Sinn oder Unsinn - Regietheater

  • Ich würde es nicht so drastisch ausdrücken, denn es sind ja kluge Leute; trotzdem wiederholen sie alle 5000 "Argumente", die wir schon hatten.

    Als Methusalem (laut Dr. Pingel) der RT-Debatte in diesem Forum verfolge ich diese nun auch schon recht lange, aber ich lese die Diskussion zwischen unseren drei neuen Mitgliedern Symbol, ChKöhn und Werner Hintze und Alt-Mitglied Holger Kaletha mit großem Interesse, denn sie bietet durchaus Argumente, die hier noch nicht zur Sprache kamen.


    Ich war anfangs hin- und hergerissen, aber inzwischen bin ich klar auf der Seite der Neuen. Ich sehe nicht, wie man eine Verpflichtung zu einem bestimmten Umgang mit einem künstlerischen Ausgangsmaterial (hier: Partitur und Libretto) begründen sollte. Schon gar nicht geht das mit Begriffen wie Respekt. Ästhetische Bewertungen moralisch zu begründen kann nur ein Fehlschluss sein.

    Der Traum ist aus, allein die Nacht noch nicht.

  • Seit dem vollen Durchbruch des Regisseurstheaters (im Folgenden RT; diese Begrifflichkeit Stadelmayers trifft den tatsächlichen Sachverhalt adäquater) liegt annähernd ein halbes Jahrhundert zurück. Freilich wurde seither ein auf den ersten Blick geschicktes Narrativ entwickelt, immer weiter perfektioniert und von Generation zu Generation weitergegeben, auf welches auch in diesem Thread gerne zurückgegriffen wird, um das RT argumentativ zu stützen. Das erklärt dann die zuweilen irrigerweise gewähnte Sprachlosigkeit der Kritiker am RT, die häufig nicht auf solch geschliffene, vermeintlich überzeugende Begründungen zurückgreifen können, da sie nicht jahrelang durch die Kaderschmiede gingen, in welcher dies gleichsam indoktriniert wurde und somit aus dem Effeff abrufbar ist. Dies verdeutlicht auch ein meist ähnliche Argumentationsmuster der RT-Anhänger, da auf einen gemeinsamen Pool zurückgegriffen wird. Ein solches Narrativ des RTs hat es in dieser ausgetüftelten Form in den 1970er Jahren schwerlich gegeben. Deswegen erschienen die auch hier bereits als "strohdumm" abgekanzelten Kritiker damals gewiss nicht als solche, sondern reichte weiland bereits ein eher bodenständiges, aber auf den Punkt gebrachtes Entgegentreten gegenüber diversen Auswüchsen (die seinerzeit noch in den Kinderschuhen steckten) aus, um zu bestehen. Was dem RT seither tatsächlich gelungen ist, das ist die PR-Arbeit. In der Nach-68er-Ära fand sich der fruchtbare Boden für diese Saat, die beim seinerzeitigen Zeitgeist auf Zuspruch stieß. In der heutigen Situation, wo das Gros der Intendanzen von Vertretern oder zumindest Sympathisanten des RTs besetzt wird und somit institutionell eine völlig andere Situation vorherrscht als um 1980, ist eine Infragestellung desselben RTs ungleich schwieriger. Umso dringlicher ist auch auf Seiten der RT-Kritiker ein profundes und geschärftes Narrativ vonnöten.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • »Regietheater« ist tatsächlich eine wirklich unsinnige Wortbildung. Dazu hat Andreas Homoki in der für ihn typischen kurzen und umfassenden Art das Nötige gesagt: »Regietheater ist wie Musiziermusik«. Weniger elegant ausgedrückt: es gibt kein Theater ohne Regie, darum ist es unsinnig, eine bestimmte Form des Theaters mit dem Zusatz »Regie« bezeichnen zu wollen.

    Wohl gibt es aber Theater ohne Regisseur. Darüber hinaus ist es ganz klar, dass nicht die Regisseure das Theaterkunstwerk verwirklichen, sondern die Darsteller. Darum ist das Wort »Regisseurstheater« noch unsinniger (ich genehmige mir ausnahmsweise den Komparativ dieses Adjektivs, das natürlich eigentlich keinen haben kann). Es passt aber zu dem Mann, der imstande war, dieses Machwerk drucken zu lassen.


    Zugunsten des Opernhauses, weil ohnehin allgemein bekannt ist, dass Regietheater gegeben wird.

    Die Entscheidung ist gut und richtig, die Begründung schlecht.

  • Der Ausgangspunkt ist falsch gewählt, darum ist auch alles andere falsch. Das Theater bringt nicht ein altes Werk auf die Bühne, sondern produziert Theaterkunstwerke, die andere Werke (dramatische, musikalische, solche der bildenden Kunst usw. usf.) in sich aufnehmen können, aber nicht müssen. Sollte diese Aussage falsch sein, müsste sich zeigen lassen, dass Theater nicht existieren kann, wenn keine Werke »auf die Bühne gebracht« werden, die zu einer anderen oder derselben Zeit entstanden sind. Das ist aber offensichtlich eine unsinnige Aussage.

    Die Antwort von Axel ist doch sehr gut:

    Es scheint mir so zu sein, dass die zweite Auffassung die erste als Problem allerdings beinhaltet. Sollte nämlich ein Text, der zu einer anderen Zeit für ein anderes Publikum geschrieben worden ist, in das Theaterstück aufgenommen werden, taucht natürlich das Problem der Übertragung auf ...

    Die Hermeneutiker nennen dies das Problem der "Anwendung". Wenn der historische Sinnzusammenhang als Kontext, aus dem ein Text nur voll verständlich wird, nicht mehr gegeben ist, dann muss er für die Jetzt-Zeit verständlich gemacht werden. Das impliziert ein Übersetzungsproblem, damit er seine Verständlichkeit nicht verliert und nicht einfach als ganz etwas Anderes verstanden wird.

    Da mahne ich zur Vorsicht. Ich würde das Wort »Übertragung« vermeiden.


