Ernst Krenek. „Reisebuch aus den österreichischen Alpen“, op.62

  • „Friedhof im Gebirgsdorf“ (II)

    Tatsächlich liedmusikalisch sarkastisch wird es bei den Worten „Im düstren Beinhaus wird sodann das lockere Skelett zerrissen“ eingeleiteten Gruppe von insgesamt fünf Versen. Die melodische Linie steigt in einem permanenten Auf und Ab aus der tiefen Lage eines „Es“ bis zu einem hohen „G“ empor, wobei dieser Aufstieg deshalb so markant-zielstrebig wirkt, weil ihn das Klavier mit einem permanenten, staccato ausgeführten Auf und Ab von Achteln im Bass begleitet, zu dem im Diskant in der üblichen Weise rhythmisierte Achtel-Sechzehntel-Akkorde erklingen. Zweimal überlässt sich die melodische Linie einer wie höhnisch anmutenden Dehnung in hoher Lage: Auf dem Wort „wirr“ und – wunderlicherweise – auf dem Personalpronomen „das“, bevor sie bei dem zugehörigen Wort „Gebein“ eine in eine Dehnung mündende Tonrepetition in hoher Lage beschreibt.

    Bei den Worten „Gegen fünfzig Groschen Eintritt könnt ihr euch die Reste anschaun, / und so arbeiten auch noch die Toten“ geht die melodische Linie dann in eine immer langsamer werdende (Anweisung „rit.“) Fallbewegung in Sekundschritten über, die ganz und gar in Moll (überwiegend b-Moll) harmonisiert ist und vom Klavier im Diskant in Gestalt von Akkorden mitvollzogen wird, während es im Bass nun das geradezu penetrant wirkende Auf und Ab in Oktaven erklingen lässt. Lakonisch endet diese Liedpassage mit einer leicht gedehnten Tonrepetition in tiefer Lage auf dem Wort „Toten“, die das Klavier mit einem lang gehaltenen a-Moll-Akkord begleitet, den es, auf wiederum sarkastisch anmutende Weise, in einen F-Dur-Akkord übergehen lässt.

    Wie in ein protestierendes Sich-Aufbäumen mutet die melodische Linie auf den Worten „Wie muß einst Auferstehung sein in diesem Tal der Schmerzen“ an. Sie setzt mit einem markanten, weil nun in ungewöhnlichen deklamatorischen Schritten im Wert von Viertelnoten erfolgenden Auf und Ab in tiefer Lage ein, steigt, diesen deklamatorischen Gestus beibehaltend, in mehreren Anläufen in obere Mittellage empor, um sich von dort bei dem Wort „Schmerzen“ wieder in mittlere Lage abzusenken. Das Klavier folgt ihr dabei, diesen Gestus akzentuierend, mit drei- und vierstimmigen Akkorden im Diskant, während im Bass erst gegenläufig, dann aber doch in die Bewegung der melodischen Linie einstimmend Achtel und Achtel-Oktaven erklingen.

    Bemerkenswert ist, dass nun Dur-Harmonik vorherrscht (B-Dur, Es-Dur, F-Dur). Erst bei den Worten „empor sich reckt / Und diese Toten ihre Gräber aufsprengen“ ist das wellenförmige Auf und Ab, in das die melodische Linie hier übergeht, in Moll harmonisiert (d-Moll und a-Moll). Dabei bleibt es aber nicht. Bei den Worten „Gräber aufsprengen“ beschreibt die melodische Linie zwar einen zweifachen Sekundfall in hoher Lage, der mündet aber in eine Tonrepetition auf einem tiefen „F“, und das Klavier lässt gegenläufig Akkorde im Diskant und Achtel im Bass erklingen, und die stehen in klarem F-Dur.

  • „Friedhof im Gebirgsdorf“ (III)

    Bei den Worten „und die Riesenleichensteine, diese ewigen Alpen, einstürzen“ geht die Liedmusik zu einem geradezu gravitätischen Ton über: Die melodische steigt mit zweimal den gleichen deklamatorischen Schritten von zwei Achteln und einer nachfolgenden Dehnung in obere Mittellage auf. Sie wirken deshalb so gewichtig, weil das Klavier jeden dieser Schritte synchron mit Akkorden in Bass und Diskant begleitet. Dabei lässt es zwei Mal eine gleichsam dazwischenfahrende Quinte in extrem tiefer Basslage erklingen. Die Harmonik rückt dabei immer wieder von B-Dur nach F-Dur. Nachdem die melodische Linie bei den Worten „ewigen Alpen“ in eine auf einem hohen „Es “ansetzende Fallbewegung in Sekundschritten übergegangen ist, beschreibt sie zu dem Wort „einstürzen“ hin einen Sextsprung, das hohe „G“ das sie damit erreicht wird drei Mal forte fortissimo, und dabei akzentuiert von drei sechsstimmigen e-Mol-Akkorden, deklamiert, - und danach verstummt die Liedmusik. Eine lange Generalpause folgt.

    Pianissimo und wie zögerlich setzt danach das Klavier mit einer gleichsam klanglich abgemagerten Version des Vorspiels ein. Die Singstimme deklamiert die Worte „Verwirrt stolpert man ins Sonnenlicht“ von einer Achtelpause unterbrochen in rezitativischem Gestus auf mittlerer tonaler Lage, vom Klavier pro Takt mit nur einem einsamen, staccato angeschlagenen Akkord begleitet. Bei den nachfolgenden Worten „und versteht, daß auch die Lebenden hier nicht sehr lustig sind“ geht die melodische Linie zu einer wieder mehr deklamatorisch gebundenen Bewegung über, steigt in ruhigen Schritten in obere Mittellage empor und geht dort in eine kleine, nur um eine Sekunde sich erhebende Bogenbewegung über, in der das Wort „lustig“ eine kleine Dehnung trägt.

    Das alles ist in b-Moll-Harmonik gebettet, wird vom Klavier immer noch mit Akkorden begleitet, die aber nun legato in einen tiefen Bass-Akkord abstürzen, so dass man unwillkürlich wieder an ein Trauergeläut denkt.
    Und das ist angebracht, wohnt doch der Liedmusik hier die Anmutung einer schmerzlichen Melancholie inne. Die aus einer akkordischen Fallbewegung in b-Moll hervorgehende und im tiefen Bass erklingende Oktave, mit der das Lied schließt, wirkt wie eine düstre Mahnung.

  • Lied 7: „Regentag“

    Es gibt Regentage, die sehr schön sind.
    Morgens zwischen acht und neun
    zeigt sich die Sonne zwischen feuchten Schleiern.
    Bald entschwindet sie dem Blick
    und trüb und trüber senken sich die Wolken.
    Langsam fängt es an zu regnen,
    und man weiß: nun hört´s bis abends nimmer auf.
    Unrast, Unternehmungslust und Neugier gehn auf Urlaub,
    und ein stiller Ruhetag wird heute sein.
    Das Nahe, Kleine, Einzelne empfiehlt sich der Betrachtung:
    Eine Pfütze auf dem Weg, das wachsende Bächlein im Straßengraben,
    eine Bäuerin mit einem Parapluie.
    Nachmittag sitz ich dann am Fenster,
    in der Karaffe glänzt der dunkelrote Wein,
    den man geruhsam trinkt, nichts als dem Ablauf der Stunden zugewandt.
    O wunderschöner Ruhetag, friedvolles Plätschern auf dem Dach
    und Müßiggang, den man nur hier genießt!

    Eine monologische Betrachtung, in der auf reizvolle Art introvertiert-reflexive Gedanklichkeit mit extrovertierter Hinwendung zur Außenwelt ineinandergreift, was sich auf der Ebene der Sprache in der Weise auswirkt, dass da und dort ein genuin lyrischer Ton, dies in Gestalt von Bildlichkeit, in den des auf Sachlichkeit ausgerichteten Berichts tritt. Neben die im Gestus der sachlichen Feststellung daherkommenden Worte „Es gibt Regentage, die sehr schön sind“, tritt unvermittelt das genuin lyrische Bild von der „Sonne zwischen feuchten Schleiern“.
    Freilich dominiert, wie das ja generell in diesem Zyklus der Fall ist, der Gestus deskriptiver, konstatierender und reflexiver Sprachlichkeit, wie er einem in typischer Weise in den Worten entgegentritt: „Das Nahe, Kleine, Einzelne empfiehlt sich der Betrachtung“. Aber immerhin: Mit der „Pfütze am Weg“, der „Bäuerin mit einem Parapluie“ oder dem „friedvollen Plätschern auf dem Dach“ vermag sich die Sprache doch vereinzelt von diesem Gestus zu lösen und sich der Poesie anzunähern.

    Krenek wäre keiner von den Großen unter den Liedkomponisten, begegnete einem dieses Ineinander von Poesie und Prosa, wie es für diesen Text charakteristisch ist, nicht auch in der Liedmusik, - und dies auf durchaus beeindruckende, weil das klangliche Potential derselben genial nutzende Art und Weise.
    In dieser Komposition lassen beide, die Singstimme und das Klavier, je ein Lied erklingen, und das hochgradig Artifizielle in seiner Anlage begegnet einem in der Vielfalt des Zusammen- und des Wechselspiels dieser beiden Lieder. Um das zunächst einmal, bevor es im einzelnen deskriptiv belegt wird, allgemein zu charakterisieren:
    Das Klavier artikuliert in bemerkenswerter, sogar die Zwischenspiele in Beschlag nehmender Beharrlichkeit seine Melodie in Gestalt von ununterbrochen fließenden Achteln im Diskant über einem ebenso beharrlichen, weil konsequent durchgehaltenen Auf und Ab von Vierteln im Bass. Und wie um seine Dominanz zu betonen, lässt es, nachdem es seine Melodie im Nachspiel sechs Takte lang weiter fortgeführt hat, am Ende, in den beiden letzten Takten erstmals, das aber bemerkenswerterweise pianissimo, drei vierstimmige Akkorde im hohen Diskant erklingen.

    Aber es ist nicht so, dass sich die melodische Linie sich darin erschöpfte, einen inhaltlichen Beitrag zum Klaviersatz zu liefern. Diesen Eindruck macht sie tatsächlich phasenweise, aber keineswegs durchweg. Vielmehr geht sie immer wieder dazu über, sich mit ihrer eigenen liedmusikalischen Aussage durchsetzen zu wollen, und tatsächlich meint man an diesen Stellen zu vernehmen, dass das Klavier sich auf ihre Bewegungen in begleitender und kommentierender Weise einlässt.


  • „Regentag“. Zur Faktur der Komposition und ihrer liedmusikalischen Aussage

    Die interessante Frage dabei ist nun, an welchen Stellen des lyrischen Textes dies geschieht und was die Gründe dafür sein mögen. Dem soll anhand einiger repräsentativer Passagen der Liedmusik kurz nachgegangen werden.
    Das Lied, das das Klavier zu dieser Komposition beizutragen hat, lässt es im sechstaktigen Vorspiel „Allegretto grazioso (leicht und heiter“ erklingen. Das geschieht in einem wellenartigen Auf und Ab von Achteln, das sich über gleichförmig in Sprüngen staccato angeschlagenen Vierteln im Bass in seinem klanglichen Strömen konsequent in höhere Lage hinaufbewegt und von dort in einen Fall in Gestalt von Terzsprüngen übergeht. Ausnahmslos ist das alles in Dur Harmonik gebettet („Des“, „Ges“, „Ces“), denn die in diesem perlend sich entfaltenden Klaviersatz abzeichnende Melodie verträgt in ihrer heiteren Arglosigkeit keinerlei Moll-Eintrübung. Das bleibt im weiteren Verlauf des Liedes zwar nicht durchweg so, und es treten da und dort Rückungen in das Tongeschlecht Moll auf. Die sind aber allemal nur von kürzer Dauer und wirken wie flüchtig. Dur-Harmonik beherrscht dieses Lied.

    Bemerkenswert ist der Auftritt der Singstimme. Er erfolgt auftaktig mit einem melodischen Sekundfall auf den Worten „Es gibt“, dem ein Sextsprung zu dem Wort „Regentage“ nachfolgt, der diesem einen Akzent verleiht. Die Singstimme drängt sich damit in den ununterbrochen weiterfließenden Strom der Achtel hinein, der die Melodie des Vorspiels gerade noch einmal erklingen lässt. Nach der Tonrepetition in mittlerer Lage auf dem Wort „Regentage“ senkt sie sich wieder in die tiefe Lage ab, aus der sie hergekommen ist und verstummt erst mal wieder für ganze drei Takte, in denen das Klavier die Wiederholung des Vorspiels fortsetzt. Dieser kurze Auftritt lässt das, was die melodische Linie zu sagen hat, wie einen kurzen, fast beiläufig wirkenden erläuternden Beitrag zu dem wirken, was das Klavier musikalisch zum Ausdruck bringt. Und das gleich zwei Mal.

    Bei den beiden nächsten Melodiezeilen, die jeweils die Verse zwei und drei, vier und fünf umfassen und in eine halbtaktige Pause münden, entfaltet die melodische Linie schon eine etwas größere Eigenständigkeit. Zwar setzt sie bei den Worten „Morgens zwischen acht und neun“ noch einmal mit den gleichen deklamatorischen Schritten, wie sie sie in der der ersten Zeile beschreibt, sie fährt aber nun mit diesem Gestus des Springens in höhere Lage (bei „Sonne“, „Bals entschwindet sie“ und „senken“) und des gleichsam rüstigen Voranschreitens fort, und das Klavier durchmisst nun mit seinen Achteln etwas kleinere tonale Räume, so dass es in nicht zu einem so starken klanglichen Kontrast zwischen Klaviersatz und melodischer Linie kommt. Bei dem Sprung der melodischen Linie in obere Mittellage und den nachfolgenden Bewegungen dort, wie sich das bei den Worten „Senken sich die Wolken“ ereignet, vollziehen die Achtel diesen Aufstieg in hohe Lage und den anschließenden Fall sogar mit.

