Sinn oder Unsinn - Regietheater

  • Der hellste Stern am Firmament ist sie nicht, oder? Es wurde halt befolgt, was angeordnet wurde ... :)

    Das ist, mit Verlaub, schon sehr simplifizierend und wird der durchaus streitbaren Persönlichkeit Winifred Wagner nicht gerecht. Einfältig war sie gewiss nicht. Wer sich mit der Geschichte der Bayreuther Festspiele eingehend auseinandergesetzt hat, kann zum Schluss kommen, dass es diese in dieser Form ohne ihr Wirken womöglich gar nicht mehr gäbe. Aber eigentlich soll es hier ums Regietheater gehen. Und ihre Feststellungen, bald ein halbes Jahrhundert alt, haben m. E. nichts an Aktualität verloren. Insofern geradezu visionär.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Das ist, mit Verlaub, schon sehr simplifizierend und wird der durchaus streitbaren Persönlichkeit Winifred Wagner nicht gerecht.

    Ehrlich gesagt kenne ich die Dame viel zu wenig, um mir ein Urteil über ihre Persönlichkeit zu erlauben. Meine Bemerkung bezieht sich ganz und gar auf die in diesem Video gemachten Äußerungen, die ich leider nicht für visionär, sondern für dämlich und gefährlich halte ....


    Die Dame ärgert sich ganz offensichtlich darüber, dass nach dem zweiten Weltkrieg zu viel gedacht und diskutiert wurde; früher, als man einfach noch die Anordnungen befolgt hat, war alles besser ....


    Hat die nicht mitgekriegt, was von 33 -45 passiert ist? Diese Visionen braucht wirklich keiner ....


    sorry, my two cents.

  • Ein strammer Altnazi (Duzfreundin von Hitler) als Lieferant für Äußerungen über das "Regietheater"? Wenn man dort angekommen ist, scheinen einem fundierte Argumente zum Thema ausgegangen zu sein... ;)


    LG :hello:

    "Was Ihr Theaterleute Eure Tradition nennt, das ist Eure Bequemlichkeit und Schlamperei." Gustav Mahler

  • Wer sich mit der Geschichte der Bayreuther Festspiele eingehend auseinandergesetzt hat, kann zum Schluss kommen, dass es diese in dieser Form ohne ihr Wirken womöglich gar nicht mehr gäbe.


    Man kann vor allem zu dem Schluss kommen, dass es die Bayreuther Festspiele nicht mehr gäbe, wenn man Winifred Wagner nach dem Krieg auch nur einen Funken Mitspracherecht beim Neuaufbau der Festspiele eingeräumt hätte.


    LG :hello:

    "Was Ihr Theaterleute Eure Tradition nennt, das ist Eure Bequemlichkeit und Schlamperei." Gustav Mahler

  • Erstens bedarf es mitnichten der moralischen Unterstützung Winifred Wagners im Kampf gegen das Regietheater. Dazu haben sich genügend andere honorige Persönlichkeiten nach ihr in ähnlicher Weise geäußert und den Irrweg desselben Regietheaters benannt. Dass sie, Winifred Wagner, hier indes zutreffend und unverstellt ihre Meinung kundtut, wie es allgemein ihre Art war, spricht nicht gegen sie. Zweitens ist es natürlich insofern durchaus ihr Verdienst, nach Kriegsende die Schuld vollumfänglich auf sich genommen und ihre Söhne, gerade Wieland, dadurch komplett entlastet zu haben. Nur dadurch konnten die Enkel Richard Wagners aus der direkten männlichen Linie die Festspielleitung übernehmen und es kam zu keinem Abbruch der Tradition.

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    – Luís de Camões

  • Erstens bedarf es mitnichten der moralischen Unterstützung Winifred Wagners im Kampf gegen das Regietheater.


    Warum verlinkst Du dann dieses Video von ihr und nicht die Äußerung einer anderen (relevanteren) Person zum Thema?


    Um aber mal zum Inhalt zu kommen: Wagner dürfte wohl einer der intellektuell anspruchsvollsten Opernkomponisten der Musikgeschichte sein. Ausgerechnet in Bezug auf die Aufführung von Wagner-Werken anzumerken, dass man die früher nicht so sehr zerdacht habe, ist vor diesem Hintergrund recht putzig. Ein substanziell sinnvoller Beitrag zum Thema ist es nicht.