    Nichtsdestoweniger ist es natürlich richtig, dass die Probleme, wenn der erste Schritt geklärt ist, erst anfangen. Ohne jeden Zweifel muss die Frage geklärt werden, welchen Platz die Kunstwerke, die das Theaterkunstwerk in sich aufnimmt, in diesem einnehmen.

    Genau damit hast Du das hermeneutische Problem elegant umschifft. :D Es entsteht irgend etwas Neues, und das "Alte" soll da irgendeinen "Platz" einnehmen. Wodurch ist denn da garantiert, dass das "Alte" überhaupt noch verstanden wird seinem Ursprungssinn gemäß? Wird da nicht einfach der Sinnverlust einkalkuliert und unausgesprochen eingeräumt, dass das "Alte" unaufführbar geworden ist?

    Aber hier geht es ja um eine andere Frage, nämlich die, ob das Theaterkunstwerk ein eigenständiges ist oder die »Verwirklichung«, »Sichtbarmachung« oder eben »Aufführung« eines anderen, schon fertigen. Und die lässt sich ziemlich leicht beantworten, zum einen mit der Feststellung, dass Theater kein anderes Kunstwerk braucht, zum anderen dadurch, dass es keine Verwirklichung einer Dichtung sein kann, denn dann wäre die Dichtung Theater und das Theater gar nicht mehr nötig.

    Das ist doch ein Kurzschluss. Wenn Theater keine Darstellungs- bzw. Repräsentationsfunktion mehr hat, dann ist das reiner Konstruktivismus. Dann gibt es keinerlei Verbindlichkeit gegenüber einem "Gegebenen" (dem Sinnzusammenhang des Textes) mehr, sondern es wird nur immer wieder etwas Neues und Anderes konstruiert (wozu dann auch die Handwerkersprache passt). :D Und das ist schlicht hoch problematisch.


    Schöne Grüße

    Holger

  • Ja, das haben die Wissenschaftler, die das ptolemäische Weltsystem für das einzig plausible hielten, auch so gesehen. Und sie hatten durchaus gute Gründe dafür. Nur leider hat sich dann doch ein anderes als besser erwiesen und nach und nach durchgesetzt. Das besagt nun wirklich gar nichts.

    Da merkt man, dass Du keine Wissenschaftsgeschichten liest. ^^ Denn was Du sagst, ist einfach falsch. Das "ptolomäische Weltsystem" war nicht weniger wissenschaftlich als das, was nach ihm kam. Allein mathematisch war es geradezu ein Wunderwerk. Das neue Weltbild hat sich durchgesetzt nicht zuletzt, weil der alten Wissenschaft bestimmte Voraussetzungen fehlten, z.B. die Infinitisemalmethode.

    Ich fahre auf Autoritätsbeweise nicht so ab. Anders gesagt: Es interessiert mich nicht weiter, was irgendwer diskutiert. Soll er es tun. Er wird seine Gründe haben. Das zwingt mich nicht, dieser Diskussion zu folgen, und es zwingt mich schon gar nicht, in dieser Diskussion eine bestimmte Position zu beziehen.

    Das ist mit Verlaub gesagt jetzt ein ziemlicher Dilettantismus. Es geht hier nicht im Geringsten um einen "Autoritätsbeweis", sondern darum, dass sich Theoretiker der Ästhetik mit diesem Problem beschäftigen. Und man lernt als Theoretiker, die einschlägige Fachliteratur zu einem Thema erst einmal Ernst zu nehmen und zu studieren, sich also über den aktuellen Diskussionsstand in dieser Wissenschaft ins Bild zu setzen, bevor man eigene Antworten gibt.

    Ich will nicht bestreiten, dass der Begriff der Werktreue in gewissen Zusammenhängen, die mir (noch) nicht bekannt sind, sinnvoll anwendbar ist. Das ist mir gleichgültig, so lange ich diesen Zusammenhang nicht berühre. Wenn es um das Theaterkunstwerk geht, ist er nicht sinnvoll einzusetzen, jedenfalls nicht dann, wenn er in dem Sinne verwendet wird, wie es in diesen Debatten geschieht. (Einen anderen kenne ich nicht, es mag ihn aber geben, aber über Dinge, von denen ich nicht weiß, rede ich selbstverständlich nicht.)

    Damit drückst Du aber nur Dein Unverständnis aus.

    Dass Du das so siehst, hast Du nun oft genug betont. Nur hast Du versäumt, die Frage zu beantworten, woraus sich diese Verbindlichkeit ergibt. Und das ist eben die Frage, um die es geht.

    Jeder Hermeneutiker versteht sofort, was ich meine. Es gibt die intentio operis. Ein Text hat eine Aussage, die verstanden werden will und kann und zwar verbindlich.

    Nein. Das ist nicht meine Position. Meine Position ist, dass das Theaterkunstwerk ein Theaterkunstwerk ist. Das ist, glaube ich, nicht zu bestreiten. Vom Theaterkunstwerk gibt es keine »jeweilige« Aufführung, denn das, was man gemeinhin »Aufführung« nennt, ist eben dieses Theaterkunstwerk, zu dessen Charakteristika gehört, dass Produktion und Rezeption zeitlich zusammenfallen, dass es nicht konservier- und also auch nicht reproduzierbar ist.

    Du zeigst Dich hier als "radikaler Konstruktivist". Und genau da liegt das entscheidende Problem... :D

    Und das aufgeschriebene Werk, das in das Theaterkunstwerk aufgenommen werden kann (kann!), auf welches das Theaterkunstwerk für seine Existenz aber keineswegs angewiesen ist, ist eben kein Theaterkunstwerk, sondern eine Dichtung oder eine musikalische Komposition oder eine Verbindung von beiden.

    Literaturwissenschaftlich ist so eine Aussage nicht haltbar.

    Dieses existiert tatsächlich außerhalb des Zusammenhangs der Aufführung, denn sonst könnte man es ja nicht lesen, sondern nur im Theater anschauen. Allerdings entsteht, wenn diese Dichtung in das Theaterkunstwerk eingeht, etwa Neues, in dem die einzelnen Bestandteile keine selbständige, sondern nur noch eine aufeinander bezogene Wirklichkeit haben. Aber das ist schon wieder ein ganz anderes Problemfeld.

