Sinn oder Unsinn - Regietheater

  • Es ist schwierig, dem Libretto einen Bühnensinn zu verleihen, der sich auch Jahrzehnte bis Jahrhunderte nach der Abfassung von Text und Musik zu erschließen hat. Den Vogel würde wohl Wagners Ring abschießen, mit Brünhilde mit Helm und Siegfried mit Bärenfell, was so in etwa einem Zoobesuch gleichkäme oder einem Friedhof gestorbener Insinunierungen einer erdachten germanisch-nationalen Vergangenheit, wo ich dann Ulrich Wehlers Geschichte des Nationalismus zur Erläuterung aufrufen würde, ums in Ansätzen vertshen zu können, warum man sowas macht. Man könnte freilich Hänsel und Gretel als Armeleutestück inszenieren und den Erfolg des Ganzen daran messen, dass man Hänsel und Gretel am Ausgang des Opernhauses mit einer Sammelbüchse rasseln lässt. Wird die Büchse voll, war die Inszenierung gut.


    Bei der Musik stehen wir doch auch da und rätseln darüber, was für ein Klang sich aus den Noten sehr alter Werke neu erstehen lässt. Da es an anderer Stelle hier im Thread gefallen ist: ich bin überhaupt kein Freund von Fantasy-Zeugs, weder Film, noch Oper und schon gar nicht Game (womit ich grundsätzlich auch nix anfangen kann). Insofern wäre eine Umsetzung des Rings als Fantasy-Film, wo man Wagners Umsetzungsvorstellung ja perfekt generieren könnte für mich auch nix.

    Thomas, ich bedaure dich aufrichtig wie jeden Menschen, der offenbar den Kontakt zum Kind in sich verloren hat und damit zum Sinn fürs Märchenhafte, Fabulierende, Spielerische.


    Wir hatten hier im Thread vom Berufs-Ethos gesprochen: Ein Regisseur, der ebenso wie du nur Realist ist, sollte aus ethischen Gründen eine Finger von Stoffen wie "Zauberflöte" und "Lohengrin" lassen, denn diese leben genau davon, vom Märchenhaften - und warum auch nicht?


    Und im Gegensatz zu dir würde ich Wagner-Aufführungen wie zu Wagners Zeiten ebenso als am Leben zu erhaltendes immaterielles Kulturerbe betrachten wie die Chinesen ihre Kunqu-Oper oder die Japaner ihr No-Theater.

    Es ist wohl typisch deutsch, jede andere Kultur in ihrer Ursprungsform als erhaltenswert zu betrachten als die eigene.


    Gutes Hören


    Christian

    "...man darf also gespannt sein, ob eines Tages das Selbstmordattentat eines fanatischen Bruckner-Hörers seinem Wirken ein Ende setzen wird."



  • Die Ausführungen von Dr. Holger Kaletha und auch von Helmut Hofmann zum Themenfeld Werkbegriff, Werktreue und Verbindlichkeit, künstlerische Freiheit usw. sind für mich- sofern dies für einen fachlichen Laien möglich ist- keineswegs "rational nicht nachvollziehbar", sondern im Gegenteil, es wurde aus ihrer heraus plausibel argumentiert.

    Darf ich ganz höflich fragen, was die Einschränkung bedeutet "sofern dies für einen fachlichen Laien möglich ist"?


    Ich verstehe natürlich, dass man Argumente nicht nachvollziehen kann, weil Fachvokabular verwendet wird. Entweder mache ich mir dann die Mühe und versuche den Kontext zu verstehen und argumentiere weiter oder eben auch nicht. Wie ich halt Lust und Laune habe. Im letzten Fall kann ich doch nicht behaupten, dass ich eine Argumentation plausibel finde?


    Diese Art Fachautorität gegenüber völlig Fachfremden kann doch auch rhetorisch eingesetzt werden, um Argumentlosigkeit zu vernebeln. Deswegen versuche ich für mich immer, soweit den Argumenten zu folgen, wie es mir meine Zeit sinnvollerweise gestattet. Wenn ich dann nicht folgen kann, folgt eben auch nichts für mich. :) Sonst besteht doch defintiv die Gefahr, einfach nur einer "Autorität" zu glauben.

  • Da beneide ich dich. Ich möchte das Verhältnis Live-Erlebnis zu Konserve in 2023 auch wieder zugunsten des ersteren verschieben. Allerdings bin ich auch sehr wählerisch.

