Warum überlebt das Regietheater so lange ? - Versuch einer Analyse

  • Tamino ist zwar ein Klassikforum, repräsentiert aber sicher nicht alle Klassikliebhaber.

    Das Regietheater (was auch immer man darunter versteht), dem hier seit Gründung ein baldiger Tod vorausgesagt wurde, lebt immer noch. Und zwar deshalb, weil das Opernpublikum, das wirklich Vorstellungen in Opernhäusern besucht, im Gegensatz zu einigen Mitgliedern hier, die Inszenierungen nur nach Pressefotos und -Artikeln beurteilen, durchaus kompromissbereit ist. Auch wenn eine Inszenierung nicht voll und ganz den eigenen Vorstellungen entspricht, vielleicht sogar in einigen Punkten mißfällt, können die positiven Aspekte der dargebotenen Oper den gewonnenen Eindruck relativieren und den Besucher versöhnlich stimmen. Wer noch in die Oper geht hat sicher auch schon im Publikum den Satz gehört: "So schlecht war das doch gar nicht, ich hatte Schlimmeres erwartet".

    Ohne Kompromisse funktioniert das Leben nicht!

    Alles Gute und einen Gruß von Orfeo

  • […]

    2. Magdalena Kozena als Mélisande in Paris (ihr Gatte dirigierte, Simon Rattle). Eigentlich ist Mélisande 16, so eine als Sängerin findet man nicht. Aber sie ist auch keine reife Frau und muss von einer jungen Sängerin gesungen werden.

    […]

    Die Partie muss von einer Sängerin gesungen werden, die den Anforderungen gewachsen ist. Ob sie jung ist oder nicht, dick oder dünn spielt erst einmal gar keine Rolle. Sie soll ja nicht Melisande sein, sondern sie spielen. (Ich habe mal daneben gesessen, als in einem Publikumsgespräch einer promonenten Sängerin bescheinigt wurde, die habe ihre Figur nicht gespielt, sie sei sie gewesen. Sie reagierte etwas säuerlich, obwohl sie verstand, dass das ein Kompliment sein sollte, sie meinte nämlich, das sei keins. Jemand sein kann schließlich jeder, die Kunst sei, jemanden zu spielen, der man nicht ist. Und wenn sie schon gelobt werden soll, wolle sie dafür gelobt werden.) Und eine wirklich gute Darstellerin kann das. Am besten klappt es, wenn wenn sie die Unterstützung eines guten Regisseurs und eines guten Dirigenten hat, egal, ob sie so aussieht, wie man sich Melisande vorstellt, oder nicht. Ich finde diese Diskussion immer etwas albern. Die Frage ist nicht, wie viele Kilo ein Sänger auf die Waage bringt, sondern ob er seine Figur überzeugend darstellen kann. Wenn er mehr als zwei Zentner wiegt, aber so inszeniert wird, als wäre er Peter Hofmann, wird das natürlich nichts. Dass es aber sehr wohl geht, ist oft genug bewiesen. (Ob Botha über die nötigen darstellerischen Mittel verfügte, weiß ich nicht, habe aber meine Zweifel. Dann kann man natürlich nichts machen. Aber solche Fälle sind ja nun nicht mehr die Regel, die waren in der guten alten Zeit sehr viel häufiger.)

  • Gestern beim Einordnen der Bibliothek gefunden - der Autor hatte damals in Walberberg (Tagungsthema "Remythisierung und Moderne" - da hatte ich auch einen Vortrag gehalten über Richard Wagner) darüber referiert und unter uns Zuhörern einen Sonderdruck verteilt:


    Die Bayreuther Richard-Wagner-Festspiele und ihr Publikum. Erste Ergebnisse eines kultursoziologischen Forschungsprojekts über Eventisierungstendenzen in der Hochkulturszene von Winfried Gebhardt, aus: Tourismus-Journal, 2. Jg. (1998), Heft 1, S. 81-100)


    Die Studienergebnisse hat Winfried Gebhardt schließlich auch als Buch veröffentlicht:


    9783879406289-de.jpg


    https://www.zvab.com/servlet/B…p=snippet-_-srp1-_-image1


    Die Studie ist zwar schon etwas älter, aber es zeichnen sich schon damals Tendenzen ab, die sicher auch für heute noch Aussagekraft besitzen.