    Wie das zu denken ist, ist das eigentliche Problem.

    Abgesehen davon ist die Aufgabe des Regisseurs, die Erschaffung eines Theaterkunstwerks (ggf. in Zusammenarbeit mit anderen Künstlern) zu leiten, nicht ein Werk zu interpretieren und aufzuführen. Da gibt es nichts zu moralisieren.

    Das ist der Standpunkt eines Konstruktivisten. Der bin ich nicht - sondern bleibe ein Phänomenologe. :D


    Schöne Grüße

    Holger

  • Seit dem vollen Durchbruch des Regisseurstheaters (im Folgenden RT; diese Begrifflichkeit Stadelmayers trifft den tatsächlichen Sachverhalt adäquater) liegt annähernd ein halbes Jahrhundert zurück. Freilich wurde seither ein auf den ersten Blick geschicktes Narrativ entwickelt, immer weiter perfektioniert und von Generation zu Generation weitergegeben, auf welches auch in diesem Thread gerne zurückgegriffen wird, um das RT argumentativ zu stützen. Das erklärt dann die zuweilen irrigerweise gewähnte Sprachlosigkeit der Kritiker am RT, die häufig nicht auf solch geschliffene, vermeintlich überzeugende Begründungen zurückgreifen können, da sie nicht jahrelang durch die Kaderschmiede gingen, in welcher dies gleichsam indoktriniert wurde und somit aus dem Effeff abrufbar ist. Dies verdeutlicht auch ein meist ähnliche Argumentationsmuster der RT-Anhänger, da auf einen gemeinsamen Pool zurückgegriffen wird. Ein solches Narrativ des RTs hat es in dieser ausgetüftelten Form in den 1970er Jahren schwerlich gegeben. Deswegen erschienen die auch hier bereits als "strohdumm" abgekanzelten Kritiker damals gewiss nicht als solche, sondern reichte weiland bereits ein eher bodenständiges, aber auf den Punkt gebrachtes Entgegentreten gegenüber diversen Auswüchsen (die seinerzeit noch in den Kinderschuhen steckten) aus, um zu bestehen. Was dem RT seither tatsächlich gelungen ist, das ist die PR-Arbeit. In der Nach-68er-Ära fand sich der fruchtbare Boden für diese Saat, die beim seinerzeitigen Zeitgeist auf Zuspruch stieß. In der heutigen Situation, wo das Gros der Intendanzen von Vertretern oder zumindest Sympathisanten des RTs besetzt wird und somit institutionell eine völlig andere Situation vorherrscht als um 1980, ist eine Infragestellung desselben RTs ungleich schwieriger. Umso dringlicher ist auch auf Seiten der RT-Kritiker ein profundes und geschärftes Narrativ vonnöten.

    Lieber Joseph II. sind wir hier im Krieg oder in einer ästhetischen Diskussion? Ich weiß nicht so recht was ich von dieser Geschichtsbeurteilung halten soll. Das kommt mir doch insgesamt etwas verschwurbelt und "verschworen" vor.


    Ich kenne das Regietheater und davon eigentlich sowieso nur den Begriff seit zwei Jahren und fühle mich völlig unschuldig. Ich greife auch nicht auf einen irgendwo lokalisierten Pool von Argumenten zurück, sondern höre nur einfach zu und mache mir Gedanken ...


    Deswegen erschienen die auch hier bereits als "strohdumm" abgekanzelten Kritiker damals gewiss nicht als solche, sondern reichte weiland bereits ein eher bodenständiges, aber auf den Punkt gebrachtes Entgegentreten gegenüber diversen Auswüchsen (die seinerzeit noch in den Kinderschuhen steckten) aus, um zu bestehen.


    Dass ich die Äußerungen von Winifred Wagner dämlich finde, hat nichts mit der Zeit heute zu tun, sondern nur mit Denkvorgängen in meinem Hirn. Über diesen Quark hätte ich schon mit zehn Jahren, also noch in den Sechzigern, herzhaft gelacht. Wahrscheinlich hätte ich die unglückliche Verwicklung solcher Äußerungen mit der deutschen Geschichte noch nicht verstanden ...


    Das erklärt dann die zuweilen irrigerweise gewähnte Sprachlosigkeit der Kritiker am RT, die häufig nicht auf solch geschliffene, vermeintlich überzeugende Begründungen zurückgreifen können, da sie nicht jahrelang durch die Kaderschmiede gingen, in welcher dies gleichsam indoktriniert wurde und somit aus dem Effeff abrufbar ist.


    Grundsätzlich finde ich es merkwürdig, fehlende Argumente als Argument für etwas einzusetzen. Ich bin ein ganz starker Freund des (eigenständigen) Denkens und fast ein Gegner des sogennanten "gesunden Menschenverstandes", der ja dann gerne als wohlfeiler Ersatz für eigenes Denken herhalten muss. Da ist man dann, je nach Ausprägung, von einem "gesunden Volksempfinden" nicht mehr so weit weg. Dieses Empfinden hatte seinerzeit katastrophale Auswirkungen auf Wissenschaft und Kultur in unserem Land. Einer Wiederholung bedarf es meiner Meinung nach nicht.


    Also ist es mir am Ende sogar egal, wo Argumente herkommen, wenn es denn solche überhaupt sind und, solange sie irgendetwas im Zusammenhang Relevantes belegen können.

  • Als Methusalem (laut Dr. Pingel) der RT-Debatte in diesem Forum verfolge ich diese nun auch schon recht lange, aber ich lese die Diskussion zwischen unseren drei neuen Mitgliedern Symbol, ChKöhn und Werner Hintze und Alt-Mitglied Holger Kaletha mit großem Interesse, denn sie bietet durchaus Argumente, die hier noch nicht zur Sprache kamen.


    Ich war anfangs hin- und hergerissen, aber inzwischen bin ich klar auf der Seite der Neuen.

    Du warst immer für das Regietheater, und "die Neuen" sind uralt. Außerdem: Methusalem ist nicht das Schlechteste! Ich hoffe, dein Bartwuchs trägt dem Rechnung:pfeif:.

