Sinn oder Unsinn - Regietheater

  • Eine weitere "Begründungspflicht" gibt es nicht,

    Immerhin, das haben wir nun gelernt. Man lernt eben nie aus.

    Na ja, vielleicht könntest Du noch etwas bzgl. sinnentnehmender vs. sinnentstellender Zitation lernen:

    Wie gesagt begründen Künstler ihre Entscheidungen: durch ihre Kunst. Eine weitere "Begründungspflicht" gibt es nicht, [...]

    Im übrigen sind wir bei

    Ich finde es traurig, daß sich solche "Künstler" hier ungehindert austoben dürfen.

    jedoch einer Meinung, d.h. ich finde es auch (manchmal) traurig, wer sich hier so alles ungehindert austoben darf, wobei ich dies her nicht auf "Künstler" beziehen würde ... :hello:

    mfG Michael


    Eine Meinungsäußerung ist noch kein Diskurs, eine Behauptung noch kein Argument und ein Argument noch kein Beweis.

  • Das verstehe ich nicht. Bereits vor gefühlten 30 Seiten wurde dargelegt, dass sich die Wurzeln des sogenannten "Regietheaters" bis zu Mahler/Roller und Appia zurückverfolgen lassen.


    Man hat Mahler ja auch aus Wien weggeekelt


    Zumindest sollte seine erste Prämisse nicht notwendig sein, dass er entsprechend dem Publikumsgeschmack Kunst schafft. Er kann dies natürlich trotzdem tun, aber ich fände es falsch, dies von ihm zu erwarten oder gar zu fordern.

    Eigenartigerweise hat das aber all die Jahrhunderte über gut funktioniert. Der Auftraggeber bestellte ein Werk Gefiel es nicht, so war der "Künstler" im günstigsten Fall seinen Auftraggeber los - im ungünstigsten Fall seinen Kopf.

    Eine weitere Überlegung dazu: Gab es in den Untiefen dieses Fadens nicht auch eine Stimme, die sinngemäß sagte, RT-Inszenierungen seien kurzlebig, schnell vergessen, bedeutungslos?

    PRINZIPIELL gilt das eigentlich für jegliche Aufführung einer Oper eine Theaterstücks oder eines Konzerts. Es sei denn, es wurde aufgezeichnet.


    Soll eine Inszenierung "überdauern" so müsste sie reproduzierbar sein, was im Falle von RT nichts anderes bedeutet, als daß in "späteren Tagen" der dann agierende Regisseur genau die Anweisungen des Vorgängers ausführen müsste.

    Und genau das ist es was die Regietheaterfraktion per se ablehnt. Die halten sich scho a priori nicht an die Regieanweisungen des Autors.


    mfg aus Wien

    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Übrigens haben unsere Kombattanten inzwischen auch den thread "Sammelplatz für absurde oder lächerliche Inszenierungsideen" gekapert. Der sollte dafür da sein, was er im Titel behauptet, möglichst mit Bild. Der Stand: der letzte Beitrag zum Thema war eine Inszenierung von Salomé. Danach sofort der jetzt der sattsam (aber kaum sittsam) bekannte yellow mode , der offenbar nach dem Aufwärmen im ersten thread schon die RT-Skala (nach oben offen) Nr. 7 erreicht hat. Ich persönlich muss sagen: in diesen beiden Themen muss ich inzwischen zu viele Beiträge überspringen, um die Sache zu finden. In thread 1 ist es mir egal, aber dass der thread "Sammelplatz" gerade untergeht, ärgert mich.

    Aller Anfang ist schwer - außer beim Steinesammeln (Volksmund)

  • aber dass der thread "Sammelplatz" gerade untergeht, ärgert mich.

    Mich auch. Schade drum, er war eine Warnung für mich, was ich unter keinen Umständen weder im TV und schon gar nicht live sehen möchte. Wenn meine persönliche Meinung zur Schließung beigetragen hat, tut mir das leid, aber ich lasse mir nicht verbieten, bestimmte Inszenierungen als Vergewaltigung des Originals zu mißbilligen.

    La Roche

    Ich streite für die Schönheit und den edlen Anstand des Theaters. Mit dieser Parole im Herzen leb' ich mein Leben für das Theater, und ich werde weiterleben in den Annalen seiner Geschichte!

    Zitat des Theaterdirektors La Roche aus Capriccio von Richard Strauss.

