Leyer und Schwerdt - nationalistisch und kriegsverherrlichend?

  • Heute stieß ich beim Studium der "Ostthüringer Zeitung" auf eine kurze Notiz, deren Bedeutung wohl größer ist als es im ersten Moment scheint. Es geht um untenstehendes Werk von Theodor Körner, dessen Bedeutung mir als aus der Schule noch bekannt ist, als Kriegsgegner. Das gezeigte Werk enthält eine Gedichtesammlung, dessen bekanntestes "Lützows wilde verwegene Jagd" sein könnte. Dieses Lied aus der Zeit der Befreiungskrige wurde vertont u.a. von Carl Maria von Weber.

    koerner_leyer_1814_0007_400px.jpg


    Die Zeitungsnotiz geht davon aus, daß die Körnerschen Texte nationalistisch und kriegverherrlichend seien, gegen eine Aufführung im historischen Erfurter Rathaus durch den mir unbekannten Paulinenchor gab es Proteste. Das Lied "Lützows verwegene Jagd" ist mir bekannt, wir haben es früher in der Oberschule als patriotisch und historisch bedeutend kennengelernt. Gehört es jetzt auf den "Index", aus welchem Grunde auch immer? Hier ist das Lied:

    http://www.youtube.com/watch?v=mfvQkwzL4S0

    La Roche

    Ich streite für die Schönheit und den edlen Anstand des Theaters. Mit dieser Parole im Herzen leb' ich mein Leben für das Theater, und ich werde weiterleben in den Annalen seiner Geschichte!

    Zitat des Theaterdirektors La Roche aus Capriccio von Richard Strauss.

  • Theodor Körner muss man aus seiner Zeit heraus verstehen, das vermögen viele mangels historischer Bildung nicht mehr. Und z.B. sehen, dass er 22 Jahre alt war, als er im Kampf gegen Napoleons Truppen fiel.


    In seinem jungen Leben hat er Sachen verfasst wie das "Lied von der Rache":


    Ha, welche Lust, wenn an dem Lanzenknopfe

    Ein Schurkenherz zerbebt

    Und das Gehirn aus dem gespalt´nen Kopfe

    Am blut´gen Schwerte klebt.


    Aber auch so schöne Zeilen wie:


    In des Lebens bunten Räumen

    Ist mein Ideal verblüht,

    Dämmert nur in meinen Träumen,

    Lispelt in des Sängers Lied.


    Konnt´ ich´s lebend nicht erwerben,

    Soll es hier doch ewig blühn,

    Mit mir leiden, mir mir sterben

    Und mit mir hinüber ziehn!


    Hier in Düsseldorf gibt es eine Theodor-Körner-Straße, als (no pun intended) Stichstraße zwischen Königsallee und Heinrich-Heine-Allee. Zur Altstadt hin, der "längsten Theke der Welt", beginnt mittlerweile eine Waffenverbotszone, weil zwischen Kneipen und Bars mehrmals wöchentlich gemessert wird. Aber sicher, nationalistische Töne eines 22jährigen toten Dichters des 19. Jahrhunderts sind ein ernsthaftes Problem...


    Gutes Hören

    Christian Hasiewicz

    "...man darf also gespannt sein, ob eines Tages das Selbstmordattentat eines fanatischen Bruckner-Hörers seinem Wirken ein Ende setzen wird."



  • Unser Establishment hätte vermutlich kein Problem mit einer heutigen kurdischen (oder je nach Couleur vielleicht auch katalanischen, ukrainischen, tibetischen, etc.) Variante von "Leier und Schwert". Wenn man die Propaganda plausiblerweise als Unterstützung des Freheitskampfs einer unterdrückten Gruppe verstehen kann, kann es dafür sogar westliche Literaturpreise o.ä. Förderung geben.


    Da Deutschland im Verlauf des 19. Jhds. zu einer streitbaren Macht wurde, die ihrerseits Kriege angezettelt hat und dabei natürlich propagandistisch geschickt die Poesie der Befreiungskriege, oder andere lang zurückliegende Konflikte ("Prinz Eugen, der edle Ritter", "Fridericus Rex") nutzte, hat man heute anscheinend vergessen, dass viele Deutsche zu Körners Zeiten eben in einer ähnlichen Situation waren wie heute bspw. die Kurden. (Bitte die Analogien nicht überbewerten, es geht nur darum, auf der eher schwächeren Seite in einer kriegerischen Auseinandersetzung zu sein, oder keine autonome Selbstverwaltung, kein eigenes Land zu haben.)


    D.h. Kriege darf man verherrlichen, wenn es die "richtigen" sind, nämlich der Befreiung von Unterdrückten dienen (Befreien Sie alle Länder von den blauen Armeen!), während die falschen Freiheitskämpfer natürlich Terroristen sind. Dagegen ist auch wenig zu sagen, nur sollte man es halt offen zugeben, statt so zu tun, als ob man neutrale Fakten feststellt. Für Beispiele muss man nur die Zeitungen der letzten 15 Monate lesen. Oder die Kommentare zu anderen "gerechten Kriegen" der letzten gut 30 Jahre, zB im mittleren Osten.

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Beide bisherigen Antworten sehe ich sehr diplomatisch und in ihrer Aussage trotz aller Brisanz klug gewählt.

    Darf man also "Lützows verwegene Jagd" heute noch singen? Oder ist Weber (bzw. Körner) auch in Ungnade gefallen, weil vor 130 Jahren Ansichten positiv gesehen wurden, Ansichten die heute nicht mehr ausgesprochen werden sollten?

