Wegbereiter für Richard Wagner

  • Nordbayerischer Kurier vom 30.05.23:


    Am 5. März 1870 war in Bayreuth wahrscheinlich nichts Besonderes los.


    Bürgermeister Theodor Muncker, der am 29. Mai 1823, vor 200 Jahren geboren ist, und seine rund 17.000 Einwohner freuten sich in ihrem Alltag auf den bevorstehenden Frühling.


    Doch braute sich an diesem Tag etwas zusammen, das die Geschichte der Stadt grundlegend verändern sollte: Richard Wagner suchte in seinem Haus Tribschen in der Schweiz eine große Bühne für seine „Inszenierung des Rings“. Angeregt durch seinen Dirigenten Hans Richter und die Lektüre eines Artikels in einem Konversationslexikon wurde er auf das Markgräfliche Opernhaus zu Bayreuth aufmerksam. Er fasste den Entschluss, die von den Ausmaßen größte Bühne im deutschsprachigen Raum persönlich in Augenschein zu nehmen, um dort den „Ring des Nibelungen“ aufzuführen.


    In Bayreuth trafen Richard und Cosima Wagner am 16. April 1871 ein und blieben drei Tage im Hotel „Zur Sonne“. Wagner befand die Bühne des Opernhauses jedoch für zu klein und das Haus für seine Zwecke ungeeignet, die Stadt aber ideal. Er fasste den Entschluss, in Bayreuth ein Festspielhaus zu errichten und Festspiele mit einer Aufführung des „Rings“ vorzubereiten. Cosima schrieb in ihr Tagebuch, dass die Bayreuther Bevölkerung in vollem Aufruhr über „sein Hiersein“ sei.


    Am 1. November 1871 gab Wagner Bürgermeister Muncker und dem Gemeinderats-Vorsitzenden Friedrich Feustel seine Festspielabsichten bekannt. Seine Wahl sei deshalb auf Bayreuth gefallen, weil es ihm das Badepublikum fernhalte, kein stehendes Theater habe und in Bayern gelegen sei.


    Daraufhin teilte ihm Muncker mit, dass er vom Stadtmagistrat am Stuckberg bei Sankt Georgen ein Grundstück erhalte, um dort ein Festspielhaus zu bauen. Wagner besichtigte das Grundstück am 15. Dezember 1871 und sagte diesem Standort zu. Aus dem Plan sollte jedoch nichts werden. Ein Miteigentümer der Familie Rose verweigerte der Stadt den Grundstücksverkauf. Nach dieser Mitteilung war Wagner so verärgert, dass er erwog, den Bayreuth-Plan wieder fallen zu lassen.


    Bis Theodor Muncker und der Bankier Friedrich Feustel das Heft selbst in die Hand nahmen. Sie reisten am 8. Januar 1872 in die Schweiz, um Wagner den Standort unterhalb der Bürgerreuth schmackhaft zu machen. Wagner lehnte ab. Bereits auf dem Rückweg zum Bahnhof kehrten die beiden hartnäckigen Männer noch einmal um und konnten den Meister vor allem wegen des „ebenso liebenswürdigen wie klugen Zureden Cosimas“ doch noch überreden. Die wohl wichtigste Dienstreise in der Geschichte der Stadt Bayreuth fand ein glückliches Ende. Am 27. April 1872 traf die Familie Wagner im Hotel „Fantaisie“ in Donndorf ein. Die ersten Festspiele fanden über vier Jahre später im August 1876 statt.


    Theodor Ritter von Muncker war vom 14. Februar 1863 bis zu seinem Tod am 14. Februar 1900 – auf den Tag genau 37 Jahre nach seiner Wahl – Oberbürgermeister der Stadt Bayreuth. In seine Amtszeit fielen die ersten Bayreuther Festspiele im Jahr 1876 und auch der Tod von Richard Wagner im Jahr 1883. Der Sohn eines Kreiskassendieners kehrte 1851 nach seinem Jurastudium in Erlangen und München in seine Vaterstadt zurück und bekam eine Stellung in der Stadtverwaltung. In seine 37-jährige Amtszeit fällt unter anderem der Bau des Zentralschulgebäudes (heute Graserschule), das damaligen Kasernenviertels und der Bayreuther Anschluss an das Eisenbahnnetz.

