• Genau, wenn einem Bachs Sonaten und Partiten für Solovioline zu schwer sind, dann lässt man es für zwei Violinen umschreiben oder man fügt noch ein Klavier hinzu, gell? Oder man machts wie der alte Stokowski und peppt diese Werke gleich zu Sinfonien auf.


    Das kann man alles machen, wenn man es denn machen möchte. Wer sollte es einem auf welcher Grundlage verbieten?


    Wenn der moderne Flügel ein Nachfolger vom Cembalo wäre: ja, bloß das ist er nicht.


    Bautechnisch ist er das vielleicht nicht, aber in der funktionalen Rolle als bedeutendes Tasteninstrument sehr wohl.


    Sie entsprechen definitiv nicht der Intention des Komponisten.


    Und was folgt daraus? Müssen wir jetzt Günter Wands Aufnahmen von Bruckners Neunter entsorgen, weil sie nicht der "Intention des Komponisten" entsprechen?


    Und Du meinst jetzt, das ist das ultimative Totschlagargument?


    Nein, das meine ich nicht. Ich würde nur gerne Dein Argument verstehen. Erst ist der Notentext die Mitteilung des Komponistenwillens, dann ist er es wieder nicht, so dass man andere Quellen bemühen muss, um den Komponistenwillen zu ergründen.


    Hätten die Komponisten gewollt, dass man ihren Willen minutiös und bedingungslos befolgt, hätten sie ihn vielleicht klarer und leicht auffindbar niederlegen sollen... :untertauch:


    Ich hab mich nicht hinreichend mit Wagner befasst, weil ich diesen Komponisten schlicht und einfach für überschätzt halte. Mich mit seinem Antisemitismus und seinen diversen anderen Charaktersauereien zu befassen, das ist mir dieser sächsische Alberich, der so gern ein teutonischer Siegfried gewesen wäre, ehrlich gesagt nicht wert. Vielleicht später einmal, aber mit Sicherheit nicht jetzt.


    So kann man sich natürlich auch aus der Affäre ziehen...


    Würdest Du Dich mit Wagner befassen, könntest du Dich der Frage nach dem Antisemitismus als Teil seiner Intentionen aber nicht mehr entziehen. Wie würdest Du dann damit umgehen? Muss man das auf der Bühne nachvollziehen können? Immerhin geht es ja um den geheiligten Komponistenwillen!


    Außerdem beantwortet das nicht meine Frage: wenn ich mir den Parsifal konzertant anhöre, wo finde ich da musikalisch dargestellten Antisemitismus?


    Wer hat etwas von "konzertant" geschrieben? Eine konzertante Aufführung einer Wagner-Oper ist geradezu eine Vergewaltigung des Komponistenwillens, denn Wagner hat Opern und keine Oratorien geschrieben. ;)


    Rein musikalisch findest Du bei Wagner übrigens eine recht deutlich antisemitische Anspielung in der Szene mit Alberich und Mime im "Siegfried".


    LG :hello:

    "Was Ihr Theaterleute Eure Tradition nennt, das ist Eure Bequemlichkeit und Schlamperei." Gustav Mahler

  • Nein, das meine ich nicht. Ich würde nur gerne Dein Argument verstehen. Erst ist der Notentext die Mitteilung des Komponistenwillens, dann ist er es wieder nicht, so dass man andere Quellen bemühen muss, um den Komponistenwillen zu ergründen.

    Jetzt stellst Du Dich halt mal wieder dumm. Komponisten tuen ihren Willen nicht nur durch Noten kund, jetzt bist Du überrascht, stimmt's?

  • Jetzt stellst Du Dich halt mal wieder dumm. Komponisten tuen ihren Willen nicht nur durch Noten kund, jetzt bist Du überrascht, stimmt's?