    LG :hello:

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  • Zweitens ist es natürlich insofern durchaus ihr Verdienst, nach Kriegsende die Schuld vollumfänglich auf sich genommen und ihre Söhne, gerade Wieland, dadurch komplett entlastet zu haben. Nur dadurch konnten die Enkel Richard Wagners aus der direkten männlichen Linie die Festspielleitung übernehmen und es kam zu keinem Abbruch der Tradition.

    Das ist so nicht richtig: Sie hat nie irgendeine "Schuld" bekannt. Zwar verzichtete sie 1949 unter Druck auf die Festspielleitung, aber das war der Verzicht auf etwas, was sie nach ihrer Vergangenheit sowieso niemals mehr bekommen hätte. Bis zu ihrem Tod 1980 hatte sie auf ihrem Schreibtisch ein Bild Hitlers, beklagte sich 1975, dass sie dessen "einzigartige Persönlichkeit" nicht mehr öffentlich preisen dürfe, und empfing im "Siegfried-Haus" alte Nazi-Größen. Was allerdings richtig ist: Durch ihr Verhalten ermöglichte sie ihrem Sohn Wieland, sich von ihr öffentlichkeitswirksam zu distanzieren, was durchaus wörtlich zu verstehen ist: Er ließ im Garten von Haus Wahnfried eine Mauer zum Siegfried-Haus errichten, in dem seine Mutter lebte. Dabei war Wieland durch seine Intrigen gegen den Regisseur Heinz Tietjen und den Bühnenbildner Emil Preetorius (letzterer kam dadurch sogar für ein paar Tage in die Gestapo-Keller; eine Erfahrung, die ihn lebenslang verfolgte) und durch seine Tätigkeit als stellvertretender ziviler Leiter des KZ-Außenlagers Bayreuth (die er in seinem Fragebogen zur Entnazifizierung verschwieg) selbst belastet.

    "Herr Professor, vor zwei Wochen schien die Welt noch in Ordnung."
    "Mir nicht."
    (Theodor W. Adorno)

  • Genau - Ein Thread zum Thema Regietheater ist immer willkommen :hello:

    Wenn jemand gehofft hat, wir würden nach Abgang von Gerhard Wischniewsky den Status Quo stillschweigend akzeptieren, dann irrt er.

    Andrerseits ist das Regietheater ein unverzichtbarer Bestandteil der Forums.

    Diesem Einwurf kann ich einiges abgewinnen. Es kommen zum Glück immer wieder neue Mitgieder ins Forum. Die werfen alte Themen aus ihrer Sicht neu auf. Wollte man ihnen bedeuten, dass wir das alles schon hatten, wäre nichts gewonnen. Also nur zu. Mein eigenes Interesse am Thema hält sich allerdings inzwischen in Grenzen, weil es zu stark auf aktuelle Inszenierungen fukussiert wird. In seinem Entstehen war das so genannte Regietheater als Gegenentwurf zum traditionellen Stil, der auch erstarrt war, eine faszinierende Sache. Dazu muss man allerdings weit zurückgehen.


    Die Wurzeln liegen in den 1920er Jahren vor allem in der Berliner Krolloper, als die noch von Otto Klemperer geleitet wurde. Nach dem Krieg besinnten sich Regisseure wieder darauf, auch Wieland Wagner, später dann Pöppelreiter oder die Berghaus. Was wir heute meist erleben und geboten bekommen, halte ich ehr für Versuche, mit einem Dilemma umzugehen. Vor allem Wagner wird am Meter produziert. Da geht es letztlich oft nur noch darum, was es noch nicht gab.:?:Das wird dann von nun jungen Regisseuren gemacht. Plötzlich sind auch die Berge von Koffern, Mänteln, Hüten, Rollstühlen und Brillen wieder da. Relativ neu sind Nackte und Unterwäsche auf der Bühne, in der meist nur junge Leute wirklich gut aussehen. Wer Opernhäuser seit Jahren von innen kennt, dem fällt das umso mehr auf. Und inszenieren beispielsweise Russen, dann fangen die meist wieder ganz von vor an, weil sie dieses Theater in ihrer Heimat seit Lenin so nicht hatten.