  • :) :) :) Was für Kleinigkeiten doch eine so große Rolle spielen bei solchen epochalen Entscheidungen! ^^ Besten Dank, Karl, für die Einstellung des Artikels! :hello:

  • Hallo Holger, hallo kalli,


    dann werde ich noch etwas zu den 3 wichtigsten Stadtentwicklern bezüglich Bayreuth schreiben.


    Bis bald


    Karl

  • Eine tolle Hintergrund-Story! Das sind diese kleinen Momente, die (Musik-)geschichte entscheidend verändern!

    Beste Grüße von Tristan2511


    "Glaubt er, dass ich an seine elende Geige denke, wenn der Geist zu mir spricht?"

    (Beethoven zu Schuppanzigh)

  • Hallo,


    kulturell aufgeweckt wurde das verschlafene Markgrafenstädtchen Bayreuth durch die Heirat Friedrich von Brandenburg-Bayreuth (späterer Markgraf) mit der preußischen Königstochter Wilhelmine im Jahre 1731.


    Von frühester Kindheit an hätte Wilhelmine - insbesondere nach dem Willen der Mutter - allerdings mit dem englischen Thronfolger und späteren König verheiratet werden sollen und war deshalb auf ein ganz anderes Leben vorbereitet worden.


    Die bestehenden Verwandtschaftsverhältnisse gehen weit zurück, es beginnt mit dem 30jährigen Krieg.


    Meine DVD-Empfehlung dazu ist der Vierteiler "Wallenstein" aus dem Jahre 1978, die bis dahin teuerste ZDF Fernsehproduktion mit einem überragenden Rolf Boysen als Hauptfigur.


    Wallenstein


    Tragische Figur ist dabei der sogenannte "Winterkönig", Friedrich V. (Kurfürst von der Pfalz), der 1619 zum König von Böhmen aufsteigt und nach der Niederlage bei der Schlacht am Weißen Berg 1620 fliehen muss.


    Mehr Glück hatte er bei der Wahl seiner Ehefrau Elisabeth Stuart, der einzigen Tocher des englischen Königs Jakob I.


    Die Ehe ist kinderreich, die jüngste Tochter Sophie von der Pfalz (1630-1714) heiratete später den Kurfürsten Ernst August von Hannover.


    2 Kinder aus dieser Ehe sind für uns von Bedeutung:


    Georg Ludwig (1660-1727), seit 1714 als Georg I. König von Großbritannien


    Sophie Charlotte (1668-1705), die Friedrich I, den König von Preußen, heiratete.



    Sophie Charlottes Sohn und Nachfolger seiner Vaters ist Friedrich Wilhelm I (1688-1744), bekannter als der "Soldatenkönig".


    Aus der Ehe von Georg I. stammen die Kinder Georg August und Sophie Dorothea (1687-1557).


    Und nun werden auf Betreiben der Großmutter Sophie von der Pfalz aus dynastischen Gründen die beiden Enkelkinder Friedrich Wilhelm I und Sophie Dorothea - also Cousin und Cousine - im Jahre 1706 verheiratet.


    Aus dieser Ehe gehen 14 Kinder hervor, die bekanntesten sind sicherlich Friedrich der Große (1712-1786) und seine Lieblingsschwester Wilhelmine (1709-1758).


    Und wie wir nun wissen, ist der englische König aus dieser Zeit der Bruder der Königin von Preußen bzw. der Schwager des Soldatenkönigs.


    Dummerweise wurde dieser Schwager von dem jüngeren Raufbold Friedrich Wilhelm I in der gemeinsamen Kindheitszeit bei der - die Erziehung der Enkel zeitweise übernehmenden - Großmutter Sophie von der Pfalz einige Male verprügelt, was anscheinend eine lebenslange persönliche Abneigung hervorgerufen hat.


    Einer der Gründe, warum es zu der beabsichtigten Eheschließung Wilhelmines mit dem englischen Königshaus nicht gekommen ist.