    Das ist mir schon klar. Du hast aber erst geschrieben, dass der Notentext die Mitteilung des Komponistenwillens ist, nur um das dann erheblich zu relativieren. Da möchte ich einfach wissen, was denn jetzt gilt. Ich stelle mich nicht dumm, Du drückst dich nur unklar aus. ;)


    Können wir uns vielleicht darauf verständigen, dass der ominöse Komponistenwille sich mal in den Noten widerspiegelt, oft genug aber auch nicht? Und dass im letztgenannten Fall uns häufig auch andere Quellen nicht weiterhelfen? So wie zum Beispiel bei der Frage, ob Bach Aufführungen seiner Stücke auf Instrumenten gutgeheißen hätte, die es zu seinen Lebzeiten noch gar nicht gab.


    LG :hello:

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  • Das ist mir schon klar. Du hast aber erst geschrieben, dass der Notentext die Mitteilung des Komponistenwillens ist, nur um das dann erheblich zu relativieren.

    Ich habe nichts relativiert, das hast Du Dir offenbar eingebildet. Ich kopiere, was ich geschrieben habe:



    Entscheidend ist vielleicht, dass beide innerhalb einer Aufführungspraxis agieren, die Regeln vorgibt, ohne die weder die Notation des Komponisten lesbar noch die Aufgabe des Pianisten sinnvoll leistbar ist.

    Also:

    1) Der Komponist tut seinen Willen in Bezug darauf, wie seine Musik klingen soll, mittels Notation kund.

    2) Es gibt Regeln, die die Freiheit desjenigen einschränken, der die Noten verwendet, um Klänge zu erzeugen.


    [Symbol: andere Äußerungen des Komponisten]


    Auch das, was Du da referierst, gehört doch zu "Wille des Komponisten", manche wollen es gar nicht so eng festgelegt haben, andere (bspw. Stockhausen) schon.


    [Symbol: Das geht aber nicht aus den Noten hervor.]


    Genau! Deshalb sollte man sich ja auch mit dem Willen des Komponisten beschäftigen und nicht nur mit den Noten.

  • Können wir uns vielleicht darauf verständigen, dass der ominöse Komponistenwille sich mal in den Noten widerspiegelt, oft genug aber auch nicht?

    Du meinst, es gibt Noten, die nicht den Komponistenwillen widerspiegeln? Wie das?

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  • Du meinst, es gibt Noten, die nicht den Komponistenwillen widerspiegeln? Wie das?


    Nein, ich meine, dass es Fälle gibt, in denen der Notentext den Komponistenwillen nicht vollständig wiedergibt. Oder kannst Du aus dem Notentext des WTK I entnehmen, welcher musikalische Charakter Bach z. B. in der cis-moll-Fuge vorgeschwebt hat? Eine Vortragsbezeichnung gibt es dort nicht.


    Davon mal abgesehen: warum diskutieren wir denn jetzt über den Komponistenwillen? Das Thema war doch "HIP-Moden". Im Fall Mahler-Norrintgton kann man konkludieren, dass die als "historisch informiert" vermarktete Ideologie des Dirigenten zu einer Einspielung eines Stücks geführt hat, die garantiert nicht dem Komponistenwillen entsprach. Das finde ich übrigens gar nicht schlimm (auch wenn es mir persönlich im Ergebnis nicht gefällt), mich stört hier vor allem der aufgeblasene Duktus der historischen Informiertheit, obwohl man sich nicht hinreichend historisch informiert hat. Damit sollte es aber auch gut sein, so dass wir gerne zur nächsten "HIP-Mode" übergehen können. Ich hätte da noch eine anzubieten...


    LG :hello:

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  • Nein, ich meine, dass es Fälle gibt, in denen der Notentext den Komponistenwillen nicht vollständig wiedergibt.

    Ich glaube, Du siehst das schon wieder irgendwie zu technisch/mathematisch. Wie kommst Du auf die Idee, dass "der Notentext den Komponistenwillen vollständig wiedergeben" soll? Dass er das nicht tut, ist ja schon durch den Hinweis auf die Aufführungspraxis deutlich geworden, denke ich.

