Sinn oder Unsinn - Regietheater

  • Nun habe ich dazugelernt, dass selbst das nicht mehr unbedingt nötig ist und jeder Theaterkunstschaffene nach Gutdünken offenbar beliebig herumwurschteln kann, die Vorlagen von Wagner, Humperdinck usw. nur noch als austauschbare Versatzstücke dienen, um irgendetwas vollständig Neues zu kreieren, obwohl das aufgeführte Kunstwerk immer noch unter Nennung des Namens und Titels des Urhebers gezeigt wird. Anything goes sozusagen.


    Die Sinnlosigkeit entsteht doch dann , wenn man immer wieder die Werktreue (aber nicht wirklich kann) diskutieren möchte, wie Karl ja richtig gesehen hat.


    Das Ding mit den Titeln fände ich wichtig, wenn dauernd Leute in Vorstellungen gingen, wo sie dann entrüstet rausgingen, weil sie etwas völlig anderes erwartet hätten (sozusagen mit Reclams Opernführer in der Hand) Das scheint aber in Wirklichkeit so häufig nicht vorzukommen, wie Orfeo ja regelmäßig berichtet.



    jeder Theaterkunstschaffene nach Gutdünken offenbar beliebig herumwurschteln kann,


    Das wäre ja die eigentliche Diskussion, was denn die Opern(aufführungs)-Kunst nun wirklich hervorbringt. Die Tatsache, dass z.B. ein Komponist beim Schaffen seines Streichquartettes frei ist, heißt ja überhaupt nicht, dass es da nichts zu entdecken gäbe. Diese Diskussion scheint aber nur wenige zu interessieren.

  • Mir fällt gerade auf, dass wir schon praktisch in einer neuen Debatte sind. Etwa so:

    Frage nicht, was das Forum für dich tun kann, sondern frage dich, was du für das Forum tun kannst.

    Ich könnte mir vorstellen, dass Alfred das gefallen würde.

    Poe´s Law besagt, dass man bei Ironie auch bei Gebildeten einen Smiley hinzufügen muss. Das habe ich hier versäumt, sodass ein kluger Kopf wie Werner Hintze gemeint hat, ich würde tatsächlich ein neues Thema anzetteln. Als Smiley nehme ich diesen:untertauch:.

    Aller Anfang ist schwer - außer beim Steinesammeln (Volksmund)

  • Nehmen wir deshalb als Beispiel "Fidelio":


    Dann würde ich zu klaren Unterscheidung des gebotenen Kunstwerkes entweder sagen:


    ich gehe in die Oper


    oder


    ich gehe ins Theater

  • Ich bin mal die Beiträge der letzten zwei Seiten durchgegangen und mir die von Werner Hintze angesehen. Sie sind voll von subtilen Beleidigungen.

    944 du hast die Sache nicht verstanden

    946 billige Provokation

    949 welcher Dummkopf

    951 dein philosophisches Gewäsch

    962 geballter Angriff: moralinsaures Gejammer, gebetsmühlenartige Wiederholungen, unsaubere Argumentation.

    Das geht schon lange so, dies sind nur die letzten Seiten.

    Da muss ich es milde ausdrücken: der Herr hat keinen Respekt.

    Im empfehle allen Neuen, in meinem "Schreibtisch" in der Rubrik "Vademecum für Neueinsteiger" die Begriffe sich anzusehen. Da sind unsere Neueinsteiger schon dabei (astewes nehme ich aus).

    Die Stichworte heißen: The Untouchables, yellow mode (der Wandel vom Ziel, die Sache zu diskutieren, zum Ziel den Gegner zu missionieren), Tortenschlacht.

    Neu und sehr brauchbar ist der Begriff von astewes vom RT-Voyeurismus.

    P.S. Zum ersten Mal seit 5700 Beiträgen habe ich die Spoiler-Funktion entdeckt. Da würde ich um eine Erklärung bitten.

    Aller Anfang ist schwer - außer beim Steinesammeln (Volksmund)

  • Man könnte sagen, dass die Oper das ist, was man allgemeiner als Drama bezeichnen kann. Da kann man aber nicht reingehen. Theater ist aber immer Theater, egal, ob die Dialoge hauptsächlich gesungen, gesprochen, getanzt, pantomimisch dargestellt werden oder gar nicht vorhanden sind.

