Musiktheater im 21. Jahrhundert

  • Das Problem fängt schon an mit der Wahl des passenden Unterforums:

    Oper: nicht zwangsläufig

    Musical: nicht zwangsläufig

    Zeitgenössische Musik: führt in die Irre


    Worum geht es: Das aktuelle Jahrhundert hat schon mehr als 2 Jahrzehnte hinter sich. Und ich frage mich:


    Welche bedeutende Werke bzgl. Musiktheater (Oper, Operette, Musical) sind in der Zeit entstanden?


    Die Frage wäre einfach zu beantworten, wenn wir 1800-1822 oder 1900-1922 nehmen würden. Aber 2000-2022: Hat jemand Vorschläge?

  • Meine eigene CD-Sammlung hört beim Thema "Musiktheater" im Jahr 1997 auf: "The Lion King"


    Das muss nichts heißen. Gehen wir meine London-Besuche durch. Da gibt es tatsächlich ein paar Treffer:

    We Will Rock You (2002)

    Jersey Boys (2005)

    Legally Blonde (2007)

    Billy Elliot (2005)

    Matilda (2010)

    The Book of Mormon (2011)


    Das war alles ziemlich gut, teilweise sehr gut (aufgrund der Performance der Darsteller). Aber ich befürchte, keines der genannten Werke wird man in 100 Jahren noch spielen.


    Relevante Opern aus den letzten 22 Jahren kenne ich nicht.


    Bzgl. Musical wird "Hamilton" (2015) sehr gelobt. Steht beim nächsten London-Besuch auf der Liste. Hat wenigstens dieses das Zeug, sich längere Zeit auf dem Spielplan zu halten? Gibt es weitere Vorschläge?

  • Relevante Opern aus den letzten 22 Jahren kenne ich nicht.

    Ich bin kein Experte im Bereich des zeitgenössischen Musiktheaters, aber eine relevante Oper des 21. Jahrhunderts kenne ich: Aribert Reimanns "Medea", uraufgeführt 2010 in Wien. Ich habe das Werk vor einigen Jahren in Essen gesehen. Die Wiener Produktion ist auf Bluray erhältlich:



    Ach ja, meine Signatur ist ein Zitat aus der Oper, das letzte, was Medea dort singt. Trifft auch meine Sicht auf die Welt.

    Der Traum ist aus, allein die Nacht noch nicht.

  • Der Witz ist der, dass neue Musik und neue Opern alte Musik und alte Opern sind. Lully, Rameau, Vivaldi, Händel, Keiser, Vinci, Graupner, Fux, Fasch Cavalli, Hasse.... Schlag nach bei Fiesco, dort sind sie verzeichnet und besprochen (ich habe heute Artemisia von Cavalli bekommen!).

    Eine Ausgrabung nach der anderen; Musik, die Hunderte von Jahren vergraben war und jetzt neu entdeckt wird. Und wenn ich die Wahl habe zwischen Lachenmann und Cavalli (und die habe ich, weil mein Zeitbudget begrenzt ist), ist es klar, wofür ich mich entscheide. Das gilt aber nur für mich und ist nur emotional begründet.

    Schönheit lässt sich gerne lieben...

    (Andreas Hammerschmidt,1611-1675)

  • Ich bin kein Experte im Bereich des zeitgenössischen Musiktheaters, aber eine relevante Oper des 21. Jahrhunderts kenne ich: Aribert Reimanns "Medea", uraufgeführt 2010 in Wien. Ich habe das Werk vor einigen Jahren in Essen gesehen.

    Interessant. Das Werk hat einen Wikipedia-Artikel, und es gibt Aufnahmen davon.


    Mir fällt gerade ein weiteres Kriterium ein. Einer der umfangreichsten Opernführer ist Avant Scène Opéra:

    https://www.asopera.fr/fr/17-operas-publies


    Die haben satte 237 Bände. Reimann ist sogar dabei, aber nur mit seiner Oper "Lear" (1978).