    Schließlich wurde gegen die Aufführung der Weberschen Vertonung mit dem Text von Körner in Erfurt protestiert. Was ich nicht verstehe oder verstehen will.


    La Roche

    Ich streite für die Schönheit und den edlen Anstand des Theaters. Mit dieser Parole im Herzen leb' ich mein Leben für das Theater, und ich werde weiterleben in den Annalen seiner Geschichte!

    Zitat des Theaterdirektors La Roche aus Capriccio von Richard Strauss.

  • Ich kann so etwas auch nicht verstehn, lieber La Roche. Es scheint der Gesellschaft die Fähigkeit zur Differenzierung und zum Aushalten von Spannungen bzw. zur Historischen Einordnung verloren zu gehen. Mir macht das Sorgen, denn diese Cancel Culture ist ja nur eine andere Form von Radikalität und zwar eine anti-wissenschaftliche und geschichtsvergessne.

    Wenn schon dem Publikum von manchen (einer lauten Minderheit?) keine Differenzierung und Einordnung zugetraut wird, könnte man diese doch wenigstens - auch wenn ich persönlich so etwas nicht mag und nicht brauche - erklärend in Wort oder Schrift einer Aufführung beigeben...

    Beste Grüße von Tristan2511


    "Glaubt er, dass ich an seine elende Geige denke, wenn der Geist zu mir spricht?"

    (Beethoven zu Schuppanzigh)

  • Es war m.E. ein Vorteil, dass in früheren Zeiten die antiken Stoffe die Schule dominierten. Bei Römern gegen Karthager, Griechen gegen Perser, Athen gegen Sparta, Octavian gegen Brutus usw. hat heute wirklich niemand mehr ein Pferd im Rennen. Da kann man wesentlich nüchterner etwas über Macht, Realpolitik, Propaganda etc. lernen als etwa bei den napoleonischen Kriegen, selbst wenn die schon gut 200 Jahre her sind (weil es eben die Nationen von damals noch gibt) oder gar bei den großen Konflikten des 20. Jhds.

    Ich habe in den 1980ern vermutlich in Latein (mein Griechischlehrer war zu schöngeistig, da gabs keine Politik) mehr Grundlegendes über solche Dinge gelernt als in Geschichte, obwohl ich auch eher zynisch-realpolitisch eingestellte Geschichtslehrer hatte.

    Bei vielen heutigen Kommentatoren und Politikern hat man den Eindruck, dass sie nicht nur nie Geschichte gelernt, sondern nichtmal so was wie "Risiko" oder "Civilization" auf dem Brett oder am Computer gespielt haben... ;)

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
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    (Bob Dylan)

  • Lieber La Roche, gut, dass Du dieses Thema aufgemacht hast. Mir aus der Seele gesprochern sind diese Sätze:

    Theodor Körner muss man aus seiner Zeit heraus verstehen, das vermögen viele mangels historischer Bildung nicht mehr.

    Unser Establishment hätte vermutlich kein Problem mit einer heutigen kurdischen (oder je nach Couleur vielleicht auch katalanischen, ukrainischen, tibetischen, etc.) Variante von "Leier und Schwert". Wenn man die Propaganda plausiblerweise als Unterstützung des Freheitskampfs einer unterdrückten Gruppe verstehen kann, kann es dafür sogar westliche Literaturpreise o.ä. Förderung geben.

    Es scheint der Gesellschaft die Fähigkeit zur Differenzierung und zum Aushalten von Spannungen bzw. zur Historischen Einordnung verloren zu gehen.


    Es ist nicht Körner anzulasten, dass ihn Nationalisten und - schlimmer noch - Nationalsozialisten für sich vereinnahmten. Das gehört zu deren Geschäft. Davor sollte er eigentlich in Schutz genommen werden, auch wenn er selbst die Demokratie nicht erfunden hat. Es wurde bereits erwähnt, dass Weber Körner vertont hat. Konkret wählte er sechs Lieder aus "Leyer und Schwerdt" aus und übernahm für dieses Opus auch den originalen Titel. Diese Lieder wurden 1816, drei Jahre nach Körners Tod, veröffentlicht. Sie sagen viel über die poilitische Haltung des Komponisten aus und machten ihn deshalb in Herrscherkreisen verdächtig.


    Carl Maria von Weber (1786-1826)

    "Leyer und Schwerdt" für vierstimmigen Männerchor op. 42

    Text: Theodor Körner

    1. Reiterlied (Frisch auf dem raschen Flug)

    2. Lützow's wilde verwegene Jagd (Was glänzt dort vom Walde)

    3. Gebet vor der Schlacht (Hör uns, Allmächtiger)

    4. Männer und Buben (Das Volk steht auf)

    5. Trinklied vor der Schlacht (Schlacht, du brichst an)

    6. Schwertlied (Du Schwert an meiner Linken)


    Bezeichnend ist, dass es nur eine ernstzunehmende Aufnahme des Zyklus zu geben scheint - und zwar in dieser Besetzung:


    Männerchor der Berliner Solisten

    Dirigent: Dietrich Knothe

    Aufnahme: Funkhaus Nalepastraße, Saal 3, Berlin, 6.-8. Januar 1981

    Produktion des Rundfunks der DDR


    Seit Jahren recherchiere ich zu dem Thema und wurde bisher lediglich im Deutschen Rundfunkarchiv fündig, wo ich mir die Einspiellung für private Zwecke kopieren ließ. Auf Tonträgern ist sie nie erschienen.


    "Leyer und Schwerdt" auch auf Körners Grab in Wöbbelin:


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    Es grüßt Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent