„Die Ausführungen von Herrn Chopin waren von äußerster Raffinesse; nichts gleicht der Delikatesse seiner Tonbildung, nichts der Leichtigkeit seiner Passagen. Sie schmeichelt dem Ohr, das nur die Faustschläge der modernen Schule zu hören gewohnt war.“ (Anonymus Edinburgh Advertiser, 6.10.1848)
„Hundegebell (frz. aboiement de chien) ist ein Wort Chopins, um eine aggressive und unkontrollierte Tastenattacke zu bezeichnen.“ (Jean-Jacques Eigeldinger)
„Meine Tonbildung geschieht nicht durch „Anschlag“, sondern lediglich durch das Gewicht der Hand (...). Der auf diese Weise gebildete Ton ist nicht nur edler, sondern auch intensiver von Körper und deshalb tragfähiger als der angeschlagene Ton ...“ (Ludwig Deppe, 1885)
„Es macht einen großen Unterschied, ob ein Klavier angeschlagen wird wie mit einem Stock, mit mechanischen Fingern, oder mit Fingern voll von Leben und Magnetismus.“ (Amy Fay, 1874)
„Über die Art und den Grad der Muskelspannung kann nur das Ohr wachen, da, wie schon des öfteren hervorgehoben wurde, der Ton schön, voll und weich klingt, wenn das Muskelspiel richtig ist.“ (Elisabeth Caland, 1910)
1. Gedans Sachlexikon der Klaviermusik: Der Stümper gibt den Ton an
Wer sich aktuell über die Problematik des Klavieranschlags im Netz informieren will, stößt auf das Sachlexikon Fachbegriffe des Klavierbaus und der Klaviermusik:
http://www.pian-e-forte.de/texte/lexikon.htm
Dort liest man zum Stichwort „Anschlag“:
„Anschlag ist ein Begriff, der noch aus jenen Tagen stammt, als Orgeltastaturen mit Fäusten traktiert, »geschlagen«, wurden.
Über einen Pianisten hört man oft: »er hat einen beseelten Anschlag«, obwohl nachweislich kein qualitativer Unterschied besteht zwischen einem einzelnen Ton, den ein Stümper hervorbringt, und einem, den ein Könner erzeugt. Das Geheimnis des beseelten Anschlags liegt eher in der Abfolge von Tönen (Hervorh. von mir), nämlich in der dynamischen (und agogischen) Kontrolle, mit der ein Ton im Verhältnis zu vorherigen, nachfolgenden oder gleichzeitig gespielten erklingt.“
Ist es Zufall? Im Tamino-Klassikforum wurde genau diese provozierende Klavierpädagogik vertreten, welche vor den Kopf stößt und wohl auch vor Kopf stoßen will: Ein großer Tastenkünstler wie Arturo Benedetti Michelangeli könne das Klavier letztlich nicht besser anschlagen als sein Friseur; man dürfe statt mit sensiblen Fingern ruhig auch mit einem Gipsarm auf die Tasten hauen, das würde an der Tonqualität rein gar nichts ändern. Einen „harten“ oder „weichen“ Anschlag, mithin eine wirkliche „Anschlagskultur“, gibt es demnach also nicht – die eigentliche Kunst des Klavierspiels beginnt, so werden wir belehrt, nicht mit der Behandlung des einzelnen Tones, von der behauptet wird, sie könne nicht anders als kunstlos sein und bleiben, sondern erst wenn Läufe, also Tonfolgen, Akkorde und vor allem das Pedal ins Spiel kommen.