    Zu einem wirklichen Zusammenspiel zwischen Singstimme und Klavier in dem Sinne, dass der Klaviersatz in seiner Struktur auf die melodische Linie ausgerichtet ist, ihr in ihren Bewegungen folgt und dabei klangliche Akzente setzt, kommt es erstmals bei den Worten „Unrast, Unternehmungslust und Neugier gehn auf Urlaub / und ein stiller Ruhetag wird heute sein“. Die melodische Linie vollzieht hier zunächst ein Auf und Ab in Sekundschritten in oberer Mittellage, geht dann zu einem gleichförmigen Fall in tiefe Lage über, um danach einen wieder weit nach oben ausgreifenden Bogen zu beschreiben und in zwei längeren Dehnungen in tiefer Lage zu enden. Das Klavier folgt ihr darin größtenteils, und bemerkenswert ist, dass es dies erstmals nicht in Gestalt seiner Achtelketten tut, sondern mit Figuren, die aus einem Auf und Ab von Achteln bestehen. Das bleibt aber nicht durchweg so. Bei dem Bogen, den die melodische Linie bei den Worten „stiller Ruhetag“ beschreibt, senken sich die Achtel in kettenförmigem Fluss gegenläufig in die Tiefe und akzentuieren auf diese Weise die Melodik, und beim zweifach gedehnten Fall derselben am Ende steigen Achtel wiederum gegenläufig aus der Tiefe nach oben.

    Hier scheint es so zu sein, dass sich ein Zusammenspiel von melodischer Linie und Klaviersatz deshalb ereignet, weil sich das lyrische Ich in der Beschreibung seiner seelischen Regungen ergeht und das Klavier dem besonderen Nachdruck verleihen möchte. Denn es fällt ja auf, dass es in dem Augenblick, wo der Reisende wieder in die Haltung allgemeiner Betrachtung verfällt, wie bei den nachfolgenden Worten „Das Nahe, Kleine, Einzelne empfiehlt sich der Betrachtung“, das Klavier, obgleich diesen Worten dadurch Nachdruck verliehen wird, dass sich die melodische Linie in gewichtigen deklamatorischen Schritten im Wert von halben Noten in mittlerer Lage entfaltet, nun wieder zu jener wellenartig fließenden Folge von Achteln übergeht, mit der es im Vorspiel auftrat. Harmonisch verbleibt diese Melodiezeile ganz und gar im Bereich von Des-Dur.

  • „Regentag“ (II)

    Aber es scheint noch einen anderen Anlass zu geben, der das Klavier zum Zusammenspiel mit der melodischen Linie animiert. Man vernimmt ihn bei den nachfolgenden lyrischen Bildern von der „Pfütze“, dem „Bächlein“ und der „Bäuerin“ mit ihrem „Parapluie“. Und eben dies, das evokative Potential des lyrischen Bildes, will das Klavier mit einem Sich-Einlassen auf die melodische Linie erschließen. Die melodische Linie ist hier, um der Eigenständigkeit der drei Bilder zu entsprechen, in drei kleine Zeilen untergliedert, die jeweils in eine kleine Dehnung münden. Das Klavier überspielt die beiden Pausen dabei zwar, darin seinen Grund-Gestus der ungebrochenen Entfaltung auch hier beibehaltend, aber es artikuliert sich nun in Gestalt von Achtelfiguren, die aus einem Fall mit nachfolgendem Aufstieg bestehen, und mit denen folgt es der Bewegung der melodischen Linie, vollzieht zum Beispiel deren Quintfall auf dem Wort „Bäuerin“ mit und begleitet den dreischrittigen Sekundfall auf den Worten „einem Parapluie“ mit einer Achtel-Sekundfallkette aus hoher Lage, die im letzten Augenblick zwar in einen Sekund-Anstieg übergeht, das aber nur, um im zweitaktigen Zwischenspiel erneut eine ganze Folge von Fallbewegungen erklingen zu lassen.

    Hier bei diesen lyrischen Bildern dominiert übrigens durchgehend Moll-Harmonik (f-Moll und as-Moll). Schon einmal war das der Fall, nämlich bei den Worten „entschwindet sie dem Blick / und trüb und trüber senken sich die Wolken“. Dort war es vom lyrischen Bild her verständlich, hier hingegen wirkt es zunächst einmal verwunderlich, lässt sich aber vielleicht mit der emotionalen Reaktion des Reisenden auf diese Bilder erklären. Schließlich dominieren beim Bild von der Bäuerin im Regen Fallbewegungen in Melodik und Klaviersatz, und sie suggerieren im Zusammenhang mit ihrer as-Moll-Harmonisierung so etwas wie Mitgefühl des Betrachters.
    Aber, um bei dieser Gelegenheit auf die allgemeine Ebene der Liedbetrachtung abzuheben: Hier wird beispielhaft die kompositorische Subtilität in Kreneks Umgang mit dem lyrischen Text vernehmlich und fassbar.

    Reizvoll an diesem Lied ist – unter anderem, aber zu einem ganz wesentlichen Teil – das Anwachsen der Eigenständigkeit der melodischen Linie in seinem Verlauf, - Eigenständigkeit im Sich-Durchsetzen gegenüber der nach wie vor beharrlichen Dominanz des Klaviersatzes. Mit den Worten „Nachmittag sitz ich dann am Fenster“ geht der Reisende wieder zur von Subjektivität geprägten Schilderung seiner situativen Befindlichkeit über. Zur Folge hat dies, dass sich die melodische Linie nun in für dieses Lied geradezu ungewöhnlich kantabel gebundenen deklamatorischen Schritten entfaltet und bei den Worten „in der Karaffe glänzt der dunkelrote Wein“ einen weit gespannten und am Ende über einen Sekundsprung in eine Dehnung mündenden Bogen beschreibt.
    Und siehe: Das Klavier vollzieht ihn nicht nur mit einer Kette von Achteln im Diskant mit, es steigert ihn sogar noch, indem es die Aufstiegsbewegung weiter fortsetzt und zum Fall erst übergeht, wenn die melodische Linie längst in ihrer Dehnung in mittlerer Lage verharrt. Und nicht nur das: Das Klavier lässt hier von seinem beharrlichen Auf und Ab von Vierteln im Bass ab und beschreibt damit nun eine zur Melodik gegenläufige Linie.

    Dieses, die Aussage akzentuierende Sich-Einlassen auf die Melodik hält das Klavier aber nicht davon ab, sich im sechstaktigen Zwischenspiel nach dem Innehalten der melodischen Linie in Gestalt einer gedehnten Fallbewegung auf den Worten „Stunden zugewandt“ seiner so geliebten wellenartigen Artikulation von Achteln im Diskant über Sprüngen von Vierteln über große Intervalle im Bass hinzugeben. Bei den Worten „O wunderschöner Ruhetag“ nimmt die melodische Linie in ihrem ruhigen (halbe Noten) Sekund-Abstieg aus hoher Lage einen geradezu verzückten Ton an. Das Klavier begleitet sie mit Figuren aus fallenden und wieder steigenden Achteln in hoher Lage, die zunächst auf der tonalen Ebene verharren, am Ende aber, wenn sich sie melodische Linie bei dem Wort „Ruhetag“ zu einem „As“ in mittlerer Lage absenkt, eine Steigbewegung nach oben beschreiben. Die Harmonik rückt von einem anfänglichen Des-Dur nach Ges-Dur und moduliert bei der Fallbewegung, in die der Klaviersatz in der kurzen Pause für die Singstimme übergeht, über ein kurzes as-Moll nach As-Dur.

  • „Regentag“ (III)

    In heiterer Beschwingtheit geht die Liedmusik nach dieser Begrüßung des „Ruhetags“ weiter und ihrem Ende entgegen. Das Klavier beliebt bei seinen bogenförmig fallenden und wieder steigenden Achtelfiguren, die, weil es jeweils zwei pro Takt sind, den Gestus der melodischen Linie im Sinne eines Voranschreitens akzentuieren, denn sie bewegt sich nun fast nur noch in deklamatorischen Schritten von Viertel- oder halben Noten. Nur zweimal ereignet sich eine leichte deklamatorische Rhythmisierung, nämlich bei den Worten „Müßiggang“ und „hier genießt“. Da dabei aber jeweils Schritte im Wert von halben Noten beteiligt sind, bleibt der Grund-Eindruck eines rüstigen Voranschreitens der melodischen Linie erhalten.

    Auf den Worten „friedvolles Plätschern auf dem Dach“ liegt eine eigene, mit einer Viertelpause abgeschlossene kleine Melodiezeile, bei der die melodische Linie in einem Auf und Ab in Sekundschritten auf mittlerer tonaler Ebene verharrt und am Ende in einen verminderten Sekundsprung übergeht. Wie eine kleine impressionistische Skizze wirkt sie. Auf den letzten Worten entfaltet sich die melodische Linie nur noch in überaus ruhigen und gleichförmigen deklamatorischen Schritten im Wert von halben Noten. Sie steigt von mittlerer Lage aus in obere Mittellage empor und geht, nach einem Quartfall bei den Worten „hier genießt“ mit einem zweifachen Sekundfall zu ihrem Ruhepunkt auf einem gedehnten „Ges“ über. Und dieser Schluss der Liedmelodik erfolgt auf bemerkenswert klassische Weise: Ein Sekundfall hin zum Grundton, verbunden mit einer Rückung von der Dominante „Des“ zur Tonika „Ges“.

    Und das Klavier kann es danach nicht lassen: Fünf Takte lang lässt es im Nachspiel seine langsam in hohe Lage emporsteigenden Achtel-Wellenlinien erklingen, bevor es sich dann im letzten Takt zu drei, die Liedmusik beschließenden vierstimmigen Akkorden aufrafft. Sie erklingen in hoher Diskantlage, und dies ebenfalls in der klassischen Rückung von der Dominante zur Tonika.

  • Lied 8: „Unser Wein“
    (Dem Andenken Franz Schuberts)

    Von Süd und Ost belagert stürmisch unsre Alpen unser Wein.
    Da ist der weiße Wein aus Wien und Gumpoldskirchen,
    der von Krems, aus der Wachau,
    dann die von Baden, Soos, Pfaffstätten
    und der rote von Vöslau, und weiter dann
    im Süden unsrer Steiermark das Hochgewächs von Luttenberg.
    Zumeist verachtet von den Fremden wie das meiste, das wir haben,
    weil zu anspruchslos im Äußern ist die Gabe,
    ist köstlich unser Wein
    nur dem, der ihn zu finden weiß.
    Nichts ist so schön
    als wie im frühen Sommer durch das Weingebirg zu gehn,
    wo auf unabsehbar schrägen Flächen emsig still und verdrossen
    an den grauen Stecken grüne Männlein aufwärtsklimmen.
    Weiße Rebhäuschen, schmuck und zierlich,
    unterbrechen ihre holde Pilgerfahrt,
    und noch ganz oben, wo schon der schwarze Nadelwald herrschen will,
    drängt sich ein schmaler Weinberg zwischen die Föhren,
    bietet sich der Sonne dar …

    Das sind Verse, die in ihrem prosaischen sprachlichen Gestus und ihrer auflistenden Sachbezogenheit wie ein Zitat aus einem Reiseführer daherkommen, nur vereinzelt in leicht lyrisch geprägte Bilder abschweifen, aber ansonsten geradezu beharrlich bei ihrer deskriptiven und konstatierenden Haltung verbleiben.
    Natürlich erschöpfen sie sich nicht im reiseführerhaften Beschreiben der österreichischen Weinlandschaft. Sie erweisen sich in ihrer semantischen Tiefendimension als eine Station auf der Suche des Reisenden nach dem Wesen seiner Heimat, - was ja als kompositorische Grund-Intention diesem ganzen Zyklus zugrundeliegt. Und sie sind – o Wunder – Franz Schubert gewidmet, einem Komponisten, der die Inspiration für seine Liedmusik aus der lyrischen Sprache und ihrem evokativen Potential bezog.

    Konnte, so fragt man sich, Ernst Krenek sich nicht in diesem Fall wenigstens einmal von seiner narrativ-deskriptiven Sachlichkeit lösen und sich, wenigstens ansatzweise, zu lyrischen Höhen aufschwingen, - und den Wein auch sprachlich singen lassen?
    Er dachte nicht daran, - auch nicht auf dem Hintergrund dieser Schubert-Widmung seiner Verse und der sie aufgreifenden Liedmusik. Es ist ein Reisebericht in Wort und Musik, den er hier vorlegt. Und das immer wieder aufs Neue in Erstaunen Setzende ist, dass es ihm gelungen ist, auch eine reiseführerhaft daherkommende Sprachlichkeit in ansprechende Liedmusik zu verwandeln. So hier zu vernehmen und zu erleben.


  • „Unser Wein“. Zur Faktur der Komposition und ihrer liedmusikalischen Aussage

    Krenek selbst war der Meinung, dass er mit diesem Lied Schubert sehr nahe gekommen sei, mehr als mit all den anderen Liedern dieses Zyklus. Denn es komme in ihm „zu einer fast wörtlichen Anspielung auf das gemütliche Einherstolzieren eines Schubert´schen Militärmarschs.“ Und in der Tat kann man im Vorspiel dieses Liedes entfernte Anklänge an Schuberts Marsch für Klavier zu vier Händen op.27, Nr.3 vernehmen. Aber abgesehen davon, dass es sich hier wirklich nur um Anklänge handelt, eine wirkliche Annäherung an Schubertsche Liedmusik im Sinne eines Aufgreifens ihrer konstitutiven Elemente zum Zwecke einer Weiterentwicklung und Hinführung zu moderner Liedsprache ereignet sich hier nicht.
    Was man als Rezipient dieser Liedmusik vorfindet, das ist eine Reminiszenz an den musikalischen Geist des Marsches, wie ihn Schubert in seine Klaviermusik eingebracht hat, und überdies eine Übernahme der Orientierung an der Volksmusik, wie sie ebenfalls für Schuberts kompositorisches Schaffen charakteristisch und stilprägend ist. Der Volksmusik-Ton ist tatsächlich auch konstitutiv für die Musik dieses Krenek-Liedes, freilich angereichert mit Rückgriffen auf die Unterhaltungsmusik seiner Zeit.

    Und da wird man ein wenig stutzig, wundert sich und wird nachdenklich. Krenek selbst kritisierte, anlässlich der Feiern anlässlich der hundertsten Wiederkehr von Schuberts Todesjahr, die Verunstaltung von Schuberts Musik durch den Kitsch der „unechten, nie bodenständig gewordenen Heurigenseligkeit“, wie er sie in der Musik seiner Zeit zu vernehmen meinte. Aber reiht er sich mit der Seinigen hier in diesem Lied nicht in das ein, was er kritisiert? Am Ende der Vorstellung dieses Liedes wird eine Antwort auf diese Frage zu geben sein.