    Die erste Erkenntnis: Das Publikum und die Veranstalter von Theater suchen nach Events:


    "Die gegenwärtige Lage des internationalen Festspielbetriees ist vor allem durch zwei Entwicklungen gekennzeichnet. Zum einen lässt sich eine starke Expansion hoch-, aber auch popularkultureller Festspiele und Festwochen feststellen. (...) Zum anderen stagniert das Publikumsinteresse, so dass in Zukunft nur bedingt mit weiteren Steigerungsraten zu rechnen ist. (...) Ergebnis dieser Entwicklung ist eine wachsende Konkurrenz unter den Festspielorten. Diese reagieren auf die akzellierende Konkurrenzsituation vor allem mit einer Strategie, das eigentliche "kulturelle Ereignis" erlebnismäßig aufzurüsten, Kultur also innerhalb eines umfassenden "Erlebnispackages" zu präsentieren." (S. 81)


    Stagnierendes Publikumsinteresse - Konkurrenz - die Strategie ist, Theater und Oper zum Event zu machen, um die Attraktivität zu steigern und sich so zu behaupten.


    Die zweite Erkenntnis: Desinteresse an politischen/gesellschaftspolitischen Fragen und statt dessen Individualismus


    "Für den Großteil des Festspielpublikums gilt (...): Der politische Wagner ist tot. Eine Beschäftigung mit ihm lohnt sich nicht mehr, es langweilt nur noch. Die politische und weltanschauliche Interpretation seiner Werke und Ideen hat sich aufgelöst in ein konturloses, unverbindliches Sammelsurium von Weltanschauungsfragmenten, dessen gemeinsamer Nenner höchstens noch in einem universalistisch gefassten Hang zur Humanität oder einem psychologisch verbrämten Liebeskosmismus zu finden ist. Wird in Bayreuth überhaupt nach Erlösung gesucht, dann ist nicht mehr die Erlösung des "deutschen Volkes" oder der "spätkapitalistischen Gesellschaft" gemeint, sondern die eigene, die Erlösung des Ichs. Nicht umsonst wird von 82% der Befragten gesagt, Aufgabe und Funktion der Kunst sei es, das eigene Leben mit Sinn zu füllen. Dies entspricht auch dem individualistischen Zeitgeist." (S. 95/96)


    Zu diesem entpolitisierten, individualistischen Zeitgeist im Publikum und dem dazu gehörigen konturlosen und unverbindlichen Weltanschauungssammelsurium passt die "Unverbindlichkeitsmasche" des Regietheaters perfekt. Unverbindlichkeits-Individualismus auch bei den Regisseuren und ein Individualismus des Regisseurstheaters, wo das Ego des Regisseurs im Mittelpunkt steht. Nicht die Objektivität und Verbindlichkeit des "Werkes" steht im Vordergrund, sondern die subjektive Beliebigkeit, was das Regisseurs-Ego aus den Stücken macht. Das wiederum passt zum Event-Charakter. Eine "werkgerechte" Aufführung ist nur langweilig und taugt nicht als Event. ^^


    Die dritte Erkenntnis: Die untergeordnete Bedeutung der Inszenierung, primäres Interesse an den Sängern und der Musik


    "Nicht nur, aber auch aus diesem Grund, spielen bei der Suche nach Motiven, warum man die Reise nach Bayreuth antritt, die Inszenierungen eher eine sekundäre Rolle. Es lässt sich in dieser Hinsicht sogar die These wagen, dem Publikum sei es ziemlich gleichgültig, wer gerade welches Stück inszeniert und mit welcher Botschaft auflädt. Dieser Satz darf nicht missverstanden werden. Gewiss wird über Inszenierungen geredet. (...) Selbstverständlich wird darüber - teilweise auch erbittert - gestritten. Ein besonderer Reiz Bayreuths liegt darin, dass man streiten kann und streiten darf. Was die These nur aussagen will, ist, dass die Mehrzahl der Besucher sich in ihrer Entscheidung, die Bayreuther Festspiele zu besuchen, von anderen Motiven leiten lässt als von den weltanschaulichen Botschaften der Inszenierungen und den Namen der Regisseure. Dies zeigen auch die Antworten auf die Frage, welche Inszenierungsmaßstäbe für eine gute Wagner-Aufführung zu gelten hätten." (...)