    Ich verspreche mir von der gegenwärtigen Krise auch eine Art Neuanfang. Deutlich weniger aufwändige Produktionen, weniger Wagner. Dafür mehr handwerkliche Qualität und inhatliche Nachhaltigkeit. Dann wird auch nicht alles gleich vorschnell als Sensation gefeiert. Nichts ist flüchtiger als Sensationen auf dem Theater. ;) Die müssen sich nämnlich immer wieder erneuern. Alte Sensationen sind langweilig.

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Der hellste Stern am Firmament ist sie nicht, oder? Es wurde halt befolgt, was angeordnet wurde ... :)


    Um aber mal zum Inhalt zu kommen: Wagner dürfte wohl einer der intellektuell anspruchsvollsten Opernkomponisten der Musikgeschichte sein. Ausgerechnet in Bezug auf die Aufführung von Wagner-Werken anzumerken, dass man die früher nicht so sehr zerdacht habe, ist vor diesem Hintergrund recht putzig. Ein substanziell sinnvoller Beitrag zum Thema ist es nicht.

    Ganz habt Recht Ihr! ^^ Die Frau ist einfach strohdoof - was sie versteht, ist Anweisungen buchstäblich zu befolgen. Und das war es. Wenn ich Vergleiche bemühen soll, fällt mir jetzt Friedrich Nietzsches genauso doofe Schwester Elisabeth ein (Spitzname: "das Lama"), die mit dem Antisemitenführer Förster verheiratet war. Nietzsche konnte beide nicht ausstehen - und Antisemiten schon gar nicht, die hat er regelrecht gehasst. Antisemitische Wagner-Verehrer hat er ja reichlich in Bayreuth kennengelernt und bezeichnete sie als "verlogene Bande". In einem Brief an seine Schwester nannte er sich hochironisch einen "unverbesserlichen Europäer" und "Anti-Antisemiten".


    Wagner war ein hochintellektueller Komponist und auch als Musiktheoretiker wirklich bedeutend. Gerade Wagner ist ein sehr guter Anwalt für (!) das Regietheater. Wagner selbst skizzierte das Dilemma, dass Theater immer nur für das Hier und Jetzt gemacht wird. Entsprechend könne man ein Stück eigentlich nur ein einziges Mal aufführen und müsste dann ein neues schreiben. Genau darauf gibt das Regietheater eine mögliche (!) Antwort. Natürlich hat Wagner selbst nie an so etwas wie das Regietheater gedacht. Selbst Bert Brecht und Kurt Weill nicht. Denen ging es immer nur um neue, moderne Opern, aber über das Problem, wie man alte Stücke so modernisierend aufführt, dass sie in die Zeit passen, haben sie einfach nicht nachgedacht. Wer das nicht sieht, hat einfach nur Scheuklappen auf! :P Ich kann ja verstehen, dass man das Regietheater nicht mag - verleidet durch nicht so gelungene Aufführungen und gewissen Tendenzen, die man gewiss mit Recht kritisieren kann. Aber grundsätzlich sollte man das Thema doch auf einem angemessenen Niveau diskutieren können. ^^


    Schöne Grüße

    Holger

  • Die Frau ist einfach strohdoof - was sie versteht, ist Anweisungen buchstäblich zu befolgen.

    Interessant an dem Syberberg-Interview finde ich, dass ihre Sehnsucht nach einer Zeit, in der noch "Anweisungen befolgt" wurden, quasi deckungsgleich auch der politischen Vergangenheit gilt. Der eine war der "Meister", der andere der "Führer": Was sie wollten, darüber ist nicht nachzudenken oder gar zu diskutieren, sondern es ist zu "befolgen". Meister befiel, wir folgen Dir :)!

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  • Die Wurzeln liegen in den 1920er Jahren vor allem in der Berliner Krolloper, als die noch von Otto Klemperer geleitet wurde.


    Das sehe ich anders. Das, was wir im Bereich der Oper heute "Regietheater" nennen, lässt sich bis zu den Opernproduktionen von Gustav Mahler und Alfred Roller kurz nach der Jahrhundertwende in Wien zurückverfolgen.