    Es gibt aber auch einen Band mit dieser Oper:

    Thomas Adès: The Tempest (2004)

    https://www.asopera.fr/fr/oper…ies/2268-the-tempest.html


    Des weiteren:

    George Benjamin: Written on Skin (2012)

    https://www.asopera.fr/fr/oper…/163-written-on-skin.html



    Kennt jemand diese Opern?

  • Der Witz ist der, dass neue Musik und neue Opern alte Musik und alte Opern sind.

    Das verstehe wer kann. ich halte dagegen mit


    Peter Eötvös


    Tri sestri, nach Anton Tschechows Drama Drei Schwestern.

    1998 Lyon UA, danach Düsseldorf, diverse Spielstätten der "Nationale Reisopera", Budapest, Hamburg, Freiburg. Zagreb, Edinburgh, Paris, Brüssel und 12 weitere Inszenierungen


    Angels in America

    2004 Paris UA, danach Hamburg, Amsterdam, Boston, London, Wroclaw, New York


    Lady Sarashina nach dem Tagebuch einer japanischen Hofdame aus dem 11. Jahrhundert.

    2008 Lyon UA, danach Paris, Budapest, Wien Lissabon


    Einen Führer zu den Bühnenwerken von Peter Eötvös gibt es hier

    Alles Gute und einen Gruß von Orfeo

  • Reimann (Lear) - sicherlich irgendwie wichtig und relevant ( was auch immer damit eigentlich gemeint ist), aber gefühlt auch schon an die 107 Jahre alt ... Benjamin, klar (Lessons in Love and Violence), aber relevant? - Gleichwie, ich versuche jedes größere Auftragswerk, welches hier in Hamburg zur Aufführung kommt, sei es Oper oder auch Konzert, "mitzunehmen". Ob nun relevant, nicht relevant oder irgendwann später mal relevant; Spaß macht es immer und zumindest für mich persönlich immer irgendwie relevant :hello:


    Nachtrag: Und hier selber mal schauen Kaija Saariaho Innocence

    mfG Michael


    Eine Meinungsäußerung ist noch kein Diskurs, eine Behauptung noch kein Argument und ein Argument noch kein Beweis.

  • Bedeutet relevant unbedingt, dass man die Opern auch in 50 oder 100 Jahren noch spielen wird?

    Dass die Opern von Reimann, Benjamin, Eötvös und anderen Zeitgenossen dann noch auf den Spielplänen stehen werden bezweifel ich sehr. Relevant für die Gegenwart dürften auf jeden Fall folgende Opern sein


    Nico Muhlys Oper Two Boys von 2011 ist eine warnende Geschichte über die dunkle Seite des Internets.


    Andrea Molinos Oper Three Miles Island von 2012 handelt vom Ausfall und dem radioaktiven Leck in einem Kernkraftwerk in Pennsylvania.


    Daniel Bjarnasons Oper Brothers aus dem Jahr 2017 bietet einen Einblick in den posttraumatischen Stress eines heimkehrenden Soldaten aus Afghanistan.

    Alles Gute und einen Gruß von Orfeo

  • Ich nenne "Eurydice" von Matthew Aucoin und Sarah Ruhl. Hat mich in der Übertragung aus der Met sehr beeidruckt.


    Auf YT sind ein paar kurze Clips zu sehen, aber ich verlinke eine ganz instruktive Diskussion.



    Auf BiliBili inzwischen vollständig zu hören und sehen.

    ..., eine spe*ifisch deutsche Kultur ist, jenseits der Sprache, schlicht nicht identifi*ierbar.
    -- Aydan Ö*oğu*

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  • Bedeutet relevant unbedingt, dass man die Opern auch in 50 oder 100 Jahren noch spielen wird?

    Dass die Opern von Reimann, Benjamin, Eötvös und anderen Zeitgenossen dann noch auf den Spielplänen stehen werden bezweifel ich sehr.