  • PRINZIPIELL gilt das eigentlich für jegliche Aufführung einer Oper eine Theaterstücks oder eines Konzerts. Es sei denn, es wurde aufgezeichnet.

    Genau. Deshalb war der Vergleich zwischen den Kunstformen "Theateraufführung" und "Opernpartitur/-libretto", der hier zuvor mal ins Spiel gebracht wurde, von vornherein verfehlt. Man kann das eine nicht gegen das andere ausspielen. Da hatten mir Werner Hintze und Melomane schon sehr nett die Zusammenhänge erläutert (Dank!). Ohnehin habe ich so einige lehrreiche Gedanken aus diesem Thread gewinnen können. Und das, obwohl wir uns hier ja in einem Forum tummeln, das sich dem offenen Kampf gegen bestimmte Tendenzen der Kulturlandschaft und generell die Kunstfreiheit verschrieben hat.

  • Trotzdem verstehe ich die Schließung des Threads nicht. Immer wurde gefordert, über ein Stück nur dann zu diskutieren, wenn man es gesehen hat. Die Helsinki-Salome konnte jeder sehen (was aber auch nicht jeder der Diskutanten getan hat).

    Klar waren die Zitate aus der Partitur im Prinzip nur Nebensache, aber wenn auf der Bühne etwas anderes geschieht, als durch den Text ausgedrückt wird, ist das diskussionswürdig.

    Wird jetzt jede Diskussion zum Thema RT gelöscht? Warum wurde die Salomediskussion nicht von einem Moderator in einen neuen Thread verschoben, z.B. "Salome in Helsinki"?

    La Roche

    Ich streite für die Schönheit und den edlen Anstand des Theaters. Mit dieser Parole im Herzen leb' ich mein Leben für das Theater, und ich werde weiterleben in den Annalen seiner Geschichte!

    Zitat des Theaterdirektors La Roche aus Capriccio von Richard Strauss.

  • Was mir - abgesehen von den persönlichen Angriffen und Beleidigungen - sehr missfallen hat, war die permanente Wortklauberei.


    Das war - für mich - von einer Seite erkennbar gewollt und dient der Ermüdung bis hin zur Resignation des Gegenüber.


    Sicherlich:


    Unstreitig hat der Grundgesetzgeber aus leidvollen Erfahrungen die Kunstfreiheit zu einem der höchst geschützten Grundrechte erhoben, was nun die Okkupierung der Oper und des Musikdramas durch Theaterleute nahezu ohne Einschränkungen erlaubt.


    Anderseits sagte schon Goethe:


    Die nach Pressefreiheit schreien, missbrauchen sie am meisten.

  • Genau, was hat Kunstfreiheit=keine Zensur durch Behörden/Kirche damit zu tun, dass bestimmte künstlerische Aufgaben (ein Haus bauen oder ein vorhandenes Werk aufführen) nicht unbegrenzte Freiheiten zulassen? Ich habe den Missbrauch dieser Begrifflichkeit schon früher kritisiert. Selbstverständlich sind die Freiheiten von jemandem, der ein Werk aufführt, eingeschränkt, wem das nicht klar ist, der ist in einem "Klassikforum" vielleicht fehl am Platz.

  • Genau, was hat Kunstfreiheit=keine Zensur durch Behörden/Kirche damit zu tun, dass bestimmte künstlerische Aufgaben (ein Haus bauen oder ein vorhandenes Werk aufführen) nicht unbegrenzte Freiheiten zulassen?

    Tatsächlich nichts. Das eine sind externe Zwänge, das andere Notwendigkeiten, die sich aus dem Kunstwerk ergeben.


    Es kann aber schnell passieren, dass dann gesagt wird, eine solche Notwendigkeit sei zum Beispiel Komponieren im Stile des sozialistischen Realismus, weil nun mal erwiesen sei, dass alles andere keine wirkliche Kunst sondern formalistische Willkür sei. Wenn jetzt noch ein Staat kommt, der das durchsetzt, haben wir den Salat und beide Notwendigkeiten lustig durchmischt.


    Ich habe während der ganzen Auseinandersetzung absolut nicht verstanden, wieso aus einem Nichtbefolgen bestimmter aufgestellter Regeln die beschworene Willkürlichkeit folgen soll.


    Das hatte so ein bisschen den Geschmack von Äußerungen der Art, dass, wenn man nicht an Gott glaube, der Unmoral Tür und Tor geöffnet werde.