    LG :hello:

    "Was Ihr Theaterleute Eure Tradition nennt, das ist Eure Bequemlichkeit und Schlamperei." Gustav Mahler

  • Die "strohdumme" Frau war es, die 1934 gegen den Widerstand des übrigen Wagner-Clans (v. a. ihrer Schwägerinnen) nach über 50 Jahren die Notwendigkeit einer Neuinszenierung des "Parsifal" durchsetzte. Und ausgerechnet besagter Alfred Roller - wie man nun vernimmt, ein Vorläufer des modernen Regietheaters - sollte die Bühnenbilder gestalten, übrigens auf ausdrücklichen Wunsch Adolf Hitlers hin. Zudem war es Winifred Wagner, die das gewiss nicht vorgestrige Team Tietjen/Preetorius zu Rate zog. Es ist eben nicht alles ganz so schwarzweiß, wie es manche offenbar gerne hätten.

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    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Die Frau ist einfach strohdoof - was sie versteht, ist Anweisungen buchstäblich zu befolgen.


    Friedrich Nietzsches genauso doofe Schwester Elisabeth

    Da muss aber jemand ganz dringend an seinem Frauenbild arbeiten.

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Die Wurzeln liegen in den 1920er Jahren vor allem in der Berliner Krolloper, als die noch von Otto Klemperer geleitet wurde.

    Das Schauspielensemble des Meininger Hoftheaters, kurz "Die Meininger", stellte bereits in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts eine tiefgreifende Theaterreform in ganz Europa vor. Unter der Leitung des Regisseurs und Intendanten Ludwig Chronegk entstand hier der Vorläufer des modernen Regietheaters, das somit heute auf eine mehr als 150jährige Geschichte zurückblicken kann.

    https://de.m.wikipedia.org/wiki/Meininger

    Alles Gute und einen Gruß von Orfeo

  • Das sehe ich anders. Das, was wir im Bereich der Oper heute "Regietheater" nennen, lässt sich bis zu den Opernproduktionen von Gustav Mahler und Alfred Roller kurz nach der Jahrhundertwende in Wien zurückverfolgen.

    Da diese Bemerkung an mich gerichtet war, möchte ich etwas entgegnen. Mahler und Roller als ein Ausgangspunkt für heutiges Regietheater? Darauf muss man erst einmal kommen. Beide strebten nach einem ädequaten szenischen Ausdruck für die darzustellenden musikalischen Werke, an die sie sich streng hielten. Hier Zeichnungen für den "Tristan" 1903 in Wien:


    1902wagnertristanactIandactII-1536x1019.jpg


    "Tristan" 2013 in Berlin. Man käme an Hand des Bildes nicht einmal drauf, was gespielt wird:


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    Das Schauspielensemble des Meininger Hoftheaters, kurz "Die Meininger", stellte bereits in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts eine tiefgreifende Theaterreform in ganz Europa vor.

    Die wollte ich deshalb nicht ins Spiel bringen, weil es mir um Musiktheater ging.

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  • Mahler und Roller als ein Ausgangspunkt für heutiges Regietheater? Darauf muss man erst einmal kommen. Beide strebten nach einem adäquaten szenischen Ausdruck für die darzustellenden musikalischen Werke, an die sie sich streng hielten.

    Hier sollten vermutlich große Namen eingespannt werden, um dem Regietheater den Anstrich des Sakrosankten zu verleihen. Der Zweck heiligt bekanntlich die Mittel. Dass gerade Roller schwerlich dazu taugt, zeigt doch die Wertschätzung Hitlers für seine Bühnenbilder. Oder war der "Führer" jetzt gar ein Vorkämpfer für das moderne Regietheater?

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    – Luís de Camões

  • Dass gerade Roller schwerlich dazu taugt, zeigt doch die Wertschätzung Hitlers für seine Bühnenbilder. Oder war der "Führer" jetzt gar ein Vorkämpfer für das moderne Regietheater?

    Der "Führer" war jemand, dessen Geschmack wahrscheinlich irgendwo in der Nähe der Montmartre Malerei limitiert war. Was dem nun gefällt oder nicht hat doch absolut keine ästhetische Aussagekraft. Ich finde es schade, dass es hier keine ernsthaften Argumente gibt.