  • Gut, dann vielleicht eher so:


    heute gehe ich in die Oper, um mir ein Drama anzuschauen


    bzw.


    heute gehe ich in die Oper, um mir ein Theater anzuschauen.

  • ...weil mit Berufung auf nahezu künstlerische Freiheit letztlich alles erlaubt sein soll.

    Das ist nichts Kunstspezifisches. Überall ist, was nicht verboten ist, erlaubt. Natürlich muss sich ein Künstler an die geltenden Gesetze halten, darf den Straßenverkehr nicht stören, darf die Zuschauer oder die Mitwirkenden nicht gefährden, darf keine Volksverhetzung betreiben usw. usf. Das sind die Verbote, an die er sich wie jeder andere Mensch auch, halten muss. Mehr gibt es nicht, oder sie müssen eigens begründet werden. Dann muss allerdings der, der diese Ver- oder Gebote erlässt, auch gleich noch erklären, was ihm die dazu nötige Autorität verleiht. Sonst ist es Essig damit.

  • Das ist eine andere Verwendung des Wortes »Oper«. Das Wort kann je nach Zusammenhang ein musikalisches Bühnenwerk oder ein Opernhaus bezeichnen. Der zweite Fall ist nämlich lediglich eine Abkürzung: »Heute gehe ich in die Oper« ist eine kurze Version des Satzes »Heute gehe ich ins Opernhaus. Diese Redewendung hat mit der Sache gar nichts zu tun.

  • Das stimmt natürlich, deshalb:


    heute gehe ich ins Opernhaus, um mir eine Oper anzuschauen


    bzw.


    heute gehe ich ins Opernhaus, um mir ein Theater anzuschauen.

  • Wenn wir es hyperkorrekt ausdrücken wollen, geht man ins Opernhaus, um sich ein Theaterkunstwerk anzuschauen. Ja. Das ist immer so, egal, wie man es nennt, man kann es sich also auch bequemer machen. Wenn man sich allerdings auf eine theoretische Diskussion einlässt, sollte man sich um konsistente Begriffsverwendung bemühen. Wenn man deren Bedeutung in der theoretischen Diskussion mit der Verwendung im Alltag vermischt, kommt nur Kuddelmuddel heraus.

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  • Das ist nichts Kunstspezifisches. Überall ist, was nicht verboten ist, erlaubt. Natürlich muss sich ein Künstler an die geltenden Gesetze halten, darf den Straßenverkehr nicht stören, darf die Zuschauer oder die Mitwirkenden nicht gefährden, darf keine Volksverhetzung betreiben usw. usf. Das sind die Verbote, an die er sich wie jeder andere Mensch auch, halten muss. Mehr gibt es nicht, oder sie müssen eigens begründet werden. Dann muss allerdings der, der diese Ver- oder Gebote erlässt, auch gleich noch erklären, was ihm die dazu nötige Autorität verleiht. Sonst ist es Essig damit.

    Ich denke, dass es auch für einen Künstler im Rahmen seiner Freiheit so etwas wie eine Art ethischen Selbstverständnis geben kann, worin für ihn die Grenzen dieser Freiheit liegen sollten. Also wie weit er gehen darf, wenn er die Vorlagen eines bestimmten Werkes verwendet oder ob sein Gewissen vielleicht irgendwelche Bedenken anmeldet. Das kann ihm von außen natürlich niemand aufoktroyieren.


    Juristisch natürlich nicht, es ist selbstverständlich, dass er z.B. keine Straftaten begehen darf.


    :hello:

    >>So it is written, and so it shall be done.<<

  • Die mag es geben. Es wäre zu zeigen, wo die herkommen. Dadurch, dass sie irgendwer festlegt, sind sie nicht gültig, wenn nicht klar ist, woher dieser die Autorität für diese Festlegung hat. Oder es wäre zu zeigen, dass sich der Zwang zur Werktreue aus der Struktur des Theaterkunstwerks logisch zwingend ergibt. Wenn sich das nachweisen lässt, sehen wir weiter. Bis dahin ist das nichts als eine leere Behauptung, die bewiesen werden muss, wie jede andere Behauptung auch, wenn sie Gültigkeit auch für die, die nicht sowieso derselben Meinung sind, beansprucht.

  • Hallo Werner,


    Oper und Theater sind doch beides Kunstwerke oder auch Gesamtkunstwerke, wenn ich mich nicht irre, oder?