    Prognosen, welche zeitgenössischen Opern oder allgemein Kunstwerke man in 100 Jahren noch für bedeutend halten und in Museen zeigen bzw. in Opernhäusern spielen wird, liegen ziemlich oft daneben, wie die Kunst- und Musikgeschichte zeigt.

    Der Traum ist aus, allein die Nacht noch nicht.

  • Das verstehe wer kann. ich halte dagegen mit

    Der Gedanke ist aus der Geschichte der HIP-Bewegung eines englischen Professors. Der meint das so:

    Wenn ich Lust habe, ein ganz neues Werk zu hören, schlage ich nicht hier nach, sondern die Seite von Fiesco. Dort gibt es z.B. Opern, die vor 400 Jahren das letzte Mal gespielt wurden. Konkret heißt das: Cavallis Artemisia statt Olga Neuwirths Orlando.

    Der Reiz dieser Bemerkung schien mir darin zu liegen, dass zu allen Zeiten die moderne Musik auch die aktuelle war, wir aber heute die neueste Musik aus den Archiven graben. Sozusagen musikalische Archäologie.

    Mehr ist da nicht dran. Natürlich gilt das nicht generell, weil bei jedem die musikalische Sozialisation eine andere ist.

    Ei Problem ergibt sich für mich: wir haben in der Rhein-Ruhr-Schiene das dichteste Opernnetz der Welt, aber moderne Opern werden so gut wie gar nicht aufgeführt. Damals hat das Musiktheater im Revier in Gelsenkirchen im kleinen Haus eine Reihe von kleinen zeitgenössischen Opern gespielt, die ich alle gesehen habe, z.B. z.B. "Lenz" (Autor?), "Der Leuchtturm" (P.M.Davies), da bin ich in jede Vorstellung gegangen. Musikalischer Chef war damals Johannes Kalitzke. Auch in Düsseldorf und in Essen wurden Reimann und Giselher Klebe ausgeführt.

    Gehalten hat sich ja im Spielplan Britten, was ich auch schon als Fortschritt empfinde, angesichts der Fülle von Tosca und Zauberflöte. Britten und auch Janacek gibt es heute in Aufführungen, denen auch unsere Provinztheater gewachsen sind, wie ich gerade am "Schlauen Füchslein" in Gelsenkirchen festgestellt habe.

    Nachtrag: Durch die Welt oder mindestens durch Europa zu reisen, um neue Werke zu sehen und zu hören, ist mir nicht möglich. Da bin ich schon ein bisschen neidisch, denn das müssen tolle Erlebnisse sein, einschließlich der Reise und den Städten.

    Schönheit lässt sich gerne lieben...

    (Andreas Hammerschmidt,1611-1675)

  • Allerdings haben wir alle schon viele Barock-Opern gehört, sodass wir kaum noch auf die Idee kommen, dass das jetzt "allerneueste" Musik sei. Da müssen wir dann doch Neuwirth hören.

  • Allerdings haben wir alle schon viele Barock-Opern gehört, sodass wir kaum noch auf die Idee kommen, dass das jetzt "allerneueste" Musik sei.

    Das halte ich allerdings für ein Gerücht! ;)


    LG Fiesco

    Il divino Claudio
    "Wer vermag die Tränen zurückzuhalten, wenn er den berechtigten Klagegesang der unglückseligen Arianna hört? Welche Freude empfindet er nicht beim Gesang seiner Madrigale und seiner Scherzi? Gelangt nicht zu einer wahren Andacht, wer seine geistlichen Kompositionen anhört? … Sagt nur, und glaubt es, Ihr Herren, dass sich Apollo und alle Musen vereinen, um Claudios vortreffliche Erfindungsgabe zu erhöhen." (Matteo Caberloti, 1643)

  • Hab ich wohl ganz klein bisschen übertrieben ...

