"To be, or not to be, that is the question" ist ein Zitat aus der Tragödie Hamlet, Prinz von Dänemark von William Shakespeare, 3. Aufzug, 1. Szene.
Die weiteren Zeilen lauten:
Whether 'tis nobler in the mind to suffer
The slings and arrows of outrageous fortune,
Or to take arms against a sea of troubles,
And by opposing, end them? To die: to sleep;
Bei Schlegel lautet die deutsche Übersetzung
Sein oder Nichtsein; das ist hier die Frage:
Obs edler im Gemüt, die Pfeil und Schleudern
Des wütenden Geschicks erdulden oder,
Sich waffnend gegen eine See von Plagen,
Durch Widerstand sie enden? Sterben – schlafen –
HIP oder nicht Hip, das ist die Frage in diesem Thread. Es ist eine aktuelle Frage. ich habe mir nicht die Mühe genommen, das Forum nach entsprechenden Aussagen und Threads zu durchforsten. Es geht darum, welchen Stellenwert heute im Jahr 2022 die historisch informierte Aufführungspraxis im Musikleben besitzt.
Ich habe in letzter Zeit Aufnahmen der historisch informierten Aufführungspraxis gehört.
Zwei Beispiele aus einer grossen Zahl von Einspielungen sollen das verdeutlichen: Eine Aufnahme mit Werken für Gitarre und Hammerklavier und eine Einspielungen der mozartschen Klavierkonzerte mit Fortepiano.
Alexander-Sergei Ramirez (Biedermeier Gitarre) und Sheila Arnold (Fortepiano nach L. Dulcken) spielen Werke für diese Instrumente-Kombination aus der Zeit um 1830.
Gefunden haben sich die beiden Musiker, als sie Beethovens Variationen über ein Thema aus der Zauberflöte in einer Bearbeitung von Carulli einstudieren sollten. Im im Booklet abgedruckten Interview erläutern sie, dass auf modernen Instrumenten dies unmöglich war: Der Flügel musste immer zu leise, die Gitarre immer zu laut spielen. Wegen der unterschiedlichen Klangcharaktere war das Unternehmen zum Scheitern verurteilt. Offensichtlich war das Werk nicht für die modernen Instrumente konzipiert. So lag es nahe Nachbauten von Fortepiano und Biedermeier-Gitarren zu verwenden. Nun ist die Klangdifferenzierung möglich und ein begeisterndes Musizieren entsteht.
Arthur Schoonderwoerd reduziert in seiner Aufnahme das Instrumentarium in Mozarts Klavierkonzerten radikal: 2 Violinen, 2 Bratschen, 1 Cello, 1 Kontrabass, 1 Traversflöte, 2 Oboen, 2 Fagotte, 2 Hörner, 2 Trompeten, 1 Paukensatz, 1 Kopie eines Fortepiano nach Anton Walter 1782. Für seine Einspielung des Konzerts KV 459 hat er zudem erstmals die verlorengegangenen Trompeten- und Paukenstimmen rekonstruieren lassen.
Das Resultat ist eine andere Klanglichkeit, die Bläser erhalten mehr Gewicht, die Stimmen der Streicher sind durchhörbar. Schoonderwoerds Argument ist entwaffnend vernünftig. Im Raum, in dem die Werke aufgeführt wurden, konnten nicht mehr Musiker Platz finden. Man weiss, dass Mozarts Tasteninstrument aus seiner Wohnung, das Treppenhaus hinunter durch die Strassen getragen wurde. Die Instrumente waren so gebaut, dass mehr Klang nicht möglich war.
Mit Nikolaus Harnoncourt und anderen Dirigenten und Instrumentalisten begann in den 60er und 70er Jahren die Bewegung der historisch informierten Aufführungspraxis, die auf den Erkenntnissen der Forschung beruhte. Es wurde viel darüber geschrieben. Instrumentenbauer stellen Nachbauten von Instrumenten her, die zur Zeit der Entstehung der Kompositionen verwendet wurden. Das Spiel auf Darmsaiten ist für Streicher wieder möglich geworden.
Inzwischen ist mehr als ein halbes Jahrhundert vergangen, seit diese Bewegung die Musikwelt in Aufregung versetzte.
Das einleitende Shakespeare Zitat habe ich ausgewählt: Man ist von der historisch infortmierten Aufführungspraxis begeistert oder man erduldet als Hörer dieses Musizieren, leistet Widerstand und kann sich nicht damit anfreunden.
Es ist mir klar, dass die Instrumente sich weiter entwickelt haben, die ursprünglichen Aufführungsumstände sich verändert haben und damit auch die Hörgewohnheiten von uns Zeitgenossen, die sich an den Aufnahmen der Vergangenheit und Aufführung in Konzerten orientieren.
Man kann schockiert sein, wenn man ein Werk mit dem Instrumentarium hört, wie es mit grosser Wahrscheinlichkeit in der Vergangenheit getönt haben dürfte oder die Interpretationsansätze anwendet, die zur Zeit der Uraufführung galten.
Oder man erduldet die Musik, die nach HIP-Prinzipien aufgeführt wird.
Oder man nimmt HIP-Interpretationen als willkommene Bereicherung der musikalischen Ausdrucksweise.
Oder es kann eine Erleuchtung geschehen und das Verständnis und neue Sicht auf ein Werk sich ergeben.
Wie stellen sich die Tamino-Mitglieder im Jahr 2022 zu HIP oder Nicht-HIP?