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  • Ich habe während der ganzen Auseinandersetzung absolut nicht verstanden, wieso aus einem Nichtbefolgen bestimmter aufgestellter Regeln die beschworene Willkürlichkeit folgen soll.

    Wenn man als Aufführender eines Werkes verneint, ein Werk aufzuführen, so ist das natürlich eine Strategie, jegliche Verbindlichkeit loszuwerden. Das ist das, was mich hier eigentlich gewundert hat, da ich von früheren Diskussionen ganz andere Strategien kannte: Regietheater "übersetzt" die Botschaft des Werks in die Gegenwart etwa - stattdessen kam hier jetzt einfach: Ich mach was ich will und das einzige Werk, um das es geht, ist meines. Es sollte klar sein, wo das Problem liegt - nämlich darin, dass das Problem gar nicht mehr wahrgenommen wird (historisches Werk auf die heutige Bühne bringen). Das ist schon etwas spaßig, muss ich sagen. Immerhin könnte es sein, dass dadurch tatsächlich der Untergang der Strömung "Regietheater" eingeleitet werden könnte, denn Theorie und Kritik werden damit nicht zufrieden sein können. Ich glaube aber nicht, dass die zwei, die hier diese Meinung vertreten haben, irgendwie repräsentativ für den Betrieb damit sind, man sollte das also nicht zu ernst nehmen.

  • Wenn man als Aufführender eines Werkes verneint, ein Werk aufzuführen, so ist das natürlich eine Strategie, jegliche Verbindlichkeit loszuwerden

    In dieser Allgemeinheit wurde das m.E. nicht gesagt. Es wurde auch unterschieden zwischen einer Aufführung zum Beispiel eines Klavierstückes und einer Theaterinszenierung.


    Dass selbst bei der Aufführung eines Klavierstückes noch einmal die Aufführung als eigenes Kunstwerk rezipiert wird, wird man kaum bestreiten können. Man könnte ja einfach aus dem Notentext einen MIDI-File machen und den auf einem Midi-fähigen Flügel abspielen. Solche "Werke" sind tatsächlich im Internet zu finden :) Und alle Richter-Fans wären sicher enttäuscht, wenn Richter kein Künstler wäre, der kein eigenes Kunstwerk erzeugt :)!


    Die Frage ist doch im Endeffekt, in welcher Relation steht das Werk Partitur K. 280 zum Werk Aufführung von K.280? Diese Frage scheint mir bisher noch nicht befriedigend beantwortet und auch nicht wirklich diskutiert worden zu sein.


    Selbstverständlich spielen da auch Moden eine Rolle oder, wenn man es gelehrter ausdrücken möchte, das allgemeine Verständnis dieser Relation hat eine historische Dimension. Und dann natürlich, welche Freiheit hat denn der Künstler, wenn er K 280 aufführt? Ist es nicht auch essentiell, dass er Moden sprengen darf? Ich wüßte nicht wie sich sonst neues Verständnis Bahn brechen könnte :)

  • Ich habe während der ganzen Auseinandersetzung absolut nicht verstanden, wieso aus einem Nichtbefolgen bestimmter aufgestellter Regeln die beschworene Willkürlichkeit folgen soll.

    Das ist auch nicht zu verstehen, weil es einen solchen Zusammenhang schlicht nicht gibt.


    Es wurde auch unterschieden zwischen einer Aufführung zum Beispiel eines Klavierstückes und einer Theaterinszenierung.

    Ja, man kann das nicht einfach gleichsetzen. Trotzdem gibt es ein paar Parallelen bzw. Gemeinsamkeiten: Sowohl das Theaterkunstwerk als auch das musikalische Kunstwerk finden grundsätzlich in der Gegenwart statt und sind nicht wiederholbar. Entstehung und Rezeption fallen zeitlich zusammen, weshalb es "altes Theater" genauso wenig gibt wie "alte Musik". Beide können einen Text bzw. eine Partitur verwenden, müssen es aber nicht. In diesem Text, wenn er denn verwendet wird, gibt es kein einziges Zeichen (kein Wort, kein Satz, keine Note, keine Phrase usw.), das eine verbindliche Ausführung vorgibt, der Text als Ganzes tut es also schon gar nicht.