    Die Häufigkeit meiner Opernbesuche hat aus verschiedenen Gründen zwar noch nicht wieder das Prä-Corona-Niveau erreicht. Aber ich will das Erlebnis nicht missen, wenn reale Personen auf der Bühne singend miteinander interagieren. Wählerisch bin ich dabei auch. Ich suche mir gezielt Produktionen aus, die ich interessant finde. Sei es wegen eines selten gespielten Stücks (so etwa Glucks "Armide" in Paris und Vincis "Alessandro nell’Indie" in Bayreuth), wegen einer Sängerin (Sabine Devieilhe in "Lakmé", ebenfalls in Paris, oder Elsa Dreisig als Salome in Aix) oder weil ich einen Regisseur interessant finde (Barrie Koskys "Turandot" in Amsterdam). Oder einfach, um eine von mir geliebte Oper in einer einmaligen Umgebung zu erleben ("Alcina" in Glyndebourne). Das nur einige Beispiele für Opernbesuche in 2022. Was davon war "Regietheater"? Keine Ahnung, weil der Begriff für mich keinen Sinn hat. Ich weiß nur, dass Inszenierungen dabei waren, die mich begeistert haben (so die erwähnte "Turandot"), aber auch solche, über die ich mich geärgert habe ("Idomeneo" in Aix).

    Der Traum ist aus, allein die Nacht noch nicht.

  • Na ja, ich finde Steckels Zauberflöte bzgl. RT-Faktor eher "harmlos"

    Ich hatte durch den von mir verwendeten Superlativ versucht deutlich zu machen, dass ich selbst nicht an die Formulierung "härtester RT-Tobak" glaube - aber sowas klappt im Netz natürlich nicht, mea culpa.

    Was mich tatsächlich gestört hat, dass Steckel meint, auf die Zwischentexte verzichten zu können (siehe auch hier).

    Das kann ich aus der Erinnerung heraus nachvollziehen. Meine Frau und ich fanden die Inszenierung seinerzeit kurzweilig und musikalisch gelungen. Ich meine aber auch, dass uns der Sinnzusammenhang und die handelnden Figuren z.T. nicht ganz überzeugten. Meine Tochter kennt "die Oper" :/ aber sehr gut und wird sicherlich Spaß daran haben, die Inszenierung mit ihrer Kenntnis produktiv zu verknüpfen.


    Beruflich beschäftige ich mich gerade mit einem Text der bekannten Theaterregisseurin Karin Beier. Es handelt sich dabei um einen Ausschnitt eines Vortrages, den sie 2010 gehalten hat. Mir gefällt, dass sie die Stärken von Theater darin ausdrücklich im Sinne seiner transitorischen Unmittelbarkeit sieht, die "unabhängig vom Prüfstand der Geschichte und unbelastet vom zukünftigen Urteil" ist. Sie leitet daraus eine umfassende Freiheit der Gestaltungsmöglichkeiten ab, die sich ausdrücklich auch im Bereich des Anarchischen und Unkontrollierbaren austoben und durchaus "an unsere niederen Instinkte" rühren könne. Da fange laut ihr "der Spaß erst richtig an".


    Ich will das hier nicht als etwas Allgemeingültiges hinstellen, im Gegenteil. Aber es macht m.E. die Selbstverständlichkeit deutlich, mit der Theaterschaffende aus dem unerschöpflich Möglichen (und manchmal vielleicht Unmöglichen:)) schöpfen können. Gut so.

  • Thomas, ich bedaure dich aufrichtig wie jeden Menschen, der offenbar den Kontakt zum Kind in sich verloren hat und damit zum Sinn fürs Märchenhafte, Fabulierende, Spielerische.

    Ist eigentlich die Argumentation ad personam der Standard in diesem Forum? Das finde ich etwas unangenehm, muss ich gestehen.


    Wie dem auch immer sei, ich finde, dass eine gute Portion gesunde Skepsis dieser seltsamen Theaterform gegenüber eine gute Voraussetzung für eine erfolgreiche Annäherung ist. Eine bessere jedenfalls als die unreflektierte Anbetung oder Hinnahme der Seltsamkeiten. Wenn man erst so weit abgestumpft ist, dass man das eigentlich Inakzeptable der Gattung nicht mehr empfindet, empfindet man auch nicht mehr, wie großartig es ist, wenn es gelingt (was nicht die Regel ist), das scheinbar unzumutbar Alberne so zu bieten, dass es plötzlich wie durch ein Wunder zu einem unvergesslichen Kunsterlebnis wird. Die Voraussetzung ist natürlich die Bereitschaft, sich überzeugen zu lassen, wenn dieser Moment eintritt.