Wenn diese Ansicht nun sogar in einem Lexikonartikel vertreten wird, ist sie dann nicht eine inzwischen allgemein anerkannte Meinung bei wirklichen Fachleuten, die sich unter Laien nur noch nicht herumgesprochen hat? Richtig, genauso ist es, suggeriert uns das Sachlexikon Fachbegriffe des Klavierbaus und der Klaviermusik, indem es seinen Ausführungen Autorität zu verschaffen sucht mit dem kleinen Wörtchen „nachweislich“. Doch genau damit verrät es, dass es sich hier nicht um einen wirklich professionellen, redaktionell evaluierten Lexikonartikel handelt. Zu den strengen Anforderung für die Verfassung eines lexikalischen Artikels gehört, dass der komplexe Diskussionsstand zum Thema – die Kontroversen eingeschlossen – wiedergegeben wird mit den obligatorischen Nachweisen für Allgemeingültigkeit beanspruchende Aussagen inklusive Quellenangaben. Die bloß affirmative Behauptung einer Nachweislichkeit ist kein lexikalischer Nachweis, sondern nicht mehr als eine suggestive Behauptung, mit welcher der Autor des Artikels seiner strittigen Privatmeinung unbestreitbare Geltung verschaffen will. Müsste ein solcher Text ein wirklich professionelles Evaluationsverfahren durchlaufen, wäre er mit Sicherheit an den Autor zurückgegangen wegen Nichterfüllung elementarer wissenschaftlicher Standards und der Aufforderung zur Überarbeitung. Auf einer privaten Webseite ist freilich alles erlaubt – da gelten die hohen wissenschaftlichen Anforderungen subjektiver Wertungsfreiheit und das Einhalten von lexikalischer Standards wie Nachweispflicht durch Quellenangaben und Belege nicht. Und genau darum handelt es sich hier – um die Privatmeinung eines Klavierpädagogen außerhalb des akademischen Bereichs. Verantwortlich für die Seite zeichnet Jörg Gedan, pensionierter Lehrer für Klavier, Violine/Viola und Musiktheorie an den Kreismusikschulen Schleswig-Flensburg und Nordfriesland.
2. Ludwig Deppe: „Tonnehmen“ und nicht „Anschlagen“ der Tasten
Dass in einem solchen Artikel ganz unbedarft subjektive Meinungen als allgemeinverbindliche Tatsachen hingestellt werden können, erklärt nicht zuletzt der „blinde Fleck“ des Fachs Klavierpädagogik, das immer noch zu wenig Interesse zeigt, seine eigene Geschichte aufzuarbeiten. Eine gründliche historisch-systematische Auswertung der verschiedenen klavierpädagogischen Methoden und Theorien existiert bis heute nicht oder nur in spärlichen Ansätzen (vgl. Kruse-Weber). Als Hinderungsgrund für eine solche Aufarbeitung hinzu kommen dann noch die in der Klavierpädagogik verbreiteten, von Konkurrenzdenken geprägten Privatfehden zwischen den Schulhäuptern mit ihren schulstrategisch produzierten Missverständnissen zur Durchsetzung der eigenen Position, die statt Offenheit für einen wirklichen Austausch von Erkenntnissen Abschottung bewirken. Berühmt und berüchtigt ist hier der Feldzug von Rudolf Maria Breithaupt gegen seine Lehrerin Elisabeth Caland, der dazu führte, dass Calands Klavierpädagogik heutzutage nahezu vergessen ist. Eine bemerkenswerte Ausnahme bilden die Forschungen von Elgin Roth (1926-2012), die bei einer Übersetzungsarbeit wesentliche Übereinstimmungen der klavierpädagogischen Prinzipien Frédéric Chopins mit denen von Ludwig Deppe, dem wohl bedeutendsten Klavierpädagogen des 19. Jhd., feststellte. Die Behauptung von Gedans Sachlexikon ist sozusagen ein brutaler Schlag ins Gesicht gegen diese bedeutende – und bis ins 21. Jhd. einflussreiche – Tradition der Klavierpädagogik. Das Problem eines nicht harten, sondern weichen und gefühlvollen Klavieranschlags, der einen „schönen Ton“ auf dem Klavier hervorbringt, war und ist das zentrale Bemühen dieser klavierpädagogischen Schule.