    "Herr Professor, vor zwei Wochen schien die Welt noch in Ordnung."
    "Mir nicht."
    (Theodor W. Adorno)

  • Also diese ganze Material- und Unverbindlichkeitsmasche verstehe ich als pädagogischen Kniff, geboren aus der Erfahrung, dass die Studenten zu wenig eigene Gestaltungskraft zu zeigen sich erlauben. Womöglich glaubt man es dann, nachdem man es tausendmal gepredigt hat, irgendwann selbst ...

    :/

  • Vor gefühlt 1000 Beiträgen habe ich geschrieben, dass Musik und Theater sich in Bezug auf Aufführungspraxis krass auseinanderentwickelt haben. Musikalisch wird im wesentlichen werktreu gearbeitet mit Einfluss einer historisch informierten quasi rekonstruierenden Strömung. Auf der Bühne wird "etwas Aktuelles" geboten, dessen Bezug zum historischen Werk variabel oder unverbindlich ist. Im Falle einer Opernaufführung kommt es also zur Kollision zweier Konzepte, was für mich nicht befriedigend ist, da man während der Dauer der kompletten Aufführung hörend eine Aufführung eines historischen Werkes und sehend modernes Musiktheater vorgesetzt bekommt.


    In dieser Form ist mE das Regietheater eine Missgeburt.


    Man könnte das retten, indem der musikalische Teil auch entsprechend umgekrempelt wird. Zuerst selbstverständlich das völlig unpassende bürgerliche Orchester weg und durch eine Rock-Formation und natürlich Elektronik ersetzen. Dadurch fällt auch die Bindung an das völlig unpassende Opernhaus weg, besser in eine Fabrikshalle. Wenn dann ein begnadeter Regisseur ähnlich wie im (mehr oder weniger experimentellen) Autorenfilm ein paar Fetzen Tradition verarbeitet, habe ich keine ästhetischen Bedenken mehr.

  • Und alle Richter-Fans wären sicher enttäuscht, wenn Richter kein Künstler wäre, der kein eigenes Kunstwerk erzeugt :) !

    Natürlich ist es ein Kunstwerk, wenn sich Richter ans Klavier gesetzt und das B-Moll Klavierkonzert gespielt hat. Die Rolle, die Tschaikowski dabei spielt, die Wiener Sinfoniker oder Karajan wird außer acht gelassen? Wo willst Du da eine Grenze ziehen, wer in ebendieser Aufnahme ein Kunstwerk erzeugt. Schafft jeder ein eigenständiges Kunstwerk? Ich glaube nicht.


    Das war allerdings nur ein Beispiel. Wenn Richter solo gespielt hat, ist die Grenze nur auf 2 Positionen definierbar? Den Komponisten und den Interpreten?

    La Roche

    Ich streite für die Schönheit und den edlen Anstand des Theaters. Mit dieser Parole im Herzen leb' ich mein Leben für das Theater, und ich werde weiterleben in den Annalen seiner Geschichte!

    Zitat des Theaterdirektors La Roche aus Capriccio von Richard Strauss.

  • Das war allerdings nur ein Beispiel. Wenn Richter solo gespielt hat, ist die Grenze nur auf 2 Positionen definierbar? Den Komponisten und den Interpreten?

    Entscheidend ist vielleicht, dass beide innerhalb einer Aufführungspraxis agieren, die Regeln vorgibt, ohne die weder die Notation des Komponisten lesbar noch die Aufgabe des Pianisten sinnvoll leistbar ist.

    Also:

    1) Der Komponist tut seinen Willen in Bezug darauf, wie seine Musik klingen soll, mittels Notation kund.

    2) Es gibt Regeln, die die Freiheit desjenigen einschränken, der die Noten verwendet, um Klänge zu erzeugen.

  • Man könnte das retten, indem der musikalische Teil auch entsprechend umgekrempelt wird. Zuerst selbstverständlich das völlig unpassende bürgerliche Orchester weg und durch eine Rock-Formation und natürlich Elektronik ersetzen. Dadurch fällt auch die Bindung an das völlig unpassende Opernhaus weg, besser in eine Fabrikshalle. Wenn dann ein begnadeter Regisseur ähnlich wie im (mehr oder weniger experimentellen) Autorenfilm ein paar Fetzen Tradition verarbeitet, habe ich keine ästhetischen Bedenken mehr.


    Ich grundsätzlich auch nicht. Trotzdem könnte das für meinen Geschmack immer noch Käse sein oder aber auch gut. Das kann man aus der Beschreibung alleine nicht erschließen. Viel hängt dann doch von der Aufführung an sich ab, oder?