    Es grüßt


    Karl

  • Damit ist man in der Diskussion genau wieder an Seite 1 des Threads angelangt. Ich dachte bislang immer, dass RT-Inszenierungen die ursprünglichen Vorlagen benutzen, um ihr gewisse neue Bedeutungsebenen beizumischen und vermeintliche unendteckte Aspekte des Werkes freizulegen, mit sehr viel gutem Willen und Phantasie aber doch irgendwie noch das Original zumindest erahnbar ist. ( An der verwendeten Musik und am Gesang erkennt man es dann meist doch irgendwann.)

    Lieber MDM,


    Du bringst die Sache auf den Punkt! Genau das war auch meine Vorstellung mit der sich daraus ergebenden wie sich leider herausgestellt hat völlig falschen Erwartung, dass man auf dieser Basis doch allseits eine gewisse Einigung erzielen kann mit dem Verständnis füreinander. Leider ist genau das dann aus der Diskussion herausgekommen, wie Du es schön zusammenfasst:

    Nun habe ich dazugelernt, dass selbst das nicht mehr unbedingt nötig ist und jeder Theaterkunstschaffene nach Gutdünken offenbar beliebig herumwurschteln kann, die Vorlagen von Wagner, Humperdinck usw. nur noch als austauschbare Versatzstücke dienen, um irgendetwas vollständig Neues zu kreieren, obwohl das aufgeführte Kunstwerk immer noch unter Nennung des Namens und Titels des Urhebers gezeigt wird. Anything goes sozusagen.

    Ich muss sagen, dass ich darüber nicht nur enttäuscht, sondern doch regelrecht entsetzt war, dass von den beteiligten Künstlern einfach alle Verbindlichkeiten abgestritten werden und genau das herauskommt: völlige Beliebigkeit. Wenn man dann weiter unverdrossen nach Verbindlichkeiten sucht, wird man nur beschimpft ("philosophisches Gewäsch"). So habe ich leider auch meine Meinung über das Regietheater als ästhetische Konzeption grundlegend ändern müssen. Dahinter steht (denn die hier vertretene Meinung ist sicher kein Einzelfall, sondern wohl eher typisch für Theatermacher von RT) ein fröhlicher Konstruktivismus und ästhetischer Nihilismus, wie ich es genannt habe. Nichts hat Bedeutung und Verbindlichkeit, außer dem, was der Theaterkünstler macht: ein Theaterkunstwerk aus einem beliebigen "Material" herzustellen. Damit ist eigentlich jegliche Diskussionsbasis zerstört. Leider - aber wohl nicht zu ändern.


    Schöne Grüße

    Holger

  • Oper und Theater sind doch beides Kunstwerke oder auch Gesamtkunstwerke, wenn ich mich nicht irre, oder?

    Das kann schon sein. Aber was ist damit gesagt?


    (Wir sollten den sehr komplexen und schwierigen Begriff »Gesamtkunstwerk« aus dem Spiel lassen. Man muss die Schwierigkeiten ja nicht bis zum Himmel türmen.)

  • Und die dabei waren (etwa mschenk oder bertarido) haben kaum was anderes geschrieben als das, was sie als RT-Befürworter immer schon geschrieben haben.

    Mitnichten. Ich war vor Beginn der Diskussion eher auf der Linie von Holger und habe einen allerdings sehr weit ausgelegten Begriff von Werktreue für sinnvoll gehalten. Aber die dagegen vorgebrachten Argumente und das völlige Unvermögen von Holger, "Werktreue" als verbindlichen Maßstab für eine Theateraufführung zu begründen, haben mich eines Besseren belehrt.

    Der Traum ist aus, allein die Nacht noch nicht.

  • Mitnichten. Ich war vor Beginn der Diskussion eher auf der Linie von Holger und habe einen allerdings sehr weit ausgelegten Begriff von Werktreue für sinnvoll gehalten. Aber die dagegen vorgebrachten Argumente und das völlige Unvermögen von Holger, "Werktreue" als verbindlichen Maßstab für eine Theateraufführung zu begründen, haben mich eines Besseren belehrt.

    Gut. Registriert! Ich habe nicht immer alle gelesen, daher ist mir das entgangen.

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  • Das kann schon sein. Aber was ist damit gesagt?


    (Wir sollten den sehr komplexen und schwierigen Begriff »Gesamtkunstwerk« aus dem Spiel lassen. Man muss die Schwierigkeiten ja nicht bis zum Himmel türmen.)