    Übrigens gibt es auch keinen Grund, einen Menschen zu bedauern, wenn er nicht dazu kommt, an der Oper Freude zu haben. So wenig wie es Gunde gibt, einen zu bedauern, der die Freuden des Skifahrens oder der Lektüre von Arno Schmidts Spätwerken nicht kennt. Die einen mögen dies, die anderen das. Keiner kann alles mögen und keiner muss irgendetwas mögen.

  • Geäußertes Mitgefühl als ad personam-Argument - idiotischer wird’s heute wohl nicht mehr. Oder geht da noch was?

    "...man darf also gespannt sein, ob eines Tages das Selbstmordattentat eines fanatischen Bruckner-Hörers seinem Wirken ein Ende setzen wird."



  • Ich hatte durch den von mir verwendeten Superlativ versucht deutlich zu machen, dass ich selbst nicht an die Formulierung "härtester RT-Tobak" glaube - aber sowas klappt im Netz natürlich nicht, mea culpa.

    Ich glaube, ich hatte das schon richtig verstanden, alles gut ;) In jedem Fall aber vor allem der Tochter viel Vergnügen. Ich selbst war damals mit Tochter und Sohn da und es hat gefallen.

    mfG Michael


    Eine Meinungsäußerung ist noch kein Diskurs, eine Behauptung noch kein Argument und ein Argument noch kein Beweis.

  • Thomas, ich bedaure dich aufrichtig wie jeden Menschen, der offenbar den Kontakt zum Kind in sich verloren hat und damit zum Sinn fürs Märchenhafte, Fabulierende, Spielerische.

    Ob das Märchenhafte ein Zauber ist sein einmal dahingestellt, lieber Christian, angesichts des rezenten 210-jährigen Jubiläums der Grimmschen Märchensammlung, und gespielt habe ich schon als Kind tatsächlich sehr ungerne. Meine Welt war immer schon die Musik und das Buch.


    Wie gesagt, in Dortmund gibt's die Zauberflöte recht märchenhaft, aber, Hand aufs Herz das Schöne an der Oper ist doch die Musik? Es gibt Inszenierungen, die mich ansprechen, obwohl mir sehr wolhl bewusst ist, dass der Zusammenhang zu den Bühnenanweisungen nur schwerlich herzustellen ist (Schlingenesief-Parsifal in Bayreuth, dreimal gesehen, wenn der nicht spielerisch war...). Ein kreativer Umgang mit den Anweisungen ist ja sehr wohl spielerisch, und ih stimme Dir zu, dass das nicht immer gelingt.


    Zum Spielerischen: In der Zauberflöte zieht Schikaneder Dich unbewusst von der Seite der Königin der Nacht auf die des Sarastro. Zunächst soll dieser untergehen, am Ende wird es jene mit ihrem Gefolge.


    Ein Regisseur, der ebenso wie du nur Realist ist, sollte aus ethischen Gründen eine Finger von Stoffen wie "Zauberflöte" und "Lohengrin" lassen,

    Ein solcher Regisseur ist Künstler und Handwerker, als solcher sollte er auch in der Lage sein, das Dortmunder Telefonbuch bühnenwirksam zu inszenieren.


    Tatsächlich ist es ja wohl so, dass lange, bevor ein Regisseur das Werk auf die Bühne bringt, Du selbst als Regisseur aktiv warst und genauso, wie ich als Kind, wenn ich die Zauberflöte hörte, Bilder im Kopf hatte. Und Dein Missfallen ist dann die Diskrepanz von Deiner Imagination zur Bildwelt des Regisseurs Meine Zustimmung zu der Aufführung ist dann davon abhängig, inwieweit ich bereit und in der Lage bin, dem Sinn- und Bildangebot zu folgen.


    Liebe Grüße vom Thomas :hello:

    Früher ist gottseidank lange vorbei. (TP)
    Wenn ihr werden wollt wie eure Väter waren werdet ihr so wie eure Väter niemals waren.

  • Eine Idee für astewes, der keine Opern mag, außer Zimmermanns Soldaten. In dieser Kategorie gibt es aber einiges, was dich beeindrucken könnte. Natürlich der gesamte Janacek, aber immer nur eine Oper, am besten "Jenufa" am Anfang. Später dann das Totenhaus, das ist noch kühner als Zimmermann. Dann natürlich Wozzeck, Salomé, Palestrina, Mathis der Maler und besonders, zum Starten, Herzog Blaubarts Burg. Vernünftige, auch moderne Aufführungen findest du hier in Fülle.