    Ein Punkt, der mich hier beschäftigt, ist der der Extreme. Man kann jedes Werk so verfremden, dass ohne Erklärung keiner mehr versteht, wieso er jetzt zu der Aufführung gegangen ist (sagen wir RT-Theater vom Schlimmsten!). Die Aufführung als solche kann natürlich trotzdem begeistern.


    Umgekehrt kann man versuchen ein Werk so aufzuführen, wie es der eigenen Meinung nach zur Zeit seiner Entstehung vom Komponisten / Librettisten geplant gewesen sei.


    Beides lässt sich leicht zur Karikatur gestalten.


    Ich sehe aber dazwischen, je länger ich darüber nachdenke, nur graduelle Unterschiede. Es wird de facto an allen Stellen Neues mit Altem gemischt! Dem einen gefällt die Mischung, dem anderen eben nicht. Aber diesen theoretischen Zwang, etwas nur so und nicht anders zu machen, kann ich immer weniger nachvollziehen. Im Endeffekt entscheidet dann doch die Aufführung, so bildet sich das bei mir immer stärker heraus.


    Es scheint sich im Endeffekt dann doch um Geschmackurteile zu handeln, berechtigt, aber eben nicht generalisierbar.

  • In dem Moment, indem man sagt, es ist nicht die Musik des Komponisten, sondern meine Musik, ich verwende die Noten nur als Material und bin nur mir Rechenschaft schuldig, entledigt man sich theoretisch den Grundlagen der Aufführungspraxis der klassischen Musik und bereitet eine Situation zu, in der der Willkür des Musikers keine Grenzen gesetzt sind.

  • Entscheidend ist vielleicht, dass beide innerhalb einer Aufführungspraxis agieren, die Regeln vorgibt, ohne die weder die Notation des Komponisten lesbar noch die Aufgabe des Pianisten sinnvoll leistbar ist.

    Also:

    1) Der Komponist tut seinen Willen in Bezug darauf, wie seine Musik klingen soll, mittels Notation kund.

    2) Es gibt Regeln, die die Freiheit desjenigen einschränken, der die Noten verwendet, um Klänge zu erzeugen.

    1 ist klar

    2.) Ist sicher richtig!


    aber ich würde bei 2.) auch sehen wollen, dass die Auseinandersetzung mit dem Notentext des Komponisten und damit den vom Komponisten vorgegebenen Regeln (soweit wir sie heute verstehen) dem Pianisten aber auch Freiheiten gibt. Wenn ich zum Beispiel lese, dass bestimmte Widerholungen zu bestimmten Zeiten gespielt wurden, um Melodien besser einprägsam zu machen, gibt mir dieses Verständnis ja auch die Möglichkeit in bestimmten Situationen anders zu entscheiden, weil ich bemerke, dass dieser Effekt gerade kontraprouktiv sein könnte und Langeweile erzeugen ....


    Eigentlich ist doch jede Sache komplizierter, je länger man drüber nachdenkt ....

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  • Wahrscheinlich braucht man das für die Beurteilung, irgendwas, woran man sich anhält, eine grundlegende Theorie. Es ist viel einfacher, alles, was nicht modernisiert ist, als "historisierend" oder "kitschig" abzulehnen, als mehrere grundlegend entgegengesetzt konzipierte Herangehensweisen in der Geglücktheit der jeweiligen Umsetzung zu beurteilen. Natürlich auch umgekehrt, es ist einfach, alles abzulehnen, was vom Text abweicht. Und zum anderen ist noch der politische Wille da: Man möchte nicht die politische/moralische Botschaft des alten Werks ungebrochen transportieren, weil man selber seine eigene Weltanschauung zum Ausdruck bringen will. Das macht den aktuellen Zwang zur Verfremdung auf den Bühnen für mich schon verständlich.

  • In dem Moment, indem man sagt, es ist nicht die Musik des Komponisten, sondern meine Musik, ich verwende die Noten nur als Material und bin nur mir Rechenschaft schuldig, entledigt man sich theoretisch den Grundlagen der Aufführungspraxis der klassischen Musik und bereitet eine Situation zu, in der der Willkür des Musikers keine Grenzen gesetzt sind.