    Prägend für diesen Grundton ist – neben den volksliedhaften Anmutungen der melodischen Linie – der Rhythmus, den die Liedmusik gleich mit dem ersten Takt des Vorspiels anschlägt. Er wirkt tänzerisch beschwingt, weil auf der Grundlage des Viervierteltakts der erste und der dritte Taktschlag eine Schwerpunkt-Dehnung trägt, was zu Folge hat, dass der zweite und der vierte auftaktig-kurzschrittig angelegt ist. Und hinzu kommt - und das ist durchaus als Anklang an die zeitgenössisch-österreichische Unterhaltungsmusik aufzufassen - , dass der Auftakt in der Regel schleppend angelegt ist. Der aus einer Repetition hervorgehende Sekundsprung der Terzen im Auftakt des Vorspiels, den die melodische Linie bei ihrem Einsatz auf den Worten „Von Süd und“ wiederholt, ist repräsentativ für den Geist dieser Liedmusik. Denn sie soll „Commodo (gemächlich und fröhlich)“ vorgetragen werden. Und dazu gehört, dass man ihre Auftakte gemächlich nimmt.

    Es-Dur dominiert in diesem Lied. Und diesem Es-Dur kommt anscheinend eine gewisse Leittonart-Funktion für den ganzen Zyklus zu: Es liegt auch dem ersten, dem zwölften und dem neunzehnten Lied zugrunde, und auch das letzte endet in dieser Tonart. Das würde, so möchte man vermuten, diesem Lied ein gewisses Gewicht für die musikalische Aussage des ganzen Zyklus verleihen. Und hinzu kommt ja, dass bei aller Weinseligkeit, die seine Musik ganz offensichtlich prägt, dem Wein selbst in ihm ja eine gewisse existenzielle Relevanz zukommt. Denn im dritten Lied sagt der Reisende von ihm: „Abends dann beim Wein im Klosterkeller magst du nachdenken, was für ein sinnlos Leben du führst.“

    Die auf den Worten „Von Süd und Ost belagert stürmisch unsre Alpen unser Wein“ liegende melodische Linie ist zwar nicht identisch mit der, die sich im Vorspiel abzeichnet, in ihrer auftaktig-bogenförmigen Anlage und in ihrer Rhythmisierung, die vom Klavier mit bitonalen Akkorden im Diskant und mit Einzeltönen im Bass akzentuiert wird, atmet sie deren Geist. Insofern klingt da tatsächlich ein wenig Schubert auf, und da sich diese melodische Bewegung auf den Worten „Nichts ist so schön als wie im frühen Sommer durch das Weingebirg zu gehen“ wiederholt, geht eine die Liedmusik klanglich prägende Wirkung von ihr aus.

  • „Unser Wein“ (II)

    Bewundernswürdig gut gelingt es Krenek, die Auflistung der einzelnen Wein-Sorten in eine kantabel sich entfaltende melodische Linie einzubringen. Da ist ihm ihre Rhythmisierung natürlich hilfreich, aber dadurch, dass er die Vokallinie immer wieder neu zu einem Aufstieg ansetzen und bei den Worten „und der rote von Vöslau“ in einem Bogen in höherer Lage aufgipfeln lässt, bringt er Struktur in sie. Und das geschieht auch zusätzlich durch die dreitaktige Pause danach, die das Klavier mit einer Folge von Achteln und Sechzehnteln, der dreistimmige Akkorde in tänzerisch-beschwingter Weise klanglich ausfüllt, bevor die Singstimme dann auftaktig zur Deklamation der melodischen Linie auf den Worten „und weiter dann im Süden unsrer Steiermark das Hochgewächs von Luttenberg“ einsetzt. Sie behält dabei den zuvor schon angeschlagenen Gestus bei und beschließt die Zeile auch hier wieder mit einer melodischen Aufgipfelung am Ende, hier in Gestalt eines leicht gedehnten Sekundfalls in höherer Lage auf dem Wort „Luttenberg“.

    Nun ist es wenig sinnvoll, die nachfolgende Liedmusik in gleicher Weise in ihrer Struktur und ihrem klanglichen Charakter zu beschreiben. Deshalb soll nur auf diesbezüglich repräsentative Merkmale eingegangen werden. Da ist zunächst einmal die Harmonik. Sie ist angesichts der hier intendierten Volkstümlichkeit der Liedmusik von einer bemerkenswerten Komplexität. Bei der gerade beschriebenen Passage der ersten sechs Verse setzt sie zwar mit permanenten Rückungen von der Tonika Es-Dur in die Dominante ein, immer wieder aber schleicht sich Moll-Harmonik ein (c-Moll, g-Moll, es-Moll), die wohl eine gewisse klangliche Weichheit in die Liedmusik bringen soll, den einschmeichelnden Charakter der Weine reflektierend.
    Harmonisch hochdifferenziert ist das Klavierzwischenspiel, das modulierend von Des-Dur zum nachfolgenden C-Dur überleitet, in dem die melodische Linie auf den Worten „und weiter dann im Süden…“ einsetzt. Diese verbleibt nun bis zum Ende der Zeile im Bereich von C-Dur und G-Dur und hebt sich dadurch klanglich deutlich von der vorangehenden Melodiezeile ab.

    Das hier aufgezeigte Bild der Harmonik ist in seiner Differenziertheit repräsentativ für das ganze Lied. Es-Dur ist zwar die Grundtonart, aber die Harmonik durchläuft schon bei der melodischen Linie auf der nachfolgenden Versgruppe sieben bis zehn („Zumeist verachtet von den Fremden…“) bemerkenswerte Modulationen: Von C-Dur über Ges-Dur in den Kreuzton-Bereich A-Dur, D-Dur und G-Dur. Man darf das wohl als Niederschlag des hohen, aus der Überzeugtheit vom lyrisch Gesagten hervorgehenden kompositorischen Ausdruckswillens verstehen. Und dieser wird auch in der melodischen Linie vernehmlich, die auf den Versen dieser Gruppe liegt. Sie setzt wieder in dieser für dieses Lied so typischen, leicht schleppend wirkenden, weil die ansonsten dominierende Rhythmisierung ignorierenden Auftaktigkeit bei den Worten „zumeist verachtet“ ein. Dann aber geht sie zu immer wieder neu ansetzenden Aufstiegsbewegungen über, die deshalb in ihrer musikalischen Aussage so nachdrücklich wirken, weil sie immer wieder aus Tonrepetitionen hervorgehen, so bei den Worten „Fremden wie“, „haben, weil“, „anspruchslos“ und „köstlich unser Wein“.

    Zu ihrem volksliedhaft-kantablen Gestus kehrt die Melodik bei den Worten „Nichts ist so schön als wie im frühen Sommer…“ zurück, wobei bemerkenswert ist, dass der Notentext bei den Worten „als wie“ eine Sternchen-Anmerkung aufweist, lautend „Absicht“. Zwar setzt die melodische Linie zunächst mit einer Wiederholung der ersten Melodiezeile ein, dann aber zeigt sie, was darüber hinaus in ihr steckt. Bei den Worten „still und verdrossen an den grauen Stecken grüne Männlein aufwärtsklimmen“ senkt sie sich nämlich wie taumelnd in immer tiefere Lage ab, wobei sie zweimal ein tiefes B“ erreicht und erst am Ende, bei dem Wort „klimmen“ mit einem Quartsprung in eine Aufwärtstendenz übergeht. Eigentlich verwunderlich, so denkt man, - diese Fallbewegung der melodischen Linie angesichts dieses lyrischen Bildes. Aber sie will wohl dessen Kern zum Ausdruck bringen: Das mühsam Kleine des menschlichen Bemühens, das sich gleichwohl als große Unverdrossenheit zu erkennen gibt.

    Bei den Worten „Weiße Rebhäuschen, schmuck und zierlich“ setzt die melodische Linie nicht mit ihrem üblichen schleppenden Auftakt ein, sondern geht nach einer Tonrepetition mit einem Quartsprung zu etwas lebhafterer Bewegung (Anweisung „poco animato“) über, die sich als dreimalige und in der tonalen Höhe ansteigende Bogenlinie darstellt, die am Ende, bei dem Wort Pilgerfahrt in einer Kombination aus Terzfall und in eine Dehnung mündendem Sprung endet. Das Bild von den „Rebhäuschen“ findet durch dieses lebhafte Auf und Ab der Melodik adäquaten Ausdruck, und auch das Klavier wird von diesem Bild inspiriert und lässt nun, abweichend von seinem bisherigen Verfahren, seinerseits im Diskant ein Auf und Ab von staccato angeschlagenen Achteln und Sechzehnteln (in der üblichen Rhythmisierung) erklingen. Die Harmonik moduliert auf schlichte Weise zwischen der Grundtonart Es-Dur und der Dominante B-Dur.

  • „Unser Wein“

    Bei den letzten drei Versen liegt syntaktisch ein Satzgefüge mit einleitendem Nebensatz vor. Die melodische Linie greift das – und hier zeigt sich wieder die für diesen Zyklus so charakteristische enge Anbindung der Liedmusik an die Struktur des lyrischen Textes – in der Weise auf, dass sie beim drittletzten Vers gleichsam zwei Anläufe in Gestalt von kleinen, durch eine Viertelpause voneinander abgehobenen Zeilen macht, bei denen das Es-Dur dominantische Funktion annimmt. Beide – die zweite setzt mit den Worten „wo schon der schwarze…“ ein – setzen mit der gleichen Figur aus drei ansteigenden deklamatorischen Achtelschritten ein, wobei im zweiten Fall das letzte Intervall größer ist, so dass sich tatsächlich ein Einleitungseffekt einstellt.

    Die kompositorische Raffinesse besteht nun darin, dass Krenek nach einer weiteren Viertelpause bei den ersten Worten des Hauptsatzes diesen Einleitungseffekt fortsetzt. Noch immer ist die melodische Linie in Es-Dur als Dominante harmonisiert, und noch immer setzt sie mit einer ansteigenden Linie ein. Und bei den Worten „zwischen die Föhren“ bewegt sich die melodische Linie zwar in oberer Mittellage auf und ab, bleibt aber weiterhin in Es-Dur harmonisiert und wird vom Klavier mit aufwärts springenden Dreierfiguren aus Achteln begleitet. Erst bei den Worten „bietet sich der Sonne dar“ findet sie liedmusikalisch zum Ziel ihres Aussage-Kerns. Wieder steigt sie – in der üblichen Rhythmisierung – in Sekundschritten an, nun aber in As-Dur harmonisiert. Das vermag sich aber nicht zu halten und geht noch während dieser melodischen Anstiegsbewegung in as-Moll über. Das aber nur, um der nachfolgenden Rückung nach B-Dur die Anmutung von klanglicher Weichheit zu verleihen.

    Denn hier, bei den Worten „der Sonne dar“, hat die melodische Linie ihren expressiven Höhepunkt erreicht. Sie geht mit einem Sekundsprung zu einer langen, als Sekundfall angelegten Dehnung über, der das Klavier mit einem den ganzen Takt ausfüllenden und in hohe Diskantlage reichenden Bogen aus Achteln und Achtel-Akkorden einen starken Akzent verleiht. Das Wort „dar“ wird dann – in Gestalt einer neuerlichen Dehnung – auf dem gleichen hohen „Es“ deklamiert, auf dem der gedehnte Sekundfall endete, - nun aber in der Grundtonart Es-Dur harmonisiert.

    Mit einer kurzen, in Gestalt von Akkorden stockend vorgetragenen und deshalb wie ein Nachklang wirkenden Artikulation der Auftaktfigur der das Lied einleitenden und gleichsam programmatischen Melodiezeile endet die Liedmusik.
    Das ist empfindet man als durchaus hintergründig, zerbricht doch hier dieser Anflug von volkstümlichem Geist, der ihr innewohnt.

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  • Lied 9: „Rückblick“

    Was hab´ ich bis jetzt nun gefunden?
    Inn´re Ruh hat sich nicht eingestellt.
    Wir in der Zeiten Zwiespalt haben es schwer.
    Stadtgeboren, angehängt dem Betrieb der Zeit,
    seh´n wir da draußen in den Bergen
    überall die unerreichbaren Quellen des Lebens,
    in jedem Haus das Zeugnis bess´rer, noch naturverbund´ner Zeiten.
    Ist denn für uns wirklich das Band unknüpfbar zerrissen?
    Und den Niederbruch des Lebenswerts bejahen, die Verpöbelung des Menschen?
    Wer gibt Antwort wohin wir gehören? Wohin?

    Ein Text, der sich ganz und gar in gedanklicher Reflexivität ergeht, mit der einleitenden Frage zwar subjektiv ansetzend an den persönlichen Erfahrungen der „Reise“, wie sie bislang verlief, danach sich aber dann doch in die Region lebensweltlich relevanter Aspekte und Grundfragen hinein steigernd. Darin ist er repräsentativ für die kompositorische Intention, die diesem Zyklus zugrunde liegt, wirken doch all die narrativ-deskriptiven sprachlichen Elemente, die er textlich aufweist, wie das Fleisch an einem Knochen-Skelett, das wesenhaft ein gedanklich-reflexives ist.

    Was aber den Rezipienten dieses Liederzyklus immer wieder aufs Neue erstaunt, und gerade im Falle dieses Liedes in ganz besonderer Weise, das ist die Frage, wie es Krenek gelingen konnte, all die sprachlich-begrifflichen Abstrakta, wie sie die Gedankenlastigkeit seines Reiseberichts aufweist – hier Begriffe wie „Betrieb der Zeit“, „naturverbund´ne Zeiten“, „Niederbruch des Lebenswerts“ und „Verpöbelung des Menschen“ - in eine Liedmusik umzusetzen, die ihre Hörer durchaus klanglich anzusprechen vermag.

    Der Rückgriff auf die Liedmusik des von ihm verehrten Franz Schubert ist dafür nicht hinreichend, ist sie doch in ihrem Wesen gerade nicht gedankengeboren, sondern vom evokativen Potential lyrischer Sprache inspiriert und in ihrer Gestalt musikalische Lyrik. Ohnehin erfolgt eine solche Annäherung an sie nur vereinzelt und überdies in unterschiedlichem Grad. Im Grunde ist keine Methode, kein Prinzip auszumachen. Krenek folgt, wie man es hier wieder einmal erleben kann, mit seiner Liedmusik einfach dem Gestus der Sprache selbst, so dass sie in der Regel in hohem Maße deklamatorisch-rhetorisch strukturiert ist.