  • Die Wurzeln liegen in den 1920er Jahren vor allem in der Berliner Krolloper, als die noch von Otto Klemperer geleitet wurde.

    Diese Ansicht wird auch von Thielemann geteilt:


    "1927 hatte Klemperer seine Ära an der Krolloper mit Beethovens Fidelio begonnen, sehr programmatisch und in einer sagenhaften eigenen Inszenierung. Das war der Startschuss für das, was wir heute Regietheater nennen." (Christian Thielemann, Meine Reise zu Beethoven, München 2020, S. 140)

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  • "1927 hatte Klemperer seine Ära an der Krolloper mit Beethovens Fidelio begonnen, sehr programmatisch und in einer sagenhaften eigenen Inszenierung. Das war der Startschuss für das, was wir heute Regietheater nennen." (Christian Thielemann, Meine Reise zu Beethoven, München 2020, S. 140)

    Bühnenbild für ein weiteres Werk: Offenbachs "Hoffmanns Erzählungen", Krolloper 1929 (Laszlo Moholy-Magy)


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  • Ich finde es schade, dass es hier keine ernsthaften Argumente gibt.

    Das verstehe ich, ehrlich gesagt, nicht. Hier wurden nun schon einige Belege dafür erbracht, dass Mahler und Roller mit ihren werkdienlichen Inszenierungen schlecht als Vorläufer des heutigen Regietheaters taugen. Hier gerne noch weitere Beispiele:


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    Wagner: "Lohengrin", Wiener Staatsoper 1906 (Roller)


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    Wagner: "Parsifal", Bayreuther Festspiele 1934 (Roller)

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  • Hier sollten vermutlich große Namen eingespannt werden, um dem Regietheater den Anstrich des Sakrosankten zu verleihen. Der Zweck heiligt bekanntlich die Mittel.


    Keineswegs. Ich habe ja nicht behauptet, dass das, was Mahler und Roller gemeinsam erarbeitet haben, schon so ausgesehen hat wie eine Operininszenierung im Jahr 2022. Ferner habe ich auch nicht behauptet, dass jede einzelne Opernarbeit von Mahler und Roller massiv progressiv gestaltet war.


    Die These, dass Mahler und Roller in einigen ihrer Arbeiten bereits Dinge gemacht haben, die Jahre später dann in progressive Opernregie Eingang gefunden haben, stammt auch nicht von mir. Ich kenne jemanden sehr gut, der das im Rahmen einer Abschlussarbeit untersucht hat. Da steckt dann halt etwas mehr Mühe und Tiefgang drin, als mal eben schnell ein paar Bildchen zusammenzukopieren und mit Begriffen wie "werkdienlich" (was soll das überhaupt sein?) zu dekorieren.


    Ich erwarte aber (realistisch betrachtet) nicht, dass man sich hier in derartiger Sorgfalt mit diesem Thema befassen möchte. Ich wollte auch eigentlich nur anmerken, dass man fundierte Zweifel an der These anmelden kann, das "Regietheater" habe seine Ursprünge in den 1920er Jahren.


    Wen wir in diesem Zusammenhang noch gar nicht erwähnt haben, ist Adolphe Appia. Robert Wilson - den die meisten hier vermutlich als Vertreter des modernen "Regietheaters" einstufen dürften - hat sich explizit auf Appia bezogen. Appia lebte von 1862 bis 1928 und hat somit den weit überwiegenden Teil seiner Arbeiten deutlich vor 1927 angefertigt. Allein dies sollte schon zeigen, dass die weiter oben zitierte "Startschuss"-These von Thielemann nicht haltbar ist.


    LG :hello:

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  • Das verstehe ich, ehrlich gesagt, nicht. Hier wurden nun schon einige Belege dafür erbracht, dass Mahler und Roller mit ihren werkdienlichen Inszenierungen schlecht als Vorläufer des heutigen Regietheaters taugen.