    Wir sind doch alle Opfer der Willkür der Musiker, wenn man das so negativ sehen möchte, welches Musikers auch immer. Nur weil es zu einem Musiker lange theoretische Untersuchungen gibt, sind doch die Kunstwerke trotzdem immer Schöpfungen eines kreativen Geistes und unterliegen dieser Form von Willkür.


    Das ist aber für mich nur dann ein Problem, wenn ich nicht erkennen kann, was oder wo die Kunst ist. Aber, wenn ich das nicht erkennen kann, hilft mir dann irgendein Hinweis über eine klar geregelte Aufführungspraxis?


    Der MIDI-File wäre dann doch das Ideale. Wir haben einen mechanischen Prozess, um aus einem Notentext eine Aufführung zu machen. Willkür ist absolut ausgeschlossen :)

  • Der MIDI-File wäre dann doch das Ideale. Wir haben einen mechanischen Prozess, um aus einem Notentext eine Aufführung zu machen. Willkür ist absolut ausgeschlossen :)

    Eher das Tonband, das vom Komponisten selbst hergestellt wird. Aber selbst der in diesem Thread mehrfach angesprochene Stockhausen, der ja maximale Kontrolle wollte, war davon dann doch nicht ganz zufriedengestellt, und beschäftigte menschliche Ausführende mit Willkürresten.

    :)

  • Und zum anderen ist noch der politische Wille da: Man möchte nicht die politische/moralische Botschaft des alten Werks ungebrochen transportieren, weil man selber seine eigene Weltanschauung zum Ausdruck bringen will. Das macht den aktuellen Zwang zur Verfremdung auf den Bühnen für mich schon verständlich.

    Auch das siehst Du eventuell zu negativ. Natürlich ist es nicht ausgeschlossen, dass irgendein politisch Motivierter eine alte Botschaft einfach durch eine neue ersetzen möchte. Aber ich denke ganz einfach, dass man beim Analysieren von Text und Partitur versucht, eine aktuelle Aufführung zu machen, denn das ist die Aufführung nun einmal. Sie findet heute statt unter heutigen Menschen ... Da wird es sicher Scharlatane geben, die einfach etwas Zusammenschustern, um aus dem Material etwas zu machen, was wie eine Aufführung aussieht, aber auch große Künstler, wie immer und überall und zu jeder Zeit.


    Aus alledem bisher Gesagten ist mir aber nicht klar, auf welcher Seite nun diese weniger großen Künstler zu finden sind, wenn man mit diesen Schubladen arbeiten möchte. Irgendwie scheine ich nicht darum herumzukommen, die Werke zu rezipieren, die ich selbst für mich beurteilen will.


    Kunst nach drei Kriterien zu beurteilen, die ich im Schnellverfahren abhandeln kann, wird wahrscheinlich nicht zu einem "gültigen" Urteil führen.


    Ich benutze für mich natürlich auch solche Kurzschlüsse, indem ich zum Beispiel HipHop ablehne ... :). Das basiert darauf, dass ich ein paarmal solche Musik gehört und nicht verstanden habe. Sie ging mir auf die Nerven. Ich bin aber weit davon entfernt, daraus nun eine Philosophie basteln zu wollen.


    Wer weiß, was ich noch zu hören kriege :hello:

  • Ich benutze für mich natürlich auch solche Kurzschlüsse, indem ich zum Beispiel HipHop ablehne ... :). Das basiert darauf, dass ich ein paarmal solche Musik gehört und nicht verstanden habe. Sie ging mir auf die Nerven. Ich bin aber weit davon entfernt, daraus nun eine Philosophie basteln zu wollen.

    Dass ich so auf den "rekonstruierenden" Zugang stehe, liegt daran, dass mich die alte Musik eben so erst so richtig erreicht hat. Und seit mir dieser mögliche Zugang bekannt ist, stören mich auch sonst schnell spätere Zutaten/Verschlimmbesserungen, sei es die hinzugefügte Computergrafik in den DVD-Ausgaben der ersten Star-Wars-Trilogie von um 1980, sei es ein Scheinwerfer, der die Lichtführung in Le Corbusiers Villa in Paris zerstört usw. usf. So bin ich dann zu meinem persönlichen Geschmacks-Dogma gekommen, alles möglichst "unverfälscht" rezipieren zu wollen, also auch alle Filme in Originalsprache mit Untertiteln usw. usf., was manchmal dann auch nicht mehr wirklich für mich ideal ist, weil ich bei Komödien mit Mitlesen der Übersetzung am Anschauen des Films gehindert werde, weil es zu schnell geht ...

