Warum überlebt das Regietheater so lange ? - Versuch einer Analyse

  • Und diese Altersdiskussion hier, meine Herren! Als ob an ästhetischen Präferenzen, die man sich im Leben erworben hat, etwas Schlechtes wäre.

    Das nicht. Aber die Gültigkeit dessen reicht nicht über mich hinaus. Ich käme nicht auf die Idee, das zu Verabsolutieren. Was ich mache, und was ich vom Zeitgeist mache und mitnehme ist meine persönliche Entscheidung.

    Vielleicht ist es ja albern, in Bayreuth Wagner-Opern zu spielen. Schließlich sind die Zeiten Zeiten, weil sie sich ändern.

    Drollige Sottise. Zumindest Beethovens 9. ist als abweichendes Programm genehmigt. Und man erwägt, alles Opern Wagners in Bayreuth aufzuführen, nicht nur die kanonisierten. Aber darum geht's nicht. Es geht nicht darum, ob man die Opern Wagners aufführt, sondern wie man die Opern Wagners aufführt. Und ich sehe immer noch einen Unterschied zwischen der Musik und der Inszenesetzung des Textes (für den sich, halten zu Gnaden, niemand interessieren würde, gäbe es die Musik dazu nicht). Die Musik ist davon zunächst ein mal völlig unberührt (deswegen verfängt das Argument von der Vergleichbarkeit von Opernregie und HIP-Aufführungen nicht).


    Liebe Grüße vom Thomas :hello:

    Früher ist gottseidank lange vorbei. (TP)
    Wenn ihr werden wollt wie eure Väter waren werdet ihr so wie eure Väter niemals waren.

  • . Und ich sehe immer noch einen Unterschied zwis:hello:chen der Musik und der Inszenesetzung des Textes (für den sich, halten zu Gnaden, niemand interessieren würde, gäbe es die Musik dazu nicht).

    :hello:

    Aller Anfang ist schwer - außer beim Steinesammeln (Volksmund)

  • Wenn das Argument ist, dass sich die Zeiten ändern, und dass das Alte albern sei, dann entgegne ich halt entsprechend. Schließlich wurde ja gemeint, dass das ein besonders bemerkenswertes Argument sei.

    :rolleyes:

  • Und ich sehe immer noch einen Unterschied zwischen der Musik und der Inszenesetzung des Textes (für den sich, halten zu Gnaden, niemand interessieren würde, gäbe es die Musik dazu nicht).

    Für den Text würde man sich auch kaum interessieren - und trotzdem ersetzt man ihn nicht einfach.

  • Zitat von ChKöhn

    Nicht, dass "das Alte albern sei", sondern dass es albern wäre, von der Kunst immer nur die Wiederholung des Alten zu verlangen, weil man persönlich nicht bei allem Neuen mitkommt.

    :thumbup::thumbup::thumbup::thumbup::thumbup::thumbup:Das gefällt mir sehr lieber Christian, und ist auch meine Devise und das mit über siebzig :P!


    LG Fiesco

    Il divino Claudio
    "Wer vermag die Tränen zurückzuhalten, wenn er den berechtigten Klagegesang der unglückseligen Arianna hört? Welche Freude empfindet er nicht beim Gesang seiner Madrigale und seiner Scherzi? Gelangt nicht zu einer wahren Andacht, wer seine geistlichen Kompositionen anhört? … Sagt nur, und glaubt es, Ihr Herren, dass sich Apollo und alle Musen vereinen, um Claudios vortreffliche Erfindungsgabe zu erhöhen." (Matteo Caberloti, 1643)

  • Das gefällt mir sehr lieber Christian, und ist auch meine Devise und das mit über siebzig :P !

    Ja, mir gefällt das auch, und ich bin zumindest insoweit anderer Meinung als thdeck, dass es m.E. nicht auf das Lebensalter ankommt, ob man offen für Neues ist. Geistige Beweglichkeit, Neugier und Offenheit kann man auch mit über 70 leben, wie Du sehr schön zeigst. Andere wiederum (ich verkneife es mir, Namen zu nennen), sind auch in viel jüngeren Jahren eingefahren in ihren Routinen und festgefügten Weltanschauungen und wünschen sich ein museales Theater, in dem sich nichts ändert.

    Der Traum ist aus, allein die Nacht noch nicht.