    Schönheit lässt sich gerne lieben...

    (Andreas Hammerschmidt,1611-1675)

  • Ja, das haben die Wissenschaftler, die das ptolemäische Weltsystem für das einzig plausible hielten, auch so gesehen. Und sie hatten durchaus gute Gründe dafür. Nur leider hat sich dann doch ein anderes als besser erwiesen und nach und nach durchgesetzt. Das besagt nun wirklich gar nichts.


    Da merkt man, dass Du keine Wissenschaftsgeschichten liest. ^^ Denn was Du sagst, ist einfach falsch. Das "ptolomäische Weltsystem" war nicht weniger wissenschaftlich als das, was nach ihm kam. Allein mathematisch war es geradezu ein Wunderwerk. Das neue Weltbild hat sich durchgesetzt nicht zuletzt, weil der alten Wissenschaft bestimmte Voraussetzungen fehlten, z.B. die Infinitisemalmethode.


    Auch, wenn es mit dem eigentlichen Thema der Diskussion nichts zu tun hat, kann ich so etwas nicht unkommentiert an mir vorbeiziehen lassen. Der Wissenschaftsbegriff hat sich über die letzten zweitausend Jahre schon ein wenig gewandelt. Das ptolemäische Weltbild hat sich wahrscheinlich doch nur deswegen so lange halten können, weil es eine Menge religiöser Implikationen hatte, die bei dem heliozentrischen dann verloren gegangen wären. Einer der ersten bekannten Verfechter eines heliozentrischen Weltbildes war der Grieche Aristarchos, im zweiten Jahrhundert v. Chr.


    Das Problem beim ptolemäischen Weltbild entstand bei den Berechnungen, je mehr Planetenbewegungen man erfassen wollte. Da wurden dann komplizierte Epizyklen konstruiert, weil es halt von der Erde aus so kompliziert aussieht. Stellt man die Sonne in den Mittelpunkt, hatte man damals halt einfache Kreis- (eigentlich elliptische) Bahnen. Es ist also nicht viel mehr als die Anwendung des Ockhamschen Messers :)


    Für die Ableitung dieser Bewegung aus der Gravitation bedarf es dann ganz anderer Dinge .....



    Aber um vielleicht doch noch einen Dreh zur Ästhetik zu bekommen :)


    Frank Zappa mit Occam's Razor



    Werktreu oder nicht? ;)

  • Auch, wenn es mit dem eigentlichen Thema der Diskussion nichts zu tun hat, kann ich so etwas nicht unkommentiert an mir vorbeiziehen lassen. Der Wissenschaftsbegriff hat sich über die letzten zweitausend Jahre schon ein wenig gewandelt. Das ptolemäische Weltbild hat sich wahrscheinlich doch nur deswegen so lange halten können, weil es eine Menge religiöser Implikationen hatte, die bei dem heliozentrischen dann verloren gegangen wären. Einer der ersten bekannten Verfechter eines heliozentrischen Weltbildes war der Grieche Aristarchos, im zweiten Jahrhundert v. Chr.

    Das ist die populäre Meinung, die aber so nicht stimmt. Die Epizyklentheorie ist einfach hoch komplex. Ihre Voraussetzungen liegen auch nicht in der christlichen Religion, sondern der griechischen Philosophie. ;)


    Schöne Grüße

    Holger

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  • Das ist die populäre Meinung, die aber so nicht stimmt. Die Epizyklentheorie ist einfach hoch komplex. Ihre Voraussetzungen liegen auch nicht in der christlichen Religion, sondern der griechischen Philosophie. ;)


    Schöne Grüße

    Holger

    Also in meinen Studium habe ich diese populäre Meinung gelernt. Epizyklen sind auch nicht hochkomplex, sondern nur sehr schwierig (von Hand) zu berechnen. Es sind halt Kreise um Kreise ...

    fff3427_w.jpg





    Die Kollegen damals hatten halt keine Computer, die ihnen beim Rechnen halfen ....:)


    Auch das Ockhamsche Messer kam natürlich schon früher zum Einsatz, ohne es explizit zu erwähnen. Wahrscheinlich habe einige WIssenschaftler im Versteckten heliozentrisch gerechnet und es dann wieder übertragen. Es wollte ja nicht jeder auf dem Scheiterhaufen landen ... :)

  • Das heliozentrische Weltbild hat den denkökonomischen Vorteil, dass sich die Rechnungen erheblich vereinfachen. Rein als Modell. Das ist wissenschaftstheoretisch ein entscheidender Vorzug. Und so Unrecht hatten die Jesuiten gegenüber Galilei nicht. Sie waren genauso Platoniker wie er. Sie sagten, Deine Bahnen sehen nur für Dein Auge krumm aus. Ihr Wesen wird aber nur durch das reine Denken erfasst. Das konnte Galilei nicht widerlegen, indem er durch das Fernrohr schaute. Widerlegt hat er die alte Ansicht schließlich nicht empirisch, sondern indem er die krummen Bahnen durch die damals revolutionär neue Infinitesimalmethode berechnete. :D

  • Wenn der historische Sinnzusammenhang als Kontext, aus dem ein Text nur voll verständlich wird, nicht mehr gegeben ist, dann muss er für die Jetzt-Zeit verständlich gemacht werden. Das impliziert ein Übersetzungsproblem, damit er seine Verständlichkeit nicht verliert und nicht einfach als ganz etwas Anderes verstanden wird.

    Aber wer sagt denn dass der Text nicht ganz anders verstanden werden darf, als ihn die Zeitgenossen verstanden haben? Sehr wahrscheinlich werden ihn auch nicht alle Zeitgenossen gleich verstanden haben. Welche von ihnen wählen wir denn aus, um das Verständnis zu ermitteln, das wir als das nehmen, das nun heute vermittelt werden muss? Und woher wissen wir, ob wir den Text heute auch nur annähernd so verstehen, wie er damals verstanden wurde?