    "Was die Mehrheit der Besucher veranlasst, nach Bayreuth zu kommen, ist die Suche nach einem musikalischen Erlebnis auf höchstem Niveau: gute Sänger und Sängerinnen, meisterhafte Dirigenten, die überragende Akustik des Festspielhauses. Bayreuth, das steht für Perfektion." (S. 96/97)


    Bezeichnend kommt diese Studie von 1996 zu demselben Ergebnis wie die aktuelle aus Köln und Düsseldorf. Die Inszenierung spielt gegenüber dem Interesse an den Gesangsdarbietungen und der Musik eine untergeordnete Rolle. Es gibt hier also eine Kontinuität seit über zwei Jahrzehnten. Auch zeigt die Studie sehr schön, dass man sich auch über den heftigen Streit um Inszenierungen und Inszenierungsstile (wie eben auch das Regietheater überhaupt) nicht darüber täuschen sollte, dass der Grund, warum die Leute in eine Oper gehen, ein ganz anderer ist. Das erklärt wiederum sehr schön, warum sich Regietheater trotz der heftigen Regietheater-Debatten halten kann - die Art der Inszenierung ist von untergeordnetem Interesse für den Besuch eines Opernhauses.


    Das Resume der Studie:


    "Charakteristisch für das Publikum der Bayreuther Festspiele ist, dass klassisch-bürgerliche Werthaltungen und moderne Erlebnisorientierung sich zu einer neuartigen Synthese mischen, sich die deutsch-idealistische Tradition "machtgeschützter Innerlichkeit" (Thomas Mann) mit dem "anything-goes-Streben" der Postmoderne in einer Weise verbindet, die der einstmaligen Weihestätte Züge eines verinnerlichten Erlebnisparkes zuwachsen lassen. Der Zug zum Grünen Hügel ist nicht mehr länger eine Pilgerfahrt zum Hort ewiger Wahrheit und gnadenvoller Erlösung. In Zeiten einer akzelerierenden Individualisierung wandelt sich die weihevolle Prozession zum deutschesten aller deutschen Meister zur "Pilgerfahrt ins Ich", nicht aber zum nur unterhaltsamen und lockeren Event. Vielleicht ist es aber gerade diese neuartige Synthese, die jenen Reiz ausstrahlt, der das Publikum auch heute noch veranlasst, langjährige Wartezeiten in Kauf zu nehmen, um diese "Sensation" einmal erleben zu dürfen." (S. 99)


    Regisseurstheater ist eine solche "Pilgerfahrt ins Ich" - die Synthese aus "machtgeschützter Innerlichkeit" des bürgerlichen Regisseurs-Ego mit der Unverbindlichkeitsmasche als postmodernem "anything goes" macht seine Attraktivität aus, die mit eben solchen Tendenzen beim postmodernen bürgerlichen Opernpublikum konvergiert. Diese Hypothese jedenfalls erklärt finde ich ganz gut die Beharrlichkeit, mit der sich Regietheater trotz seiner unverkennbaren ästhetischen Widersprüche auf den Bühnen hält.


    Schöne Grüße

    Holger

  • Tamino ist zwar ein Klassikforum, repräsentiert aber sicher nicht alle Klassikliebhaber.

    Das Regietheater (was auch immer man darunter versteht), dem hier seit Gründung ein baldiger Tod vorausgesagt wurde, lebt immer noch. Und zwar deshalb, weil das Opernpublikum, das wirklich Vorstellungen in Opernhäusern besucht, im Gegensatz zu einigen Mitgliedern hier, die Inszenierungen nur nach Pressefotos und -Artikeln beurteilen, durchaus kompromissbereit ist. Auch wenn eine Inszenierung nicht voll und ganz den eigenen Vorstellungen entspricht, vielleicht sogar in einigen Punkten mißfällt, können die positiven Aspekte der dargebotenen Oper den gewonnenen Eindruck relativieren und den Besucher versöhnlich stimmen. Wer noch in die Oper geht hat sicher auch schon im Publikum den Satz gehört: "So schlecht war das doch gar nicht, ich hatte Schlimmeres erwartet".

    Ohne Kompromisse funktioniert das Leben nicht!

    Ich habe (nur gefühlt) auch den Eindruck, dass jetzt, bei stärkerer Vertretung historisierender Inszenierungen, das Bild weiterhin durchmischt bliebe.


    Eine nicht zu unterschätzende Eigenschaft vieler Menschen ist einfach immer nur das Gefühl, dass das, was es gerade nicht gibt, das Bessere sein muss ..:)

  • Genau das schreib ich doch die ganze Zeit das die Mehrzahl der Opern Besucher wegen der Sänger und und nicht wegen der Inszenierung in die Oper geht. Das wichtigste ist doch das man ùberhaupt live in die Oper geht.

  • Die Partie muss von einer Sängerin gesungen werden, die den Anforderungen gewachsen ist. Ob sie jung ist oder nicht, dick oder dünn spielt erst einmal gar keine Rolle. Sie soll ja nicht Melisande sein, sondern sie spielen.