    Eine Frage und eine Feststellung stehen am Anfang dieses „Rückblicks“, die Situation und die allgemeine subjektive Befindlichkeit umreißend, worin er erfolgt. Krenek setzt diesen Sachverhalt in der Weise in Liedmusik um, dass er diesen beiden ersten Versen jeweils eine Melodiezeile zuordnet, die in einen sechzehn Takte umfassenden Klaviersatz eingebettet sind: Acht Takte Vorspiel, zwei Takte Zwischenspiel und nochmals zwei Takte Nachspiel, das als Zwischenspiel und Überleitung zur nächsten Melodiezeile fungiert, die die Verse drei und vier umfasst, also nicht nur deutlich größer ist, sondern auch nur durch eine fermatierte Dehnung auf dem Wort „Zeit“ von der nächsten Melodiezeile abgesetzt ist, die noch umfangreicher ist, weil sie sich über drei Verse ( fünf bis sieben) erstreckt.

    Danach ist die Melodik wieder in kleinere Zeilen untergliedert. Weil die drei letzten Verse jeweils syntaktisch als Fragen angelegt sind und der Inhalt der Fragen ein für den Reisenden höchst relevanter ist, ist jedem Vers eine eigene, durch längere Pausen (einmal sogar eine Generalpause) in ihrer Bedeutsamkeit hervorgehobene Melodiezeile zugeordnet. Sogar das letzte Fragewort „Wohin?“ trägt eine eigene.


  • „Rückblick“. Zur Faktur der Komposition und ihrer liedmusikalischen Aussage

    Die formale Anlage des Liedes wurde deshalb so detailliert beschrieben, weil man hier sehr schön die enge Anbindung von Kreneks Liedmusik nicht nur an die Semantik, sondern auch an die Struktur des lyrischen Textes erkennen kann. Die Tatsache, dass die ersten beiden Melodiezeilen in einen umfänglichen Klaviersatz gebettet sind, reflektiert die situative Genese der zugrundeliegenden lyrischen Aussage. Das, was das Klavier zum Ausdruck bringt, kann man nämlich durchaus als klangliche Evokation der Situation aufnehmen und verstehen, in der sich der „Reisende“ in diesem Augenblick befindet.
    Zweimal steigen im Bass über große Intervalle Achtel auf und gehen in einen gedehnten Sekundfall über. Drei aus repetierenden Sechzehntelsprüngen bestehende Figuren folgen im Diskant nach, wobei die Harmonik instabil und schweifend von cis-Moll über A-Dur und von gis-Moll über Dis-Dur moduliert. Man kann das durchaus als musikalischen Ausdruck eines reflexiven Innehaltens verstehen, zugleich als eines, das von großen Ungewissheiten hinsichtlich des Ertrags der bisherigen Reise geprägt ist. „Andante“ lautet hier – wie für das ganze Lied – die Tempovorgabe, versehen mit der Vortragsanweisung „still und kontemplativ“).

    In der melodischen Struktur der beiden Zeilen schlägt sich auf markante Weise die lyrische Aussage nieder. Bei der Frage „Was hab´ ich bis jetzt nun gefunden?“ beschreibt die melodische Linie, darin gleichsam das drängende „nun“ reflektierend, eine zweifache, in hoher Lage einsetzende und in mittlerer sich fortsetzende Fallbewegung, die das Klavier im Diskant in Gestalt von Achteln mitvollzieht. Bei der Feststellung „Inn´re Ruh hat sich nicht eingestellt“ besteht die melodische Linie hingegen aus zwei Anstiegsbewegungen, die sich ebenfalls auf zwei nach unten abgesenkten tonalen Ebenen ereignen, an ihrem jeweiligen Gipfelpunkt, also bei den Worten „Ruh“ und „nicht“ eine akzentsetzende Dehnung aufweisen.

    Auch hier folgt das Klavier mit Achteln im Diskant der melodischen Bewegung, und in beiden Fällen mündet diese in Moll-Harmonik (cis-Moll und gis-Moll). Das lyrische Ich findet sich betrübt in seiner augenblicklichen Situation als „Reisender“ vor. Und das wird sich in der nachfolgenden Liedmusik niederschlagen. In dieser gibt es zwar eine Phase von mehrere Takte umfassender Dur-Harmonisierung der melodischen Linie. Aber bezeichnenderweise ist dies dort der Fall, wo sich das lyrische Ich Meditationen über „bessere, noch naturverbundene Zeiten“ hingibt. Ansonsten dominiert in diesem Lied, Niederschlag der seelischen Befindlichkeit des lyrischen Ichs angesichts der Zeitläufte, Moll-Harmonik, immer wieder einmal in verminderte Modulationen ausschweifend.

    Mit der Versgruppe drei bis sieben, in der sich das lyrische Ich sich in reichlich abstrakter Sprachlichkeit reflexiv dem Geist der Zeit und der Haltung der ihn verkörpernden Menschen widmet, nimmt die melodische Linie einen deutlich ausgeprägten, sich wie in einem großen Zug entfaltenden rhetorisch deklamatorischen Gestus an. Mehrfach geht sie aus einem wie ein Anlauf wirkenden Anstieg in ein Auf und Ab in mittlerer Lage über, setzt dabei aber immer wieder einmal Akzente in Gestalt eine kurzen Dehnung (bei „Zwiespalt“ und „schwer“) oder einer Tonrepetition (bei „stadtgeboren“ und „angehängt“), und die mit einer Fermate versehene Dehnung auf einem hohen „E“ bei dem Wort „Zeit“ wirkt wie ein nur kurzes Innehalten und Atemholen, denn mit den Worten „wir da draußen“ setzt die melodische Linie ihren deklamatorischen Gestus unverändert fort.

    Sie entfaltet sich weiterhin, darin nur von kurzen Achtelpausen unterbrochen, in Gestalt von immer wieder neu ansetzenden und partiell aus Tonrepetitionen in tiefer Lage hervorgehenden kurzschrittigen Anstiegsbewegungen, die sogar, wie bei den Worten „überall die unerreichbaren Quellen des Lebens“ in die Syntax des Verses eindringen und sich über sie gleichsam zum Zwecke der expressiven Steigerung seiner lyrischen Aussage hinwegsetzen. Am Ende, dort, wo es um die „bess´ren“, die noch „naturverbundenen Zeiten“ geht, findet sie sich dann aber in einer Art meditativem Innehalten ein: In Gestalt eines Quartfalls auf dem Wort „bess´rer“, eines gedehnten, weil in drei Sekundschritten erfolgenden melodischen Falls auf dem Wort „naturverbundner“ und einer wiederum gedehnten, und wie ein Ausklingen wirkenden Tonrepetition auf dem Wort „Zeiten“.

  • „Rückblick“ (II)

    Bemerkenswert ist die Art und Weise, wie sie das Klavier dabei begleitet. Es bekundet nämlich darin einen durchaus eigenen musikalischen Aussage-Willen, in dem es an das anknüpft, mit dem es das Lied im Vorspiel einleitete. Da ließ es ja schon vernehmen, dass es in dem, was es zu sagen hat, die situativ-seelische Befindlichkeit des lyrischen Ichs reflektiert. Und dieser Intention folgt es auch in diesem Abschnitt der Liedmusik wieder. Zwei Mal lässt es die Figuren erklingen, die aus dem Auf und Ab von Sechzehnteln bestehen und die man aus dem Vorspiel kennt: Bei der melodischen Linie auf den vierten Vers und bei der auf die Worte „bess´rer, noch naturverbund´ner Zeiten“. Dort aber, wo die melodische Linie in besonders markanter Weise ihre permanent sich wiederholenden Anstiegsbewegungen beschreibt, folgt ihr das Klavier darin mit staccato angeschlagenen Akkordfolgen im Bass, denen allerdings gegenläufig bitonale Akkorde im Bass zugeordnet sind.

    Den Fragen der letzten drei Verse wird großes liedmusikalisches Gewicht verliehen. Jedem Vers ist eine Melodiezeile zugeordnet, sogar dem Fragewort „Wohin?“ am Ende. Ihre Bedeutsamkeit wird dadurch hervorgehoben, dass jeder Melodiezeile eine fermatierte Pause für die Singstimme nachfolgt. Vor dem zweitletzten Vers, in dem es um den „Niederbruch des Lebenswertes“ und die „Verpöbelung des Menschen“ geht, und danach ereignet sich sogar eine Generalpause. Das sind aber nur die formalen Aspekte, die die Gewichtigkeit der liedmusikalischen Aussage bedingen. Melodik und Klaviersatz tragen in ihrer spezifischen Struktur das Ihrige dazu bei. Bemerkenswert ist, dass die Achtel-Figur des Vorspiels, der bogenförmig angelegte und über ein großes Intervall sich erstreckende Anstieg und Fall von Achteln, hier eine zentrale Rolle übernimmt. Je zwei Mal erklingt sie in der melodischen Linie und im Klaviersatz, und diese Permanenz verleiht den Fragen, die hier aufgeworfen werden, eine besondere liedmusikalische Nachdrücklichkeit.

    Auf den Worten „Ist denn für uns wirklich“ beschreibt die melodische Linie diese Figur, und das Klavier verleiht hier ihrer Aussage Nachdruck durch sich über die ganze Zeile erstreckende Achtel-Akkordrepetitionen. Gis-Moll dominiert, mit einer kurzen Rückung nach Dis-Dur. Im nachfolgenden Zwischenspiel lässt das Klavier drei Mal ein mit einem dreistimmigen Akkord eingeleitetes Auf und Ab von Sechzehnteln erklingen, von dem eine große klangliche Nachdrücklichkeit ausgeht. Beim zweitletzten Vers folgt es den Bewegungen der melodischen Linie synchron mit Achteln in Bass und Diskant und akzentuiert sie auf diese Weise. Und am Anfang des letzten Verses ereignet sich gleichsam eine Kulmination der zentralen melodischen Bogenfigur: Erst lässt sie das Klavier in der vorangehenden Pause für die Singstimme erklingen, danach übernimmt diese sie bei den Worten „Wer gibt Antwort, wohin…“.

    Vor der Melodiezeile auf der Schlussfrage „wohin“, der ebenfalls eine lange Pause vorausgeht, artikuliert das Klavier wiederum den in unterer Basslage ansetzenden Aufstieg der Achtel, nun aber dupliziert diese Figur sich gleichsam, denn im Bass folgt die übliche Fallbewegung nach, im Diskant aber setzt sich die Aufstiegsbewegung fort und geht danach in die zweite Grundfigur des Klaviersatzes über: Das Auf und Ab von Sechzehnteln, mit dem das Lied pianissimo im Nachspiel ausklingt. Denn die melodische Linie ist bereits erloschen. Sie besteht in dieser Zeile aus einem Quartfall auf den beiden Silben des Wortes „wohin“, der, in cis-Moll harmonisiert, in eine lange, den Takt übergreifende Dehnung auf einem „E“ in tiefer Lage übergeht.

  • Lieber Helmut Hofmann,


    dann wage ich auch einen kleinen "Rückblick". Du bringst uns diesen Liederzyklus auf unvergleichliche Weise näher und ich danke dir dafür. Ich kann sagen, dass mich die Texte faszinieren und dass Krenek m.E. dafür eine grandiose Umsetzung gefunden hat.

    Hoffentlich geht es dir gut, denn du legst eine ungewöhnlich lange Pause ein.


    LG greghauser

  • Zu Deiner Nachfrage, lieber greghauser (die mir, wie ich gestehe, wohl tat):

    Mein Pausieren hat nichts mit meiner gesundheitlichen Befindlichkeit zu tun. Die ist wie immer, also dem hohen Alter entsprechend leidlich.

    Ich bin zur Zeit, und das aus gegebenem Anlass, von starken Zweifeln hinsichtlich der Frage geplagt, ob ich mit meiner reflexiv-analytisch ausgerichteten Betrachtung von Musik, insbesondere der Liedmusik, hier im Forum noch am rechten Ort bin.

    Wenn ich diesbezüglich zu einer klaren Erkenntnis gekommen sein sollte, setze ich diesen Thread gerne fort, - auch - und vor allem - , weil Dir das offensichtlich lieb wäre.

  • Lieber Helmut Hofmann,


    das Forum ist m. E. der richtige Ort! Hier bleibt deine analytische Betrachtung stehen, auch für Leser, die möglicherweise erst in Jahren auf Kreneks "Reisebuch aus den österreichischen Alpen" stoßen werden. Mir selbst ist es mit der "Winterreise" so ergangen, über die sich hier vor langer Zeit sehr intensiv ausgetauscht wurde. Ich habe im Nachhinein von der Arbeit profitiert, die damals geleistet wurde - insbesondere von dir. Es gibt immer wieder einzelne Menschen, die so etwas enorm zu schätzen wissen. Besonders in der heutigen Zeit, in der intensive und aussagekräftige Betrachtungen im Bereich der klassischen Musik immer seltener werden.

  • Hast ja recht, lieber greghauser, mit dieser Argumentation.

    Sie hat, um es mal metaphorisch auszudrücken, durchaus das Zeug zu einer hilfreichen Leiter auf dem Weg zurück.

    Hab Dank!

  • Lied 10: „Auf und Ab“

    Auf und ab wie die Narren rennen die Menschen,
    den Sommer über auf und ab in diesen Alpen,
    als ob ein alter Fluch sie hetzte,
    als ob man Platzpatronen hinter ihnen anbrennte.
    Ungeduldig und beflissen nach den dürren Weisungen der Reisebücher,
    Alpenführer, Fahrpläne und Prospekte
    laufen sie herum, die einen hin, die andern her,
    mehr leidend als genießend, und versichern:
    „Ach wie schön! Ach wie schön!“
    photographieren sich und dahinter wohl auch einen Berg
    und sehen nichts, weil sie Ansichtskarten schreiben müssen.
    Ein Geist der Menschenfeindschaft wächst riesig unter ihnen auf,
    denn jeder, dem man begegnet, ist ein böser Konkurrent
    für Autoplätze, Gasthaustische, bessres Essen,
    Aussichtspunkte, Nachtquartier und alles Übrige.
    Die Sinnlosigkeit der Mühe steht auf den verdrossenen Gesichtern,
    doch die weiß Gott von welchem Dämon
    verhängte Pflicht wird stumpfsinnig erfüllt.
    Gelangweilt verhüllen die großen alten Berge ihre Häupter,
    wenn der Pöbel ihnen auf die Füße tritt.

    Im Gestus schlichter Prosa wird der Alpentourismus in seinen typischen Erscheinungsformen beschrieben. Der Text erschöpft sich aber nicht darin, geht vielmehr im zweiten Teil von der Ebene der Deskription in die er Reflexion über, ohne freilich die erste völlig zu verlassen und zu einer vertieften Betrachtung des Phänomens vorzustoßen. Stattdessen wird am Ende den als „sinnlos“ eingestuften Aktivitäten die majestätische Ruhe der „großen alten Berge“ entgegengesetzt, denen nichts bleibt, als vor diesem stumpfsinnigen Getue zu ihren Füßen ihre Häupter zu verhüllen.