    Aller Anfang ist schwer - außer beim Steinesammeln (Volksmund)

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  • Darf ich ganz höflich fragen, was die Einschränkung bedeutet "sofern dies für einen fachlichen Laien möglich ist"?


    Ich verstehe natürlich, dass man Argumente nicht nachvollziehen kann, weil Fachvokabular verwendet wird. Dann ist aber für mich das Argument nicht nachvollziehbar. Entweder mache ich mir dann die Mühe und versuche den Kontext zu verstehen und argumentiere weiter oder eben auch nicht. Wie ich halt Lust und Laune habe. Im letzten Fall kann ich doch nicht behaupten, dass ich eine Argumentation plausibel finde?

    Soll heißen: Ich verstehe nicht immer haarklein und bis ins letzte Detail, was aufgeschrieben wurde, Fachtermina werden ggf. nachgegoogelt. Natürlich kann aus naheliegenden Gründen z.B. auch nicht alle möglichen verwendeten Zitate überprüfen. Trotzdem ist es für mich so geschrieben, dass man der Argumentationslinie schon folgen kann, auch wenn man ansonsten keinen geisteswissenschaftlichen Hintergrund hat. Hier beispielsweise zuletzt: Warum und wann Werktreue und wann sollte sie verbindlich sein und in welchen Fällen muss sie es nicht sein. Ich will das nicht schon wieder alles aufrollen, so schwer ist doch das nicht zu kapieren. :wacko:

    Diese Art Fachautorität gegenüber völlig Fachfremden kann doch auch rhetorisch eingesetzt werden, um Argumentlosigkeit zu vernebeln. Deswegen versuche ich für mich immer, soweit den Argumenten zu folgen, wie es mir meine Zeit sinnvollerweise gestattet. Wenn ich dann nicht folgen kann, folgt eben auch nichts für mich. :) Sonst besteht doch defintiv die Gefahr, einfach nur einer "Autorität" zu glauben.

    Keine Sorge. Ich hüte mich davor, blind irgendetwas zu glauben oder mich von Autoritäten blenden zu lassen. Ein wenig Lebenserfahrung und Gespür hat man ja schließlich im Laufe der Jahre gesammelt. :hello:

    >>So it is written, and so it shall be done.<<

  • Thomas, ich bedaure dich aufrichtig wie jeden Menschen, der offenbar den Kontakt zum Kind in sich verloren hat und damit zum Sinn fürs Märchenhafte, Fabulierende, Spielerische.


    Geäußertes Mitgefühl als ad personam-Argument - idiotischer wird’s heute wohl nicht mehr. Oder geht da noch was?

    Ich habe das auch eher nett verstanden, aber sieh es mal anders. Denk Dir einfach einen Ironie-Smiley dahinter, der ja nach Meinung einiger überflüssig sein sollte. Dann klingt der Satz schon ganz anders!


    Oder zum Beispiel das:


    "Ich bedaure aufrichtig, dass Du den großartigen Sätzen der Ästhetik nicht folgen kannst, die einem so bedeutende verbindliche Erkenntnisse geben."


    Jetzt sollte klar sein, dass die Bemerkung keineswegs "idiotisch" ist, oder?

  • Was an Deiner Analyse der Ursache für das Misslingen betrifft, würde ich aber (auch wenn ich nicht sagen kann, ob sie zutrifft oder nicht, da ich die Inszenierung nicht kenne) in einem Punkt zur Vorsicht raten: Ich habe im Theater schon viele Dinge gelingen sehen, von denen ich mit voller Überzeugung gesagt hätte, dass sie nicht gelingen können. Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass der »Freischütz« als Künstlerdrama funktioniert, aber ich meine, wenn die Schwierigkeit, die mit einer solchen Idee und ihrer Kollision mit dem Stück (und den damit verbundenen Erwartungen) sehr genau bedacht wird, kann für das Problem möglicherweise doch eine Lösung gefunden werden, die vielleicht gerade darum besonders wirkungsvoll und ästhetisch befriedigend ist, weil sie mit besonders starker Anspannung gefunden und realisiert werden musste.