    Guck an, es gibt auch Punkte, bei denen ich Dir zustimme!

    Ob Botha über die nötigen darstellerischen Mittel verfügte, weiß ich nicht, habe aber meine Zweifel.

    Wenn er dazu noch unglaublich albern kostümiert war (Parsifal) wird das peinlich. Ich habe Botha als Kaiser in Dresden bewundert (das war übrigens auch RT, aber RT-light, die Bezeichnung ist vielleicht meine Erfindung, und ich habs trotzdem 2x gesehen. Der andere Kaiser hieß Kruse).

    La Roche

    Ich streite für die Schönheit und den edlen Anstand des Theaters. Mit dieser Parole im Herzen leb' ich mein Leben für das Theater, und ich werde weiterleben in den Annalen seiner Geschichte!

    Zitat des Theaterdirektors La Roche aus Capriccio von Richard Strauss.

  • Genau das schreib ich doch die ganze Zeit das die Mehrzahl der Opern Besucher wegen der Sänger und und nicht wegen der Inszenierung in die Oper geht.

    Lieber rodolfo39,


    Ich gehe in das Opernhaus, weil mich die ausgesuchte Oper reizt. Das ist Kriterium 1.

    Aber da sind Grenzen gesetzt, da ich mit Barockmusik oder atonalen Klängen nichts anfangen kann und damit kein Reiz für einen Besuch vorhanden ist.

    Wenn ich die Wahl habe zwischen verschiedenen Interpreten in einunddemselben Opernhaus in einundderselben Inszenierung, dann kann es schon passieren, daß ich mich für einen bestimmten Interpreten entscheide. Das wäre das 2. Kriterium. Ich muß Interesse an einer bestimmten Oper haben, und wenn ich dann unter den Sängern oder dem Dirigenten noch aussuchen kann, dann kann das Ergebnis schon nachhaltig sein. Dieses Kriterium ist aber nicht zwingend, Nr. 1 schon.

    Es gäbe noch ein 3. Kriterium - der Besuch in einem mir bis dahin unbekannten Opernhaus.

    Wenn aber der Trailer mir sagt, daß ich szenisch enttäuscht werde, dann lasse ich diesen Theaterbesuch und die Kriterien 1-3 gelten nicht. Da gehe mit meiner Frau lieber essen. Finanziell evtl. dieselbe Größenordnung, aber Enttäuschungsgefahr geringer!!


    La Roche

    Ich streite für die Schönheit und den edlen Anstand des Theaters. Mit dieser Parole im Herzen leb' ich mein Leben für das Theater, und ich werde weiterleben in den Annalen seiner Geschichte!

    Zitat des Theaterdirektors La Roche aus Capriccio von Richard Strauss.

  • […]

    Die Partie muss von einer Sängerin gesungen werden, die den Anforderungen gewachsen ist. Ob sie jung ist oder nicht, dick oder dünn spielt erst einmal gar keine Rolle. Sie soll ja nicht Melisande sein, sondern sie spielen.

    Über diese Aussage bin ich erstaunt, aber sie ist ja hier Gemeingut. Ich habe z.B. bei der Jenufa immer wieder erlebt, dass Stewa schlank war und Laca z.T. richtig dick (etwa William Cochran vor Jahren in Düsseldorf). Und eine Bohème mit Pavarotti und Caballé, das findest du machbar?

    Warum ist denn gerade Asmik Grigorian so herausragend? Weil sie Rollendeckung hat, gut spielt und toll singt. Im Rosenkavalier ist die Sophie das Urbild des süßen Wiener Mädels, das singt dann nicht Renée Fleming, die singt die Marschallin. Beim Sänger ist es egal, wenn er zu dick ist, singt er hinter der Bühne oder man macht eine Karikatur daraus (Jonas Kaufmann würde ich nicht nehmen, der sieht nur gut aus).

    Ich lese von Zeit zu Zeit die wunderbaren Bücher von Leo Slezak. Der konnte sich selbst auf die Schüppe nehmen und bekannte, dass er einmal (Wagner oder Othello) seinen Part im Liegen zu Ende singen musste.

    Nochmal Melisande. Zu jeder Rolle gehört ein Körper und mit diesem eine Körpersprache. Die vertonte Körpersprache von Mélisande zeigt sie als verletzlich und scheu, das bekommt eine ältere Sängerin, vor allem, wenn sie füllig ist, einfach nicht hin.