Wer war Ludwig Deppe (1828-1890)? Deppe, 1828 im Kreis Detmold geboren und zeitweilig mit Johannes Brahms befreundet, war Geiger, Pianist und Komponist und gründete 1857 in Hamburg seine Klavierschule. Er hatte eine ganze Reihe bedeutender Schüler, die durch die Publikation eigener Lehrbücher hervortraten und seine Lehre verbreitenden, darunter die amerikanische Pianistin Amy Fay (1844-1928) und vor allem Elisabeth Caland (1862-1929), die Deppes Gewichtstechnik mit modernen Erkenntnissen der Physiologie wissenschaftlich zu fundieren suchte. Das Grundproblem der Klavierpädagogik des 19. Jhd. war die Suche nach dem richtigen Klavieranschlag. Am besten verdeutlicht das vielleicht Amy Fays Biographie. Amy Fay (deren Schwester Melusina mit dem Philosophen Charles Sanders Peirce verheiratet war) studierte zuerst am New England Conservatory of Music in Harvard, bevor sie dann 1869 nach Deutschland kam. Sie hatte Unterricht bei Franz Liszt, aber vor allem zunächst bei Carl Tausig und Theodor Kullak, welche die damals verbreitete Finger-Anschlagstechnik lehrten. Sie bestand darin, dass man mit tiefem Handgelenk die Finger zunächst mit Kraft hochzog und dann auf die Taste herunterschlug. Die Übungen bestanden deshalb vor allem darin, die Fingerkraft zu stärken durch – für die Pädagogik des Biedermeierzeitalters typisch – viel Übungsfleiß bis hin zum Drill. (Grete Wehmeyers Buch über die Biedermeier-Klavierpädagogik trägt den bezeichnenden Titel Carl Czerny und die Einzelhaft am Klavier.) Die Folge dieser Anschlagstechnik waren nicht nur Verkrampfungen und Schmerzen beim Spielen, sondern auch – wie durch unzählige Quellen belegt ist – ein harter und unschöner Ton. Wenn Gedans Klavierlexikon hervorhebt (volles Zitat siehe oben), das
„Geheimnis des beseelten Anschlags liegt eher in der Abfolge von Tönen, nämlich in der dynamischen (und agogischen) Kontrolle, mit der ein Ton im Verhältnis zu vorherigen (...) erklingt“ …
dann zeigt dies exemplarisch die Nichterfüllung der lexikalischen Anforderung der Transparenz, weil der historische Kontext, aus dem diese Spieltechnik stammt, dem Leser nicht vergegenwärtigt wird. Die Technik des Fingeranschlags von Tausig und Kullak verhinderte ein wirkliches Legato-Spiel – was dann auch Absolventen der Deppe-Schule hervorheben, hier Hermann Klose (Die Deppe´sche Lehre des Klavierspiels 1886):
„(Bei) Beurteilung der Töne (...) soll nicht nur jeder einzelne Ton nach allen Seiten seiner Eigenart, sondern auch der Anschluss der Töne untereinander und dadurch jede melodische Tonfolge unausgesetzt von der regen Teilnahme des musikalischen Vorstellungsvermögens begleitet sein. (…) Hieran sei eine Bemerkung des bekannten Organisten A. Haupt geknüpft, welcher einmal sagte, er habe beim Klavierspiel noch nie ein wirkliches Legato gehört.“
Die Finger-Anschlagstechnik durch die Kraft allein des isolierten Fingers führt nicht nur zu einem harten Anschlag – ihr gelingt auch kein wirklicher „Anschluss der Töne“, also kein echtes Legato-Spiel. Beide Aspekte gehören, wie man bei Klose sieht, in der Deppe-Pädagogik zusammen: das Kontrollieren des „Anschlags“ des einzelnen Tones wie auch das mehrerer Töne, die nacheinander angeschlagen werden. Gedans Klavierlexikon, das den Anschlag dem Stümper überlassen will, der ruhig unkontrolliert auf die Tasten hauen darf wie ein wütendes Kleinkind, reduziert hier diese beiden zusammenhängenden Aspekte auf einen.