    Sieh mich bitte im Bereich der Operninszenierung als kompletten Laien an. Ich kenne mich da nicht aus. Ich habe aber ein Problem mit aus dem Hut gezauberten "Autoritäten" wie Winifred Wagner oder Adolf Hitler, zumal, wenn sie wirklich nichts Intelligentes zu sagen haben. :P


    Ich würde mir eine Diskussion wünschen. Beispiele sind zwar ganz nett, aber ich kann natürlich die Auswahl kaum bewerten. Argumente wären schon die von mir bevorzugte Ausdrucksform. Dann hätte ich eine Möglichkeit, nachzuvollziehen. Argumente mit Beispielen zu belegen wäre dann die Krönung :)

  • Argumente mit Beispielen zu belegen wäre dann die Krönung


    Im Falle von Mahler und Roller ist ein häufig gebrachtes Beispiel ihre gemeinsame Produktion des "Fidelio" mit den sogenannten "Roller-Türmen". Auch ihre ursprüngliche Konzeption zum "Freischütz" wird hier gerne angeführt. Natürlich dürfte nichts von dem ausgesehen haben wie eine Opernproduktion von Peter Konwitschny oder Hans Neuenfels, aber das war ja auch nicht die These.


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  • "Tristan" 2013 in Berlin. Man käme an Hand des Bildes nicht einmal drauf, was gespielt wird:


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    Die Graham-Vick-Inszenierung hat einen zweiten Blick verdient. Fünf, oder sechs Mal war ich jetzt drin, und sie ist mir über die Jahre ans Herz gewachsen. Die Nachtwächter (Figuren, die nicht ins Spiel eingreifen) kann man getrost ignorieren. Was da sonst in Szene gesetzt wird, ist stellenweise überaus überzeugend, gerade im dritten Akt.

    ..., eine spe*ifisch deutsche Kultur ist, jenseits der Sprache, schlicht nicht identifi*ierbar.
    -- Aydan Ö*oğu*

  • Ich würde mir eine Diskussion wünschen. Beispiele sind zwar ganz nett, aber ich kann natürlich die Auswahl kaum bewerten. Argumente wären schon die von mir bevorzugte Ausdrucksform. Dann hätte ich eine Möglichkeit, nachzuvollziehen. Argumente mit Beispielen zu belegen wäre dann die Krönung

    Hier ein Beispiel aus einem Lohengrin in Gera:


    Der Regisseur Florian Lutz inszenierte 2008 In Gera den Lohengrin. Als Lohengrin wurde der renommierte Tenor Pär Lindskog verpflichtet und in der Presse ein besonderes Ereignis angekündigt. Das wurde zum Anlaß genommen, daß die Richard-Wagner-Gesellschaft Aachen und Mönchengladbach in ziemlicher Stärke in Gera anreiste, das Haus war ausverkauft bis auf den letzten Platz. Im Vorfeld ist nach den ersten Proben Lindskog abgesprungen (offiziell wegen Heiserkeit) und John Hurton Murray sprang ein. Nach den ersten Proben mußte auch der GMD krankheitsbedingt aussteigen, und der 1. Kapellmeister übernahm.

    Ich kenne aus persönlichen Bekanntschaften zu Theaterleuten die wahren Gründe.


    Vorausgenommen wurde der musikalische Teil ein Höhepunkt in Gera, nur Murray wurde ausgebuht, die Buhrufe kamen aus dem "Gästeblock", wahrscheinlich von enttäuschten Lindskog-Fans. Aber Murray sowie die anderen Sänger und besonders der Dirigent Thomas Wicklein erhielten auch lautstarke Bravorufe. Als das Regieteam kam, verstummte jeder Beifall, und ein bis dato unbekannter Buhorkan ließ das Haus wackeln. Bereits in der Pause kam es zu lautstarken Auseinandersetzungen zwischen den Wagner- Gesellschaftern und dem Regisseur, der die Dummheit besaß, im Foyer zu wandeln, in totaler Unkenntnis dessen, was ihn noch erwarten sollte. Was war passiert?