  • Eher das Tonband, das vom Komponisten selbst hergestellt wird.

    Es fast eine allgemein bekannte Tatsache, die man auch anhand vieler Tonaufnahmen nachprüfen kann, das Komponisten nur selten die besten oder auch nur wirklich gute Interpreten ihrer eigenen Werke sind. Was hätte man also von so einem Tonband? Und selbst wenn wir wissen, wie der Komponist sein Stück vor 100 Jahren gespielt hat, woher wissen wir, dass er es heute genauso machen würde? Oder ist das egal?

  • Kunst nach drei Kriterien zu beurteilen, die ich im Schnellverfahren abhandeln kann, wird wahrscheinlich nicht zu einem "gültigen" Urteil führen.

    Ich möchte jetzt eigentlich nicht unbedingt die üblichen Kriterien in Frage stellen, also etwa Originalität, Einfluss, struktureller Zusammenhalt, um es auf 3 zu reduzieren.

    Allerdings ist mir tatsächlich bei einem Interpreten die Originalität relativ egal, bei einem Komponisten nicht. Ich bin nunmal eher Werk- und weniger Performance-orientiert.

  • Natürlich ist es ein Kunstwerk, wenn sich Richter ans Klavier gesetzt und das B-Moll Klavierkonzert gespielt hat. Die Rolle, die Tschaikowski dabei spielt, die Wiener Sinfoniker oder Karajan wird außer acht gelassen?

    Ich hatte jetzt gar nicht an ein Klavierkonzert gedacht, weil da natürlich die Mitwirkenden mehr als nur Sviatoslaw Richter sind ... Aber ja, wenn Du das b-Moll Konzert von Tschaikowski im Konzert hörst, hörst Du in diesem Fall (nun schon was länger her) ein Kunstwerk der Herren Richter, Karajan und der agierenden Wiener Philharmoniker. Die haben sich natürlich mit der Partitur von Pjotr auseinandergesetzt, aber der Rezipient muss das doch wohl nicht wissen, um die Kunst zu genießen. Wenn es ihn interessiert, kann er natürlich ermitteln, von wem die zugrundeliegende Partitur ist und kann dieser Leistung selbstverständlich Tribut zollen ...

  • Es fast eine allgemein bekannte Tatsache, die man auch anhand vieler Tonaufnahmen nachprüfen kann, das Komponisten nur selten die besten oder auch nur wirklich gute Interpreten ihrer eigenen Werke sind. Was hätte man also von so einem Tonband? Und selbst wenn wir wissen, wie der Komponist sein Stück vor 100 Jahren gespielt hat, woher wissen wir, dass er es heute genauso machen würde? Oder ist das egal?

    Hm, ich würde ein vom Komponisten erzeugtes Tonband nicht als "vom Komponisten gespielt" bezeichnen. Die ersten Tonband-Kompositionen sind übrigens noch nicht 100 Jahre alt. Ich habe Stockhausen genannt, Studie I und II heißen die Dinger, die dann zu seiner Abkehr von der völligen Durchorganisation des Klanges durch den Komponisten unter Entledigung des Interpreten geführt haben. Vorher hat vor allem Stuckenschmidt die Ersetzung des "willkürlichen" Interpreten durch die Maschine gefordert.


    Soviel zu den allgemein bekannten Tatsachen, hehe

  • Wenn man als Aufführender eines Werkes verneint, ein Werk aufzuführen, so ist das natürlich eine Strategie, jegliche Verbindlichkeit loszuwerden.

    Nein. Wenn ein Aufführender verneint, ein Aufführender zu sein, ist das Unsinn. Aber anders herum ist es nicht besser: Wenn einer sagt, er sei ein Aufführender, obwohl er es nicht ist. Theater ist nicht die Aufführung eines Dramas (schon gar keines »Musikdramas« – ich meine, wir können uns getrost an Wagner und seine brillante Darstellung halten, warum diese Begriff sinnlos und unbenutzbar ist), das wurde nun oft genug gezeigt, ohne dass dem Nachweis bisher wirksam widersprochen wurde, weshalb wir ihn vorläufig als gültig annehmen können. Also sind die Theaterkünstler keine Aufführenden. Also gibt es keinen Grund, dass sie sich so nennen.

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