  • Damit sollte es aber auch gut sein, so dass wir gerne zur nächsten "HIP-Mode" übergehen können. Ich hätte da noch eine anzubieten...

    Ja bitte, die Diskussion über den Komponisten-Willen interessiert mich überhaupt nicht, aber einfach zu behaupten, dass er egal sei, lasse ich halt nicht stehen (die Punkte 1 und 2 in meinen Beiträgen entstammen übrigens dem Artikel zur Performing Praxis des New Grove, sind also nicht irgendein Gewäsch, sondern stehen am Anfang der Abhandlung darüber, was Aufführungspraxis ist und wie sie sich im Laufe der Jahrhunderte geändert hat).

  • Man könnte auch sagen, dass die Noten der Versuch sind, den Willen des Komponisten dem Musiker zu übermitteln.


    Das war der Ausgangspunkt der gesamten Überlegungen.


    Wenn die Noten dieser "Versuch" sind und der Notentext das aber (meist) überhaupt nicht vollständig leistet, dann finde ich diese Charakterisierung des Notentextes nicht überzeugend.


    Ich glaube, Du siehst das schon wieder irgendwie zu technisch/mathematisch.


    Das glaube ich kaum. Immerhin wurde von der höchsten intellektuellen Instanz des Forums festgestellt, dass ich zum logischen Denken nicht befähigt bin. ;)


    Aber von mir aus sollten wir zum Thema zurückfinden. Die "HIP-Moden" haben ja nur eingeschränkt etwas mit dem Komponistenwillen zu tun, da wir in den allermeisten Fällen nicht wissen, ob die Komponisten ihre Stücke im heutigen "HIP-Stil" gespielt haben möchten oder nicht. Wir wissen schlicht nicht, ob Mozart seine Kompositionen lieber von Böhm, Karajan, Harnoncourt oder Jacobs dirigiert gehabt hätte.


    LG :hello:

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  • Das war der Ausgangspunkt der gesamten Überlegungen.


    Wenn die Noten dieser "Versuch" sind und der Notentext das aber (meist) überhaupt nicht vollständig leistet, dann finde ich diese Charakterisierung des Notentextes nicht überzeugend.

    Wie gesagt, das ist pseudo-mathematische Erbsenzählerei oder so.

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  • Nur hörst du da kein Werk von Bach, sondern von Dmitry Sitkovetsky. Und der verdient es unbedingt genannt zu werden, so gut wie ihm dieses Arrangement gelungen ist.


    John Doe


    PS: ich habs von Julian Rachlin, Nobuko Imai und Mischa Maisky.

    Stimmt, aber was soll ich machen. Mir gefällt das in der Trio Form auch sehr gut.


    Gruss


    Kalli

  • Wie gesagt, das ist pseudo-mathematische Erbsenzählerei oder so.


    Was ist "pseudo-mathematisch" daran, dass ich etwas "nicht überzeugend" finde?


    LG :hello:

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  • Was ist "pseudo-mathematisch" daran, dass ich etwas "nicht überzeugend" finde?

    Die Denkweise, dass irgendwas "vollständig" sein soll, quasi "äquivalent". An Stelle dessen sollte man besser versuchen, Zusammenhänge zu verstehen ...

  • Das Problem Deiner "Nicht-Überzeugung" ist, dass Du also die Meinung vertreten musst, dass der Komponist gar keinen Willen hat oder die Noten nichts mit dem Willen zu tun haben. Was soll denn das für eine Theorie sein?

  • Die Denkweise, dass irgendwas "vollständig" sein soll, quasi "äquivalent". An Stelle dessen sollte man besser versuchen, Zusammenhänge zu verstehen ...


    Es ging mir vor allem darum zu verstehen, wieso etwas eine Sache leisten soll, wenn man zugleich argumentiert, dass diese Sache davon gar nicht geleistet wird.