  • sind auch in viel jüngeren Jahren eingefahren in ihren Routinen und festgefügten Weltanschauungen und wünschen sich ein museales Theater, in dem sich nichts ändert.

    Das ist halt auch einfach nur eine Frechheit. Man könnte entgegnen: Die Banausen halten ihre Ahnungslosigkeit und Kritiklosigkeit für Flexibilität.

  • Das ist halt auch einfach nur eine Frechheit.

    Nein, nur eine Beschreibung der hier mehrfach geäußerten Einstellungen nicht nur, aber auch von jüngeren Forenmitgliedern. Dich hatte ich dabei allerdings nicht im Sinn. Auch wenn ich nie verstanden habe, warum jemand, der so interessiert an zeitgenössischer Musik ist, bei Operninszenierungen so konservativ ist.

    Der Traum ist aus, allein die Nacht noch nicht.

  • Geistige Beweglichkeit, Neugier und Offenheit kann man auch mit über 70 leben,

    Völlig richtig, sonst würde ja der Generation Ü70 die Fähigkeit und der Wille abgesprochen, neue Medien zu nutzen. Ich halte es aber nicht für geistige Beweglichkeit, Neugier und Offenheit z.B. die Gendersprache anzuwenden oder sich auf Straßen und Bildern festzukleben. Wohl Jeder, auch die Ü70 ist bereit Neues zumindestens zu probieren, selbst in der Kunst. Wenn es ihm dann nicht gefällt, ist das seine Sache.

    Aber der persönliche Geschmack ist oft zementiert, was nicht heißt auch in der Musik oder Literatur Neues zu erleben zu wollen. Harry Potter wird nicht nur von Kindern gelesen und "Feuchtgebiete" nicht nur von Greisen in Erinnerung an längst vergangene Tage. Und selbst im höheren Alter kann man feststellen, daß manche Musikrichtungen (die man bis dato abgelehnt hat wie z.B. Rammstein oder Schostakowitsch, Countrymusik oder Strauss) auch ihren Reiz haben.

    Ich streite für die Schönheit und den edlen Anstand des Theaters. Mit dieser Parole im Herzen leb' ich mein Leben für das Theater, und ich werde weiterleben in den Annalen seiner Geschichte!

    Zitat des Theaterdirektors La Roche aus Capriccio von Richard Strauss.

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  • Andere wiederum (ich verkneife es mir, Namen zu nennen), sind auch in viel jüngeren Jahren eingefahren in ihren Routinen und festgefügten Weltanschauungen und wünschen sich ein museales Theater, in dem sich nichts ändert.

    Welche Jüngeren sollten das sein? Gerade vor kurzem wurden wir doch erst belehrt, dass wir RT-Kritischen gefälligst alle im Rentenalter zu sein haben und eh bald sterben, womit wir bei vereinfachtem und pauschalem Weltbild wären.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Na ja, wenn ich richtig verstanden habe, ist thdeck schon 70! Der darf das also ;)

    Ähm, nein, ist er nicht:

    Ich bin nämlich in einer ähnlichen Situation. Zwar "erst" 58.

    Er beleidigt hier nur anhaltend Menschen im Rentenalter. :no:
    Und nein, ich bin es nicht, damit das auch mal bei ihm ankommt. Ich könnte locker sein Sohn sein (zum Glück nicht).

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Wie gesagt, in diesem Punkt bin ich anderer Meinung als thdeck. Man könnte es vielleicht auch so formulieren: Manche sind mit Mitte 30 schon ganz schön alt. :D

    Der Traum ist aus, allein die Nacht noch nicht.

  • Zitat von Bertarido

    dass es m.E. nicht auf das Lebensalter ankommt, ob man offen für Neues ist

    Das habe ich nur deshalb gelistet, eildiweil hier immer von den ALTEN geredet wurde!:D

    Zitat von Bertarido

    Geistige Beweglichkeit, Neugier und Offenheit kann man auch mit 70 leben, wie Du sehr schön zeigst.

    Aber selbstverständlich !:)*

    Zitat

    Andere wiederum (ich verkneife es mir, Namen zu nennen), sind auch in viel jüngeren Jahren eingefahren in ihren Routinen und festgefügten Weltanschauungen und wünschen sich ein museales Theater, in dem sich nichts ändert.

    *Aber dafür muss man vorallem ausgetretene Pfade verlassen und des öfteren Umwege in kauf nehmen, das fällt den meisten schwer!


