengefasst: Francois de Carpentries verlegte den Schauplatz der Handlung nach Tripolis vor Ausbruch des 1. Weltkrieges. Pedrillo war sowas wie ein Dokumentarfilmer, der mit Konstanze (liebte eigentlich Bassa Selim) und Blonde, eine Suffragette, im Palast Bassa Selims unter Hausarrest stand. Alles nett, abgesehen von den Dialogen, die zur Erklärung der Handlung notwendig waren und die Spieldauer auf knapp vier Stunden (so genau hab ich es nicht mehr im Kopf) anschwellen ließen.
Dass es viel schlimmer geht, wissen wir nicht erst seit den aktuellen Wagner-Verhundsungen aus Bayreuth, namentlich: Tannhäuser und vor allem Valentin Schwarz Ring.
Der Standpunkt, den ich diesbezüglich vertrete, ist jener, dass die Inszenierungen aktueller Prägung nur durchführbar sind, weil den meisten Zuhörern in den Spielhäusern die Texte der Opern verborgen bleiben. Das ist aber kein Argument sondern lediglich eine These zum Ist-Zustand. Meine Kritik gilt der Absurdität des Vorgetragenen. Man stelle sich die Neuverfilmung eines Hollywood-Films vor, sagen wir “Casablanca”. Der Text bleibt gleich, lediglich Handlung und Schauplatz werden in das Star Wars-Universum verfrachtet. Niemand würde diesen Unsinn ernst nehmen, womöglich Mel Brooks als federführende Kraft hinter dem Film vermuten. Es mag sich hierbei um kein Gesetz handeln, aber die wenigen guten Beispiele gelungener Inszenierungen bewegen sich so nahe an der originalen Handlung, dass sich zumindest für mich die Frage stellt, ob man diesbezüglich mangels echter Definition überhaupt noch von Regietheater sprechen kann.
Ein anderer Punkt ist die zugrunde liegende Willkür. Bei einer Oper handelt es sich um ein Bühnenstück bestehend aus Handlung, Text, Musik und Bühnenbild. Diese Komponenten müssen schlüssig zueinander passen. Wie kommt es, dass bisher (Gott sei Dank!!!) nur bei dargestellter Handlung und Bühnenbild interveniert wird (abgesehen von ein paar kleinen zeitgeistigen Eingriffen bei den Texten)? Wie lange dauert es noch, bis Text und Musik umgeschrieben werden? Wann wird “Der Zerfall”, eine Tetralogie über das Endel der Sowjetunion - Text Robert Menasse - Musik Richard Wagner uraufgeführt? Ich persönlich hoffe, dass das Pendel möglichst bald seinen Wendepunkt erreicht und die nächsten 60 Jahre in die andere Richtung schwingt, damit ich mich in diesem Leben nicht mehr über anmaßende Regisseure ärgern muss.