    Na mich freut es, daß wir doch eine sehr zufriedenstellende Klärung erreichen konnten.

  • Ich muss sagen, dass ich darüber nicht nur enttäuscht, sondern doch regelrecht entsetzt war, dass von den beteiligten Künstlern einfach alle Verbindlichkeiten abgestritten werden und genau das herauskommt: völlige Beliebigkeit.

    Dass die einzige "Verbindlichkeit" für einen Theaterkünstler die Existenz mindestens eines Darstellers und eines Zuschauers ist, hat Werner sehr plausibel erklärt. Deine Erwiderung, dass daraus "völlige Beliebigkeit" folgt, ist vollkommen aus der Luft gegriffen. Du sprichst ohne jeden Grund Künstlern pauschal das künstlerische Gewissen, sorgfältige und skrupulöse Arbeit ab, unterstellst ihnen "Egomanie", "Selbstgerechtigkeit", "Respektlosigkeit", "Willkür", "vollkommenen Dilettantismus" und so weiter, und das alles aus dem einzigen Grund, dass sie nicht den von Dir immer wieder behaupteten, aber nie belegten "Verbindlichkeiten" sondern ihren eigenen folgen. Ständig lese ich von Dir, was Künstler angeblich alles tun müssen, und Du bist "regelrecht entsetzt", dass sie statt dessen tun, was sie für richtig halten. Ob sie auf dem Weg zu diesem Tun schlampig oder sorgfältig, leichtsinnig oder skrupulös vorgehen, ob sie sich die Sache angenehm leicht oder quälend schwer machen, ja sogar ob das Ergebnis gelingt oder misslingt: Solche Differenzierungen interessieren Dich nicht, wenn sie die Frechheit haben, etwas anderes zu tun, als Du von ihnen erwartest. Das reicht Dir, um sie für unfähig, moralisch verkommen und ihre Kunst pauschal für misslungen zu erklären.

    "Herr Professor, vor zwei Wochen schien die Welt noch in Ordnung."
    "Mir nicht."
    (Theodor W. Adorno)

  • Bei der Frage, wie die Künstler nun eigentlich vorgehen, sind wir noch nicht einmal. Die Frage ist einfach, warum die Forderungen der Apologeten der Werktreue gelten sollen. Die nächste Frage wäre, was das eigentlich sein soll: Werktreue. Auf beide Fragen gibt es keine Antwort. Man sieht klar, dass es nicht um Kunst und auch nicht um Moral oder Ähnliches geht, sondern nur und ausschließlich um die Macht. Es gibt Leute, die wollen festlegen, was andere zu tun und zu lassen haben. Wenn die ihren Anordnungen nicht folgen, phantasieren sie sich in eine Position, die ihnen die Möglichkeit gibt, die wirtschaftliche Existenz der Renitenten zu zerstören; oder sie moralisieren irgendetwas daher; oder die greifen zur Beleidigung (gern mit Lügen gewürzt). Das ist keine Neuigkeit.


    Es ist nämlich so: Bei diesen wackeren Verteidigern des Wahren, Guten und Schönen handelt es sich um Leute, die, wenn ihnen auf der Straße jemand zuruft, sie müssten auf die andere Straßenseite gehen oder auf dem Bauch kriechen, denn Befehl sofort ausführen und keine Frage stellen. Und dasselbe verlangen sie darum auch von allen anderen.

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  • Hallo Werner,


    wenn die Forderung nach "Werktreue" bei Dramen das Regietheater nicht tangiert, wie du es verständlich erklärt hast, warum dann noch weitermachen mit der Frage: Was ist überhaupt Werktreue?


    Die Überschrift lautet ja: Sinn oder Unsinn - Regietheater.


    Es grüßt


    Karl

  • Hier war es zudem so, dass da drei (oder vier) neue Mitglieder noch keine RT-Schlacht mitgemacht haben. Meine Prognose ist halt die, dass es genauso läuft wie immer

    Wird nicht ganz so. Etliche Mitglieder haben ja dieses Forum verlassen und die Gruppe der RT-Gegner damit erheblich geschwächt!


    Außerdem muss ich sagen, dass diese ganze Sache doch eher ein Philosophie-Colloquium war, wo man sich fragen kann

    Das stimmt, ergänzt durch kleine Hinweise auf die Unverständlichkeit der Diskussion durch den Normalverbraucher unter Berücksichtigung mathematischer und chemischer Alltagskost (ebenso unverständlich für Normalverbraucher).