    Aller Anfang ist schwer - außer beim Steinesammeln (Volksmund)

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  • Ich bin vor Jahren nach New York geflogen um mir den letzten Zyklus des Schenk-Ringes anzuschauen, da ich so einen naturalistischen Ring noch nie gesehen habe, und befürchtete, diesen auch nie wieder sehen zu können. Das waren schon tolle Abende, aber einen besonders nachhaltigen Eindruck hat die Inszenierung bei mir nicht hinterlassen, eher daß Domingo in der Walküre 1. Aufzug sich wärend der Aufführung hat ersetzen lassen, stand damals sogar in der Times am nächsten Tag. Da gibt es andere Ringprojekte die mir intensiver in Erinnerung sind, z.B. Meiningen.


    Die ganze RT- Diskussion , so interessant sie auch sein mag, erübrigt sich für mich. Ich denke es gibt nur gute und schlechte Regie und eine historisierende Regie ist , so selten sie es noch gibt, deswegen nicht per se gelungen, sondern kann auch langweilen. Ich möchte nicht nur Ringe sehen, wo sie in Bärenfellen ( siehe Herr Sülzenfuss !) herumlaufen !


    Im März bin ich bei La Boheme in der Scala, da ich noch nie eine Arbeit von Zeffirelli gesehen habe, und ich mir im Gegensatz zu früher auch einen Sitzplatz leisten kann. Bin mal gespannt ob es besser ist, als z.B. die traumhaft schöne alte düsseldorfer Inszenierung.

  • Bin mal gespannt ob es besser ist, als z.B. die traumhaft schöne alte düsseldorfer Inszenierung.

    Du meinst die Bohème von Düggelin Ende der 1970er Jahre? Die habe ich Anfang 2000 nochmals gesehen und fand sie nur noch verstaubt und langweilig. Aber, "de gustibus... "

    Alles Gute und einen Gruß von Orfeo

  • Über diese Aussage bin ich erstaunt, aber sie ist ja hier Gemeingut.

    Ich fürchte, Du hast nicht verstanden, was ich schrieb.


    Ungeachtet dessen ist es aber so, dass ich apodiktische Behauptungen à la »Melisande ist so« oder »Sophie ist das Urbild von X« für sinnlos halte. Wie oder was eine Figur ist, hängt vom Darsteller ab, der sie spielt. Da kann es erhebliche Unterschiede geben, die über die Differenzen des Gewichts weit hinausgehen. Ich habe schon sehr beeindruckende Theaterabende mit einer Besetzung erlebt, die man nicht für möglich gehalten hätte. Noch einmal: Der Darsteller ist ein Darsteller, nicht ein Seier. Er soll die Figur spielen. Und es gibt keinen Grund zu der Annahme, dass da etwas grundsätzlich unmöglich sein soll. In der Oper ist natürlich die erste Frage, ob der Sänger den musikalischen Anforderungen der Partie gewachsen ist, aber auch da kann es gut sein, dass eine nicht perfekte musikalische Leistung eben das ist, was gewollt ist. Cosima Wagner herself hat dafür gesorgt, dass der Beckmesser in Bayreuth mit einem Schauspieler besetzt wurde, wobei sie sicherlich genau gewusst hat (und Berater hatten, die es vermutlich noch genauer wussten), dass das keine Rolle für einen singenden Schauspieler ist. Sie wollte anscheinend eben diese stimmliche Unzulänglichkeit. Das geht also auch.


    Ob Pavarotti und Caballe, eine entsprechende Konzeption vorausgesetzt, in der Lage gewesen wären, das »Boheme«-Paar überzeugend zu spielen, ist schwer zu sagen. Mir scheint, die darstellerischen Fähigkeiten der beiden sind doch begrenzt und würden dafür nicht ausreichen. Ich glaube aber nicht, dass es am Hüft-Umfang scheitern würde. (Das trifft für Sophie natürlich genauso zu. Wenn die Darstellerin schon reiferen Alters ist, verändert sich wahrscheinlich die Figur und mit ihr verändern sich auch alle anderen. Es kann sein, dass das nicht geht, es kann aber auch sein, dass es sehr reizvoll ist. Das kann man nicht wissen, bis man es nicht wenigstens im Detail gedanklich durchgespielt hat, und auch dann können die szenischen Proben noch unvermutete Überraschungen bringen.)