    (Ich mache da gerade eine sehr interessante Erfahrung, indem ich den Kommentar des Guo Xiang zum Buch Zhuangzi lese, der erstmals vollständig in eine europäische Sprache, in diesem Falle das Englische, übertragen wurde. Dabei stellt sich heraus, dass die deutschen, englischen und rumänischen (Teil-)Übersetzungen dieses Buches, die ich kenne, alle weit von dem abweichen, was dieser Kommentar als Sinn des Textes darlegt, der für Jahrhunderte die Standardinterpretation dieses Buches geliefert hat, die die chinesische Kultur zutiefst geprägt hat. Die Unterschiede sind mal kleinere Abweichungen im Wortlaut, manchmal ziemlich gravierende Veränderungen und gelegentlich das gerade Gegenteil. Manchmal haben auch beide Übertragungen des Textes gar nichts miteinander zu tun. Das liegt nicht daran, dass die Übersetzer schlampig gearbeitet haben – obwohl das natürlich auch vorkommt –, sondern vor allem daran, dass dieser Text – wie jeder andere – verschiedene Deutungen zulässt. Man kann also die Deutung des Guo Xiang und einiger anderer Kommentatoren nachlesen, aber die Frage, welche die richtige ist, wird sich kaum beantworten lassen.) Das nur als Nebenbemerkung in Klammern. Denn hier geht es ja nicht um die Übersetzung eines Textes.


    Hier geht es um die Erschaffung eines Kunstwerks. Und da steht nur die Frage, ob es gelungen ist oder nicht. Dür die Beantwortung dieser Frage spielt aber die ganz andere Frage: ob der Text, dessen sich dieses Kunstwerk bedient, richtig verstanden wird oder in einem Sinne verwendet wir, an den der Autor nicht gedacht haben kann, gar keine Rolle.


    Wird da nicht einfach der Sinnverlust einkalkuliert und unausgesprochen eingeräumt, dass das "Alte" unaufführbar geworden ist?

    Du hast die seltsame Tendenz, meine Aussagen so zu generalisieren und zu verabsolutieren, dass sie einen ganz falschen Sinn erhalten. Ich sage gar nichts über die alten Texte und ihre Aufführbarkeit. Um es im einzelnen darzulegen:

    – ich sage nichts über die alten Texte;

    – ich sage nichts über ihre »Aufführbarkeit«;

    – ich sage nichts über die »Aufführung« eines alten Textes.

    Ich spreche nämlich vom Theaterkunstwerk, zu dessen definierenden Charakeristika die Darstellung alter (oder neuer) Texte nicht gehören kann, weil es sonst auf das Vorhandensein eines solchen Textes angewiesen wäre und ohne ihn nicht existieren könnte. Das ist aber offensichtlich nicht der Fall. (Ich komme mir ein wenig seltsam vor, wenn ich das so oft wiederholen muss, aber wenn es nicht anders geht.

    Wenn Theater keine Darstellungs- bzw. Repräsentationsfunktion mehr hat, dann ist das reiner Konstruktivismus.

    Ich glaube, dieser Schluss ist ziemlich defekt. Jedenfalls scheint mir, dass sich die Folgerung keineswegs zwingend aus der Prämisse ergibt. Aber selbst wenn es so sein sollte, würd ich antworten: »Sei’s drum. Es ist mir egal, wie man das nennt. Ein solcher Begriff erschreckt mich nicht.«

    Allerdings ist die Frage ja gegenstandslos, weil die Prämisse auf Sand gebaut ist. Wer hat denn erklärt, das das Theater »keine Darstellungs- bzw. Repräsentationsfunktion mehr hat«? Ich würde sagen, niemand. Ich jedenfalls nicht. Abgesehen davon, dass ich die Begriffe »Darstellungsfunktion« und »Repräsentationsfunktion« keinesfalls mit einem dazwischengeschobenen »bzw.« ineinanderschmieren würde, meine ich, dass das Theater diese Funktion durchaus hat, dass diese aber überhaupt nicht davon abhängt, ob es sich dem Text gegenüber, den es möglicherweise benutzt, respektvoll verhält oder nicht.


    Und noch einmal: Ja. Im Theater werde stets neue Kunstwerke produziert. Genau wie am Schreibtisch eines Schriftstellers, im Atelier eines Bildhauers oder wo sonst immer Kunst produziert wird. Wenn das im Theater hoch problematisch ist, ist es das auch überall. Das scheint dann aber nicht so schlimm zu sein, denn die Welt hat in den Jahrtausenden, in denen stets neue Kunstwerke produziert werden, nicht so sehr darunter gelitten, scheint mir.

  • Da merkt man, dass Du keine Wissenschaftsgeschichten liest.

    Ja, sehr lustig. Was ich lese oder nicht, kannst Du nicht wissen, darum solltest Dz Dich da der Spekulation enthalten. Aber Du solltest lesen, worauf Du antwortest. Ich habe nichts davon geschrieben, dass das ptolemäische Weltsystem weniger wissenschaftlich gewesen sei als das kopernikanische. Und ich würde das auch nie so sagen. Bitte schiebe mir nicht solchen Unsinn unter.

    Jeder Hermeneutiker versteht sofort, was ich meine.

    Hast Du alle gefragt? Und wenn das so ist, gibt es ja immer noch zwei Möglichkeiten. Entweder, was Du annimmst, ich versehe nicht, was Du meinst, oder aber ich verstehe es und halte es nicht für richtig. Ich glaube, ausreichend deutlich zum Ausdruck gebracht zu haben, dass Letzteres der Fall ist.


    Was bei Dir jetzt folgt, ist mir seit langem sehr gut bekannt, aber diese Banalitäten sind für diese Debatte ganz irrelevant, denn sie sagen nichts darüber, welchen Platz ein vorgegebener Text (wenn er denn überhaupt vorhanden ist, was – zum hundertsten Mal – kleineswegs zwingen notwendig ist), im Theaterkunstwerk einnimmt.


    Übrigens ist mir auch nicht klar, inwiefern es für diese Frage von Bedeutung ist, ob sich einer Phänomenologe oder Konstruktivist oder Katholik oder sonst wie nennt. Das scheint mir vollkommen unbedeutend, wenn man nicht der Meinung ist, dass der Phänomenologe gegenüber allen anderen insofern privilegiert ist, als seine Auffassungen auch ohne ausreichende Begründung als gültig angesehen werden müssen. Diese Auffassung teile ich jedenfalls nicht.