    Ja, nur - um im Bild zu bleiben - umso größer die Energie, die ich für das Zustandekommen der Kollision aufwenden muss, desto größer auch die Gefahr, das der Bogen der Anspannung bricht :wacko: Immerhin, wenn ich jetzt nochmal darüber nachdenke bzw. versuche, den Freischütz als Möglichkeit eines Künstlerdramas zu denken, komme ich eher auf Agathe, die ich mir als "Ziel" meiner überlegungen und Bemühungen auserwählen würde ...

    mfG Michael


    Eine Meinungsäußerung ist noch kein Diskurs, eine Behauptung noch kein Argument und ein Argument noch kein Beweis.

  • In dieser Kategorie gibt es aber einiges, was dich beeindrucken könnte. Natürlich der gesamte Janacek, aber immer nur eine Oper, am besten "Jenufa" am Anfang. Später dann das Totenhaus, das ist noch kühner als Zimmermann. Dann natürlich Wozzeck, ... und besonders, zum Starten, Herzog Blaubarts Burg.

    Die mich nicht interessierenden habe ich mal rausgestrichen, sorry, ich bin allerdings nicht astewes Wozzeck ist tatsächlich eine Hausnummer, die mich seit Jugendtagen begeistert, die Blinden von Beat Furrer in Köln fand ich sehr beeindruckend, Platon ist halt zeitlos und ich griefe Deinen Janaceck-Tipp auf und werde mir das Füchslein in der Felsenstein Inszenierung anschauen.


    Liebe Grüße vom Thomas :hello:

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  • Warum und wann Werktreue und wann sollte sie verbindlich sein und in welchen welchen Fällen muss sie es nicht sein. Ich will das nicht schon wieder alles aufrollen, so schwer ist doch das nicht zu kapieren. :wacko:

    Danke erst einmal, dass Du meine Frage beantwortet hast. Ich finde das nicht selbstverständlich.


    Das mit der Werktreue, ist mir nicht wirklich einleuchtend, da wir ja auf der einen Seite sehen, dass sklavisches an den historischen Texten festhalten, irgendwie Blödsinn ist. Alfred hat für sich in seinem Beitrag definiert, was er darunter verstehen möchte. Das ist okay, aber natürlich keine Ableitung und erst recht nichts objektiv Verbindliches. Vor allem folgt aus dieser Beschreibung der Werktreue nicht im mindesten, ob eine Aufführung gut oder Käse ist ...


    Du siehst also, dass für mich da noch vieles offen ist, ohne jetzt die Diskussion zu dem Thema wieder aufflammen lassen zu wollen. Notfalls kann ich auch auf den Begriff verzichten, weil es mir in der Aufführung erst einmal darauf ankommt, dass sie mich fesselt.

  • Da die adressierte Person es überhaupt nicht krumm genommen hat, bedarf es glaube ich keiner weiteren Trainingsratschläge von Spielfeldrand.

    "...man darf also gespannt sein, ob eines Tages das Selbstmordattentat eines fanatischen Bruckner-Hörers seinem Wirken ein Ende setzen wird."



  • Aber neben der Freiheit gibt es in diesem Akt des Verstehens und der produktiven Umsetzung seines Resultats in eine Inszenierung auch Verbindlichkeiten. Sie ergeben sich aus der Notwendigkeit, dass das sprachliche oder musikalische Kunstwerk in den für seine künstlerische Aussage konstitutiven Elementen in ihr repräsentiert sein muss, auf dass die im Bühnenwerk sich manifestierende Interpretation des historischen künstlerischen Werks von den Rezipienten als solche erfasst und erkannt werden kann.


    Das ist alles sehr interessant, trägt aber nichts zur Lösung der Frage bei. Du gehst davon aus und behauptest es, ohne es zu belegen, dass Theater die Darstellung eines dramatischen Kunstwerks ist. Wäre das so, könnte es kein Theater ohne ein dramatisches Kunstwerk geben, dass es aufführen kann. Da Theater aber offensichtlich auch ohne ein solches Kunstwerk stattfinden kann, ist die Prämisse ungültig, mithin sind es auch alle Folgerungen aus ihr.