    Also Hoffnung auf Einigkeit besteht nicht, zumal kein RT-Freund mir erklären kann, warum Lohengrin in Schulklassen absolut richtig oder Siegfried im Jogginganzug angemessen sein sollen.

    Ich streite für die Schönheit und den edlen Anstand des Theaters. Mit dieser Parole im Herzen leb' ich mein Leben für das Theater, und ich werde weiterleben in den Annalen seiner Geschichte!

    Zitat des Theaterdirektors La Roche aus Capriccio von Richard Strauss.

  • wenn die Forderung nach "Werktreue" bei Dramen das Regietheater nicht tangiert, wie du es verständlich erklärt hast, warum dann noch weitermachen mit der Frage: Was ist überhaupt Werktreue?

    Wenn man von dem sklavischen Befolgen irgendwelcher historischer Anweisungen mal absieht, ist bisher keine sinnvolle Defintion von diesem Begriff im Thread erschienen. Soweit ich es verstanden habe, wurde dieser erste Begriff abgelehnt. Meines Erachtens folgt daraus nicht (zumindest nicht für mich), dass jede mögliche Definition des Begriffs indiskutable wäre.


    Was allerdings auch Thema war, was ich aber erst einmal ausblenden könnte, wäre diese unglückliche Wortkombination mit "Treue", die ja noch allerlei wenig hilfreiche Assoziationen enthält.

  • Eins ist aber bei diesem Erlebnis auch sofort klar. Was soll mich dabei irgendeine Werktreue interessieren?

    Aber was sollte für Dich dann an der Oper überhaupt interessant sein? Wäre es nicht besser für Dich, das Geld in ein gutes Essen oder eine gute Flasche Wein zu investieren? Oder in der Summe vieler Opernbesuche in einen tollen Urlaub oder einen SUV?;)

    Ich streite für die Schönheit und den edlen Anstand des Theaters. Mit dieser Parole im Herzen leb' ich mein Leben für das Theater, und ich werde weiterleben in den Annalen seiner Geschichte!

    Zitat des Theaterdirektors La Roche aus Capriccio von Richard Strauss.

  • Mitnichten. Ich war vor Beginn der Diskussion eher auf der Linie von Holger und habe einen allerdings sehr weit ausgelegten Begriff von Werktreue für sinnvoll gehalten. Aber die dagegen vorgebrachten Argumente und das völlige Unvermögen von Holger, "Werktreue" als verbindlichen Maßstab für eine Theateraufführung zu begründen, haben mich eines Besseren belehrt.

    Das Problem ist glaube ich, dass Du etwas von mir erwartest, was einfach nicht sinnvoll ist zu erwarten. Wenn man eine sinnvolle Antwort bekommen will ist die Voraussetzung dafür, dass die Fragestellung erst einmal sinnvoll ist, damit sie zu einer sinnvollen Antwort führen kann. Natürlich ist es nicht sinnvoll, von del Monaco "Werktreue" zu verlangen - unter einer bestimmten Bedingung. Genauso, wie ein Komponist und Texter ein Musical "Zauberflöte" komponieren kann ganz frei nach Motiven von Mozart, kann del Monaco frei mit Humperdincks Oper umgehen und etwas Eigenes schaffen. Das Problem entsteht erst, wenn er behauptet, das sei nicht seine Produktion, sondern eine Aufführung des Werkes von Humperdnick. Dann - und nur dann - kann man sagen: Diese Zuschreibung kann er nicht machen, denn seine Aufführung ist nicht werkgerecht. Denn was er geschaffen hat ist keine Märchenhandlung und keine Märchenoper, was Humperdincks Werk nunmal ist.