  • Als Methusalem (laut Dr. Pingel) der RT-Debatte in diesem Forum verfolge ich diese nun auch schon recht lange, aber ich lese die Diskussion zwischen unseren drei neuen Mitgliedern Symbol, ChKöhn und Werner Hintze und Alt-Mitglied Holger Kaletha mit großem Interesse, denn sie bietet durchaus Argumente, die hier noch nicht zur Sprache kamen.


    Ich war anfangs hin- und hergerissen, aber inzwischen bin ich klar auf der Seite der Neuen. Ich sehe nicht, wie man eine Verpflichtung zu einem bestimmten Umgang mit einem künstlerischen Ausgangsmaterial (hier: Partitur und Libretto) begründen sollte. Schon gar nicht geht das mit Begriffen wie Respekt. Ästhetische Bewertungen moralisch zu begründen kann nur ein Fehlschluss sein.

    Ästhetische Urteile sind zwar keine moralischen Urteile, haben aber sehr wohl.eine normatve Verbindlichkeit. Die stiftet nach Kant der Bezug auf eine ästhetische Idee, wonach man eben etwas Ästhetisches als schön/unschön, gelungen oder misslungen beurteilen kann. Es ist nicht einsehbar, warum sich daran nicht ein moralisches Urteil anschließen kann, dass das ästhetisch Gute und Bessere verpflichtet.


    E.T.A Hoffmann hat den Theatermachern vorgeworfen, sie würden sich auf der Bühne nur selbst verwirklichen wollen und dabei die Intentionen des Autors missachten. D.h. mit anderen Worten: Er wirft den Theatermachern vor, nicht genügend Respekt vor dem Autor und seinem Werk zu haben. Wieso ist ein Autor wie ETA Hoffmann Deiner Meinung nach nicht berechtigt, so ein Urteil zu fällen?


    Schöne Grüße

    Holger

  • Langsam begreife ich, warum mir der Besuch einer Oper so oft keinen Spaß mehr macht.:stumm:

    Es ist dennoch sehr interessant zu lesen, worüber Fachleute alles zu keiner Übereinstimmung kommen können. Ist das der Grund meiner Abstinenz? Zuviel philosophisches Denken in vielen heutigen Operninszenierungen, die den Spaß an der Freude verderben??


    La Roche

    Ich streite für die Schönheit und den edlen Anstand des Theaters. Mit dieser Parole im Herzen leb' ich mein Leben für das Theater, und ich werde weiterleben in den Annalen seiner Geschichte!

    Zitat des Theaterdirektors La Roche aus Capriccio von Richard Strauss.

  • Riccardo Muti über das Regietheater bereits vor fast 40 Jahren:


    "Leider werden die Regisseure - besonders in den deutschen Theatern - immer mächtiger. Dies hängt von den Theaterleitern ab, die bei einer Neuproduktion zuerst an den Regisseur denken und erst dann an den Dirigenten. Dies trifft vor allem auf die deutschen Theater zu und ist eine Fehlentscheidung."


    [Richard Wagner Blätter 7 (1983), S. 66]


    Muti stieg in der Folge auch aus Produktionen aus, wo ihm der Regisseur zu weit ging, etwa "La clemenza di Tito" in Salzburg 1992.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Ästhetische Urteile sind zwar keine moralischen Urteile, haben aber sehr wohl.eine normatve Verbindlichkeit.

    Nein. Und eine moralische Forderung ist damit selbstverständlich auch nicht verbunden. Manche denkst sind dieser Meinung, aber ihre Meinung ist nicht mehr als das: eine Meinung. Es gibt (und gab immer) andere, die ihnen widersprachen. Auf diesem Wege kommen wir nicht weiter. Autoritätsbeweise funktionieren nur, wenn beide Seiten die Autorität anerkennen. Ich erkenne die, die Du nennst aber nicht an. Damit ist das erledigt.


    Ich könnte auf dieselbe Weise verfahren und Dir mit Brecht kommen, aber ich weiß, dass das nicht funktionieren kann und bringe daher Argumente, die ohne solche Gehhilfen auskommen – die Du konsequent ignorierst, um Deine apodiktischen Wahrheiten zu wiederholen, ohne sie zu begründen. Daraus kann nichts werden.

  • Nein. Und eine moralische Forderung ist damit selbstverständlich auch nicht verbunden. Manche denkst sind dieser Meinung, aber ihre Meinung ist nicht mehr als das: eine Meinung. Es gibt (und gab immer) andere, die ihnen widersprachen. Auf diesem Wege kommen wir nicht weiter. Autoritätsbeweise funktionieren nur, wenn beide Seiten die Autorität anerkennen. Ich erkenne die, die Du nennst aber nicht an. Damit ist das erledigt.

    Das ist einfach falsch. Nach Kant haben sie normative Verbindlichkeit und nach Hegel. Bei Friedrich Schiller ist sogar das Ästhetische selber moralisch, er definiert das Schöne als "Symbol eines sittlich Guten". Wohlgemerkt der Dramatiker und Philosoph Schiller in Personalunion!


    Schöne Grüße

    Holger

  • Zuviel philosophisches Denken in vielen heutigen Operninszenierungen, die den Spaß an der Freude verderben??

    Könnte man durchaus so sehen. Vielleicht eben auch ein Grund, wieso die deutsche Spieloper seit dem vermehrten Auftreten des Regisseurstheaters praktisch in der Versenkung verschwunden ist, da man bei dieser nicht recht herumdoktern kann.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

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  • Das ist einfach falsch. Nach Kant haben sie normative Verbindlichkeit und nach Hegel.

    Ich kann es gar nicht glauben, aber dem Augenschein kann ich ja nicht widersprechen. Du willst also sagen, dass eine Aussage wahr sein muss, weil sie von Kant und Hegel kommt? Ich will gern annehmen, dass das ein Witz sein soll, weil ich mir nicht vorstellen kann, dass das irgendwer ernst meinen kann. Aber ich finde leider die Pointe nicht.