    Das sehe ich nicht als Widerlegung der Position von Helmut und Holger. Ja, Theater muss nicht auf ein dramatisches Kunstwerk zurückgreifen, und wenn es das nicht tut, dann muss es natürlich auch keine Verbindlichkeiten beachten, die sich aus der Verwendung eines solchen Kunstwerks ergeben könnten. Aber wenn Theater ein dramatisches Kunstwerk verwendet, so lautet doch das Argument, dann müsse die Inszenierung auch das leisten, was Helmut in der zitierten Textpassage wohltuend konzis beschrieben hat, nämlich die "für seine künstlerische Aussage konstitutiven Elemente in ihr repräsentieren". Aber hier hängt alles an dem Wörtchen "muss", und dafür sehe ich immer noch keine Begründung. Es ist doch eine freie künstlerische Entscheidung eines Regisseurs (der i.d.R. stellvertretend für ein ganzes Team steht), ob er in einer Opernproduktion alle oder nur einige oder auch gar keine Aussagen des dramatischen Kunstwerks repräsentieren möchte (wobei das "gar keine" schwer fallen dürfte). Auch wenn ein Stück, wie man so schön sagt, gegen den Strich gebürstet wird, kann das Ergebnis hochinteressant und künstlerisch wertvoll sein. Es gibt einfach keine Möglichkeit, dieses "muss" zu begründen. Zum Beispiel ist Erlösung ein zentrales Thema des "Parsifal". Wenn man die "Verbindlichkeiten" dieses Werks beachten wollte, wie Du es verlangst, müsste der Regisseur auch auf der Bühne zeigen, dass am Ende jeder jeden erlöst hat und konsequenterweise zu den letzten Takten die weiße Taube über Parsifals Haupt schweben lassen. Aber natürlich darf den "Parsifal" auch ein Regisseur inszenieren, der mit diesem Erlösungskitsch (meine Meinung) nicht das geringste anfangen kann und stattdessen zeigt, dass die vermeintliche Erlösung nur aus leeren Phrasen besteht. Oder was auch immer. Und er kann damit ein großartiges Theaterkunstwerk schaffen (oder auch nicht).

    Der Traum ist aus, allein die Nacht noch nicht.

  • Da die adressierte Person es überhaupt nicht krumm genommen hat, bedarf es glaube ich keiner weiteren Trainingsratschläge von Spielfeldrand.

    Entschuldige, dass ich mich eingemischt habe. Ich fand die Formulierung unglücklich und zudem noch falsch und wollte das klarstellen, unabhängig davon, was die betroffene Person gedacht hat oder nicht. Es lesen hier noch andere mit.

  • Das ganze Theater hier im Thread ist eigentlich nichts weiter als Theater zum Theater. Ein bißchen Show, ein bißchen Egoismus, ein bißchen Rechthaberei und Selbstdarstellung, ein bißchen im Wasser paddeln mit dem Ziel, nicht zu ertrinken.

    Erinnert stark an radschlagende Pfaue; sie sind sich ihres schönen Federkleides bewusst und zeigen in aller Deutlichkeit, wie wohl man sich mit seinem hübschen Gefieder fühlt, aber sie bemerken nicht, wie lächerlich solch übertriebene Selbstdarstellung mitunter wirken kann.

  • Erinnert stark an radschlagende Pfaue; sie sind sich ihres schönen Federkleides bewusst und zeigen in aller Deutlichkeit, wie wohl man sich mit seinem hübschen Gefieder fühlt, aber sie bemerken nicht, wie lächerlich solch übertriebene Selbstdarstellung mitunter wirken kann.

    Solcherart Meta-Meta-Kommentare sind wiederum das Sahnehäubchen - wie Waldorf & Stetler bei der Muppets Show.


    "...man darf also gespannt sein, ob eines Tages das Selbstmordattentat eines fanatischen Bruckner-Hörers seinem Wirken ein Ende setzen wird."



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  • Wieso man Mozart, Verdi und Puccini mit etwas Glück im deutschen Sprachraum auch heutzutage noch in werkgerechten Inszenierungen erleben kann, Wagner indes - abgesehen von marginalen Ausnahmen - praktisch nicht mehr, dürfte daran liegen, dass gerade eine Abneigung gegenüber dem Germanisch-Mythologischen Einzug gehalten hat, welches beinahe automatisch auf der einen Seite in eine keineswegs zwangsläufige Verbindung mit Kitsch gebracht wird, auf der anderen Seite in unzulässiger Weise mit dem Nationalsozialismus vermengt wird. Es ist ärgerlich, dass sich RT-Regisseure besonders gerne und ausgiebig an Wagner austoben, gleichsam in unverbrüchlicher Hassliebe verbunden. Der sich aufdrängende Eindruck: Wenn man den Gottseibeiuns der Oper aufgrund seines Genies schon nicht von den Bühnen tilgen kann, so sucht man ihm doch auf andere Weise weitestgehend zu schaden.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Es ist schwierig, dem Libretto einen Bühnensinn zu verleihen, der sich auch Jahrzehnte bis Jahrhunderte nach der Abfassung von Text und Musik zu erschließen hat.