    LG Fiesco

    Il divino Claudio
    "Wer vermag die Tränen zurückzuhalten, wenn er den berechtigten Klagegesang der unglückseligen Arianna hört? Welche Freude empfindet er nicht beim Gesang seiner Madrigale und seiner Scherzi? Gelangt nicht zu einer wahren Andacht, wer seine geistlichen Kompositionen anhört? … Sagt nur, und glaubt es, Ihr Herren, dass sich Apollo und alle Musen vereinen, um Claudios vortreffliche Erfindungsgabe zu erhöhen." (Matteo Caberloti, 1643)

  • HIP albern zu finden, halte ich für kein Zeichen von geistiger Flexibilität.

    HIP ist eine sehr moderne Idee für zeitgemäße (und damit auch zeitgebundene) Interpretationen, keine Rekonstruktion oder Bewahrung des Alten.

    "Herr Professor, vor zwei Wochen schien die Welt noch in Ordnung."
    "Mir nicht."
    (Theodor W. Adorno)

  • Gleichwohl ist es schon interessant, dass man hier zumindest auf den ersten Blick in die Vergangenheit strebt, während man gleichzeitig auf der Bühne gar nicht weit genug davon weg kommen kann. Zumindest in der frühen Hochblüte von HIP (1970er und 80er) schien es durchaus seriöse Musiker zu geben, die ehrlich eine Rekonstruktion einer historischen Interpretation anstrebten, und bestimmt nicht alle allein aus Marketing-Gründen.

    Harnoncourt hat das jedenfalls immer weit von sich gewiesen. Und inzwischen zeigt ja schon die Umbenennung von "historische" in "historisch informierte" Praxis, dass es nicht um Rekonstruktion geht.

    "Herr Professor, vor zwei Wochen schien die Welt noch in Ordnung."
    "Mir nicht."
    (Theodor W. Adorno)

  • Wenn man sich zwar über die historische Aufführungspraxis informiert, beim Spielen aber nichts davon rekonstruiert, so ist das, was dabei herauskommt, sicher nicht "HIP" zu nennen.

    Wieweit die historische Aufführungspraxis rekonstruiert werden kann, und wieviel man davon in Angriff nimmt, ist natürlich eine andere Frage. Manche versuchen, möglichst weit zu kommen, suchen Originalschauplätze auf, wählen lokale historische Instrumententypen, versuchen alles an Information zu einer konkreten Aufführung klingend auszuwerten, andere interessieren sich mehr für ihre eigene Persönlichkeit und rekonstruieren sozusagen möglichst wenig. Ganz ohne Rekonstruktion aber kein "HIP".

  • Interessant eigentlich, dass vielen Mitgliedern eines Forums für Klassische Musik „Tradition“ etwas Suspektes ist.

    "...man darf also gespannt sein, ob eines Tages das Selbstmordattentat eines fanatischen Bruckner-Hörers seinem Wirken ein Ende setzen wird."



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  • Interessant eigentlich, dass vielen Mitgliedern eines Forums für Klassische Musik „Tradition“ etwas Suspektes ist.

    Wem zum Beispiel?

    "Herr Professor, vor zwei Wochen schien die Welt noch in Ordnung."
    "Mir nicht."
    (Theodor W. Adorno)

  • Ich habe nur erklärt, warum sich das RT hält: Weil die Gegner zu alt sind und daher nicht mehr die Kraft haben, etwas zu ändern.

    ....

    Welche Personen sind eigentlichen verantwortlich für die aktuelle Situation an den Theatern? .....

    Ich kenne die einzelnen Protagonisten nicht.

    Intendanten, die wegen ihres aktuellen Alters von 50+ angeblich nichts mehr bewegen können, weder pro noch contra RT. Aber sie bestimmen weiterhin die Spielpläne:


    Bachler, München 72

    Gelb, New York 70

    Homoki, Zürich 62

    Mulders, Köln 61

    Roščić, Wien 59

    Kuntze, Altenburg-Gera 57


    Alter der Besucher von Opernhäusern laut Statistik

    https://www.kulturmanagement.n…egen%20mit%2013%25%20bzw.

    53 % über 50 Jahre. Dazu gehöre ich, natürlich ohne die nötige Kraft für Änderungen. Das macht aber nichts, denn ich bin sehr zufrieden mit dem Angebot an Inszenierungen, auch mit RT. Traditionelle Inszenierungen sind nicht so mein Ding.