  • Statt zu diskutieren bin ich grade in Duisburg und sehe gleich Tosca in der Inszenierung von Dietrich Hilsdorf . Bei der Premiere war die Inszenierung noch RT und Herr Hilsdorf galt als Provokateur. Heute weiß keiner mehr, warum man sich über diese Inszenierung aufgeregt hat.

  • Langsam begreife ich, warum mir der Besuch einer Oper so oft keinen Spaß mehr macht. :stumm:


    Statt zu diskutieren bin ich grade in Duisburg und sehe gleich Tosca in der Inszenierung von Dietrich Hilsdorf . Bei der Premiere war die Inszenierung noch RT und Herr Hilsdorf galt als Provokateur. Heute weiß keiner mehr, warum man sich über diese Inszenierung aufgeregt hat.


    Dem einen gefällt's, dem anderen nicht. Das hat wahrscheinlich wenig mit Theorie, sondern mehr mit Geschmack zu tun ....


    Ich habe keine Ahnung, ob mir sowas jetzt gefallen würde, bin aber langsam gespannt.


    Schönen Abend zusammen :hello:

  • Ja, sehr lustig. Was ich lese oder nicht, kannst Du nicht wissen, darum solltest Dz Dich da der Spekulation enthalten. Aber Du solltest lesen, worauf Du antwortest. Ich habe nichts davon geschrieben, dass das ptolemäische Weltsystem weniger wissenschaftlich gewesen sei als das kopernikanische. Und ich würde das auch nie so sagen. Bitte schiebe mir nicht solchen Unsinn unter.

    Dann weiß ich nicht, was Du sagen willst. ^^ Dass es im Mittelalter noch kein Evaluationssystem gab, ist klar. Denn dafür bedarf es u.a. der Erfindung des Buchdrucks...

    Was bei Dir jetzt folgt, ist mir seit langem sehr gut bekannt, aber diese Banalitäten sind für diese Debatte ganz irrelevant, denn sie sagen nichts darüber, welchen Platz ein vorgegebener Text (wenn er denn überhaupt vorhanden ist, was – zum hundertsten Mal – kleineswegs zwingen notwendig ist), im Theaterkunstwerk einnimmt.

    Das ist jetzt eine Wertung und kein Argument. :P

    Übrigens ist mir auch nicht klar, inwiefern es für diese Frage von Bedeutung ist, ob sich einer Phänomenologe oder Konstruktivist oder Katholik oder sonst wie nennt.

    Die Erwähnung des Katholiken in dieser Reihenfolge ist wirklich lustig... Und eine Frage, welche einer der gewichtigsten erkenntnistheoretischen Probleme der letzten 120 Jahre war, wo die Literatur dazu ganze Bibliotheken füllt. ist für Dich keine Frage von Bedeutung.... ^^

    Ich kann es gar nicht glauben, aber dem Augenschein kann ich ja nicht widersprechen. Du willst also sagen, dass eine Aussage wahr sein muss, weil sie von Kant und Hegel kommt? Ich will gern annehmen, dass das ein Witz sein soll, weil ich mir nicht vorstellen kann, dass das irgendwer ernst meinen kann. Aber ich finde leider die Pointe nicht.

    Dann nenne doch mal einen namhaften Ästhetiker, der anders als Kant, Hegel, Schiller... (ich könnte jetzt die Reihe fortsetzen und fortsetzen) behauptet, dass ästhetische Urteile völlig beliebig sind und keinerlei normative Maßstäbe haben. ^^


    Vielleicht diskutieren wir mal Kosskys Meistersinger - diese Inszenierung finde ich nämlich wirklich bemerkenswert (habe davon sogar die Blue-Ray-Disc) und stellen daran ein paar Fragen, die wirklich weiterführen. ;)


    Schöne Grüße

    Holger

  • Langsam begreife ich, warum mir der Besuch einer Oper so oft keinen Spaß mehr macht.:stumm:

    Es ist dennoch sehr interessant zu lesen, worüber Fachleute alles zu keiner Übereinstimmung kommen können. Ist das der Grund meiner Abstinenz? Zuviel philosophisches Denken in vielen heutigen Operninszenierungen, die den Spaß an der Freude verderben??


    La Roche

    Ich finde diesen Entschluss bedenklich. Wenn ich in die Oper gehe, denke ich keine Sekunde über das Forum oder die RT-Debatte nach, sondern bin froh, dass ich sehen und hören kann und nicht schwerintellektuelle Texte lesen muss ("schwerintellektuell" ist ein analoges Wort im Sinne von "schwerindustriell", wobei "schwerindustriell" in der Regel nützlicher als "schwerintellektuell" ist).

    Schönheit lässt sich gerne lieben...

    (Andreas Hammerschmidt,1611-1675)

  • Aber wer sagt denn dass der Text nicht ganz anders verstanden werden darf, als ihn die Zeitgenossen verstanden haben? Sehr wahrscheinlich werden ihn auch nicht alle Zeitgenossen gleich verstanden haben. Welche von ihnen wählen wir denn aus, um das Verständnis zu ermitteln, das wir als das nehmen, das nun heute vermittelt werden muss? Und woher wissen wir, ob wir den Text heute auch nur annähernd so verstehen, wie er damals verstanden wurde?

    Dass Texte jede Menge Auslegungs- und Interpretationsmöglichkeiten bieten aufgrund von Unbestimmtheitsstellen, Uneindeutigkeiten, Mehrdeutigkeiten, Inkonsistenzen usw. bestreitet doch kein Mensch.

    Hier geht es um die Erschaffung eines Kunstwerks. Und da steht nur die Frage, ob es gelungen ist oder nicht. Dür die Beantwortung dieser Frage spielt aber die ganz andere Frage: ob der Text, dessen sich dieses Kunstwerk bedient, richtig verstanden wird oder in einem Sinne verwendet wir, an den der Autor nicht gedacht haben kann, gar keine Rolle.