    Schwierig vielleicht, aber für einen Profi durchaus machbar. Gelungene Beispiele gibt es reichlich. Leider auch misslungene.


    Das Problem ist: Der Erschaffer muss sich (auch) in die Gedankenwelt seines Publikums hineinversetzen. Mathematisch ausgedrückt: Er muss in der Lage sein, das Koordinatensystem von sich selbst auf andere Personen zu transformieren, und wieder zurück. Theoretisch dürfte das zumindest den intelligenteren Menschen klar sein. Die Umsetzung ist dennoch schwierig. Z.B. beschäftige ich mich als Mathematiker und Ingenieur mit komplexen Fragestellungen im Anlagenbau. Die Ergebnisse präsentiere ich einer Runde von Spezialisten. Und doch kommt immer wieder die Kritik, ich würde zu wenig erklären. Meine Folien setzen zu viel Hintergrundwissen voraus. Obwohl ich genau weiß, dass ich da aufpassen muss. Es ist einfach ein Haufen Arbeit, den man da hat, und das unter Termindruck. Man ist glücklich und hat eine Lösung, aber es gelingt nicht immer, sie so darzustellen, dass die Idee dahinter von allen erkannt wird.


    So ähnlich geht es auch manchen Regisseuren. Selbst wenn ihre Idee gut ist. Und dann gibt es auch welche, da ist nicht mal die Idee gut. Oder es fängt gut an, aber irgendwann passt es nicht mehr.


    Aber wie gesagt, es gibt auch vollkommen gelungene Regiearbeiten, von der Idee bis zur Umsetzung. Für mich lohnt sich selbst bei einer "Trefferquote" von nur 50% der Besuch der Vorstellung. Eine risikolose Vorstellung lohnt sich für mich zu 100% nicht. Für sowas gibt es DVDs.

  • [...] Wagner indes - abgesehen von marginalen Ausnahmen - praktisch nicht mehr [in werkgerechten Inszenierungen], dürfte daran liegen, dass gerade eine Abneigung gegenüber dem Germanisch-Mythologischen Einzug gehalten hat, [...]

    Ist das mehr als ein Gefühl, d.h. läßt sich das belegen? - Wenn ich mir anschaue, was so auf den einschlägigen Streamingdiensten an Serien abgeht oder auch im Bereich PC-Gaming oder im ewig prosperierenden Fantasy-Buchmarkt, dann würde ich das erstmal nicht unterschreiben wollen ... vielleicht ist es ja eher so, dass heute kein Regiesseur mehr dem Publikum oder gar Wagner dass germanisch-mythologische antun möchte :untertauch:

    mfG Michael


    Eine Meinungsäußerung ist noch kein Diskurs, eine Behauptung noch kein Argument und ein Argument noch kein Beweis.

  • Ist das mehr als ein Gefühl, d.h. läßt sich das belegen? - Wenn ich mir anschaue, was so auf den einschlägigen Streamingdiensten an Serien abgeht oder auch im Bereich PC-Gaming oder im ewig prosperierenden Fantasy-Buchmarkt, dann würde ich das erstmal nicht unterschreiben wollen ... vielleicht ist es ja eher so, dass heute kein Regiesseur mehr dem Publikum oder gar Wagner dass germanisch-mythologische antun möchte :untertauch:

    Das ist ja das Merkwürdige. Ein wirklicher Opernfilm des "Rings" etwa steht bis heute aus. Selbst Karajan scheiterte daran nach dem Auftakt. Heute gäbe es die Technik für eine astreine naturalistische Umsetzung. Nähme man dazu die jetzt noch einmal neu remasterte legendäre Solti-Gesamtaufnahme als Grundlage und würde das á la Peter Jackson (für Nichteingeweihte: der Regisseur der "Herr der Ringe"-Verfilmung) aufziehen - das hätte schon etwas!

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • (...) Diese Art Fachautorität gegenüber völlig Fachfremden kann doch auch rhetorisch eingesetzt werden, um Argumentlosigkeit zu vernebeln. Deswegen versuche ich für mich immer, soweit den Argumenten zu folgen, wie es mir meine Zeit sinnvollerweise gestattet. Wenn ich dann nicht folgen kann, folgt eben auch nichts für mich. :) Sonst besteht doch defintiv die Gefahr, einfach nur einer "Autorität" zu glauben.