    Aber wie gesagt: lass' uns mal zum Thema zurückfinden...


    LG :hello:

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  • Es ging mir vor allem darum zu verstehen, wieso etwas eine Sache leisten soll, wenn man zugleich argumentiert, dass diese Sache davon gar nicht geleistet wird.

    Dein Problem ist, dass Du den Sätzen eine Art "Vollständigkeit" und den Dingen, von denen gesprochen wird "Äquivalenz" andichtest. Und dann argumentierst Du, als würdest Du mit technischen Begriffen hantieren.

  • Das Problem Deiner "Nicht-Überzeugung" ist, dass Du also die Meinung vertreten musst, dass der Komponist gar keinen Willen hat oder die Noten nichts mit dem Willen zu tun haben. Was soll denn das für eine Theorie sein?


    Nein, diese Theorie vertrete ich nicht, die hast Du Dir gerade ausgedacht.


    Ich vertrete die Theorie, dass ein "Komponistenwille" eher von nachrangiger Bedeutung ist, weil (i) seine Ergründung in vielen Fällen reichlich Spekulation beinhaltet; (ii) wir nicht wissen, ob sich sein Wille nicht noch irgendwie geändert hätte, wenn er die Möglichkeit dazu gehabt hätte; (iii) wir nicht wissen, wie er zu Dingen stehen würde, die sich nach seinem Ableben entwickelt haben und (iv) ein Komponist nicht unbedingt der beste Beurteiler seiner eigenen Werke ist.


    Mich interessiert der Notentext, aber nicht so sehr deswegen, weil man damit irgendeinen "Willen" erfüllen oder gar eine "Treue" zeigen kann, sondern weil er (eine gute Edition vorausgesetzt) uns die beste und robusteste Ausgangsposition für eine musikalische Aufführung bietet. Vor der Interpretation steht halt immer die Bewältigung des Textes.


    Können wir das nun abhaken?


    LG :hello:

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  • Dann habe ich jetzt die nächste "HIP-Mode", die ich gerne zur Diskussion stellen möchte.


    Ich habe in letzter Zeit viel Klassik (Haydn und Mozart) in stark HIP-beeinflussten Einspielungen oder zum Teil auch in "richtigem" HIP gehört - Haydn-Sinfonien mit Antonini und Fey, Mozart-Sinfonien mit Jacobs und Adam Fischer. Dabei fiel mir auf, dass die langsamen Sätze meist sehr ähnlich gestaltet werden: im Dauer-Piano mit etwas ätherisch-anämischem Tonfall. Ich finde das ehrlich gesagt ziemlich eintönig, wobei ich die genannten Einspielungen ansonsten großartig finde, aber diese Tendenz fiel mir einfach auf.


    Bilde ich mir das ein, oder geht es noch jemandem so?


    LG :hello:

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  • Ich dachte, Adam Fischer ist Anti-HIP ... jedenfalls hat er vor Jahrzehnten die Äußerung getätigt, dass das Musizieren auf alten Instrumenten nichts für uns sei, so wie japanische Kultur für uns ungenießbar (bin mir schon ziemlich sicher, dass er das war, anlässlich eines Konzertes in Eisenstadt).

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  • Ich dachte, Adam Fischer ist Anti-HIP ... jedenfalls hat er vor Jahrzehnten die Äußerung getätigt, dass das Musizieren auf alten Instrumenten nichts für uns sei, so wie japanische Kultur für uns ungenießbar (bin mir schon ziemlich sicher, dass er das war, anlässlich eines Konzertes in Eisenstadt).


    Ich würde die Teile von Fischers Haydn, die ich gehört habe, auch näher bei Dorati als bei HIP verorten, aber seine Mozart-Aufnahmen mit dem Danish National Chamber Orchestra sind sehr deutlich HIP-beeinflusst, auch wenn dort m. W. größtenteils moderne Instrumente verwendet werden. Vielleicht hat er seine Meinung geändert? Auf jeden Fall finde ich die Aufnahmen hervorragend, mit dieser besagten leichten Einschränkung bei den langsamen Sätzen (wobei ich die beschriebene Marotte bei Antoninis und Feys Haydn noch weitaus deutlicher fand).