    Übrigens ist das ein Punkt, den unsere Freude der Werktreue gar nicht berücksichtigen: Ein Darsteller kann ein und dieselbe Situation, ja ein und dieselbe Replik oder musikalische Phrase, auf sehr viele verschiedene Arten bringen, von denen einige durchaus im diametralen Gegensatz zueinander stehen können. Die Partitur ist da keineswegs vollkommen eindeutig. (Und das Libretto, in dem angeblich alles stehen soll, natürlich sowieso nicht.) Es ist eben so, dass in diesen Diskussionen immer der wichtigste und größte Bereich des Theaters übergangen wird, als würde der sich automatisch ergeben. (Übrigens ist das seltsam, denn niemand von denen wird behaupten, es sei egal, ob Furtwängler oder Gardiner dirigiert.)

  • Regisseurstheater ist eine solche "Pilgerfahrt ins Ich" - die Synthese aus "machtgeschützter Innerlichkeit" des bürgerlichen Regisseurs-Ego mit der Unverbindlichkeitsmasche als postmodernem "anything goes" macht seine Attraktivität aus, die mit eben solchen Tendenzen beim postmodernen bürgerlichen Opernpublikum konvergiert. Diese Hypothese jedenfalls erklärt finde ich ganz gut die Beharrlichkeit, mit der sich Regietheater trotz seiner unverkennbaren ästhetischen Widersprüche auf den Bühnen hält.

    Aber denkst Du wirklich, dass die Innerlichkeit des Regisseurs den Festspielgast besonders interessiert? Ist es nicht eher die Innerlichkeit des Gastes, um die es geht, und die höchstens nicht allzusehr durch den Regisseur gestört werden darf? D.h. der Gast erlebt seine Pilgerfahrt ins ich mit Regietheater, es ginge aber genausogut ohne, denke ich.

  • "So schlecht war das doch gar nicht, ich hatte Schlimmeres erwartet".

    Na Bumm !!!

    Bei den Eintrittspreisen ist das halt ein bisser wenig.

    Ohne Kompromisse funktioniert das Leben nicht!

    Das hängt davon ab ...

    Ich sehe immer wieder im Internet, daß jemand schreibt: Na ja, perfekt ist es nicht, das klemmt. "Das ist schlampig ausgefüllt -und ausserdem ....

    ABER bei DEM Preis " (und der ist nicht mal so niedrig) "ist das schon ganz in Ordnung."


    Persönlich halte ich es mit Oscar Wilde - dessen Lebenseinstellung meiner sehr ähnlich ist:

    "Ich habe einen ganz einfachen Geschmack -Ich will einfach nur das Beste"


    mfg aus Wien

    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Bzgl. Rollendeckung: So unglaubwürdig scheint Luciano Pavarotti als Rodolfo in der "Bohème" nun ja nicht gewesen zu sein. Über Jahrzehnte eine Glanzrolle in seinem Repertoire weltweit. Und sehe ich mir die Photos von der Studioeinspielung unter Karajan an (wir reden vom Jahre 1972), dann kommt er auch optisch durchaus glaubhaft herüber, deutlich schlanker und noch ohne Bart. Also wozu die Häme.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Na Bumm !!!

    Bei den Eintrittspreisen ist das halt ein bisser wenig.

    Das ist auch mein Gedanke dazu. Ein Opernabend soll schließlich mehr sein als Mediokrität. Vorbei die Zeiten, als es spontanen Applaus fürs Bühnenbild gab, wenn der Vorhang aufging.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • "Ich habe einen ganz einfachen Geschmack -Ich will einfach nur das Beste" by Oscar Wilde

    Wilde war ein strikter Verfechter des L'art pour l'art, nur der Ästhetik verpflichtet.


    Insbesondere sollte die Kunst nichts ausdrücken ..


    Zitat von Wikipedia

    „Wirkliche Schönheit endet da, wo der geistige Ausdruck beginnt (der für eine Definition aber notwendig wäre!). Schönheit offenbart alles, weil sie nichts ausdrückt.“[51]

    Ich mag den Kollegen Wilde sehr ...


    Reden wir also einmal über Geschmack


    Es war ihm klar, dass nur ein kleines Publikum das Beste überhaupt genießen kann.


    Er unterschied allerdings zwischen gutem Benehmen und Kultur und zeigt sich hier an einer Stelle kompromissbereit, wo ich anspruchsvoller bin ;)


    Zitat von Oscar Wilde

    Viele Menschen sind zu gut erzogen, um mit vollem Munde zu sprechen. Aber sie haben keine Bedenken, es mit leerem Kopf zu tun.


    noch ein weiteres Zitat über das wirkliche Genießen.


    Zitat von Oscar Wilde


    Der Kultivierte bedauert nie einen Genuss. Der Unkultivierte weiß überhaupt nicht, was ein Genuss ist.