    Das ist - mit Verlaub - eine unangebrachte Unterstellung, - und darin typisch für die Art und Weise , wie schon lange in diesem Thread - leider! - dialogisch miteinander verkehrt wird.


    Ich hatte meinen obigen Beitrag ( Sinn oder Unsinn - Regietheater) abgeschlossen mit der Bemerkung:

    "Womit ich wieder beim Thema "Freiheit" in der Regie wäre (und die Leser meiner hiesigen Ausführungen um Verständnis dafür bitte, ein wenig Philosophie bemüht zu haben. Es musste sein. Das hier anstehende Thema ist in seinen Grundlagen nun einmal ein genuin philosophisch-ästhetisches)."


    In diesem Thread wurden Fragen aufgeworfen, die eine philosophisch-hermeneutische und ästhetische Dimension aufweisen, in die man vorstoßen muss, um reflektiert argumentieren zu können und zu einer fundierten Antwort auf die diesbezüglichen Fragen kommen zu können. Es geht um die Fragen "Werkgerechtigkeit" und "Freiheit und Verbindlichkeit" bei der Inszenierung eines historischen künstlerischen Werks, wie sie sich unvermeidlich im Zusammenhang mit dem Thema dieses Threads stellen.


    Es gibt keinen vernünftigen Grund, demjenigen, der, nach einer fundierten Antwort auf diese Fragen suchend, auch diese hermeneutische und philosophisch-ästhetische Dimension in seine Argumentation einbezieht, einen Vorwurf zu machen. Vor allem dann nicht, wenn er sich ersichtlich bemüht, dabei allgemein verständlich zu bleiben, - was aus meiner Sicht bislang zumeist der Fall war.

    Und schon gar nicht gehört es sich, ihm dabei bösartige Absichten zu unterstellen. Das vergiftet die dialogische Atmosphäre, wie man hier leidvoll erleben muss.


    Warum, geschätzter astewes, fragst Du in den Fällen, in denen Du etwas nicht verstehst, weil der Andere (und damit meine ich nicht mich) meint, Fachterminologie verwenden zu müssen, nicht nach, wie er das gerade sagen wollte, anstatt ihm Vorwürfe zu machen?

    Dann ist er gezwungen, sich auf die Ebene der Allgemeinverständlichkeit zu begeben.

    Das wäre für den zivilisierten und höflichen Umgang miteinander doch ganz gewiss förderlicher, und es würde sich eine angenehme und erfreuliche Atmosphäre im Diskurs einstellen.

    Meinst Du nicht auch?

  • Das ist ja das Merkwürdige. Ein wirklicher Opernfilm des "Rings" etwa steht bis heute aus. Selbst Karajan scheiterte daran nach dem Auftakt. Heute gäbe es die Technik für eine astreine naturalistische Umsetzung. Nähme man dazu die jetzt noch einmal neu remasterte legendäre Solti-Gesamtaufnahme als Grundlage und würde das á la Peter Jackson (für Nichteingeweihte: der Regisseur der "Herr der Ringe"-Verfilmung) aufziehen - das hätte schon etwas!

    Ein Traum, lieber Joseph II.! Die quälende Frage dabei: Mit heutigen Sängern? Oder mit durch künstliche Intelligenz remasterten Stimmen der Goldenen Ära wie Lauritz Melchior?

    "...man darf also gespannt sein, ob eines Tages das Selbstmordattentat eines fanatischen Bruckner-Hörers seinem Wirken ein Ende setzen wird."



  • Ein Traum! Die quälende Frage dabei: Mit heutigen Sängern? Oder mit durch künstliche Intelligenz remasterten Stimmen der Goldenen Ära wie Lauritz Melchior?

    Ich würde am ehesten dafür plädieren, als Grundlage den "Goldenen Ring" als Klassiker zu nehmen und optisch möglichst adäquate Schauspieler aufzutreiben, die das dann visuell gleichsam übernähmen. Ein opernerfahrener Regisseur wäre gewiss kein Fehler, dazu fachliche Beratung in sämtlichen Detailfragen. Nun fehlte uns eigentlich nur noch ein kunstsinniger Milliardär als Mäzen, der eine andere Liga besäße als Elon Musk und derartige Emporkömmlinge.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

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