    Nach dem zauberhaften Vorspiel öffnete sich der Vorhang, eine baufällige, einseitig offene Werkhalle an der Autobahn mit Abfahrtsschild Gera war das Bühnenbild. Der König wurde dargestellt als Helmut Kohl. Alles wartete auf die Rettung aus der Ärmlichkeit des ehemaligen DDR-Daseins, die blühenden Landschaften wurden erwartet. Lohengrin kam, der Schwan kam im alten Fahrstuhl als Gummifigur. Lohengrin war ein Gammler in Gummistiefeln, die dreckigen Hinterlassenschaften der DDR konnte er nur in Gummistiefeln überschreiten. Elsa war eine armselige DDR-Bürgerin, duckmäuserisch, ängstlich. Telramund (unser japanischer Bariton KS Terohuki Komori) war der Heilsbringer, ein lange erwarteter Investor, seine Ortrud sollte wohl ein leichtes Mädchen sein. In der Ecke stand ein Dixi-Klo (zum Glück wurde es nicht benutzt, aber das hatte wohl der Intendant als unzumutbar nicht zugelassen).


    Im 2. Akt kam der König als Gerhard Schröder, im 3. Akt als Angela Merkel. Die Handlung zwischendurch hatte nicht das geringste mit Lohengrin zu tun, Prostituierte traten auf, als Ergebnis der japanischen Investition wurde ein Rostbratwurststand mit Pomp eröffnet und Freibier (nur auf der Bühne) ausgeschenkt. Irgendwie ging die Oper zu Ende. Aufhören-Rufe waren zwischenzeitlich zu hören, Zischen und Buhrufe schon beim Vorhang zum 3. Akt. An keiner Stelle paßten Handlung, Musik und Text zueinander.


    Anschließend hatte der Intendant nicht den Mut, die groß angekündigte Premierenfeier abzusagen. Hier kam es zu Tumulten, fast zu Handgreiflichkeiten gegen das Regieteam. Und bei dieser Gelegenheit habe ich auch Luft abgelassen und dem Regisseur gesagt, wofür ich ihn halte. Meine Worte waren nicht die schlimmsten, andere bedienten sich noch drastischerer Ausdrücke. Ansonsten ist bei mir die Fäkalsprache nicht im Vokabular enthalten.


    Natürlich habe ich Sänger erlebt, die einen schlechten Tag hatten. Aber deswegen, wegen einer zeitlich oder gesundheitlich begrenzten Indisposition buhe ich niemanden aus. Auch Murray habe ich nicht ausgebuht, denn er war gut. Ein Sänger kann nichts dafür, wenn er einmal einen schlechten Tag hat. Aber ein Regisseur, der wissentlich und hoffentlich ohne gesundheitliche Beeinträchtigung ein ganzes Theaterpublikum gegen sich aufbringt, der sollte schon neben dem unverdient erhaltenen Geld seinen Lohn vom Publikum erhalten, nämlich das Gegenteil von Applaus. Übrigens haben wir am Tag danach unser Theateranrecht gekündigt und waren seither kaum noch 4-5 mal in der Oper in Gera (im Konzert waren wir oft), weil sich unsere Erwartungshaltung keinesfalls erfüllt hätte.


    Damit ists genug.


    Herzlichst La Roche

    Ich streite für die Schönheit und den edlen Anstand des Theaters. Mit dieser Parole im Herzen leb' ich mein Leben für das Theater, und ich werde weiterleben in den Annalen seiner Geschichte!

    Zitat des Theaterdirektors La Roche aus Capriccio von Richard Strauss.

  • Danke für diese anschaulichen Eindrücke aus Gera, lieber La Roche. Der geschilderte Mumpitz ginge als Parodie durch. Dagegen war der "Lohengrin", den ich im selben Jahr 2008 in Nürnberg erlebte, geradezu harmlos.


    Aufhören-Rufe waren zwischenzeitlich zu hören, Zischen und Buhrufe schon beim Vorhang zum 3. Akt. An keiner Stelle paßten Handlung, Musik und Text zueinander.

    Gleich wird uns hier jemand vermutlich erklären, dass das Publikum freilich irrte und einfach zu beschränkt und voreingenommen war, um das geniale Konzept des Spielleiters zu verstehen.

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    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Argumente wären schon die von mir bevorzugte Ausdrucksform.


    Dann auch hierzu noch etwas.


    Kaum jemand dürfte bezweifeln, dass es starke Verbindungslinien der zeitgenössischen Opernregie zur Ästhetik des "Neu-Bayreuth" der 1950er und 1960er Jahre gibt (die seinerzeit bekanntlich stark umstritten war).