Wie Amy Fay berichtet, wanderten eine ganze Reihe der Schüler von Kullak zu Deppe ab. Sogar Liszt soll auf Deppe eifersüchtig geworden sein, weil einige seiner Schüler den Weg zu ihm fanden. Die Methodik Deppes fasst Amy Fay (1873) so zusammen:
„Deppe ist gegen das hohe Heben der Finger. Er sagt, es gäbe dann einen Knick in dem Muskel, und dadurch holst du die Kraft nur aus dem Finger, während bei mäßigem Heben der Finger die Muskeln des ganzen Armes zum Tragen kommen. Auch der Ton würde dadurch ein gänzlich anderer. Das so hohe Heben der Finger und das folgende Anschlagen mit Gewalt versteift ein Handgelenk und verursacht dabei einen leichten Ruck in der Hand, der die singende Qualität des Tones verhindert, gleichsam als ob man beim Singen plötzlich den Mund schlösse. Es entsteht dann der Effekt eines Schlages auf die Taste und der Ton wird schärfer, forcierter, während er, lässt man den Finger einfach fallen, voller, weniger laut, aber dafür eindringlicher wird.“
Bei Elisabeth Caland (1904) liest sich das entsprechend so:
„Wie Mancher vielleicht – dessen Tongebung von Natur schön und weich war – wird durch die „Methode des Fingeranschlags“ verdorben und verliert durch das mechanische, oft forcierte Hämmern auf die Tasten seinen weichen gesanglichen Ton (…) Wenn wir unsere einzelnen Finger so hoch wie möglich heben, um sie gleich kleinen Stöcken mit mechanischem Schlag auf die Tasten niederzustoßen, so werden die Hämmer auch in kurzer, harter Berührung gegen die Saiten geschleudert, welche infolgedessen nicht voll und schön austönen können. Mit elastischer, schwingender, runder, gleitender Bewegung sollen die Tasten berührt werden, um den vollen, strahlenden Klang zur Geltung zu bringen.“
Bereits in den 1860iger Jahren sprach Ludwig Deppe von einer „psycho-physischen Tonbildung“. Es ging darum, durch das Hören auf die Erzeugung des Klanges beim Spielen und die richtige Verteilung der Gewichte, also Körperspannung, Verteilung des Armgewichts usw. „einen schönen, weichen, unforcierten Klang“ (Elgin Roth) zu erzeugen. Die Erzeugung von Tonschönheit des Anschlags durch ein unverkrampftes Spiel war das ideale Ziel der Deppe-Pädagogik. In der französischen Tradition von Rameau bis Chopin sprach man von einem „Berühren“ (frz. toucher) und nicht „Anschlagen“ (frz. frapper) der Taste. Deppe wollte im Anklang daran nicht vom „Anschlagen“ der Tasten, sondern von einem „Tonnehmen“ sprechen. Seine Anschlagskultur des Tonnehmens entsprach damit ziemlich genau den Bemühungen Frédéric Chopins:
„Schmiegt Euch der Taste an, einschmeichelnd, liebkosend (frz. caressez la touche), aber stoßt, schlagt, klopft sie niemals!“ sagte Chopin. (…) Und sein Schüler George Mathias fügte hinzu, um seinen Ratschlag zu bestätigen: „Man muss sozusagen das Klavier kneten mit einer Samthand, und die Taste mehr fühlen als sie anzuschlagen.““ (Piron, zit. bei J.-J. Eigeldinger)
Gerade mit Blick auf Chopin ist die Bemerkung (volles Zitat s.o.!) Amy Fays aufschlussreich:
„Es entsteht (bei der Finger-Anschlagstechnik, H.K.) dann der Effekt eines Schlages auf die Taste und der Ton wird schärfer, forcierter, während er, lässt man den Finger einfach fallen, voller, weniger laut, aber dafür eindringlicher wird.“
Der 19jährige Chopin berichtet in einem Brief nach seinen Konzerten in Wien:
„Die allgemeine Meinung jedoch ist, dass ich zu leise gespielt habe, vielmehr zu delikat für die Deutschen, die gewohnt sind, dass man auf ein Klavier eindrischt.“