    Eigentlich ist doch wirklich alles ganz einfach :hello:


    Und für Wilde ist das dann auch mit dem Preis egal ... (auch da gibt es ein berühmtes Bonmot!)

  • Vorbei die Zeiten, als es spontanen Applaus fürs Bühnenbild gab, wenn der Vorhang aufging.

    Das letzte Mal erlebt in Chemnitz am 05.06.2012 für das Bühnenbild von "Die schweigsame Frau". Inszenierung Gerd Heinz, Bühnenbild Rudolf Rischer. Dirigiert hatte noch Frank Beermann, Franz Hawlata war Sir Morosus und Bernhard Berchtold sein Sohn Henry. Julia Bauer war Amina. Hier paßte alles, wir waren 2x drin. Ich träume immer noch davon, viele andere Vorstellungen in Chemnitz kommen mir nur noch beim Durchblättern der Programmhefte in den Sinn. Ich war sicher mehr als 40 x in Chemnitz in der Oper.

    La Roche

    Ich streite für die Schönheit und den edlen Anstand des Theaters. Mit dieser Parole im Herzen leb' ich mein Leben für das Theater, und ich werde weiterleben in den Annalen seiner Geschichte!

    Zitat des Theaterdirektors La Roche aus Capriccio von Richard Strauss.

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  • Eine Bestandsaufnahme von alten Nicht-RT-Inszenierungen an der Wiener Staatsoper, die noch im Repertoire sind:


    Puccini: "Tosca" - Margarethe Wallmann (1958)

    Puccini: "La Bohème" - Franco Zeffirelli (1963)

    R. Strauss: "Der Rosenkavalier" - Otto Schenk (1968)

    R. Strauss: "Salome" - Boleslaw Barlog (1972)

    J. Strauss: "Die Fledermaus" - Otto Schenk (1979)

    Donizetti: "L'elisir d'amore" - Otto Schenk (1980)

    Giordano: "Andrea Chénier" - Otto Schenk (1981)

    Verdi: "Aida" - Nicolas Joël (1984)

    Mascagni "Cavalleria rusticana" - Jean-Pierre Ponnelle (1985)

    Leoncavallo: "Pagliacci" - Jean-Pierre Ponnelle (1985)

    Es dünnt sich stetig aus. Die jüngsten Opfer sind die "Madama Butterfly" in der Inszenierung von Josef Gielen (1957, zuletzt 2020), die "Carmen" in der Inszenierung von Franco Zeffirelli (1978, zuletzt 2018) und die "Meistersinger" in der Inszenierung von Otto Schenk (1975, zuletzt 2012). Damit gibt es aktuell - und das habe ich andernorts schon geschrieben - keine einzige Wagner-Inszenierung in Wien mehr, die nicht vom RT vereinnahmt wäre. Der derzeitigen Direktion ist es zuzutrauen, die oben genannten letzten Überlebenden weiter zu schreddern.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Vorbei die Zeiten, als es spontanen Applaus fürs Bühnenbild gab, wenn der Vorhang aufging.

    Im März bin ich bei La Boheme in der Scala, da ich noch nie eine Arbeit von Zeffirelli gesehen habe, und ich mir im Gegensatz zu früher auch einen Sitzplatz leisten kann. Bin mal gespannt ob es besser ist, als z.B. die traumhaft schöne alte düsseldorfer Inszenierung

    .... Johan Botha als Parsifal. Da hatte der Regisseur selbst ein Einsehen. Der Parsifal wurde gespielt von einem Tänzer, Botha sang von der Rampe.

    Geht es eigentlich noch darum, eine Antwort zu finden auf die eingangs gestellte Frage Warum überlebt das Regietheater so lange ?

    Nur Schwelgen in Erinnerungen bringt uns der Antwort sicherlich auch nicht näher.

    Alles Gute und einen Gruß von Orfeo

  • Aber denkst Du wirklich, dass die Innerlichkeit des Regisseurs den Festspielgast besonders interessiert? Ist es nicht eher die Innerlichkeit des Gastes, um die es geht, und die höchstens nicht allzusehr durch den Regisseur gestört werden darf? D.h. der Gast erlebt seine Pilgerfahrt ins ich mit Regietheater, es ginge aber genausogut ohne, denke ich.

    Ich meinte, dass beide den sehr subjektiven "Erlebnisstandpunkt" teilen. Da gibt es eine gewisse Kongruenz zwischen Regisseurstheater und Event-Publikum. Zur "werktreuen" Inszenierung passt finde ich eher ein monumentalisches Interesse am Großen und Wiederholbaren, den Werken an sich. :)

  • Ab Februar durch neue Inszenierung ersetzt.

