Ich weiß, es gibt auch den Thread „Komponisten & Urlaub?“, doch möchte ich diese Thematik abseits davon hervorheben, da es beim Traunsee eine besondere Konzentration an Komponisten der Romantik und Moderne gab und es mir auch zu schade wäre, dieses auf einen See konzentrierte umfangreiche Essay (ich bin auf 14 A4-Seiten ausschl. Text gekommen) möglicherweise in Teilen untergehen zu lassen. Denn ich kann mir vorstellen, dass es nicht wenige Leser gibt, die sich bei neuen Beiträgen eines schon bestehenden Threads meist nur auf den letzten Beitrag konzentrieren und die zuvorgehenden automatisch für älter halten.
Dass diese Abhandlung doch etwas länger wurde liegt nicht nur daran, dass ich sechs Komponisten herangezogen habe, sondern den auch manchmal interessanten Geschichten die damit verbunden sind. Wer an ausnahmslos belanglose Urlaubsepisoden denkt, liegt jedenfalls teilweise falsch. Es spielte sich hier etwa auch eine Liebestragödie mit späterem tödlichen Ausgang ab, eine Enteignung während des Nationalsozialismus, tiefe Trauer um einen verstorbenen Komponisten, oder ein etwas amüsantes Freundschaftsverhältnis ungleicher Männer. Eine der weltweit meist gespieltesten Sinfonien, oder das erste Zwölftonwerk in der Musikgeschichte wurden hier entworfen. Vorab: Keiner der hier präsentierten Wohnstätten ist als Museum besuchbar sondern in Privatbesitz, aber es sind noch einige Originalstätten vorhanden und von außen zu besichtigen. Es gibt in Gmunden auch ein Brahms-Museum, nämlich im Kammerhofmuseum. Im Folgenden werden die Aufenthalte von Brahms, Schubert, Bártok, Schönberg, Korngold und Goldmark behandelt.
Ein paar grobe Daten zum Traunsee: Dieser ist mit 24,35 km2 der viertgrößte und mit 191 m der tiefste See Österreichs. Am Ufer liegen vier Hauptorte bzw. Gemeinden. Im Norden Gmunden (mit 13.251 Einwohnern auch schon als Kleinstadt zu bezeichnen), im Süden Ebensee (7.515 Einwohner) und an der westlichen Uferseite Altmünster (9.857 Einwohner) und Traunkirchen (1.680 Einwohner), welche noch jeweils eigens benannte Ortsteile haben. Etwa „Siegesbach“ oder „Imwinkl“ bei Traunkirchen, oder „Traunlneiten“ bei Gmunden. Da an der östlichen Uferseite der 1.691 m ü.A. hohe Traunstein, Großer Sulzkogel (1.105 m), Kleiner Schönberg (894 m), Hochlindach (917 m), Seeturm (1.256 m), sowie Loser (1.144 m) größtenteils steil in den See abfallen, gibt es hier bis auf den nordöstlichen Gmundner Teil (vor dem Grünberg) keine Siedlungen. Eine biologische Besonderheit: In dem See gibt es eine endemische Fischart, der Riedling.
Johannes Brahms
Dieser wohnte nicht direkt am Traunsee sondern besuchte bei seinen Sommeraufenthalten in Ischl des Öfteren die befreundete Familie Miller-Aichholz in Gmunden, Lindenstraße 11. Hier trafen sich auch andere Künstler, sowie Kunstkritiker wie etwa Joseph Joachim oder Eduard Hanslick. Das kam daher, da die Familienmitglieder einerseits wohlhabende Industrielle, aber auch gleichzeitig Kunstmäzene waren.