    "Werktreue" (ich mag diesen Begriff auch nicht wegen der falschen Vorstellung von Buchstabentreue) zu verlangen ist natürlich und kann nicht voraussetzungslos sein. Sinnvoll ist das nur unter ganz bestimmten Bedingungen. Und die habe ich doch - fast schon in gebetsmühlenartiger Wiederholung - immer wieder genannt. Erst einmal sind nicht alle Stücke wirklich "Werke" und haben oft nur sehr eingeschränkt Werkcharakter. Da ist es dann auch nicht sinnvoll, "Werktreue" und "Werkgerechtigkeit" im Vollsinne zu verlangen. Es ist aber nunmal so, und das lässt sich auch nachweisen, dass in unserer europäischen Tradition Stücke, Dichtungen, musikalische Kompositionen, Artefakte bildender Kunst usw. von ihren Urhebern, den Künstlern, Dichtern, Komponisten mit dem ausdrücklichen Anspruch, Werke zu sein, geschaffen wurden. Sie haben ausrücklich Regeln befolgt bei der Verfertigung ihrer Dichtungen, Kompositionen usw., damit sie diesen Werkcharakter auch haben. Und das seit Jahrunderten. Und die so geschaffenen Werke erheben dann auch selbstverständlich den Anspruch, als Werke rezipiert zu werden. Du musst ein Sonnett von Petrarca schon zuende lesen, um zu erfassen, was es ist - und ebenso gehört ein autonomes Kunstwerk so aufgeführt, dass es ohne sinnentstellende Veränderungen aufgeführt wird. Und das nennt man dann "werkgerecht". Im Einzelfall ist es nun so, dass es manchmal relativ einfach ist, festzustellen, was "werkgerecht" ist, in anderen Fällen ein hoch kompliziertes Interpretationsproblem. Am Grundsätzlichen ändert das aber nichts. Was ein autonomes Kunstwerk ist gehört auch werkgerecht aufgeführt - sonst verliert es in der Aufführung seinen Charkater eines autonomen Kunstwerks. Dann benutzt man ein fertiges Gebäude als Steinbruch, um mit seinem "Material" ein ganz anderes und neues Gebäude daraus zu machen.

    Dass die einzige "Verbindlichkeit" für einen Theaterkünstler die Existenz mindestens eines Darstellers und eines Zuschauers ist, hat Werner sehr plausibel erklärt.

    Ich finde da gar nichts plausibel. Schon der Ausdruck ist verräterisch. Es gibt bei der Erstellung eines "Theaterkunstwerks" eben mehr als nur eine "einzige" Verbindlichkeit.

    Deine Erwiderung, dass daraus "völlige Beliebigkeit" folgt, ist vollkommen aus der Luft gegriffen. Du sprichst ohne jeden Grund Künstlern pauschal das künstlerische Gewissen, sorgfältige und skrupulöse Arbeit ab, unterstellst ihnen "Egomanie", "Selbstgerechtigkeit", "Respektlosigkeit", "Willkür", "vollkommenen Dilettantismus" und so weiter, und das alles aus dem einzigen Grund, dass sie nicht den von Dir immer wieder behaupteten, aber nie belegten "Verbindlichkeiten" sondern ihren eigenen folgen.

    Das Problem ist, dass Du eine prinzipielle Frage auf eine persönliche Ebene bringst. Ich bringe Dir mal einem Beispiel aus meinem Fach. Es gibt die Kritik am sogenannten "Historismus" und "Psychologismus". Da wird dann kritisiert, dass etwa eine rein psychologische Begründung von logischer Evidenz in der Konsequenz zu einem Skeptizismus und Relativismus führt und damit zu einer Selbstaufhebung wissenschaftlicher Allgemeinheit und Verbindlichkeit. Damit wird aber den "Psychologisten" nicht unterstellt, sie arbeiteten unwissenschaftlich. Das sind alles hoch ehrenwerte Wissenschaftler gewesen. Nur sind sie sich über die Konsequenzen ihres Tuns nicht im Klaren gewesen. Entsprechend geht es hier um die künstlerische Haltung und nicht den Künstler als Individuum. Wenn die künstlerische Haltung darin besteht, dass alle äußeren Verbindlichkeiten bestritten werden, folgt daraus in der Konsequenz Respektlosigkeit und Dilettantismus. Selbst wenn der Künstler dann faktisch das Gegenteil tut und sehr seriös arbeitet, ist das dann nicht mehr durch Prinzipien begründet. Das hölt seine Fundamente, auf denen er steht, aus. Und wenn dann auch noch gesagt wird, es sei "grotesk und lächerlich", dass sich ein Künstler (das Beispiel war Friedrich Schiller) an seine eigenen Prinzipien, die er aufgestellt hat, auch hält, dann ist das schon bezeichnend. Die Folge des Verlustes von Verbindlichkeiten ist dann, dass das seriöse, respektvolle Arbeiten nicht mehr durch ästhetische Prinzipien "notwendig" als Folge einer selbst auferlegten Pflicht, sondern nur noch mehr oder weniger zufällig zustande kommt, so wie die Persönlichkeit des Künstlers gerade zufällig beschaffen ist. Und das alles ist sehr bedenklich.