    Danke für die Information. Dann hätte ich die "Salome" letztens doch lieber mal besucht ...


    Verantwortlich zeichnet für die Neuproduktion ein Herr Cyril Teste. Nach dem, was man im Netz so findet, darf man sich auf eine großartige Aktualisierung und Aufladung mit aktueller Tagespolitik freuen. Danke, Herr Direktor Roščić, weiter konsequent Kurs halten.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • An jüngeren Opfern (seit 2010 ersetzt) hast Du noch vergessen:


    L’italiana in Algeri

    Così fan tutte

    Rigoletto

    Lucia di Lammermoor

    Wozzeck


    Im Repertoire ist noch:


    Fidelio

  • Geht es eigentlich noch darum, eine Antwort zu finden auf die eingangs gestellte Frage Warum überlebt das Regietheater so lange ?

    Auch weil, wie gerade beispielhaft aufgezeigt, die Direktionen und Intendanzen konsequent auf Vertreter des RTs setzen und die letzten noch verbliebenen Nicht-RT-Inszenierungen ausmustern. Man muss kein Prophet sein, um zu erahnen, dass in spätestens 20 Jahren keine einzige Nicht-RT-Inszenierung an der Wiener Staatsoper mehr existieren wird.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Ich kratze natürlich mein Haupt, wenn ich die von Werner wiederholte Frage lese:

    Ob Pavarotti und Caballe, eine entsprechende Konzeption vorausgesetzt, in der Lage gewesen wären, das »Boheme«-Paar überzeugend zu spielen, ist schwer zu sagen.

    Ja warum denn nicht? Dr. Pingels Frage bedeutet implizit, dass erotische Liebe eine Sache von schlanken, hübschen Menschen sei, dass zumindest nur schlanke, hübsche Menschen dieses Empfinden vermittel und somit -mit Blick auf La Boheme- auch nur diese das Schluchzmusik gewollte Maximum an Mitgefüh beim Beschauer erzeugen können. An dieser Stelle fängt die Kollision mit der Regieführung durch den Besucher mit der Regie des Theatermenschen an, denn der Besucher wartet gar nicht erst ab, was es zu erleben gibt, nein, er erwartet etwas. Er erwartet, dass das Liebespaar seinen Hollywood-Vorstellungen entspricht. Ist der Schmerz des Adipösen geringer, weniger Glaubwürdig, weniger zur Compassio auffordernd?


    Liegt möglicherweise genau hier eine Ursache für das Nichthinnehmenwollen von Inszenierunegn, weil allenthalben im Hinterkopf Abziehbilder gespeichert sind, die bitteschön zum Leben erweckt werden wollen. Vielleicht bitte einmal eine Mimi mit Down-Syndrom.


    Und wenn's mal richtig kitschig sein soll könnte man ja Jeff Koons für die Schickeria inszenieren lassen.


    Und, nur mal so angemerkt: eine der Traumaufnamen des Tristan ist die von Kirsten Flagstad und Lauritz Melchior unter Fritz Reiner im Covent Garden. Alleine die beiden dürften ca. 200 kg zu ihren Bestzeiten auf die Bühne gebracht haben. Anders wäre dieses Dream-Team nicht zu haben gewesen.


    Liebe Grüße vom Thomas :hello:

    Früher ist gottseidank lange vorbei. (TP)
    Wenn ihr werden wollt wie eure Väter waren werdet ihr so wie eure Väter niemals waren.

  • L’italiana in Algeri

    Così fan tutte

    Die werden aktuell nicht mehr als im Repertoire befindlich gelistet, liefen zuletzt 2017 bzw. 2016 - mir schwant Übles.


    Apropos, der "Rigoletto", Inszenierung Pierre Audi (2014), wirkt erstaunlich wenig RT-artig. Sollte da eine positive aktuelle Ausnahme existieren? Oder täuschen die Bilder?

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Die werden aktuell nicht mehr als im Repertoire befindlich gelistet, liefen zuletzt 2017 bzw. 2016 - mir schwant Übles.


    Apropos, der "Rigoletto", Inszenierung Pierre Audi (2014), wirkt erstaunlich wenig RT-artig. Sollte da eine positive aktuelle Ausnahme existieren? Oder täuschen die Bilder?

    Keine Ahnung, aber ich war in der letzten Vorstellung der alten, und da gab es einen Applaus für's Bühnenbild.

    :)

    (Ich habe oben noch ein paar Ersetzungen ergänzt)

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