Wie wurde aber Brahms zunächst auf diese Gegend aufmerksam? Mit 34 Jahren unternahm er im August 1867 gemeinsam mit seinem Vater Johann Jacob eine Reise um Österreich besser kennenzulernen. Dabei war er auch einige Tage im Salzkammergut unterwegs. Wahrscheinlich waren es diese Eindrücke die ihn dazu bewogen im Jahr 1880 zum ersten Mal in Ischl den sommerlichen Ausgleich von dem üblichen Wiener Stadtleben (er ließ sich ab 1871 endgütlig in Wien nieder) zu suchen. 1882 und schließlich alljährlich von 1889 bis 1896 war er dort wieder von Mai bis September ein Sommergast in der damaligen Salzburgerstraße 51, der heutige Vorsteherweg 3. Der Komponist und Dirigent Gustav Jenner (1865 – 1920) beschreibt die damaligen Umstände folgendermaßen:
„Er wohnte in einem der letzten Häuser, etwas erhöht über der Straße gelegen, gegen Strobl zu. Da es an der Berglehne steht, so trat man aus dem Brahm’schen im oberen Stockwerk gelegenen Zimmer nach hinten sofort ins Freie; einige Schritte hin stand eine Bank und in wenigen Minuten war man im Wald, der sich hinter dem Hause oben vom Berge herunterzieht […]Die idyllische Ruhe und Einsamkeit wurde freilich dadurch etwas gestört, daß die Wirtsleute, brave und einfache Menschen, die den unteren Teil des Hauses bewohnten, mit Kindern reich gesegnet waren. Dieser missliche Umstand und die übergroße Einfachheit der Wohnung, die Brahms zuweilen Besuchern gegenüber ein wenig peinlich werden konnte, veranlasste ihn einmal, sich […] nach einer anderen Sommerwohnung in Ischl umzusehen. […] Als ich ihn fragte, wie es ihm gegangen, erzählte er mir, er habe nach einigem Suchen eine Wohnung gefunden, die ihm in jeder Weise zusagte. Da ihm aber vor der Rückreise noch ein wenig Zeit zur Verfügung gestanden, sei er aus Anhänglichkeit zu seiner alten Wohnung hinaufgepilgert; und nun seien ihm seine Wirtsleute so freundlich entgegengekommen, insbesondere hätten sich die Kinder so über seinen Besuch gefreut, daß er es nicht übers Herz bringen konnte, ihnen zu sagen, daß er eine andere Wohnung genommen, vielmehr habe er es ihnen als selbstverständlich hingestellt, daß er zum Sommer wiederkommen werde. Und so geschah es. Brahms […] bezog […] wieder seine alte Wohnung, der er bis an sein Lebensende treu geblieben ist.“
Durch den Freund und Förderer Viktor von Miller zu Aichholz besuchte er dessen Villa in Gmunden zwischen 1890 und 1896 mehrmals. In diesen Sommeraufenthalten arbeitete er etwa am 2. Streichquintett C-Dur op. 111, an den sechs Quartetten für vier Singstimmen und Klavier „Zigeneuerlieder“ op. 112, an dem Trio für Klarinette, Violoncello und Klavier a-moll op. 114, an dem Quintett für Klarinette und Streichquartett h-moll op. 115, den sechs und vier Klavierstücken op. 118, op. 119 oder den Sonaten für Klarinette oder Viola und Klavier f-moll und Es-Dur op. 120.