    Einige Elemente von Neu-Bayreuth findet man bereits bei Arbeiten von Mahler und Roller, die ca. 50 Jahre vorher in Wien entstanden sind: Symbolismus, Reduktion, Lichtregie, Art der Bewegung der Personen. Mahler soll wohl eher symbolische Gesten und geradezu tanzartige Bewegungen der Personen bevorzugt haben. Wieland Wagner hat Jahrzehnte später seine bahnbrechenden Arbeiten in Bayreuth bekanntlich unter Mitwirkung seiner Frau Gertrud angefertigt, die Tänzerin und Choreografin war. Die persönliche Bande der Wagner-Familie in Richtung Roller wurde ja bereits thematisiert. Hierzu könnte man noch ergänzen, dass Alfred Rollers Sohn Ulrich enge Beziehungen zur Familie Wagner unterhielt - er starb dann im Zweiten Weltkrieg.


    Zu Adolphe Appia (einem Zeitgenossen von Mahler und Roller) habe ich weiter oben bereits etwas geschrieben.


    Ich habe gar keine Einwände, dass man die Berliner Produktionen der 1920er Jahre als wichtige Meilensteine bei der Entwicklung der heutigen Opernästhetik identifiziert. Ein Beginn oder "Startschuss" war das aber aus den genannten Gründen m. E. nicht.


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  • Gleich wird uns hier jemand vermutlich erklären, dass das Publikum freilich irrte und einfach zu beschränkt und voreingenommen war, um das geniale Konzept des Spielleiters zu verstehen.


    Keine Ahnung, ob das gleich jemand erklären wird - ich werde es mit Sicherheit nicht tun, weil ich diese Produktion nicht gesehen habe und daher auch nicht beurteilen kann.


    Vollkommen unabhängig davon habe ich es in der Oper schon erlebt, dass ich die Reaktion der Publikums-Merheit nicht nachvollziehen konnte - und zwar in beide Richtungen. Es gab ausgebuhte Inszenierungen, die ich gelungen fand, und es gab beklatschte Inzenierungen, bei denen ich die wohlwollende Reaktion nicht verstanden habe.


    Übrigens ist ein "Spielleiter" etwas anderes als ein "Regisseur", aber das nur am Rande. So etwas wie "das Konzept des Spielleiters" ist eigentlich ein Widerspruch in sich, weil der Spielleiter in der Regel nichts zu konzipieren hat. Die typische Tätigkeit eines Spielleiters ist z. B. in dieser Stellenanzeige beschrieben:


    https://www.staatsoper-hamburg…obs/Spielleiter_in-18.pdf


    LG :hello:

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  • Vielen Dank für Deine Ausführungen.



    Hier ein Beispiel aus einem Lohengrin in Gera:

    Werter La Roche ich entnehme Deinen Ausführungen, dass Du die Inszenierung nicht sinnvoll mit Deiner Vorstellung der Oper zusammenbringen kannst. Gibt es denn Äußerungen der Regie zu dem Geschehen auf der Bühne, so dass man vergleichen kann?


    Dann könnte man ja mal schauen, ob es wirklich keine Zusammenhänge gibt.


    Aber ein Regisseur, der wissentlich und hoffentlich ohne gesundheitliche Beeinträchtigung ein ganzes Theaterpublikum gegen sich aufbringt, der sollte schon neben dem unverdient erhaltenen Geld seinen Lohn vom Publikum erhalten, nämlich das Gegenteil von Applaus.

    Das ist natürlich blöd für den Regisseur, ist aber keine Aussage von ästhetischer Relevanz.


    Danke für diese anschaulichen Eindrücke aus Gera, lieber La Roche. Der geschilderte Mumpitz ginge als Parodie durch. Dagegen war der "Lohengrin", den ich im selben Jahr 2008 in Nürnberg erlebte, geradezu harmlos.


    Gleich wird uns hier jemand vermutlich erklären, dass das Publikum freilich irrte und einfach zu beschränkt und voreingenommen war, um das geniale Konzept des Spielleiters zu verstehen.

    Lieber Joseph II. Du scheinst der Suggestion einer Argumentation gegenüber den Vorzug zu geben. Aber starke Worte sind nicht notwendigerweise starke Argumente .... :)

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