    LG :hello:

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  • Ja, irgendwie ist mir das, was Meister Symbol hier anspricht, auch schon aufgefallen, diese seltsame Tendenz zu großer Zurückhaltung in der Dynamik bei den langsamen Sätzen. Das muss nicht per se zur Anämie führen, das kann (mich) sehr wohl überzeugen, aber die Gefahr ist gegeben.


    Dies gilt durchaus für die von mir gerne weiterhin zu sammelnde Integrale der Haydn-Sinfonien mit Antonini. Da ist es mir nämlich am deutlichsten bewusst geworden.


    Vielleicht wäre eine Erklärung, dass solche Reserviertheit oder Behutsamkeit dann um so ohrenfälliger wird, wenn die schnellen Sätze in diverser Hinsicht betont radikal vermittelt werden. So eben auch bei Antonini mit Haydn. Man könnte auf diese Weise den Kontrast betonen (wollen), wenn man dies denn für wesentlich hält. Das wäre keineswegs zwangsläufig ein positives Resultat historisch informierter Aufführungspraxis. Wiederum käme es aber schon auf den Einzelfall respektive die spezifische Gesamttendenz einer Interpretation an.


    (Ich bin vorsichtig geworden. Nicht selten habe ich auch schon feststellen müssen, dass das Neuartige, unter Umständen Extreme, wenn nicht von (?scheinbar?) unmotivierten Attitüden, vulgo Mätzchen, Geprägte einer hippen Deutung gerade deshalb gefällt, weil man bestimmte Musik eigentlich mal hat ruhen lassen wollen. Meine generelle Meinung zu HIP ist eine bunte und sehr mittlere. Dies zu erwägen, ist exakt hier nicht der richtige Platz ... vielleicht mal wieder an anderem Ort. :))


    :) Wolfgang

    Lieber Fahrrad verpfänden denn als Landrat enden!

  • Vielleicht kann man dieses (vermeintliche) Problem ganz gut anhand eines Beispiels nachvollziehen.


    Auf youtube gibt es einen Live-Mitschnitt einer Aufführung von Haydns Sinfonie Nr. 1 mit Il Giardino Armonico unter Antonini:


    https://www.youtube.com/watch?v=ofG_03vUVPE


    Der langsame Satz wird hier m. E. mit der primären Idee musiziert, dass man ihn fast durchgehend leise spielt und ausgehend von dieser Grundstimmung gelegentliche dynamische Ausbrüche zulässt. Ich finde das gestalterisch etwas wenig. Ich habe gerade mal bei IMSLP in die Partitur gesehen (Landon-Ausgabe). Natürlich steht dort recht viel piano, aber auch über weite Strecken gar keine konkrete Dynamik notiert, und außerdem gibt es ja durchaus verschiedene Arten, ein piano zu gestalten. Ich finde diese Herangehensweise an diesen sehr schönen Satz dann doch etwas einseitig und vor allem letztlich eintönig. Davon abgesehen sagt mir die Aufnahme in den beiden Ecksätzen sehr zu.


    LG :hello:

    "Was Ihr Theaterleute Eure Tradition nennt, das ist Eure Bequemlichkeit und Schlamperei." Gustav Mahler

  • Hinweis: Im Parsifal gibt es keinen Antisemitismus.


    Falls zufälligerweise neue "Belege" aufgetaucht sind, bitte nennen. Und zwar so, dass man sie nachlesen kann.



    Davon abgesehen, ist es natürlich sinnvoll, sich mit dem Willen des Komponisten zu beschäftigen. Aber Künstler sind definitiv nicht dazu da, den Willen des Komponisten auszuführen. Das wäre die Aufgabe von Musikwissenschaftlern.