    ........du meintest wohl........ganz schön übertrieben! 8o


    LG Fiesco

    Il divino Claudio
    "Wer vermag die Tränen zurückzuhalten, wenn er den berechtigten Klagegesang der unglückseligen Arianna hört? Welche Freude empfindet er nicht beim Gesang seiner Madrigale und seiner Scherzi? Gelangt nicht zu einer wahren Andacht, wer seine geistlichen Kompositionen anhört? … Sagt nur, und glaubt es, Ihr Herren, dass sich Apollo und alle Musen vereinen, um Claudios vortreffliche Erfindungsgabe zu erhöhen." (Matteo Caberloti, 1643)

  • Bei aller Liebe zu Barock-Opern: Mit dem Thema dieses Threads haben die nun wirklich nichts zu tun.

    Der Traum ist aus, allein die Nacht noch nicht.

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  • Man könnte das Thema ja auch via Regietheater kapern: Der Regisseur macht aufregend neues Musiktheater und verwendet dabei Mozart etc.


    Gemeint sind offenbar Kompositionen für die Bühne ab 2000, bitte.

  • Die Frage war doch eindeutig gestellt:

    Worum geht es: Das aktuelle Jahrhundert hat schon mehr als 2 Jahrzehnte hinter sich. Und ich frage mich:


    Welche bedeutende Werke bzgl. Musiktheater (Oper, Operette, Musical) sind in der Zeit entstanden?

    Der Traum ist aus, allein die Nacht noch nicht.

  • Ja, sie machen auch Werke, aber ich glaube, hier waren die Kompositionen gemeint. Aber es ist doch schön, dass inzwischen eine Sensibilität für den Gebrauch des Werkbegriffs entstanden ist - immerhin ein positiver Effekt der RT-Debatten der letzten Wochen. :)

    Der Traum ist aus, allein die Nacht noch nicht.

  • Nein, schon Edwin Baumgartner hat vor Jahren festgestellt, dass sich die Opernhäuser darum drücken, viel Zeitgenössisches zu bringen, und dass die Masche "wir machen ohnehin modernes Musiktheater: Regisseur XY macht jetzt Mozart" eine willkommene Ausrede ist. Seitdem war er plötzlich gegen RT ...

  • Ich kenne leider nicht viele Opern. Aber seit der Begegnung mit der Musik von Kaija Saariaho hat mich ihr Oratorium "La passion de Simone" interessiert, was ich nun in der Einspielung



    mit dem Finnischen Radiosinfonie Orchester unter Leitung von Salonen kenne. Es behandelt mit Stationen im Leben von Simone Weil biografische Elemente einer komplexen Persönlichkeit, die bisher nicht Gegenstand vokaler Vertonung war, soweit mir bekannt ist.


    Wir hören hier die siebte von fünfzehn Stationen ihres Leben: En sortant l'usine ... in einer neuen Aufzeichnung mit Anne Sofie von Otter in der Royal Swedish Opera.



    Wer alles hören möchte



    Hier ein paar kurze Worte des Regisseurs Peter Sellars zur Kammer-Aufführung des Oratoriums beim Ojai Music Festival 2016.



    und hier ein paar Worte der Komponistin


  • La Ciociara

    Oper in zwei Akten von Marco Tutino, Libretto: Marco Tutino und Fabio Ceresa nach dem gleichnamigen Roman von Alberto Moravia


    Die Oper wurde am 13. Juni 2015 im War Memorial Opera House der San Francisco Opera unter dem englischen Titel "Two Women" in einer Inszenierung von Francesca Zambello uraufgeführt.

    Die europäische Erstaufführung gab es am 24. November 2017 im Teatro Lirico di Cagliari

    In Wexford wird die Oper dieses Jahr am 26. + 28.10. und am 2. + 5. November aufgeführt.



    Aus Kritiken:

    Giuseppe Pennisi in "Rivista Musica" am 4. Dezember 2017 nannte La ciociara „das absolute italienische Meisterwerk der Oper dieses ersten Teils des 21. Jahrhunderts“

    Eva Pleus in "Der Opernfreund" am 13. Dezember 2017: „Ein Abend, den man trotz der dramatischen, auch grausamen Handlung in vollen Zügen genießen konnte – Oper eben

    Alles Gute und einen Gruß von Orfeo