    Man darf davon ausgehen, dass sich Krenek bei diesem Text ganz bewusst auf die Ebene der Deskription beschränkt und den reflexiven Anteil gering gehalten hat. Dieser sperrt sich per se gegen die Umsetzung in Liedmusik, während jene die Möglichkeit bietet, das mit Worten Beschriebene und Dargestellte über die ihm beigegebenen Kommentare und Wertungen hinaus mit den Ausdrucksmitteln der Musik gleichsam sinnlich erfahrbar werden zu lassen und auf diese Weise durch die Einbeziehung des Faktors Emotionalität Dimensionen zu erschließen, die im Prozess der kognitiven Rezeption des sprachlichen Textes nicht zugänglich sind.

    Genau dieses leistet die Liedmusik auf diesen Text, und sie tut es, was im Folgenden unter Bezugnahme auf seine Faktur zu belegen ist, auf durchaus beeindruckende und ihn in seiner Aussage tatsächlich enorm bereichernde Art und Weise. Ein Viervierteltakt liegt ihr zugrunde, und sie ist „eilig“ (Allegro vivace“) vorzutragen. Die Struktur von melodischer Linie und Klaviersatz lässt auf den ersten Blick erkennen, worauf hin sie angelegt ist:
    Der hektische Aktivismus, der im Zentrum der Bilder und Aussagen der ersten acht Verse steht, soll mit der Liedmusik klanglich eingefangen und zum Ausdruck gebracht werden
    Und das gelingt Krenek so gut, dass man beim hörenden Mitverfolgen fast atemlos wird. Nicht nur dass sich die melodische Linie in einer Folge von ausschließlich deklamatorischen Achtelschritten entfaltet, das Klavier folgt ihr darin synchron mit Achteln in Bass und Diskant, und selbst wenn es im Bass vorübergehend zu Akkorden greift, sind das ebenfalls solche, die – staccato angeschlagen – synchron zu den deklamatorischen Schritten erklingen.

    Hinzu kommt, dass die Harmonik einen ebenso gleichsam rastlosen modulatorischen Prozess durchläuft. Der melodischen Linie bestimmte, länger dominierende Tonarten zuzuordnen, ist nicht möglich. Das einzige, was Beharrlichkeit zeigt, ist das Tongeschlecht Moll. Es beherrscht die Liedmusik über die ganzen ersten acht Verse, wird dann aber in umso effektvoller Weise bei Vers neun, bei dem Ausruf „Ach wie schön!“ durch überraschend auftretendes C-Dur ersetzt.
    All das zeigt wieder einmal, dass Krenek es liebt, mit tonmalerischen Mitteln zu arbeiten. Denn man empfindet die Liedmusik ganz unmittelbar so, dass sie selbst zur klanglichen Verkörperung von Hektik geworden ist.


  • „Auf und Ab“. Zur Faktur der Komposition und ihrer liedmusikalischen Aussage

    Auf geradezu witzig-klangmalerische Weise setzt die Liedmusik auftaktig ein. Auf den Worten „Auf und ab“ liegt je ein Ton, ein „Fis“ ein tiefes „C“ und ein „H“ in mittlerer Lage, die alle drei von der Singstimme und vom Klavier in Diskant und Bass in gravitätisch-schöner Eintracht vorgetragen werden, - und das in Gestalt von in diesem Lied höchst seltenen Viertel-Noten. Eine halbtaktige Generalpause folgt diesem Auftakt nach, was ihm zusätzliches Gewicht verleiht. Was aber seinen Witz noch steigert, ist die Tatsache, dass die melodische Linie mit ihrer Kombination aus Quartfall und Septsprung ja gar kein Auf und Ab, sondern ein Ab und Auf beschreibt.

    Und dem folgt, nach der Generalpause, das Losbrechen des melodischen, im Einklang mit dem Klavier erfolgenden Sturmlaufs nach. Wiederum in seinem Kontrast ein kalkulierter und höchst sinnvoller Effekt, denn er entfaltet auf dem Hintergrund dieses Auftakt-Einstiegs der Liedmusik eine umso größere Wirkung. Die aber hat sie schon in sich durch ihre ganz eigene melodische und klaviersatzmäßige Gestalt und überdies noch durch die Staffelung der einzelnen Melodiezeilen in diesem ersten Teil des Liedes.

    Hier arbeitet Krenek nämlich mit einem Steigerungseffekt, um sein zentrales Anliegen, Ungeduld, Rennen, Hetze, Hektik als Wesen von modernem Tourismus, zum Ausdruck zu bringen. Er lässt erst, wie in einer Art Anlauf, zwei kleinere, durch Pausen abgehobene Melodiezeilen aufeinanderfolgen, die Verse eins bis drei und vier beinhaltend, bevor dann die melodische Linie ihre Rasanz sozusagen ungehindert, weil nicht mehr durch Pausen unterbrochen, bis hin zu Vers acht entfalten kann. Sie muss nicht in ihren Bewegungen im einzelnen beschrieben werden, es genügt, wenn die ihr innewohnende Motorik aufgezeigt wird.

    Es ist ein permanentes, in regelmäßigen Achtel-Schritten erfolgendes Auf und Ab, - dies in Gestalt aufsteigender und wieder fallender Linien, die sich, um eben die sinnlose Leere zum Ausdruck zu bringen, wiederholen, wobei die mehrmals erfolgenden Tonrepetitionen nur dazu dienen, dieser Leere einen zusätzlichen Akzent zu verleihen, - vernehmlich etwa bei den Worten „die einen hin, die andern her“. Das Klavier folgt diesen Bewegungen der melodischen Linie fast durchweg mit Achteln im Diskant und akzentuiert sie auf diese Weise. Auffällig ist dieser Effekt besonders dort, wo, wie bei den Worten „ungeduldig und beflissen“, die melodische Linie zu im Intervall sich steigernden Sprüngen übergeht. Dort aber, wo es Krenek darauf ankommt, das „Herumlaufen“ klanglich sinnfällig werden zu lassen, entfaltet der Klaviersatz Eigenständigkeit in Gestalt gegenläufiger Bewegungen der Achtel in Diskant und Bass.

    Und dann, nach all dieser, übrigens piano auftretenden, Hektik der Liedmusik, ereignet sich Bemerkenswertes, und das mit Mezzoforte-Crescendo: Sie kehrt zum Gestus des bedeutungsschweren Auftritts zurück, mit dem sie einsetzte. Auf den sich wiederholenden Worten „Ach wie schön!“ liegt beide Male ein gleichförmig-gewichtiger, weil in Sekundschritten von Vierteln erfolgender und in eine Dehnung von halber Note mündender Anstieg der melodischen Linie, der vom Klavier nun in Gestalt von dreistimmigen Akkorden im Diskant mitvollzogen wird und – wie ein klangliches Wunder daherkommend – in reinem C-Dur harmonisiert ist. Mehr singuläre Neuigkeit gibt es gar nicht: Ruhige deklamatorische Viertelschritte, zweimaliger, ansonsten nur noch ein weiteres Mal (bei den „Bergen“ am Ende) vorkommender Auftritt einer halben Note und, ebenfalls einmalig, zwei Takte lang stabile, von keinem Moll tangierte C-Dur-Harmonik. Klanglich wirkungsvoller kann man den Auftritt der Touristen gar nicht lächerlich machen.

    Hohn und Spott bringt die Liedmusik auch bei den Worten „photographieren sich und dahinter wohl auch einen Berg / und sehen nichts, weil sie Ansichtskarten schreiben müssen“ zum Ausdruck. Tonrepetitionen dominieren die melodische Linie, vom Klavier mit Akkordrepetitionen mitvollzogen, - klangliche Konkretion der Sinnleere gleichsam mechanischer Verrichtungen. Auf den Worten „und sehen nichts“ liegt ebenfalls eine melodische Tonrepetition, die aber in tiefer Lage erfolgt, anschließend in einen verminderten Terzsprung mündet und ohne Klavierbegleitung deklamiert wird. In der mehr als halbtaktigen Pause kommentiert das Klier dies mit repetierenden e-Moll-Akkorden, und man empfindet diese kleine Liedmusikzeile als Ausdruck von Resignation.

  • „Auf und Ab“ (II)

    Das „riesige“ Anwachsen des „Geistes der Menschenfeindschaft“ kann man in der Liedmusik regelrecht miterleben. Die melodische Linie steigert sich in zwei Anläufen aus tiefer Lage über das Intervall einer Undezime bis in hohe hinauf, und das Klavier folgt ihr dabei mit nervös-sprunghaft wirkenden Figuren aus Sechzehntel- und Achtelpaaren. Bei den nachfolgenden Versen, in denen dieser „Geist“ konkretisiert wird, setzt Krenek wieder das kompositorische Mittel der sich wiederholenden und dabei in der tonalen Ebene ansteigenden melodischen Linien aus deklamatorischen Sekundanstiegen ein, die eine gewisse Dramatik in die Liedmusik bringen, und bei den Worten „für Autoplätze, Gasthaustische, bessres Essen, Aussichtspunkte, Nachtquartier und alles Übrige“ kehrt er, wie zum Hohn, dieses Prinzip um, lässt – ebenfalls ansteigende – Folgen von Fallbewegungen aufeinanderfolgen, die vom Klavier in Diskant und Bass in Gestalt von Achteln mitvollzogen werden, wobei es sie sogar noch fortsetzt, während die Singstimme nach dem letzten Fall auf den Worten „alles Übrige“ wieder einmal eine längere Pause einlegt.

    In der Versgruppe sechzehn bis achtzehn stehen der Begriff „Sinnlosigkeit“ und das Adverb „stumpfsinnig“ im Zentrum der Aussage, und die melodische Linie wirkt in dem gleichförmigen, vom Klavier mit Akkorden akzentuierten Auf und Ab in tiefer Lage, als würde sie sich stumpfsinnig im Kreise drehen und bei den in Sekunden fallenden Tonrepetitionen am Ende geradezu ins Leere laufen.

    Auf beeindruckende Weise endet die Musik dieses Liedes, die ja so sehr von klanglicher Hektik geprägt ist. Beeindruckend, weil sie das Bild von den ihr Haupt verhüllenden großen alten Bergen nicht einfach mit einer neuen, sich von der vorangehenden abhebenden Melodik und einem entsprechenden Klaviersatz klanglich zum Ausdruck bringt, sondern die souveräne, von der touristischen Hektik letztlich unberührte Ruhe regelrecht heranwachsen und sich entfalten lässt. Auf den Worten „gelangweilt“ und „verhüllen“ liegen zwei eigene, durch Viertelpausen eingehegte Melodiezeilen, die beide aus einem identischen Terzsprung mit nachfolgend gedehnten Tonrepetitionen bestehen, vom Klavier mit Viertelakkord-Repetitionen begleitet und bemerkenswerterweise in e-Moll harmonisiert. Da wächst etwas heran, und dies in Ruhe und nicht in Dur-, sondern in Moll-Harmonik.

    Und die Melodik behält diesen Gestus der Entfaltung in kleinen Zeilen bei, löst sich aber nun von der Zögerlichkeit ihres Anfangs und der Verhaftung im Tongeschlecht Moll. Bei dem Wort „Berge“ beschreibt die melodische Linie einen gedehnten, weil nun in deklamatorischen Schritten von halben Noten erfolgenden Sekundfall, der in klarem F-Dur harmonisiert ist. Und nach einer halbtaktigen Pause setzt sie auf den Worten „ihre Häupter“ mit einem in eine Dehnung in oberer Mittellage führenden doppelten Sekundanstieg fort. Der nachfolgende Sekundfall auf dem Wort „Häupter“ ist zwar mit einer Rückung von F-Dur nach c-Moll verbunden, darin die Tatsache der „Verhüllung“ der Häupter reflektierend, der Eindruck einer langsam heranwachsenden und sich hier voll einstellenden Ruhe wird dadurch in keiner Weise gestört, zumal für den Vortrag dieses gedehnten Sekundfalls ausdrücklich die Anweisung „ritardando“ gilt

    Zwei c-Moll-Akkorde erklingen danach, der zweite mit einer Fermate versehen und von einer Generalpause gefolgt. Die aus einem schieren Auf und Ab von Doppel-Tonrepetitionen bestehende und „a tempo“, also „vivace“ vorzutragende, vom Klavier in Diskant und Bass in Gestalt von Achteln mitvollzogene und abrupt auf einem tiefen „C“ endende melodische Linie auf den Worten „wenn der Pöbel ihnen auf die Füße tritt“ wirkt wie ein sarkastisch-höhnischer Nachklang.

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  • Lied 11: „Alpenbewohner“ (Folkloristisches Potpourri)

    Die Alpen werden von wilden Nomaden bewohnt.
    Mit ungeheurem Lärm kommen sie herangebraust,
    Sommer und Winter spei´n die geduldigen Züge ihre Scharen aus.
    Heuschrecken gleich bedecken sie das Land.
    Mit unsäglicher Banalität schreien sie laut und deutlich in die Landschaft,
    als wollten sie den Erdgeist wecken.
    Selten sieht man Urbewohner stumpf und mürrisch den Greu´l betrachten
    und im stillen den Gewinn berechnen, den sie den Fremden aus dem Norden,
    die so seltsam sprechen, obgleich es deutsch sein soll,
    aus der Tasche ziehen werden.
    Was uns noch fehlt, sind Leute von drüben,
    mit schwarzen Schiffskoffern, herdenweise, rücksichtslose, furchtbare.
    Hätten wir „english church“ und „golf de haute montagne“
    auch bei uns (mit achtzehn >holes<), sie würden lieblich sich zum Ganzen fügen.
    Am Samstagabend wird das Berghotel im Handumdrehen zum Irrenhaus,
    denn in dem Saale lassen, von dem Bier ermuntert,
    alle Eingebornen einen desparaten Cantus steigen.
    Auf der Veranda kräht ein altes Grammophon die neusten Schlager,
    draußen aber krachen Motorräder wie Raketen auf dem Schlachtfeld,
    die von ihnen Abgesessnen schwanken drecküberkrustet
    wie Vorweltungetüme in den Speisesaal,
    der vom Gebrüll der Barbaren dröhnt.
    So muß Weltuntergang sein!