    47 % unter 50 Jahre, also immerhin knapp die Hälfte der Besucher. Können oder wollen die nichts bewegen?

    Alles Gute und einen Gruß von Orfeo

  • Interessant eigentlich, dass vielen Mitgliedern eines Forums für Klassische Musik „Tradition“ etwas Suspektes ist.

    Nun ja, das ist jetzt auch eine eher pauschale Feststellung. - Um welche "Traditionen" soll es denn gehen? Beispielsweise sind mir militärische Traditionen mehr als nur suspekt, während ich etwa mit Traditionen der Jägerschaft schlicht nichts anzufangen weiß ... Hingegen habe ich mir auch schon die eine oder andere "traditionelle" Operninszenierung durchaus mit Freude und Genuss angeschaut, glaube aber trotzdem, das diese Form der Darstellung auf der Bühne nicht wiederkommen wird und mir das auch nicht "wehtut".


    Im übrigen habe ich mich schon sehr lange von der Idee verabschiedet, dass in einem Forum für Klassische Musik die Teilnehmer untereinander nur, weil sie einen einigermaßen ähnlichen Musikgeschmack haben, auch nur ansatzweise ähnlich "ticken" ...

    mfG Michael


    Eine Meinungsäußerung ist noch kein Diskurs, eine Behauptung noch kein Argument und ein Argument noch kein Beweis.

  • Lieber MSchenk, ich sage es dann mal so! (Du bist mir hoffentlich nicht BÖSE!) ;)

    Zitat von MSchenk

    das diese Form der Darstellung auf der Bühne nicht wiederkommen wird und mir das auch nicht "wehtut".

    das diese Form der Darstellung auf der Bühne nicht wiederkommen wird und ich mir das auch nicht "wehtut" " wünsche".


    LG Fiesco

    Il divino Claudio
    "Wer vermag die Tränen zurückzuhalten, wenn er den berechtigten Klagegesang der unglückseligen Arianna hört? Welche Freude empfindet er nicht beim Gesang seiner Madrigale und seiner Scherzi? Gelangt nicht zu einer wahren Andacht, wer seine geistlichen Kompositionen anhört? … Sagt nur, und glaubt es, Ihr Herren, dass sich Apollo und alle Musen vereinen, um Claudios vortreffliche Erfindungsgabe zu erhöhen." (Matteo Caberloti, 1643)

  • Lieber MSchenk, ich sage es dann mal so! (Du bist mir hoffentlich nicht BÖSE!) ;)

    Keinesfalls! Und ich denke, wir sind uns darüber einig, dass wir uns "einfach nur" und ohne Vorbehalt spannende, interessante und streitbare Inszenierungen wünschen :hello:

    mfG Michael


    Eine Meinungsäußerung ist noch kein Diskurs, eine Behauptung noch kein Argument und ein Argument noch kein Beweis.

  • Nun ja, das ist jetzt auch eine eher pauschale Feststellung. - Um welche "Traditionen" soll es denn gehen?


    Es ist vor allem auch eine vollkommen unbelegte Behauptung. Mich würde hierzu auch eine Antwort auf die Frage von ChKöhn interessieren: wer konkret soll denn Tradition in der Klassischen Musik suspekt finden?


    LG :hello:

    "Was Ihr Theaterleute Eure Tradition nennt, das ist Eure Bequemlichkeit und Schlamperei." Gustav Mahler

  • Alle grübeln angestrengt.

    :hahahaha:

    Ich nicht. Ich gehe am Freitag zum 2. Mal nach Gelsenkirchen in das wunderschöne "Schlaue Füchslein"; die paar Elemente von RT stören mich überhaupt nicht.

    Aller Anfang ist schwer - außer beim Steinesammeln (Volksmund)

  • Ich finde, hasiewicz' Einlassung ist so verkehrt nicht, im Gegenteil. Solange Tradition speziell in Deutschland (in Österreich schon weniger) von nicht wenigen zumindest implizit immer irgendetwas mit den "Tausend Jahren" tun zu haben scheint, wird es schwierig, sachlich heranzugehen. Das ist ähnlich wie mit den sprichwörtlichen preußischen Tugenden, von denen wohl wenigstens die Hälfte mit Argwohn beäugt wird.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

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