    Da würde Dir z.B. Richard Wagner gerade auch als Dramaturg widersprechen. ;)

  • Das führt so zu nichts. Wir sind nun in einem Wirrwarr von Neben-, Seiten-, Ab-, Irr- und Holzwegen, in dem wir der Beantwortung der Frage, um die es geht, keinen Schritt näher gekommen sind und auch keinen Schritt näher kommen werden. Ich mache daher hier mal einen Schnitt und Tabula rasa und formuliere die Frage noch einmal, so knapp und präzise es mir möglich ist, in der Hoffnung, dass sie dann nicht wieder im aufgewirbelten Staub verschwindet.

  • Wohlan! Der Prämissen sind drei (wenn ich nicht irre):


    1. Die Theaterkunst produziert Theaterkunstwerke. (Oder auch: Aus der Ausübung der Theaterkunst gehen Theaterkunstwerke hervor.)

    2. Notwendige und hinreichende Bedingung für die Entstehung und Existenz eines Theaterkunstwerks sind genau zwei Elemente (keins mehr und keins weniger): Ein Darsteller und ein Zuschauer. Produktion und Rezeption des Theaterkunstwerks allen zeitlich und räumlich zusammen, das Theaterkunstwerk vergeht im Prozess der Produktion, kann nicht aufgezeichnet, nicht reproduziert und nicht wiederholt werden.

    3. Das Theaterkunstwerk kann beliebige viele andere Elemente verschiedenster Art in sich aufnehmen, darunter auch andere Kunstwerke anderer Gattungen (Dichtung, Musik, Werke der bildenden Kunst usw.), Texte wissenschaftlicher oder religiöser Art und vieles mehr, es bedarf dieser aber nicht.


    Die Frage ist nun, wie sich aus diesen Prämissen ergibt, dass das Theater einem oder allen dieser fakultativen Elemente gegenüber eine besondere Verpflichtung zur Treue hat.


    (Ich habe im Interesse der Kürze und der Klarheit die Frage, was der Begriff »Werktreue« eigentlich bezeichnet und warum es sinnvoll ihn aus zwei Begriffen aus ganz verschiedenen, miteinander nicht in Verbindung stehenden Sphären zusammenzunieten, weggelassen, denn es lohnt sich ja nicht, darüber zu spekulieren, wenn nicht geklärt ist, ob er in diesem Zusammenhang überhaupt relevant ist.)

  • Ich habe keine Ahnung, ob mir sowas jetzt gefallen würde, bin aber langsam gespannt.

    Es ist natürlich immer besser, sich selbst zu überzeugen. Aber ich waren vor falschen Erwartungen. Dieses »sowas« gibt es nämlich nicht. Der Begriff »Regietheater« (der, ich wiederhole das gern, so sinnvoll ist wie »Musiziermusik«) ist ein Kampfbegriff, mit dem Leute, die in der Überzeugung leben, das früher alle besser war, alle Inszenierungen belegen, die ihnen nicht gefallen, weil sie nicht so sind wie die, in der sie das Stück zum ersten Mal gesehen haben. Er ist darum für eine ernsthafte Diskussion ganz unbrauchbar, weshalb es besser wäre, wenn ihn die, die an einer solchen interessiert sind, ganz meiden würden.


    Um es praktischer zu nennen: Die Unterschiede zwischen Inszenierungen von Chéreau, Berghaus, Bieito und Konwitschny sind unendlich viel größer als die ihre Gemeinsamkeiten. Sie in eine Kategorie zu sortieren, ist etwa so, als würde man Birnenkompott und Schweinegulasch zu einer Gruppe zusammenfassen (weil beide gekocht und gegessen werden) und über die Qualität der Mitglieder dieser Gruppe zusammenfassend und pauschal urteilen. Dabei kann nichts Sinnvolles herauskommen.


    Statt sich damit zu befassen, zu bestimmen, ob das, was man sieht, nun Regietheater ist oder nicht, und sich darüber Gedanken zu machen, ob es deshalb gut ist oder nicht, ist es m. E. besser, das Dargebotene so vorurteilsfrei wie immer möglich aufzunehmen und dann zu entscheiden, ob es einem gefällt oder nicht. Davon hat man mehr... ;-)

  • 1. Die Theaterkunst produziert Theaterkunstwerke.

    Welche? Mir fallen nur einige Beispiele ein, für die ich diese Feststellung wenigstens zum Teil noch würde gelten lassen: Chereaus "Ring" und Müllers "Tristan" in Bayreuth sind darunter, diverse Inszenierungen in der Berliner Schaubühne in den frühen 1990er Jahren. Theateraufführungen sind nach meiner Überzeugung temporärer Art und nicht von Dauer. Nichts altert schneller als neue Inzsnierungen. Peu a peu nutzen sich die Einfälle, die Bühnendekorationen und die Disziplin der Mitwirkenden ab. Technik funktioniert nicht mehr. Im Idealfall müssten Stücke nach fünf, höchstens sechs Vorstellungen wieder abgesetzt werden. Das vertrüge sich aber nicht mit der Vernunft. Derzeit schon gar nicht. An Theatern hat sich nach meiner Beobachtung Nachhaltigkeit als Zukunftsfrage noch nicht gestellt. Material und Energie werden auf Teufel komm raus verbraten als sei nichts geschehen. Belehrt werden müssen immer nur die anderen.


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    2. Notwendige und hinreichende Bedingung für die Entstehung und Existenz eines Theaterkunstwerks sind genau zwei Elemente (keins mehr und keins weniger): Ein Darsteller und ein Zuschauer.

    Dieser eine Zuschauer müsste sich doch finden lassen.


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    3. Das Theaterkunstwerk kann beliebige viele andere Elemente verschiedenster Art in sich aufnehmen, darunter auch andere Kunstwerke anderer Gattungen (Dichtung, Musik, Werke der bildenden Kunst usw.), Texte wissenschaftlicher oder religiöser Art und vieles mehr, es bedarf dieser aber nicht.

    Hier müssten noch Schiesser-Feinrippunterwäsche, Koffer, Brillen, Hüte und Rollstühle - diese unentbehrlichen Untensilien des so genannten Regietheaters Erwähnung finden.


    schiesser-unterhose-kurz-mit-eingriff-feinripp-original-feinripp-005131-weiss.jpg

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

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