    Es grüßt


    Karl

  • Der Soldatenkönig bestimmte dafür als Ehemann den Erbprinzen Friedrich aus dem Markgraftum Bayreuth.


    Beide Eheleute stammen damit aus dem schwäbischen Adelsgeschlecht der Hohenzollern, Wilhelmines Gatte Friedrich kommt allerdings aus der fränkischen Linie, die seit 1192 die Burggrafen von Nürnberg stellte und daraus im Laufe der Zeit die Markgrafenschaften Ansbach und Kulmbach entwickelte.


    Nach der Belehnung des Burggrafen Friedrich VI. mit der Mark Brandenburg durch König Sigismund 1415 begann dann der eigentliche Aufstieg der Hohenzollern.


    Von Kulmbach mit der Plassenburg verlegte der spätere fränkische Markgraf Christian ab 1604 seine Residenz nach Bayreuth, wo er das Alte Schloß errichten ließ.


    So wurde aus Bayreuth nun eine der vielen kleineren fürstlichen Residenzstädte, die heutzutage das kulturelle Bild Deutschlands so bunt und vielgestaltig erscheinen lassen.



    Am 11.Januar 1732 verließ die schon schwangere Wilhelmine Berlin, wo sie über Leipzig zuerst in Hof eintraf.


    Den dortigen Empfang beschreibt sie wie folgt:


    Der versammelte Adel war mit Kleidern ausstaffiert, die an Alter den Flöhen in ihren Perücken nicht nachstanden. Diese alten Lumpen waren ihre Festkleidung, die rohen Manieren passten ausgezeichnet zum Anzug. Am Schluss des für mich gegebenen Festmahls war ich von 34 Betrunkenen umgeben.


    Am nächsten Tag empfing ich die keuschen Ehefrauen der Edelleute, Ungeheuer mit Haarwülsten oder besser Schwalbennestern auf dem Kopf, schmutzigen, fettigen Perücken.


    Am 22.Januar traf sie dann in Bayreuth ein, wo der alte Markgraf sie in ihre Gemächer begleitete:


    Ich wurde durch einen langen Korridor geführt, behangen mit Spinnweben und so schmutzig, dass es wehtat. Mein Bett war so schön und neu, dass es 14 Tage später keine Vorhänge mehr hatte, da sie bei Berührung zerfielen.


    Man pries mir stets die Pracht des Bayreuther Hofes, aber die, die mir das sagten, kannten ihn von der Zeit des letztverstorbenen Markgrafen.



    Nüchtern betrachtet darf festgestellt werden, dass Wilhelmines Schwiegervater seit seinem Amtsantritt im Jahre 1726 zum eisernen Sparen gezwungen war, da er die Finanzen in völliger Unordnung vorfand und einen Berg von Schulden abtragen musste.



    Die enttäuschte und stark frustierte Königstochter musste nun bis zum Ableben des Schwiegervaters im Jahre 1735 zuwarten, um ihre Pläne für ein einigermaßen standesgemäßes Leben umzusetzen.


    So gelangte danach der Glanz des Rokoko in der Residenzstadt Bayreuth mit einer Reihe von Schlossbauten zu höchster Blüte. Das 1748 eröffnete Opernhaus galt als eines der größten und prachtvollsten Europas. Unter Wilhelmines Federführung entstand in der Bayreuther Eremitage der erste Landschaftsgarten auf dem Kontinent. Ihr Ruinentheater in Sanspareil wurde zum Vorbild für das romantische Naturtheater des 19. Jahrhunderts.


    Auch als Förderer der Wissenschaften trat das Markgrafenpaar hervor. 1742 wurde in Bayreuth die "Fridericiana" als markgräfliche Landesuniversität eröffnet, jedoch bereits im Jahr darauf nach Erlangen verlegt. Die Kehrseite der kostspieligen Pracht bildete eine Zerrüttung der Staatsfinanzen. Kostspieliges Mäzenatentum und luxuriöser Lebensstil türmten einen Schuldenberg von 2,4 Mio. Reichstalern auf.