    Die Charakterisierung „klanglich überwältigend“ ist bei dieser Komposition wohl angebracht. Krenek setzt hier das kompositorische Konzept dieses Zyklus auf höchst konsequente, durchaus radikale Weise um: Wesenhaft deskriptive lyrische Prosa erfährt eine musikalische Illustration unter voller Ausschöpfung des dafür zur Verfügung stehenden lautmalerischen Potentials, und dies mit dem Ziel, die Aussage des sprachlichen Textes und seiner Bilder zu einer sinnlich-klanglichen und damit um eine Dimension bereicherten Erfahrung werden zu lassen.

    Herausgekommen ist dabei eine kompositorische Collage, die ihre Hörer auf geradezu schonungslose Weise über einen Parcours von höchst unterschiedlichen, unmittelbar aufeinanderfolgenden und teilweise hochgradig expressiven, das Ordinäre nicht scheuenden klanglichen Welten jagt. Der Notentext ist diesbezüglich vielsagend. Sieben Mal wechseln die Angaben zu Tempo und Takt. Es folgen die Anweisungen aufeinander: „Allegro giusto (grimmig, mit Humor)“, „Poco tranuillo“, „Molto meno mosso“, „Allegro moderato (barbaro)“, „Allegro giusto (ma non troppo)“, „L´istesso tempo (nicht eilen)“ und am Ende – bezeichnenderweise – „Frei, sostenuto“. Die Taktangaben wechseln von drei über vier und fünf bis zu sechs Vierteln, und für den Pianisten finden sich die Anweisungen „lärmend, „massiv“, „ordinär“, „süß“, „lieblich“ und „dünn“.

    All das ist als formales Indiz dafür zu sehen und zu verstehen, in welch hohem Grad die Liedmusik an die Struktur des sprachlichen Textes, seine Semantik und die sie transportierenden Bilder gebunden ist und von daher ihre spezifische Gestalt bezieht. Die sozusagen klassischen Parameter des romantischen Klavierliedes müssen dabei ihre regulative Funktion verlieren. In der Liedmusik regiert das Prinzip der rhetorisch-rezitativischen Deklamation.


  • „Alpenbewohner“. Zur Faktur der Komposition und ihrer liedmusikalischen Aussage

    Schon mit den ersten Takten, mit der ohne Vorspiel auftaktig direkt einsetzenden melodischen Linie, der das Klavier in ihren deklamatorischen Schritten auf den Worten des ersten Verses synchron mit Akkorden im Diskant folgt, im Bass sich aber mit dem simplen Begleit-Gestus von Einzelton und Akkord pro Takt begnügt, wird deutlich, von welchem Geist das Lied geprägt ist und woran es sich klanglich orientiert:
    Es ist das Kabarett-Chanson der Anfänge des zwanzigsten Jahrhunderts, der Lebenswelt Kreneks also. Die Zeitbezogenheit seines kompositorischen Schaffens wird unmittelbar vernehmlich, - in ihrem kritischen Gehalt allerdings. Der Geist der Zeit wird hier in all seiner Fragwürdigkeit auf schonungslose Weise offengelegt. Die erste Melodiezeile setzt mit ihrem auftaktigen kleinen Sekundanstieg zwar klanglich schroff ein und betont mit zwei verminderten Fallbewegungen auf den Worten „Alpen“ und „Nomaden“ den Kern ihrer Aussage, sie verbleibt aber noch im Gestus des schlichten Konstatierens. Das wird schon ganz anders bei der Liedmusik auf die nachfolgenden Verse.

    „Grimmig, mit Humor“ soll sie vorgetragen werden, und der Humor findet sich auch da und dort in ihr selbst. So schlägt das Klavier in der Viertelpause, die für die Singstimme nach der ersten Melodiezeile folgt, eine auftaktige Folge von zwei Achtel- und einem Viertelakkord an, die in dieser Rhythmisierung wie ein sarkastischer Kommentar wirkt. Auf den Worten „Mit ungeheurem Lärm kommen sie herangebraust“ beschreibt die melodische Linie, darin vom Klavier mit vierstimmen Akkorden synchron begleitet, eine mit einem Quartsprung in oberer Mittellage einsetzende Fallbewegung in Gestalt von großen und nachfolgend kleinen Sekundschritten, die am Ende in eine Kombination aus Terzfall und vermindertem Terzsprung mündet.

    Das wirkt klanglich wie ein unaufhaltsames Naturereignis, vor allem deshalb auch, weil das Klavier diesen Sturzfall von Akkorden fortissimo und „lärmend, massiv“ erklingen lassen soll, - und das über der Chanson-Begleitung aus Einzelton und Akkord im Bass, die dem Ganzen den Beigeschmack von Sarkasmus verleiht. Danach geht es in der Melodik nach einem sprunghaften und in einem Quartfall endenden Anstieg bei den Worten „Sommer und Winter“ munter auf und ab, wobei das Klavier alle diese Bewegungen im Diskant mit zwei- und dreistimmigen Akkorden mitvollzieht, im Bass aber seine simplen Begleitungsfiguren beharrlich beibehält. Die Harmonik moduliert im Bereich von ges-Moll bis hin nach f-Moll, vollzieht aber am Ende der in Tonrepetitionen erfolgenden Fallbewegung über eine Terz und eine Quarte bei den Worten („Heuschrecken gleich“) „bedecken sie das Land“ eine Rückung nach C-Dur. Das ist bemerkenswert.
    Hier wird es Krenek ernst: Das ist eine Katastrophe, was sich da ereignet.

    Die Liedmusik weist in dieser Komposition einen geradezu überwältigenden Reichtum an klanglichen Varianten auf. Es ist nicht möglich (und auch nicht sinnvoll), ihn hier umfassend zu beschreiben. Es sollte genügen, auf die diesbezüglich typischen und charakteristischen Passagen zu verweisen, um deutlich werden zu lassen, mit welchen Mitteln Krenek kompositorisch arbeitet und auf welche Weise sich darin die Wortbezogenheit seiner Liedmusik zeigt.
    Bei den Worten „Selten sieht man Urbewohner stumpf und mürrisch den Greu´l betrachten und im stillen den Gewinn berechnen“ bringt er den Geist der „Urbewohner“, an den Worten „stumpf“ und „mürrisch“ ansetzend, in der Weise zum Ausdruck, dass er die melodische Linie nach einer siebenfachen Tonrepetition in Gestalt eines „D“ in tiefer Lage zwar ansteigen lässt, aber nur bis in mittlere Lage und das unablässig aufeinander folgenden Tonrepetitionen in Sekundschritten, bis sich dann die Bewegung bei den Worten „den Gewinn berechnen“ in gleichen deklamatorischen Gestus wieder um zwei Sekunden absenkt. Das Klavier lässt dazu im Diskant zwei dreistimmige Akkorde pro Takt erklingen, über dem stereotypen Begleitgestus im Bass, und die Harmonik moduliert zwischen g-Moll und D-Dur, versieht aber das Wort „berechnen“ mit einem starken Akzent in Gestalt einer Rückung nach Des-Dur.

  • „Alpenbewohner“ (II)

    Bei den Worten „obgleich es deutsch sein soll, aus der Tasche ziehen werden“ steigert sich der humorig-sarkastische Grundton dieser Liedmusik – wie nachfolgend immer wieder einmal - zu beeindruckenden Höhen. Auf den Worten „deutsch sein soll“ verharrt die melodische Linie in drei gedehnten (halbe Noten) deklamatorischen Schritten auf der Ebene eines „C“ in mittlerer Lage, wozu das Klavier synchron drei halbtaktige As-Dur-Akkorde über dem üblichen Dum-Da im Bass erklingen lässt. Danach aber geht alles in mehrfache Terz- und Sekundfallbewegungen über, mit einem höhnisch anmutenden gedehnten Sekundfall auf dem Wort „ziehen“ in der Mitte. Diese Anmutung wird dabei wesentlich vom Klavier generiert, denn es lässt hier mit einem Mal von seiner Dum-Da-Begleitung im Bass ab und lässt markant ansteigende Vierteltöne erklingen, die am Ende zu bitonalen Akkorden werden und darin mit denen im Diskant in Einklang treten.

    Ein „süß“ vorzutragendes, aus sprungweise ansteigenden und danach eine triolische Bogenbewegung beschreibenden Achteln bestehendes Vorspiel geht der Liedmusik voraus, in der es um „die Leute von drüben“ geht. Sie strotzt geradezu von klanglichem Sarkasmus. Schon der sich über eine ganze Oktave erstreckende Anstieg der melodischen Linie auf den Worten „Was uns noch fehlt“ wirkt mit seiner langen Dehnung am Ende und dem sie begleitenden vierstimmigen f-Moll-Akkord wie ein höhnischer Auftakt. Danach beschreibt die melodische Linie eine Fallbewegung nach der anderen. Bei den Worten „sind Leute von drüben“ ist sie sogar triolisch angelegt, und das Klavier begleitet mit triolisch gegenläufig ansteigenden und danach fallenden Viertel-Akkorden. Der Takt wechselt hier von sechs Vierteln über fünf, vier bis hin zu drei bei der melodischen Kombination aus kleinem Sekund- und großem Quintfall, und der häufige Taktwechsel dient hier ganz offensichtlich dazu, den einzelnen Worten deklamatorisches Gewicht zu verleihen, damit der sarkastisch-höhnische Grundton umso markanter hervortreten kann.

    Bei den Worten „Hätten wir „english church“ und „golf de haute montagne““ geht die melodische Linie „Molto meno mosso“ und in Ges-Dur/Des-Dur-Harmonisierung zu Doppel- und Dreifach-Tonrepetitionen auf mittlerer und unterer tonaler Lage über, und das Klavier begleitet sie „lieblich“ dabei mit synchron angeschlagenen und partiell arpeggierten Akkorden, und dieser „liebliche“ Ton mutet hier an wie der blanke Hohn, - stark hervortretend besonders bei den melodischen Tonrepetitionen in tiefer Lage auf den Worten „mit achtzehn holes“, die das Klavier mit staccato angeschlagenen bitonalen Sekund-Akkorden begleitet, wobei die Harmonik eine vorübergehende Rückung in den Moll-Bereich (as-Moll) vollzieht.

    Und nun, bei der Schilderung der Samstag-Abend-Szene Im Berghotel, wird´s musikalisch-klanglich tatsächlich krass. In diesen Versen schlägt sich ein Erlebnis nieder, das Krenek wohl bei seinem Besuch im Franz-Josephs-Haus am Großglockner hatte, und das Stichwort „Irrenhaus“ führt dazu, dass sich die Liedmusik auf diese neun Verse mehr und mehr in ein klangliches Tollhaus verwandelt, am Ende in den in tiefe klangliche Finsternis gehüllten Ausruf mündend „So muß Weltuntergang sein!“.

    Ein Dreivierteltakt liegt der Liedmusik auf den ersten drei, mit den Worten „Am Samstagabend“ einsetzenden Versen zugrunde. Die Vortragsanweisung lautet „Allegro moderato (barbaro)“. Die melodische Linie entfaltet sich in einer ganzen Folge von Sprungbewegungen, mal aus einer Tonrepetition hervorgehend, wie am Anfang, wo sich danach auf dem Wort „Abend“ ein veritabler Sextfall ereignet, mal aus mehreren deklamatorisch kleineren Schritten, wie bei den Worten „wird das Berghotel im Handumdrehn“, wo auf einen Quintsprung ein Sextfall folgt, der sich im Klavierbass in Gestalt eines regelrechten Tiefensturzes von Achteln fortsetzt. Da die melodische Linie in diesem immer wieder neuen Anlauf mit Sprung und Fall vom Klavier permanent mit einer Viererfolge von repetierenden Achtel-Akkorden kommentierend begleitet wird, wirkt sie, als überlasse sie sich hier einem regelrechten Taumel, der am Ende, bei den Worten „Cantus steigen“ in einen doppelschrittigen Sturz über eine Oktave mündet, der vom Klavier im Diskant unter Schweigen im Bass mitvollzogen wird. Die Harmonik vollzieht hier die ausdrucksstarke Rückung von H-Dur nach D-Dur.

    Bei den Worten „Auf der Veranda kräht ein altes Grammophon die neusten Schlager“ ergeht sich die melodische Linie im Viervierteltakt in einem deklamatorisch gleichförmigen , weil nur im Wert von Viertelnoten erfolgenden Auf und Ab in mittlerer Lage, das, weil es vom Klavier mit klanglich simplen Figuren aus in einen Einzelton-Fall mündenden repetierend-bitonalen Akkorden begleitet wird und die Harmonik einen undefinierbaren Modulationstaumel vollzieht, auf geradezu bedrückende Weise leer und nichtssagend anmutet.

    Dann aber treten die Motorräder auf, mit einem Lärm wie auf dem Schlachtfeld, und das führt dazu, dass die melodische Linie, nun wieder auf der Grundlage eines Dreivierteltakts, zu dem hastiger wirkenden Gestus von deklamatorischen Achtelschritten übergeht, zunächst darin drei Anstiegsbewegungen in Sekundintervallen beschreibt und danach, nach einem Auf und Ab in oberer Mittellage, eine Fallbewegung nach der anderen beschreibt. Das Klavier vollzieht die Aufstiegsbewegungen zunächst im Diskant mit, dann aber emanzipiert es sich auch hier von der melodischen Linie und überlässt sich ganz und gar dem Gestus, den es von vornherein im Bass angeschlagen hat, - einem wilden klanglichen Tremolo, das Auspuff-Lärm der Motorräder auf beeindruckende Weise klangmalerisch suggeriert.

  • „Alpenbewohner“ (III)

    Bei den Worten „der vom Gebrüll der Barbaren dröhnt“ ereignet sich eine geradezu in Bann schlagende expressive Kulmination der Liedmusik. Die melodische Linie geht auf der letzten Silbe des Wortes „Speisesaal“ in eine Dehnung über und setzt diesen deklamatorischen Gestus bei dem Sekundfall und Wiederanstieg auf den Worten „der vom Gebrüll“ fort. Derweilen lässt aber das Klavier, das Wort „Gebrüll“ reflektierend, eine geradezu endlose Kette von Sechzehnteln aus tiefer in extrem hohe Diskantlage emporschießen, und danach lässt es, während die Singstimme die Worte „der Barbaren dröhnt“ auf einem zweimaligen, schon auf der zweiten Silbe von „Gebrüll“ einsetzenden und am Ende in eine taktübergreifende Dehnung mündenden Fall der melodischen Linie in hoher Lage deklamiert, forte-fortissimo eine ebenfalls dreimalige und in der Pause für die Singstimme sich fortsetzende, in tiefer Diskantlage endende Folge von vierstimmigen Akkorden erklingen.