    Künstler sind dazu da, Kunst zu machen, also etwas Neues zu kreieren. Wissenschaftler sind dazu da, Dinge zu analysieren.


    Zum Thema HIP und Barock:

    Hier betätigen sich Musiker (also Künstler) als Wissenschaftler, und das ist immer problematisch. Kunst ist subjektiv, Wissenschaft ist objektiv. Das lässt sich nur schwer unter einen Hut bringen.

    Die hier erwähnten Musiker (also Künstler) sind immer bestrebt, etwas Neues, und vor allem auch Interessantes zu machen. Das bleibt auch so, wenn sie sich wissenschaftlich betätigen. In der Wissenschaft ist es aber so, dass bei der Untersuchung herauskommen kann, dass man nichts Neues findet. Oder man findet etwas Neues, aber es ist langweilig, oder banal, oder irrelevant. Es war dann wissenschaftlich interessant, aber in der Praxis nutzlos. Für einen Künstler ist so etwas natürlich inakzeptabel...

  • Eigenzitat: "Aber Künstler sind definitiv nicht dazu da, den Willen des Komponisten auszuführen. Das wäre die Aufgabe von Musikwissenschaftlern."


    Damit meine ich: Musikwissenschaftler können eine historisch "korrekte" Aufführung beschreiben. Der Idealvorstellung des Komponisten entsprechend.


    Die Umsetzung kann dann aber keine Kunst mehr sein, das ist reines Handwerk. Das wird dann ein Mal gespielt, auf einen Datenträger überspielt, und dann war's das. Irgendwann übernimmt das ein passend programmierter Computer, neudeutsch "künstliche Intelligenz" genannt.


    Mit Kunst hat das aber nichts zu tun. Das ist Wissenschaft, mit handwerklicher bzw. (in Zukunft) Software-Unterstützung. Natürlich hochinteressant. Aber halt nur so lange, wie man auf der Suche nach dem Endergebnis ist. Sobald man dieses hat, kann man es irgendwo abspeichern und sich mit neuen Dingen beschäftigen.

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  • Ich bin auch überzeugt, das auch ChKöhn sich mit dem Willen der Komponisten beschäftigt.

    Ob ich das tue oder nicht, ist in diesem Zusammenhang vollkommen irrelevant. Selbst wenn ich mich von früh bis spät mit der Frage quälen würde, was Bach gewollt hätte, würde uns das bei der Frage, warum man das tun soll, keinen Schritt weiterbringen. Hier wurde gefordert, man "solle" Stücke grundsätzlich auf dem Instrument spielen, "für das sie komponiert" seien. Die Frage, warum man das tun "soll", wird nicht damit beantwortet, dass es Musiker gibt, die das tun. Dass die Behauptung, es käme sonst so etwas wie eine auf 25 Minuten gekürzte Mahler-Symphonie heraus, grober Unfug ist, liegt ja wohl auf der Hand. Die Frage ist also weiterhin nicht beantwortet worden.


    Genau, wenn einem Bachs Sonaten und Partiten für Solovioline zu schwer sind, dann lässt man es für zwei Violinen umschreiben oder man fügt noch ein Klavier hinzu, gell?

    Schumanns Klavierbegleitungen zu Bachs Werken für Solo-Violine sind ziemlich gut und wurden in ihrer Zeit für berechtigt und gelungen gehalten. Mendelssohn hat zu ein paar Stücken eigene Klavierbegleitungen komponiert, die vielleicht noch besser sind.


    Ja, weil wir uns nämlich sonst als klüger und schlauer als der Komponist selbst darstellen

    Schumann und Mendelssohn waren meines Wissens auch keine ganz unbedeutenden Komponisten. Bist Du "klüger und schlauer" als sie?