Bis heute hält sich das Klischee, dass Chopin seiner schwachen physischen Konstitution wegen sehr leise und zart gespielt habe. Seine Schüler berichten jedoch das Gegenteil: Chopins Anschlag war nicht nur leicht und elegant, er hatte zugleich einen vollen und kräftigen Ton. Genau diese scheinbare Paradoxie eines weniger lauten aber zugleich kraftvollen Spiels macht den Sinn der Anschlagskultur des toucher und „Tonnehmes“ deutlich: „Forte“ kommt von lat. fors, fortis, was „Kraft“ bedeutet. Ein kraftvoller Ton ist aber eben nicht einfach nur ein solcher mit einem hohen Lautstärkepegel. Die Kultivierung des Anschlags im Sinne von Deppe und Chopin soll es vielmehr möglich machen, kräftige und tragfähige Töne auf dem Klavier zu erzeugen, ohne dass man dazu eine in die Ohren beißende Lautstärke durch ein Tastengehämmere nötig hat, das nur harte und unschöne Töne hervorbringt. Diverse Zeugnisse von Chopins Auffassung sind hier unmissverständlich (zit. nach E. Roth):
„Mit forcierter Kraft zu spielen war typisch deutsch. (…) „Weshalb spielt sie (ein achtjähriges Kind) wie eine Deutsche? (…) Lass das Kind niemals forte spielen.“ (Hipkins)
„Diese Regeln für den Anschlag sind sehr wohl vereinbar mit der Kraft, die Chopin manchmal beträchtlich anwandte; der Ton dürfte dann, wenn auch kräftig, niemals trocken sein; er musste immer voll und edel klingen.“ (Kleczynski, zit. nach Caland 1919)
„Chopin forderte, dass die Qualität des Tones, die Tonbildung vor dem Studium der Geläufigkeit gelernt sein muss.“ (Tellefsen)
Chopins Schüler Karol Mikuli berichtet:
„Er ließ auf dem Klavier keinen übertrieben angeschlagenen Ton hören, den nannte er Hundegebell (frz. aboiement de chien).“
Glaubt man der Klavierschule von Gedans Sachlexikon, dann war Chopin wohl nur ein Dilettant, der nicht wusste, was er tut: Feingefühl in der Behandlung der Klaviertastatur hat keinerlei Effekt – das stumpfsinnige Tastengehaue des Stümpers gibt den Ton an. Chopin verstand einfach zu wenig von der Spielmechanik des Instruments Klavier, weswegen er nicht wahrhaben wollte, dass durch den Anschlag der einzelnen Taste nichts anderes als „Hundegebell“ entstehen kann. Deshalb suchte Chopin die Kultur des Klavierspiels letztlich an der falschen Stelle, denn kultiviert werden kann die Anschlags-Barbarei des Stümpers allerdings: Der Zauberstab eines Könners, die hohe Kunst des Pedalspiels nämlich, verwandelt den bellenden Hund Chopins schließlich in betörenden Schwanengesang. Historisch befindet sich eine solche kuriose Auffassung aber schlicht in eklatantem Widerspruch zu dem, was als die Praxis der Klavierschulen von Deppe und Chopin durch eine Überfülle von Zeugnissen überliefert ist. Die „Tonbildung“ steht am Anfang von Emil Söchtings Reform-Klavierschule System Deppe von 1909 oder bei Mary Wurm Die Caland-Lehre. Die Kultur des Klavierspiels, sie ist zuallererst eine Anschlagskultur – und dann erst kommt das Pedal. Karol Mikuli:
„Am Anfang ließ mich Chopin immer wieder eine einzige Taste hintereinander anschlagen und zeigte mir dabei, wie er verschiedene Klänge auf immer der gleichen Taste auf zwanzig verschiedene Weisen erreichen konnte.“
Elgin Roth zu diesem Thema:
„Die größten Pianisten – so las ich einst – wären nicht durch ihr Fortissimo, sondern ihr Pianissimo berühmt geworden. Chopin hätte sicherlich hinzugefügt: pianissimo, aber nicht durch Tricks mit linkem Pedal und blasé-Tönen, sondern „rein aus den Fingern“!“
Um dieses Kapitel mit Blick auf die aktuelle Klavierpädagogik zu schließen: Raluca und Wolfgang Wagenhäuser geben in ihrem Buch Musik und Ausübung von 2006, das inzwischen sogar ins Chinesische übersetzt ist, also als Unterrichtsmaterial dient für die wohl weltweit größte Zahl von Lernenden an Musikschulen und Musikhochschulen, „Anregungen zu einem Klangfarbentraining“ – nein, nicht durch das Pedal, sondern die Beherrschung der Physiologie des Anschlags in der Tradition der Gewichtstechnik von Ludwig Deppe:
„Ein zu lockerer Körper lässt einen großen oder gespannten Ton (also vom Bewegungsablauf richtig gespielten Ton) hart und eng klingen. Ein sehr gespannter Körper kann dagegen im leisen Bereich wunderschöne Farben zaubern.“