Schon 1880 schrieb er an seinen Freund Theodor Billroth: „Ischl aber muss ich sehr loben und da nur mit dem einen gedroht wird, daß halb Wien sich hier zusammenfindet, so kann ich ruhig sein – mir ist das Ganze nicht zuwider. Ich wohne höchst behaglich […]. Vielleicht hält dich das Klima ab; es ist sehr warme weiche Luft und regnet viel. Dagegen aber sind die Wohnungen, Wege und auch die Wirtshäuser gut.“
Zu Viktor Miller-Aichholz verband Brahms wohl eine Art Hassliebe, denn der Kontakt zwischen den Beiden lief nicht immer reibungslos ab. Miller-Aichholz oder nach damaliger Schreibweise Miller zu Aichholz, war einst Klavierschüler des bekannten Julius Epstein und wurde dabei ausgewählt die Noten bei einer Probe eines Kammermusikwerkes von Brahms umzublättern. Angeblich tat sich dieser mit der schwer lesbaren Handschrift desjenigen schwer und traf dabei nicht immer den richtigen Zeitpunkt zum Umblättern. Brahms soll ihn daraufhin erzürnt weggejagt haben, woraufhin ihm der Gehilfe aus Scham nicht mehr begegnen wollte. Später kam es aber doch noch zu einer Zusammenkunft, welche die alten Wunden scheinbar vergessen ließen. Doch die Verbindung blieb, nach der Erinnerung Max Kalbecks, allem Anschein nach weiterhin recht speziell. Dieser war als Sommergast des Jahres 1893 in Ischl Augenzeuge folgender Begegnung:
„Nachdem er sie mir alle neun – die Rhapsodie in Es-Dur Nr. 10 war noch nicht fertig – zweimal, und so mächtig, klangvoll, groß und zart, wie nur er es verstand, vorgespielt hatte, und wir aus dem Musikzimmer wieder in die Vorderstube hinüber gegangen waren, klopfte es. Brahms rief ein wenig ärgerlich ‚Herein‘! Zu unserer Freude erschien Miller zu Aichholz in der Türe, ließ sich aber nicht bewegen, Platz zu nehmen, trotzdem ihm von uns Beiden immer wieder versichert wurde, daß wir nichts weiter vorhätten, und er uns herzlich willkommen sei. Ohne Zweifel wäre er gern geblieben, denn er war eigens von Gmunden herübergekommen, um uns zu sich einzuladen, wie wir bald darauf erfuhren, wenn nicht Brahms mit der Faust auf den Tisch geschlagen, ihm den Rücken zugedreht und geschrien hätte: ‚Also denn nich‘! Miller zu Aichholz erschrak und verschwand. Als wir Beiden dann miteinander ins Hotel Elisabeth zu Tisch gingen, sagte Brahms, der seine Hitze bereits bereute: ‚Der Miller ist doch ein ganz famoser Kerl, wenn er nicht nur immer um Entschuldigung bäte, daß er überhaupt vorhanden ist. Ich habe mich vorhin höllisch zusammen nehmen müssen, um nicht grob zu werden‘“.
Der Schilderung nach spielte Brahms hier seine sechs op. 118 und vier Klavierstücke op. 119. Als letztes Stück von op. 119 befindet sich die erwähnte Rhapsodie Es-Dur, Allegro risoluto. Resolut, das war dann wohl auch die musikalische Vorwegnahme von Brahms Reaktion gegenüber Miller-Aichholz.
op. 119 Rhapsodie Es-Dur, Allegro risoluto
Diese Stücke komponierte er während deses Sommeraufenthaltes zwischen etwa Mai und Anfang Juli, da er Clara Schumann die einzelnen Stücke je nach Fertigstellung separat zuschickte. Uraufgeführt wurden diese jedoch von der damals jugendlichen Ilona Eibenschütz die sich später 60jährig an den Sommer 1893 erinnerte:
„Es war ein unvergessliches Vergnügen für mich, als Brahms eines Tages im Sommer 1893 nach dem Abendessen zu mir sagte: ‚Ich werde Ihnen vorspielen, was ich gerade komponiert habe. Ich möchte, dass Sie es einstudieren.’ Nur meine Familie durfte zuhören, aber nicht im Musikzimmer, sondern von draußen, auf der Treppe. Er probierte nur kurz das Klavier aus und begann zu spielen, die g-Moll-Ballade, die Intermezzi, schließlich alle Klavierstücke Opus 118 und 119. Er spielte, als würde er improvisieren, mit Herz und Seele, manchmal vor sich hin summend, alles um sich herum vergessend. Sein Spiel war alles in allem groß und edel, wie seine Kompositionen. Es war natürlich die wundervollste Sache für mich, diese Stücke zu hören, von denen noch niemand etwas ahnte. Ich war die erste, für die er sie spielte. Als er fertig war, war ich sehr aufgeregt, und wusste kaum, was ich sagen sollte. Ich murmelte nur, ich müsse sofort darüber an Frau Schumann schreiben. Er sah mich an und sagte: ‚Aber sie haben Ihnen doch gar nicht gefallen! Wie können sie etwas darüber schreiben?’ Und mit einem Augenzwinkern fügte er hinzu: ‚Sie haben nicht ein einziges Stück Da Capo verlangt!’ Ich war geistesgegenwärtig genug zu antworten: ‚Ich würde sie am liebsten alle Da Capo hören, aber nicht heute!’ Er lachte und spielte sie mir ein paar Tage später noch einmal vor. Einige Monate danach spielte ich die Uraufführung der Stücke in den Monday Popular Concerts in London.“
Mein Lieblingsstück und soweit ich das mitbekommen habe, auch das allgemein beliebteste von den 10 Stücken op. 118, op. 119. Man kann sich hier besonders gut die musikalisch verarbeiteten Gefühle zu Clara Schumann vorstellen.