    „Frei, sostenuto“ lautet die Anweisung für den Vortrag der Liedmusik auf den all diese Schrecknisse beschließenden, und abgrundtiefe Hoffnungslosigkeit und Resignation zum Ausdruck bringenden Worten „So muß Weltuntergang sein!“ Sie kommen in einem bemerkenswert elementaren sprachlichen Gestus daher, - mit dem simplen Hilfsverb „sein“ am Ende. Und so tritt auch die Liedmusik auf, und sie offenbart sich darin in ihrer eminenten Wortbezogenheit, von der sie sich ja generell in diesem Zyklus leiten lässt. Bevor die Singstimme einsetzt, vollzieht das Klavier in Bass und Diskant Tremoli.

    Mit einer langen Dehnung in tiefer Lage auf dem Wort „so“ setzt die melodische Linie ein. Zu dem Wort „Weltuntergang“ beschreibt sie einen veritablen Oktavsprung und senkt sich danach in einem dreimaligen, auf jeder Silbe des Wortes deklamierten und deshalb höchst gewichtigen Terzfall bis zu einem tiefen „E“ ab. Das Klavier begleitet, bei Fortdauer der Tremoli im Bass, mit einer lang gehaltenen Oktave im tiefen Diskant, die danach einen langsamen Aufstieg beschreibt. Nach einer dumpf wirbelnden Zweiunddreißigstel-Quintole beschreibt die melodische Linie zu dem Wort „sein“ hin einen wie ein Schrei anmutenden Sprung über eine None zu einem hohen „F“, und das Klavier schlägt dazu forte-fortissimo einen lang gehaltenen F-Dur-Akkord an, aus dem ein Oktavsturz eines tiefen „F“ im Bass nachfolgt.
    Wie ein aus tiefer Resignation und Verzweiflung hervorbrechendes lautes Aufstöhnen wirkt dieser Schluss des Liedes.

  • Lied 12: „Politik“


    Ihr Brüder, hört ein ernstes Wort!
    Muß denn in diesem Lande alles, alles Politik sein?
    Sind wir gestraft für unsre Sünden mit unheilbarem Irrsinn?
    Habt ihr denn ganz verlernt, zu leben um des Lebens willen?
    Wir waren ausersehen, Hirten zu sein für die vielen Völker
    des Ostens und Südens, die mit uns vereint waren.
    Wir haben die Aufgabe nicht erfüllt,
    die Prüfung nicht bestanden, von schlechten Lehrern schlecht vorbereitet.
    Die Strafe war fürchterlich. Oder habt ihr das vergessen?
    Gedenket, Brüder, der Zeit, da uns Tausende fielen täglich, dem Mutwillen ausgeliefert!
    Wie der Hunger uns gequält hat,
    Elend, Kälte, Finsternis die einzigen Begleiter und Regenten unsres Lebens jahrelang!
    Wie eure Kinder starben ausgehungert und erfroren,
    wie die Greise auf der Straße fielen wie die Fliegen in der Herbstzeit,
    wenn sie es nicht vorgezogen, sich an schlechten Stricken aufzuhängen.
    Gut, wir haben die Peiniger verjagt,
    doch ist euch Peinigung und Lust an Qual so sehr Natur geworden,
    daß wir uns jetzt gegenseitig zerfleischen müssen?
    Habt ihr denn alle Lust am Leben ganz verloren, wird kein Tag mehr ohne Galle sein!
    Ihr Brüder, schickt den blutigen Hanswurst endlich heim,
    beendet die Todesmaskerade, denn es ist genug jetzt!
    Oder es kommt noch schlimmer, und wir werden untergehen.
    Blickt hin gegen Westen, wo ein freies Volk auf freien Bergen wohnt,
    und lernt von ihm, wenn es auch spät ist, bald ist es allzu spät!
    Brüder, hört, es ist höchste Zeit!
    Und hat das blutige Gespenst sich endlich in die tiefste Höhle dieser Berge verkrochen,
    so lasst uns einen Stein davor wälzen, groß wie der Dachstein,
    und an diesem Tag soll dann ein Lied erklingen,
    wie man´s in diesen Alpen noch nie gehört!
    Brüder! Es ist höchste Zeit!

    Dieses Lied entstand am 17.Juli 1829. Zugrunde liegt ihm ein Text, bei dem es sich in seinem Gehalt und in seiner sprachlichen Struktur um politische Prosa handelt, die sich freilich in ihrer Vers-Binnengliederung formal als poetisch-lyrisch ausgibt. Aber es ist hier wie überall in diesem Zyklus: Die Vers-Struktur ist nicht Niederschlag eines genuin lyrischen Konzepts, sie dient vielmehr der Akzentuierung der textlichen Aussage und fungiert darin zugleich als Basis für die Struktur der zugehörigen Liedmusik.

    Der erste Vers gibt in seinem wesenhaft appellativen Charakter die sprachliche Grundlinie für alle nachfolgenden Verse vor, und der letzte fungiert als Beschluss und Bestätigung derselben. Was sich dazwischen inhaltlich ereignet, ist gedanklich-reflexive Auseinandersetzung mit lebensweltlicher, gesellschaftlicher und politischer Vergangenheit und Gegenwart, dies mit dem Ziel, dem Appell, der ja dem Text als eigentliche Intention zugrunde liegt, den argumentativen Rückhalt zu verleihen. Im Zentrum steht dabei der Aufruf, sich gegen den Nationalsozialismus mit seinem „blutigen Hanswurst“ zur Wehr zu setzen und sich das gesellschaftliche und politische Leben der Schweizer zum Vorbild zu nehmen.

    Die Liedmusik begegnet ihren Hörern als hochgradig vielgestaltiges klangliches Gebilde. Die Melodik nimmt immer wieder einen neuen deklamatorischen Grund-Gestus an, die Harmonik schweift, ohne an einem Schwerpunkt festmachen zu wollen, in permanenter Modulation durch Tonarten und Tongeschlechter, Tempo und Vortragsanweisungen wechseln von Versgruppe zu Versgruppe, und es ist bezeichnend, dass der zugrundeliegende Takt sich insgesamt achtundzwanzig Mal ändert und den Bereich von drei Halben und drei, vier und fünf Vierteln umfasst, wobei es auch einmal zu starken metrischen Kontrasten kommen kann, wenn zum Beispiel fünf Viertel auf drei Halbe treffen. Der Grund für diese klangliche Vielfalt ist, wie generell in diesem Zyklus, in der engen Anbindung der Liedmusik an die Semantik und die Struktur einer wesenhaft prosaischen Sprache zu finden. Und genau darin wurzelt auch die Fähigkeit der Liedmusik, ihre Hörer ansprechen zu können.


  • „Politik“. Zur Faktur der Komposition und ihrer liedmusikalischen Aussage

    Den appellativen Charakter des ersten Verses greift die Liedmusik mit einem Gestus auf, der keineswegs auffordernd laut daherkommt, sondern ruhig und eindringlich. Die melodische Linie setzt mit einem Quartsprung ein und verharrt anschließend in silbengetreuer Deklamation auf einem „Es“ in tiefer Lage, wobei in der Folge der sie begleitenden Viertel-Akkorde im Diskant und den Oktaven im Wert von halben Noten im Bass die Harmonik von es-Moll über „Des“ und „Ces“ zurück nach es-Moll moduliert. Diese ruhige Bewegung der melodischen Linie auf nur einer tonalen Eben tritt gegen Ende sogar in ein Ritardando. Die Anweisung „Allegro marciale (bewegt, mit innerer Leidenschaft)“, die über den Liedanfang gesetzt ist, gilt also wohl nicht für den Vortrag dieser ersten Melodiezeile, sondern generell für die ganze nachfolgende Liedmusik, so sie denn nicht durch anderslautende Anweisungen abgelöst wird.

    Und schon in der Art und Weise, wie sich die Liedmusik auf den nachfolgenden drei Versen entfaltet, wird die von Leidenschaft angetriebene innere Bewegtheit, die das klangliche Wesen dieses Liedes ausmacht, voll vernehmlich, zugleich aber auch, welch hohe Binnendifferenzierung sie darin aufweist. So setzt die melodische Linie bei den Worten „Muß denn in diesem Lande alles, alles“ „a tempo“ mit einer Tonrepetition in mittlerer Lage ein und geht danach in den gleichförmig gewichtigen Schritten, mit denen sie einsetzte, in einen Aufstieg über, wobei das Klavier im Diskant diese Bewegung von Anfang in Gestalt von Viertel-Akkorden synchron mitvollzieht. Ein Fünfvierteltakt liegt zugrunde.
    Dann aber, bei den Worten „Politik sein“ geschieht liedmusikalisch Bemerkenswertes: Sie werden dadurch, dass auf dem Wort „alles“ ein Terzfall liegt, dem ein Quartsprung zu dem Wort „Politik“ hin nachfolgt und sich die melodische Linie danach auf der Grundlage nun eines Dreivierteltaktes bewegt und einen neuerlichen Quartsprung in noch höhere Lage vollzieht, mit einem starken Akzent versehen. Dazu tragen auch das zu einem Forte führende Crescendo und die harmonische Rückung nach Ces-Dur das Ihrige bei.

    Bei der der ersten großen Melodiezeile auf den Versen zwei bis vier, der eine eineinhalbtaktige Pause für die Singstimme nachfolgt, vollzieht die melodische Linie nicht nur einen Anstieg in mehrfachen deklamatorischen Tonrepetitionen, sie verharrt darin auch in hoher Lage, setzt aber dann bei dem Wort „Irrsinn“ noch einen Sekundanstieg drauf, dem ein kurzes Abreißen der Liedmusik folgt. Die Frage, die hier gestellt wird, gewinnt auf diese Weise durch die Liedmusik eine hohe Eindringlichkeit.

    Und so ist das auch bei den Worten „Habt ihr denn ganz verlernt, zu leben um des Lebens willen?“, nur dass die melodische Linie hier, weil sie sich „innig“ geben will, mit längeren Tonrepetitionen in mittlerer Lage verharrt, diese zwar auch in höherer noch einmal wiederholt, nun aber ohne den provokativ aufgesetzten Sekundsprung. Und das Klavier lässt hier von seinen, die deklamatorischen Schritte akzentuierenden Viertelakkorden ab und schlägt einen länger gehaltenen Des-Dur-Akkord an, dem ein bogenförmig angelegtes Zwischenspiel aus Vierteln folgt, die sich aus einem den Takt übergreifenden Akkord lösen. Es geht ja um eine Frage, in der der Sinn des Lebens angesprochen wird.

    Der große Umfang der Liedmusik gebietet es, nun nur noch in Gestalt eines punktuellen Aufzeigens ihrer klanglichen Vielfalt auf sie einzugehen und dabei deren Genese aus dem Bezug zum sprachlichen Text deutlich zu machen. Bei den Worten „Wir waren ausersehen, Hirten zu sein für die vielen Völker des Ostens und Südens“ beschreibt die melodische Linie einen langsamen Anstieg, der in tiefer Lage ansetzt und dann in ein Auf und Ab in mittlerer Lage verharrt. Dabei dominiert es-Moll-Harmonisierung. Der Sinn dieser liedmusikalischen Verhaltenheit enthüllt sich bei den Worten „Wir haben die Aufgabe nicht erfüllt, die Prüfung nicht bestanden“. Denn hier entfaltet die melodische Linie mit ihrem bogenförmigen Aufstieg in höhere Lage, dem dort sich ereignenden Auf und Ab und der nachfolgenden Fallbewegung, dies alles unter Begleitung in Gestalt von im Umfang anwachsenden Akkorden durch das Klavier, eine umso größere musikalische Expressivität.

    Hinzu kommt nämlich, dass auch die Harmonik, die zuvor im Tongeschlecht Moll verharrte, nun nicht nur zum Dur greift, sondern überdies darin eine geradezu abenteuerliche Rückung von einem anfänglichen Es-Dur nach A-Dur und E-Dur vollzieht. Und bei den Worten „Die Strafe war fürchterlich“ nimmt die Liedmusik einen klanglich geradezu bedrückenden Gestus an. Die melodische Linie bewegt sich, wie von einer Last erdrückt, nur noch in syllabisch exakten deklamatorischen Schritten im Wert von halben Noten von einem tiefen „D“ in Sekunden aufwärts zu einem „F“, „sollo voce“ vorgetragen und vom Klavier mit einem einzigen abgrundtiefen und lang gehaltenen es-Moll-Akkord begleitet.

  • „Politik“ (II)

    Wenn der Text mit den Worten „Oder habt ihr das vergessen?“ wieder zur unmittelbaren Ansprache übergeht, reagiert die Liedmusik darauf in der Weise, dass sie sich, das ursprüngliche Tempo („Allegro“) wieder aufgreifend, melodisch in kleinen, in der tonalen Ebene ansteigenden Bögen entfaltet, um dann, wenn es um die Vergegenwärtigung von „Hunger“, „Elend“, „Kälte“ und „Finsternis“ geht, zu einem geradezu bohrend-eindringlich wirkenden Auf und Ab in tiefer Lage überzugehen, dies aber nur, um diesem Ins-Bewusstsein-Rufen mit der aus einem zweifachen, sich in der tonalen Ebene steigernden und in eine Tonrepetition mündenden Sprung der melodischen Linie bei den Worten „Lebens jahrelang“ den gebotenen Nachdruck zu verleihen. Das Klavier verstärkt ihn auch noch dadurch, dass es seinerseits, während die melodische Linie in der Tonrepetition verharrt, einen in extrem hohe Diskantlage führenden Sprung von drei- und vierstimmigen Akkorden erklingen lässt, die, nachdem sich die Harmonik gerade zum im Bereich von Ges-Dur bewegte, nun in D-Dur harmonisiert sind.