    Ständig lese ich von Dir, was Künstler angeblich alles tun müssen, und Du bist "regelrecht entsetzt", dass sie statt dessen tun, was sie für richtig halten.

    Das ist auch ehrlich so gemeint. Ich habe geglaubt, dass es so etwas wie ein künstlerisches Ethos gibt, nach Verbindlichkeiten zu suchen - egal, welche es nun konkret sind.

    Ob sie auf dem Weg zu diesem Tun schlampig oder sorgfältig, leichtsinnig oder skrupulös vorgehen, ob sie sich die Sache angenehm leicht oder quälend schwer machen, ja sogar ob das Ergebnis gelingt oder misslingt: Solche Differenzierungen interessieren Dich nicht, wenn sie die Frechheit haben, etwas anderes zu tun, als Du von ihnen erwartest.

    Die Beurteilung der künstlerischen Haltung und einer künstlerischen Leistung sind für mich zwei grundverschiedene Dinge. Ich gehe sogar davon aus, dass sogar Werner Hintze sehr "werktreu" inszeniert - nur will er das partout nicht zugeben. ^^

    Das reicht Dir, um sie für unfähig, moralisch verkommen und ihre Kunst pauschal für misslungen zu erklären.

    Nö. Als Theoretiker (da folge ich meinem selbst aufgestellten Prinzips des "Vorgriffs der Vollkommenheit") orientiere ich mich erst einmal an den wirklich gelungenen Beispielen von Regietheater, wie z.B. Kosskys "Meistersinger". Meine Begründung des "Sinnes" dieser Formen von Regietheater weicht dann natürlich von den konstruktivistischen Selbsterklärungen der Regietheater-Künstler nicht unerheblich ab. Ich werde dann zeigen, dass auch da "Werkgerechtigkeit" als Kern im Spiel ist. Der Kern von gelungenem Regietheater ist für mich eine werkgerechtige Interpretation als Grundlage für die Bearbeitungen als Sinnerweiterungen. Die Sinnerweiterung einer werkgerechten Interpretation ist zwar eine Bearbeitung, die einen Sinn zum Werk hinzufügt, der in ihm nicht enthalten ist, aber eben im weiteren Sinne auch werkgerecht.


    Schöne Grüße

    Holger

  • Aber was sollte für Dich dann an der Oper überhaupt interessant sein? Wäre es nicht besser für Dich, das Geld in ein gutes Essen oder eine gute Flasche Wein zu investieren? Oder in der Summe vieler Opernbesuche in einen tollen Urlaub oder einen SUV? ;)


    Wenn Oper sich darin erschöpfen würde, hilflos hampelnde Gestalten in Jahrmarktskostümen auf der Bühne singen zu sehen .... klar.


    Aber das ist doch gerade die Frage, die mich interessiert. Dass Du die für Dich schon beantwortet hast, heißt doch nicht automatisch, dass das für mich auch so gelten muss...

  • Vorab: Selbstverständlich hat Hintze recht, wenn er sagt, der Künstler ist frei, und dass Theater nicht "werktreu" zu sein hat, sondern gut.


    Dabei maße ich mir sogar an, eine Definition von "gut" zu geben. Gut ist, was eine starke und lang andauernde Wirkung hat. Z.B. Musik, die nicht nur 1 Woche lang auf Position 1 der Charts steht, sondern noch Jahrhunderte lang gespielt wird. Kino oder Theater, bei denen die Zuschauer hinterher über das Stück reden, und nicht darüber, wo sie gleich noch ein Bier trinken wollen.


    Jetzt gibt es allerdings insbesondere beim "Regietheater" ein potenzielles Problem: Die Künstler haben ein Idee, es gelingt ihnen aber nicht, sie so umzusetzen, dass die Zuschauer sie verstehen. Hintze hat ja schön erklärt, dass es ohne Zuschauer nicht geht. Das kann man übrigens auf jede Art von Kunst ausweiten: Ohne "Rezipienten" geht es nicht. Auf dem Pluto kann keine Kunst existieren, selbst wenn es einem Künstler gelingen sollte, dort ein Werk zu platzieren. Auch der Vortrag einer Beethovensonate vor einer Schafherde ist keine Kunst. Es fehlt der Rezipient.