op. 118, Intermezzo. Andante teneramente
Was zu Beethovens Zeiten Baden war, dass war Ischl (das heutige „Bad Ischl“) gegen Ende des 19. Jahrhunderts. Durch die Wahl des Kaisers (Franz Joseph I.) als alljährliche Sommerresidenz entwickelte sich der damals etwa 8.000 Einwohner zählende Kurort zum Hotspot für die Wiener High Society. Die angesagteste Adresse für die erholungssuchenden „Promis“ wie man heute sagen würde. Weitere Komponisten wie Franz Lehár, Anton Bruckner, oder Johann Strauß Sohn kamen regelmäßig dorthin. Hier ist auch das bekannte Foto aus dem Jahr 1894 entstanden, auf welchem Brahms auf der Veranda des Letztgenannten zu sehen ist und Beide einen eher unerfreulichen Gesichtsausdruck zum Besten geben, als hätte sie gerade ein Paparazzi erwischt.
Bild:redd.it/Colorized History
In dieser Strauss-Villa haben sich Ilona Eibenschütz und Johannes Brahms kennengelernt. Deren Familie war dort ebenso öfters zu Gast und diese spielte bei einem der musikalischen Zusammenkünfte auch den Klavierpart von op. 25. Brahms konnte wohl damals recht gut Netzwerken wie man es heute nennen würde. Kalbeck erinnert sich: „Wie in Hietzing, wo die hannoveranische Königsfamilie den Winter zuzubringen pflegte, ging Brahms in Gmunden gelegentlich mit Joachim zu Hofe, spielte den hohen Herrschaften seine Violinsonate vor und frischte, animiert von dem alten Freunde, der jeden Sommer in Gmunden vor sprach, Reminiszenzen von 1853 und 1854 auf.“
Nur 3 Jahre nach dem Tod von Johannes Brahms gründete 1900 besagter Viktor Miller-Aichholz das weltweit erste Brahms-Museum in einem adaptierten Gartenhaus in Gmunden. Dieses bestand aus sieben Ausstellungsräumen und enthielt Artefakte wie etwa einfache Möbel aus der Ischler Sommerwohnung, Briefe, Partituren, oder private Fotos. Doch zukünftige Ereignisse haben sich einem Fortbestand entgegengestellt. Zuerst starb zehn Jahre darauf Viktor und seine Frau Olga bekam finanzielle Schwierigkeiten. Als diese schließlich auch 1931 starb, mussten die Erben mehrere Villen in Gmunden verkaufen. Das Brahms-Museum blieb zwar vorerst noch bestehen, aber verkam in zunehmend schlechteren Zustand. Hier waren Viktor und Olga Miller-Aichholz schon vor ihrem Tod weitsichtig und haben die Ausstellungsstücke der Stadt mit der Auflage „... weder zur Gänze noch teilweise entgeltlich oder unentgeltlich zu veräußern...“ geschenkt. Während der Kriegs- und deren Folgejahre, haben die Erben schließlich eine neue Unterbringung mit der Stadt vereinbaren können. Seit 1968 ist in dem Gebäude eine Volksschule, während die einstigen dort befindlichen Erinnerungsstücke im Kammerhofmuseum Gmunden aufbewahrt werden.
Streichquintett Nr.2 G-Dur op. 111
Johannes Brahms und Victor von Miller zu Aichholz am 04. August 1894 beim Eingang der Lindenstraße 11:
Bild: Meinbezirk.at/Eugen Miller-Aichholz