    "Herr Professor, vor zwei Wochen schien die Welt noch in Ordnung."
    "Mir nicht."
    (Theodor W. Adorno)

  • Schumanns Klavierbegleitungen zu Bachs Werken für Solo-Violine sind ziemlich gut und wurden in ihrer Zeit für berechtigt und gelungen gehalten.

    Sind Bachs Werke für Solovioline verbesserungswürdig? Diese Bearbeitungen dienen doch nur der Vereinfachung und nehmen diesen Werken einen wesentlichen Aspekt, nämlich den der Virtuosität weg. letztendlich sind sie doch nur ein Dokument der Unfähigkeit damaliger Violinisten, diese Werke zu spielen.

    chumann und Mendelssohn waren meines Wissens auch keine ganz unbedeutenden Komponisten.

    Waren diese Herren klüger als Bach? Waren sie bessere Komponisten als Bach? Was ist bedeutender? Die Matthäus-Passion oder der Elias, die Johannes-Passion oder der Paulus, alternativ das Paradies und die Peri?


    John Doe

  • Diese Bearbeitungen dienen doch nur der Vereinfachung und nehmen diesen Werken einen wesentlichen Aspekt, nämlich den der Virtuosität weg. letztendlich sind sie doch nur ein Dokument der Unfähigkeit damaliger Violinisten, diese Werke zu spielen.

    Inwiefern werden die Werke leichter zu spielen, wenn ein Klavier dazu kommt? Wenn überhaupt ist es umgekehrt: Durch den strengeren Puls des Klaviers gibt es für den Geiger weniger Freiheiten.


    Waren diese Herren klüger als Bach? Waren sie bessere Komponisten als Bach?

    Sie selbst glaubten das jedenfalls nicht. Aber die Frage ist hier ja ohnehin irrelevant. Ich warte noch auf Deine Begründung, warum man Werke auf den Instrumenten spielen "sollte, für die sie komponiert" wurden. Bisher hast Du das einfach nur behauptet.

    "Herr Professor, vor zwei Wochen schien die Welt noch in Ordnung."
    "Mir nicht."
    (Theodor W. Adorno)

  • Bautechnisch ist er das vielleicht nicht, aber in der funktionalen Rolle als bedeutendes Tasteninstrument sehr wohl.

    Klar das Pferd ist auch vom Bulldog oder Traktor abgelöst worden, es gibt also kein Springreiten mehr sondern nur noch einen Hindernisparcours für Ackerschlepper? ^^

    Das Cembalo ist doch nicht ausgestorben oder abgelöst worden, es hat sich weiter entwickelt, genau so wie sich das Klavier weiterentwickelt hat, ja, es gibt sogar moderne Cembalokonzerte.

    Und was folgt daraus? Müssen wir jetzt Günter Wands Aufnahmen von Bruckners Neunter entsorgen, weil sie nicht der "Intention des Komponisten" entsprechen?

    Nein, es ist nur die Feststellung, dass da etwas fehlt.


    So kann man sich natürlich auch aus der Affäre ziehen...

    So blind bin ich jetzt bezüglich Wagner auch nicht, man findet seinen Antisemitismus in seinem literarischen Werk, zu dem ich auch die von ihm verfassten Libretti zähle, nicht aber in seiner Musik. Wobei es bei den Libretti aber auch schon schwierig wird, kann man doch z.B. Alberich und Mime als antisemitische Karikaturen sehen oder nach Shaw als Kapitalisten und Protofaschisten verstehen.


    John Doe

  • Hier betätigen sich Musiker (also Künstler) als Wissenschaftler, und das ist immer problematisch. Kunst ist subjektiv, Wissenschaft ist objektiv. Das lässt sich nur schwer unter einen Hut bringen.

    Ganz im Gegenteil, wenn man Musik beforscht, kann es nicht schaden, damit auch praktisch in Berührung gekommen zu sein, und wenn man schafft, muss man auch Analyse können. Deine Vorstellung vom Musik-Schaffen ist womöglich "romantisch" verklärt.

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