    Bei der Versgruppe, in der es um die Kinder und die Greise geht, entfaltet die Liedmusik wieder eine große Eindringlichkeit. Mit einem Crescendo versehen, beschreibt die melodische Linie einen langsamen Anstieg aus tiefer in obere Mittellage und verharrt dort bei den Worten „wie die Greise auf der Straße fielen wie die Fliegen“ auf der tonalen Ebene eines „B“ in permanenter, silbengetreu deklamierter und deshalb wie insistierend wirkender Tonrepetition, wob ei die Eindringlichkeit dadurch noch gesteigert wird, dass die Harmonik eine geradezu kühne Rückung von h-Moll nach es-Moll vollzieht. Auf den Worten „wenn sie es nicht vorgezogen, sich an schlechten Stricken aufzuhängen“ liegt hingegen eine melodische Linie, die sich in der tonalen Ebene langsam absenkt, um bei dem Wort „aufzuhängen“ in eine eindrückliche Tonrepetition in tiefer Lage überzugehen, die am Ende einen Sekundsprung beschreibt. Das Wort „vorgezogen“ erhält dadurch einen besonderen Akzent, dass an die Stelle eines Viervierteltakts ein Dreihalbetakt tritt, die Harmonik von es-Moll nach As-Dur rückt und das Klavier mit Oktaven im Bass und vierstimmigen Akkorden im Diskant begleitet.

    Bei den Versen, in denen sich der Aufruf findet, den „blutigen Hanswurst“ endlich heim zu schicken, verstärkt die melodische Linie den Appell dadurch, dass sie in einem drängend wirkenden, weil aus einer Folge von deklamatorischen Schritten im Wert von Vierteln, punktierten Vierteln und Achteln bestehend, langsam aus tiefer Lage in hohe emporsteigt, die das Klavier mit Figuren aus Einzelton und dreistimmigem Akkord begleitet. Auf den Versen „Blickt hin gegen Westen, wo ein freies Volk auf freien Bergen wohnt“ mutet die Liedmusik hingegen an, als würde sie befreit aufatmen. Die melodische Linie beschreibt einen aus einer Tonrepetition hervorgehenden, weit gespannten und in hohe Lage ausgreifenden Bogen, wobei ihr das Klavier im Diskant mit Akkorden, im Bass im Einzeltönen folgt.

    Die Harmonik bleibt dabei – ohne jegliche Moll-Eintrübungen und weit ausgreifende Rückungen – ganz und gar im Bereich von Ces-Dur und seiner Dominante. Bei den Worten „es ist die höchste Zeit“ tritt wieder der Geist des lauten Mahnens in die Liedmusik. Zwei Mal beschreibt die melodische Linie eine gewichtige Fallbewegung, und dies in einem Ritardando. Das Klavier begleitet das in Bass und Diskant mit fortissimo angeschlagenen und aus hoher Lage fallenden Akkorden. Am Ende erklingt dann auf dem Wort „Zeit“ in der Melodik ein mit einer Fermate versehenes „B“, vom Klavier begleitet mit einem lang gehaltenen sechsstimmigen B-Dur-Akkord, und eine bedeutsame Halbtakt-Pause folgt nach.

  • „Politik“ (III)

    Mit den Worten „Und hat das blutige Gespenst sich endlich in die tiefste Höhle dieser Berge verkrochen“ geht die Liedmusik zu einem Auftritt in geradezu orchestral daherkommender Mächtigkeit über. Die Singstimme bewegt sich nur noch in deklamatorischen Schritten im Wert von halben und Viertelnoten, und das Klavier lässt während dieser ganzen, in Es-Dur und As-Dur harmonisierten Melodiezeile pro Akkord je zwei zumeist siebenstimmige Halbe-Noten-Akkorde erklingen, und dies forte. Und bei dem Bild vom Stein im Dachstein-Format beschreibt die melodische Linie einen aus tiefer Lage erfolgenden und fast schon dramatisch wirkenden Anlauf in Sekundschritten, um dies dann in Gestalt von zwei Sprüngen im Wert von halben Noten über das Intervall eine None zu wiederholen und nach einem neuerlichen Doppelsprung zu einem verminderten Quintfall auf dem Wort „Dachstein“ überzugehen. Das Klavier lässt während dieser ganzen Melodiezeile zweimal in Bass und Diskant eine lange, aus tiefer Lage in extrem hohe emporsteigende Kette von triolisch organisierten Viertel-Terzen erklingen. Das alles mutet in seiner dramatischen Expressivität wie auf die Spitze getrieben an, folgt darin aber durchaus dem Grund-Gestus, der der Liedmusik in dieser Komposition zugrunde liegt.

    Das Klavier behält dieses Sich-Artikulieren in mächtigen, zumeist Halbe-Noten-Akkorden bis zum Schluss des Liedes bei und geht nur noch einmal davon ab, weil es den in tiefer Lage ansetzenden Anstieg der melodischen Linie auf den Worten „wie man´s in diesen Alpen noch nie gehört“ in Gestalt von – aber immerhin sechsstimmigen! - Viertel-Akkorden mitvollziehen und akzentuieren will. Dann aber, bei dem Ausruf „Brüder“, den die Singstimme „frei“ auf einem tiefen „Es“ deklamiert, lässt es im Bass, unter Pause im Diskant, mächtige Tremoli erklingen, um danach, aber erst nach einer Generalpause, die Singstimme bei ihrem „accel. molto“ deklamierten und in Sextsprung übergehenden melodischen Bogen auf den Worten „Es ist höchste Zeit“ mit Vierteln und einem Achtel in Bass und Diskant synchron zu begleiten.

    Bemerkenswert aber – und typisch für die auf klanglichen Effekt angelegte Liedmusik – ist, dass es den melodischen Terzfall auf dem Wort „höchste“ (der erforderlich ist, damit der nachfolgende Sextsprung umso wirkungsvoller ist) nicht mitvollzieht, sondern die Aufwärtsbewegung der Viertel weiter fortsetzt, damit der Es-Dur-Schlussakkord, sechsstimmig und forte-fortissimo ausgeführt, sein ganzes Potential an klanglicher Expressivität entfalten kann.

  • Lied 13: „Gewitter“

    Plötzlich wird es schwarz zwischen den weißen Gipfeln,
    Wolken, gelb und gefährlich, brechen herein von allen Seiten.
    Sturzbäche sendet der Himmel herab, brüllend wälzt sich der Donner von Berg zu Berg.
    Entsetzt, mit nassen Füßen, wund, mit keinem trockenen Faden am Leib
    flieht der lächerliche Stadtfrack talwärts
    Und denkt mit Recht, daß die Natur nicht für ihn gemacht ist.
    Wetter, komm und reinige uns von Dummheit, Bosheit, schleichender Gemeinheit!
    Gib uns Klarheit wieder, dass der Regenbogen des Geistes strahle!
    Die Bäume brausen gewaltig, dunkelbraun schwellen die Bäche,
    das schwarze Verderben steht über uns!
    Doch oben, fern durch den Regenschleier schimmert blauer Himmel,
    und die höchsten Spitzen ragen wie Gespenster.
    Jetzt in gewaltigem Sturz braust das Licht nieder,
    von der funkelnden Spitze auf den Gletscher herab,
    an ungeheuren Abgründen schwarzen Schattens vorbei,
    und die Sonne füllt mit unendlichem Glanz das Tal.

    Das ist ein Text, der zwar, wie dies ja generell in diesem Zyklus der Fall ist, in seinem sprachlichen Gestus prosaisch ausgerichtet ist, wie es sein Aussage-Kern, die Passage über den „lächerlichen Stadtfrack“ und die Bitte um „Reinigung“ des Menschen durch die Natur in Gestalt des Wetters, erkennen lässt, er ist aber ungewöhnlich reich an Bildern, denen ein mehr oder weniger stark ausgeprägtes lyrisch-evokatives Potential innewohnt. Besonders bei den letzten fünf Versen wird das sinnfällig. Ein Vers wie „Jetzt in gewaltigem Sturz braust das Licht nieder“ hat durchaus große lyrisch-poetische Qualität.

    Diese Verse animieren mit ihren vielen, hohe Expressivität aufweisenden Naturbildern regelrecht zum Einsatz klangmalerischer Mittel bei ihrer Umsetzung in Liedmusik, und Krenek, da ja ohnehin in diesem Zyklus die Arbeit mit ihnen liebt, wendet sie in einer Vielfalt an, die dem Lied eine zweifellos beeindruckende klangliche Expressivität verleiht. Es entstand am 18. Juli 1829, ein Zwölfachteltakt liegt ihm größtenteils zugrunde, und die Vortragsanweisung lautet: „Allegro furioso (wild bewegt)“.

    Ein harmonisches Zentrum kann sich bei dieser tatsächlich „wild bewegt“ dahinstürmenden Liedmusik noch nicht einmal ansatzweise ausbilden. Bis auf eine einzige Passage, der Liedmusik auf das Verpaar 7/8 („Wetter, komm und reinige uns…“) ist die melodische Linie im Grunde atonal harmonisiert.


  • „Gewitter“. Zur Faktur der Komposition und ihrer liedmusikalischen Aussage

    Mit einem klanglich furiosen Sturz von Sechzehnteln aus hoher Diskant- in tiefe Basslage setzt die Liedmusik im zweitaktigen Vorspiel ein. Und während diese Sechzehntel dann in Sekundschritten nach oben schießen und in ein wellenartiges Auf und Ab übergehen, setzt die Singstimme mit einem Oktavfall auf dem Wort „plötzlich“ ein, und da eine Achtelpause nachfolgt, bevor die melodische Linie ihre Bewegung fortsetzt, wirkt dieser Einsatz der Melodik wie ein Fanal.
    Die Art und Weise, wie sich die Vokallinie in der ersten, die ersten beiden Verse umfassenden Melodiezeile entfaltet und wie sie darin vom Klavier begleitet wird, ist typisch für das ganze Lied. Es ereignet sich ein permanentes Voranstürmen in Gestalt von deklamatorischen Achtelschritten, wobei auf ein Auf und Ab in mittlerer Lage mit einem Mal ein Sprung in hohe mit anschließendem Fall über ein großes Intervall folgt. Das hat nicht nur zur Folge, dass die Melodik eine starke innere Unruhe aufweist, die als musikalischer Reflex der Unruhe des lyrischen Bildes empfunden wird, es führt auch dazu, dass bestimmten Worten ein starker Akzent verliehen wird, weil sich der melodische Sturz auf ihren Silben ereignet. In dieser Zeile bei den Worten „weißen“, „Wolken“ und „gefährlich“.

    Das Klavier folgt der Singstimme anfänglich (bei den Worten „Plötzlich wird es schwarz zwischen den weißen Gipfeln“) im Diskant noch mit einzelnen Achteln, um die deklamatorischen Schritte zu akzentuieren, dann aber geht es zu der geradezu wild wirkenden Artikulation von Sechzehnteln über, mit denen es im Bass den Gestus des Vorspiels fortgesetzt hat. Sie verlaufen teilweise in wellenartigen Linie, teilweise in nach oben schießenden Ketten, können aber auch, wie am Ende der Zeile in einem repetierenden Auf und Ab auf einer tonalen Ebene verbleiben. Es ist eben diese Vielfalt von Sechzehntel-Figuren, die den Eindruck klanglicher Wildheit verursacht und zweifellos Niederschlag des semantischen Gehalts der lyrischen Bilder verstanden sein will.

    Bei aller Heftigkeit, in der melodische Linie und Klaviersatz vorandrängen, reflektieren beide gleichwohl in ihrer Struktur die jeweilige Aussage des Textes. Bei den Worten „Sturzbäche sendet der Himmel herab, brüllend wälzt sich der Donner von Berg zu Berg“ beschreibt die melodische Linie zunächst eine Fallbewegung, die zwar in einen Aufstieg übergeht, am Ende aber doch, bei dem Wort „herab“ einen neuerlichen (Sekund-)Fall folgen lässt. Das Klavier lässt im Bass eine Kette von Sechzehnteln erklingen, die eine zur melodischen gegenläufige Linie beschreiben und noch während des melodischen Sekundfalls in einer Aufstiegsbewegung übergehen, die sich in der Pause für die Singstimme fortsetzt. Sie dient dazu dem nachfolgenden Akkord auf dem Wort „brüllend“ den erforderlichen klanglichen Effekt zu verleihen, denn hier setzt die melodische Linie nun mit einer sich über das Intervall einer Septe erstreckenden Fallbewegung ein, die bei den Worten „wälzt sich“ einen lang gedehnten, und dieses „Sich-Wälzen“ reflektierenden Quartfall aufweist, den das Klavier nun mit einem äußerst effektvollen Sechzehntel-Anstieg in kleinen Sekundschritten begleitet. Auf den Worten „von Berg zu Berg“ überlässt sich die melodische Linie zunächst einer langen Dehnung auf dem ersten „Berg“ und lässt dieser einen wie ein Nachklang wirkenden Sekundfall auf „zu Berg“ folgen. Das Klavier aber beschreibt dabei mit seinen Sechzehnteln im Diskant eine pyramidenartig in hohe Lage führenden und wieder fallende Bewegung, die sich in der nachfolgenden Pause für die Singstimme fortsetzt und diesem Bild vom sich von Berg zu Berg wälzenden Donner den angemessenen musikalischen Ausdruck verleiht.

    Bei dem – gelungenen! - Bild vom lächerlichen, entsetzt und mit nassen Füßen fliehenden „Stadtfrack“ geht die Liedmusik zu einem neuen, es auf beeindruckende Weise klanglich reflektierenden Gestus über. Die melodische Linie entfaltet sich nun in Gestalt von kleinen, durch Achtelpausen voneinander abgehobenen Zeilen, die ihr Vorandrängen aber umso wirkungsvoller zur Geltung bringen, weil sie ihm so etwas wie Atemlosigkeit verleihen. Das Klavier begleitet nun mit einer wie endlos wirkenden Folge von immerzu gleichen Sechzehntel-Oktavfällen im Diskant und sich ebenfalls wiederholenden Figuren aus vier, eine fallende Bewegung beschreibenden Akkorden im Bass. Das suggeriert klanglich die Schicksalhaftigkeit, der der Stadtbewohner hier in der Alpenwelt ausgesetzt ist. Bei dem Wort „flieht“ geht die melodische Linie in eine lange Dehnung auf einem „Es“ in hoher Lage über, der bei den Worten „der lächerliche Stadtfrack“ eine Fallbewegung nachfolgt, die am Ende in eine Kombination aus Quartsprung und Terzfall mündet, was dem Wort „Stadtfrack“ eine Anamutung von Lächerlichkeit verleiht, weil das Klavier, das zunächst im Diskant die Fallbewegung der melodischen Linie mitvollzog, nun nichts anderes mehr beizutragen hat als eine Folge von Einzelton und legato nachfolgender bitonaler Oktave, - eine Figur, die es im Diskant bis zu dem melodischen Quartsprung auf den Worten „mit Recht“ fortsetzt, derweilen im Bass die für dieses Lied so prägenden Wellenlinien von Sechzehnteln erklingen.

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