    Diesen Sachverhalt muss man aber erweitern: Der Rezipient muss nicht nur körperlich anwesend sein. Er muss die "Botschaft" auch verstehen.


    Ein Maler oder Komponist hat es da leichter: Sein Werk lässt sich konservieren, und wenn man es heute nicht versteht, dann vielleicht in 100 Jahren. Beim Theater ist diese Idee wenig zielführend. Ja, es gibt Fälle, da wird der Inhalt einer Inszenierung erst bei der 2. Wiederaufnahme vollständig erfasst. Oder man verfilmt die Aufführung und konserviert sie anschließend auf einer DVD.


    Aber mir erscheint dieses Vorgehen nur in Ausnahmefällen sinnvoll. Theater muss bereits während der Aufführung selbst seine Wirkung entfalten. Hier habe ich es durchaus schon erlebt, dass dies nicht gelungen ist. Unabhängig davon, ob die zugrunde liegende Idee gehaltvoll war oder nicht. Daher würde ich mir durchaus wünschen, dass die Theater hier etwas mehr "Qualitätskontrolle" betreiben. Also irgendwie messen, was - inhaltlich - überhaupt beim Publikum angekommen ist. Und hinterher ggf. geeignete Maßnahmen treffen, um den Grad der Verständnisses zu erhöhen. Ich weiß, bei den Künstlern ist so etwas verpönt. "Gebrauchsanweisnungen" lehnen sie ab. In der Tat sollte ein Kunstwerk für sich sprechen. Aber eine Theateraufführung hat halt nur diese 2-4 Stunden Zeit, um sich zu erklären.


    Übrigens hätte ich kein Problem damit, wenn das Theater dem Publikum vorab schriftlich mitteilen würde, was es idealerweise mitbringt. Z.B. Kenntnis des Librettos. Oder Kenntnis des geschichtlichen Hintergrundes. Damit erklären sich bereits viele "werkuntreue" Inszenierungen hinreichend gut. Aber halt nicht alle.



    Thomas

  • Ich finde da gar nichts plausibel. Schon der Ausdruck ist verräterisch. Es gibt bei der Erstellung eines "Theaterkunstwerks" eben mehr als nur eine "einzige" Verbindlichkeit.

    Nämlich welche? Die "Werktreue" kann es ja nicht sein, weil Theater kein "Werk", keine "Vorlage" oder dergleichen braucht.

    "Herr Professor, vor zwei Wochen schien die Welt noch in Ordnung."
    "Mir nicht."
    (Theodor W. Adorno)

  • Die Frage ist einfach, warum die Forderungen der Apologeten der Werktreue gelten sollen. Die nächste Frage wäre, was das eigentlich sein soll: Werktreue. Auf beide Fragen gibt es keine Antwort.

    Ich komme zurück auf den von mir geschilderten Lohengrin in Gera. Im Programmheft standen die Personen und ihre Darsteller, es stand die Handlung einer romantischen Oper von Wagner beschrieben schwarz auf weiß.

    Dann kamen aber kein König Heinrich, sondern Kohl, Schröder und Merkel. Es kam kein Lohengrin, sondern ein japanischer Investor. Die Handlung war nicht irgendwo in Brabant vor grauen Zeiten, sondern an der Autobahnabfahrt Gera-Langenberg mit den damals markanten 3 Schornsteinen.

    Alles, was im Programmheft zu Personen und Handlung, zu Ort und Zeit beschrieben wurde, war auf der Bühne nicht zu sehen. Es braucht keine gesetzliche Vorgabe, was denn "Werktreue" sei. Was von Herrn Lutz auf die Bühne gezaubert wurde, war eine Lüge, eine Verhohnepipelung des zu Recht erbosten zahlenden Publikums. Daß er dazu Musik und Text von Richard Wagner benutzt hat kommt einer Leichenschändung gleich, der Tote kann sich nicht einmal wehren.

    Ich streite für die Schönheit und den edlen Anstand des Theaters. Mit dieser Parole im Herzen leb' ich mein Leben für das Theater, und ich werde weiterleben in den Annalen seiner Geschichte!

    Zitat des Theaterdirektors La Roche aus Capriccio von Richard Strauss.

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